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Sie wollte 100% Sicherheit. Aber die Liebe ist keine Mathematik. Ein moderner lesbischer Liebesroman über das größte aller Gefühle in der glitzernden Welt Hollywoods. Nachdem ihre Freundin sie wegen eines Mannes verlassen hat, schwört sich die Schriftstellerin Charlie Cross, nie mehr mit einer Frau auszugehen, die nicht hundertprozentig lesbisch ist. Voll Liebeskummer zieht sie von New York nach Los Angeles, um an einer Fernsehshow zu arbeiten, die auf ihren Büchern basiert. Dort trifft sie die bekannte Kochshow-Moderatorin Ava Castaneda, für die sie schon seit Ewigkeiten schwärmt. Als Charlie von der hinreißenden bisexuellen Ava verführt wird, muss sie ihren Vorsatz mit den Prozenten sehr genau überdenken, denn die wahre Liebe könnte sonst auf dem Spiel stehen. Muss man 100 Prozent sicher sein, um sich zu verlieben?
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Seitenzahl: 311
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Inhaltsverzeichnis
Von Harper Bliss außerdem lieferbar
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Noch nicht - Eine Bonus-Kurzgeschichte
Danksagung
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Über Harper Bliss
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Von Harper Bliss außerdem lieferbar
Summer’s End: Eine lesbische Liebesgeschichte
Sommergeflüster zu zweit
Kaffee mit einem Schuss Liebe
Für Caroline, meinen hellsten Stern
Kapitel 1
»Du bist der Star der ganzen Stadt, Süße«, sagte Nick. »Jede Frau in dieser Bar wird sich um dich reißen.«
Charlie verdrehte die Augen. Falsche Bar. »Das hier ist nicht das Lux.« Sie hatte den Abend in einem Lesben-Club verbringen wollen, aber der Wunsch war von Nick ignoriert worden. Stattdessen waren sie in der neusten, hellsten, glänzendsten Disco der Szene gelandet.
»Nächstes Mal. Ich verspreche es.« Nick nippte an seinem Cosmopolitan. »Hierschlägt im Moment einfach das Herz der Stadt.«
Charlie konnte nur den Kopf schütteln. Sie versuchte wirklich, sich nicht mehr so oft in den negativen Schwingungen zu verlieren, für die Nick sie ständig kritisierte. Und sie versuchte sich anzupassen, mit dem Strom zu schwimmen – ein Ratschlag, den Nick ihr ebenfalls immer wieder gab. Aber im Moment half alles Bemühen nichts. Sie fühlte sich völlig fehl am Platz.
Charlie hatte die Hoffnung, dass ein bisschen Zeit im Lux zu ihrer Entspannung und guten Laune beitragen würde, aber Nick blieb stur. Vielleicht lag es daran, dass im Lux Männermangel herrschen würde. Aber sie verstand überhaupt nicht, warum ihm das etwas ausmachen sollte. Nick hatte das Glück mit einem Mann verheiratet zu sein, der, objektiv betrachtet, viel zu gut für ihn war.
»Ich habe keine Ahnung, was ich hier soll«, sagte Charlie seufzend.
»Wir sind in L.A., Charlie, Herzchen. Die Dinge laufen hier einfach anders.« Er schaute an ihr vorbei. »Guck nicht hin, aber …«
Charlie folgte seinem Blick und sah in das Gesicht einer dieser typischen L.A.-Schönheiten. Die Frauen an der Westküste schienen einer ganz anderen Spezies anzugehören, als die Frauen mit denen sie sonst Umgang pflegte.
»Pfff. Jetzt hast du es ruiniert. Sie hat dir diesen besonderen Blick zugeworfen.« Er warf dramatisch die Arme nach oben. »So was Uncooles, dir fehlt es definitiv an Übung.«
»Was hast du denn noch für eine Ahnung vom Flirten?«, fragte Charlie. »Du bist doch schon ewig mit dem prächtigsten Typen in ganz Los Angeles verheiratet.«
Aus der Übung war Charlie wirklich. Sie war sich jedoch ziemlich sicher, dass sie das, was sie suchte, ohnehin nicht auf dem Dach des neuesten und hippsten Sunset Strip Hotels finden würde, in dessen Empfangshalle ein Glaskasten stand, in dem ein lebendiges Model eingesperrt war. Charlie vermutete zwar, dass sie sich freiwillig in diesem Käfig befand, doch das änderte nichts an der Exzentrik dieses befremdlichen Anblicks.
»Sind Sie Nick Kent?«, ertönte eine schrille Stimme hinter Charlie. »Sie sind es tatsächlich!«, kreischte es weiter. »Kann ich bitte ein Foto mit Ihnen machen?«
Es war dieselbe Frau, von der Nick zuvor behauptet hatte, sie habe ein Auge auf Charlie geworfen. Dabei hatte sie es offenbar eher auf ihn selbst abgesehen. Charlie konnte es kaum erwarten, ihm das unter die Nase zu reiben.
»Wie er leibt und lebt«, sagte Nick mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Er spielte eine der Hauptrollen in einer berühmten Sitcom. Es war also quasi ein Muss, dass er immer nett und höflich auftrat, wenn er seinen Fans begegnete. »Meine Freundin wird ein Foto für uns machen«, er zwinkerte Charlie zu.
Die Frau gab Charlie ihr Handy und beachtete sie dann nicht weiter.
Charlie nahm das Handy entgegen und schwor sich, Nick nach dem Bild aus dem verfluchten Laden zu zerren. Er hatte seine Dosis an Fangirls bekommen; jemand hatte ihn in der neuen It-Bar erkannt. Jetzt konnte er ihr definitiv den Gefallen tun und mit ihr ins Lux gehen.
Charlie erfüllte ihre Pflicht und machte ein Foto von Nick und der Frau, die das obligatorische Duckface aufgesetzt hatte. Seit sechs Monaten war Charlie jetzt schon in Los Angeles, aber sie hatte sich noch lange nicht eingelebt.
»Vielen, vielen Dank!« Die Frau war weiterhin völlig euphorisch. »Ich verehre Sie in Lieben und Lachen. Sie sind bei weitem mein Lieblingsdarsteller.«
»Danke sehr«, sagte Nick und neigte den Kopf in ihre Richtung. »Ich werde es den anderen nicht verraten.« Es dauerte noch einen Moment, bis die Frau sich wieder gefangen hatte, sich verabschiedete und wieder zu ihren eigenen Leuten zurückkehrte.
Charlie hob die Augenbrauen und hoffte, Nick damit ein stummes »Hab ich es dir doch gesagt« vermitteln zu können.
»Na gut«, Nick hob beschwichtigend die Hände. »Ich lag falsch. Ich gehe mit dir ins Lux, als eine Art Wiedergutmachung sozusagen.«
Nicks ausgezeichneter Sinn für Selbstironie war einer der Gründe, weshalb Charlie sich so gut mit ihm verstand. Außerdem hatten sie eine gemeinsame Vergangenheit in New York. Sie hatte ihn dort vor einer gefühlten Ewigkeit kennengelernt, ungefähr zur selben Zeit, zu der sie auch Jo begegnet war.
»Du bist der Star, Nickie«, stellte Charlie fest.
»Sag mir etwas, das ich noch nicht weiß«, erwiderte Nick und stand auf.
»Sag mal, du wolltest doch unbedingt hierher und jetzt bist du immer noch völlig verkrampft, Charlie. Entspann dich endlich«, sagte Nick.
Entspannung war das letzte, woran sie denken konnte, während ein Dutzend Frauen sie anstarrte und sie mit Blicken durchlöcherte. »Ich brauche mehr Alkohol.« Sie schaute sich nach einem Kellner um.
»Ähm, Bestellungen nur an der Bar, Schatz«, sagte Nick. »Das weißt du doch.«
»Dann hol was.« Charlie ertrug den Gedanken nicht, sich ihren Weg durch die weibliche Menge bahnen zu müssen. Nicht, weil die Frauen unattraktiv waren und zu sehr nach L.A.-Glanz aussahen. Es lag viel mehr daran, dass sie eingeschüchtert war. »Eingeschüchtert« war das Adjektiv, das die letzten sechs Monate ihres Lebens insgesamt sehr gut beschrieb. Los Angeles war an der Oberfläche zu funkelnd und die Bewohner zu sehr auf ihr Äußeres bedacht. Alles und jeder sah gestriegelt und wie geleckt aus. Früher, als Charlie noch Autorin in New York gewesen war, hatte sie sich nie so fremd gefühlt wie an diesem Ort.
»Das könnte dir so passen. Ich habe schon die erste Runde besorgt.« Nick lächelte süffisant. »Und schließlich warst du es, die unbedingt in diesen Laden hier wollte. Erzähl mir nicht, du hast Angst, dir selber was zu bestellen.« Lässig zuckte er mit den Schultern. »Stell dir vor, du müsstest dich unterwegs mit einer echten Lesbe unterhalten. Mensch Mädel, für jemanden wie dich muss dieser Ort doch die Erfüllung wildester Träume sein.« Er beugte sich über den Tisch. »Einhundert Prozent lesbisch, Charlotte, mein Schatz. Dein genauer Wortlaut. Also, was ist dein Problem? Hier wimmelt es nur so von der Art von Frau, die du suchst.«
»Ach, leck mich doch, Nick Kent«, erwiderte Charlie, weil sie nicht wusste was sie sonst sagen sollte. »Dasselbe noch mal?«
»Ja, bitte.« Er trank den letzten Schluck seines Cosmopolitan aus, drückte ihr sein Glas in die Hand und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück.
Charlie verkniff sich den Kommentar, dass kein Mensch mehr Cosmopolitan trank, denn das hätte Nick vielleicht zu ernst genommen und sie wollte nicht gemein sein. Das hatte Nick nicht verdient.
Sie machte sich auf den Weg zur Bar. Die Erde zerfiel nicht in ihre Einzelteile und sie wurde auch nicht von einer Meute strahlender L.A.-Lesben attackiert. Die Frauen, die um die Bar herumstanden, machten ihr sogar genug Platz, um mit der Barkeeperin reden zu können. Neben Nicks völlig aus der Mode geratenem Drink bestellte sie für sich eine Margarita – den stilvollen Dauerbrenner unter den Cocktails.
»Sie sind mit Nick Kent hier, oder?«, fragte ein kleiner Mann mit schütterem Haar.
Charlie hatte wie immer das große Los gezogen. In einer Bar voller Lesben wurde sie von dem einzigen weiteren Mann auf Nick angesprochen.
»Nur jemand, der aussieht wie er«, antwortete sie. Aber Nicks roter Bart hatte einen zu großen Wiedererkennungswert. Leugnen erwies sich als zwecklos. Sie war es gewohnt, dass die Leute ihn erkannten, wenn sie zusammen ausgingen. Nichtsdestotrotz war das Lux der letzte Ort, an dem sie das erwartet hätte. Das Lächeln, das Charlie dem Mann schenkte, ließ ihn wissen, dass sie nur scherzte.
»Ich wollte ihn nicht direkt stören«, sagte der Mann. »Ich habe mich nur gefragt ob er das wirklich ist.«
»Klar doch«, sagte Charlie, während sie die Barkeeperin beäugte. Das kunstvoll gestaltete Tattoo, das sich von ihrem Arm bis zur Schulter schlängelte, wurde durch ihr enges, schwarzes Tanktop schön hervorgehoben. Höchstwahrscheinlich zu hundert Prozent lesbisch, vermutete Charlie.
»Und sind Sie nicht …«, der Mann überlegte kurz, »die Spitzenautorin, die an der neuen Show arbeitet, von der jeder in der Stadt redet?«
Charlie kicherte. L.A. war voll von anonymen fast-aber-doch-nicht-ganz-berühmten Autoren, wie sie es eine war. Vor zwei Jahren hatte der Verkauf der Filmrechte an ihrer Untergrund-Buchreihe einen Bieterkrieg unter den Studios ausgelöst und seitdem war immer mal wieder ihr Foto in einigen Zeitschriften und Magazinen abgedruckt worden. Das bedeutete jedoch herzlich wenig in einer Stadt, in der jeder etwas Besondereswar.
»Als Spitzenautorin würde ich mich selbst nicht bezeichnen«, erwiderte Charlie.
»Ich kann es kaum erwarten, bis die Serie endlich ausgestrahlt wird«, sagte der Mann, der jetzt sichtlich nervös schien.
»Hier, bitte sehr.« Die Barkeeperin stellte zwei Cocktails auf den Tresen. »Das wären dann dreißig Dollar.«
Charlie kramte ein paar Scheine aus ihrem Portemonnaie, nahm die zwei Gläser, lächelte den Mann entschuldigend an und ging dann zurück zu Nick.
»Guten Durst«, rief er ihr hinterher.
»Ich habe den einzigen hundertprozentig homosexuellen Mann, abgesehen von dirin diesem Laden getroffen«, sie stellte die Gläser auf dem Tisch ab.
»Ich hab’s gesehen.« Nick lachte. »Was soll ich dazu sagen Charlie? Die Schwulen lieben dich. Es muss an diesem androgynen Stil liegen, den du kultiviert hast.«
Charlie trank ein paar große Schlucke ihres Cocktails und schaute sich dabei in der Bar um. Noch ein paar hiervon und sie wäre bereit, jedem zu gefallen. Ihre Träumerei wurde von Nicks Handy unterbrochen, das eine eingehende Nachricht vermeldete. War Jason, Nicks Ehemann, verreist, schrieben sich die beiden so viele Textnachrichten, wie es sonst nur Jugendliche taten.
»Welche süßen Nichtigkeiten flüstert dir Jason denn jetzt wieder digital ins Ohr, Nickie?«
»Die Nachricht ist nicht von Jason.«
»Oh.« Charlie wusste nicht, ob sie weiter bohren sollte, oder nicht.
»Die Nachricht ist von Jo.«
»Oh«, wiederholte Charlie, aber diesmal in einem ganz anderen Tonfall. »Was will das Miststück?« Die Worte klangen härter, als sie es beabsichtigt hatte, aber der Alkohol hatte seine Wirkung bei ihr nicht verfehlt. Jo hatte sie auf eine Art und Weise behandelt, die Charlies harschen Tonfall rechtfertigte.
»Sie fragt, wie es dir geht, da du weder auf ihre E-Mails noch auf ihre Textnachrichten reagierst.« Er schaute sie missbilligend an. »Sie macht sich Sorgen um dich.«
»Du kannst ihr sagen, dass ich gerade in einer Lesbenbar bin, umgeben von Frauen, die sich ihrer Sexualität vollkommen sicher sind und die nicht beim ersten Anzeichen von Ärger wieder in die Arme von irgendwelchen Männern laufen.«
»Na, na. Versuch wenigstens fair zu bleiben.«
»Bitte stell dich nicht wieder auf ihre Seite, Nick. Sie hat mich verlassen. Und das für einen Mann. Ich bin es, die dein Mitleid verdient.«
»Ich habe dir mein tiefstes Mitgefühl geschenkt, Schätzchen. Ich habe dich in meiner Wahlheimat mit offenen Armen empfangen. Ich habe dich herumgeführt. Habe den Schmerz deiner Einsamkeit gemildert. Ich bin quasi dein bester Freund, also erzähl mir nichts von fehlendem Mitleid.«
Der Alkohol ließ Charlie heftiger reagieren, als sie es üblicherweise getan hätte. »Sie teilt sich nun ein Bett mit Christian Robson.« Anscheinend hatten die drei Margaritas Charlies Schmerz nicht annähernd betäubt. Plötzlich spürte sie ihn wieder so intensiv, als hätte Jo sie erst vor ein paar Tagen verlassen – und nicht schon vor Monaten.
»Das ist eine Tatsache«, stimmte Nick zu. »Aber da wir beide vernünftige Erwachsene sind, wissen wir auch, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt.«
»Ach, spiel hier doch nicht des Teufels Advokat.« Ein unerträglich schweres Gefühl machte sich in Charlies Magen breit, das sie schon aus New York kannte und vor dem sie noch immer flüchtete. Sie war extra an die Westküste gezogen und hatte eine Autorenstelle in Hollywood angenommen, um an einer Fernsehserie zu arbeiten. Etwas, das sie nie getan hätte, hätte Jo sich nicht von ihr getrennt.
»Es ist jetzt schon fast ein Jahr her, Charlie. Es wird Zeit, nach vorne zu blicken und aufzuhören, Groll zu hegen. Du tust dir nur selber weh. Jo will nur wissen, ob du dich bereits eingelebt hast und wie dir die neue Stadt bekommt.«
Charlie schob ihr halbvolles Margarita-Glas zur Seite. Sie hatte genug. »So war das alles nicht geplant, Nickie. Ich alleine in einer Stadt voller Schwindler und Möchtegern-Stars. Wir hatten ein schönes Leben in New York.« Bis Jo es zerstört hat.
»Ich bin auch hierhin gezogen, Süße. Ich weiß besser als jeder andere, wie schwer die Umstellung sein kann. Aber du hast mich. Du bist nicht alleine. Und du arbeitest für die heißeste Show, die Hollywood seit Jahrzehnten zu sehen bekommen wird.« Nick nahm einen Schluck seines Cosmopolitan und sagte dann: »Außerdem ist Selbstmitleid unattraktiv.«
»Du hast gut reden. Du hast Jason. Ihr werdet von Millionen Menschen geradezu verehrt. Ihr seid sogar mit Ava Castaneda befreundet, verdammt noch mal.« Charlie war ein großer Fan von Ava, der Gastgeberin der berühmten Kochshow Messer raus!.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann du die heute erwähnen würdest«, Nick grinste sie an. »Ich könnte euch einander vorstellen, weißt du? Vielleicht würde dich das aufmuntern.«
Charlie winkte ab. »Tut mir leid, dass ich zur schlechten Gesellschaft geworden bin. Es bekommt mir immer noch nicht gut, von Jo zu hören.«
»Ich weiß, aber schau dich mal um. Erzähl mir nicht, dass auch neun Monate nach eurer Trennung, nicht eine der gutaussehenden Frauen hier dein Interesse wecken könnte. Ich erkläre die Trauerphase hier und heute für offiziell beendet.«
Charlie war sich nicht sicher, ob sie jemals mit ihrer Trauer über die Trennung von Jo Cook würde abschließen können. Vielleicht war sie nicht die einfachste Person, aber Jo war sieben Jahre bei ihr geblieben und hatte Charlie den Eindruck vermittelt, doch gar nicht so übel zu sein. Und dann hatte Jo plötzlich ihre Sachen gepackt und war gegangen. Wegen eines Mannes. Egal wie sehr sie es versuchte, Charlie kam einfach nicht darüber hinweg.
»Ich bin betrunken, Nickie«, räumte Charlie ein. »Ich glaube, ich sollte für heute lieber aufhören.«
»Ihr Lesben solltet uns doch eigentlich unter den Tisch trinken können.« Nick leerte sein Getränk, griff dann nach Charlies und kippte den Rest der Margarita hinunter. »Na los dann. Ich bring dich nach Hause.«
Nach Hause, dachte Charlie, dorthin, wo niemand auf mich wartet. Sie nickte und folgte ihrem Freund aus der Bar.
Kapitel 2
»Wir könnten noch einen Spieler in unserem Softballteam gebrauchen«, sagte Liz.
Sie waren die letzten Verbliebenen im Büro der Autoren – auch Writer’s Room genannt. Alle anderen waren für eine Zigarette oder einen Kaffee nach draußen gegangen.
»Du könntest natürlich auch in der Club- und Bar-Szene suchen, wenn das mehr dein Ding ist«, fuhr Liz fort, »aber für Lesben ist das Softballteam definitiv derbeste Weg, um gleichgesinnte Frauen kennenzulernen.«
Liz war eine verheiratete, offenbar glückliche Frau und Charlie betrachtete sie als Vorbild dafür, wie es in Los Angeles für sie selbst laufen könnte. »Ich weiß nicht. Das habe ich vorher noch nie gespielt.«
»Das ist nicht so wichtig. Du bist Amerikanerin. Es ist quasi Teil deiner DNA. Du könntest auch beim ersten Mal nur vorbeischauen und zusehen. Ein Bier am Rand genießen und die Mädels kennenlernen.«
Die Mädels kennenlernen. Seit sie hier angekommen war – und seit der schrecklichen Trennung von Jo – machten ihr diese Worte unbeschreibliche Angst und Charlie wusste nicht, warum. Abserviert zu werden, das hatte ihrem Selbstbewusstsein einen großen Knacks gegeben. Darüber hinaus war sie vollkommen aus der Übung was das Flirten anging.
»Heute Abend haben wir Training. Komm doch einfach zu Sarah und mir auf ein kurzes Abendessen vorbei und wir gehen dann zusammen hin?« Liz schaute Charlie mit einem Blick an, der deutlich vermittelte, dass ein Nein keine Option war. »Wir sind wirklich ein lustiger Haufen, wenn ich das so sagen darf.«
»Okay«, gab Charlie klein bei. »Ich bin dabei. Aber heute Abend schaue ich nur zu.«
»Fabelhaft«, Liz hielt ihre Hand zum Abklatschen hoch. In New York hätte das niemand getan. »Ich möchte dich nämlich gern mit jemandem bekannt machen.«
»Wirklich?« Unruhe machte sich in Charlie breit, aber sie zwang sich zur Gelassenheit. Das versuchte sie schon seit dem ersten Tag in L.A., aber bisher hatte das leider nicht wirklich dabei geholfen, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Sie hasste eingefädelte Begegnungen.
»War ein Witz«, Liz warf ihr ein albernes Lächeln zu. »Ich glaub, ich weiß mittlerweile, was du magst. So ein Writer’s Room lässt doch sehr intime Einblicke in das Leben der Kollegen zu.«
»Das kannst du laut sagen«, Charlie hatte die längste Zeit ihrer Karriere alleine in einem ruhigen Büro gearbeitet. Das war ihre natürliche Umgebung, die sie schrecklich vermisste. Das erste Mal in ein Großraumbüro für Autoren zu treten, hatte sich als eine unheimlich stressige Erfahrung entpuppt. Sie hatte mehrere Wochen gebraucht, um sich an die Interaktionen und die Energie zu gewöhnen, die hier zwischen den Autoren der Fernsehserie hin und her flossen. Was die Erweiterung ihrer Komfortzone betraf, war Charlie überzeugt, viel dafür getan zu haben. Immerhin war sie an die Westküste gezogen und hatte ihr gewohntes Leben zurückgelassen.
»Habe ich dir in letzter Zeit schon mal gesagt, wie genial diese Serie werden wird? Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich immer noch bin, dass ich engagiert wurde, um daran mitzuschreiben.«
Doch, Charlie konnte es glauben. Von Anfang an war Liz ihr größter Fan gewesen. Von Vorteil war, dass sie einen herrlichen Sinn für Humor hatte und Charlie fast täglich zum Lachen brachte, etwas, das sie wirklich gebrauchen konnte. Andernfalls hätte sie wohl schon längst den Job geschmissen.
Als sie sich anfangs mit ihrem Agenten und einigen Studiobossen getroffen hatte, um die Fernsehrechte für ihr Buch Untergrund zu besprechen – zu einer Zeit, als Jo noch fest an ihrer Seite stand –, waren es deren ständige Schmeicheleien gewesen, die sie am meisten irritiert hatten. Nicht etwa, weil sie grundsätzlich etwas gegen Lob hatte, sondern, weil sie schnell erkannte, wenn jemand ein riesiges Theater veranstaltete, nur um sie zu beeindrucken. Liz dagegen war grundehrlich.
»Wenn du so etwas sagst, glaub ich dir sofort. Es tut mir gut, dass du an mich und diesen anstehenden Dreh glaubst.«
»Ich will vor meinen Softballfreunden mit dir angeben. Meine Beliebtheit hat sich exponentiell gesteigert, seit ich angefangen habe, an dieser Produktion mitzuarbeiten.« Liz grinste. »Brauchst du noch mehr?«
»Schon gut, schon gut. Genug.« Liz war wirklich eine gute Freundin. Sie war Charlie von Anfang an sympathisch gewesen, mit ihren großen, runden Augen und der Angewohnheit immer einen Blazer zu tragen.
»Danke. Ich muss mir mal eben die Nase pudern gehen, bevor wir weitermachen«, sagte Liz und verschwand.
Charlie schaute auf ihr Handy. Nick hatte ein Bild von sich und Annie, seiner Hündin, auf Instagram gepostet. Charlie drückte auf das Herzsymbol darunter. Das nächste Bild in ihrem Verlauf hatte Ava Castaneda hochgeladen. Allerdings hatte die unheimlich attraktive Fernsehmoderatorin leider nur ihr Essen gepostet. Charlie drückte auch hier auf »Gefällt mir«.
Sie scrollte weiter durch den Verlauf, bevor sie Nick eine Nachricht schickte.
Heute Abend spiele ich mit einem Haufen Lesben Softball in West Hollywood. Willst du mit?
Die Antwort auf ihre eher ironisch gemeinte Frage kam prompt und fiel genau so aus, wie sie es sich gedacht hatte.
Auf keinen Fall, mein Engel. Hab Spaß. XO
Charlie hatte tatsächlich Spaß. Beim Abendessen mit Liz und ihrer Frau Sarah trank sie zwei Bier, während die anderen vor dem Training lieber ablehnten. Als sie beim Sportplatz ankamen, spürte Charlie den Alkohol gerade genug, um sich einigermaßen locker zu fühlen.
Liz stellte sie den Teammitgliedern vor, die alle sehr offen auf sie reagierten. Zum Glück war keine von ihnen auf diese nervige Art freundlich, die Charlie nicht ertrug. Da die Frauen immer abwechselnd auf dem Platz standen und dazwischen neben Charlie auf der Bank verschnauften, lernte sie im Verlauf des Spiels die meisten von ihnen kennen.
Die Sonne stand tief am Horizont, jemand hatte eine Kühltasche voll Bier mitgebracht und als Charlie ihren Kopf zurücklehnte, um einen weiteren Schluck aus ihrer Flasche zu trinken, fielen ihr die letzten Strahlen der Abendsonne ins Gesicht. Jeder andere Mensch, ohne all die bitteren Erfahrungen, die sie hinter sich hatte, hätte diesen Moment wohl als harmonisch beschrieben. Ihr aber gelang es selbst in diesem Moment nicht echte Freude zu empfinden.
Sie musste allerdings zugeben, dass das Wetter in Los Angeles schöner war, als in ihrer alten Heimat. Hier schien die Sonne dauerhaft und zwar nicht auf diese nebelige Ostküstensommer Art und Weise, in der man sich nach Klimaanalagen und dem Winter sehnte; sie war angenehm.
Charlie redete mit den meisten der Frauen, die neben ihr Platz nahmen. Die Tiefe der Unterhaltungen richtete sich ganz danach, wie lange die jeweilige Person neben ihr sitzen blieb.
»Was meinst du?«, fragte Liz, als sie neben ihr saß. »Soll ich dir ein Trikot bestellen?«
»Ich könnte in Versuchung geraten«, Charlie schaute weiter aufs Feld. Eine der Frauen, die sich zuvor als Britt vorgestellt hatte, verfehlte einen einfach geworfenen Ball. »Obwohl ich wohl auch etwas Übung brauchen werde.«
»Ich will nicht sagen, dass wir – und mit wir meine ich mich –, nicht gewinnen wollen, aber überwiegend sind wir hier, um Spaß zu haben. Ob du wirklich schlagen oder werfen kannst, spielt keine große Rolle. Britt könnte noch nicht mal einen Ball treffen, wenn er ihr direkt ins Gesicht fliegen würde. Und das ist tatsächlich schon öfter vorgekommen.«
Charlie lachte. »Wie oft trainiert ihr?«
»Jeden Mittwoch und am Wochenende haben wir dann die Liga-Spiele. Meistens sonntags morgens.«
»Es gibt eine eigene Liga?«
»Natürlich. Die Jüngste von uns taucht sonntags fast immer mit einem Kater auf, aber der Rest von uns hat sich ganz gut im Griff. Wir müssen schließlich unsere Katzen pünktlich ins Bett bringen.«
»Auch auf die Gefahr hin, ein Klischee zu bedienen, aber ich überlege schon länger, mir eine Katze zuzulegen. In New York hatte ich zwei, aber meine Ex hat das Sorgerecht bekommen. Sie leben jetzt mit einem Mann zusammen.« Die Verbitterung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Die Armen«, war Liz’ Kommentar. Charlie hatte ihr schon öfter von ihrer dreckigen, schmerzhaften Trennung erzählt.
»Ich will aber erst sicher sein, dass ich hier auch länger bleibe. Ich will mich nicht schon wieder von einem Haustier verabschieden müssen.«
»Liz, du bist dran.« Britt kam auf die Bank zu. »Ich habe jetzt eh genug.« Sie ließ sich neben Charlie auf die Bank fallen. »Reichst du mir ein Bier rüber?«
Charlie griff in die Kühlbox und nahm sich auch noch eins.
»Prost.« Britt grinste. »Kommst du jetzt öfter hierher?«
»Ich überlege ernsthaft, ein Trikot zu bestellen.« Charlie lächelte.
Britt knuffte sie sanft in den Oberarm. »Ich soll es eigentlich nicht sagen, aber einige der Mädels haben eine Wette über dich am Laufen.«
»Wie bitte?«
»Tiff, Josie und Andrea da drüben, oder auch die Dreisten Drei wie wir sie nennen. Ignorier sie einfach. Das sind kleine Störenfriede.«
»Was für eine Wette?« Charlie nahm noch ein paar Schlucke Bier und überlegte kurz, wie ihr Leben wohl ohne Alkohol aussehen würde. Wahrscheinlich würde sie ohne nie wieder das Haus verlassen.
»Es geht darum, wer dich als Erstes rumkriegt.«
»Oh man«, murmelte Charlie.
»Na ja, du bist Single, heiß, und hast einen festen Job. Du bist ein echter Fang, von daher …« Britt zuckte mit den Schultern.
»Auf wen hast du gewettet?«
»Oh, das würde ich nie tun«, erwiderte Britt amüsiert. »Ich habe auf keine von ihnen gewettet. Das war die vierte Möglichkeit, auf die man setzen konnte. Du siehst nicht wie die Art Frau aus, die man an der Seitenlinie eines Softballspiels umwerben kann. Ich könnte damit auch falsch liegen, aber das war zumindest mein erster Eindruck.«
»Und wie sieht es mit dir aus?« Charlie betrachtete Britt aus dem Augenwinkel. So ein Softballoutfit stand niemandem gut, aber Britt schien ihres an den richtigen Stellen gut auszufüllen. »Hat irgendjemand auf dich gewettet?«
»Auf mich? Warum sollten sie?«
Charlie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht, weil du irgendwie heiß bist?« Charlie stöhnte innerlich über ihren eigenen Spruch. Wenn das Flirten sein sollte, war sie wirklich eingerostet.
Britt lachte herzhaft. Nachdem sie wieder Luft bekam, meinte sie: »Tut mir leid. Damit hatte ich nun so gar nicht gerechnet.«
»Jetzt komm schon Britney«, rief Andrea, eine der Dreisten Drei. »Du hast noch eine Runde vor dir.«
»Ich trink aber schon«, rief Britt zurück und hob ihr Bier als Beweis in die Höhe. »Außerdem heiße ich Britt, mit zwei T, damit auch weniger intelligente Leute wie du merken, wo Schluss ist.«
»Man kann das zweite T aber nicht hören, Britt«, Andrea übertrieb die Ts. »Ich trink dein Bier schon aus.«
»Na gut.« Britt stand widerwillig auf. »Damit du deine Energie nicht verschwendest, solltest du wissen, dass ich Charlie von der Wette erzählt habe.« Mit diesen Worten rannte Britt zurück aufs Spielfeld. Charlie schien es, als ob sie beschwingter lief als noch vor ihrem Gespräch.
»Um jegliche Missverständnisse zu klären«, sagte Andrea, als sie sich zu Charlie setzte, »Tiff, Josie und ich haben nicht nur das Eine im Kopf. Es war nur ein kleiner Scherz zwischen uns. Ich hoffe, du bist nicht angefressen.«
»Natürlich nicht.« Charlie trank ihr drittes Bier aus. Das leicht angeheiterte Gefühl, mit dem sie zum Training gekommen war, hatte sich mittlerweile in ausgewachsene Munterkeit verwandelt. »Wenn überhaupt, fühle ich mich geschmeichelt.«
»Kommst du gleich noch mit auf einen Drink? Wir gehen in eine Bar hier um die Ecke. Du lebst in West Hollywood, oder?«
Charlie genoss die Aufmerksamkeit. Liz hatte recht gehabt: An einem Softballspiel teilzunehmen, war viel effektiver, als durch die Bars zu tingeln.
»Ja, klar, ich komme gerne mit.« Charlie lächelte Andrea auf eine Art an, die deutlich machte, dass sie empfänglich für den Flirt war.
»Ich bin mir sicher, du hörst das dauernd, aber dein Roman Flüsse der Tränen hat mir so viel bedeutet, als ich mich geoutet habe. Das Buch lese ich jedes Jahr aufs Neue.«
»Vielen Da —« Weiter kam Charlie nicht, da sie vom Johlen des Teams unterbrochen wurde, das gerade vom Spielfeld rannte. Es schien, als sei das Training vorbei.
Die eine Hälfte der Spielerinnen klatschte sich gegenseitig ab, die andere, die verloren hatte, schien nicht sonderlich enttäuscht.
»Die Getränke gehen auf die Verlierer!«, rief Josie.
Charlie hatte den Eindruck, dass von den Dreisten Drei Josie am ehesten ihr Typ war. Sie war asiatisch-amerikanischer Abstammung und hatte die ausgeprägtesten Wangenknochen in ganz L.A.
»Charlie geht mit uns in die Bar«, sagte Andrea zu Liz.
»Wunderbar. Dann auf, meine Sapphos«, forderte Liz.
In New York hatte Charlie ab und an mit einer Gruppe lesbischer Frauen Zeit verbracht, aber die Atmosphäre unter ihnen unterschied sich stark von der hiesigen. Charlie musste zugeben, dass trotz all der Schau und Falschheit, denen man in L.A. oft begegnete, diese Stadt etwas mehr Freiraum zum Atmen erlaubte, als New York es tat.
In der Bar unterhielt sich Charlie lange mit Andrea. Dabei floss weiter Bier, was dazu führte, dass es Charlie immer schwerer fiel, den Blick von Josie zu lösen. Als Andrea auf der Toilette verschwand, zog Charlie Liz zu sich heran. »Auf einer Skala von eins bis zehn, wie lesbisch ist Josie?«
»Ach, Josie?« Liz verzog die Lippen zum Schmollmund. »Ist das der Typ Frau, den du ansprechend findest? Sie ist ein reizendes Mädchen, wirklich, aber so wie ich das mitbekomme, hat sie es bisher noch mit niemandem länger als ein paar Monate ausgehalten. Aber um deine Frage zu beantworten, kann ich mit Sicherheit sagen, dass sie zu neunundneunzig Prozent lesbisch ist.«
»Was ist mit dem letzten Prozent?«
»Niemand ist eine perfekte Hundertprozent Charlie. Das gibt es nur in deiner Traumwelt.« Liz knuffte sie gegen die Schulter, als ob sie einen guten Witz gerissen hätte.
Charlie merkte, dass es ihr schwerfiel, Liz’ Ausführungen zu folgen. Vielleicht hatte sie mittlerweile doch schon zu tief ins Glas geschaut. »Liz, hör mal, ich gehe jetzt besser. Ich hab etwas zu viel getrunken und morgen haben wir einen wichtigen Tag auf der Arbeit.«
»Darauf kannst du wetten«, antwortete Liz. »Ich hoffe wir bekommen Elisa. Wie genial wäre das denn?«
»Das wäre ein Traum.« Charlie umarmte Liz. »Danke, dass du mich eingeladen hast. Es hat mir echt Spaß gemacht.« Charlie verabschiedete sich von der Runde, ignorierte Andreas enttäuschten Gesichtsausdruck und hielt sich länger als nötig in Josies Nähe auf, als sie sich von ihr verabschiedete.
Ihr Weg nach Hause bestand mehr aus Schlangenlinien als aus einer geraden Strecke. Es war wirklich gut, dass sie gegangen war und nicht noch mehr getrunken hatte. In letzter Zeit fiel es ihr immer schwerer, sich nicht zu sehr gehen zu lassen. Charlie seufzte. Themenwechsel. Sie musste über etwas Positives nachdenken. Zum Beispiel darüber, was für ein wahnsinniger Erfolg es für Untergrund wäre, wenn sie Elisa Fox in der Hauptrolle engagieren konnten. Ihr Gedankengang wurde vom Klingelton ihres Handys unterbrochen. Eine Nachricht von Nick.
Und, wie war es? Nur auf die Ladies gestarrt oder auch was vom Sport mitbekommen?
Charlie war betrunken genug, um den Kommentar zu ignorieren. Sie schrieb kurz zurück, dass sie Spaß gehabt hatte und beließ es dabei. Als sie zu Hause angekommen war, erreichte sie seine Antwort.
Aber nicht so viel Spaß wie du diesen Samstag haben wirst, wenn du mein Date bei Ava Castanedas Abendgesellschaft bist.
Charlies Kinnlade klappte herunter. Wovon redete er da? Eine weitere Nachricht trudelte ein, bevor sie reagieren konnte.
Du kannst aufhören zu sabbern. Jason kann nicht mit und du bist die nächstbeste Kandidatin. Kauf dir was Schönes.
Kapitel 3
»Und du spielst mir auch wirklich nicht den gemeinsten Streich aller Zeiten?«, fragte Charlie zum wiederholten Mal.
Nicks Fahrservice hatte sie in einer Limousine abgeholt, wo dieser bereits auf dem Rücksitz saß.
»Charlotte Cross, hör mir zu. Nicht einmal ich könnte so kaltherzig sein, dir vorzumachen, dass du die Frau triffst, auf die du schon seit Jahren scharf bist. Selbst ich habe gewisse Werte. Mit den Schwärmereien von Leuten spielt man nicht.«
»Ich bin so nervös«, Charlie drückte Nicks Knie, um ihren rastlosen Fingern zu beschäftigen.
»Es ist nur ein lockeres Abendessen. Entspann dich. Sie ist eine göttliche Köchin. Es wird herrlich.«
»Wer wird noch da sein?«
Nick seufzte. »Habe ich dir doch schon gesagt. Ich weiß es nicht.«
»Weiß sie, dass ich an Jasons Stelle mitkomme?«
»Ja«, Nick legte seine Hand beschwichtigend auf ihre. »Sie freut sich schon, dich kennenzulernen. Aber Charlie, ein kleiner Ratschlag noch.«
»Ja?«
»Wenn du was getrunken hast, tendierst du dazu, nur über …«, er machte mit seinen Fingern Anführungszeichen in die Luft, »hundertprozentige Lesben zu reden. Könntest du dir das für einen anderen Abend aufheben? Das wäre klasse.«
Charlie starrte ihn an. »Ich rede nicht wirklich so viel darüber, oder?«, hakte sie kleinlaut nach.
»Doch. Wenn du was intus hast und deine Filter, tja, nicht mehr so filtern, wie sie sollten, dann tust du genau das. Ich sag dir das als guter Freund, okay? Bitte nimm es mir nicht übel.«
»Mach ich nicht.« Charlie nahm es ihm definitiv übel. Und sie schämte sich. Sie kramte in ihren Erinnerungen fieberhaft nach all den Momenten, in denen sie das Thema erwähnt hatte. Es gab da ein, zwei Nächte, an die sie sich erinnern konnte, in denen sie davon gesprochen hatte, dass sie nie wieder mit einer Frau zusammen sein würde, die nicht eindeutig lesbisch war. Nicht, dass sie nur mit Goldstern-Lesben ausgehen würde, aber sie musste sich selbst schützen, auch wenn es bei Tageslicht und nüchtern betrachtet lächerlich erschien. Tatsache war aber, dass sie so eine Trennung wie die von Jo nicht noch einmal verkraften würde.
Auf dem Weg zu Ava schlängelte sich das Auto den Küstenhighway Richtung Malibu entlang.
»Du bist leise geworden.« Nick hatte den Tonfall angeschlagen, den sein TV-Charakter oft benutzte, um das zu bekommen, was er wollte. »Das war nicht meine Absicht. Komm zurück mein Freund, komm zurück.«
Charlie erwiderte nichts, setzte sich gerade hin und konzentrierte sich darauf, dass sie in ein paar Minuten Ava Castaneda von Angesicht zu Angesicht begegnen würde. Die umwerfende Lateinamerikanerin war nicht nur ein früheres Model, sondern moderierte seit fünfzehn Jahren auch die sehr erfolgreiche Kochshow Messer raus!. Eine beeindruckende Leistung in der schnelllebigen Fernsehindustrie. Charlie selbst war keine gute Köchin, aber sie war eine treue Zuschauerin. Das wiederum lag weniger an den Kochtipps, als an der Tatsache, dass sie ihre wöchentliche Dosis der wunderschönen Latina brauchte.
»Wie hast du sie noch mal kennengelernt?«, fragte Charlie, als sie vor dem Eingangstor zum Grundstück standen.
»Nick Kent und Gast«, sagte der Fahrer in die Gegensprechanalage und die Tore schwangen auf.
»Ich bin schwul und berühmt, Engelchen. Jeder will mit mir befreundet sein, besonders die Crème de la Crème.« Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Das gilt übrigens auch für dich.«
Charlie wusste, dass er das nur sagte, um ihrem Selbstwertgefühl unter die Arme zu greifen.
Ein paar Augenblicke später standen sie vor Avas überraschend bescheidenem Haus. Es war zwar bei weitem keine Kaschemme, aber auch nicht die pompöse Villa, mit der Charlie gerechnet hatte. Es war ein einfaches, schönes Strandhaus.
»Nickie!« Ava kam mit offenen Armen aus der Haustür auf ihn zugelaufen. Sie trug ein langes, grauweißes Kleid, das ihren bronzefarbenen Hautton perfekt zur Geltung brachte.
Charlie blieb der Atem weg.
»Hallo, du Hübsche.« Nick umarmte Ava.
Charlie wartete stumm. Die Umarmung deutete auf eine ehrlich freundschaftliche Beziehung hin und hatte nichts von den halbherzigen Hollywood-Gesten, die Charlie in der kurzen Zeit, die sie nun in L.A. lebte, schon viel zu oft hatte ertragen müssen.
»Und du musst Charlotte sein«, sagte Ava, nachdem sie sich von Nick getrennt hatte.
Charlie hatte einen ausgestreckten Arm für einen Händedruck erwartet, stattdessen zog Ava sie ebenfalls in eine Umarmung. »Willkommen in meinem Zuhause.«
»Es ist mir eine Ehre, hier sein zu dürfen«, murmelte Charlie. »Aber bitte, nenn mich Charlie. Selbst meine eigene Mutter nennt mich nicht mehr Charlotte, seit ich zehn bin.« Ihre amoklaufenden Nerven ließen es kaum zu, dass Charlie die Wärme von Avas Umarmung genießen konnte. Sie legte vorsichtig ihre Arme um Avas Schultern, als ob diese aus dem zerbrechlichsten Porzellan bestand. »Ich bin ein großer Fan von dir«, sagte Charlie leise. Der Satz klang selbst in ihren eigenen Ohren einfallslos. Zu oft hatte man ihr schon dasselbe gesagt, seitdem sie in L.A. angekommen war. Aber mehr brachte sie gerade nicht heraus und es war nun mal wirklich so; sie war Avas größter Fan.
»Und ich von dir. Ich habe gehört, dass Eliza Fox bei deiner Serie mitmacht. Das ist schon was.«
»Das ist es auf jeden Fall!«, warf Nick ein.
Ava betrachtete sie noch einen kurzen Moment und Charlie hatte fast den Eindruck, als würde Ava in der untergehenden Abendsonne strahlen. Sie hatte noch nie einen so attraktiven Menschen gesehen. Avas dunkelbraune Augen schienen direkt in ihr Herz zu blicken, was ein merkwürdiges und verwirrendes Gefühl war.
»Kommt rein«, Ava geleitete sie durch die untere Etage auf die rückseitige Veranda, die einen traumhaften Blick auf den Ozean ermöglichte. »Die anderen beiden Gäste sind bereits da.«
Das Haus war stilvoll, aber nicht übertrieben luxuriös eingerichtet, was im Gegensatz zu seiner Größe genau dem entsprach, was Charlie sich vorgestellt hatte. Die erstaunliche Aussicht auf den Ozean war atemberaubend.
»Nick, du kennst Eric und Sandra ja bereits.« Die beiden standen auf und lächelten Nick und Charlie zu. Eric war Charlie durch seine Rolle als Hauptjuror bei Messer raus! bekannt und war, wenn man der Regenbogenpresse Glauben schenken wollte, immer mal wieder mit Ava liiert.
»Sandra ist meine Pressesprecherin und diesen Herren kennst du vielleicht schon.«
»Ja, ihn kenne ich«, sagte Charlie lächelnd. Wangenküsschen wurden ausgetauscht und Charlie versuchte dann herauszufinden, ob Eric und Sandra eventuell ein Paar waren. Das hätte sie einigermaßen beruhigt. Es war aber auf die Schnelle nicht auszumachen.
Nachdem sich alle gesetzt hatten, schenkte Ava ihnen Champagner ein, den sie aus einem Flaschenkühler im Stile der 50er-Jahre genommen hatte.
»Ich danke euch allen für euer Erscheinen.« Sie stießen miteinander an und Ava nutzte den Moment, um jedem von ihnen ins Gesicht zu sehen.
Als Charlie an der Reihe war, schmolz sie wehrlos dahin. Jede andere Person, an der sie je ein Interesse gehabt hatte, und sogar auch die, mit denen sie eine Beziehung eingegangen war, verblassten im Vergleich zu der bezaubernden Frau, die ihr gegenübersaß.
Das hat ja nicht lange gedauert, spottete eine Stimme in ihrem Kopf. Fünf Minuten in ihrer Gegenwart und du benimmst dich wie ein hormongesteuerter Teenager. Charlie hatte dem nichts entgegenzusetzen. Wozu auch? Sie wollte einfach nur dasitzen und Ava bewundern, wie sie elegant die Flasche in den Kühler stellte und wie beim Überkreuzen ihrer Beine ein Teil ihres seidigen Oberschenkels durch den Spalt ihres Kleides zum Vorschein kam.