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Ihr perfektes Leben hat sie hinter sich gelassen. Ihr wahres Leben beginnt in einem Café mit einer Fremden. Micky Ferro hatte das perfekte Leben: einen angesehenen Mann, zwei Kinder und ein wunderschönes Haus in einem der schicken Vororte von Sydney. Aber glücklich war sie nicht. Am ersten Jahrestag ihrer Scheidung lässt Micky auch ihr Hausfrauendasein hinter sich und nimmt einen Job als Barista an. Bei ihrer neuen Arbeit trifft sie viele unterschiedliche Menschen und lernt dabei eine Menge über sich selbst. Eine ihrer Kundinnen ist die laute Amerikanerin Robin, die schnell anfängt mit Micky zu flirten. Aus einem One-Night-Stand werden bald mehrere gemeinsame Nächte. Eins ist aber von Anfang an klar, Robin will keine Beziehung, sondern nur Sex. Ist das wirklich alles, was Mickey und Robin miteinander verbindet?
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Seitenzahl: 318
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Über Harper Bliss
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
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Kapitel 1
»Auf ein Jahr Freiheit«, Amber hielt ihre Tasse Grünen Tee zum Toast hoch.
Micky starrte in ihren Milchkaffee und schüttelte den Kopf. »Lass uns nicht darauf anstoßen.« Sie schaute auf und suchte Ambers Blick. »Freiheit ist überbewertet.«
Amber sah sie fragend an. »Was ist heute los mit dir? Das ist nicht der Effekt, den mein Yoga-Kurs haben sollte.« Sie hielt immer noch ihre Tasse hoch.
Micky versuchte, ihrem Blick auszuweichen. Amber war ein Sonnenschein und strahlte grundsätzlich vor positiver Energie und Gesundheit. An manchen Tagen war Micky das aber einfach zu viel. »Ich sage ja nicht, dass ich über meine Scheidung nicht glücklich bin. Vor genau einem Jahr haben wir die Scheidungspapiere unterschrieben, aber viel mehr habe ich auch nicht vorzuweisen. Der Yoga-Kurs ist der Höhepunkt meiner Woche. Meine Kinder brauchen mich nicht mehr. Was sie nicht müde werden, bei jeder Gelegenheit zu erwähnen. Törichterweise habe ich gedacht, mein Leben würde besser werden, wenn ich Darren verlasse. Leider fühlt es sich überhaupt nicht danach an.«
»Du suchst einfach noch deinen Platz im Leben. Olivia und Christopher brauchen ihre Mutter ganz bestimmt noch. Die beiden müssen auch nur erst lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Du musst weitsichtiger denken.«
Micky seufzte. »Du hast recht. Ich will auf keinen Fall wieder mit Darren zusammenkommen. Ich fühle mich einfach nur so … leer. Fast schon bedeutungslos. Mein Alltag besteht sprichwörtlich aus Nichtstun.«
»Du machst genau dieselben Dinge, wie vor der Scheidung. Deine Perspektive hat sich nur drastisch verändert«, meinte Amber.
Amber war ihre beste Freundin. Ihren spirituellen Hokuspokus fand Micky manchmal allerdings mehr irritierend als hilfreich. Wie zum Beispiel jetzt. Micky brauchte definitiv eher einen neuseeländischen Sauvignon Blanc und nicht nur diesen Milchkaffee. Micky zuckte als Antwort auf Ambers Aussage nur mit den Schultern.
In dem Moment kam Kristin, die Besitzerin der Pink Bean, zu ihnen an den Tisch. »Hallo meine Damen«, grüßte sie. »Ich hoffe, ihr hattet eine gelungene Yoga Stunde.«
Micky ließ Amber den Vortritt bei der Antwort und hörte wenig interessiert zu, wie sie ihre Teilnehmer länger in der Tauben-Position hatte verweilen lassen, und fragte, wann Kristin wieder am Kurs teilnehmen würde.
»Sobald ich eine neue Mitarbeiterin gefunden habe.« Kristin schob ein Blatt Papier in Mickys Richtung. »Sind deine Kinder nicht schon alt genug für einen Minijob?«
»Meine Kinder?«, Micky schaute das Papier ungläubig an. »Die sollen für ihr Taschengeld tatsächlich arbeiten?«, sie schauspielerte ein übertriebenes, affektiertes Lachen bevor sie müde lächelte. »Es ist meine eigene Schuld. Ich habe sie zu sehr verwöhnt.«
»Wie wäre es denn mit dir, Micky?«, Ambers Stimme war gefüllt mit einer Riesenportion Enthusiasmus.
»Was ist mit mir?«, Micky schaute sich den Text auf dem Papier zum ersten Mal genauer an.
Barista gesucht. Eine gute, positive Einstellung ist mehr wert als Erfahrung.
»Du suchst doch einen Job. Warum bewirbst du dich nicht?« Amber schaute Kristin an, womöglich um Unterstützung für ihren Vorschlag zu bekommen.
Micky hatte eine Menge Zweifel. Einer davon war, dass Kristin ein Geschäft leiten musste, warum sollte sie also eine ausgebrannte, frisch geschiedene Frau wie Micky einstellen? Und warum sollte Micky sich überhaupt erst für den Job bewerben?
»Das könnte spaßig werden«, warf Kristin ein. »Du kommst sowieso jeden Tag vorbei. Ich zeige dir schon, wie hier alles funktioniert.«
»Ich?« Micky lehnte sich ungläubig in ihrem Stuhl zurück. »Ich als Barista in der Pink Bean?« Die Idee hörte sich ziemlich lächerlich an. »Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie man komplizierte Kaffees zusammenmixt.«
»Aber du bist eine Expertin, wenn es darum geht, sie zu trinken«, warf Amber hilfreich ein.
»Schlaf eine Nacht drüber und überlege es dir noch mal.« Kristin warf Micky ein aufmunterndes Lächeln zu, bevor sie das Blatt Papier vom Tisch nahm und es am Schwarzen Brett neben der Eingangstür befestigte.
»Warum hast du das in Gegenwart von Kristin erwähnt?« Micky schaute Amber verärgert an.
»Du kennst mich, Michaela. Ich versuche doch immer nur zu helfen.«
Es war eine nervige Eigenschaft, aber es stimmte. Immer noch ungläubig fragte Micky: »Kannst du dir vorstellen, wie ich Kaffee in der Pink Bean serviere?«
»Klar, warum nicht? Du hast mir doch gerade erst erzählt, wie innerlich leer du dich fühlst. Du hast dich quasi darüber beschwert, dass dir langweilig ist. Ein paar Stunden am Tag hier zu arbeiten, wird das ändern. Du triffst neue Menschen und wärst nicht alleine. Außerdem kannst du meine Abendkurse besuchen. Die sind zwar etwas voller, aber ich werde dir weiterhin genug Aufmerksamkeit schenken.« Ein breites Lächeln stahl sich auf Ambers Lippen. Eine rote Strähne hatte sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und wippte nun enthusiastisch mit, während sie aufmunternd nickte.
»Aber ich habe noch keinen einzigen Tag in meinem ganzen Leben gearbeitet.« Mickey war es peinlich, das zuzugeben.
»Wovon redest du da?« Vor lauter Empörung sprach Amber wieder etwas lauter. Für eine Yogalehrerin hatte sie wirklich Probleme, leise zu reden und nicht die ganze Umgebung zu unterhalten. »Du hast zwei Kinder großgezogen. Du hast den beiden und deinem Ehemann ein Zuhause gegeben. Nur weil du für etwas nicht bezahlt wirst, heißt es nicht, dass es keine richtige Arbeit ist. Und deine Arbeit ist mit die härteste, die es gibt.«
»Wenn du es so formulierst …« Micky zog die verrückte Barista Idee immer mehr in Erwägung. Was hatte sie schon zu verlieren, außer ein paar Stunden ihrer Zeit. Und selbst die wären kein Verlust, da sie bislang nichts Nützliches tat. »Aber ich hatte auf jeden Fall noch nie einen Chef.«
»Du lebst mit zwei Jugendlichen zusammen. Kein Chef könnte schlimmer sein als das. Außerdem ist Kristin ein Softie und ultranett.« Amber ließ ihren Blick zum Tresen schweifen, an dem Kristin sich mit einem Kunden unterhielt. »Weißt du noch, als ich damals versucht habe, mich an sie ranzumachen? Nur weil sie immer alleine hier ist, sodass ich die Situation komplett falsch verstanden habe und dachte, sie wäre single?«
Micky rollte innerlich mit den Augen. »Wie könnte ich es jemals vergessen, wenn du mich alle paar Wochen daran erinnerst?«
»Sie hat mir auf so nette Weise eine Abfuhr erteilt, bis heute habe ich keinen charmanteren Korb bekommen. Sie hat mir damals sogar eine Tasse Tee angeboten, die ich natürlich abgelehnt habe.«
Micky hatte die Geschichte von Ambers gescheiterter Schwärmerei seit der Eröffnung der Pink Bean vor zwei Jahren schon oft gehört. Mittlerweile hatten sie Kristins Frau Sheryl kennengelernt, eine Professorin der Universität von Sydney, und Amber hatte sich erfolgreich von ihrer erfolglosen Schwärmerei erholt.
Immer noch zweifelnd überlegte Micky laut: »Was werden meine Kinder davon halten, wenn ihre Mutter in einem Café arbeitet, das Pink Bean heißt?« Egal was sie tat, Mickys hormongesteuerte Teenager würden erst ihre Meinung lautstark vertreten und sich dann nach kurzer Zeit wieder in Schweigen hüllen. Die übergroßen Kopfhörer und die grellleuchtenden Bildschirme vor den Augen würden dann wieder die ganze Aufmerksamkeit der Jugendlichen in Anspruch nehmen.
»Sie werden nichts dagegen haben und es spielt auch keine Rolle, was sie davon halten.« Amber starrte Micky intensiv in die Augen.
Irritiert fragte sich Micky, ob ihre Freundin ihr mit diesem Blick etwas sagen wollte. »Was?«
»Du hast mal angedeutet, dass du offen wärst für … neue Erfahrungen. Das hier ist perfekt, um damit anzufangen.«
Mickys blinzelte. »Was in aller Welt …«
»Jetzt spiel hier nicht die Unschuldige. Ich bin deine beste Freundin und das seit Jahrzehnten. Ich habe gesehen, wie du deinen Blick manchmal schweifen lässt. Zum Beispiel neulich bei der blonden Polizistin. Du hast doch auch mal gesagt, dass du offen für etwas Neues bist.«
Mickys Wangen wurden heiß.
Amber hielt das nicht davon ab, weiter über das Thema zu reden. »Besonders an einem Tag wie diesem, dem ersten Jahrestag deiner Scheidung, solltest du aktiv werden. Nicht nur im übertragenen Sinne, sondern wirklich etwas tun. Verändere etwas in deinem Leben. Mach einen Schritt in eine neue Richtung.«
Um Ambers Wortschwal abzuwürgen lenkte Micky etwas ein. »Ich werde eine Nacht darüber schlafen und es mir überlegen. Versprochen.«
Amber nickte und neigte sich dann über den kleinen Tisch. »Ich weiß, dass dein Interesse an Frauen nicht der eigentliche Grund für die Scheidung war, denn es gibt nie nur einen Grund, aber ich weiß, dass du neugierig bist. Es wird Zeit, dass du dich aus deiner Komfortzone hinauswagst«, flüsterte sie Micky zu.
Nur Amber konnte so etwas sagen, ohne dabei selbstgefällig zu klingen.
Sie lehnte sich wieder zurück in ihren Stuhl.
»Schön und gut, aber wann wirst du dich wieder in die Welt hinauswagen?«, konterte Micky.
»Habe ich schon,« verteidigte Amber sich schnell und kniff dann die Lippen zusammen. »Du weißt, dass ich es versuche, aber ich habe einfach noch nicht die richtige Frau getroffen.«
»Vielleicht bevorzugst du die falschen Orte und verbringst deine Zeit mit den falschen Leuten.« Micky war immer noch etwas aufgewühlt von den Andeutungen, die Amber eben über ihr mögliches Interesse an Frauen geäußert hatte.
»Meinst du damit die Pink Bean und dich?«, Amber kniff gespielt ernst ihre Augen zusammen. »Niemals würde ich daran etwas ändern.«
Micky ließ ihren Blick schweifen und schaute sich das gemütliche Kaffeehaus genauer an. Es lag direkt um die Ecke von ihrem neuen Zuhause – von ihrem neuen Leben. Seit ein paar Monaten lebte seit bereits in der Gegend von Darlinghurst, einem Stadtteil von Sydney. Damals hatte sie sich diese aufblühende Nachbarschaft auf Rat von Amber ausgesucht. Amber hatte behauptete, dass Micky sich nicht länger in den Vororten von Mosman verstecken konnte, selbst dann nicht, wenn es bedeutete, dass Olivia und Christopher nun kleinere Schlafzimmer zum drin schmollen hatten.
Beim Betrachten des Cafés winkte Kristin ihr von hinter dem Tresen kurz zu.
Micky versuchte sich vorzustellen, wie sie selbst hinter der Theke stehend aussehen würde.
Sollte sie den Sprung ins Unbekannte wirklich wagen?
Kapitel 2
Damals hatte sich Micky auf der Suche nach einer neuen Wohnung gleich in das zweite Haus verliebt, das ihr der Immobilienmakler gezeigt hatte. Ihre Kinder konnten diese Verliebtheit allerdings nicht wirklich nachvollziehen. Es waren weniger die kleineren Schlafzimmer, die sie verkraften mussten als vielmehr der Umstand, dass sie sich nun zu dritt ein Badezimmer teilen mussten. An Schultagen hatte Micky kein Problem damit, Olivia und Christopher beim Duschen den Vortritt zu lassen. Christopher verbrachte sowieso nie mehr als fünf Minuten im Badezimmer. Während das Bad belegt war, bereitete Micky ihren beiden Kindern das Frühstück zu. Da beide nicht viel von Frühstück hielten, war es leider immer schwierig, das zubereitete Essen auch in ihre Kinder hineinzubekommen.
»Ich esse den Apfel im Bus«, war die Standardantwort von Olivia, während Christopher sich eine Gabel Rührei in den Mund steckte und ein »Mmhh, lecker Mama«, murmelte. Micky vermutete, dass er das nur sagte, um sie zufriedenzustellen. Sie war sich sicher, dass er ein Snickers verschlang, sobald er vom Tisch aufstand. Die Beweise für ihren Verdacht fanden sich in Form von Verpackungspapier an den seltsamsten Stellen im ganzen Haus wieder.
Heute jedoch musste Micky um Punkt halb acht in der Pink Bean sein – »Nur um dich bei deiner ersten Frühschicht zu beobachten«, hatte ihr Kristin versichert. Und jetzt wartete Micky ungeduldig darauf, dass Olivia aus dem Badezimmer kam. Der Umstand, dass sie ungeduldig warten musste, bekräftigte Micky wieder in ihrer Befürchtung, dass der Job eine furchtbare Idee war. Schließlich war sie schon vierundvierzig Jahre alt. Sie war mit Darren Steele achtzehn verdammte Jahre verheiratet gewesen. Die besten Jahre ihres Lebens hatte sie ihm gegeben. Was hatte sie als Barista in einem Café zu suchen, wo mindestens einmal die Woche ein LGBT-Treffen stattfand?
Micky erinnerte sich noch lebhaft daran, dass sie zweimal hatte hinschauen müssen, als Amber sie das erste Mal in das frischeröffnete Café mitgenommen hatte.
»Muss es denn so extrem offensichtlich sein?«, hatte Micky damals gefragt, ohne genauer darüber nachzudenken, dass sie mit dieser Frage negativ auffallen könnte. Damals hatte sich ihre Ehe gerade in den letzten Zügen befunden und sie hatte sich Sorgen gemacht, dass einer ihrer Bekannten mitbekam, wie sie ein Café besuchte, das sich ›Pink Bean‹ nannte. Man hätte das Café auch nur ›Bean‹ nennen können. Und jetzt arbeitete sie in der Pink Bean – oder versuchte es zumindest. Was sagte das wohl über sie aus?
Ihre Kinder, die mittlerweile auch schon Stammkunden waren, kamen oft nach der Schule für einen Muffin und einen Eistee vorbei. Sie schienen sich nicht im Geringsten an dem ›Rosa‹-Aspekt des Cafés zu stören. Es hatte sie auch nicht weiter gestört, als Micky ihnen von ihren Jobplänen erzählt hatte. Sie hatten die Idee spöttisch belächelt und gemeint: »Im Ernst Mama? Du willst Leuten Kaffee servieren? Warum?«
Micky hatte daraufhin erklärt, dass sie etwas Sinnvolles mit ihrer Zeit anfangen wollte, da die beiden sie ja jetzt nicht mehr so viel brauchten.
»Aber warum denn so was?«, hatte Olivia gefragt. »Warum kannst du nicht als Freiwillige in einer Suppenküche oder so arbeiten? So wie die anderen Mütter auch?«
Auf Olivias Frage hatte Micky keine passende Antwort. Noch nicht einmal Micky selbst wusste, warum sie den Job in der Pink Bean angenommen hatte. Um ehrlich zu sein, wusste sie noch nicht einmal, ob sie dort arbeiten wollte. Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser. So wie Amber es gesagt hatte: etwas Neues ausprobieren.
Genau wie die Scheidung ein Sprung ins Unbekannte gewesen war. Micky hatte die Entscheidung, Darren zu verlassen, immer und immer wieder aufgeschoben. Ihr eigentlicher Plan war gewesen, zu warten, bis die Kinder zur Universität gingen. Aber Olivia war zu der Zeit erst zwölf gewesen und die sechs Jahre bis zu ihrem High School-Abschluss hatten wie eine unerträgliche Ewigkeit gewirkt.
Christopher, der im Inneren ein liebenswerter, süßer Junge war, litt ziemlich unter den Stimmungsschwankungen, die die Pubertät mit sich brachte. Seine Reaktion auf Mickys Jobpläne bestand aus einem unverständlichen Grummeln, das für Micky nur im Entferntesten nach menschlicher Sprache klang.
Sie klopfte ungeduldig an die Badezimmertür. Ihre Nerven lagen mittlerweile blank. »Beeil dich Liv!«
Die Badezimmertür flog auf und Olivia stürmte auf den Flur. »Wird das jetzt jeden Morgen so sein?«
Micky hatte vor, beim gemeinsamen Abendessen einen Zeitplan zur Nutzung des Badezimmers vorzuschlagen. Sie hätte an ihrem ersten Arbeitstag nicht improvisieren dürfen. »Wir finden schon einen Weg, Schatz.« Sie unterdrückte den Drang, ihrer Tochter einen Kuss auf den Scheitel zu geben. Olivia war schon seit einiger Zeit in der Phase, in der spontane mütterliche Zuneigung nicht mehr willkommen war.
Olivia stapfte in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Micky rollte die Augen. Welch glückliche, ruhige Zeiten bei der Familie Steele-Ferro.
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Micky war noch nie vor Mittag in der Pink Bean gewesen und der morgendliche Andrang überraschte sie. Fasziniert schaute sie zu, wie Kristin und Josephine, die einzig andere Mitarbeiterin während der Frühschicht, mit verblüffender Effizienz hinter dem Tresen arbeiteten. Als Mutter, die eben noch mit ihrer Tochter über Badezimmerzeiten diskutiert hatte, bezweifelte Micky stark, dass sie jemals das bewältigen könnte, was die beiden Frauen leisteten. Sie arbeiteten in einem Rhythmus, der bemerkenswert war. Kristin nahm die Bestellungen an, während Josephine diese postwendend zubereitete.
Micky fühlte sich dumm, wie sie einfach so in der Gegend herumstand. Das Einzige, was sie bisher getan hatte, war, die fertigen Kaffeebestellungen an die Tische der Kunden zu bringen. Um diese Tageszeit gab es allerdings fast nur Bestellungen zum Mitnehmen.
Eine Einsicht, die Micky erlangt hatte, war, dass Kristin mit der Eröffnung der Pink Bean eine wahre Goldgrube gefunden hatte. Australier nahmen ihren Kaffee sehr ernst und waren gewillt, viel Geld, manchmal sogar lächerlich viel Geld für eine gute Tasse Kaffee aus ihrem Lieblingscafé auszugeben. Micky stellte sich all die Leute vor, die mit einem heißen Pappbecher auf dem Weg ins Büro gegangen waren und Kristins Arbeit genossen. Und das, was Kristin leistete, war definitiv harte Arbeit, wie Micky mittlerweile festgestellt hatte.
»Hi Micky.« Sheryl, Kristins Frau, begrüßte sie herzlich. »Erster Arbeitstag?«, fragte sie, während sie sich in die Schlange einreihte, um ihren Kaffee zu bestellen. Sie erwartete keine Sonderbehandlung, obwohl sie mit der Besitzerin verheiratet war.
Micky ging zu ihr. Obwohl sie sich zunehmend befangener fühlte, gab sie Sheryl trotzdem ein Küsschen auf die Wange. »Ja, es ist ein bisschen beängstigend.«
»Das glaub ich dir gern.« Sheryl war für die Arbeit immer lässig gekleidet und auch heute war keine Ausnahme. Sie trug Jeans und eine locker sitzende Bluse.
Micky freute sich schon darauf, sie und Kristin besser kennenzulernen. Bisher waren sie Bekannte, die »Hallo« und »Auf Wiedersehen« sagten, aber sie waren noch nie über die Phase von Small Talk hinausgekommen. Kristin und Sheryl waren ein beeindruckendes Pärchen und Micky musste gestehen, dass sie sie beneidete. »Warum setzt du dich nicht schon mal und ich bringe dir deinen Kaffee an den Tisch?«, schlug Micky vor.
Sheryl lachte laut auf. »Du kennst offensichtlich die Regeln der Pink Bean noch nicht.« Sie bewegte sich ein Stückchen in der Schlange nach vorne. »Feldwebel Park erlaubt keine Vetternwirtschaft.« Aus der Ferne beäugte sie ihre Partnerin und meinte: »Noch nicht mal für mich, ihre Ehefrau, die die Hälfte des Ladens besitzt.« Sie zwinkerte Micky zu. »Ich warte, bis ich dran bin, sonst bekomme ich heute Abend noch Ärger.«
Micky lachte nervös. Sie würde noch schnell genug alle von Kristins Regeln lernen.
Sie schaute sich die stetig wachsende Schlange an und wunderte sich, ob sie hier ihre Zeit wirklich besser verbrachte als bei ihrem üblichen Zeitvertreib. Normalerweise würde sie jetzt im Biosupermarkt in Potts Point durch die Gänge streifen, um die besten und gesündesten Produkte für das Abendessen zu kaufen. Ihre Kinder hatten zumindest abends nach der Schule einen großen Appetit.
Kristin riss sie aus ihren Gedanken: »Micky kannst du uns bitte mehr Kakaopulver aus dem Lager bringen?«
Micky eilte zur Hilfe, obwohl sie keine Ahnung hatte, wo das Kakaopulver oder irgendwas anderes im Lager überhaupt zu finden war.
Kapitel 3
Es war Mickys dritter Arbeitstag und erfreulicherweise hatte sie mittlerweile schon einige Erfolge zu verbuchen. Sie hatte es erfolgreich durch die Frühschicht geschafft, die Arbeit an der Kasse bewältigt, Kunden freundlich angelächelt und ihnen das korrekte Wechselgeld wiedergegeben. Sogar ein, zwei kurze Gespräche mit Stammkunden, die sie wiedererkannt hatte, hatte sie gemeistert.
Sie wischte gerade einen Tisch ab, als Amber hereinkam.
»Grünen Tee?«, fragte Micky automatisch. Amber trank keinen Kaffee, dafür aber literweise Tee.
»Sehr gerne. Und auch eine Scheibe von meiner besten Freundin dazu, wenn das möglich ist. Wo warst du gestern Nachmittag? Ich dachte du arbeitest nur die Frühschicht?«
Micky schüttelte ihren Kopf, während sie einen Teebeutel in die Tasse warf. »Ich war zu erschöpft für den Yoga Kurs. Ich bin das nicht gewöhnt. Ich bin gerade mal zweieinhalb Stunden hier und meine Füße bringen mich jetzt schon um.«
»Die Ausrede kannst du nur einmal verwenden. Beim zweiten Mal ist sie nicht mehr glaubwürdig. Du weißt, ich bin voll und ganz dafür, dass du diesen Job machst, aber ich will nicht, dass du dafür dein Training vernachlässigst.« Amber nannte Yoga immer Training.
»Und plötzlich habe ich zwei Chefs. Dabei hatte ich vor zwei Tagen noch gar keinen.« Micky reichte Amber ihren Tee.
»Lässt Kristin dich bereits alleine arbeiten?«
»Gerade ist es ruhiger. Jeder ist bei der Arbeit und bereits mit Kaffee versorgt. Kristin ist für eine Weile nach oben gegangen und Josephine telefoniert hinten im Lager mit einem der Lieferanten.«
»Wie läuft dein neues Abenteuer bisher?« Amber pustete in ihren Tee, um ihn etwas abzukühlen.
»Es befindet sich definitiv noch in der schwierigen Phase«, gab Micky zu.
Beide schauten auf, als sich die Tür zum Café öffnete und eine Frau eintrat. Beim Anblick der Kundin beschleunigte sich Mickys Puls spontan. Sie hatte bisher viele Übungskaffees gemacht, aber dieser hier wäre ihre erste Tasse ohne Aufsicht. Einfacher wäre es, wenn die Frau es Amber gleichtun und einen Tee bestellen würde. Micky hoffte inständig, dass sie nur Tee wollte.
»Ich lass dich dann mal weiterarbeiten«, meinte Amber und ging zu einem der Tische am Fenster.
»Einen Flat, bitte«, bestellte die Frau am Tresen.
»Einen Flat?«, Micky fragte sich, ob die Frau wusste, dass sie in einem Café war.
»Einen Flat White.«
Die blauen Augen der Kundin schienen geradewegs durch Micky hindurchzuschauen. Wenn sie eine Stammkundin war, dann sollte sie eigentlich erkennen, dass Micky neu war, oder? Oder vielleicht war sie auch eine dieser Personen, die nie darauf achteten, wie die Bedienungen aussahen? »Es tut mir sehr leid, aber ich bin neu hier und bisher hat mir noch niemand erklärt, was ein Flat White ist.« Micky überlegte fieberhaft, ob dieser Kaffee vielleicht in einer Untertasse serviert wurde, damit er flach war?
Die Frau seufzte hörbar genervt auf.
Micky befürchtete, als Nächstes würde sie auch noch die Augen verdrehen.
»Flat bedeutet weniger Milchschaum.« Die herablassende Antwort verstärkte die Aura von Überlegenheit, die die Frau umgab.
»Also einen Espresso mit Milch?«, fragte Micky nach.
Jetzt verdrehte sie eindeutig die Augen. »Wenn ich einen Espresso mit Milch gewollte hätte, dann hätte ich einen Espresso mit Milch bestellt.«
Der Ton stand im starken Kontrast zu dem freundlichen Tonfall der anderen Kunden, die Micky an diesem Morgen bereits bedient hatte. Die Kundin war laut und dreist und hatte auch keinen australischen Akzent. Wenn Micky raten müsste, würde sie sagen, dass sie einer Amerikanerin gegenüber stand. Das würde auf jeden Fall zu dem Benehmen passen, da diese Frau nämlich so tat, als ob ihr die ganze Welt gehören würde.
Aber Micky kannte die Regel, die besagte, dass sie freundlich zu Kunden sein musste. Dies hier war ein Café und Kundenzufriedenheit das A und O. »Das wären dann drei Dollar neunundneunzig, bitte. Ihre Bestellung kommt sofort.« Micky konnte es sich nicht verkneifen, der Frau einen trotzigen Blick zuzuwerfen.
Die Kundin bezahlte in bar, ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen. Mit laut klackernden Absätzen ging sie ans andere Ende der Theke, um auf ihren Espresso mit Milch zu warten. Micky weigerte sich selbst in Gedanken, es einen Flat White zu nennen.
Warum sind manche Leute nur so unfreundlich und haben einen Stock im Arsch, der oben fast schon wieder rausschaut? Sie seufzte. Dies war einfach eine der Herausforderungen, die ihr neuer Job mit sich brachte: mit schwierigen Kunden umzugehen. Und Micky war sich sicher, dass diese Frau nicht die einzige schwierige Kundin bleiben würde. Und wenn es stimmte, dass sie eine Stammkundin war, dann würde Micky in Zukunft noch den ein oder anderen Flat White zubereiten müssen.
»Hi Robin«, grüßte Josephine, als sie aus dem Lager kam.
Robin hieß die Frau also. Ohne auch nur von ihrem Handy hochzuschauen, murmelte diese etwas, was man als Begrüßung interpretieren könnte. Ihr Verhalten erinnerte Micky stark an die Gespräche mit ihrem Sohn. Der war ebenfalls oft in seinen Bildschirm vertieft und murmelte etwas vor sich hin, nur, um seiner Mutter vorzuspielen, dass er ihr zuhörte. Micky katalogisierte Robin gedanklich in die Schublade der übertrieben verwöhnten Auswanderin.
»Hier, bitte sehr.« Sie reichte Robin ihr Getränk und ihre Blicke trafen sich kurz, als sie den Espresso mit Milch über die Theke reichte. Dabei bemerkte Micky, dass Robin einen unglaublich durchdringenden Blick hatte.
»Danke«, sagte Robin und öffnete sofort den Deckel ihres Pappbecher, wahrscheinlich um die Menge an Milchschaum zu überprüfen. »Josephine, bring deiner neuen Kollegin bis morgen bitte bei, wie man einen vernünftigen Flat zubereitet.« Danach drehte sie sich kommentarlos um und verließ das Café.
»Meine Güte.« Micky schaute Josephine fassungslos an. »Einen Flat? Ihr Ernst?«
»Es ist einfach ein Espresso mit Milch«, meinte Josephine trocken.
»Hätte ich das bloß gewusst, bevor mir der Kopf abgerissen wurde.« Micky schaute daraufhin zu Amber, um herauszufinden, ob sie die Konversation zwischen ihr und der nervigen Kundin mitbekommen hatte.
»Warum machst du nicht eine Pause?«, fragte Josephine. »Ruh deine Füße für eine Weile aus.«
Resigniert nickte Micky. Josephine war zwanzig Jahre jünger als sie – und zwanzig Mal besser in ihrem Job.
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»Tss. Amerikaner«, zischte Micky, als sie sich gegenüber von Amber hinsetzte.
Amber schenkte ihr ein freundliches Lächeln. »Mach dir nichts draus. Wir sind alle unterschiedlich.«
»Stimmt, manche von uns sind aufgeblasene Arschlöcher.« Micky war immer noch verärgert. Um wenigstens ihre Füße zu entlasten, bewegte sie ihre Knöchel und genoss das kurze Gefühl der Entspannung.
Amber sah sie an. »Warum regst du dich darüber so auf? Sie war doch nur eine weitere Person, die eine Tasse Kaffee bestellt hat.«
Micky zuckte mit den Schultern. »Ich mag die Art, wie sie mit mir gesprochen hat, nicht. Hast du gehört, was sie über mich zu Josephine gesagt hat? Sehr unhöflich.«
»Lass es einfach an dir abprallen. So was wird dir in diesem Beruf immer wieder passieren. Nicht jeder kann so liebenswert und voller positiver Energie sein wie ich.« Amber klimperte übertrieben mit den Wimpern.
Micky grinste. »Sie würde von einem deiner Kurse profitieren, aber bestimmt hat sie dafür keine Zeit. Wahrscheinlich ist sie um diese Zeit damit beschäftigt, andere Menschen runterzuputzen.«
Amber schaute sie nur schweigend an.
»Was?«, fragte Micky defensiv.
»Zugegeben, sie hat sich wie ein Idiot benommen, aber warum beschäftigst du dich immer noch damit?« Sie kniff ihre Augen zusammen und beäugte Mickys Gesicht ganz genau.
»Weil ich den Job nicht angefangen habe, um mich wie Dreck behandeln zu lassen, während sie offensichtlich–«
»Sie war attraktiv«, unterbrach Amber sie. »Hat das vielleicht etwas damit zu tun, warum du dich immer noch so darüber aufregst?«
Micky zog empört die Augenbrauen hoch. »Wie bitte?«
Ein Lächeln stahl sich auf Ambers Gesicht. »Und ich glaube, dass sie dich an jemand Bestimmten erinnert, so wie sie hier hereinspaziert ist und mit dir geredet hat.«
Micky konnte Ambers Gedankengang nicht folgen und hatte den roten Faden des Gesprächs irgendwo verloren.
»Fordernd, beschäftigt, übertrieben selbstbewusst?«, zählte Amber auf, um ihr auf die Sprünge zu helfen. »Kommt dir da nicht auch dein Ex in den Sinn?«
»Ähm, nein.« Micky schüttelte den Kopf. »Unsere Ehe ist zwar in die Brüche gegangen und das Ende war nicht schön, aber Darren ist auch rücksichtsvoll, ein super Vater und nur halb so sehr von sich selbst überzeugt, wie diese Frau es ist.«
»Du stehst auf diese Art von Persönlichkeit. Mehr sag ich dazu nicht«, neckte Amber.
»Ach, komm schon Amber. Sie ist eine, ähm, Frau.«
»Ich habe Augen im Kopf. Dass sie eine Frau ist konnte ich selber feststellen.«
»Du drängst mich schon wieder in diese Richtung. Nur wegen der einen Sache, die ich mal gesagt habe – nach zu vielen Flaschen Wein«, Micky wusste, dass es eine lahme Ausrede war und Amber nicht von diesem Thema abbringen würde. Dafür kannte ihre Freundin sie viel zu gut.
»Das hier ist jetzt dein Arbeitsplatz und daher kein Ort, um dein potenzielles Interesse am weiblichen Geschlecht näher zu besprechen, aber wir sollten lieber früher als später ein ernsthaftes Gespräch darüber führen.«
»Liebe Amber, du bist meine beste Freundin und eine exzellente Yogalehrerin, aber das macht dich noch lange nicht zu meiner Lebensberaterin.«
Unbeirrt fragte Amber: »Wann sind deine Kinder bei ihrem Vater?«
»Übermorgen.« Obwohl Micky sich nach der Arbeit über ein paar Tage Ruhe freute, graute es ihr auch bei dem Gedanken an diesen Tag. Sie vermisste ihre Kinder jedes Mal fürchterlich. Die beiden mussten ständig zwischen ihr und ihrem Ex-Mann hin- und herpendeln. Eine Tatsache, wegen der sie sie sich immer schuldig fühlen würde. Die Scheidung war nicht die Schuld der Kinder, trotzdem mussten sie darunter leiden.
»Also für Freitagabend sehen deine Pläne wie folgt aus: Du kommst zum Yoga, dann gibt es bei mir Abendessen und wir werden ein privates Gespräch führen. Das ist längst fällig.«
»Wie privat denn? Du schmeißt dich doch nicht etwa an mich heran, oder Amber? Ich wusste ja gar nicht, dass du solche Gefühle für mich hegst.« Jetzt war Micky an der Reihe, übertrieben mit den Wimpern zu klimpern.
»Sei nicht albern. Du bist wie eine Schwester für mich. Und darum bin ich die passende Person, der du dich anvertrauen kannst.«
»Und das alles nur wegen dieser Frau und ihrer lächerlichen Kaffeebestellung?« Als Abwehrmechanismus versuchte Micky, sich dumm zu stellen.
»Du weißt warum«, ignorierte Amber den Einwand. »Ich muss jetzt los.«
»Ich muss auch wieder an die Arbeit.« Beide standen auf und Amber umarmte Micky zum Abschied extra lange.
Kapitel 4
Während der gesamten Yogastunde am Freitagabend, die erste und einzige, die sie diese Woche besucht hatte, fühlte Micky sich unwohl und nicht imstande, ihre Mitte zu finden. Jedesmal, wen sie Amber ansah, grummelte es in ihrem Magen. Amber mischte sich in letzter Zeit noch mehr als sonst in Mickys Angelegenheiten ein. Erst hatte sie Micky zu einem neuen Job gedrängt und dann zu einer privaten Unterhaltung eingeladen. Micky hatte kein Problem, über sich zu reden, nur bestimmte Themen versuchte sie vehement zu vermeiden.
Auf dem Weg zu Ambers Wohnung kamen sie erst an einem französischen Restaurant vorbei, dann an einem indischen. Von den köstlichen Düften begann Mickys Magen zu knurren. Sie war es gewohnt, mit ihren Kindern viel früher zu Abend zu essen. Selbst wenn die beiden bei ihrem Vater waren, aß sie zur selben Zeit wie sonst.
Micky befürchtete, dass es bei Amber so etwas wie einen Kohl und Quinoa-Salat geben würde; Nahrung, die vielleicht irgendwie satt aber ganz sicher nicht glücklich machte. Mit etwas Glück hatte sie den wenigstens schon vorbereitet. Dazu wurde dann aber bestimmt ein sehr gesunder grüner Saft gereicht statt dem Glas Wein, nach dem Micky sich sehnte.
Die Pink Bean lag zwischen dem Yogastudio und Ambers Wohnung. Das Café war für Micky vorher immer ein Ort gewesen, wo sie sich wohlgefühlt hatte. Doch als sie jetzt daran vorbeiging, fühlte sie weniger angenehme Gefühle. Während der letzten Woche hatte sie jeden Morgen um Punkt sechs Uhr dreißig vor dem Café gestanden. Mit dem frühen Arbeitsbeginn hatte sich die Notwendigkeit eines Duschplans erledigt, da sie vor ihren Kindern das Haus verließ. Sie arbeitete dann, bis Alyssa sie für die Mittagsschicht ablöste.
Nach ihrer ersten Woche auf der Arbeit war Micky sich immer noch nicht sicher, ob sie wirklich für den Job geeignet war. Die Tage erschienen plötzlich so viel kürzer. Die Woche über musste sie nachmittags ein Nickerchen machen, um sich wachzuhalten, bis die Kinder ins Bett mussten. Schließlich musste sie darauf achten, dass Christopher und Olivia zu einer angemessenen Zeit ins Bett gingen.
Als sie in Ambers Wohnung angekommen waren, reichte Amber ihr ein großes Glas Wasser – wie immer ohne zu fragen.
Micky schaute Amber hoffnungsvoll an. »Bitte sag mir, dass du gekühlten Wein hast.« Sie hatte zwar eine Flasche mitgebracht, aber nachdem sie die Yogastunde über in der Sporttasche gelegen hatte, war sie nicht mehr kalt genug zum Trinken.
»Hätte ich dich eingeladen, wenn es nicht so wäre?«, fragte Amber, während sie zum Kühlschrank ging.
Wie jedes Mal würde es darauf hinauslaufen, dass Micky zweidrittel der Flasche trank, während Amber so wenig an ihrem einem Glas nippte, dass es den Anschein hatte, dass es nie leer wurde. Zwar musste Amber morgen unterrichten, aber sie würde auch an jedem anderen Abend nicht mehr als das eine Glas trinken.
Nachdem sie sich zum Essen hingesetzt hatten und Micky schon die erste beruhigende Wirkung des Weißweins spürte, meinte sie: »Kimberly hat heute schamlos mit dir geflirtet.«
»Das kann schon sein, aber ich treffe mich nicht mit Schülerinnen«, stellte Amber schnell klar.
Amber hatte ihr Leben nach so vielen Regeln strukturiert, dass Micky sich manchmal fragte, ob sie überhaupt noch ein richtiges Leben hatte. Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Du triffst jeden Tag so viele Frauen, von denen einige offensichtlich sehr an dir interessiert sind, und doch weigerst du dich, ihre Aufmerksamkeit zu genießen.« Micky war froh, dass Ambers mangelndes Liebesleben Thema der Unterhaltung war und nicht ihr eigenes.
»Ich weiß, dass viele es anders sehen, aber für mich ist es unethisch, etwas mit meinen Schülerinnen anzufangen.«
»Du unterrichtest aber keine Kinder! Du gibst Erwachsenen, die auf kurz oder lang ihre Beine hinter die Ohren klemmen können, Kurse in Yoga. Ich sehe wirklich nicht, was daran unethisch sein soll.«
»Also zum einen mag das, was ich unterrichte, physischer Natur sein, aber ich hoffe trotzdem, dass es für die meisten Leute in meinen Kursen auch eine spirituelle Erfahrung ist. Und zum anderen ist mir mein Ruf sehr wichtig. Ich möchte bald mein eigenes Studio eröffnen. Potenzielle neue Kunden sollen keine falsche Vorstellung von mir und dem, was ich anbiete, bekommen. Wie ich mich präsentiere und wie ich mich verhalte, muss miteinander übereinstimmen.«
Am Ende ihrer Erklärung hatte Amber Mickys Aufmerksamkeit fast vollständig verloren. Jedoch wollte Micky, dass das Gesprächsthema bei Ambers Liebesleben bleib. Sie war müde und der Spinat und Tofu-Salat, den Amber in Einmachgläsern zubereitet und zum Essen kopfüber in eine Schale gestülpt hatte, gaben ihr nicht das Wohlgefühl, das sie sich von einem Freitagabend erhofft hatte. Besonders nach ihrer ersten Arbeitswoche.
Micky wollte wirklich lieber über Ambers Liebesleben als über ihres reden. »Aber alles, was du tust, ist Kurse geben, in der Pink Bean und in Saft Bars abzuhängen und Bio-Salate zuzubereiten. Wie willst du so jemand Neues treffen?« Micky hielt ihre Hand hoch, um Ambers mögliche Einwände im Keim zu ersticken. »Und du weigerst dich ja im Internet nach einem Date zu suchen.«
Amber drehte den Spieß um: »Ich bin froh, dass du das Thema erwähnst.« Mit ihren grünen Augen fixierte sie Micky. »Das ist genau das, worüber ich mit dir reden wollte.«
Micky seufzte auf. »Das machst du immer. Nie willst du über dich reden.«
Amber starrte sie nur schweigend an, so als ob sie darauf wartete, dass Micky merkte, wie wenig Sinn ihr Einwand ergab und sie genau wusste, was Mickys wahre Absichten waren.
Doch statt darauf zu reagieren, trank Micky einen großen Schluck Wein. Die Kinder waren schließlich dieses Wochenende bei ihrem Vater. Auch Darren war in ein kleineres Haus gezogen. Ein beschauliches Stadthaus in Lavender Bay. Die neue Schule von Olivia und Christopher, in die sie jetzt trotz heftiger Proteste seit den Sommerferien gingen, lag, nicht ganz zufällig, genau in der Mitte zwischen den neuen Wohnungen von Darren und Micky. Und da ihre Kinder bei Darren waren, konnte Micky heute Abend so viel trinken, wie sie wollte. Alles, was sie später noch schaffen musste, war die paar hundert Meter nach Hause zu torkeln, um dann am nächsten Morgen auszuschlafen.
Sie konzentrierte sich wieder auf Amber. Natürlich wusste sie, worüber ihre Freundin reden wollte, aber Micky hatte nicht die Motivation, ihre restlichen emotionalen Ressourcen auf dieses Thema zu verschwenden. In erster Linie war sie Mutter, sich und ihre Bedürfnisse setzte sie daher nicht so oft an erste Stelle. Genau genommen hatte sie das nur ein einziges Mal getan: Als sie Darren um die Scheidung gebeten hatte, und das auch nur, weil sie damals keine andere Wahl mehr gesehen hatte. Mit den Konsequenzen hatte sie heute noch zu kämpfen.
»Ich bin so weit, wenn du auch so weit bist.« Amber lächelte verschmitzt. »Wir können nächste Woche dann auch nur über mich reden.«
»Was willst du von mir hören?« Der Wein, den Micky bereits in großzügiger Menge getrunken hatte, ließ sie impulsiver reagieren als sonst.
Amber ignorierte Mickys Tonfall und fragte stattdessen: »Musstest du diese Woche noch mehr Flat Whites servieren?«
Micky stieß ein abfälliges Lachen aus. »Wenn du sie so gut aussehend findest, warum fragst du sie dann nicht nach einem Date? Woher weißt du überhaupt, dass sie …« Micky stockte. Vor ihrer Scheidung hatte Micky keine Probleme gehabt, das Wort in den Mund zu nehmen, aber nun kam es ihr nicht mehr so leicht über die Lippen: »… lesbisch ist?«
»Ich weiß es einfach. Was das angeht, habe ich das beste Gespür in ganz Darlinghurst, vielleicht sogar in ganz Sydney. Es ist schwierig zu beschreiben, aber ich weiß es einfach.«
»Versuch es doch mal in Worte zu fassen«, beharrte Micky, denn warum sollte sie Amber vom Haken lassen, nur um selber unter die Lupe genommen zu werden?
Amber seufzte.
Micky vermutete, dass Amber genauso frustriert war, wie sie selbst, wenn sie versuchte, Informationen aus ihren Kindern herauszubekommen. Oft scheiterte sie bei dem Versuch. Daher musste Micky zugeben, dass ihr Verhalten wohl ziemlich nervig für Amber war. Sie hielt ihre Hände beschwichtigend hoch. »Es tut mir leid. Ich mache es nur unnötig schwierig.«
»Das ist in Ordnung. Ich hatte auch nicht erwartet, dass diese Unterhaltung einfach wird.« Amber nahm einen winzigen Schluck von ihrem Wein. »Du weißt, ich bin dafür, die eigene Wahrheit zu finden und ihr zu folgen. Du denkst vielleicht, ich kümmere mich nur darum, meinen Körper mit gesundem Essen zu füttern und die Freuden und Vorteile von Yoga zu verbreiten. Aber schlussendlich geht es wirklich nur um die eigene Wahrheit.« Amber legte sich die Hand auf die Brust, direkt über ihrem Herzen. »Es geht um das, was hier drin ist.«
Micky wurde wieder einmal deutlich bewusst, dass Amber und sie ein ungleiches Freundespaar waren. Andererseits war Amber nicht immer so gewesen. Micky schließlich auch nicht. »Okay, ja, ich gebe es zu. Obwohl sie mich zur Weißglut gebracht hat, finde ich sie sehr attraktiv. Sie gehört zu diesen Menschen, die wahrscheinlich von 90 Prozent der Weltbevölkerung attraktiv gefunden wird und sie weiß es ganz genau. Keine große Sache«, platze es aus Micky heraus.
»Es geht hier nicht nur um die Flat-White-Frau, Micky.« Amber behielt ihren ruhigen Tonfall bei. »Ich weiß, dass es schwierig ist. Obwohl ich schon seit fünfundzwanzig Jahren offen lesbisch lebe, weiß ich, wie hart es ist, an dem Punkt in der Selbstfindung zu sein, an dem du momentan stehst.«
Micky stammelte: »Ich weiß doch gar nicht … ich habe doch nie …« Obwohl sie wusste, was sich ganz tief in ihr rührte, fehlten ihr immer die Worte, um ihre Gefühle in Worte zu fassen.
»Korrigier mich, wenn ich falsch liege«, unterbrach Amber hilfreich Mickys Gestammel. »Aber so wie ich das sehe, warst du achtzehn Jahre mit einem Mann verheiratet und würdest dich jetzt gerne mit Frauen treffen.«
»Es ist etwas komplizierter als das.« Micky gefiel ihr eigener defensiver Tonfall nicht.
»Ist es das wirklich?« Ambers durchdringend grüne Augen betrachteten Micky genau. »Wenn du es auf die Quintessenz reduzierst, ist es dann wirklich so kompliziert, wie du meinst, dass es ist?«