Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wenn die Rolle deines Lebens auch die Liebe deines Lebens ist. Ida Burton steht vor einem möglichen Wendepunkt in ihrer einst so glänzenden Schauspielkarriere: Nachdem die guten Angebote aufgrund ihres Alters zunehmend ausbleiben, bietet sich ihr jetzt die Chance, wieder an ihren bisherigen Erfolg anzuknüpfen. Und nicht nur das – die Rolle in einer prestigeträchtigen lesbischen Romantikkomödie würde sie nicht nur beruflich auf einen neuen Weg bringen, sondern ihr auch die Gelegenheit verschaffen, endlich aus der heterosexuellen Schublade auszubrechen, in die sie sich selbst gezwungen hat. Auch mit ihrer Co-Darstellerin Faye Fleming stimmt die Chemie auf allen Ebenen – vielleicht sogar ein bisschen zu sehr. Denn als sich ihre Figuren vor der Kamera zum ersten Mal küssen, fliegen nicht nur auf der Leinwand die Funken …
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 330
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Faye
Kapitel 2: Ida
Kapitel 3: Faye
Kapitel 4: Ida
Kapitel 5: Faye
Kapitel 6: Ida
Kapitel 7: Faye
Kapitel 8: Ida
Kapitel 9: Faye
Kapitel 10: Ida
Kapitel 11: Faye
Kapitel 12: Ida
Kapitel 13: Faye
Kapitel 14: Ida
Kapitel 15: Faye
Kapitel 16: Ida
Kapitel 17: Faye
Kapitel 18: Ida
Kapitel 19: Faye
Kapitel 20: Ida
Kapitel 21: Faye
Kapitel 22: Ida
Kapitel 23: Faye
Kapitel 24: Ida
Kapitel 25: Faye
Kapitel 26: Ida
Kapitel 27: Faye
Kapitel 28: Ida
Kapitel 29: Faye
Kapitel 30: Ida
Kapitel 31: Faye
Kapitel 32: Ida
Kapitel 33: Faye
Kapitel 34: Ida
Kapitel 35: Faye
Epilog: Fünf Jahre später
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Über Harper Bliss
Sie möchten keine Neuerscheinung verpassen?
Dann tragen Sie sich jetzt für unseren Newsletter ein!
www.ylva-verlag.de
Von Harper Bliss außerdem lieferbar
Eine Französin zum Küssen
Zwei Herzen allein, suchend, vereint
Die Erfahrung von Liebe
Ergreif die Sterne
Summer’s End: Eine lesbische Liebesgeschichte
Sommergeflüster zu zweit
Kaffee mit einem Schuss Liebe
Kapitel 1
Faye
»Erklär mir noch mal, warum ich das hier tue, Schatz«, bitte ich Brandon.
Er wirft sich das lange Haar über die Schulter und sieht mir direkt in die Augen. »Du tust das für mich, Faye.«
Ich habe keine Ahnung, warum dieser Mann noch nicht einer der begehrtesten Schauspieler Hollywoods ist. Er spricht diese Worte mit einer Authentizität, wie sie nur die Größten im Business haben.
»Richtig. Ich tue das nur für dich.« Ich setze ein Lächeln auf, das mir glatt vom Gesicht rutscht, als der Wagen plötzlich hält.
Brandon winkt mit einer schnellen Handbewegung ab. »Der Verkehr in Los Angeles.«
Mein Handy klingelt in meiner Hosentasche. Das muss Leslie sein. Sie hat versprochen, mich auf dem Weg zur Leseprobe anzurufen. Ich frage mich, welche ihrer beiden Klientinnen sie zuerst kontaktiert hat – mich oder Ida Burton?
»Hi, Faye. Du wirst die erste Probe rocken, da bin ich sicher.«
»Danke, Leslie.«
»Ich hab gerade mit Ida telefoniert.« Das beantwortet meine Frage. »Sie freut sich sehr darauf.«
»Tut sie das?« Auch wenn sie das nicht täte, hätte sie das sicher nicht unserer gemeinsamen Agentin erzählt. Sie ist wahrscheinlich genauso nervös wie ich. Drei Oscars als beste Hauptdarstellerin auf meinem Kaminsims haben absolut keinen Einfluss auf meine Unsicherheit vor einer allerersten Probe. Vor allem nicht, wenn es um einen Film wie diesen geht. Dass meine Filmpartnerin Ida Burton vier der goldenen Statuen mit ihrem Namen drauf besitzt, schafft da keine Abhilfe.
»Natürlich tut sie das. Alle freuen sich darauf, ganz Hollywood ist in heller Aufregung.«
»Himmel, Leslie. Was hattest du heute Morgen zum Frühstück?«
»Drei Espresso, so wie immer«, sagt sie in ruhigem Ton.
»Okay.« Mein Körper kommt kaum mit dem Beeren-Nuss-Mix zurecht, den Brandon mir jeden Morgen serviert. »Gut zu wissen.«
»Melde dich, wenn du etwas brauchst«, sagt Leslie. »Ich bin immer für dich da.«
Wir beenden das Gespräch, weil es nicht viel mehr zu sagen gibt.
Auf der Suche nach Zuspruch werfe ich Brandon einen Blick zu. Er ist nicht nur mein persönlicher Assistent, sondern außerdem einer der unterhaltsamsten Menschen, die ich kenne. Und das will was heißen, wenn man in Hollywood arbeitet. Er hat bei Bedarf sehr gute Motivationsreden auf Lager, weiß aber auch instinktiv, wann es besser ist, den Mund zu halten.
Er lehnt sich zu mir und legt eine Hand auf mein Knie. »Queere Charaktere zu spielen ist gerade schwer in Mode. Und das Skript ist zum Schreien komisch. Das ist endlich mal keiner dieser öden Streifen, in denen lesbische Frauen durch ihr Leben stapfen und nie eine abbekommen.« Er schenkt mir ein Lächeln. »Hollywood hat endlich begriffen, dass auch Lesben einen Sinn für Humor haben können.« Er lacht leise.
»Mich macht nicht nervös, dass ich eine Lesbe spielen soll. Sondern dass ich eine lesbische Frau an der Seite von Ida Burton spiele.« In der ersten Hälfte des Films ist mein Charakter Mindy allerdings noch stockhetero.
»Ida Burton war seit über zehn Jahren in keinem besonders erfolgreichen Film mehr zu sehen. Wenn überhaupt sollte sie sich Sorgen darum machen, mit dir zu arbeiten«, sagt er schulterzuckend. »Sie ist quasi ein B-Promi geworden.« Dann legt er sich eine Hand auf den Mund, als würde er gerade erst realisieren, welches Sakrileg er begangen hat.
»Wir wissen beide, dass Ida Burton niemals ein B-Promi sein wird, völlig egal, wie wenig ihre Filme einspielen.«
»Man weiß ja nie«, sagt Brandon. »Diese Stadt kann so grausam sein.«
Das Auto hält an. Wir haben das Hotel erreicht, in dem die erste Probe für A New Day stattfindet. Der Fahrer öffnet die Tür für uns. Ich nehme einen tiefen Atemzug und steige aus. Ein Mitglied des Produktionsteams wartet bereits auf mich. Ich folge ihm hinein, Brandon dicht auf meinen Fersen.
Das erste bekannte Gesicht, das ich erkenne, ist Charlies. Im Grunde ist sie an all dem hier schuld. Sie ist Co-Autorin des Skriptes und ich war bei ihrer Hochzeit vergangenes Jahr die Trauzeugin ihrer Frau, was mich wie eine kaltherzige Heuchlerin aussehen lassen würde, wenn ich diese Rolle ausgeschlagen hätte, weil es um einen Film über lesbische Frauen geht.
Charlie fährt vor Aufregung praktisch aus der Haut Sie drückt mich fest an sich, die nervöse Anspannung deutlich in ihren Muskeln spürbar.
»Du siehst großartig aus, Faye«, sagt sie.
Bevor ich ihr danken kann, verändert sich die Stimmung im Raum. Das kann nur eines bedeuten: Die große Ida Burton ist hier.
Ich drehe mich um und sehe ihr bekanntes, blendendes Lächeln. Auch ich, selbst nicht gerade B-Promi, kann mich seiner Wirkung für einen Moment nicht entziehen. Was war das nur mit dieser Frau und ihrem Lächeln?
Ich muss zugeben, in einem meiner dunkleren Momente habe ich einmal versucht, es vor dem Spiegel zu imitieren. Aber ein derart sicheres und strahlendes Lächeln ist nichts, was man lehren oder einstudieren kann. Ida Burton wurde damit geboren und hat darauf eine verdammt erfolgreiche Karriere aufgebaut. Hinzu kommen ihre kupferfarbenen Locken, braune Augen wie die von Bambi und eine Stimme, die jeden Gletscher zum Schmelzen bringen könnte. Diese erlesene Mischung ergibt die fabelhafte Ida Burton. Kein Wunder, dass ich mich neben ihr fühle, als würde ich in ihrem Schatten verschwinden.
Nach ein paar flüchtigen Hallos kommt sie direkt auf mich zu.
»Faye, hi!« Ida klingt, als wäre die Begegnung mit mir ihr Highlight des Jahres.
»Ida.« Wir tauschen federleichte Wangenküsse aus. »Ich habe mich so hierauf gefreut.« Das ist nicht gelogen, ich habe mich gefreut. Vielleicht nicht darauf, neben Ida die zweite Geige zu spielen, aber durchaus auf die Arbeit an diesem extrem heißen Film.
»Das habe ich auch.« Sie schenkt mir noch einmal dieses Lächeln. Wie kann ihre Haut so unglaublich glatt aussehen? Wir sind etwa im selben Alter, aber Ida gibt mir das Gefühl, als wäre ich mindestens zehn Jahre älter als sie.
»Ladys.« Tamara, die Regisseurin, hat sich zu uns gesellt. »Es ist so schön, euch wiederzusehen. Ich kann es kaum erwarten, loszulegen. Ihr habt keine Ahnung, wie sehr.« Sie deutet auf zwei Stühle, die nebeneinanderstehen. »Das sind eure Plätze. Wir fangen in fünfzehn Minuten an. Erfrischungen findet ihr dort drüben.« Sie nickt in Richtung des Büfetts. »Kommt zu mir, falls ihr Fragen habt.« Sie tritt einen Schritt zurück. »Ich gebe euch einen Moment, euch zu akklimatisieren.«
Hinter mir flüstert Brandon mit Idas Assistent Mark, über den er mir bereits alles erzählt hat, weil sie mal etwas miteinander hatten. Brandon hält mich gern über sein Liebesleben auf dem Laufenden. Vielleicht glaubt er, er könnte damit die fehlende Romantik in meinem eigenen Leben kompensieren.
In den letzten zwanzig Jahren war ich immer der größte Star bei meinen Proben und es war an mir, meine Filmpartnerinnen und Filmpartner zu beruhigen. Heute bin ich mir nicht so sicher, ob diese Aufgabe mir zufällt.
»Ich bin ein bisschen nervös«, sagt Ida und überrascht mich damit. »Ich denke, das könnte ein toller Film werden, aber … Na ja, ich habe schon andere Projekte den Bach runtergehen sehen, egal, wie vielversprechend das Drehbuch war.«
Sie trägt ein beigefarbenes Oberteil, das den feurigen Ton ihrer Haare betont. Obwohl sie sehr leger gekleidet ist mit ihrer weiten Hose und der Bluse, scheint ein Strahlen von ihr auszugehen. Das mühelose Strahlen eines echten Stars.
»Es scheint mir ein Projekt zu sein, auf das das Studio ein Auge haben wird.«
»Wir können nur das tun, was man von uns verlangt«, sagt Ida.
»Lesbisch spielen«, versuche ich zu scherzen.
Ida verlagert ihr Gewicht. »Korrekt.« Sie fixiert mich mit ihrem Blick. »Als ich hörte, dass du dabei bist, war ich richtig begeistert. Auch wenn es das längst nicht mehr sein sollte, ist es immer noch mit gewissen Risiken verbunden, eine Rolle wie diese zu spielen. Vor allem für jemanden wie dich, an der Spitze von Hollywood.«
»Nicht nur für mich.« Ich stoße ein leises, nervöses Lachen aus. »Für dich sicherlich auch.«
»Für uns beide«, bestätigt sie und zieht einen Mundwinkel in die Höhe. »Wir sollten zusammen zu Abend essen. Über unsere Charaktere und deren emotionale Entwicklung im Film sprechen.«
»Ähm, ja. Klar. Das sollten wir.«
»Mein Assistent wird sich bei deinem melden.« Sie wirft den beiden einen Blick zu. »Ich nehme an, du weißt von ihrer gemeinsamen Vergangenheit?«
Ich nicke. »Jedes Detail davon.« Obwohl ich warm und breit lächle, scheine ich neben Idas Strahlen zu verblassen.
»O Gott, erzählt er dir auch alles? Mark ist genauso. Aktuell ist er bereit, endlich sesshaft zu werden. Vielleicht gründen er und sein neuer Partner eine Familie und dann hat er keine Zeit mehr dafür, mein Assistent zu sein.«
Worüber wir uns sorgen, denke ich bei mir. Doch ich kann gleichzeitig sehen, dass sie ihn gernhat.
Brandon arbeitet seit fast zehn Jahren für mich. In Assistentenjahre umgerechnet ist das ein ganzes Leben. Ich wüsste nicht, wie ich ohne ihn weitermachen würde. Aber ich wäre die Erste, die ihn zu Größerem ermutigen würde, als mir ständig zur Verfügung zu stehen.
»Sein Leben –«, sage ich.
»Mir hat –«, setzt sie im selben Moment an.
»Du zuerst.«
Ida ist trotz ihrer glamourösen Ausstrahlung erfrischend bodenständig. »Mir hat deine Performance in Night Break sehr gut gefallen«, sagt sie. »Ich wittere einen weiteren Oscar in deiner Zukunft.«
Ich winke ab, weil es sich so gehört, auch wenn die Leute seit der Premiere ständig davon reden, dass ich für den Film einen bekommen sollte. Ein echter Mann namens Oscar wäre mir aber tausendmal lieber als eine weitere Statue für mein Wohnzimmer. Eine Statue kann mir weder Zuneigung schenken noch antworten, wenn ich mit ihr rede.
»Wie war es, mit Silke Meisner zu arbeiten?«
»Unglaublich.« Das ist Hollywoodjargon für anstrengend, aber hat sich schlussendlich wohl gelohnt. Ich bin sicher, Ida hat bereits ähnliche Erfahrungen gemacht, und wenn es in diesem Raum eine Person gibt, die meine Andeutung versteht, dann ist sie es.
Sie nickt bedacht. »Erzähl mir beim Abendessen mehr davon.«
»Gern.«
Sie legt den Kopf schief. »Wir werden uns am Set sehr nahekommen.« Ihre Stimme klingt seltsam.
»Nur ein paar unschuldige Küsse«, sage ich im Versuch, beiläufig zu klingen. Abgesehen von dem einen Mädchen, dem ich vor Jahrzehnten mal meine Lippen aufgedrückt hatte, habe ich keinerlei Erfahrung darin, Frauen zu küssen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass es sich stark von einem Kuss mit einem männlichen Filmpartner unterscheidet. Mein erster richtiger Kuss mit einer Frau, wenn auch nur zum Zweck der Inszenierung, wird mit Ida Burton stattfinden.
Sie bricht in leises Kichern aus. »Gut zu wissen, dass du das so locker siehst.«
»Ich wäre nicht hier, wenn ich das nicht locker sehen würde.« Und ich wäre verdammt homophob, wie meine Freundin Ava mir unverblümt klargemacht hat.
»Ladys.« Die Regisseurin kommt wieder auf uns zu. »Wir wären so weit.«
Kapitel 2
Ida
Merkt mir irgendjemand an, dass ich innerlich sterbe? Wie sehr ich es bereue, diese Rolle angenommen zu haben? Dass mich mein eigennütziger Hintergedanke jetzt schon einholt?
Neben mir sitzt Faye Fleming, ganz in ihrer Manier als Mädchen von nebenan – obwohl sie eindeutig kein Mädchen mehr ist. Trotz der Tatsache, dass sie älter geworden ist, hat sie es geschafft, ihr Image als vorbildlich amerikanisches Mädchen – Frau –, aufrechtzuerhalten, das lustig und herzlich ist, aber ebenso ernst sein kann, wenn es darauf ankommt. Von allen Anwesenden ist sie die Person, mit der ich wohl am engsten zusammenarbeiten werde. Wie lange wird es dauern, bis sie hinter mein Geheimnis kommt?
»Ida«, sagt Tamara, »möchtest du etwas zu deinem Charakter sagen? Oder sollen wir gleich mit der Probe anfangen?«
Ah, mein Charakter. Eine offen stolze Lesbe. Wenn ich doch nur ehrlich darüber sprechen könnte, was ich über Veronica denke.
»Gern.« Ich bin vorbereitet. Ich weiß genau, was ich sagen kann, ohne einen Verdacht auf mich zu lenken. »Ich empfinde Veronica als eine erfolgreiche, letzten Endes aber einsame Frau, die sich nach Liebe sehnt.« Beim Lesen des Skripts habe ich mich manchmal gefragt, wie die Autorinnen es geschafft haben, einen Blick in mein eigenes einsames Herz zu werfen. »Bei der vierten Hochzeit ihres Bruders erwacht in ihr ein unbändiger Zorn darüber, dass all die Liebe ihrer Familie, ja, sogar der ganzen Welt, nur für ihn bestimmt zu sein scheint, einfach weil er hetero ist.« Ich halte einen Augenblick inne. »Sie ist so zerfressen von Wut und Eifersucht, dass sie gar nicht bemerkt, dass ihre eigene Chance auf Liebe direkt vor ihr steht. Sie muss diese Gefühle hinter sich lassen. Die und natürlich noch ein paar andere Probleme. Das schafft sie, während sie nebenbei Witze reißen.« Ich lache leise. Meine Zusammenfassung wird dem Skript mitnichten gerecht, denn neben der Tatsache, dass es sich um eine lesbische romantische Komödie handelt, beinhaltet es witzige, kluge Kritik an der Institution der Ehe.
»Charlie? Liz?«, sagt Tamara. »Würdet ihr dem zustimmen?«
»Absolut«, sagt eine Blondine mit großen runden Augen. Neben ihr sitzt eine Frau, die vor fünf Jahren wegen ihrer Affäre mit Ava Castaneda überall in den Nachrichten zu sehen war und mir nun nervös lächelnd zunickt. Eigentlich wäre es an mir, sie schüchtern anzulächeln. Was sie besitzt, konnte ich mir trotz allem Geld nie leisten.
»Super«, sagt Tamara. »Falls nötig kommen wir später noch mal darauf zu sprechen. Faye, machen wir weiter mit deinem Charakter?«
»Mein Charakter ist völlig ahnungslos«, sagt Faye und erntet damit die erste und sicher nicht die letzte Runde Lacher. Warum Faye in diesem Film die ernstere der beiden Hauptrollen spielt, begreife ich nicht. Ich schätze, deshalb nennt man es Schauspielkunst.
~ ~ ~
Die Probe des ersten Aktes geht uns leicht von der Hand. Faye und ich spielen so entspannt miteinander, wie ich es selten in so kurzer Zeit erlebt habe. So als hätten wir schon unzählige Male miteinander gearbeitet.
In der Pause vor dem zweiten Akt kommt Tamara auf mich zu.
»Die Chemie zwischen dir und Faye ist jetzt schon unbeschreiblich«, sagt sie. »Und wir sind noch nicht mal bei den guten Szenen.«
Vor einem Moment im zweiten Akt graust es mich bereits. Mein Charakter Veronica soll Fayes Charakter in die Augen sehen und darin etwas finden, das den Verlauf der Geschehnisse beeinflusst. Weder habe ich ein grundsätzliches Problem damit, das zu vermitteln, noch wird von mir verlangt, solche komplexen Gefühle bei diesem ersten Durchgang zu treffen. Und trotzdem …
Die Situation geht mir persönlich ein bisschen zu nahe. Heute werde ich mich irgendwie da durchschlagen, aber ich weiß noch nicht, wie ich das Problem in zukünftigen Proben angehen soll. Genau dafür sind Proben doch aber da, sage ich mir. Um Lösungen für solche Probleme zu finden.
»Danke.« Ich nutze die Gelegenheit, Tamara eingehend zu betrachten. Sie ist ohne Zweifel eine der heißesten Führungen der Regie, mit denen ich bisher gearbeitet habe, wenn davon auch neunzig Prozent männlich waren. Aber es liegt nicht daran, dass sie wenig Konkurrenz hat, Tamara ist einfach ganz objektiv gesehen eine sehr attraktive Frau. Außerdem ist sie, genau wie mein Charakter, lesbisch und stolz darauf. Heutzutage kann das in Hollywood zu einem spitzen Job hinter der Kamera verhelfen. Wie die Zeiten sich verändert haben.
Jemand verlangt nach ihr und als sie verschwindet, nehme ich mir vor, Mark nach Tamaras Liebesleben zu fragen und ob es für sie besser läuft als für meinen Charakter – oder mich.
Als ich wieder neben Faye sitze – Faye mit dem langen dunklen Haar, der blassen Haut und den strahlend blauen Augen –, versuche ich mich wieder auf die Gründe zu besinnen, die mich dazu bewogen haben, das Projekt anzunehmen.
Es gab einige, die ich nun stumm aufzähle. Der Film wird bereits als der große Blockbuster für den kommenden Sommer gehandelt – und es ist lange her, dass ich in einem solchen mitgewirkt habe. Die Tatsache, dass Faye Fleming und ich Seite an Seite zu sehen sein werden, ist an und für sich schon vielversprechend. Vielleicht hilft mir die Rolle dabei, mich selbst öffentlich zu outen. Vielleicht werde ich das gar nicht mehr müssen. Vielleicht wird die Aufregung um den Film eine ganz magische Energie freisetzen, die sich verselbstständigt und die Menschen wahrnehmen lässt, dass es schon immer ganz offensichtlich war.
Ha, als ob.
Ich werde Faye nur ganz kurz in die Augen sehen. Ein kurzer Moment wird reichen, denn heute geht es nicht darum, wie es von außen wirkt, um Gesten oder Emotionen. Es geht darum, dass die Worte richtig klingen, wenn ich sie ausspreche.
Ich weiß, dass Faye eine versierte Schauspielerin ist, doch viel mehr noch übt sie eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Sie strahlt eine Selbstsicherheit und eine Leichtigkeit aus, von der ich unmöglich sagen kann, ob sie echt oder nur gespielt ist. Letzten Endes macht es aber keinen Unterschied. Mein allgemeiner Eindruck ist, dass die Arbeit mit ihr ein Kinderspiel sein wird. Überhaupt keine Starallüren. Es muss an ihrem unschuldigen Auftreten liegen. Vielleicht ist das Image des Mädchens von nebenan auch ein Stück weit zu ihrer tatsächlichen Identität geworden. Ich stelle mir für einen Moment vor, eine Faye Fleming würde sich plötzlich outen, doch der Gedanke überfordert mich.
»Es knistert schon«, sagt Tamara, als wir fertig sind. »Ich kann’s kaum erwarten, mit dem Dreh anzufangen.«
~ ~ ~
»Wie war’s?«, fragt mein bester Freund und Ex-Mann Derek, als ich ihn auf dem Heimweg anrufe.
»Gut.« Ich lasse mich ins Leder des Autositzes sinken. »Ich habe nur vergessen, wie unglaublich anstrengend die ersten Proben sind.«
»Man durchlebt die Gefühle des gesamten Films an einem einzigen Tag«, sagt er. »Das ist zu erwarten gewesen.« Bevor ich das Projekt angenommen habe, habe ich Derek gebeten, das Skript durchzulesen. »Wie war Faye Fleming?«, fragt er.
»Reizend, aber das war ebenfalls zu erwarten gewesen.« Bisher gibt es nichts, was ich an meiner Filmpartnerin auszusetzen hätte. Sie war freundlich und selbst in den letzten, sehr anstrengenden Stunden eine sehr angenehme Gesellschaft. »Sie kommt bald mal zum Abendessen vorbei, damit wir uns vor den ernsteren Proben besser kennenlernen können.«
»Bevor du sie küssen wirst, meinst du«, sagt mein Ex-Mann.
Derek ist einer der wenigen Menschen auf diesem Planeten, die über mein Geheimnis Bescheid wissen. So wie ich einmal die einzige Person gewesen bin, die von seinem wusste.
»Sehr witzig.«
»Ich ziehe dich nur ein bisschen auf. Obwohl du schlechtere Aussichten haben könntest.« Er lässt nicht so leicht locker.
»Die Regisseurin ist ziemlich heiß.« Derek ist der einzige Mensch, mit dem ich über solche Dinge reden kann.
»Sprich weiter.« Zwischen Derek und mir besteht eine tiefe Verbindung, obwohl wir uns nie wie Ehepartner geliebt haben. Und ich weiß, dass er sich für mich mehr als alles andere die wahre Liebe wünscht, die er in seinem Partner Ben gefunden hat.
»Ich hab noch keine Nachforschungen betrieben und, na ja, du weißt schon …«
»Ich bin sicher, dieser Film könnte dein Leben verändern. Wie ist der Name der Regisseurin noch mal? Ich kann schnell mal für dich recherchieren.«
»Tamara Williams, aber das ist nicht nötig. Ich bin in der Lage, die Details ihres Privatlebens ganz allein zu googeln.«
»Aber es ist spaßiger, wenn ich das mache.« Es entsteht eine kurze Pause, bevor Derek weiterspricht. »Hier steht, dass sie verheiratet ist. Sorry, Süße.«
»Ach ja, vielleicht ist es besser so.«
»Das sehe ich anders, aber nimm dir die Zeit, die du brauchst …«
Wir verabschieden uns voneinander und während mein Auto auf den Mulholland Drive auffährt, denke ich an das Statement zurück, das ich abgegeben habe, als Derek sich öffentlich geoutet hat.
Ich wünsche Derek alles Glück und alle Liebe dieser Welt. Wir hatten eine wundervolle Ehe und sind immer noch sehr gut befreundet. Ich bin mir sicher, dass der Weg, den er nun für sein Leben gewählt hat, ihn sehr glücklich machen wird.
Ich habe heftige Kritik für die Äußerung geerntet, dass er diesen Weg gewählt hätte, als wollte ich sagen, seine sexuelle Orientierung sei eine Entscheidung gewesen. Wenn es nur so wäre – dann hätte ich nämlich selbst nicht den größten Teil meines Lebens mit einem Geheimnis verbringen müssen.
Ich hatte die Entscheidung gemeint, unsere Ehe zu beenden und nicht mehr so zu tun, als wäre er hetero. Und sich nicht mehr um die Folgen für seine Karriere zu sorgen. Ich hatte mir beide Beine ausreißen müssen, um das zu erklären. Ja, meine Wortwahl war ungünstig gewesen, und nein, ich habe nichts von all dem sagen wollen, was der wütende Mob in den sozialen Medien mir zu unterstellen versuchte.
Vielleicht hätte ich die Chance damals nutzen und mich ebenfalls outen sollen. Doch das habe ich nicht. Denn im Gegensatz zu Derek sorge ich mich sehr wohl um die Konsequenzen, die ein Coming-out auf meine Karriere haben könnte – zumindest habe ich das immer.
Zu beobachten, wie Derek sich zu diesem stolzen und selbstsicheren Mann entwickelt, der er heute mit Ben an seiner Seite ist, führt mir vor Augen, welche Fehler ich möglicherweise begangen habe. Und wie sollte es auch nicht, wenn ich doch diejenige bin, die im goldenen Käfig ihrer Villa in den Hollywood Hills noch immer allein sitzt?
Niemand wartet auf mich, wenn ich aus dem Auto steige. Mark ist schon nach Hause gegangen. In meiner Abwesenheit ist mein Haus geputzt, mein Rasen gemäht und mein Pool gereinigt worden – und wozu das alles?
Deshalb habe ich mich auf diesen Film eingelassen. Ich habe mich dazu entschieden, eine Figur zu spielen, die zu ihrer Sexualität steht, in der Hoffnung, dass mein Leben meine Kunst imitieren und mir ein Happy End geben wird.
Das hier ist Hollywood. Hier sind schon weitaus skurrilere Dinge passiert.
Kapitel 3
Faye
Wenn meine Freundin Ava in der Stadt ist, ist es zur Tradition geworden, dass sie mir nach den ersten Proben zum Abendessen ein Festmahl serviert. Sie ist in der Stadt, und dieses Mal ist ihre Ehefrau außerdem eine der Drehbuchautorinnen, weshalb ich davon ausgehe, dass Ava heute keine halben Sachen macht. Wir sind Nachbarinnen. Um von meinem zu Avas Haus zu gelangen, braucht es nur einen kurzen Spaziergang am Strand.
»Bist du allein?«, frage ich, als wir uns mit Küsschen auf ihrer Terrasse begrüßen, unter der sich das Meer erstreckt.
»Charlie ist bei Liz. Wir sollen nicht vor Mitternacht mit ihr rechnen. Offenbar haben sich bei der Probe Probleme im Drehbuch aufgetan, die unbedingt heute Abend gelöst werden müssen.«
In gespieltem Schock hebe ich eine Hand an die Brust. »Ich hoffe, meine Performance war nicht unzulänglich.«
Ava schenkt ein Glas Champagner ein und reicht es mir. »Du weißt genau, dass es nicht an dir liegt.«
»Heute nur ein Glas. Neben Ida Burton zu spielen …« Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Erzähl mir von ihr.« Wir setzen uns und für einen Moment ruht mein Blick auf der Meeresspiegelung der untergehenden Sonne. Ach Malibu. Nach Hause zu kommen und in unmittelbarer Nähe zum Ozean zu sein, hat immer eine beruhigende Wirkung auf mich, egal, wie stressig der Tag auch gewesen ist. Mit einem Glas Champagner neben Ava zu sitzen, trägt aber auch seinen Teil dazu bei.
»Sie war ganz wunderbar, aber …« Ich seufze, weil ich weiß, dass das nach dem größten Hollywood-Klischee klingen wird. »Sie sah so verdammt gut aus. Perfekte Frisur und volles Make-up. Himmel, es war nur eine Leseprobe.«
Ava kichert. »Hattest du das Gefühl, sie stellt dich in den Schatten?«
Ich nicke. Das würde ich nicht vor vielen Menschen zugeben, und ehrlich gesagt bin ich froh, dass Charlie gerade nicht hier ist. Auch wenn Ava ihr später wahrscheinlich davon erzählen wird. Was ich an Ava Castaneda immer geschätzt habe, ist die Tatsache, dass sie sich nicht um all das Drama in Hollywood schert. Sie hat schon immer genau das getan, worauf sie Lust hatte, ohne die möglichen Konsequenzen für ihr Image oder ihren Beruf zu scheuen. Und es hat ihr nie geschadet, denn auch wenn ihr Haus ein wenig bescheidener aussieht als meines, ist es immer noch ein Malibu-Strandhaus mit exakt derselben Aussicht.
»Ich bin davon ausgegangen, an der Spitze der Rangordnung zu stehen, weil Ida schon so lange kein erfolgreiches Projekt mehr hatte, aber … Wenn sie den Raum betritt, hält für einen Moment die Zeit an. Die Atmosphäre verändert sich. Als würde sie ein eigenes Magnetfeld umgeben. Ich habe mir ein paar ihrer älteren Filme angesehen, und selbst in den schlechtesten, absolut peinlichsten davon, strahlt sie noch. Sie hebt die Qualität des gesamten Films. Es ist der Wahnsinn.«
»Und trotzdem war sie nicht in so vielen Blockbustern zu sehen wie du.«
»Sie hat einfach nicht so viel gearbeitet wie ich.«
»Also solltest du auch für deine harte Arbeit entlohnt und für dieses Projekt hier ausgezeichnet bezahlt werden.« Ava lehnt sich zu mir. »Ich sage Charlie, sie sollen dich angemessen behandeln«, scherzt sie.
»Bitte nicht. Es ist alles in Ordnung. Ich habe kein Interesse an einem Zickenkrieg darüber, wer am Set mehr Aufmerksamkeit bekommt. Aber wie du weißt, bin ich bei diesem Projekt nervöser als sonst.«
»Ich weiß, Faye, aber das musst du wirklich nicht sein. Überleg nur mal, zu was Underground Elisa Fox verholfen hat. Homosexuelle Rollen sind für eine Schauspielkarriere heute kein Todesurteil mehr, ganz im Gegenteil. Dank ihrer Rolle in Underground ist Elisa die bestbezahlte Darstellerin der Welt.«
»Trotzdem. Das ist was anderes.«
»Wir haben das schon tausendmal besprochen.« Ava war diejenige, die mich davon überzeugt hat, dass es jemanden ›meines Kalibers‹ für diesen Film braucht. Die Tatsache, dass ihre Frau mit am Drehbuch geschrieben hat, hat sicher ebenfalls eine Rolle gespielt.
»Ich weiß. Jetzt wo alles langsam real wird, muss ich mich an den Gedanken gewöhnen. Dass wir heute das Skript einmal komplett durchgegangen sind, macht es realer. Jetzt bin ich gerade in dieser merkwürdigen, stressigen Zwischenphase kurz vor Drehbeginn.«
»Sieh es mal von der anderen Seite. Es ist ein Privileg, diese Rolle spielen zu dürfen. Selbst eine Ida Burton kehrt quasi aus dem Ruhestand zurück, um dabei zu sein. Du hast keine Ahnung, wie viel Glück du eigentlich hast.« Sie trommelt mit den Fingerspitzen auf dem Tisch und sagt: »Ich hatte Charlie gefragt, ob ich für die Rolle von Veronica vorsprechen kann.« Ava stößt ein wenig Luft zwischen den Zähnen hervor.
»Wirklich?«
Das Trommeln wird intensiver.
»Was ist dann passiert?« Das ist das erste Mal, dass ich davon höre. Seit ich Ava kenne, spielt sie mit dem Gedanken, eine Schauspielkarriere einzuschlagen.
»Ich hätte beinahe die Scheidung eingereicht, das ist dann passiert.«
Ich strecke den Rücken durch und sehe sie ungläubig an. »Warum?«
»Du weißt, wie Charlie ist. Manchmal unerträglich.«
Charlie ist eine der liebenswertesten Personen, die ich in dieser Stadt getroffen habe. »Was hat sie gesagt?«
»Charlie glaubt, sie hätte einen sechsten Sinn für Schauspieler und deren Schauspielkünste. Und ihrer Meinung nach besitze ich die nötigen Fähigkeiten einfach nicht.«
»O mein Gott.« Ich muss zugeben, Charlie ist mutig. Aber vielleicht auch ein bisschen unsensibel, was die Bedürfnisse ihrer Frau in dieser Sache angeht. »Das hat sie wirklich zu dir gesagt?«
Ava nickt. »Das war noch bevor Ida auch nur im Gespräch für die Rolle von Veronica war.« Sie zuckt mit den Schultern, aber ich sehe ihr an, dass es sie immer noch verletzt.
»Wolltest du wirklich für die Rolle vorsprechen?« Jetzt, da ich die erste Probe mit Ida erlebt habe, kann ich mir unmöglich jemand anderes als Veronica vorstellen. Das ist einfach die Magie von Ida Burton. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
»Weil …« Sie stößt einen tiefen Seufzer aus. »Ich habe es meiner Frau erzählt – dem Menschen, den ich geheiratet habe und der mich mehr als jeder andere lieben und an mich glauben sollte – und meine geliebte Ehefrau hat mir erklärt, ich sollte mit dem Träumen aufhören. Wie hätte ich mich danach noch einmal blamieren und jemandem davon erzählen sollen? Und dann auch noch ausgerechnet dir, Faye Fleming?«
»Wie geht’s dir damit?«
»Ich hätte nicht versuchen sollen, mich in Charlies Film einzumischen, so viel ist sicher.« In ihrer Stimme liegt noch immer unverarbeiteter Schmerz. »Sie und Liz haben das Skript mit der Absicht verfasst, den Film mit Top-Prominenten wie dir oder Ida zu besetzen. Aber trotzdem. Ein bisschen mehr Unterstützung von meiner Ehefrau wäre schön gewesen.«
»Charlie ist trotzdem vernarrt in dich.«
»Das sollte sie auch sein.« Ein wenig Freude kehrt in Avas Worte zurück.
»Also wirst du dich nicht so schnell von ihr scheiden lassen?« Ich habe das Gefühl, sichergehen zu müssen.
Ava schnaubt. »Ich werde mich wohl kaum jetzt von ihr scheiden lassen. Dieser Film wird noch größer werden als Underground.«
»Wenn Ida und ich es nicht vermasseln.« Ich entspanne meine Schultern. Ava hat wahrscheinlich ein bisschen dick aufgetragen, aber ich bin keine Expertin für Beziehungen und froh, die Gewissheit zu haben. »Wenn du möchtest, kann ich für dich Kontakt zu den besten Schauspielcoaches herstellen.«
»Ich sollte wirklich hinter ihrem Rücken lernen, richtig gut zu schauspielern, und wenn es nur dazu dient, ihr zu zeigen, dass sie sich geirrt hat.« Ava leert ihr Glas. »Aber was, wenn sie recht hat?«
»Hast du nicht gerade erst deinen Vertrag für Knives Out um drei weitere Staffeln verlängert?« Ich hebe meine halb leere Sektflöte.
»Stimmt.« Ava ignoriert, was ich vorhin über mein einziges Glas Champagner gesagt habe, und schenkt uns beiden nach. »Aber lass uns doch über etwas anderes als die Arbeit reden.« Sie fixiert mich mit ihrem Blick. »War heute irgendein vielversprechender Mann für dich dabei? Wer spielt noch mal Veronicas Bruder?«
»Robert Glazer«, sage ich.
Ava nickt nachdenklich. »Er ist süß. Ist er Single?«
»Ich habe keine Ahnung«, sage ich halb lachend. »Aber ich habe kein Interesse an einer Romanze am Set. Ich habe überhaupt kein Interesse an einer Romanze.« Ich halte inne. Ich möchte Ava noch etwas anderes erzählen. Etwas, was ich noch niemandem erzählt habe. »Ich denke darüber nach, etwas in meinem Leben zu verändern.«
»Inwiefern?«
Ich werfe ihr einen Seitenblick zu. Ihr Blick ist starr nach vorn gerichtet. Ich tue es ihr gleich. Geständnisse gehen mit dem Blick auf den Ozean gerichtet immer leichter über die Lippen.
»Adoption.«
Sie dreht sich in einer schnellen Bewegung zu mir. Mit großen Augen starrt sie mich an. »Im Ernst?«
»Einen Menschen«, füge ich schnell an. »Ein Kind adoptieren. Keinen Hund oder eine Katze.«
»Wow.« Sie verengt die Augen. »Damit habe ich nicht gerechnet, Faye. Aber ja, warum nicht?«
»Weil es ein verdammt beängstigender Gedanke ist, eine alleinerziehende Mutter zu sein«, sage ich. »Weil es so viele unklare Faktoren dabei gibt. Weil ich keine Ahnung habe, ob ich überhaupt ein Kind erziehen kann.«
»Hast du schon irgendetwas Konkretes unternommen?«
Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß, dass ich ganz allmählich auf die Fünfzig zugehe und damit nicht mehr allzu viel Zeit verschwenden sollte.«
»Du musst ja kein Neugeborenes adoptieren, wenn du das nicht unbedingt möchtest«, sagt Ava.
»Es ist hart, allein darüber zu entscheiden.«
»Du musst das nicht allein machen. Du weißt, dass ich immer für dich da bin.« Ava wendet sich mir nun vollständig zu. »Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast.«
»Ich werde erst diesen Film beenden und danach eine endgültige Entscheidung treffen. Dann werde ich es entweder tun, oder sein lassen.« Ich schaue weg, zurück in die Ferne. »Nachdem Brian und ich es jahrelang erfolglos versucht haben, hat mich der Gedanke daran, Mutter zu werden, nie ganz losgelassen. Selbst nachdem wir uns getrennt haben. Es ist wie eine kleine Flamme, die immer noch tief in mir brennt. Sie flackert jetzt seit zehn Jahren in mir. Und ich frage mich einfach, was mich so lange hat zögern lassen.«
»Das ist keine leichte Entscheidung und, na ja, so ist es im Leben. Zeit vergeht und bevor man sich versieht, ist man plötzlich fünfzig.«
»Ich weiß, dass ich es will. Ich zweifle nicht an meinem Wunsch, Mutter zu werden. Was mich zurückhält sind die Zweifel daran, ob ich eine gute Mutter sein würde.«
»Wenn alle potenziellen Eltern so denken würden, gäbe es niemanden von uns.«
»Ja, aber du weißt, was ich meine. Ich bin zwar finanziell abgesichert, privilegiert und ich habe so viel Liebe zu geben, aber man weiß ja nie.«
»Liebes.« Ava legt eine Hand auf meinen Arm. »Sieh mich an.«
Ich wende den Blick vom Meer ab und sehe in Avas wunderschönes, friedliches Gesicht.
»Du wirst ohne Zweifel die beste Mutter der ganzen Welt sein. Das meine ich ernst. Du bist lieb und klug und witzig. Du bist Faye Fleming, verdammt noch mal. Das Kind, das du adoptierst, wird der glücklichste kleine Prinz oder die glücklichste kleine Prinzessin der Erde sein.«
Ich breche in leises Kichern aus. »Wenn du es so formulierst.«
»Wie sollte ich dir sonst die Realität klarmachen?«, meint Ava so ernst, dass ich keine Wahl habe, als ihr zu glauben.
Kapitel 4
Ida
»Was hat dich dazu gebracht, den Sprung zu wagen – um es mal so auszudrücken – und diese Rolle anzunehmen?«, frage ich Faye Fleming, um ganz geschickt von mir abzulenken.
»Meine Freundin Ava meinte, ich solle es endlich tun«, sagt sie, als würde das alles erklären. Natürlich weiß ich, wer Ava Castaneda ist und dass ihre Frau mit an A New Day geschrieben hat. Als Ava Castaneda sich vor fünf Jahren geoutet hat, ist das Internet beinahe explodiert. »Sie meinte, es wäre langsam Zeit, verstehst du?« Faye steckt sich eine Olive in den Mund und leckt ihren Finger ab. Das Licht hinter ihr lässt ihr Haar wie einen sanft leuchtenden Heiligenschein aussehen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehe.«
»Es ist Zeit, dass prominente Gesichter wie du und ich in solchen Filmen mitspielen«, sagt Faye.
»Da hatte Ava wohl recht.«
»Ich nehme an, du teilst ihre Meinung. Oder warum sonst solltest du dich dafür entschieden haben?« Faye ist sehr direkt. Ich frage mich, ob das auf Dauer zu Problemen zwischen uns führen wird.
Von meinen Beweggründen kann ich ihr nicht erzählen. Aber mir ist auch klar, dass ich anfangen muss, anderen Menschen ein paar meiner Geheimnisse zu erzählen, wenn dieser Film mein Leben verändern soll. Nur werde ich damit nicht bei meiner Filmpartnerin anfangen. Wir sind bei derselben Agentur und bewegen uns schon eine ganze Zeit lang in denselben Kreisen, aber ich kenne Faye kaum. Dieses Treffen soll das ändern.
»O ja, natürlich sehe ich das sehr ähnlich. Repräsentation in Film und Fernsehen ist sehr wichtig«, plappere ich Dereks Worte nach. »Sieh dir nur Underground an. Darin wimmelt es nur so von lesbischen Frauen.« Es ist kaum in Worte zu fassen, wie sehr ich Underground liebe. Insgeheim hatte ich gehofft, dass die Hauptdarstellerin Elisa Fox, die die Spionin Aretha gespielt hat, in diesem Projekt Seite an Seite mit mir spielen würde. Stattdessen mit Faye Fleming zusammenzuarbeiten ist aber nun wirklich nichts, worüber ich mich beschweren will.
»Ich liebe Underground genauso sehr wie alle anderen auch, aber die Serie hat in Hollywood nicht gerade eine Welle von Coming-outs hervorgerufen.«
In meinem Magen formt sich ein Knoten. »Das vielleicht nicht, aber sie hat etwas verändert. Oder zumindest mal für eine aufgeschlossenere Atmosphäre gesorgt.«
»Kann ich dich etwas … Persönliches fragen?« Faye setzt ein verschwörerisches Grinsen auf.
Mein Herz hämmert in meiner Brust. »Natürlich.« Sie wird mich sicher nicht danach fragen.
»Wegen deines Ex-Manns weißt du ja vermutlich … etwas mehr als alle anderen.« Sie lehnt sich über den Tisch zu mir herüber, als wären wir nicht allein in meinem Haus. »Ich weiß von zwei männlichen und einem weiblichen Promi, die die Wahrheit über ihre sexuelle Orientierung verschweigen.«
Mein Herz springt mir jeden Moment aus der Brust. Sie kann unmöglich auf mich anspielen.
»Sie führen ein furchtbar kompliziertes Doppelleben.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich meine, wie viel Kraft es kosten muss, immerzu diese Fassade aufrechtzuerhalten und sich bei jedem Schritt vor die eigene Haustür verstellen zu müssen.« Sie greift nach einer weiteren Olive. Ihre Körperhaltung ist entspannt. Ihre Stimme klingt weich, keine Spur von der Absicht, mich zu verhören. Sie vertraut sich mir lediglich an, das hier ist keine Konfrontation. »Wirklich verblüffend.«
Ich versuche tief durchzuatmen, um meine Nerven zu beruhigen, ohne dass Faye es bemerkt. »Das ist es. Irgendwie, äh, verrückt. Ja.« O Himmel, Ida. Reiß dich zusammen.
»Weißt du es von jemandem?« Für einen Moment finden ihre Augen meine. »Derek und du, ihr versteht euch noch gut, oder?«
»Das tun wir, ja. Sehr gut.« Wenn Derek bei diesem Gespräch Mäuschen spielen könnte, würde er sich jetzt schieflachen. Das ist genau der verdammte Grund, aus dem ich mich geoutet habe, würde er sagen. Das und die Tatsache, dass Schweigen wie ein Grab einen letzten Endes umbringt. Ich höre die Stimme meines Ex-Manns förmlich in meinem Kopf. »Und ja, ich denke ich weiß, über wen du da redest.«
Faye verengt die Augen. »Nennen wir Namen?«
»Ähm, nein. Ich denke, das sollten wir nicht tun«, antworte ich schnell.
»Warum? Wenn wir doch beide Bescheid wissen?«
Weil ich mir dieselbe Diskretion auch von anderen wünschen würde, denke ich. »Versetz dich nur mal in deren Lage. Würdest du es gut finden, wenn Leute so über dich reden würden?«
»Wie so?« Faye zuckt mit den Schultern. »Sie sind queer. Na und?«
»Ich weiß, was du meinst, aber nimm beispielsweise diesen Film. Ich bin sicher, Leslie hat sich mit dir zusammengesetzt und dir denselben Vortrag gehalten wie mir. In Hollywood homosexuell zu sein ist komplizierter als sie sind queer, na und. So leid es mir tut, das sagen zu müssen, und so absurd das in der heutigen Zeit auch ist – vor allem in der Unterhaltungsindustrie, die praktisch von queeren Menschen geleitet wird.«
»Gutes Argument, aber genau deshalb machen wir diesen Film. Um als Hetero-Verbündete dazu beizutragen, dass dieser lächerliche Status quo aufgehoben wird.«
Ich schlucke hart. Mir ist vollkommen klar, dass der größte Beitrag, den ich leisten könnte, mein Coming-out wäre, statt mich als Verbündete auszugeben. Aber wie ich Derek schon am Telefon letztens sagte: Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche.
Faye scheint die Sache mit den Namen vergessen zu haben, und das ist eine Erleichterung, denn sosehr ich auch versuche, in ihr zu lesen, kann ich doch nicht abschätzen, ob sie mit der weiblichen Prominenten vorhin mich gemeint hat. Wahrscheinlich redet sie jedoch von Lily Matthews. Ihre Sexualität ist eines von Hollywoods am schlechtesten gehüteten Geheimnisse und das ist einer der Gründe, warum ich mich stets von ihr ferngehalten habe.
»Aber wo wir gerade beim Thema sind«, sagt Faye, »darf ich nach dir und Derek fragen?«
Das Herz schlägt mir sofort wieder bis zum Hals. »Da gibt es wirklich nicht viel zu erzählen«, sage ich leichthin. Wenn ich diese Worte sage, geben die meisten Menschen es auf, weiter nachzufragen.
Faye scheint nicht zu dieser Art Mensch zu gehören. Mein Ruhm beeindruckt sie nicht. Sie scheint ihn geradewegs zu durchschauen.
»Wusstest du schon bei eurer Hochzeit, dass er schwul ist?«
Ich würde ihre Direktheit bewundern, wenn sie mich nicht so in Panik versetzen würde. »Nein, natürlich nicht«, lüge ich.
»Wusste er, dass er schwul ist?«
»Derek ist immer noch einer meiner besten Freunde. Ich fühle mich nicht wohl dabei, über sein Privatleben zu plaudern.«
»Mich interessiert dein