Summer's End - Harper Bliss - E-Book

Summer's End E-Book

Harper Bliss

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Beschreibung

Zwei Frauen. Ein Inselparadies. Ein Neubeginn. Nach dem Verlust ihrer Partnerin entscheidet Marianne sich, abgeschieden auf einer tropischen Insel in Thailand zu leben. Bis eines Tages Emily Kane auftaucht, die erst einmal auch nur eine weitere Urlauberin in Mariannes kleinem B&B zu sein scheint. Bis zwischen den beiden Frauen Gefühle ins Spiel kommen. Emily hat allerdings mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. Können die beiden gemeinsam ihren Weg zurück ins Glück finden?

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Seitenzahl: 195

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Von Harper Bliss außerdem lieferbar

Teil 1

Teil 2

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über Harper Bliss

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Von Harper Bliss außerdem lieferbar

Sommergeflüster zu zweit

Kaffee mit einem Schuss Liebe

Für Caroline, die Ordnung in mein Chaos bringt.

Teil 1

Emily

Die Red Lodge sah deutlich besser aus, als Emily es sich vorgestellt hatte. Allerdings war ihre Erwartungshaltung nach drei Reisemonaten zugegebenermaßen auch nicht mehr besonders hoch. Das Haus vor ihr wirkte zwischen den anderen Hotels am Strand ein wenig deplatziert, als hätte man vergessen es im Zuge des Tourismusausbaus abzureißen.

Während ihres Aufenthalts in Bangkok hatte sie mit ihrem Handy im Internet erfolglos nach einer anspruchsvollen und günstigen Unterkunft auf Ko Samui recherchiert. Günstig war eine Voraussetzung, damit sie nicht erneut ihre Eltern um Geld bitten musste, aber bescheidene Ansprüche an die Ausstattung zählten sicher nicht zu Emilys Tugenden. Dafür waren ihre Familie und die viel zu luxuriöse Umgebung zu Hause verantwortlich. Nun sprengten die Hotels, die sie mochte deutlich ihr Budget von 15 Pfund pro Nacht und die, die sie sich dafür leisten konnte, waren – schon allein auf den Bildern der Internetseiten – viel zu schäbig für jemanden, der in einer der reichsten Gegenden Londons aufgewachsen war.

Bereits zweimal hatte sie ihre Eltern nach zusätzlichem Geld gefragt. Das erste Mal etwa einen Monat nach ihrem Aufbruch, das zweite – und sie schwor sich letzte – Mal, als sie eine Bilderserie eines extrem talentierten, vietnamesischen Künstlers für einen Spottpreis gekauft, die Transportkosten nach Hause sie jedoch die Hälfte eines Monatsbudgets gekostet hatten. Sie konnte ja schlecht mit drei 1,20 mal 1,50 Meter messenden Leinwänden im Gepäck weiterreisen.

Nun war sie fest entschlossen diese letzte Woche ohne Unterstützung ihrer Eltern hinter sich zu bringen. Darum ging es bei dieser ganzen Reise ja eigentlich auch, oder? Deswegen hatte sie zugegriffen, als sie den Stapel roter Flyer auf einem Fensterbrett in ihrer Unterkunft in Bangkok gesehen hatte.

The Red Lodge - B&B direkt am Strand - Ko Samui

Nur 3 Zimmer vermietbar. Nicht geeignet für Partymenschen.

25 USD pro Nacht.

Emily hatte an dem Tag schlicht keine Lust mehr gehabt, weiter nach einer Unterkunft zu suchen und daher den Gesamtbetrag im Kopf überschlagen, bevor sie die E-Mail-App auf ihrem Handy angetippt hatte. Ein paar Stunden später kam die Mail mit der Bestätigung ihrer Zimmerbuchung bei ihr an – auch wenn sie keine Ahnung hatte, in welchem Zustand sich The Red Lodge befinden würde. Die Entscheidung war gefallen. Sie würde nun also die letzten fünf Tage ihrer dreimonatigen Auszeit in Asien dort verbringen. Am nächsten Tag stieg sie in ein Flugzeug, das sie auf die Insel brachte. Und jetzt war sie hier.

»Emily Kane?« Die Frau, die ihr die Tür öffnete, besaß exakt den gleichen Upperclass-Akzent wie Emilys Mutter. Ihr Alter war schwer zu deuten, aber Emily schätzte es zumindest aufgrund der Sprachfärbung auf etwa das ihrer eigenen Mutter.

»Ja, hallo. Ich bin Emily.«

»Willkommen in der Red Lodge. Mein Name ist Marianne. Kommen Sie doch bitte rein.« Sie reichte Emily die Hand was sie doch sehr überraschte. Nach mehreren Wochen in Asien war sie es nicht mehr gewohnt, mit einem kräftigen Händedruck begrüßt zu werden.

Emily gefiel der sympathische Empfang und wahrscheinlich war es sogar gut, dass sie sich hier langsam wieder an die Briten gewöhnen konnte. Ihr Rückflug nach London ging schließlich bald. Zwar war sie auf ihrer Reise definitiv viel zu vielen Landsleuten begegnet, aber sie hatte schnell gelernt, ihnen aus dem Weg zu gehen.

»Sind Sie allein?«, fragte Marianne.

Ich verstecke keine Zwerge in meinem Rucksack. Emily lächelte nur und nickte. »Jep.«

Vor sechs Monaten, als sie noch verlobt gewesen war, hatten Jasper und sie überlegt, ihre Flitterwochen in Thailand zu verbringen. Sicher hätten sie dabei auch eine der Inseln besucht, aber nie im Leben in so einer bescheidenen Unterkunft übernachtet. Aber Jasper war nicht hier und das war ihr auch sehr recht.

»Wunderbar.« Marianne schenkte ihr ein Lächeln bevor sie mit dem Einchecken fortfuhr.

Emily ließ ihren Blick über das ausgebleichte Ramones-Shirt schweifen, das die Frau trug. Es saß um die Schultern ziemlich eng und war insgesamt nicht unbedingt ihrem Alter angemessen.

»Wir handhaben hier alles ziemlich locker. Es gibt keine festen Frühstückszeiten, schlafen Sie also gerne aus.« Marianne reichte ihr einen altmodischen Schlüssel. »Die Küche…« Sie deutete mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft an. »… schließt abends um zehn und wir wissen es zu schätzen, wenn Sie die Nachtruhe einhalten.«

»Danke.« Emily nahm den Schlüssel entgegen und machte sich einen gedanklichen Vermerk, ihre Wertsachen im Safe einzuschließen – sofern es in ihrem Zimmer überhaupt einen gab.

»Kommen Sie, ich bringe Sie auf ihr Zimmer.« Marianne zog eine Augenbraue nach oben und auf ihrem Gesicht war ein gewisses Maß an Spott zu erkennen. Eine sehr typische britische Eigenart. Irgendwie. »Sie wohnen im Erdgeschoß mit Blick auf den Garten.«

Emily wusste nicht recht, wie sie Marianne einordnen sollte. Ihr Akzent ließ auf reiche Herkunft und einen hohen Bildungsstand schließen, doch das passte nicht wirklich zu dieser Umgebung – und auch nicht zu dem T-Shirt.

Nachdem sie ihren Rucksack geschultert hatte, folgte Emily ihr aus dem Eingangsbereich zum hinteren Teil des Hauses. Von all den Unterkünften, in denen sie in den letzten Monaten abgestiegen war, war das hier definitiv die merkwürdigste. Die Dekoration war asiatisch, doch das Haus an sich hatte eine durch und durch europäische Atmosphäre. Als wäre es direkt aus Holland Park, der Wohngegend ihrer Eltern, hierher verschifft worden.

»Da wären wir.«

Die Zimmertür stand offen und als Marianne ihr den Vortritt ließ, traute Emily ihren Augen kaum. Der Raum war sonnendurchflutet und besaß eine große Terrassentür, die nach draußen in den Garten führte. Im Spiegel des Kleiderschranks war die Reflexion eines blauen Pools zu sehen.

Sprachlos wandte Emily sich ihrer Gastgeberin zu.

»Diese Reaktion bekomme ich häufig.« Ein zufriedenes Grinsen umspielte die Mundwinkel der Frau. »Ich schätze eben eine gehobene, komfortable Wohnumgebung.«

»Aber … 25 Dollar?«

»Mir geht es nicht ums Geld«, erwiderte Marianne trocken. »Machen Sie sich gerne etwas frisch, wir sehen uns sicher später noch. Sie finden mich draußen.«

Bevor Emily antworten konnte, hatte Marianne sich auf dem Absatz umgedreht und die Tür hinter sich geschlossen. Emily fragte sich unwillkürlich, ob sie einfach ein Glückspilz war oder ob dieses zauberhafte Zimmer einen Haken hatte.

Marianne

Wieder eine auf der Suche nach sich selbst. In den fünf Jahren seit Marianne die Lodge für Gäste geöffnet hatte, waren hier viele von dieser Sorte durchgekommen. Sie ging die Treppe hinauf zu ihrem eigenen Zimmer im obersten Stock. Die dritte Stufe knarzte schon seit drei Wochen.

Ihr neuer Gast, Emily, erinnere sie an ihr früheres Leben – das Leben vor ihrem selbst gewählten Exil in Thailand. Marianne wusste nicht, wie lange die junge Frau schon auf Reisen war, aber selbst die tiefe Bräune ihrer Haut und die helleren Strähnen in ihrem Haar – beides zweifellos vielen Stunden in der heißen Sonne Südostasiens geschuldet – konnten ihr vornehmes Gehabe nicht verstecken.

Wenn sie schlau ist, lernt sie das noch.

Marianne streifte sich das Shirt über den Kopf und suchte nach ihrem Bikini. Heute war Emily der einzige Gast und eine Runde Schwimmen im Meer längst überfällig.

Bevor sie ihren Slip gegen die Bikinihose tauschte, absolvierte Marianne auf dem Boden vor ihrem Spiegel noch rasch 25 Liegestützen. Sie hatte erst vor Kurzem wieder mit dem Fitnesstraining angefangen und war stolz auf sich, dass sie mittlerweile so viele Liegestützen schaffte, ohne dass sie zwischendurch abbrechen musste. Sie fühlte sich schon viel stärker, als noch vor ein paar Wochen. Stärke. Das war ein Wort, das sie lange nicht mehr mit sich selbst in Verbindung gebracht hatte.

Nachdem sie in einen schwarzen Bikini sowie ein T-Shirt und eine Shorts geschlüpft war, ging sie die Treppe wieder nach unten. Das Haus war so still. Selbst bei voller Auslastung war es nie besonders laut hier, aber es gab zumindest das ein oder andere Geräusch. Ein paar Anzeichen von Leben. Ein Rohr, in dem es gluckerte oder jemanden, der sich im Pool bewegte. Eine Erinnerung daran, dass sie nicht alleine war.

Marianne schlenderte durch den Garten und den Steinweg neben dem Pool entlang, bis sie den Strand erreichte. Hier draußen brannte die Sonne erbarmungslos auf sie herunter, aber das Blau des Himmels strahlte auf eine Art, die man selbst gesehen haben musste, um es zu glauben. Es war so satt und perfekt, dass es keine Touristenbroschüre auf der Welt gab, die sein Wesen jemals richtig einfangen würde. Die heilende Wirkung eines blauen Himmels auf den man sich zu bestimmten Jahreszeiten hundertprozentig verlassen konnte, war von unschätzbarem Wert.

Der Sand unter ihren Füßen war heiß, doch daran hatte sich Marianne inzwischen gewöhnt. Sie ging ein bisschen schneller, bis sie den feuchten Streifen des Strands erreichte und ließ wie jeden Tag ihren Blick über den Ozean schweifen. Die Wellen waren im August normalerweise kleiner als im Moment.

Es war ein ruhiger Strand, an dessen Promenade sich nur zwei mittelgroße Hotelkomplexe befanden. Andernfalls hätte Marianne sich niemals für diesen Ort entschieden. Zu dieser Tageszeit waren auch nicht viele Schwimmer im Meer unterwegs. Die meisten zogen die schattenspendenden Pavillons ihrer Hotels der gnadenlosen, thailändischen Nachmittagssonne vor.

»Ist Ihnen das Wasser zu kalt?«

Marianne zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich hinter ihr eine Stimme ertönte. Sie fuhr herum und sah direkt in Emilys grinsendes Gesicht.

»Das ging ja schnell.« Sie erwiderte Emilys Lächeln. »Ist Ihnen das Zimmer zu klein und stickig?«

»Nicht im Geringsten.« Emily zwinkerte ihr zu und rannte mit dem Enthusiasmus eines Kindes an ihr vorbei, das noch nie das Meer gesehen hatte. Sie trug einen knappen Bikini mit Blümchenmuster.

Marianne verfolgte mit einem Lächeln, wie Emily ins Wasser watete. Ihre haselnussfarbene Haut kontrastierte stark mit ihren hellen Haaren, die dringend einen Schnitt benötigten. Marianne horchte in sich hinein, ob sich vielleicht plötzlich Erregung meldete – auf der Suche nach einem Zeichen, dass sich ihr jetziger Zustand irgendwann ändern würde – aber wie immer war da gar nichts. Schon seit fünf Jahren nicht mehr.

Sie war neugierig auf Emilys Geschichte – alle hatten eine Geschichte. Die Leute, die allein hierherkamen, obwohl sie aussahen, als wären sie in ihrem ganzen Leben noch nirgendwo ohne Begleitung gewesen. Emily sah ein bisschen zu alt aus, um gerade mit der Uni fertig zu sein, aber so genau konnte man das heutzutage ja nicht mehr sagen.

Marianne zog ihre Shorts und ihr Shirt aus, ließ beides im Sand liegen und stapfte dann durch die Wellen. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie anders sich der Übergang vom Land zum Wasser in verschiedenen Teilen der Welt anfühlte. Brighton hatte durchaus seinen Charme – es hatte einen Grund gegeben, warum sie zehn Jahre lang ein Ferienhaus dort besessen hatte – aber im direkten Vergleich konnte die Nordsee dem Pazifik nicht das Wasser reichen. Dass sie diesen praktisch direkt vor der Haustür hatte und jederzeit nutzen konnte, war ein großer Vorteil, aber es war nicht der Hauptgrund gewesen, warum sie Großbritannien den Rücken gekehrt hatte. Marianne seufzte.

Mit kräftigen Bewegungen – immerhin schwamm sie täglich im Meer, und gegen die Wellen anzukommen, forderte den Oberkörper deutlich mehr, als Bahnen im Pool zu ziehen – überwand sie rasch den Abstand zwischen sich und Emily.

Wenn sich auch nur ein Funken in ihr regen würde, hätte Marianne das vielleicht sogar als romantischen Moment werten können: Sie schwamm durch den glitzernden Ozean auf eine andere Frau zu.

Rasch schob sie den Gedanken von sich und widmete sich lieber dem, was ihr seit Eröffnung der Lodge in Fleisch und Blut übergegangen war. Small-Talk. Flüchtige Momente, Gäste auf der Durchreise, genug oberflächlichen Kontakt, um den Tag zu überstehen und sich wie ein Mensch zu fühlen, aber nicht genug, um danach Einsamkeit aufkommen zu lassen. Das war nun ihr Leben und genau so wollte sie es auch.

Marianne wandte sich Emily zu und hielt sich mit den Beinen über Wasser. Sie hätte den Grund mit den Füßen erreichen können, aber sie wollte wirklich mehr Kraft aufbauen.

»Wie lange sind Sie schon auf Reisen?« Marianne fand es immer spannend zu erfahren, was die Leute hierher verschlug. All diese Menschen, die hier durchkamen und ein Zimmer in ihrem Haus bewohnten – für diesen kurzen Moment in der gleichen Situation, aber immer mit einer unterschiedlichen Geschichte im Gepäck.

Emily

»Ich bin seit drei Monaten unterwegs. Das hier ist mein letzter Zwischenstopp, danach fliege ich wieder nach Hause.« Nach dem quirligen, lauten Bangkok war das hier das Paradies. Wahrscheinlich hatte Marianne diese oder ähnliche Geschichten schon hundertmal gehört. Emily ließ den Kopf nach hinten in das kühle, erfrischende Wasser sinken, ohne darauf zu warten, ob Marianne etwas erwiderte.

»Und wo ist das?«, fragte Marianne, sobald Emilys Ohren wieder über Wasser waren.

Sehr gute Frage. Konnte sie einfach so wieder zurückgehen, nachdem sie so viele Brücken hinter sich abgebrochen hatte? Würde London je wieder zu ihrem Zuhause werden? Im Prinzip war die Stadt groß genug, um sich zu verändern, sein Leben zu verändern und in neue Bahnen zu lenken. Für etwas ganz anderes.

»London, denke ich.« Sie zuckte unter Wasser mit den Schultern.

»Denken Sie? Das klingt aber nicht sehr überzeugt.« Mariannes Gesichtsausdruck wandelte sich von mildem Interesse zu mehr Konzentration. Oh, großartig, eine Seelenklempnerin.

»Ist viel passiert, bevor ich weg bin.« Bevor sie hastig ihre Koffer gepackte hatte – in einem wilden Chaos aus Panik und aufgewühlten Emotionen und dem daraus resultierenden Tunnelblick, der nur noch einen Wunsch zugelassen hatte: von dort wegzukommen.

»Ich kann es nicht«, hatte sie damals zu einem vollkommen entgeisterten Jasper gesagt. »Ich kann dich nicht heiraten und deine perfekten Holland-Park-Kinder bekommen. Ein Junge und ein Mädchen. Eins mit deinen dunklen Haaren und eins mit meinen blonden Locken. Ich sehe diese Zukunft nicht für mich, Jasper. Ich will das nicht.«

»Aber …« Jasper fehlten nur selten die Worte, aber darauf wusste er keine Antwort. »Die Hochzeit ist nächsten Monat.«

Zu dem Zeitpunkt, als sie eigentlich vor den Altar treten sollte, war Emily in Hanoi, trank billiges Bier und war zu sehr damit beschäftigt, dem Verkehr auszuweichen, der sie von allen Seiten umgab, als über diesen speziellen Tag nachzudenken.

»Das ist immer so.« Marianne lächelte sie an und taucht dann seitlich weg.

Es wirkte nicht so, als wollte sie mehr zu diesem Thema aus Emily rausquetschen. Emily wusste nicht so recht, ob das nun gut oder schlecht war. Irgendwann musste sie mit jemandem darüber reden und sich der Realität stellen. Aber vielleicht konnte sie es sich gönnen, erst noch ein paar faule Tage in der Sonne genießen. Sie ließ den Blick über den Horizont schweifen – blau auf blau – und verstand, warum Marianne sich für das Leben hier entschieden hatte.

Marianne schwamm zügig gegen die Wellen an. Unter Emilys Blicken wurde ihr Körper immer kleiner, bis er nur noch ein winziger Punkt in der Ferne war. Beeindruckend. Sie liebte das Wasser selber sehr und war von den besten Schwimmlehrern unterrichtet worden, die man für Geld anheuern konnte, doch das hier war eine Nummer zu groß für sie. Sie hatte nicht die körperlichen und mentalen Voraussetzungen einer Schwimmerin.

Eine Weile ließ Emily sich einfach auf dem Wasser treiben und blinzelte zur Sonne hinauf. Um die herannahende Abreise zu verdrängen, versuchte sie, sich die Titel aller Bücher ins Gedächtnis zu rufen, die sie seit ihrer Abreise gelesen hatte. Es war eine stetig wachsende Liste, die ihr beim Einschlafen in lauten Hostels half. Nicht, dass sie in allzu vielen davon abgestiegen war.

Ursprünglich war das der Plan gewesen – günstige Unterkünfte ohne Luxus –, aber als es hart auf hart gekommen war, konnte Emily das nicht durchziehen. Sie wusste ganz genau, dass ihr Vater letzten Endes immer ihre Kreditkartenrechnung bezahlen würde, egal, was vorgefallen war. Es war ziemlich schwer, gefährlich zu leben, wenn man sich dieses Sicherheitsnetzes nur allzu bewusst war.

Nachdem sie sich ordentlich abgekühlt hatte, bewegte Emily sich wieder langsam in Richtung Ufer. Als sie sich noch einmal umdrehte, entdeckte sie Marianne, die es ihr mit kräftigen, gleichmäßigen Schwimmzügen gleichtat. Vielleicht hatte sie sich ja geirrt, als sie die Frau auf ein ähnliches Alter wie ihre Mutter geschätzt hatte, denn ihre Mutter hätte das sicher nicht gekonnt. Sie hatte dafür andere Qualitäten, wie zum Beispiel auf andere Leute herabzusehen. Und sie nach ihrem Äußeren zu beurteilen.

Emily ging gemächlich zurück zum Garten der Lodge. Hier gab es gerade genug Platz für einen kleinen Pool und eine Terrasse, auf der einige Sessel und Stühle standen. Jedes einzelne Möbelstück sah teuer aus, als würde es in ein 5-Sterne-Hotel gehören anstatt in eine bescheidene Pension. Marianne hatte deutlich gemacht, dass sie nicht wegen des Geldes im Hotelgewerbe war, und angesichts der Ausstattung der Red Lodge nagte sie in der Tat nicht am Hungertuch.

Bevor sie sich in einen der Sessel unter dem beigefarbenen Sonnensegel setzte, nahm Emily sich eins der Handtücher vom Stapel neben dem Pool und wickelte sich darin ein. Gerade, als sie sich gesetzt hatte, hörte sie Mariannes Schritte auf den Steinen des Gartenwegs.

Marianne hatte sich ihr T-Shirt wieder übergezogen und es klebte feucht an ihrer sonnengebräunten Haut. Nicht zum ersten Mal auf ihrer dreimonatigen Reise spürte Emily, wie sich eine undefinierbare Hitze in ihr ausbreitete.

»Möchten Sie etwas zu trinken?«, fragte Marianne.

Emily musste ihren Blick vom Körper der anderen Frau losreißen, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Ich könnte sterben für ein Bier.«

Das Licht der Sonne ließ die kleinen Fältchen um Mariannes funkelnden, braunen Augen stärker hervortreten.

»Kommt sofort.« Marianne zwinkerte ihr zu.

Emily spürte es schon wieder. Natürlich wusste sie, was das war – so behütet hatte sie nun auch nicht gelebt –, doch die Angst war groß, was es mit ihr machen würde, wenn sie dem nachgab.

Sie straffte die Schultern und schob das Gefühl weit von sich. Darin war sie inzwischen eine wahre Meisterin.

Marianne

»Darf ich fragen, wie alt du bist?« Marianne hatte sich Emily gegenüber auf die Terrasse gesetzt. Über dem Sixpack Singha, das in einem Eimer mit Eis auf seine Verwendung wartete, hatten sie sich schnell auf das Du geeinigt.

»Noch jung genug, dass mich die Frage nicht stört.« Sie saßen zwar unter dem Sonnensegel, doch immer wieder fing sich das Licht in helleren Strähnen in Emilys Haar. »Ich bin 24 und seit Kurzem hochoffiziell das schwarze Schaf der Kane-Familie.« Sie vollführte eine dramatische Geste.

»Also noch genug Zeit, das wieder geradezurücken.« Marianne trank einen Schluck Bier, ohne den Blick von Emily zu nehmen.

Diese lachte. »Vielleicht will ich es ja nicht wieder geraderücken. Vielleicht hatte ich einfach die Nase voll davon.«

Mariannes Antwort bestand in einem fragenden Hochziehen der Augenbrauen.

»Ich bin so eine Dramaqueen.« Emily zog ein Bein nach oben auf die Sitzfläche ihres Sessels. »Aber man sagt ja, dass es einem leichter fällt, mit Fremden über Persönliches zu reden.«

»Wir haben uns schon im Bikini gesehen. So fremd sind wir uns also nicht mehr.« Marianne war erschrocken über ihre eigenen Worte. Sie sah kurz zur Seite, bevor sie wieder Emilys Blick suchte. »Tut mir leid, ich wollte damit nicht –«

»Alles in Ordnung.« Emily strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Wenn ich in deinem Alter auch so noch aussehe …« Sie schlug sich eine Hand vor den Mund. »Gott, jetzt muss ich mich entschuldigen. Ich meine, ich weiß ja nicht mal, wie alt du bist«, stammelte sie.

Marianne fragte sich, ob man wohl die Röte sah, deren Hitze ihr in die Wangen kroch. Sie hoffte nicht. »41 am Samstag.«

»Samstag?« Emilys Augen wurden groß. »Wirklich?« Sie schien sich von ihrem Fettnäpfchen zu erholen. »Schmeißt du eine Party?«

Mariann entspannte sich wieder. »Ich bin kein großer Partymensch mehr.«

»Oh.« Emily sah sie aus zusammengekniffenen Augen an.

»Außerdem muss ich arbeiten.«

»Arbeitest du immer?« Emily stellte ihre leere Flasche auf dem Tisch ab. »Bist du hier ganz allein?«

»Ich habe zwei Angestellte, die die Zimmer putzen und sich um den Abwasch kümmern, aber den Rest manage ich.« Nicht, dass es da viel zu managen gab. Marianne hatte nicht das Gefühl, ein echtes Unternehmen zu führen. Sie betrachtete die Menschen, die in der Lodge unterkamen eher als Hausgäste denn als Kunden.

Manchmal vergingen ein paar Tage ohne Besucher und das war für sie auch in Ordnung. Sie machte keine Internetwerbung für die Red Lodge. Alle, die sich hier einmieteten, kamen entweder durch Zufall, oder Mund-zu-Mund-Propaganda, oder aufgrund der Flyer, die sie in einigen ausgewählten Geschäften in Bangkok und Chiang Mai auslegte.

»Was, wenn jemand Sonderwünsche hat?« Emily griff nach einer weiteren Flasche Bier, öffnete den Kronkorken mit dem Flaschenöffner, der seitlich am Eimer hing, und reichte sie Marianne.

»Was zum Beispiel?« Marianne nahm das Bier entgegen.

»Bestellung eines Geburtstagskuchens.« Emily grinste sie an und erst jetzt fielen Marianne die Grübchen in ihren Wangen auf.

»Ich sage meinen Gästen ganz direkt, was möglich ist und was nicht.« Sie stützte die kühle Flasche auf ihrem Oberschenkel ab. »Aber, wenn jemand seinen Geburtstag hier feiern will, kann er oder sie das gerne tun und ich mache ein paar Anrufe.«

»Gott, du bist so unglaublich britisch.« Emily seufzte gespielt resigniert.

»Wie kommst du darauf?« Marianne gab sich extra Mühe, so förmlich und versnobt wie möglich zu klingen.

Ein Kichern platzte aus Emily heraus, bevor sich Schweigen zwischen ihnen ausbreitete.

»Du musst Hunger haben, oder?« Mariannes fürsorgliche Seite machte sich bemerkbar. »Soll ich uns was zu essen machen?«

»Du kochst auch?« Inzwischen hatte Emily beide Beine auf die Sitzfläche gezogen und mit den Armen umschlungen. Das Kinn ließ sie auf den Knien ruhen. In dieser Position sah sie deutlich jünger aus, als sie war.

»Bei dir klingt das wie eine unangenehme Pflicht.« Marianne erhob sich. »Ein volles Haus sind sechs Gäste und das kommt nur selten vor. Das ist wirklich keine große Sache.«

»Hast du eine Speisekarte?«

»Nein.« Marianne war selbst über den plötzlich harschen Unterton in ihrer Stimme überrascht – es passierte nur selten, dass Gäste das in ihr hervorbrachten. Sie überspielte es rasch. »Hast du Allergien, die ich beachten müsste?« Ihre Reaktion hatte jedoch einen Grund. Zum Glück wusste sie inzwischen, worauf sie achten musste.

»Keine. Danke.« Emily sah noch immer zu ihr auf.

»Abendessen in etwa einer Stunde?«

»Klingt gut.«

»Es gibt übrigens keinen Dresscode.« Sie erwähnte das nur, weil Emily – selbst in ihrem spärlich bekleideten Zustand und entspannt mit einem Bier in der Hand – aussah wie eine Frau, die daran gewöhnt war, sich zum Abendessen herzurichten.

»Brauchst du Hilfe?«

Diese Frage hatte Marianne nicht erwartet. »Kannst du kochen?« Sie musste schmunzeln. Das Mädchen steckt voller Überraschungen.

»Ein bisschen. Ich habe zu Hause ein paar Kochkurse gemacht und als ich in Nordthailand war, hat mir ein Chef mit unaussprechlich langem Namen gezeigt, wie man ein echt leckeres Curry macht.«

»Wenn du Gemüse schneiden kannst, ohne dir dabei einen Finger abzuhacken, bist du in meiner Küche herzlich willkommen.« Kochen war für Marianne immer eine sehr solitäre, meditative Angelegenheit, aber Gesellschaft störte sie nicht. »Ich mach mich nur eben ein bisschen frisch. Muss aus dem Bikini raus.«

»Wenn’s denn sein muss.« Emily zwinkerte ihr zu und Marianne spürte erneut die Hitze in ihren Wangen. Sie verschwand rasch nach drinnen und tat so, als hätte sie den Kommentar nicht gehört.

Vielleicht war Emily ja gar nicht die verwöhnte Göre, für die sie sie – zugegebenermaßen – zunächst gehalten hatte. Doch selbst wenn … Marianne machte sich einen gedanklichen Vermerk, ihr unmissverständlich zu sagen, dass ihr Geburtstag kein Grund zum Feiern war.

Emily