Erinnerungen an Gestern - Georg Markus - E-Book

Erinnerungen an Gestern E-Book

Georg Markus

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Beschreibung

Geschichte für Neugierige Die Vergangenheit – eine unendliche Fülle an spannenden Schicksalen, Momenten und Menschen. Selbst wer glaubt, schon alles zu wissen, wird immer wieder überrascht. Einer, der die Geschichte kennt wie seine Westentasche und doch regelmäßig neue Entdeckungen macht, ist Bestsellerautor Georg Markus: Ob ein bislang unbekannter Brief von Kaiser Franz Joseph oder die zum Teil bisher unveröffentlichten Tagebücher von dessen jüngster Tochter – Funde wie diese lassen Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten lebendig werden und geben hautnah Einblick in das private Leben historischer Persönlichkeiten. Aus dem Inhalt: Der Kaiser, die Schratt – und ihr »gehörnter« Ehemann Der Prinz am Opernball Ein Schauspieler aus Wien und der Tod in Hollywood Mit dem Fahrrad in die Schlacht Interview mit einem Attentäter Napoleons Wiener Abenteuer Kennedys österreichischer Arzt Friedrich Torberg als Geheimagent Die Ahnen der Mary Vetsera Österreichs Kaiserin von Brasilien und viele andere Mit zahlreichen Abbildungen

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Seitenzahl: 268

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GEORG MARKUS

Erinnerungen an Gestern

UnbekanntesBewegendesAmüsantes

Mit 73 Abbildungen

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© 2023 by Amalthea Signum Verlag GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

Umschlagmotiv: © Pulfer/Interfoto/picturedesk.com

Lektorat: Madeleine Pichler

ISBN 978-3-99050-262-4

eISBN 978-3-903441-16-3

INHALT

Aus dem Paradies der Erinnerungen

Vorwort

ERINNERUNGEN AN KAISERS ZEITEN I

»Ob Kiss endlich abgereist ist«

Der Kaiser, die Schratt – und ihr »gehörnter« Ehemann

Habsburger in der Schule

Unterricht nur von Privatlehrern

Genauso schön wie die Kaiserin

Skandale um Sisis Schwester

ALTER UND NEUER ADEL

Die Ahnen des Herrn von Thun

Zur Familiengeschichte des Schauspielers

Der Prinz am Opernball

Die Vorfahren des Karl Hohenlohe

Mayerling in Raabs an der Thaya

Die Tragödie im Hause Spiegelfeld

»Oscars« Wiener Spuren

Die Familie Henckel von Donnersmarck

KEINE KRÄNZE FÜR MIMEN

Die Frau an Hans Mosers Seite

Annie Rosar, »die komische Alte«

Turhan Bey und der Tod in Hollywood

Ein Österreicher und ein US-Kriminalfall

Die Muse des Sonnenkönigs

Kreisky und die Schauspielerin Senta Wengraf

Den eigenen Tod geheim gehalten

Der stille Abgang des Schauspielers Sieghardt Rupp

GESCHICHTEN MIT GESCHICHTE

Mit dem Fahrrad in die Schlacht

Ein gefälschtes Gemälde zum Schmunzeln

»Meine Absicht war, den Mann auszulöschen«

Interview mit einem Attentäter

»Zum Verteidiger muss man geboren sein«

Erinnerungen an den »alten Stern«

Adlmüller verpflichtet

Begegnungen mit Wiens Modezaren

DER LETZTE WILLE

»Würdig eines großen Mannes«

Maria Theresias privates Testament

»Wäsche, Billardtisch, ein Pianoforte«

Mozarts persönliches Erbe

Der Max-Reinhardt-Krimi

Wer was bekam

»Wer meinen Letzten Willen anficht, gilt als enterbt«

Franz Lehárs millionenschwerer Nachlass

»Unwürdig und undankbar«

Der Streit um Hans Mosers Erbe

Das Erbe des »Opernführers«

Marcel Prawys Vermögen ging in die USA

ERINNERUNGEN AN KAISERS ZEITEN II

Vom Revolutionär zum Minister

Gyula von Andrássy, Sisis engster Vertrauter

Nur einer wurde Kaiser

Duell der Kronprinzen Rudolf und Wilhelm

EIN LEBENSKÜNSTLER

»In Liebe Jackie«

Jacqueline Kennedys österreichischer Freund

AUS SCHLIMMEN ZEITEN

Der »Prominententransport«

Hitlers erste Gefangene

Die Tragödie des kleinen Bruders

Hans Rosenthals Familiengeschichte

Friseur und Diktator

Wie es zu Chaplins berühmtestem Film kam

Hitlers »Edeljuden«

Ein Richter, ein Arzt, eine Prinzessin und ein Hellseher

ÖSTERREICH UND DER REST DER WELT

Napoleons Wiener Abenteuer

Die Eroberungen des Korsen

Die Rettung der Lipizzaner

General Patton und das Überleben der Hofreitschule

Kennedys österreichischer Arzt

Der Orthopäde Hans Kraus

Donald Trumps Wiener Architekt

Der Mann, der ein Traumschloss baute

Er erfand die Intensivstation

Der Wiener Arzt Peter Safar

Friedrich Torberg als Geheimagent

»Nebenberufliche« Tätigkeiten für FBI und CIA

ERINNERUNGEN AN KAISERS ZEITEN III

»Eine gute Kaisermischung«

Die Ahnen der Mary Vetsera

Österreichs Kaiserin von Brasilien

Die unglückliche Leopoldine

»Wenn Papa nicht mehr ist …«

Aus den Tagebüchern einer Erzherzogin

Quellenverzeichnis

Bildnachweis

Namenregister

Aus dem Paradies der Erinnerungen

Vorwort

Von Jean Paul stammt der Satz, dass die Erinnerungen das einzige Paradies seien, aus dem wir nicht vertrieben werden können. In der Tat, Erinnerungen bleiben uns ein Leben lang, wir sollten sie daher hegen und pflegen und nicht der Vergesslichkeit überlassen. In diesem Buch finden Sie Erinnerungen an Gestern, die natürlich nicht immer paradiesisch waren – eine solche Epoche müsste erst erfunden werden.

Jeder kennt den Namen Katharina Schratt, aber kaum jemand kennt den ihres Ehemannes Nikolaus von Kiss, der die Freundschaft seiner Frau mit dem Kaiser ertragen musste. Nun vertraute mir die Familie Kiss sämtliche verfügbaren Dokumente und Erinnerungsstücke aus ihrem Archiv an. Während die Beziehung der Schratt zu Franz Joseph bisher immer aus dem Blickwinkel des Kaisers und der Schauspielerin betrachtet wurde, kann sie jetzt auch aus der des »gehörnten« Ehemannes erlebt werden. Franz Joseph war’s jedenfalls lieber, wenn Kathis Ehemann außer Landes war, wie ein Brief zeigt, in dem er fragt, »ob Kiss endlich abgereist ist«.

In Habsburger in der Schule geht es darum, dass die jeweiligen Thronfolger eine solche gar nicht besuchen durften, weil das nicht »standesgemäß« gewesen wäre. Was dazu führte, dass manch späterer Monarch nicht über die seiner Aufgabe geschuldete Bildung verfügte, Rudolf I. war sogar Analphabet.

In mehreren Kapiteln über adelige Familien geht es um solche, deren Nachkommen es durch Film und Fernsehen zu mindestens so viel Prominenz gebracht haben wie ihre Ahnen. So war ich den Vorfahren des Schauspielers Friedrich von Thun, der Moderatoren Karl Hohenlohe und Johann-Philipp Spiegelfeld und des Regisseurs und Oscar-Preisträgers Florian Henckel von Donnersmarck auf der Spur. Alle vier Familien haben im alten Österreich bedeutende, zum Teil auch dramatische Rollen gespielt: Die Thun-Hohensteins förderten Mozart und Beethoven, ein Hohenlohe war der wichtigste Berater Kaiser Franz Josephs, die Spiegelfelds stellten einen Landeshauptmann, dessen Tochter allerdings in eine mit Mayerling vergleichbare Liebestragödie involviert war. Und ein Henckel-Donnersmarck war so reich, dass er dem Haus Habsburg das Überleben sicherte.

Durch Schiller wissen wir, dass die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht. Soll heißen: Schauspieler geraten, sobald sie von der Bühne des Lebens abgetreten sind, nur allzu schnell in Vergessenheit. An einige von ihnen will ich hier – Schiller zum Trotz – erinnern. An die Volksschauspielerin Annie Rosar, die so lange an den »Führer« glaubte, bis der ihren geliebten Sohn auf dem »Feld der Ehre« in den Tod schickte. Oder an Senta Wengraf, die als Muse des »Sonnenkönigs« Bruno Kreisky eine ihrer wichtigsten Rollen spielte. Der Schauspieler Turhan Bey war ein Wiener, der in Hollywood Karriere machte. Seine Liebesaffäre mit der Filmikone Lana Turner dauerte zu kurz, um eine blutige Tragödie verhindern zu können. Sieghardt Rupp wiederum ist es gelungen, seinen eigenen Tod fast ein Jahr lang geheim zu halten.

Es ist kein Zufall, dass das Cover dieses Buches von einem Fahrrad geziert wird. Denn ein Rad spielt in einer kuriosen Geschichte eine zentrale Rolle. Es geht um ein Fahrrad, das sich auf dem Gemälde einer Schlacht des Prinzen Eugen von Savoyen befindet. Und das, obwohl es zur Zeit des Prinzen Eugen noch gar keine Fahrräder gegeben hat.

Diesem Kapitel folgt das Interview mit einem Attentäter – mit jenem Mann, der 1925 den Wiener Schriftsteller Hugo Bettauer erschossen und mehr als fünfzig Jahre später dem ORF dazu ein Interview gegeben hat. Ich habe für dieses Buch mithilfe des Historikers Murray G. Hall eine Abschrift aus dem Fernseharchiv ausgegraben.

Erinnerungen an Gestern liefern auch der legendäre Rechtsanwalt Michael Stern und der Modeschöpfer Fred Adlmüller, die jahrzehntelang Wiens Gerichtssäle und Laufstege beherrschten.

Testamente dokumentieren nicht nur, was von einem Menschen übrig bleibt, sondern auch, wie er zu seinen Angehörigen gestanden ist. Ob er sie als Universalerben eingesetzt, auf den Pflichtteil beschränkt oder gar enterbt hat. Schön langsam werden die Prominententestamente zu einer Serie, habe ich doch in früheren Büchern über den Letzten Willen Kaiser Franz Josephs (Zwischen den Zeiten), über Ludwig van Beethovens berühmtes Heiligenstädter Testament (Es war ganz anders), über den Nachlass des Walzerkönigs Johann Strauss (Im Spiegel der Geschichte), die Testamente der Kronprinzessin Stephanie (Alles aus Neugier) und der Hotelbesitzerin Anna Sacher (Fundstücke) geschrieben. Diesmal geht es um die letzten Verfügungen Maria Theresias, Max Reinhardts, Franz Lehárs, Hans Mosers und Marcel Prawys sowie um das private Erbe Wolfgang Amadeus Mozarts, der zu jung starb, um an die Niederschrift eines Testaments zu denken. Ohne Streit ging es übrigens in den seltensten Fällen ab.

Wir kehren noch einmal zurück zu Kaisers Zeiten. In dem Kapitel Nur einer wurde Kaiser geht es um den lebenslangen Konflikt des österreichischen Kronprinzen Rudolf und seines preußischen Pendants Wilhelm. Kaiserin Sisi spielt in zwei Beiträgen eine bestimmende Rolle: In einem geht es um ihre rätselhafte Beziehung zum Revolutionär Gyula Graf Andrássy, im anderen um ihre Schwester Marie Sophie, die Königin beider Sizilien, die als einzige Monarchin ein uneheliches Kind zur Welt brachte.

Der Maler Franz Bueb steht im Mittelpunkt des Kapitels mit dem Untertitel Jacqueline Kennedys österreichischer Freund. Der Lebenskünstler war jahrzehntelang mit Amerikas First Lady und anderen glamourösen Frauen befreundet.

Ernste Themen folgen in den Erinnerungen Aus schlimmen Zeiten: Erinnerungen an das Zustandekommen des sogenannten »Prominententransports«, an die familiäre Tragödie des populären Quizmasters Hans Rosenthal sowie an die Entstehungsgeschichte von Charlie Chaplins berühmtem Film Der große Diktator. Das Kapitel Hitlers »Edeljuden« handelt von vier von den Nazis verfolgten Personen, die vermeintlich bevorzugt wurden.

Ein Kapitel ist Napoleons Wiener Liebesabenteuern gewidmet, ein weiteres der Rettung der Lipizzaner durch einen amerikanischen Viersternegeneral. Im Anschluss daran spielen die Kennedys noch einmal mit: Der in Amerika lebende österreichische Orthopäde Hans Kraus war der einzige Arzt, der dem US-Präsidenten im Kampf gegen seine chronischen Rückenschmerzen helfen konnte. In den USA war auch der Wiener Architekt Joseph Urban tätig, der Donald Trumps herrschaftliches Anwesen Mar-a-Lago in Palm Beach baute. Und ein Wiener Arzt war es, der in den Vereinigten Staaten die erste Intensivstation errichtete. Danach als Kontrastprogramm: Friedrich Torbergs Tätigkeit als Geheimagent für FBI und CIA.

Abschließend erinnere ich noch einmal an Kaisers Zeiten: mit der wenig aufgearbeiteten Geschichte der Vorfahren Mary Vetseras, mit der Tragödie der österreichischen Kaiserin in Brasilien und mit den zum Teil bisher unveröffentlichten Tagebüchern der Erzherzogin Marie Valerie.

Viel Vergnügen beim Eintauchen in jene Erinnerungen, aus denen wir nicht vertrieben werden können. Ob sie nun gut waren oder schlecht.

Georg Markus

Wien, im Juli 2023

Danksagung

Mein Dank gilt in erster Linie meiner lieben Frau Daniela, die mir seit 24 Jahren zur Seite steht und eine wichtige Stütze und Ratgeberin ist.

Weiters danke ich folgenden Personen für Auskünfte und Anregungen: Herbert Kiss, Hemma Bischof, Walter Riegler, Friedrich von Thun, Karl Hohenlohe, Benedikt Spiegelfeld, Johann-Philipp Spiegelfeld, Abt Gregor Henckel-Donnersmarck, Senta Wengraf (†), Turhan Bey (†), Ernst Kieninger, Elisabeth Stocker, Wolfgang Prohaska, Peter Huemer, Michael Stern (†), Fred Adlmüller (†), Gernot Gruber, Christoph Schmetterer, Thomas Olechowski, Wolfgang Dosch, Thomas Köpf, Heidi Artmüller (†), Bernhard Gaul, Eva Fritsch-Fialik, Andreas Gruber, Gudrun Bueb, Gerald Nestler, Hans Rosenthal (†), Otto Mayrhofer, Franz Lackner, Christian Reichhold, Martha Schad, Wolfgang von Plotho, Nino Nodia, weiters Katarzyna Lutecka, Madeleine Pichler, Xenia Hickl, Magdalena Hutter und Paul Larndorfer vom Amalthea Verlag sowie Dietmar Schmitz.

ERINNERUNGEN AN KAISERS ZEITEN I

»Ob Kiss endlich abgereist ist«

Der Kaiser, die Schratt – und ihr »gehörnter« Ehemann

Durch eine gemeinsame Bekannte lernte ich den Wiener Universitätsprofessor Herbert Kiss kennen, seines Zeichens Arzt in dritter Generation. Er ist ein Nachfahre des ungarischen Landedelmannes Nikolaus von Kiss*, der wiederum der Ehemann der Schauspielerin Katharina Schratt war, auch in jener Zeit, als sie mit dem Kaiser ein »Pantscherl« hatte.

Hunderte Briefe hat Kaiser Franz Joseph im Lauf seiner langjährigen Beziehung an die Schratt geschrieben, die meisten sind vollinhaltlich bekannt, wurden in Geschichtsbüchern und Biografien Wort für Wort veröffentlicht. Herbert Kiss ist jedoch im Besitz eines Schreibens, das man bislang nur in Auszügen kennt. Der Monarch hatte es 1899 an die »Gnädige Frau«, wie er die Schratt nannte, geschickt.

Warum aber ist gerade dieser Brief, im Gegensatz zu all den anderen, nicht in seiner Gesamtheit an die Öffentlichkeit gelangt, warum fehlen hier einige Absätze?

Und wäre es nicht überhaupt interessant, dachte ich mir, die Geschichte einmal von der anderen Seite zu betrachten? Nicht wie üblich aus der Sichtweise des Kaisers und der Schratt, sondern aus der des »gehörnten« Ehemannes. Herbert Kiss legte mir sämtliche Dokumente, Unterlagen und Bilder vor, die sich im Besitz seiner Familie befinden. Inklusive des bisher nur bruchstückweise bekannten Kaiser-Briefes an Katharina Schratt.

Die Familie Kiss de Ittebe entstammt einem alten Geschlecht ungarischer Großgrundbesitzer, das 1760 von Maria Theresia in den Adelsstand erhoben wurde. Die Mitglieder der Familie waren über viele Generationen treue Diener des Hauses Habsburg, doch im Jahr 1848 schloss sich der k. k. Oberst i. R. Ernő von Kiss* der Revolution an und widersetzte sich damit dem Kaiserhaus. Von den Aufständischen in den Generalsrang erhoben, stand er den Revolutionstruppen als Oberbefehlshaber vor, bis er festgenommen, vom Kaiser zum Tode verurteilt und am 6. Oktober 1849 durch Erschießung hingerichtet wurde. Die besondere Tragik im Fall Ernő von Kiss: Er soll noch begnadigt worden sein, doch die Amnestie ist zu spät eingelangt.

Franz Joseph war, als er das Urteil fällte, neunzehn Jahre alt, eben erst Kaiser geworden und stand noch unter dem Einfluss seiner herrschsüchtigen Mutter Sophie. Ihn drückte sein Leben lang das Schuldgefühl, der Exekution von Kiss und anderen Generälen zugestimmt zu haben. Zu Kaiserin Elisabeth sagte er mehrmals, wie sehr ihn der Tod der Revolutionäre bedrücken würde: »Wenn ich könnte, würde ich sie mit meinen eigenen Fingern wieder ausgraben.«

Die Amnestie kam zu spät: Ernő von Kiss wurde irrtümlich hingerichtet.

34 Jahre später wird die junge Schauspielerin Katharina Schratt zum ersten Mal in ihrem Leben von Kaiser Franz Joseph in Audienz empfangen. Man schreibt das Jahr 1883, und sie wurde eben an das k. u. k. Hofburgtheater engagiert. Wie in solchen Fällen üblich, zitierte man sie nach Schönbrunn, um sich ihrem obersten Dienstherrn vorzustellen. Dem Kaiser gefällt die naive Befangenheit, mit der die dreißigjährige Schauspielerin vor ihm steht, doch führt dieser »Auftritt« noch keineswegs zu der späterhin so innigen Verbindung.

Wenige Wochen nach dieser ersten unspektakulären Audienz ersucht die Schratt um einen weiteren Termin beim Kaiser. Sie ist seit vier Jahren mit Nikolaus von Kiss – dem Neffen des hingerichteten Revolutionsgenerals – verheiratet, mit dem sie einen drei Jahre alten Sohn* hat. Die Ehe existiert praktisch nur auf dem Papier, schon weil sich Kiss als k. k. Konsul in Tunis, Buenos Aires, Barcelona und Algier aufhält, kaum jedoch in Wien. Abgesehen davon haben die beiden ganz unterschiedliche Interessen und sind in ihrer Lebensweise völlig konträr.

Dabei hatte alles so romantisch begonnen. Der um ein Jahr ältere Kiss war einer von vielen, die sich um die damals schon bekannte Schauspielerin bemühten, er war ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle, in den man sich leicht verlieben konnte. Auch oder vielleicht gerade wenn man aus eher einfachen bürgerlichen Verhältnissen stammte wie die Schratt – ihr Vater hatte eine kleine Papierwarenhandlung in Baden bei Wien.

»Der Onkel Nikolaus war ein echter Grandseigneur«, erzählte mir die neunzigjährige Schratt-Nichte Katharina Hryntschak im Jahr 1982, als ich eine Biografie über ihre Tante Katharina Schratt schrieb. »Wenn er bei der Tür hereingekommen ist, braun gebrannt mit einem Monokel im Aug, hat man geglaubt, er ist ein Pascha – wie aus dem Bilderbuch. Er konnte seine Herkunft aus dem Banat, wo seine Familie riesige Ländereien besessen hat, nicht leugnen.«

Doch auch wenn’s mit der großen Liebe bald vorbei war, fühlt die Schratt sich seiner Familie gegenüber verpflichtet. Und diese hat mit dem Kaiserhaus noch eine Rechnung offen. Franz Joseph hatte sich nach dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich im Jahr 1867 bereit erklärt, die eingezogenen Vermögen der hingerichteten Revolutionsoffiziere an deren Erben auszuzahlen. Das galt auch im Fall Kiss. Doch die in finanziellen Fragen leichtfertigen Mitglieder der Familie hatten das aus beachtlichen Gütern bestehende Vermögen längst wieder verloren, ja die meisten von ihnen – einschließlich der Schratt und ihres Mannes – waren dank ihres aufwendigen Lebensstils chronisch verschuldet.

»Ein echter Grandseigneur«: Nikolaus von Kiss und Ehefrau Katharina Schratt

Die Familie Kiss brauchte also dringend Geld. Und das war der Grund für Katharina Schratts zweite Audienz beim Kaiser. Sie ging zu ihm, um die Erträge einzufordern, die der Familie zwischen Beschlagnahme der Güter im Jahr 1848 und deren Retournierung 1867 entgangen waren.

Der Kaiser hört sich ruhig an, was die junge Frau vorträgt, doch die Familie Kiss sollte das eingeforderte Geld nie erhalten, da die Ungarn der Meinung waren, dass es unstatthaft sei, »eine Familie, die infolge Leichtsinns zugrunde gegangen ist, aus staatlichen Mitteln wieder aufzurichten«.

Noch fehlt die schützende Hand des Kaisers.

Nach dieser zweiten Audienz vergingen drei weitere Jahre, bis die Schratt und Franz Joseph einander wieder sahen und endlich nahekamen. Es war Kaiserin Elisabeth, die diese Freundschaft in die Wege leitete, als sie den Maler Heinrich von Angeli beauftragte, ein Porträt der Schratt anzufertigen, das sie dem Kaiser schenken wollte. Geschickt verstand es Elisabeth, der in Theatervorstellungen aufgefallen war, dass die Schratt ihrem Mann gefiel, ein Treffen Franz Josephs mit der Schauspielerin in Angelis Atelier einzufädeln. Das war am 21. Mai 1886, und von diesem Tage an blieben Kaiser und Schauspielerin in ständigem Kontakt.

Elisabeths Plan war es, Franz Joseph in guten Händen zu wissen, während sie sich, permanent auf Reisen, nicht um ihn kümmern konnte. Tatsächlich entstand eine tiefe Freundschaft, die der Kaiser selbst in seinen Briefen an die Schratt als »innigste Liebe« bezeichnete, und die – bis auf eine einjährige Unterbrechung* – dreißig Jahre, bis zu seinem Tod, andauerte.

Die Freundschaft des ungleichen Paares überstand auch die beiden schlimmsten persönlichen Schicksalsschläge, die der Kaiser zu erleiden hatte: den Tod seines Sohnes Rudolf in Mayerling im Jänner 1889 und die Ermordung seiner Frau Elisabeth in Genf im September 1898.

Die Ehe der Schratt mit Nikolaus von Kiss blieb in all den Jahrzehnten aufrecht, auch wenn wir aus gesicherten Quellen wissen – die Korrespondenzen sind vorhanden –, dass die Schauspielerin abgesehen vom Kaiser in dieser Zeit auch Beziehungen mit drei weiteren Herren hatte: mit dem Gutsherrn Hans Graf Wilczek, mit König Ferdinand von Bulgarien und mit dem damals beliebten Wiener Schauspieler Viktor Kutschera.

Als Nikolaus von Kiss am 20. Mai 1909 im Alter von 57 Jahren einem Herzschlag erliegt, tritt Katharina Schratt als seine Witwe sein Erbe an. Erst nach ihrem Tod im Zweiten Weltkrieg erbt Anton Baron Kiss – der gemeinsame Sohn des Ehepaares – das Familiensilber.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn zu den Erbstücken gehören außergewöhnliche Wertgegenstände, die sich heute noch im Besitz der Familie Kiss befinden. Außergewöhnlich sind sie, weil es sich um Utensilien handelt, die durchwegs mit der Beziehung des Kaisers und seiner »Seelenfreundin« in Zusammenhang stehen.

Katharina Schratts Sohn Anton Baron Kiss erbte das Familiensilber.

Da wären etwa das komplette Service, die Trinkgläser und das Silberbesteck für zwölf Personen, mit denen »Kathi« ihrem »Allerhöchsten Gast« Frühstück und Jause servierte, wenn er sie in ihrer Villa in der Hietzinger Gloriettegasse besuchte. Jedes einzelne Stück des Service ist mit der Krone aus dem Wappen der Familie Kiss versehen. Im Nachlass findet sich auch Franz Josephs Zigarrenabschneider, eine goldene Taschenuhr vom Ehemann der Schratt und der von Maria Theresia eigenhändig unterschriebene Adelsbrief der Familie Kiss.

Das Service, auf dem die Schratt dem Kaiser das Frühstück servierte

Ja, und der erwähnte, bisher nur teilweise bekannte Brief des Kaisers, der hier erstmals vollinhaltlich veröffentlicht wird. Er ist an »Frau Katharina von Kiss-Schratt, Bad Kissingen, Baiern, Königliches Kurhaus« gerichtet, wo sich die damals 46-jährige Schauspielerin gerade einer Heilbehandlung unterzog.

Um es gleich vorwegzunehmen: Der fünf Seiten lange Brief in Kaiser Franz Josephs Originalhandschrift enthält keine aufsehenerregenden Enthüllungen. Ich zitiere ihn dennoch, weil er bezeichnend ist für die schlichte Art und Schreibweise des Monarchen – wie in Franz Josephs Korrespondenz überhaupt fast nie tiefergehende oder gar intellektuelle Gedanken aufscheinen. Er erzählt meist simple Alltagsgeschichten, wie sie oft auch ganz einfache Bürgersleute erleben.

So kommt der Kaiser in dem Brief aus dem Kiss-Nachlass auf eine Schulprüfung des Schratt-Sohnes Toni zu sprechen, er sorgt sich um einen Wespenstich der geliebten Schauspielerin, schreibt über den bevorstehenden ersten Todestag der Kaiserin Elisabeth, über das Wetter und die Vegetation in Ischl, vom Eintreffen seines Friseurs, seinem frugalen Abendmahl und über Umbauarbeiten in der Hofburg. Gefühl zeigt er nur in der Abschiedsfloskel »von Ihrem, Sie innigst liebenden Franz Joseph«.

Und ein wenig Dreistigkeit ist dem Halbsatz zu entnehmen, »ob Kiss* endlich abgereist ist, vergaß ich zu fragen, ich hoffe es aber«.

Die Historikerin Brigitte Hamann hat 1992 die Briefe Kaiser Franz Josephs an Katharina Schratt als Buch herausgegeben, in dem sie die verfügbare Korrespondenz des Monarchen an die Schauspielerin minutiös wiedergibt. Doch ausgerechnet der Absatz mit den Worten »ob Kiss endlich abgereist ist, vergaß ich zu fragen, ich hoffe es aber« – ausgerechnet dieser Absatz fehlt.

Über den Brief oder eine Kopie davon muss Hamann verfügt haben, da sie eine andere Stelle daraus zitiert. Die Elisabeth-Biografin zeigt sich hier entgegen anderen Teilen der Korrespondenz von ihrer diskreten Seite, was wohl daran lag, dass sie im Gegensatz zu anderen Historikern die Ansicht vertrat, der Kaiser und die Schratt hätten keine Liebesbeziehung, sondern lediglich eine platonische Freundschaft unterhalten. Der Halbsatz »ob Kiss endlich abgereist ist, vergaß ich zu fragen, ich hoffe es aber« zeigt jedoch, wie eifersüchtig der Kaiser auf Schratts Ehemann reagierte – und Eifersucht passte so gar nicht ins Konzept einer platonischen Liebe. Hat die angesehene und verdienstvolle Historikerin Brigitte Hamann den Absatz deshalb weggelassen?

Das jedenfalls ist der erstmals abgedruckte komplette Brief des Kaisers an die Schratt aus dem Besitz der Familie Kiss, den sie mir für dieses Buch zur Verfügung stellte:

Schönbrunn den 7. September 1899

Meine liebe gute Freundin, wieder habe ich für einen lieben Brief und für ein Telegramm innigst zu danken, welches mir abermals ein Schreiben ankündigt, das ich heute zu erhalten hoffe. So viel Fleiß, trotz Kur, Nerven und Müdigkeit ist rührend und unendlich anerkennenswerth. Ihren lieben Brief vom 4. hat mir vorgestern Vormittag Netti* persönlich gebracht, ich ließ sie zu mir kommen und erfuhr von ihr, daß Toni bereits in der Gloriette Gasse weilt, um sich für die Prüfung vorzubereiten, ob Kiss endlich abgereist ist, vergaß ich zu fragen, ich hoffe es aber.

Sie schreiben mir fast nur von Scheusal, Oberengel, sogar Erzengel, aber nichts vom Wespenstiche und seinen Folgen, was mich viel mehr interessirt hätte, als wie Ihre Selbstanklagen und die Verherrlichung meiner altersschwachen Person.

Daß Sie oft an unsere Verklärte** denken, ist so gut von Ihnen und ich danke Ihnen. Am 10. werde ich mit Gisela meine Andacht verrichten und dann werden Sie mich um 8 Uhr in Gedanken in die Gruft begleiten. Von Ischl habe ich beruhigende Nachrichten und ich denke, daß Valérie bald nach Wallsee übersiedeln wird. Aber außer Ella waren auch die beiden Buben unwohl, aber in viel geringerem Grade, nur Hedwig blieb ganz wohl. Jetzt haben wir hier sehr warmes, schönes Wetter. Besonders gestern Abend war es sehr schwül und jetzt, 5 Uhr Früh, sind schon 14 °. Ich war noch gar nicht im Garten, aber so viel ich aus meinem Fenster und bei meinen Fahrten sehe, ist die Vegetation im Vergleiche mit dem noch so frisch grünen Ischl, schon recht vertrocknet, dürr und gelb.

Vorgestern war Minister Präsident v. Széll* um 9 Uhr hier bei mir, um 10 Uhr kam mein Friseur, den ich aus Ischl hatte kommen lassen und um ½ 12 Uhr machte ich in russischer Uniform der alten Großfürstin im Hofwartesalon des Westbahnhofes meine Aufwartung. Sie ist gerade so alt wie ich, ich muß aber selbst zugeben, daß ich weniger alt aussehe wie sie. Sie schwätzte unaufhörlich, und war eigentlich rührend. Bald darauf machte sie mir hier eine Visite, von welcher sie sich nicht hatte abbringen lassen, welche aber zum Glücke nicht zu lange ausfiel.

Dann war noch Minister von Kállay** bei mir, um 3 Uhr speiste ich allein und Abends nahm ich, so wie in Ischl, sauere und süße Milch.

»Ob Kiss endlich abgereist ist«: Anfang und Ende des Briefes Kaiser Franz Josephs an Katharina Schratt vom 7. September 1899 aus dem Besitz der Familie Kiss

Gestern bin ich um 6 Uhr Früh vom Franz Joseph Bahnhofe nach Hötzelsdorf bei Horn gefahren, wo die Reitpferde warteten. Ich wohnte einem besonders gelungenen Manöver des Wiener Armeekorps bei, welches bis 11 Uhr dauerte. Trotz der Hitze hielten die Truppen sehr gut aus.

Um 2 Uhr war ich wieder hier und speiste allein um 4 Uhr.

Heute bleibe ich hier und erst morgen werde ich zum ersten Male in die Burg fahren, wo ich die provisorische Wohnung mit der Aussicht auf den äußeren Burgplatz benützen werde, da in meiner persönlichen Wohnung noch gearbeitet wird.

So, jetzt bin ich mit meinem Berichte fertig, daher Adieu, theuerste Freundin und herzlichste Grüße von Ihrem, Sie innigst liebenden Franz Joseph

Die Formulierung »ob Kiss endlich abgereist ist« zeigt die zeitweise Präsenz des Schratt-Gemahls in Wien und dass dieser in ihrem Leben doch eine bedeutendere Rolle spielte als bisher angenommen. Und sie zeigt die erwähnte Eifersucht des Kaisers.

Anton von Kiss litt unter dem Verhältnis seiner Mutter zum Kaiser. Nicht nur, dass er von seinen Mitschülern ständig auf Ähnlichkeiten mit Franz Joseph unter die Lupe genommen wurde, bekam er auch einen anonymen Brief mit diffamierenden Äußerungen, die einen ziemlichen Schock in ihm auslösten.

Toni maturierte im Wiener Elitegymnasium Theresianum, war verheiratet, wurde wie sein Vater in den diplomatischen Dienst aufgenommen und brachte es zum Attaché beziehungsweise Legationsrat in Konstantinopel, Stockholm und Brüssel.

Obwohl Kaiser Franz Joseph ihm die Baronie ad personam verlieh, riet Toni Kiss seiner Mutter mehrmals eindringlich, ihre Liaison mit dem Monarchen zu beenden, wohl weil er davon ausging, dass es seiner diplomatischen Karriere schaden würde, Sohn einer Mätresse zu sein. Doch die Schratt blieb dem Kaiser innigst verbunden.

In meiner Schratt-Biografie aus dem Jahre 1982 gehe ich auf die mir nicht nur aus Kirchenkreisen mehrfach zugespielte Vermutung ein, dass Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt, nachdem beide verwitwet waren, in der Andreaskapelle des Erzbischöflichen Palais zu Wien eine »Gewissensehe«* eingegangen seien.

Den ersten diesbezüglichen Hinweis gab mir der Politologe Norbert Leser, dessen Lehrer August Maria Knoll am 30. Juni 1934 Trauzeuge einer anderen Gewissenshochzeit – zwischen Edeltraut Dobrucka und dem Medizinstudenten Otto Wagner – gewesen war. Als der Priester das Trauungsbuch, in dem Geheimehen eingetragen wurden, aufschlug, konnten sowohl Knoll als auch das Trauungspaar klar und deutlich die vor ihnen gereihte Eintragung lesen: »Franz Joseph von Habsburg-Lothringen und Katharina Kiss de Ittebe geb. Schratt«.

Alle drei Zeugen dieser Eintragung waren zu dem Zeitpunkt, als ich das Schratt-Buch schrieb, bereits tot. Doch sie hatten zu ihren Lebzeiten mehreren, ihnen nahestehenden Personen von ihrer Beobachtung berichtet: August Maria Knoll seinen Söhnen Reinhold, Norbert und Wolfgang und seinem Schüler Norbert Leser.

Der Ehe Otto Wagner – Edeltraut Dobrucka entsprangen drei Kinder: Otto Wagner jun. war Oberarzt der Ersten Chirurgischen Universitätsklinik, seine Schwestern Edeltraud Lothaller Zahnärztin und Barbara Binder-Kriegelstein Gymnasialprofessorin in Wien. Alle drei bestätigten in eidesstattlichen Erklärungen, »dass unsere Eltern am Tag ihrer Eheschließung die Eintragung im Trauungsbuch gesehen haben. Sowohl unser Vater als auch unsere Mutter haben mehrmals davon gesprochen und empfanden es als begrüßenswerten Zug des Kaisers, Frau Schratt geheiratet zu haben.«

Otto Wagner jun. war mit der Familie Kiss bekannt und hat dieser mehrmals von der überlieferten Eintragung im Trauungsbuch erzählt. »Professor Wagner war absolut seriös und zu hundert Prozent zuverlässig«, sagt Herbert Kiss’ Vater Gerald Kiss, »ich kann somit ausschließen, dass er diese Geschichte erfunden hat. So gesehen erscheint uns die Möglichkeit einer Geheimhochzeit des Kaisers mit Katharina Schratt durchaus glaubwürdig.«

Als Katharina Schratt am 17. April 1940 mit 86 Jahren starb, erbte ihr Sohn Toni die Villa in der Gloriettegasse und das Palais am Kärntner Ring, die er in der Folge verkaufen musste, da er wie die meisten seiner Vorfahren auf allzu großem Fuß gelebt hatte. In seinem Nachlass verblieben der von Maria Theresia eigenhändig unterschriebene Adelsbrief, das Service, die Trinkgläser und das Silberbesteck, mit denen Franz Joseph sein Frühstück und den berühmten Guglhupf der Schratt einnahm, sowie die Briefe des Kaisers und einige Bilder der Ahnengalerie. Als Toni 1970 kinderlos starb, erbte seine Wirtschafterin des Kaisers Briefe, die sie an die Österreichische Nationalbibliothek verkaufte. Bis auf den einen mit dem Halbsatz »ob Kiss endlich abgereist ist, vergaß ich zu fragen, ich hoffe es aber«.

Diesen Brief übergab sie nebst Geschirr, Besteck und Bildern dem damaligen Familienoberhaupt Emil Kiss, wodurch sich diese Gegenstände heute im Besitz von dessen Enkel Herbert Kiss befinden.

* Nikolaus von Kiss de Ittebe, 1852–1909

* Ernő von Kiss, 1799–1849

* Anton »Toni« von Kiss, 1880–1970

* Siehe das Kapitel über die Tagebücher der Erzherzogin Marie Valerie auf den Seiten 245–271

* Gemeint ist der Schratt-Ehemann Nikolaus von Kiss.

* Netti Schütz, Jugendfreundin und Gesellschafterin von Katharina Schratt

** So nannte Franz Joseph Kaiserin Elisabeth, die ein Jahr davor, am 10. September 1898, in Genf ermordet worden war.

* Kálmán von Széll, 1843–1915, ungarischer Regierungschef von 1899 bis 1903

** Benjámin von Kállay, 1839–1903, von 1882–1903 Reichsfinanzminister Österreich-Ungarns

* Die Gewissensehe (matrimonium conscientiae) ist laut katholischem Kirchenrecht »die Ehe, die wohl in der ordentlichen Form (also vor Gott, Anm.), aber ohne Verkündigung geschlossen und geheim gehalten wird«.

Habsburger in der Schule

Unterricht nur von Privatlehrern

Als ich einmal gefragt wurde, wie die Habsburger in der Schule waren, antwortete ich wahrheitsgemäß: »Sie waren überhaupt nicht in der Schule!« Fast alle Erzherzöge und die späteren Monarchen erhielten ihren Unterricht von Privatlehrern.

Es war undenkbar, dass ein Thronfolger mit »gewöhnlichen Kindern« die Schulbank drückte, die Mitglieder des Hauses Habsburg lebten vom ersten Tag ihres Lebens an unter einem Glassturz. Was ihre individuelle Ausbildung betraf, hing diese sehr stark von der Qualität ihrer Lehrer ab, und da gab es hervorragende, aber auch solche, die keine Scheu hatten, hochgeborene Schüler zur Strafe stundenlang einzusperren.

Bei den »hohen Töchtern« legte man zwar Wert auf gutes Auftreten, jede weitere Ausbildung wurde aber meist vernachlässigt, da von vornherein feststand, dass Frauen im politischen Leben keine bedeutsamen Rollen spielen würden. »Nie kannte sie sich in der Grammatik aus«, schreibt Irmgard Schiel in ihrer Biografie über die österreichische Erzherzogin Marie Louise, die spätere Frau Napoleons. »Sie verwechselte regelmäßig den Dativ mit dem Akkusativ (›in diesen Augenblick‹), sie schrieb ›ich wir‹ statt ›ich werde‹ und verwechselte ›daß‹ mit ›das‹ und ›wahr‹ mit ›war‹…«

Wie es um die Bildung in der Frühzeit des Hauses Habsburg bestellt war, erkennt man daran, dass dessen Stammvater, Rudolf I., Analphabet war, weshalb ihm in seiner Regentschaft von 1273 bis 1291 sämtliche Texte vorgelesen werden mussten.

In den folgenden Jahrhunderten besserte sich der Wissensstand im Kaiserhaus, Maria Theresia genoss eine erstklassige Ausbildung – wenn auch ohne auf ihre Rolle als Regentin vorbereitet zu werden. Sie selbst erkannte später, wie wichtig Bildung ist, überwachte die Erziehung ihrer sechzehn Kinder persönlich und führte die Schulpflicht für ihre Untertanen ein.

Maria Theresia, hier als elfjährige Erzherzogin, genoss eine erstklassige Ausbildung, ohne jedoch auf ihre Rolle als Regentin vorbereitet zu werden.

Doch der Unterricht von Angehörigen des Hofs blieb weiterhin privaten Pädagogen vorbehalten, da eine »Mischung« mit dem Volk ausgeschlossen war.

Auch der spätere Kaiser Franz Joseph wurde ausschließlich von Privatlehrern unterrichtet.

Beim späteren Kaiser Franz Joseph wurde – wie seine bis heute aufbewahrte »Stunden-Eintheilung« zeigt – schon im Volksschulalter auf breite Bildung geachtet. Man lehrte den Sechsjährigen Geografie und Religion, Deutsch, Französisch und Ungarisch, später kamen Latein, Griechisch, Tschechisch, Italienisch und Polnisch hinzu, da der künftige Monarch die Sprachen seiner Völker beherrschen sollte. Weitere Fächer waren Mathematik, Physik und Geschichte. Die Angehörigen des Kaiserhauses wurden zwar von ihren Lehrern geprüft, Benotungen im herkömmlichen Sinn gab es aber nur in seltenen Fällen.

Viel wichtiger war die soldatische Ausbildung der Erzherzöge, die schon im Kindesalter Militärkunde, Exerzieren und den Umgang mit Waffen über sich ergehen lassen mussten. So kam es, dass Franz Joseph mit dreizehn Jahren Oberst war und sein Sohn Rudolf sogar schon am zweiten Tag (!) seines Lebens.

Während Franz Joseph mit seiner Ausbildung zufrieden war, zeigte sich Rudolf – dem bis zu fünfzig Privatlehrer zur Seite standen – unglücklich darüber, keine Schulen und Universitäten besuchen zu dürfen, zumal er sich für Naturwissenschaften begeisterte und gerne mehr über die Tier- und Pflanzenwelt erfahren hätte. Im konservativen Denken seines Vaters war der Besuch einer Mittel- oder Hochschule jedoch »nicht standesgemäß«.

Rudolfs jüngste Schwester Marie Valerie hinterließ uns in ihrem Tagebuch*, wie der »schulische« Alltag einer elfjährigen Erzherzogin verlief:

Zwischen ½ 8 und 8 Uhr Aufstehen, Frühstück, um 9 Uhr kommt der Bischof (Religionsunterricht, Anm.) … von 10 bis 11 spreche ich französisch, um 11 (wieder Religion, Anm). Um 12 ziehe ich mich zum Ausfahren an oder wenn wir nicht ausfahren freie Zeit für mein Tagebuch oder Le journal de Marguerite oder was immer, am liebsten deklamiere ich z. B. Die Bürgschaft, Graf von Habsburg, beides von Schiller. Um 2 Uhr habe ich ½ Stunde Rechnen, um 3 Uhr speisen wir, danach spreche ich bis gegen ½ 6 Englisch, dann folgt die Klavierstunde, dann ist die englische oder französische Lektion. Um ½ 7 Uhr … Tanzstunde bis 7 Uhr, da ist Souper … Nach ½ 8 kommt Papa bis 8 Uhr. Da gehe ich ins Bett.