Alles aus Neugier - Georg Markus - E-Book

Alles aus Neugier E-Book

Georg Markus

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Beschreibung

"Eine gesunde Portion Neugierde steckt in jedem Menschen, wer aber Bücher schreibt, sollte besonders neugierig sein." In den 40 Jahren seiner Karriere als Autor und Journalist hat sein Wissensdurst Georg Markus zu einer Vielzahl von spannenden historischen und zeitgenössischen Entdeckungen verholfen. Mit Blick von heute beleuchtet der Erfolgsautor seine besten Geschichten neu, ergänzt bisher unbekannte Erkenntnisse sowie geheime Details und verrät, wie "Alles aus Neugier" entstanden ist. Aus dem Inhalt: Beethovens Verhaftung Frau Schratt geht fremd Wie viel verdiente Mozart? Wie ich Mary Vetseras Gebeine fand Brahms lag im Papierkorb Das Phantombild des Herrn Karl Ein Tagebuch zum Spionagefall Redl Die Rache der Kronprinzessin Kennedy & Kaiserhaus Wie ich den Donauwalzer rettete u. v. a.

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Seitenzahl: 320

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GEORGMARKUS

Alles ausNeugier

40 Geschichtenaus 40 Jahren

Mit 79 Abbildungen

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2019 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

Umschlagabbildung: Zuschauer mit Ferngläsern © ullstein bild/Ullstein Bild/picturedesk.com

Herstellung und Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

Gesetzt aus der 12,5/17,17 pt Goudy Old Style

Designed in Austria, printed in the EU

ISBN 978-3-99050-160-3

eISBN 978-3-903217-39-3

INHALT

LEIDENSCHAFTLICH NEUGIERIGVorwort

BEETHOVENS VERHAFTUNGDie Festnahme des Musikgenies

DIE DIVAUND DER MÖRDERTherese Krones und Severin von Jaroszynski

DER MANN, DEN EINSTEIN VEREHRTEKurt Gödel, ein Leben zwischen Genie und Wahnsinn

DIE TANTE JOLESCH LEBT!Meine Begegnungen mit ihren Enkeln

DIE GEHEIMEHEKaiser Franz Joseph und die Schauspielerin

FRAU SCHRATTGEHT FREMDAffären, die sie dem Kaiser verschwieg

WIE VIEL VERDIENTE MOZART?Die finanzielle Situation des Komponisten

EIN BLICK IN DEN PANZERSCHRANKWie ich das Geheimrezept der Sachertorte fand

WARUM DAS PUBLIKUM SCHULD ISTÜber das Problem, einen Buchtitel zu finden

»DIE WILDE BRUT«Alltag in Maria Theresias Großfamilie

DER REGIE-SIREin Nachmittag mit Billy Wilder

»MEINE SCHWESTER MERCÉDÈS«Ein Mädchenname wird berühmt

»DAS GRAB IST LEER«!Wie ich Mary Vetseras Gebeine fand

HITLER RETTET EINE SYNAGOGEoder Der »Führer« irrt sich

TOD DURCH ABERGLAUBENDer letzte Tag im Leben des Arnold Schönberg

»WAS NIMMST DU FÜR EINEN KÜNSTLERNAMEN?«Die Hörbiger-Dynastie

DIE FÜRSTIN UND DAS GIFTDas aufregende Leben der Elisabeth Thury

»MIR BLIEB DOCH WAS ERSPART«Eine Begegnung mit Kaiser Franz Joseph

BRAHMS LAG IM PAPIERKORBProfessor Marcus macht eine Entdeckung

DIE RITTER VON LAUDABlaues Blut unterm roten Kapperl

»GANZ DIE VÄTER!«Geschichten und Geschichte des österreichischen Humors

»MEIN LETZTER KRIEG«Aus Sigmund Freuds Leben

DER HERR INSPEKTOR UND DER OPERNSTARLjuba Welitsch heiratet – und lässt sich wieder scheiden

IST HERR PACHMANN EIN HABSBURGER?Ein Sohn für Kronprinz Rudolf

EIN BISSERL WIE DER »FÜHRER«Das Phantombild des Herrn Karl

DIE ERSTE FRAU DOKTORGabriele Possanner setzt sich durch

»DER SKANDAL IST NOCH VIEL SCHLIMMER«Ein Tagebuch zum Spionagefall Redl

IS’ ALLES HIN?Zur Frage, ob es den »lieben Augustin« gegeben hat

DIE RACHE DER KRONPRINZESSINStephanies Testament taucht auf

GOTT SEI DANK EIN SCHLECHTER SCHÜLERUngewöhnliches von Richard Strauss

DIE NACKTE KAISERINoder Franz Joseph wird erpresst

DER ZWEITE ATTENTÄTERNeues zum Dollfuß-Mord

»ALLES GERETTET, KAISERLICHE HOHEIT«Franz von Jauner und der Ringtheaterbrand

DER FALSCHE FRANZ OLAHEine merkwürdige Verwechslung

»ICH SCHAU DIR IN DIE AUGEN, KLEINES!«Casablanca allzu wörtlich genommen

KLEINER MANN MIT GROSSER STIMMEDie Tragödie des Joseph Schmidt

KENNEDY & KAISERHAUSEine ungewöhnliche Familiengeschichte

DEM SOHN IN DEN TOD GEFOLGTHofmannsthals letzte Stunde

JOHANN STRAUSS ENTSCHULDIGT SICHoder Wie ich den Donauwalzer rettete

SARAJEVO BLEIBT OHNE FOLGENKaiser Franz Ferdinand I., eine Fiktion

BILDNACHWEIS

NAMENREGISTER

LEIDENSCHAFTLICH NEUGIERIG

Vorwort

Eine gesunde Portion Neugierde steckt in jedem Menschen, wer aber Bücher schreibt, sollte besonders neugierig sein. Ohne diese Neugierde hätte ich wohl nicht herausgefunden, dass Mary Vetsera aus ihrem Grab gestohlen wurde, dass Kaiser Franz Joseph und die Schratt heimlich geheiratet haben, dass John F. Kennedy einen unehelichen Sohn mit einer Österreicherin hatte und aus welchen Ingredienzien sich das Geheimrezept der Sachertorte zusammensetzt. Ich hätte nicht das bis dahin unauffindbare Testament der Witwe des Kronprinzen Rudolf entdeckt und auch das Kapitel »Wie ich den Donauwalzer rettete« wäre nicht entstanden.

Vor 40 Jahren, im Herbst 1979, habe ich mein erstes Buch veröffentlicht. Nachdem seither jedes Jahr ein weiteres hinzukam, kann man sich leicht ausrechnen, wie viele es mittlerweile geworden sind. 40 Bücher, das sind Hunderte »Geschichten mit Geschichte« und zahlreiche Porträts historischer Persönlichkeiten. Immer wieder werde ich darauf angesprochen, ob man die Bücher, in denen diese und jene Geschichte zu finden ist, noch käuflich erwerben könne, ob das Schratt- oder das Oberst-Redl-Buch, der Kriminalfall Mayerling, Meine Reisen in die Vergangenheit, Neues von Gestern, Adressen mit Geschichte, Die ganz Großen oder Die Enkel der Tante Jolesch noch lieferbar wären. Leider, muss ich antworten, diese und andere meiner Bücher sind in unserer schnelllebigen Zeit vergriffen, liegen in den Buchhandlungen nicht mehr auf.

Also haben der Amalthea Verlag und ich beschlossen, aus Anlass des 40-jährigen Jubiläums den Sammelband herauszubringen, den Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, nun in Händen halten. Mit Auszügen, ganzen beziehungsweise neu bearbeiteten Kapiteln aus bisher erschienenen Büchern.

Mein erstes Buch waren – damals von mir noch als Ghostwriter verfasst – die Memoiren von Paul Hörbiger, Jahre später folgte mit Die Hörbigers die Biografie der gesamten Film- und Theaterdynastie. Die (wie ich hoffe) spannendsten Geschichten daraus sind hier zusammengefasst. In anderen Kapiteln erfährt man, wie viel Mozart verdiente, wie der Alltag der Maria Theresia und ihrer Großfamilie ablief, ob der liebe Augustin wirklich gelebt hat und von historischen Kriminalfällen, darunter auch jenem, als Kaiser Franz Joseph 1872 mit Nacktfotos seiner Frau Elisabeth erpresst wurde.

Eine nicht alltägliche Lovestory ist die der weltberühmten Opernsängerin Ljuba Welitsch, die einen einfachen Rayonsinspektor der Wiener Polizei heiratete, eine andere handelt von Michael Curtiz, dem Regisseur des Kultfilms Casablanca, der mit einem Gutteil der Schauspielerinnen und Statistinnen, die in seinen Filmen mitwirkten, zarte Bande knüpfte. Apropos Hollywood: Als eher skurril sollte sich das Kapitel Der Regie-Sir erweisen, das einen Nachmittag schildert, den ich mit Billy Wilder zubrachte.

Katharina Schratt ist die Einzige, der in diesem Buch zwei Kapitel gewidmet sind: Neben einem über ihre Geheimehe mit Franz Joseph findet sich eines über die Affären, die sie parallel zu der mit dem Kaiser hatte. Weitere Kapitel betreffen die von mehreren Gerichten als Habsburger-Nachfahren anerkannte Familie Pachmann, die Geschichte der Ritter von Lauda, das Vorbild für Helmut Qualtingers Herrn Karl, die tragischen Todesfälle des Sängers Joseph Schmidt, des Komponisten Arnold Schönberg und des Dichters Hugo von Hofmannsthal.

Dennoch: Wie in allen meinen Büchern bemühe ich mich auch in den vorliegenden 40 Geschichten aus 40 Jahren die heiteren Seiten des Lebens nicht zu kurz kommen zu lassen. So habe ich in einem Kapitel einige der originellsten Anekdoten aus meinem Buch Die Enkel der Tante Jolesch zusammengefasst, in »Ganz die Väter« schildere ich Geschichten und Geschichte des österreichischen Humors, in »Mir blieb doch was erspart« führe ich ein fiktives Interview mit Kaiser Franz Joseph, der sich verwundert zeigt, wie sehr sich die Welt in den 100 Jahren seit seinem Tod verändert hat. Als unfreiwillig komisch erweisen sich »Beethovens Verhaftung«, »Brahms lag im Papierkorb« und das Richard-Strauss-Kuriosum »Gott sei Dank ein schlechter Schüler«.

Tragikomische Ansätze zeigt hingegen die außergewöhnliche Lebensgeschichte des überragenden Wiener Mathematikers Kurt Gödel, als dessen Freund Albert Einstein aufscheint. Und Einstein ist es auch, der die beste Erklärung für die Neugierde liefert, die den folgenden 304 Seiten zugrunde liegt: »Ich habe gar keine besondere Begabung«, sagte das Genie, »ich bin nur leidenschaftlich neugierig.«

Wer von uns ist das nicht, wir alle möchten viel erfahren und das möglichst komprimiert.

Und genau das ist auch die Idee hinter diesem Buch.

GEORG MARKUSWien, im August 2019

BEETHOVENS VERHAFTUNG

Die Festnahme des Musikgenies

Nein, er hat natürlich nichts angestellt, seine Verhaftung war ein Justizirrtum. Aber es stimmt: Ludwig van Beethoven wurde irgendwann in den Jahren 1821 oder 1822 – das genaue Datum lässt sich nicht mehr eruieren – in Wiener Neustadt festgenommen.

Beethoven, der die Natur über alles liebte und die Sommermonate gerne in Baden bei Wien verbrachte, unternahm oft ausgedehnte Spaziergänge, auf denen er gedankenverloren vor sich hinkomponierte. So auch an jenem Sommertag, an dem er die rund 24 Kilometer lange Strecke, den Wiener Neustädter Kanal entlang, von Baden nach Wiener Neustadt wanderte. In aller Früh losgezogen, kam der damals bereits vollkommen taube Komponist übermüdet gegen Abend am Wiener Neustädter Ungartor an, wo er das Misstrauen mehrerer Bauern und Winzer weckte, die den 52-jährigen »Vagabunden« zur Polizeiwache brachten.

Dem diensthabenden Polizisten fiel auf, dass der Fremde einen schäbigen alten Rock trug und keinen Hut aufhatte (was damals suspekt war). Während der Polizeikommissar den »Verdächtigen« in den Kerker brachte, erklärte der heruntergekommen wirkende Mann verzweifelt, dass er Beethoven sei. Doch das beeindruckte das Auge des Gesetzes keineswegs, der Polizist wollte nicht glauben, dass hinter der seltsamen Erscheinung das größte Musikgenie seiner Zeit steckte.

Die Polizeibeamten hielten Ludwig van Beethoven für einen Vagabunden.

Erst als der vermeintliche Landstreicher nach einem Bekannten – dem Wiener Neustädter Musikdirektor Anton Herzog – verlangte, konnte die Angelegenheit geklärt werden. Herzog wurde herbeigerufen, erkannte Beethoven und bat um dessen augenblickliche Freilassung, die dann – es war bereits Mitternacht geworden – auch erfolgte.

Ludwig van Beethoven war dankbar, die folgende Nacht im Gästezimmer des Hauses von Musikdirektor Herzog verbringen zu können. Am nächsten Morgen kam der Bürgermeister von Wiener Neustadt, um sich persönlich bei Beethoven zu entschuldigen. Danach ließ er das Musikgenie mit einer Kutsche nach Baden führen.

Fast zwei Jahrhunderte hat man sich in Wiener Neustadt über diese eher peinliche Episode in Schweigen gehüllt, mittlerweile ist man stolz darauf, dass Beethoven überhaupt da war. Längst gibt es eine Beethovengasse, die an den skurrilen Besuch des Musikgenies erinnern soll, und im Mai 2019 wurde die Komposition Verhaftung Beethovens von Robert M. Weiß in Wiener Neustadt uraufgeführt.

Aus der Kurier-Kolumne »Geschichten mit Geschichte« (28. März 2019)

DIE DIVA UND DER MÖRDER

Therese Krones und Severin von Jaroszynski

Sie war die beliebteste Schauspielerin ihrer Zeit. Therese Krones stand mit Ferdinand Raimund auf der Bühne und konnte ihr Publikum wie keine andere verzaubern. Bis sie eines Tages mit einem ganz gewöhnlichen Raubmörder in Verbindung kam.

Ihr Vater war Kürschnermeister und hatte sein Handwerk hingeworfen, um mit Frau und Töchtern eine Schauspieltruppe zu gründen. Therese trat als Zehnjährige in Kinderrollen auf Vaters Wanderbühne auf, gastierte mit elf im Leopoldstädter Theater und mit 15 an der Josefstadt.

Ferdinand Raimund war von ihrer Anmut so hingerissen, dass er der Krones die Rolle der Jugend in Der Bauer als Millionär auf den Leib schrieb. Doch just in dieser Phase des größten Erfolgs ihres Lebens geriet die Volksschauspielerin in das Umfeld eines Kriminalfalls, der ihr Leben auf den Kopf stellen sollte.

Der 1. Akt. Die Eroberung. Die 25 Jahre junge, bildhübsche Schauspielerin spaziert an einem Herbstsonntag des Jahres 1826, von der Mittagsmesse in der Michaelerkirche kommend, über den Graben, als ihr ein auffallend elegant gekleideter Herr entgegenkommt, den sie des Öfteren schon von der Bühne aus in seiner Loge beobachtet hat. Therese wirft ihm einen koketten Blick zu, der diesen ermutigt, den gefeierten Liebling der Wiener anzusprechen. Der Fremde gibt sich als Verehrer ihrer Schauspielkunst aus und bittet, sie demnächst besuchen zu dürfen.

Zwei Tage später klopft der Mann an der Wohnungstür und überreicht dem Dienstmädchen seine Visitenkarte, auf der in gestochenen Lettern »Le Comte Severin Jaroszynski« steht. Die Krones lässt bitten, und der Graf tritt ein. Er nimmt neben ihr auf der breiten Chaiselongue im Wohnzimmer Platz und erzählt mit polnischem Akzent seine Lebensgeschichte: Aus altem Adel stammend, sei er in Galizien durch Erbschaft in den Besitz riesiger Ländereien gelangt, die große Einkünfte abwarfen und ihm ein sorgenfreies Leben erlaubten. Überdies hätte er als Feldmarschall auf Seiten Napoleons gekämpft und den Malteserorden bekommen.

Nach vollbrachten Heldentaten des eintönigen Lebens auf dem Lande leid geworden, übergab er seine Güter einem Verwalter, um in Wien Quartier zu nehmen. Dies hätte er noch keinen Tag bereut, vor allem seit er die große Krones auf der Bühne gesehen und in sein Herz geschlossen hätte.

Wen wundert’s, dass die Schauspielerin auf ihrer Chaiselongue dahinschmolz. Da saß ein eleganter und offensichtlich steinreicher Aristokrat neben ihr, die aus kleinen Verhältnissen stammend zum Liebling der Wiener geworden war. Ein 37-jähriger Graf, der ernsthaftes Interesse für eine Soubrette zeigte, das war schon etwas Besonderes im biedermeierlichen Wien.

2. Akt. Die Liebe. Und Severin scheint ernst zu meinen, was er verspricht. Holt er sie doch von nun an regelmäßig nach der Vorstellung ab, um die von ihm Verehrte in mondäne Lokale zu führen. Es dauert auch nicht lange, bis Therese dem sicheren Auftreten und dem Charme des polnischen Edelmannes erliegt.

Sie war Wiens populärste Schauspielerin ihrer Zeit: Therese Krones

Jaroszynski zögert nicht, seinen scheinbar grenzenlosen Reichtum unter Beweis zu stellen. Er beschenkt die Diva mit Schmuck, Pelzen und teuren Kleidern und lässt all das wahr werden, was eine Schauspielerin vom Leben zu erträumen vermag. Sie ist einem Magnaten begegnet, der sie verehrt, ja zu lieben scheint, und der in der Lage ist, ihr die Welt zu Füßen zu legen.

Die Affäre der Schauspielerin mit Severin von Jaroszynski wurde im sensationslüsternen Wien zum Stadtgespräch. Das auffallende Paar tat auch nichts, um seine Liaison zu verbergen. Jaroszynski gab für die Krones und ihre Kollegen ausschweifende Trinkgelage, bei denen der Champagner in Strömen floss.

Die Schauspielerin wollte sich durch nichts in der Welt von ihrer Liebe zu dem Grafen abbringen lassen, auch nicht, als erste Gerüchte auftauchten, denen zufolge es mit dem Reichtum ihres Galans nicht so weit her sein sollte. So erzählte man am Theater, dass beim Schneider Wisgrill zwei Fracks, 15 Westen, zehn Pantalons und eine Dienerlivree offen wären, und dass ein stadtbekannter Wucherer auf Begleichung seiner Forderungen drängte. Die vor Liebe glückselige Künstlerin lachte nur, wenn Derartiges an sie herangetragen wurde, wusste sie doch aus Severins Erzählungen, dass vom Verwalter des gräflichen Anwesens namhafte Beträge nicht rechtzeitig überwiesen wurden, wodurch er in eine vorübergehende Verlegenheit geraten sei.

3. Akt. Der Raubmord. Doch dann geschieht Unglaubliches. Am 13. Februar 1827 wird der 70-jährige Priester und Mathematikprofessor Johann Konrad Blank in seiner Wohnung Ecke Seilerstätte/Annagasse von Schülern tot aufgefunden. Ein Unbekannter hat sein wehrloses Opfer mit mehreren Messerstichen getötet und Obligationen im Wert von 60 000 Gulden geraubt. Jaroszynski sprach mit der Krones über den Kriminalfall und zeigte, wie jedermann in Wien, seine große Erschütterung.

4. Akt. Die Verhaftung. Drei Tage später gibt der Graf in seiner eleganten Wohnung im Trattnerhof eines seiner feudalen Soupers, zu dem mehrere Freunde geladen sind. Gerade als die Krones zur Freude der illustren Gäste ihr berühmtes Lied Brüderlein fein anstimmt, wird die Wohnung durch Polizeibeamte gestürmt, von denen einer sofort losschreit: »Severin von Jaroszynski, Sie werden als Mörder von Professor Blank erkannt und verhaftet!«

Die Gäste glauben ihren Augen und Ohren nicht zu trauen, Therese Krones muss fassungslos mit ansehen, wie der geliebte Mann in Ketten gelegt und abgeführt wird. Zyniker bemerken, dass Raimunds Liedzeile »Einmal muss geschieden sein« noch nie so gepasst hätte wie in diesem dramatischen Augenblick.

Wie der Presse bekannt gegeben wird, hat der Täter nach dem Mord versucht, Wertpapiere aus dem Besitz seines Opfers beim Geldmakler Wedel am Graben zu verkaufen, der sofort Anzeige erstattete. Jaroszynski, sickerte jetzt durch, stammte zwar aus adligem, nicht jedoch aus gräflichem Hause. Er war mit einer Polin verheiratet, die ihm drei Kinder und ein großes Vermögen geschenkt hatte, das durch seine Verschwendungssucht und Spielleidenschaft verloren gegangen war. Als man ihm in seiner Heimat die Veruntreuung von Staatsgeldern nachwies, flüchtete er nach Wien, wo er Affären mit vielen Frauen pflegte. Eine von ihnen war die Krones.

Als störrischer Knabe war Severin schon in seiner Jugend von den Eltern zur Ausbildung nach Wien geschickt worden, wo Abbé Blank sein Lehrer war. Als er diesem jetzt, viele Jahre später, einen Besuch abstattete, kam er auf die Idee, ihn zu töten und mehrere in der Wohnung frei umherliegende Aktien an sich zu nehmen. Mit dem Raubmord glaubte er seinen aufwendigen Lebensstil finanzieren zu können.

Wien hatte seine Sensation. Die Geschichte von der schönen Schauspielerin und dem mordenden Grafen füllte die Zeitungsseiten. Das Publikum war jedenfalls empört, als die Krones wenige Tage später im Leopoldstädter Theater wie geplant ihren nächsten Auftritt im Bauer als Millionär absolvierte. Sonst immer mit Applaus empfangen, brach jetzt lautstarker Tumult aus. Therese Krones stand im Kostüm der Jugend ein paar Minuten lang unter Buhrufen und lautem Getrampel wie gelähmt da, ehe sie sich Hilfe suchend dem als Fortunatus Wurzel neben ihr stehenden Ferdinand Raimund zuwandte.

»Fürcht dich nicht«, flüsterte der ihr zu, »die Leut werden dir nix tun. Fang einfach an.«

Doch kaum hatte sie die ersten Worte des populären Liedes Brüderlein fein angestimmt, stieg der Lärmpegel weiter an, einzelne Zuschauer brüllten »Will sie uns verhöhnen?« und »Weg mit dem Mördergspusi«. Raimund und Therese Krones versuchten, die Situation gemeinsam zu retten, doch die Schauspielerin verlor vor Aufregung das Bewusstsein und die Vorstellung musste abgebrochen werden.

In den folgenden Tagen wurde der seelisch und körperlich vollkommen niedergeschlagenen Künstlerin zugetragen, dass viele Wiener ihr die Schuld an dem grausamen Verbrechen gaben. Die grenzenlose Eitelkeit der Krones hätte den verliebten Mann zur Erfüllung ihrer unverschämten Wünsche nach Schmuck und teuren Kleidern verführt, weshalb er sich in Schulden gestürzt und schließlich keinen anderen Ausweg gesehen hätte, als den Raubmord zu begehen. Mehr noch, viele Menschen sahen die Krones als Mitwisserin oder gar Anstifterin der Tat.

Zwar sollten sich derlei Anschuldigungen als völlig haltlos erweisen, doch das änderte nichts daran, dass das Renommee und die Popularität der Künstlerin schweren Schaden genommen hatten.

5. Akt. Das Finale. Severin von Jaroszynski gestand die Tat trotz erdrückender Beweise erst nach fünfmonatiger Einvernahme. Er wurde zum Tode verurteilt und mit dem Strang hingerichtet.

Die hinsichtlich seiner Untaten ahnungslose Diva wurde auch bei den folgenden Vorstellungen vom Publikum ausgepfiffen, worauf sie sich vom Theater zurückzog.

Als sich die Gemüter beruhigt hatten, nahm die Krones einen neuen Anlauf, ihre Karriere fortzusetzen, was ihr mit einem glänzenden Auftritt in der Komödie Julerl, die Putzmacherin im Theater in der Josefstadt zu gelingen schien. Ein unmittelbar nach diesem Erfolg geplantes Gastspiel im Theater an der Wien musste sie krankheitsbedingt absagen. Sie starb am 26. Dezember 1830 im Gasthaus Zur Weintraube auf der Praterstraße im Alter von 29 Jahren an den Folgen einer Blinddarmeiterung – nicht einmal vier Jahre nach der Tat, die ihr Leben verändert hatte.

Die Stadtväter verweigerten Wiens populärster Schauspielerin die Beisetzung in einem Ehrengrab. Therese Krones wurde auf dem St. Marxer Friedhof bestattet. Ferdinand Raimund folgte dem schlichten Sarg und sagte, er habe mit dem Tod der Schauspielerin seine Jugend verloren. Erst 1930, an ihrem 100. Todestag exhumiert, konnte Therese Krones in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof die letzte Ruhe finden.

Aus »Neues von Gestern, Geschichten mit Geschichte« (2004)

DER MANN, DEN EINSTEIN VEREHRTE

Kurt Gödel, ein Leben zwischen Genie und Wahnsinn

Von Mimen, Dichtern, Musikern und großen Ärzten lässt sich’s trefflich erzählen, weil man da selbst einigermaßen verstehen kann, worin ihre Leistungen bestehen. Aber ein Mathematiker, durch dessen Leben sich Logarithmen, Wurzeln und Differenzialgleichungen ziehen? Nein, nein, derlei haben wir glücklicherweise längst hinter uns gebracht. Doch dann begann ich mich für Kurt Gödel zu interessieren, bei dem sich Genie und Wahnsinn geradezu sprichwörtlich vereinten. Als ich seiner Biografie nachspürte, wunderte ich mich, dass sie noch von keinem Hollywood-Produzenten aufgegriffen worden war.

Das Time-Magazine hat diesen Mann unter die 100 wichtigsten Personen des 20. Jahrhunderts gereiht. Und Kurt Gödel besaß in der Tat ganz außergewöhnliche Fähigkeiten, nur eine einzige fehlte ihm: mit seinem Leben fertigzuwerden. Das Genie war nicht einmal in der Lage, für seine eigene Ernährung zu sorgen.

Geboren am 28. April 1906 als Sohn eines wohlhabenden Textilkaufmanns in Brünn, übersiedelte er nach der Matura nach Wien, um hier Mathematik, Physik und Philosophie zu studieren. Zunächst unbezahlter Privatdozent an der Universität Wien, veröffentlichte er seine ersten bahnbrechenden Erkenntnisse und wurde mit anderen Wissenschaftern vom Wiener Kreis, einer Gruppe bedeutender Intellektueller, aufgenommen.

Manchem seiner Zeitgenossen erschien er damals schon etwas sonderbar. Zuallererst seinen Eltern, da er sich als Intellektueller aus großbürgerlichem Milieu in eine um sieben Jahre ältere Frau ohne höhere Bildung verliebte, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte, geschieden war und ihr Geld als Tänzerin im Wiener Vergnügungsetablissement Nachtfalter verdiente. Gödel verheimlichte seine Beziehung zu Adele Porkert mehrere Jahre lang und wagte es erst, sie im September 1938 – als sein Vater gestorben war – zu heiraten. Gerade sie sollte sich als wichtigste Stütze seines Lebens erweisen.

Amerikanische Talentsucher, die von Kurt Gödels mathematischem Genie erfahren hatten, holten ihn zu Gastvorlesungen an die renommierte Universität in Princeton, von wo er vorerst immer wieder nach Wien zurückkehrte.

So hervorragend er in seiner wissenschaftlichen Arbeit war, so verrückt erwies sich seine persönliche Situation. Er litt unter Depressionsschüben, gepaart mit extremer Hypochondrie und einem starken Verfolgungswahn. Vor allem führte seine Paranoia zu existenzbedrohenden Ernährungsproblemen, da er in der ständigen Zwangsvorstellung lebte, dass man ihn vergiften wollte. So musste seine Frau jede Speise vorkosten, ehe er einen Bissen zu sich nahm – und er war auch dazu nur in der Lage, wenn sie von demselben Teller und mit demselben Löffel gegessen hatte. Mehrere, oft monatelange Aufenthalte in geschlossenen Anstalten waren die Folge, einmal als Patient des berühmten Psychiaters Julius Wagner-Jauregg. Auslöser für all das Leid soll – laut Diagnose seines Bruders Rudolf, der selbst Arzt war – eine rheumatische Fiebererkrankung in der Kindheit gewesen sein, von der er sich zwar physisch, aber nie psychisch erholte.

Kurt Gödel bezeichnete sich als »unpolitisch« und reagierte vorerst nicht auf den Terror, den die Nationalsozialisten auch an der Universität Wien veranstalteten. Erst als ihn ein Passant – fälschlich übrigens – auf der Straße als »Jude« bezeichnete, beschloss er, Wien zu verlassen. Der nunmehr 33-jährige Dozent reiste im Jänner 1940 – was damals überaus kompliziert war – mit seiner Frau in die USA, wo man ihn an der Princeton University mit offenen Armen aufnahm.

Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich indes zusehends. Da Gödel mittlerweile auch ein krankhaftes Misstrauen Medizinern gegenüber entwickelt hatte und nicht bereit war, sich einer Behandlung zu unterziehen, kam es zu mehreren lebensgefährlichen Situationen – so ist er einmal beinahe einem unbehandelten Zwölffingerdarmgeschwür erlegen. Ein amerikanischer Arzt stufte ihn als »genial, aber psychopathisch« ein.

Sein Abgott war Leibniz*, mit dessen Geist er in Kontakt zu stehen glaubte. Nicht genug damit, projizierte Kurt Gödel seine Verschwörungstheorien auch auf sein Idol, indem er behauptete, bestimmte Teile der Leibniz’schen Schriften seien von dunklen Mächten, die Interesse an der Verdummung der Menschheit hätten, vernichtet worden. Als Oskar Morgenstern, einer seiner wenigen Freunde, Gödel einmal in seinem Haus in Princeton aufsuchen wollte, fand er ihn nach langem Suchen im Keller, hinter der Heizung verkrochen, in warme Mäntel gehüllt. Gödel schlotterte vor Angst, sein von Zahlen, Figuren, Formeln und Geistern übervolles Universum würde ihn erdrücken.

Derselbe Kurt Gödel galt – und gilt auch heute noch – als größter Logiker seit Aristoteles! Er wird in der Mathematik und in der Philosophie für ebenso bedeutend gehalten wie Newton für die Physik. Auch wenn unsereins die im Gödel’schen Unvollständigkeitssatz zusammengefasste Erkenntnis nicht wirklich begreifen wird, lässt uns der Mathematiker Karl Sigmund seine Bedeutung wenigstens erahnen – wenn er nämlich erklärt, dass Gödels Erkenntnisse »die Entwicklung des Computers entscheidend geprägt haben«.

In Princeton lernte er Albert Einstein kennen, der Kurt Gödel ungemein schätzte und in seinen engeren Freundeskreis aufnahm. Einstein und Gödel, der – abseits von seinen »Verrücktheiten« – im Übrigen als charmanter und amüsanter Gesprächspartner beschrieben wird, unternahmen täglich ausgedehnte Spaziergänge, bei denen sie physikalische, mathematische und philosophische Fragen diskutierten. Die Freundschaft hielt bis zu Einsteins Tod im Jahre 1955. Ganz nebenbei lieferte Gödel auch wesentliche Beiträge zur Relativitätstheorie.

Zwei enge Freunde, zwei Jahrhundertgenies: Kurt Gödel und Albert Einstein

Trotz seiner enormen Leistungen wurde er in Princeton erst 1953 zum Professor ernannt. Später verlieh ihm die Harvard Universität das Ehrendoktorat für die »Entdeckung der bedeutendsten mathematischen Wahrheit des Jahrhunderts«.

Doch sein Leben konnte Gödel nicht meistern. Er weigerte sich zunehmend, das Haus zu verlassen, und verkehrte mit Kollegen nur noch per Telefon. Als seine Frau nach einem Schlaganfall ins Spital musste und für ihn als »Vorkosterin« ausfiel, erschien ihm jede weitere Nahrungsaufnahme unmöglich. Kurt Gödel ist regelrecht verhungert, er starb am 14. Jänner 1978 in Princeton mit einem Körpergewicht von 36 Kilogramm.

Aus »Unter uns gesagt, Begegnungen mit Zeitzeugen« (2008)

*Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646–1716, Mathematiker, Physiker, Philosoph

DIE TANTE JOLESCH LEBT!

Meine Begegnungen mit ihren Enkeln

Als Friedrich Torbergs Tante Jolesch 1975 erschien, war ich noch weit davon entfernt, selbst Bücher zu schreiben. Doch Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten begeisterte mich dermaßen, dass ich begann, ebenfalls Anekdoten zu sammeln. Wo immer ich hinkam, hatte ich ein offenes Ohr für heitere Geschichten, die mir von Künstlern, Politikern und Angehörigen ganz anderer Berufsgruppen erzählt wurden. Nach einem Vierteljahrhundert hatte ich so viele beisammen, dass ich das Buch Die Enkel der Tante Jolesch schrieb. Die Enkel spielen in einer ganz anderen Zeit, als es die von Torberg war, sollten die Leser aber ebenso zum Lachen wie zum Nachdenken bringen. Hier einige Beispiele daraus.

Eine der ersten Geschichten wurde mir von einem Schauspieler zugetragen, der mir von einem alten Herrn erzählte, der jahrzehntelang ein Leben als Statist fristete. Das ist keine leichte Aufgabe: Während sich die Bühnenstars im Applaus sonnen, darf der Komparse gerade einmal ein Silbertablett abstellen und dann wieder abgehen.

Eines Tages hatte der Regisseur des Theaters Mitleid mit dem Statisten und ließ ihn im nächsten Stück ein paar Worte sprechen. Es waren drei Worte, mit denen er als Kammerdiener die Ankunft eines adligen Gastes ankündigen sollte: »Herr Marquis Dobinier!« lautete sein Text.

Doch die Aufregung war zu groß, der alte Mann verhedderte sich ständig, brachte vor allem das schwierigste der drei Wörter, »Dobinier«, nicht über die Lippen.

Der Regisseur versuchte während einer Probe zu helfen: »Sie sind doch Wiener? Merken Sie sich einfach: Do bin i eh.«

Der zum Schauspieler avancierte Statist nahm sich den Ratschlag zu Herzen. Sagte aber am Abend auf der Bühne: »Herr Marquis, i bin eh do!«

Ja, es gibt sie, die Tante Jolesch, sie lebt in ihren Enkeln weiter, die ihr an Witz und Esprit um nichts nachstehen. Während Friedrich Torberg die echte Tante Jolesch vermutlich nie kennengelernt hat, bin ich »meiner« Tante Jolesch sehr wohl begegnet, mehr noch, sie war eine echte Tante von mir. Meine Tante Jolesch hieß Flora, und sie war eine der beiden älteren Schwestern meiner Mutter.

Tante Flora hat dieser Welt in ihrem langen Leben einige Aussprüche hinterlassen, die die Tante Jolesch durchaus für sich reklamieren hätte können. Ehe ich sie zitiere, muss ich auf einen weiteren Verwandten, meinen Onkel Franz, zu sprechen kommen, der im alten Österreich-Ungarn zur Welt kam, den Großteil seines Lebens aber in den USA verbrachte. Onkel Franz hat in Hollywood unter dem Namen Francis Lederer eine beachtliche Karriere als Filmschauspieler gemacht – und dort im November 1999 in erstaunlicher Frische seinen 100. Geburtstag gefeiert.

Die ganze Familie sollte sich zu diesem besonderen Anlass in Los Angeles einfinden. Als ich Tante Flora vom bevorstehenden Wiegenfest ihres Cousins informierte, kommentierte sie das mit den Worten: »Was, der Franz wird 100? Dabei ist er doch gar nicht vom langlebigen Teil unserer Familie!«

Mir selbst ist auch schon so manches widerfahren, das Tante-Jolesch-artige Züge aufzuweisen hatte. Auf den Seiten 109–122 dieses Buches erfahren Sie, wie ich dazu kam, den Grabraub der Mary Vetsera aufzudecken. Und dass ich, ehe ich die Geschichte veröffentlichte, bei der Polizei Anzeige gegen unbekannt erstattete. Ich erzählte den anwesenden Polizeibeamten von Herrn Flatzelsteiner und seiner Vermutung, dass sich Mary Vetseras sterbliche Überreste nicht dort befänden, wo sie hingehörten.

Plötzlich stand ein junger Kriminalbeamter auf, um das Zimmer zu verlassen und nach wenigen Minuten mit einer Fahndungsliste in den Händen zurückzukehren.

»Herr Markus«, sagte er, »das ist ja alles schön und gut, was Sie uns da erzählen. Aber ich habe gerade im Polizeicomputer nachgeschaut: Eine Mary Vetsera ist gar nicht als abgängig gemeldet.«

Die nächsten beiden Geschichten handeln von Karl Farkas, für den ich ein Jahr lang am Kabarett Simpl arbeiten durfte. Er verkehrte, wie er mir anvertraute, Anfang der 1920er-Jahre als noch mittelloser Schauspieler im Café Central. »Wir Jungen, die kein Geld hatten, kamen gleich nach dem Mittagessen ins Café Central, haben unzählige Gläser Wasser und Zeitungen konsumiert, bis vier Uhr Nachmittag saßen wir dort und dann sagten wir zum Ober: ›Jean, reservieren Sie mir meinen Sessel, ich geh nur rasch nach Hause einen Kaffee trinken.‹«

Hier sei auch etwas Persönliches von Karl Farkas erzählt. Ich war in der Saison 1969/70 – das Wort Assistent ist etwas übertrieben – so eine Art Mädchen für alles am Simpl, zuständig für Kulissen und Bühnenbild und nach einiger Zeit durfte ich auch Schreibund Assistenzarbeiten für Farkas erledigen.

Er suchte immer jemanden, der ihn nach der Vorstellung, oft war das schon gegen Mitternacht, nach Hause fährt, um sich das Taxi zu ersparen. Ich durfte das mit meinem uralten Ford Taunus etliche Male tun; in den meisten Fällen lieferten ihn aber seine Kollegen Maxi Böhm oder Ossy Kolmann vor seinem Wohnhaus im 7. Bezirk ab.

Nach einer Vorstellung, es war Samstagabend, hatte aus irgendwelchen Gründen keiner aus dem Ensemble Zeit, Farkas nach Haus zu fahren, und da bot sich Herr Stern, der Schwiegersohn des Simpl-Besitzers Picker, als Fahrer an.

Farkas stieg in den Wagen, und Herr Stern fragte: »Wohin fahren wir?«

»Geben Sie Gas«, antwortete Farkas, »ich sag’s Ihnen schon … Da vorne fahren Sie rechts … jetzt geradeaus über die Kreuzung drüber … hier biegen Sie links ein …«

Weit draußen am Stadtrand, bei der Spinnerin am Kreuz, fragte Herr Stern: »Entschuldigen Sie, Herr Farkas, ich dachte, Sie wohnen in der Neustiftgasse im 7. Bezirk!«

»Ja, das stimmt«, ließ sich Farkas nicht aus der Fassung bringen. »Aber am Samstag fahre ich immer in mein Wochenendhaus nach Edlach an der Rax.«

Zu meinen Informanten in Sachen Enkel der Tante Jolesch zählte auch Marcel Prawy, den ich nicht nur als klugen, gebildeten, menschlich wertvollen Freund in Erinnerung behalten habe, sondern auch wegen seines einzigartigen Humors. Und so erzähle ich Ihnen jetzt eine Geschichte, in der er selbst mitspielt. Prawy und der Kritiker Hans Weigel waren zeitweise gar nicht gut aufeinander zu sprechen. Das muss man wissen, um die folgende Episode, die sich Ende der 1950er-Jahre im Café Volksoper zugetragen hat, verstehen zu können.

Als Weigel dort eines Abends neben der Schauspielerin Louise Martini saß, betrat ein stattlicher Herr das Lokal und grüßte sehr höflich – zuerst Louise Martini und dann Hans Weigel. Worauf die beiden den Gruß ebenso höflich erwiderten.

Kaum war der stattliche Herr außer Sichtweite, fragte Weigel – der extrem kurzsichtig war und daher oft gleichzeitig mehrere Brillen auf Stirn und Nase platziert hatte –, Weigel also fragte seine Tischnachbarin, wer der Herr gewesen sei, den sie gerade gegrüßt hätten.

»Das war der Prawy«, antwortete Louise Martini.

Kaum hatte Weigel diese Auskunft erhalten, begann er aufgeregt in seiner Aktentasche nach irgendwelchen Papieren zu suchen. Als er sie endlich gefunden hatte, sprang er auf und lief Prawy nach. Sobald er ihn eingeholt hatte, hielt er diesem die mitgebrachten Unterlagen vors Gesicht und sagte:

»Das sind ärztliche Atteste, die bescheinigen, dass ich schlecht sehe. Nur so konnte es passieren, Herr Doktor Prawy, dass ich Sie gegrüßt habe.«

Sprach’s und ging – diesmal selbstverständlich grußlos – zurück an seinen Tisch.

Auch unter den Sängern der Wiener Staatsoper findet sich manch unvergleichliches Original. So gab es einen Episodisten namens Alfred Muzzarelli, der sein Leben lang »auf Star studierte«, ohne je einer geworden zu sein. Muzzarelli war trotz seines italienisch klingenden Namens ein waschechter Wiener. Er liebte die Frauen, wobei ihm Augen, Haarfarbe und Figur weniger bedeutsam erschienen, als das eine nur: Sie mussten wesentlich älter sein als er! Als ihm eines Tages ein Kollege, den Tränen nahe, mitteilte, dass ihn die Freundin verlassen hatte, fand Muzzarelli tröstende Worte: »Mach dir nix draus, andere Töchter haben auch schöne Mütter!«

Ioan Holender ist als längstdienender Direktor in die Geschichte der Wiener Staatsoper eingegangen. Im ersten Jahr stand er jedoch im Schatten des eigentlichen Direktors Eberhard Waechter. Erst nach dessen plötzlichem Tod im März 1992 übernahm Holender die alleinige Leitung des Hauses. Aber bis dahin war er selbst im Opernhaus bei Weitem nicht so bekannt wie später.

Der Zuschauerraum war bereits abgedunkelt, als Holender eines Abends zu spät in eine Vorstellung kam. Die Ouvertüre hatte schon begonnen, da schlich der Co-Direktor zu seiner Loge im ersten Rang. Leider hatte er die Rechnung ohne den Platzanweiser gemacht. Der hielt ihn am Rockzipfel fest und flüsterte: »Ihre Karte bitte!«

Der Direktor flüsterte zurück: »Ich bin Holender!«

Darauf der Billeteur: »Ticket please!«

Ohne Politiker könnten wir nicht leben – zumindest im anekdotischen Bereich. Bundeskanzler Julius Raab wurde von Freunden »der große Schweiger« genannt – weil er nur das Allernotwendigste sprach und viel lieber zuhörte. Eines Tages fuhr Raab mit dem Auto von Wien nach Vorarlberg. Im niederösterreichischen Tullnerfeld sagte sein Sekretär, mit einem Blick auf die umliegenden Felder: »Das Getreide steht heuer schon ganz schön hoch.« Bis knapp vor Feldkirch wurde kein Wort mehr gewechselt, dann endlich meinte Raab: »Do aa!«

Das war die gesamte Konversation während einer Fahrt von 600 Kilometern.

Nun zu einer Geschichte über Bruno Kreisky, die mir der damalige Bundespräsident Thomas Klestil erzählte, der Mitte der 1980er-Jahre in seiner Funktion als österreichischer Botschafter in den USA Zeuge der folgenden Episode geworden war.

Kreisky kam, als Regierungschef schon in Pension, aber in Sachen Weltpolitik immer noch unterwegs, zu einem Kongress nach Washington. Klestil holte ihn vom Flughafen ab und begleitete ihn, vom Chauffeur der Botschaft gefahren, in sein im Zentrum der Hauptstadt gelegenes Hotel. Als Kreisky unterwegs eine Filiale der englischen Firma Burberry entdeckte, bat er den Fahrer, kurz anzuhalten.

Der bärtige Altkanzler stieg aus dem Wagen, holte einen Plastiksack aus dem Kofferraum und betrat, gemeinsam mit Klestil, das Geschäft. An der Tür fragte Kreisky den Botschafter noch schnell: »Sag, was heißt Schlapfen auf Englisch?«

Klestil flüsterte ihm in korrekter Übersetzung das Wort Slippers zu, worauf Kreisky aus dem mitgebrachten Plastiksack ein Paar Hausschuhe hervorholte und zum Verkäufer sagte: »Ich habe vor einiger Zeit in Ihrer Filiale in London diese Schlapfen – these slippers – gekauft. Leider sind sie zu groß, könnten Sie sie umtauschen?«

In dem Geschäft, erinnerte sich Klestil, herrschte sogleich rege Betriebsamkeit, im Zuge derer man sich redlich bemühte, dem alten Herrn verschiedenste Größen desselben Modells vorzuführen.

Kreisky probierte eine ganze Reihe von Hausschuhen, betrachtete sie vor dem Spiegel, prüfte ihre Passform, ging mit ihnen auf und ab. Und brummte nach einem guten Dutzend derartiger Versuche: »So, die da passen – these slippers fit!«

Worauf der Verkäufer entgegnete: »Sir, das sind die Schuhe, die Sie mitgebracht haben!«

Wir befinden uns zwar noch im Bereich der Politik, begegnen hier aber dem einst berühmten Psychiater, Terror- und Aggressionsforscher Friedrich Hacker, mit dem ich bis zu dessen Tod im Jahre 1989 befreundet war. Er hatte Ende der 1960er-Jahre die Idee, in den ehemaligen Wohn- und Ordinationsräumen des »Vaters der Psychoanalyse« ein Sigmund-Freud-Museum zu errichten. Hacker selbst hatte in den 1930er-Jahren noch einige Vorlesungen Freuds an der Universität Wien besucht. Mit der Gründung des Freud-Museums ist eine schöne Geschichte verbunden.

Nachdem es ihm gelungen war, die österreichische Regierung für das Projekt zu gewinnen, schlug Hacker dem damaligen Bundeskanzler Josef Klaus vor, Freuds in London lebende Tochter Anna Freud zur bevorstehenden Eröffnung des Museums in der Wiener Berggasse Nr. 19 einzuladen. Der Regierungschef war sofort einverstanden, bat Hacker jedoch, für ihn den Text des Einladungsbriefes an Anna Freud aufzusetzen, da er selbst nicht recht wüsste, wie die berühmte Tochter eines noch berühmteren Vaters anzusprechen sei und mit welchen Worten eine solche Einladung zu erfolgen hätte.

Professor Hacker, der Anna Freud gut kannte, formulierte den Brief, der dann vom Kanzler unterzeichnet wurde. Eine Woche später läutete Hackers Telefon, am Apparat war Anna Freud. »Stellen Sie sich vor, Doktor Hacker«, sagte sie, »ich habe einen Brief vom österreichischen Bundeskanzler erhalten, in dem er mich zur Eröffnung eines Freud-Museums einlädt. Ich komme natürlich gerne, aber ich habe noch nie einem Bundeskanzler geschrieben, und da wäre meine Bitte an Sie: Könnten Sie so nett sein, für mich das Antwortschreiben aufzusetzen?«

Hacker kam auch dieser Bitte nach. Er antwortete auf seinen eigenen Brief, und Anna Freud unterschrieb. Aus Einladung und Antwort entwickelte sich ein intensiver Schriftverkehr zwischen Josef Klaus und Anna Freud, der sich über mehrere Monate hinzog. Wobei jeder einzelne Brief vom unermüdlichen Friedrich Hacker stammte.

Eine Anekdote, die von zwei großen Komponisten aus Wien handelt, die in Hollywood Karriere gemacht haben, verdanke ich dem langjährigen Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe. Es geht um Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner. Letzterer zählte zu den Pionieren der amerikanischen Filmmusik: Er schuf Melodien zu Casablanca und Vom Winde verweht, zu Filmen mit Katharine Hepburn, Bette Davis und zu fünf Fred-Astaire-Musicals. Insgesamt hat Max Steiner 300 Filme vertont und drei Oscars erhalten, Korngold immerhin zwei.

Während es nach dem Zweiten Weltkrieg um Korngold ruhiger wurde, setzte Steiner seine Karriere als Komponist mit immer neuen Erfolgen fort. Da die beiden noch aus ihren Wiener Tagen miteinander befreundet waren, hielt Steiner 1957 zu Korngolds 60. Geburtstag, der in Hollywood gefeiert wurde, die Laudatio. Nach ein paar launigen Worten der Erinnerung gelangte Max Steiner zu dem liebevoll-bissig-ironischen Schluss: »Ich kann es gar nicht verstehen, mein lieber Korngold, dass ich in Hollywood nach wie vor gefragt bin, aber nach dir kein Hahn mehr kräht!«

Korngold stand auf, ging ans Rednerpult und erwiderte: »Schau, lieber Max, das mit dem Erfolg ist doch ganz einfach. Seit 20 Jahren schreibst du von mir ab, und seit 20 Jahren schreib ich von dir ab. Da darfst du dich nicht wundern, dass du erfolgreicher bist als ich.«

Etwas ganz anderes. Sie kennen sicher Professor Antal Festetics, einen der führenden Wildbiologen Europas, der überdies als Moderator populärwissenschaftlicher Tiersendungen im Fernsehen bekannt geworden ist. Von dieser seiner Tätigkeit im Fernsehen handelt die nun folgende Episode.

Festetics gestaltete Mitte der 1990er-Jahre für den ORF einen Tierfilm über Bären. In der Dokumentation wurde auch eine dramatische Szene gezeigt, die ein Amateurfilmer zufällig im Zoo von Peking eingefangen hatte: Man sah drei Chinesen, die vor dem Käfig der Pandabären standen. Nun drehte sich einer der Herren mit dem Rücken zum Käfig, um sich von einem der anderen Herren fotografieren zu lassen.

In dem Moment, da er dem Käfig seinen Rücken zuwandte, wurde der Mann aber von dem bärenstarken Tier gepackt, das ihn durch die Gitterstäbe in den Käfig zu zerren versuchte.

Die Attacke endete glimpflich, da es den beiden anderen Chinesen gelang, ihren Freund den Krallen des Pandabären zu entreißen. Das aufgebrachte Tier musste sich schließlich mit dem eroberten Sakko seines Opfers zufriedengeben.