Im Spiegel der Geschichte - Georg Markus - E-Book

Im Spiegel der Geschichte E-Book

Georg Markus

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Beschreibung

Affären, Schicksale, Glücksmomente … … sind es, bei denen die Menschheit den Atem anhält. Bestsellerautor Georg Markus hat für sein neues Buch in den Spiegel der Geschichte geblickt und zahlreiche spannende wie bewegende Entdeckungen gemacht. So erzählt er von einer bisher unbekannten Lovestory des reifen Franz Lehár, von Kaiserin Elisabeths geheimen Tagebüchern und von jenem Erzherzog, der aufbrach, um in Hollywood Karriere zu machen. Diese und zahlreiche andere Miniaturen aus Österreich und der Welt bieten ein charmantes, rundum gelungenes Lesevergnügen. Aus dem Inhalt: Habsburgs König der Ukraine Das Testament des Walzerkönigs Johann Strauss Hofmannsthals Verwandtschaft mit dem englischen Königshaus Als Charlie Chaplin nicht in die USA einreisen durfte Eine Baronin überlebt den Ringtheaterbrand Der chinesische Minister aus Wöllersdorf Anna Demels doppelte Hochzeit Der Frauenmörder von Paris Eine Begegnung mit Prinz Charles und viele andere Mit zahlreichen Abbildungen

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Seitenzahl: 267

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GEORG MARKUS

Im Spiegel der Geschichte

Was berühmte Menschen erlebten

Mit 92 Abbildungen

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2022 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

Umschlagmotiv: © ullstein bild – Nicola Perscheid/Ullstein Bild/picturedesk.com

Lektorat: Madeleine Pichler

ISBN 978-3-99050-234-1

eISBN 978-3-903441-02-6

Für Lilli,

meine Enkelin

INHALT

Auf Dachböden, in Kellern und alten Truhen

Vorwort

DER FRANZ-LEHÁR-FUND

»Niemand liebt dich so wie ich«

Franz Lehárs bisher unbekannte Lovestory

KAISERLICH-KÖNIGLICHES

Habsburgs König der Ukraine

Erzherzog Wilhelms unerfüllter Traum

»Ich bin schon längst gestorben«

Die geheimen Gedanken der Kaiserin Elisabeth

Kronprinz Rudolfs Schwiegervater

Die Verbrechen des Königs von Belgien

Der Erzherzog von Hollywood

Die Filmkarriere eines Habsburgers

HISTORISCHE KRIMINALGESCHICHTEN

Der Frauenmörder von Paris

Kriminalfall Henri Landru

Der berühmteste Gangster aller Zeiten

Das Leben des Al Capone

Wie starb Sunny von Bülow?

Kriminalfall in Adelskreisen

Von Liszt über Wagner bis Loriot

Die weitverzweigte Familie von Bülow

DREI BAUMEISTER DER REPUBLIK

»Österreich ist frei«

Die Tochter erinnert sich an Leopold Figl

Der Mann mit der Virginia

Staatsvertragskanzler Julius Raab

Kreisky sehr persönlich

Aus den privaten Tagebüchern eines Mitstreiters

DIE KLEINE ÖSTERREICHISCHE WELT

Von echten und falschen Dienstmännern

Als es in Wien noch Gepäckträger gab

Lebensrettung durch unauffindbaren Schmuck?

Eine Baronin überlebt den Ringtheaterbrand

Die Straße, die in den Himmel führt

Wo die Prominenz wohnte

»Gemma, gemma, Vaterl!«

Geschichten von der Wiener Polizei

Einer der reichsten Österreicher seiner Zeit

Der Bierbrauer Anton Dreher

Der chinesische Minister aus Wöllersdorf

Die seltsame Karriere des Jakob Rosenfeld

»Haben schon gewählt?«

Anna Demels doppelte Hochzeit

Plötzlicher Tod während eines Boxkampfes

Wie der Schauspieler Robert Lindner starb

Die Rettung der Hofburg

Wie die Habsburgerresidenz vernichtet werden sollte

NACHRUFE

Das Ende der heilen Welt

Peter Alexander, 1926–2011

Nie wieder ins Maxim

Johannes Heesters, 1903–2011

»Ich hab immer nur den Eckhardt gespielt«

Fritz Eckhardt, 1907–1995

»Hier wird’s mir schon ein bissl fad«

Paul Hörbiger, 1894–1981

»Ordnung in sein Leben gebracht«

Attila Hörbiger, 1896–1987

»Zugeflogen ist mir nichts«

Paula Wessely, 1907–2000

Nicht nur in den Plastiksackerln

Marcel Prawy, 1911–2003

Viel mehr als ein Journalist

Hugo Portisch, 1927–2021

Dunkle Seiten, Ängste und Albträume

Udo Jürgens, 1934–2014

MUSIKALISCHES

Die Häuser des Walzerkönigs

Wie Johann Strauss sein Vermögen anlegte

Die vergessenen Strauss-Schwestern

Auch Anna und Therese sollten dirigieren

»Das Schicksal hat uns alles genommen«

Der tragische Tod des Tenors Fritz Wunderlich

GESCHICHTEN AUS DEM REST DER WELT

Einreiseverbot für den »Tramp«

Charlie Chaplin darf nicht in die USA

Die Anwälte plädieren auf Totschlag

Marlon Brandos Sohn vor Gericht

»Ich habe Vorfahrt!«

Der tödliche Unfall von James Dean

Der Mann, der Hans Albers war

oder Die schöpferischen Kräfte im Fleischergewerbe

AUS DER WELT DER SCHRIFTSTELLER

Hofrat und Dichter

Das dramatische Leben des Franz Grillparzer

Der Dichter geht zur Polizei

Schnitzlers Streit mit dem Hausbesorger

»Der alte Mann« war erst siebzehn

Die Entdeckung eines jungen Genies

AUS DEM BRITISCHEN KÖNIGSHAUS

Hofmannsthal und die Queen

Die Verbindung des Dichters zum britischen Königshaus

Der Mann, der sich ans Bett der Queen setzte

Nächtlicher Einbrecher im Buckingham Palace

Prinz Charles oder Mistelbach?

Auf einen Plausch mit dem Thronfolger

Quellenverzeichnis

Text- und Bildnachweis

Namenregister

Vorwort

Auf Dachböden, in Kellern und alten Truhen

Vorwort

A ls ich neulich in den Spiegel sah, dachte ich mir: Mein Gott, wie alt er doch geworden ist, der Spiegel.« Hat einmal ein witziger Mensch gesagt und damit ein Thema angeschnitten, das früher oder später jeden und jede von uns betrifft. Was immer wir im Spiegel der Geschichte betrachten, ist alt geworden, egal, ob es sich vor zehn, vor fünfzig oder hundert Jahren zugetragen hat. Andererseits ist sie auch ganz jung geblieben, die Geschichte. Und mitunter sehr lebendig – immer dann nämlich, wenn man Neues entdeckt, das Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte im Verborgenen geblieben ist.

Die bislang unentdeckten Schätze lagern auf Dachböden, in Kellern und alten Truhen und warten nur darauf, aufgespürt und gehoben zu werden. Erfreulicherweise gelingt das immer wieder, oft mithilfe meiner aufmerksamen und mir zugeneigten Leserinnen und Leser. Schon das erste Kapitel ist ein Beweis dafür. Ein Wiener überreichte mir ein Konvolut, das er von seiner Mutter geerbt hat. Das Besondere daran: Die darin befindlichen, nie zuvor veröffentlichten Briefe stammen aus sehr prominenter Hand. Sie wurden von keinem Geringeren als Franz Lehár geschrieben und stellen einen historisch einzigartigen Schatz dar: die private und zuweilen intime Post, die der Operettenkönig eineinhalb Jahre lang an eine sehr junge, sehr hübsche Frau geschickt hat. Blieb der Komponist in seiner Verehrung anfangs noch zurückhaltend, so zeigt er mit jedem neuen Schreiben die immer größer werdende Zuneigung bis hin zur Liebe inklusive Geheimtreffen in Bad Ischl. Doch die große Liebe des Komponisten findet ein tragisches Ende.

Kaiserlich-Königliches darf in einem Buch, das Österreich im Spiegel der Geschichte zeigt, nicht fehlen. Im Besonderen stechen zwei Erzherzöge heraus. Der eine – und das ist im Jahr 2022 ziemlich aktuell – war nahe daran, König der Ukraine zu werden. Der andere wollte in Hollywood Karriere machen.

Kein »echter« Habsburger, aber der Schwiegervater des Kronprinzen Rudolf war König Leopold II. von Belgien, einer der blutrünstigsten Monarchen auf Europas Thronen, der in seiner Habgier und seiner Skrupellosigkeit Millionen Menschen versklaven und hinrichten ließ. Seine Verbrechen wurden bislang viel zu wenig aufgearbeitet.

Dass Kaiserin Elisabeth sehr persönliche Gedichte und Tagebucheintragungen verfasst hat, ist Kennern der österreichischen Geschichte bekannt – es hat sie nur wegen ihrer Fülle und eher bescheidenen literarischen Qualität kaum jemand gelesen. Ich habe daher versucht, ihre Darlegungen radikal zu kürzen, den Fokus auf das Wesentliche zu richten und so ihre zuweilen revolutionären und gegen die eigene Familie gerichteten Gedanken erkennbar zu machen.

Weg von den kaiserlichen Hoheiten bewegen wir uns im Kapitel Historische Kriminalgeschichten. Da geht es um den Frauenmörder Landru, den legendären Mafioso Al Capone und die Geschichte des nie geklärten Todes der Millionärin Sunny von Bülow, deren Ehemann lange als Hauptverdächtiger galt. Und weil die Familiengeschichte derer von Bülow so außergewöhnlich ist, wird sie im Anschluss an den Kriminalfall auch gleich erzählt: von Richard Wagner bis Loriot.

Von Drei Baumeistern der Republik handelt das gleichnamige Kapitel, nämlich von Leopold Figl, dessen Tochter mir aus seinem dramatischen Leben erzählte, vom Staatsvertragskanzler Julius Raab und von Bruno Kreisky. Letzterer kann aus nächster Nähe erforscht werden, da sein Handelsminister Josef Staribacher während Kreiskys dreizehnjähriger Kanzlerschaft ein Tagebuch führte, in dem er seine Erlebnisse mit dem »Sonnenkönig« akribisch niederschrieb. Manchmal auch durchaus kritisch. Die Tagebücher befinden sich heute im Bruno Kreisky Archiv.

In der Kleinen österreichischen Welt spielen Dienstmänner mit, aber auch eine Baronin, die auf wundersame Weise die Vorstellung des Ringtheaters überlebte, in der durch einen Großbrand mehr als dreihundert Menschen ums Leben kamen.

Die am Rande des Wienerwalds gelegene Himmelstraße in Wien-Grinzing zählt zu den schönsten Verkehrswegen der Stadt, weshalb wohl in keiner anderen Straße so viel Prominenz zu Hause war wie in dieser: Zwei Bundespräsidenten, zwei Bürgermeister, Österreichs bedeutendste Schauspielerdynastie, mehrere weltberühmte Komponisten, ein nicht minder berühmter Dirigent, ein Nobelpreisträger, Architekten, Maler, Wissenschaftler …

Berühmt, wenn auch auf ganz andere Weise, wurde ein Wiener Polizist, dessen Geschichte im Kapitel Gemma, gemma, Vaterl! erzählt wird. Er regelte den Verkehr an der Ringstraße so virtuos, dass Fußgänger wie Autofahrer dem »Toscanini von Wien« Applaus spendeten. In der Kleinen österreichischen Welt geht es auch um einen Arzt, der in Wöllersdorf bei Wiener Neustadt aufwuchs und später chinesischer Gesundheitsminister wurde, um die Grande Dame der Wiener Zuckerbäckerinnen, Anna Demel, und um einen Burgschauspieler, der sich über den Verlauf eines Boxkampfes dermaßen aufregte, dass er tot umfiel. In einem anderen Kapitel trifft das Schicksal einen Opernsänger, der so unglücklich über eine Treppe stürzte, dass auch er nicht überlebte.

In Die Rettung der Hofburg schildere ich, wie ein paar beherzte Wiener in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges die von flüchtenden SS-Männern geplante Sprengung der Hofburg verhinderten. Auch die Quellen zu dieser Geschichte zählen zu den eingangs erwähnten Schätzen, die auf Dachböden, in Kellern und alten Truhen darauf warten, gehoben zu werden. Es war wieder ein treuer Leser, der mir die Unterlagen und Dokumente zu diesem Kapitel zur Verfügung stellte.

In den fünfzig Jahren, seit ich Journalist bin, kam immer wieder die traurige Aufgabe auf mich zu, Nachrufe schreiben zu müssen. Ich habe einige davon ausgesucht, die zu verfassen mir besonders naheging, da ich die Verstorbenen persönlich gekannt habe oder gar mit ihnen befreundet war. Es sind Auszüge aus den Nekrologen auf Peter Alexander, Johannes Heesters, Fritz Eckhardt, Paul und Attila Hörbiger, Paula Wessely, Marcel Prawy, Hugo Portisch und Udo Jürgens.

Auf Udo Jürgens folgt logischerweise Musikalisches. Wenn wir am Beginn dieses Buches Persönliches über Franz Lehár erfahren, dann steht hier wohl auch dem Walzerkönig ein Kapitel zu: Es geht um das Erbe von Johann Strauss Sohn – nicht um das künstlerische, das ist ja hinlänglich bekannt –, sondern um das materielle. Auf den Seiten 222–232 wird das private Testament des Walzerkönigs eröffnet, aus dem hervorgeht, wie er sein nicht unbeträchtliches Vermögen anlegte. Um es gleich vorwegzunehmen: vor allem in Immobilien.

Wussten Sie übrigens, dass Johann Strauss auch zwei Schwestern hatte? Sie sollten angeblich wie ihre berühmten Brüder die Strauss-Kapelle als Dirigentinnen übernehmen. Doch der Plan zerschlug sich.

Nach den vorwiegend österreichischen komme ich im Spiegel der Geschichte einmal mehr auf internationale Themen zu sprechen. Etwa, wie man Charlie Chaplin die Einreise nach Hollywood verwehrte, obwohl dort fast alle seine Filme gedreht wurden. Oder dass Marlon Brandos Sohn wegen Totschlags vor Gericht stand. Und wie es dazu kam, dass James Dean mit seinem Porsche in den Tod raste.

Im Kapitel Aus der Welt der Schriftsteller schildere ich das familiäre Drama Franz Grillparzers und zitiere aus einem Brief Arthur Schnitzlers an das zuständige Polizeikommissariat, in dem er sich über einen Hausbesorger beschwerte, der zu einer für ihn ungünstigen Stunde die Teppiche ausklopfte. Ja, auch große Leute haben kleine Sorgen.

Dass wir den Namen Hofmannsthal im Abschnitt Schriftsteller finden, wird nicht weiter verwundern, dass er aber auch im Kapitel über das britische Königshaus auftaucht, wird erstaunen. Und doch: Die Familie Hofmannsthal ist durch Einheirat mit dem Haus Windsor verwandt. Wie genau, das erfahren Sie ab Seite 272.

Ein weiterer Royal in diesem Buch ist Prinz Charles, den ich im Frühjahr 2017 in der Wiener Hofburg traf – obwohl ich eigentlich in Mistelbach hätte sein sollen.

Vieles von dem, das in diesem Buch steht, konnte ich nur herausfinden, weil ich so lange schon über historische Themen schreibe. Und so kam es, dass ich, ehe ich dieses Vorwort zu Ende gebracht hatte, noch einmal in den Spiegel sah. Und mir dabei dachte: Vielleicht ist es doch nicht der Spiegel, der alt geworden ist.

Georg Markus,

Wien, im August 2022

Danksagung

Mein Dank gilt in erster Linie meiner lieben Frau Daniela, die mir seit 23 Jahren zur Seite steht und eine wichtige Ratgeberin ist.

Weiters danke ich den folgenden Personen für Auskünfte und Anregungen: Walter Riegler, Nikolaus und Dorothea Quidenus, Roman Eccher, Christoph Schmetterer, Michael Borsky, Wolfgang Dosch, Otto Schwarz, Erich und Monika Streissler, Hermine Kreuzer, Helga Papouschek, Michael Göbl, Elisabeth Friedrich, Gregor Merkel, Margarethe Leputsch, Franz Reisinger, Anneliese Figl, Paul Vécsei, Maria Steiner, Franz Luger, Markus Spiegelfeld, Dagmar Koller, Ina und Sebastian Peichl, Hans Stolz, Clarissa Henry, Alfred Paleczny, Melitta Mörtl, Othmar Koresch, Oliver Rathkolb, Reinhold Sahl, Brigitta Köhler, Eduard Strauss, Arabella Amory geb. von Hofmannsthal, Octavian von Hofmannsthal, Konrad Heumann, Katja Kaluga, Charles Prince of Wales, Christian Kern, weiters Katarzyna Lutecka, Madeleine Pichler, Lucia Bräu, Jennifer Sandhagen und Theresia Zeilinger vom Amalthea Verlag sowie Dietmar Schmitz.

DER FRANZ-LEHÁR-FUND

»Niemand liebt dich so wie ich«

Franz Lehárs bisher unbekannte Lovestory

Und es passiert ja doch immer wieder. Dass ich aus dem Kreis meiner Leserinnen und Leser Hinweise bekomme, die mich auf historisches Neuland vordringen lassen. In diesem Fall fragte mich Herr Walter Riegler Anfang März 2022, ob ich an der Geschichte einer jungen Dame interessiert wäre, die Franz Lehár offensichtlich sehr nahestand. Er hätte die dazugehörige, noch nie publizierte Korrespondenz, die eine romantische Lovestory belegen würde.

Natürlich war ich interessiert. Und so trafen wir uns ein paar Tage später im Café Landtmann. Herr Riegler, ein ehemaliger Volksschullehrer, öffnete eine mitgebrachte Tasche und entnahm ihr mehrere Unterlagen, die er vor mir auf dem Kaffeehaustisch ausbreitete. Zuerst ein Album mit Fotos Franz Lehárs und der Einrichtung seiner Villa in der Hackhofergasse Nummer 18 in Wien-Nußdorf. Auf dem Foto der ersten Seite dieser eindrucksvollen Dokumentation stand klein und kaum leserlich »Dein Franz«.

Und auf einem anderen Foto: »Meiner lieben Geri! Franz, Wien 9. 9. 1942«.

Wer, bitte sehr, ist Geri?

»Dein Franz«: Schnappschuss Franz Lehárs vom Garten aus in sein Musikzimmer. Foto aus dem privaten Album, das der Operettenkomponist Geri schenktew

Als nächsten Schritt nahm Herr Riegler ein mittelgroßes Kuvert aus der Tasche, das vollgefüllt war mit Post- und Ansichtskarten. Die erste Karte datiert mit 31. Mai 1942, die letzte mit 26. August 1943, eine weitere war undatiert.

Die neunzehn allesamt während des Krieges verfassten Karten waren in einer Mischform von Kurrent- und Lateinschrift beschrieben und begannen allesamt mit den Worten »Liebe Geri« oder »Liebste Geri«. Die Unterschrift lautete meist »Dein Franz«.

Auf der Rückseite waren entweder Porträtfotos Franz Lehárs, Zeichnungen oder Bilder der Städte, in denen er die Karten aufgegeben hatte. Bilder von Wien, Bern, Zürich, Budapest und Bad Ischl.

Wer sich ein wenig mit dem Leben des Operettenkomponisten beschäftigt hat, erkennt sofort, dass es sich um Originalhandschriften Lehárs handelt. Und es waren nicht irgendwelche Urlaubsgrüße, die da versandt wurden, sondern Liebesgeständnisse eines Herrn in reifen Jahren an eine sehr junge Dame.

Da auf den Karten keine Briefmarken klebten, war klar, dass die intime Post in Kuverts verschickt wurde, oft vermutlich durch einen Boten überbracht. Verständlich, denn es war klar, dass den Inhalt niemand außer Geri lesen sollte. Immerhin war Lehár zum Zeitpunkt dieser ungewöhnlichen Affäre seit achtzehn Jahren verheiratet.

Da die »Liebesgrüße aus Ischl« und anderen Städten also in Kuverts aufgegeben wurden, ist auf den Karten nur der Vorname »Geri«, jedoch weder Familienname noch irgendeine Adresse erwähnt.

Aber halt, eine Karte ist doch frankiert versandt worden: die allererste, vom 31. Mai 1942. Und auf ihr steht: »Fräulein Geri von Leithe, Wien XIX., Hackhofergasse 15«.

Interessant. Fräulein Geri war also die Nachbarin des Komponisten, das Haus Nummer 15, in dem sie lebte, steht exakt vis-à-vis der Lehár-Villa. Er wohnte mit seiner Frau in der Hackhofergasse 18, man kann heute noch durch die jeweiligen Fenster ins gegenüberliegende Haus schauen.

Herr Riegler vertraute mir den historischen Fund an, ich nahm Album und Korrespondenz mit nach Hause, ordnete die Karten chronologisch und begann zu lesen. Das war nicht immer ganz leicht, denn Franz Lehár schrieb in einer zum Teil sehr eigenwilligen Kurrentschrift. Aber schließlich ist es doch gelungen, den Inhalt der Karten vollinhaltlich zu entziffern.

Nehmen wir die erste, jene, die uns den Namen der jungen Dame verrät, zur Hand. Die Vorderseite der Karte, die ihr Franz Lehár schrieb, zeigt eine Fotografie des Hotels Bellevue Palace in Bern, in dem Lehár damals – mitten im Zweiten Weltkrieg – abgestiegen ist. Der Inhalt der Karte ist zu diesem Zeitpunkt förmlich und harmlos – aber das sollte sich im Laufe der Zeit noch ändern.

Bern, 31. 5. 42

Fräulein Geri von Leithe, Wien XIX., Hackhofergasse 15.

Liebste Geri! Gestern dirigierte ich hier »Giuditta«. Es war ein Riesen Erfolg. Schade, dass Du nicht dabei warst. Viele Grüsse an Dich – Deine lieben Eltern und Großmama.

Dein Onkel Franz, 5 Uhr früh!

»Onkel Franz«, das klingt so, wie es sich für einen 72-jährigen Herrn der alten Schule gehört, der einem sechzehnjährigen Mädchen schreibt, dessen Eltern und Großmutter er gekannt haben muss.

Etwa zwei Wochen später ist Lehár nach wie vor in der Schweiz unterwegs, immer noch seinen Dirigierverpflichtungen nachkommend. Der Inhalt der zweiten Karte – auf der nun das berühmte Hotel Baur Au Lac abgebildet ist – ist ebenso harmlos wie der der ersten:

Zürich, Hotel Baur Au Lac 16. 6. 1942

Liebe Geri! »Land des Lächelns« Basel glänzend ausgefallen.

Bin wieder in Zürich. Morgen dirigiere ich hier »Land des Lächelns«. Dich und Deine lieben Eltern grüßt herzlich Dein Onkel Franz.

Es vergehen zwei Monate, die Lehár wie jedes Jahr mit Ehefrau Sophie in seiner Sommervilla in Bad Ischl verbringt, bis er die nächste Karte losschickt. Jetzt fällt bei der Verabschiedung schon das Wort »Onkel« weg. Die Karte mit einem Autogrammfoto des Komponisten belegt, dass die Korrespondenz nicht einseitig ist. Auch Geri schreibt ihrem Nachbarn in der Hackhofergasse. Während sie seine Karten – die ja immerhin von einem weltberühmten Mann stammen – aufhebt, ist anzunehmen, dass der verheiratete Franz Lehár Geris Briefe nach Erhalt vernichtet. Jedenfalls sind sie nicht auffindbar.

Wien 14. 8. 1942

Liebste Geri! Mit dem heutigen Brief hast Du mir eine ganz besondere Freude bereitet. Wann kommst Du wieder zurück nach Wien? Ich hab hier so viel Arbeit vorgefunden, dass ich gar nicht mehr weiß, wann ich nach Ischl fahren kann. Schaue oft zu Deinem Fenster hinüber. Es wird fleißig gelüftet. Vom Kätzchen ist aber keine Spur mehr. Schickst Du mir noch einen recht netten schönen Brief? Allerherzlichst

Dein Franz.

Während Geri sich offenbar noch in den Sommerferien befindet, hat Lehár so viel zu tun, dass er in Wien bleiben muss – und hofft, dass sie bald zurückkehrt. Nur zwei Tage später schickt er die nächste Karte an Geri (auf der Rückseite ist seine Villa in Ischl abgebildet):

»Schickst Du mir noch einen recht netten schönen Brief? Allerherzlichst Dein Franz«: Porträtkarte Lehárs vom 14. August 1942

Wien 16. 8. 1942

Liebste Geri! Wie verlockend mein Ischler Häuschen aussieht und ich kann von Wien noch immer nicht herkommen. Heute hab ich mit meiner grossen Arbeit, dem »Garabonciás diák« angefangen.

Es würde vorwärts gehen, wenn ich mich der Sache voll und ganz widmen könnte.

Ich beneide Dich um die herrlichen Ausflüge die Du unternimmst.

Sollte es aber regnen – dann setz Dich zum Schreibtisch und schreib einen 4 – 6 Seiten langen Brief.

Dein Dich herzlich grüssender Franz

»Dein Dich herzlich grüssender Franz«, Karte Lehárs an Geri vom 16. August 1942

Lehár ist damals ein gefragter Dirigent seiner eigenen Kompositionen, doch seine große Zeit als Schöpfer populärer Operetten ist schon vorbei. Das letzte bedeutende Werk seines Lebens ist mehr als acht Jahre davor entstanden. Es war Giuditta, uraufgeführt am 20. Jänner 1934 an der Wiener Staatsoper. Das Libretto stammte von Paul Knepler und Fritz Löhner-Beda, es sangen Richard Tauber und Jarmila Novotná. Jetzt, im August 1942, kann keiner dieser Künstler in Wien sein, denn sie alle werden vom NS-Regime verfolgt: Knepler und Tauber sind in der englischen Emigration, Jarmila Novotná in den USA und Fritz Löhner-Beda sitzt, einem schrecklichen Ende entgegensehend, im KZ Buchenwald.

Fast alle Lehár-Operetten wurden von jüdischen Librettisten getextet – sie werden auch weiterhin in Nazi-Deutschland aufgeführt, aber die Namen der Autoren von Plakaten und Programmheften eliminiert.

Das auf der vorigen Karte vom 16. August 1942 erwähnte Singspiel Garabonciás diák ist kein Originalwerk, sondern eine textliche und musikalische Neufassung der 1910 entstandenen Lehár-Operette Zigeunerliebe, deren »Teufelsgeiger« Jozsi jetzt zum fahrenden Studenten wird. Die Uraufführung soll am Königlichen Opernhaus in Budapest stattfinden.

Im Frühherbst 1942 schenkt Lehár seiner schönen Nachbarin ein großes, gerahmtes Porträtfoto, dessen Widmung zeigt, dass er seine bisherige Scheu überwunden hat und jetzt schon ziemlich direkt wird. Wagt er es doch, an den unteren Rand des Bildes ein paar Noten mit einer unmissverständlichen Zeile aus seiner Operette Paganini zu schreiben:

Niemand liebt Dich so wie ich ..... Meiner lieben Geri allerherzlichst gewidmet. Franz Lehár Wien, 13. 9. 1942.

»Niemand liebt Dich so wie ich«: Widmung Franz Lehárs an Geri Leithe, September 1942

Die nächsten Karten an Geri kommen aus Budapest, wo Lehár intensiv an den Vorbereitungen zur Uraufführung der Zigeunerliebe-Neufassung arbeitet. In dieser Karte wird Lehárs erster Kuss, noch dazu ein »heißer«, an Geri verschickt:

Budapest, 4. Okt. 1942

Liebste Geri! Es ist 4 Uhr früh vorüber … kann kaum mehr schreiben – Ich habe aber sehr viel ausgerichtet. Ich komme bald ….

Die allerherzlichsten Grüsse und einen heißen Kuß von

Deinem Franz

Keine der Karten an Geri Leithe weist auch nur mit einem Wort auf den Krieg und die brutale Nazi-Herrschaft in Deutschland und der »Ostmark« hin. Abgesehen davon, dass auch nur die geringste Andeutung dieser Themen infolge der Briefzensur lebensgefährlich gewesen wäre, strebt Lehár mit Geri – vorerst jedenfalls – eine »Schönwetter-Freundschaft« an. Nur nichts Problematisches ansprechen: Immer nur lächeln*.

Auch die Schicksale seiner engsten Freunde und Mitarbeiter werden in der Korrespondenz ausgeklammert: Auf den Tag genau zwei Monate nachdem Lehár die obige Karte aus Budapest schreibt – am 4. Dezember 1942 –, wird Fritz Löhner-Beda in Auschwitz von einem KZ-Aufseher erschlagen. Er ist Librettist der Lehár-Operetten Friederike (1928), Das Land des Lächelns (1929), Schön ist die Welt (1930) und Giuditta (1934). Von Löhner-Beda stammen die Texte der Lehár-Schlager Dein ist mein ganzes Herz, Freunde, das Leben ist lebenswert, Immer nur lächeln und Meine Lippen, sie küssen so heiß.

Nach dem Krieg wird Lehár vorgeworfen, nichts unternommen zu haben, das Leben seines Freundes und engen Mitarbeiters zu retten. Der Komponist erklärt, für Löhner-Bedas Freilassung aus dem KZ in einem persönlichen Gespräch mit Hitler interveniert zu haben, wofür sich jedoch kein Beleg findet. Zum Zeitpunkt der Ermordung des 59-jährigen Librettisten entstehen im Wiener Funkhaus Tonaufnahmen der von ihm getexteten Operetten Schön ist die Welt und Giuditta.

Anfang des Jahres 1943 ist Lehár wieder in Budapest, um an der erneuerten Zigeunerliebe zu arbeiten. In der nächsten Karte nennt er Geri schon »meine kleine Prinzessin« und die Küsse vermehren sich:

Budapest, 2 Uhr früh! 10. I. 1943

Liebste Geri! Heute Sonntag hatte ich viel Besuche und ich kam den ganzen Tag nicht zur Ruhe! Gegen Mitternacht hab ich mich zum Schreibtisch gesetzt, um zu arbeiten – aber es ist 2 Uhr geworden, und es geht nicht mehr weiter.

Übermenschliche Arbeit steht mir bevor. Es ist doch nicht gut, wenn der Komponist in Wien und der Textdichter in Budapest weilt ohne sich schriftlich oder telephonisch verständigen zu können. Morgen haben wir eine wichtige Konferenz, da wird sich hoffentlich alles entscheiden.

Mir tut so leid, dass wir ohne jede Verbindung sind. Nun – die Zeit wird auch vorüber gehen und ich werde meine kleine Prinzessin bald wieder beim Fenster sehen. Es küsst Dich 6 und 10 Mal Dein Franz

Natürlich habe ich Walter Riegler gefragt, wie er zu Lehárs Fotoalbum und den Karten an Geri Leithe gekommen ist. Und er erklärte: Seine Mutter Theresia Glinz (1921–2001) wuchs nahe der niederösterreichischen Stadt Pöchlarn auf und arbeitete dort während des Krieges in der Hanf-Jute- und Textil-Industrie AG. Im Jahr 1948 übersiedelte sie nach ihrer Heirat nach Wien.

»Sie hat erzählt, dass russische Besatzungssoldaten mit einem Lkw durch Pöchlarn fuhren und sowohl das Album als auch die Karten auf die Straße geworfen haben – oder sie sind aus dem Auto gefallen, das konnte sie nicht so genau erkennen.« Jedenfalls nahm sie das Konvolut, dessen Wert sie nicht kannte, an sich. Auch in Wien hat Herrn Rieglers Mutter die Lehár-Memorabilien aufbewahrt, nach ihrem Tod übernahm sie ihr Mann. Und als der 2009 starb, verstaute Walter Riegler die Sammlung in einem großen Karton auf seinem Dachboden. Bis er im März 2022 auf die Idee kam, mir das Album und die handgeschriebenen Karten anzuvertrauen.

Wie auch immer das Konvolut in die Hände sowjetischer Besatzungssoldaten gelangt sein mochte, feststeht – und das ist der wichtigste Punkt –, dass Lehárs Handschrift echt ist. Die »hundertprozentige Echtheit« bestätigt Universitätsprofessor Wolfgang Dosch, Generalsekretär der Internationalen Franz Lehár Gesellschaft: »Die Karten und Briefe zeigen das typische Schriftbild des alternden Lehár, auch stimmen die Orte, von denen er schreibt, vollkommen mit den biografischen Stationen dieser Zeit überein.« Und was die Beziehung zu einer jungen Frau betrifft: »Lehár war ein großer Erotiker, das drückt sich nicht nur in seiner Musik, sondern auch in seiner Stellung als Mann aus. Uns sind Affären aus seinen früheren Jahren bekannt. Sie waren auch der Grund, warum seine Frau Sophie sowohl in Wien als auch in Bad Ischl immer in einem Nebentrakt seiner Häuser gewohnt hat. Neu ist, dass Lehár auch im hohen Alter noch die Nähe einer jungen Frau gesucht hat, davon erfahren wir durch diesen Schriftverkehr erstmalig. Die Beziehung hat ihm sicher gutgetan. Frauen zu erleben und zu verstehen, schmeichelte seinem Ego, seiner Seele. Für einen über Siebzigjährigen, der so dachte und fühlte wie Lehár, war das sicher ein Geschenk.«

Wenige Tage nach der »Prinzessinnen«-Karte folgt die nächste – wieder mit einem Lehár-Foto auf der Vorderseite –, auf der Geri bereits zur »Heiligen« avanciert.

Budapest, 19. I. 1943

Liebste Geri! Hier eine Blitz-Aufnahme nach der Probe. Was macht meine liebe kleine Heilige die ganze Zeit?.. Ich sandte Dir absichtlich verschiedene Kinder-Aufnahmen. Nach Deinen bisherigen Engelszeichnungen habe ich die Empfindung dass Du für diese Art ein besonderes Talent hast. Es werden noch weitere mindestens »6« Bilder folgen. Es küsst Dich herzlichst Dein Franz

»Was macht meine liebe kleine Heilige die ganze Zeit?« Karte aus Budapest vom 19. Jänner 1943

*

Wer also ist die »liebste Geri«?

Wien besitzt ein umfassend sortiertes Stadt- und Landesarchiv, in dem man die Daten jedes Bürgers, jeder Bürgerin findet, die hier seit 1910 gemeldet waren. So wird man auch bei Geri »von« Leithe fündig.

Bei näheren Recherchen stellt sich heraus, dass die Familie Leithe keineswegs aristokratisch war, auch in der Zeit der österreichischungarischen Monarchie nicht, lediglich Geris Mutter geb. Metz hat kleinadlige Vorfahren. Das »von« ist wohl eine Höflichkeitsform, die Franz Lehár der verehrten jungen Frau gegenüber anwandte. Weiters: »Geri« (innerhalb der Familie und zuweilen auch von Lehár »Gery« geschrieben) ist eine Kurzform von Gertrud. Den Meldeunterlagen ist zu entnehmen, dass Gertrud Leithe, wohnhaft in Wien 19., Hackhofergasse 15, am 23. Mai 1926 in Wien zur Welt kam. Ihre Eltern waren Margarethe und Rudolf Leithe, sie Hausfrau, er Diplomingenieur für Elektrotechnik und Maschinenbau. Geri hatte zwei jüngere Schwestern, von denen eine im Kleinkindalter verstorben war. Geris Mutter Margarethe war in der Zeit, in der die Korrespondenz ihrer Tochter mit Franz Lehár datiert, 41 Jahre alt, Rudolf Leithe war 46 und als Direktor der Wiener Hanf-Jute- und Textil-Industrie AG tätig.

In derselben Hanf-Jute- und Textil-Industrie AG, in der auch Walter Rieglers Mutter Theresia Glinz arbeitet. Er in Wien, sie in Pöchlarn. Das kann kein Zufall sein. Ist auch keiner, wie sich später herausstellen wird.

Wenige Tage nach der vorigen, schreibt Lehár die nächste Karte:

Budapest 23. Jänner 1943

Liebe gute Geri!

Jetzt möcht ich Dich aber schon sehr gerne wieder sehen – Die Trennung dauert nun schon zu lange!

Es heißt aber – ausharren! Wenn ich schon so viel gearbeitet habe – soll das Werk auch endlich herauskommen.

Dann wird das Wiedersehen umso schöner sein.

Es umarmt dich 6 x Dein Franz

Drei Tage danach ist aus der »lieben guten Geri« schon »Meine liebste Geri« geworden. Auf der Rückseite der nächsten Karte sind ungarische Trachten abgebildet:

Budapest, 26. Jänner 1943

Meine liebste Geri! Vielleicht regen Dich die kleinen Zeichnungen an. Die Kostüme sind wirklich reizend und in meiner »Garabonciás« werden solche Kostüme vorkommen.

Es werden überhaupt zauberhafte Bilder vorkommen. Hauptsächlich im 2. Akt, der doch ein Traum ist, kommen prachtvolle Szenen vor. Es küsst Dich Dein Franz.

PS: Das weißt du ja, dass Radio Wien am 12. 2. um 8 Uhr 15 »Wo die Lerche singt« bringen wird.

Wo die Lerche singt ist eine Lehár-Operette, die am 27. März 1918 im Theater an der Wien deutschsprachig erstaufgeführt wurde. Die Namen der Librettisten Heinz Reichert, Ferenc Martos und Alfred Maria Willner werden in der Ansage der Radioübertragung nicht genannt, »da die Textverfasser Juden sind« – was im Fall Willners übrigens nicht stimmte.

Hier sei ein Wort über Franz Lehár als Homme à Femmes verloren. Abgesehen von der Beziehung zu seiner Frau Sophie – und jetzt auch zu Gertrud Leithe – wissen wir von einer großen Liebe, die für ihn traurig endete. Der 33-jährige Lehár hatte im Jahr 1903 um die Hand seiner Jugendliebe Ferdinande »Ferry« Weißberger angehalten. Doch deren Tante – die legendäre Hotelbesitzerin Anna Sacher – untersagte ihr die Beziehung »mit dem Hungerleider«, woraufhin die junge Frau einen Bauunternehmer heiraten musste.

»Die Kostüme sind wirklich reizend«: Lehár schickt Zeichnungen, damit Geri sich ein Bild von der Ausstattung der Operette machen kann.

Zwei Jahre nach der Ablehnung durch Anna Sacher war »der Hungerleider« dank des Welterfolgs seiner Lustigen Witwe ein vielfacher Millionär und einer der reichsten Österreicher, der das Sacher, als es in den 1930er-Jahren in den Konkurs schlitterte, spielend hätte retten können.

Lehár fand bei Ferdinandes bester Freundin Sophie Paschkis geschiedene Meth Trost, die er aber erst nach zwanzigjähriger Beziehung heiraten sollte. Dass er erotischen Abenteuern nicht abgeneigt war, zeigt – neben den Briefen an Geri – auch die Aussage einer anderen Geliebten auf. Für die 2003 gedrehte ORF-Dokumentation Lehár wird helfen, die vom Schicksal seines Freundes Fritz Löhner-Beda erzählt, interviewte Drehbuchautor und Regisseur Otto Schwarz die Wienerin Angela Ries, die einen weiteren Beweis dafür liefert, dass er seiner Frau nicht treu war – und dass er eine Vorliebe für sehr junge Mädchen hatte. Angela Ries: »Ich hab ihn (Lehár, Anm.) mit fünfzehn Jahren kennengelernt, und er war damals 55. Von meiner Seite war es eine große Liebe, meine erste große Liebe, und er hat mich auch sehr gern gehabt.« Die Affäre mit Angela Ries begann an einem von Lehár dirigierten Konzertabend im Jahr 1925, nach dem er Angela, charmant wie immer in solchen Fällen, schrieb:

Es hat mir sehr viel Freude bereitet, dass Sie und Ihre liebe Frau Mama im Theater so nahe bei mir gesessen sind. Sie haben so liebe graue Augen, dass man gar nicht wegsehen kann. Jedenfalls habe ich gestern nur für Sie dirigiert.

Die Beziehung mit Angela Ries – beginnend zu einer Zeit, als Geri noch gar nicht geboren war – dauerte sechs Jahre, jedenfalls war Lehár auch damals schon verheiratet. »Er war ein großer Frauenfreund«, erklärte Angela Ries, »aber eigentlich hat er nur für die Musik gelebt. Die Frauen haben ihn inspiriert, waren seine Musen. Ich war für ihn die Friederike.«*

»Von meiner Seite war es eine große Liebe, meine erste große Liebe«: Angela Ries, 1910–2008, war sechs Jahre mit Lehár liiert.

Zurück ins Kriegsjahr 1943, zurück zu Gertrud Leithe.

Budapest, 29. Jänner 1943

Meine liebe kleine süsse Geri!

Seit ich mit Deinem Papi gesprochen habe, der mir Deine Grüsse bestellte, bin ich viel besser aufgelegt. Ich wusste eigentlich nicht recht, was mir fehlte – Jetzt weiß ich’s.

Hoffentlich wird wenigstens er am 20. Februar in Budapest sein.

Alles Liebe ……! Innigst Dein Franz

Der Kontakt mit Geris Eltern muss relativ eng gewesen sein, immerhin trifft Lehár ihren Vater in Budapest – und am 20. Februar 1943 findet die Uraufführung des Singspiels Garabonciás diák an der Königlichen Oper der ungarischen Metropole statt. Die ersten beiden Vorstellungen leitet der Komponist selbst, da der ursprünglich vorgesehene Dirigent erkrankt ist.

Die nächste Karte schreibt Lehár nur einen Tag nach der vorherigen. Mit »Verlagsangelegenheiten« nimmt er Bezug auf den in seinem Besitz befindlichen Glocken Verlag, den er 1935 zum Schutz seiner Werke gründete, nachdem der Verlag W. Karczag, der seine Rechte bis dahin vertreten hatte, in die Insolvenz geschlittert ist.

Budapest 30. I. 1943

Liebste Geri! Heute habe ich einen schweren Tag gehabt. Von früh bis Abend lauter Konferenzen. Es mussten nämlich Verlagsangelegenheiten durchgesprochen werden. Es müssen doch Noten am Tag der Premiere erscheinen. Darum kann ich Dir auf dieser Karte bloß 6 Zeilen schreiben.

Dein Franz

Die Proben zu Garabonciás diák haben mehr als sechs Wochen gedauert und waren sehr anstrengend für den 72-jährigen Meister. Dazu kommt, dass es in Budapest kaum Kohle gibt, sodass sein Hotelzimmer tagelang ungeheizt bleibt. »Aber ich legte immer erst die Feder aus der Hand«, erklärt er, »wenn meine Hände fast erfroren waren.«

Budapest 9. II. 1943

Liebste Geri! Heute kann ich kaum mehr schreiben. Will Dir gar nicht eingestehen, wie viel Uhr es gerade ist … es ist schon nahezu 6 Uhr früh aber ich habe viel ausgerichtet.

Innigst Dein Franz

Das Wort »Dein« auf dieser Karte hat er wohl als Zeichen der innigen Zuneigung drei Mal unterstrichen.

Budapest, 10. II. 1943

Meine kleine Heilige! Das hab ich Dir wohl schon geschrieben, dass ich am 3. März im grossen Konzerthaussaal ein Wehrmachtskonzert dirigiere. Da bist du ja dabei …

…… Küsse! Dein Franz