Zwischen den Zeiten - Georg Markus - E-Book

Zwischen den Zeiten E-Book

Georg Markus

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Beschreibung

Was einmal war Die Vergangenheit ist in kaum einem Land so gegenwärtig wie in Österreich – nicht zuletzt dank Georg Markus, der stets neue und ungewöhnliche, dramatische wie kuriose Geschichten zutage fördert. Er hat das Testament Kaiser Franz Josephs ausgegraben und veröffentlicht zum ersten Mal die Briefkorrespondenz der ersten Frau Helmut Qualtingers, die darin spannende Details aus dem Leben des genialen Kabarettisten preisgibt. Weiters erzählt der Bestsellerautor von Zeitzeugen wie Kurt Schuschnigg jun., Filmstar Liane Haid oder Gustav Klimts Schwiegertochter. In seinem neuesten Wurf vereint Georg Markus Ur-Österreichisches mit Themen und Menschen, die die Welt bewegten – Zwischen den Zeiten ebenso wie heute. Aus dem Inhalt: Das Testament des Kaisers Keine zweite Frau für Franz Joseph Die Erzherzogin, die ihre Schwägerin liebte Mord im Wiener Konzerthaus Seine Majestät, der Hauswart Wie die Deutschen zu Piefkes wurden Die Könige vom Traunsee Die größte Witzesammlung der Welt Das Geheimnis der Stradivari Wohnen in Lehárs Schlössl Qualtinger intim und viele andere Mit zahlreichen Abbildungen

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Seitenzahl: 268

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GEORG MARKUS

Zwischen den Zeiten

Momente, die Geschichte schrieben

Mit 59 Abbildungen

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2021 by Amalthea Signum Verlag, WienAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEATUmschlagmotiv: © Austrian Archives S/Imagno/picturedesk.comLektorat: Madeleine PichlerHerstellung und Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, HeimstettenGesetzt aus der 12,75/17,35 pt Chaparral Pro LightISBN 978-3-99050-211-2eISBN 978-3-903217-80-5

Für Elisabeth, Mathias und Moritz

INHALT

Vom Kaiser bis zum Qualtinger

Vorwort

OHNE KAISER GEHT’S NICHT I

Das Testament des Kaisers

Wer aller bedacht wurde

Keine zweite Frau für Franz Joseph

Aber intensive Bemühungen

Die Erzherzogin, die ihre Schwägerin liebte …

… und nicht ihren Ehemann, Kaiser Joseph II.

KRIMINELLES

Die Gräfin, die 650 Menschen tötete

Der Fall Elisabeth Báthory

Liebe Grüße vom Frauenmörder

Die Untaten des Hugo Schenk

»Um ein freies Leben führen zu können«

Die blutigen Verbrechen der Martha Marek

Mord im Wiener Konzerthaus

Das Attentat auf eine ägyptische Prinzessin

»Es ist besser, Sie sehen den Leichnam nicht«

Der Mord an Emmerich Kálmáns Tochter

IM KAFFEEHAUS UND IN ANDEREN LOKALITÄTEN

Da waren’s nur noch vier

Vom Verschwinden der Ringstraßencafés

Wo man sich »wia z’Haus« fühlt

Österreichische Gasthauskultur

»Es wird a Wein sein …«

Der Heurige ist über 1200 Jahre alt

Sperrstund is’

Der Beginn der Nachtruhe

WITZ, HUMOR UND ANEKDOTEN

Der Nachlass des Witzepräsidenten

Die größte Witzesammlung der Welt

»Wenn man sie überlebt«

Wie der britische Humor entstand

»Haben Sie hier Extrapreise oder ich?«

Anekdoten aus Österreich

STRASSEN, GEGENDEN UND GEBÄUDE

»Aber dann zieht sich der Weg«

Die wechselvolle Geschichte der Kärntner Straße

Straße der Prominenz

Die Rotenturmstraße

Wieder Fußgängerzone

Die Wiener Mariahilfer Straße

Venedig in Wien

Eine vergessene Gegend im Prater

Rettung im letzten Moment

Die Wiener Sofiensäle

BERUFE

Seine Majestät, der Hauswart

Porträt eines Originals

Zigarrengeschäft mit Doppeladler

Die Institution des Trafikanten

Figaro hier, Figaro da

Leibfriseur im Frack

Die Wahrheit über den Zölibat

Ursprünglich durften Priester heiraten

OHNE KAISER GEHT’S NICHT II

Die beste Reiterin der Welt

Kaiserin Elisabeth liebte es hoch zu Ross

Das Jagdschloss des Kaisers

Die Sommerresidenz in Mürzsteg

Der dritte Bruder des Kaisers

Der unbekannte Erzherzog Karl Ludwig

UNSERE NACHBARN

Wie die Deutschen zu Piefkes wurden

Die Geschichte einer Hassliebe

Die Tänzerin und der König

Eine ungewöhnliche Lovestory

In die Falle getappt

Hitlers falsche Tagebücher

LETZTE RUHE

»Mehr Licht«

Letzte (und vorletzte) Worte

Ruhe in Unfrieden

Wie »prominente Leichen« gestohlen wurden

Habsburgs letzte Ruhestätte

Die Kapuzinergruft

Geliebt auch im Tode

Die Ehrengräber am Wiener Zentralfriedhof

Ein Friedhof im Zentrum von Wien

Die Toten vom Philipphof

ZEITZEUGEN

»Was hätte mein Vater denn anderes tun sollen?«

Der Sohn des letzten Kanzlers der Ersten Republik

Aus dem Leben eines vergessenen Filmstars

Liane Haid, vom Stumm- zum Tonfilm

Klimts Schwiegertochter

Was aus dem Nachlass wurde

ADEL VERPFLICHTET

»Für mich bleibt er Prinz«

Aus der Familienchronik der Schwarzenbergs

Liechtensteins Fürsten aus Österreich

Eine Familiengeschichte

Die Könige vom Traunsee

Wie die Hannoveraner Österreicher wurden

LITERARISCHES

So liebte Casanova

Aus dem Leben eines Frauenhelden

Die Welt steht auf kein Fall mehr lang

oder Der Komet kommt!

Dichter und Tierfreund

Ignaz Castelli

»Ich sehe mit meiner Seele«

Die taubblinde Schriftstellerin Helen Keller

Wenn Dichter in den Krieg ziehen

Berühmte Schriftsteller als Berichterstatter im Feld

MUSIKALISCHES

Das Geheimnis der Stradivari

Die teuersten Geigen der Welt

Ein Österreicher, den man nur in Frankreich kennt

Der Komponist Ignaz Pleyel

Im Schatten der »Sträusse«

Joseph Lanner, der Erfinder des Dreivierteltakts

Wohnen in Lehárs Schlössl

Zu Besuch im historischen Anwesen des Komponisten

OHNE KAISER GEHT’S NICHT III

Horror-Weihnachten im Kaiserhaus

Ein stimmungsloses Fest bei den Habsburgern

Otto und seine berühmten Ahnen

Ein Habsburger über die Habsburger

QUALTINGER INTIM

»Ich schlepp ihn über die Runden«

Aus den privaten Briefen der ersten Frau Helmut Qualtingers

Quellenverzeichnis

Bildnachweis

Namenregister

Vom Kaiser bis zum Qualtinger

Vorwort

Die Momente, die »Zwischen den Zeiten« Geschichte schrieben, umspannen im Wesentlichen das Jahrhundert, das zwischen Kaiser Franz Joseph (*1830) und Helmut Qualtinger (*1928) liegt. Dem alten Kaiser ist das erste Kapitel gewidmet, dem legendären Kabarettisten das letzte. Ich beginne hier mit dem Schluss, denn das Qualtinger-Kapitel ist vielleicht das brisanteste, auf jeden Fall das aktuellste. Sein Zustandekommen ist damit zu erklären, dass mir die private Korrespondenz von Qualtingers erster Frau Leomare zugespielt wurde, in der es um nichts anderes geht als um Helmut Qualtinger. Mehr als fünfzig Briefe zeigen ihn in seiner ganzen Vielschichtigkeit, seinem Genie, seinen Problemen mit sich selbst und seinem ewig kindlichen Gemüt. Die Briefe, eine Art Tagebuch, werden hier zum ersten Mal veröffentlicht.

Das Qualtinger-Kapitel erzählt von den Jahren einer Beziehung, von der großen Liebe über eheliche Untreue bis zur Trennung, all das, was den Menschen und Ausnahmekünstler Qualtinger ausmacht. In den Briefen geht es um die fast unerträgliche Anspannung vor Premieren, um Tourneen, Depression und andere Krankheiten, um Alkohol und die immer wiederkehrenden Versuche, davon loszukommen. Leomare schildert aber auch den Selbstmord von Qualtingers engstem Freund Erich Neuberg, der beim Herrn Karl Regie geführt hat. Erwähnt werden Begegnungen mit Erich Kästner, Curd Jürgens, Fritz Kortner und Heimito von Doderer. Die letzten Seiten der Korrespondenz zeigen, dass sich Qualtinger für eine andere Frau, Vera Borek, entscheidet, an deren Seite er mehr als ein Jahrzehnt verbringen wird.

»Ohne Kaiser geht’s nicht I« lautet der Titel des ersten Überkapitels. Dass es auch ohne Kaiser geht, beweisen mehr als hundert Jahre Republik – aber in einem Buch, das sich vorwiegend mit der Geschichte Österreichs beschäftigt, geht’s eben doch nicht ohne Monarchen. Das erste Kaiser-Kapitel behandelt »Das Testament des Kaisers«. Das zu seinem Todeszeitpunkt gültige Exemplar stammt aus dem Jahr 1901 und gibt detailliert Auskunft darüber, wem Franz Joseph sein großes in Wertpapieren und Barschaften angelegtes Vermögen, seine Schlösser und Anwesen hinterließ.

»Keine zweite Frau für Franz Joseph« handelt davon, dass es nach dem Tod seiner »Sisi« bei Hof intensive Bestrebungen gab, den Kaiser noch einmal zu verheiraten. Es ist interessant, wer da aller zur Wahl stand und dass fast alle »Kandidatinnen« aus der nahen Verwandtschaft stammten. Aber der Kaiser hatte offensichtlich kein Interesse an den Versuchen, ihn zu verkuppeln.

Das Kapitel »Die Erzherzogin, die ihre Schwägerin liebte« begibt sich »Zwischen den Zeiten« doch noch weiter zurück, nämlich ins 18. Jahrhundert, in dem Kaiser Joseph II. mit seiner Frau Isabella lebte. Doch sie liebte weniger ihren Mann als ihre Schwägerin Marie Christine. Auch hier liegt eine intime Korrespondenz vor, die Zeugnis von einer großen Leidenschaft ablegt: »Ich kann an nichts anderes denken, als an die Liebe zu Dir«, schreibt Isabella an Marie Christine. »Ich liebe Dich wie eine Wahnsinnige.«

Es folgt eine Mischung weiterer historischer Kurzgeschichten mit dem Übertitel »Kriminelles«. Da ist von einer Gräfin die Rede, die mehr als sechshundert Menschen auf dem Gewissen hat. Es geht um einen Frauenmörder, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts mittels Heiratsinseraten an seine Opfer herankam. Die Wienerin Martha Marek tötete Menschen, die sie vorher dazu gebracht hatte, Testamente zu ihren Gunsten aufzusetzen. Weitere Kapitel handeln von einem Eifersuchtsattentat im Wiener Konzerthaus und dem Mord an der Tochter des berühmten Operettenkomponisten Emmerich Kálmán.

»Zur Erholung« wird dem Leser in den darauffolgenden Kapiteln leicht Verdauliches – ohne jegliches Blutvergießen – geboten. Das Überkapitel »Im Kaffeehaus und in anderen Lokalitäten« erzählt von den einst 29 Wiener Ringstraßencafés, von denen gerade noch vier übrig geblieben sind, weiters von der österreichischen Gasthauskultur und der sehr Wienerischen »Sperrstund’«. In »Witz, Humor und Anekdoten« darf gelacht werden, unter anderem über die größte Witzesammlung der Welt, die sich in Österreich befindet. Über »Straßen, Gegenden und Gebäude« gelangen wir zu den sehr wienerischen Berufen wie Hausmeister, Trafikant und Friseur.

Um die Themen, die von der Monarchie und ihren Repräsentanten erzählen, ein wenig aufzuteilen, habe ich etwa zur Mitte des Buches das Überkapitel »Ohne Kaiser geht’s nicht II« platziert. Darin wird Kaiserin Elisabeth als weltweit beste Reiterin ihrer Zeit vorgestellt, wir begeben uns in Franz Josephs Jagdschloss Mürzsteg und lernen den einzig unbekannten Bruder des Kaisers kennen: Erzherzog Karl Ludwig, der in der Geschichte Österreich-Ungarns eine größere Rolle spielte, als man gemeinhin annimmt.

Mit »Unsere Nachbarn« sind die Deutschen gemeint, über die wir erfahren, wie sie zu »Piefkes« wurden. Oder dass Bayernkönig Ludwig I. der Tänzerin Lola Montez dermaßen verfallen war, dass er ihretwegen auf den Thron verzichten musste und für den Rest seines Lebens ein gebrochener Mann war. Und man liest, wie es zu den gefälschten »Hitler-Tagebüchern« kam.

Auch der Tod darf in einem österreichischen Geschichten- und Geschichtsbuch nicht fehlen. In »Letzte Ruhe« werden die letzten Worte historischer Persönlichkeiten und der Diebstahl »prominenter Leichen« geschildert. Es werden aber auch »Habsburgs letzte Ruhestätte« und die Ehrengräber am Wiener Zentralfriedhof vorgestellt.

Unter »Zeitzeugen« firmieren Kurt Schuschnigg jun., der Sohn des letzten Bundeskanzlers in der Ersten Republik, die Schauspielerin Liane Haid und Gustav Klimts Schwiegertochter, die heute, mehr als hundert Jahre nach dem Tod des Malers, in Wien lebt.

In »Adel verpflichtet« beschreibe ich drei aristokratische Familien: die Schwarzenbergs, die Liechtensteins und die seit eineinhalb Jahrhunderten im österreichischen Exil lebenden Prinzen von Hannover, deren Vorfahren einst britische Könige waren.

»Literarisches« heißt ein weiteres Überkapitel, in dem wir Casanova, Nestroy, der taubblinden Helen Keller und anderen Schriftstellern begegnen. »Musikalisches« erzählt die Geschichte der Stradivari-Geigen und das Leben von Joseph Lanner, der zwar den Dreivierteltakt erfunden, aber sein Leben im Schatten der Strauss-Dynastie verbracht hat. Und ich statte dem Schlössl, in dem Franz Lehár viele Jahre lebte, einen Besuch ab.

Danach heißt’s »Ohne Kaiser geht’s nicht III«, mit einer Schilderung mehrerer Horror-Weihnachtsfeste in der Hofburg. Und: Wie Otto von Habsburg seine wichtigsten Ahnen einschätzte. Zu guter Letzt sind wir dann bei dem erwähnten Qualtinger-Kapitel angelangt.

Festhalten möchte ich, dass dieses Buch in der vorliegenden Form nicht erschienen wäre, wäre mir nicht meine Frau Daniela mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Es ist, wie viele meiner Bücher, in Gesprächen mit ihr und im Austausch von Ideen entstanden, sie war und ist es, die mir immer wieder den Weg ebnet, einem Thema nachzugehen, das sich als ergiebig erweisen sollte. Hätte ich manchmal schon aufgegeben, ein neues historisches Detail zu finden, dann war sie es, die mich zur Ausdauer bestärkt hat.

Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, wünsche ich »Zwischen den Zeiten« viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Buches.

Georg Markus

Wien, im August 2021

Danksagung

Mein Dank gilt Michael Böhm, Vera Borek, Gabriela Grüll, Otto von Habsburg (†), Anastasia Hacker (†), Liane Haid (†), Thomas Just, Hermine Kreuzer, Christian Qualtinger, Maria Zdislava Röhsner, Christoph Schmetterer, Kurt von Schuschnigg jun. (†), Ursula Ucicky, Peter Weinhäupl sowie Katarzyna Lutecka, Madeleine Pichler und Sophia Coper vom Amalthea Verlag und Dietmar Schmitz.

OHNE KAISER GEHT’S NICHT I

Das Testament des Kaisers

Wer aller bedacht wurde

Kaiser Franz Joseph war ein sehr vermögender Mann. Dementsprechend umfangreich sind die drei Testamente, die er in seinem Leben verfasst hat. Wo die beiden ersten – aus den Jahren 1889 und 1899 – verblieben sind, ist unbekannt, gültig ist ohnehin nur das vom 6. Februar 1901. Die ersten beiden Testamente wurden nach Kronprinz Rudolfs beziehungsweise Kaiserin Elisabeths unerwarteten Todesfällen erstellt, zumal durch diese Tragödien zwei wichtige Erben verstorben waren. Das erhalten gebliebene Testament aus dem Jahr 1901, das tatsächlich für die Rechtsnachfolge nach dem Kaiser relevant war, befindet sich im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Ich hatte Gelegenheit, dort Einblick zu nehmen.

Kaiser Franz Joseph war 27 Jahre lang ein »armer Kaiser«, denn sein Onkel und Vorgänger Ferdinand I. hatte 1848 zwar auf den Thron, nicht aber auf das stattliche kaiserliche Vermögen und seine großen Ländereien verzichtet, die jährlich viele Millionen abwarfen. Erst 1875, nach dem Tod seines Onkels, der trotz seines schwachen körperlichen Zustands 82 Jahre alt geworden war, verfügte Franz Joseph über ein ansehnliches Vermögen, da ihn Ferdinand als seinen Alleinerben eingesetzt hatte.

Franz Josephs Nachlass war in mehrere Gruppen unterteilt: Zu seinem Privatfonds zählten des Kaisers persönliche Besitzungen, wie etwa Kaiservilla und Villa Gries in Bad Ischl, das Jagdhaus Offensee, die Ländereien um Persenbeug, Schloss Wallsee oder die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten. Dazu noch ein stattliches Vermögen, das in Wertpapieren und Barschaften angelegt war.

Andere Vermögensteile und Güter in Ungarn, der Tschechoslowakei oder Laxenburg bei Wien gehörten zum Familienfonds. Den bei Weitem wertvollsten und prächtigsten Besitz stellte das Hofärar dar. In diese Gruppe fielen Schloss Schönbrunn, Belvedere, die Hofburg in Wien und Innsbruck, die Salzburger Residenz sowie Schloss Ofen, Miramare, die Prager Burg und ein Großteil der Kronjuwelen. Sowohl Hofärar als auch das Kaiser Franz Joseph-Fideikommiss, zu dem weitere Ländereien zählten, waren im Staats- beziehungsweise Familienbesitz, sollten aber dem jeweiligen Träger der Krone zur Verfügung stehen – ab 1916 also Kaiser Karl I.

Was sein Privatvermögen betrifft, ernannte Franz Joseph laut Testament »zu Erben Meines beweglichen und unbeweglichen Vermögens zu drei Theilen

1.Meine Tochter Gisela, vermählte Prinzessin von Bayern,

2.Meine Tochter Marie Valerie, vermählt mit Erzherzog Franz Salvator,

3.Meine Enkelin Erzherzogin Elisabeth Marie, hinterlassene Tochter Meines verewigten Sohnes, Kronprinzen Rudolfs.«

Das Privatvermögen, das unter den beiden Töchtern und der Enkelin aufzuteilen war, umfasste zum Zeitpunkt des Todes Kaiser Franz Josephs 46 Millionen Kronen*.

»Franz Joseph traf in seinem Testament auch gleich Regelungen für die Aufteilung des Nachlasses zwischen seinen drei Erbinnen«, schreibt der Jurist und Historiker Christoph Schmetterer in seinem Kommentar zu den letztwilligen Verfügungen Kaiser Franz Josephs. Und weiter: »Marie Valerie (die jüngere Tochter, Anm.) sollte die Immobilien erhalten und die beiden anderen Erbinnen Gisela und Elisabeth dafür in bar abfinden. Aus den Akten zum Verlassenschaftsverfahren geht hervor, dass die Aufteilung des Erbes ohne Schwierigkeiten durchgeführt wurde.«

Der Kaiser legte darüber hinaus Wert darauf, aus seinem Privatvermögen »jene Diener Meines Hofstaates« zu bedenken, »welche zur Zeit Meines Hinscheidens bei Meiner Person in Verwendung stehen (Kammerpersonale, Leibjäger, Leiblakaien, Hausdiener)«. Ihnen sollte es laut Testament freistehen, »entweder in den Pensionsstand zu treten oder je nach ihrer Tauglichkeit fortzudienen. In beiden Fällen soll ihnen außer ihren Hofstaatsbezügen die Hälfte der zuletzt bezogenen Gehälter aus Meinem Privatvermögen als lebenslängliche Jahreszulage gesichert bleiben.« Franz Joseph gab jährlich knapp 75 000 Kronen für Pensionen und Gnadengaben aus, sein Kammerdiener Eugen Ketterl erhielt darüber hinaus eine Jahreszulage von 2200 Kronen, die nach des Kaisers Tod ausbezahlt wurde.

Der Kaiser setzte seine Töchter Gisela und Marie Valerie sowie seine Enkelin Elisabeth als Erben »Meines beweglichen und unbeweglichen Vermögens« ein: Seite 1 aus Franz Josephs Testament

Weiters seien, da »Mich der Allmächtige mit irdischen Gütern reichlich gesegnet hat«, mit einer nicht näher genannten Summe Hilfsbedürftige zu unterstützen.

Nicht genug damit, zahlte der Kaiser »an drei Verwandte erhebliche Renten«, die auch von seinen Erbinnen zu leisten waren, nämlich jährlich 100 000 Kronen an Stephanie Fürstin Lónyay, die wiederverheiratete Witwe seines Sohnes Rudolf, jährlich 60 000 Kronen an Mathilde Gräfin Trani**, eine verwitwete jüngere Schwester von Kaiserin Elisabeth, und jährlich 3200 Kronen an Elisabeth von und zu Liechtenstein, eine Tochter seines Bruders Karl Ludwig***.

Franz Joseph war es wichtig, sich in seinem Testament von seinen »geliebten Völkern« zu verabschieden. »Ihnen sage ich vollen Dank für die treue Liebe, welche sie Mir und Meinem Hause in glücklichen Tagen wie in bedrängten Zeiten besthätigten. Das Bewusstsein dieser Anhänglichkeit that Meinem Herzen wohl und stärkte Mich in der Erfüllung schwerer Regentenpflicht. Mögen sie dieselben patriotischen Gefühle Meinem Regierungsnachfolger bewahren.« Worte des Dankes sprach er in seinem Letzten Willen auch seiner »Armee und Flotte« aus. Die Danksagungen sind die einzigen Teile des Testaments, die nach Franz Josephs Tod veröffentlicht wurden.

»Diese Meine letztwilligen Verfügungen erkläre Ich als die ausschließlich allein giltigen. Sie sind in zwei gleichlautenden Exemplaren ausgefertigt, von welchen ein Exemplar bei dem Ministerium Meines Hauses und des Äußeren verwahrt wird. Alle anderen, wo immer sich befindlichen und wie immer lautenden früheren letztwilligen Verfügungen erkläre ich für null und nichtig und ohne jede gesetzliche Kraft … Wien, 6. Februar 1901 Franz Joseph.«

Die letzte Seite des Testaments Kaiser Franz Josephs mit seiner eigenhändigen Unterschrift, ausgefertigt am 6. Februar 1901

Ursprünglich sollte auch Katharina Schratt an der Erbschaft teilhaben. Das belegt ein Brief, den Franz Joseph kurz nach der Kronprinzentragödie im Jahr 1889 an seine »Seelenfreundin« schrieb: »Ich habe Sie so bedacht, dass Sie auch nach meinem Tode von Sorgen frei sein können.«

In einem vier Wochen später aufgesetzten Konzept, betitelt »Letztwillige Verfügung«, hielt der Kaiser fest: »Der Schauspielerin Frau Katharina von Kiss geb. Schratt, mit welcher Mich innigste und wärmste Freundschaft verbindet, und welche der Kaiserin und Mir in der schwersten Stunde unseres Lebens in treuer Anhänglichkeit beigestanden ist, vermache ich aus Meiner Handkasse 500 000 Gulden****.«

Als es jedoch zur Schlussfassung kam, meinten Franz Josephs Berater, dass »die Frau Schratt im Testament nicht vorkommen« könne. Eine Bürgerliche, noch dazu Schauspielerin, im Letzten Willen eines Monarchen zu erwähnen, war einfach undenkbar. Tatsächlich erhielt Franz Josephs Freundin noch zu Lebzeiten des Kaisers erhebliche Geldsummen und wertvollen Schmuck, wurde dafür aber im Testament nicht bedacht.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurden die Habsburger-Besitzungen in sämtlichen Nachfolgestaaten enteignet, lediglich in der nunmehrigen Republik Österreich blieben die im Privatfonds genannten Güter im Eigentum der Familie. Jene Mitglieder des ehemaligen Herrscherhauses, die nicht auf Thronfolge und andere Vorrechte verzichteten, wurden des Landes verwiesen.

Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde auch das Privatvermögen der Familie Habsburg-Lothringen großteils beschlagnahmt. Das ursprüngliche Habsburgergesetz, in dem Vermögen und Rechtsfragen geregelt waren, stammt aus dem Jahr 1919. Es wurde 1955 auch in den Österreichischen Staatsvertrag aufgenommen.

Als das gültige Testament des Kaisers im Jahr 1901 aufgesetzt wurde, war die Schreibmaschine schon erfunden, doch Franz Joseph lehnte derartige technische Geräte (wie etwa auch das Telefon) ab. Daher wurde sein Letzter Wille handschriftlich verfasst, wobei nur die Unterschrift von ihm selbst stammt, der Wortlaut des Testaments wurde einer Kanzleikraft diktiert.

Das gültige Testament wurde zu späteren Zeitpunkten durch zwei Ergänzungen (Kodizille) vervollständigt. Das erste Kodizill vom 16. November 1913 kam auf Initiative des Thronfolgers Franz Ferdinand zustande. Es beschäftigt sich mit einer möglichen Witwenzahlung an Herzogin Sophie von Hohenberg, für den Fall, dass ihr Mann vor ihr sterben sollte. Die zweite Ergänzung wurde am 29. Juni 1916, also ein halbes Jahr vor dem Tod des Kaisers, erstellt.

Der Grund für dieses zweite Kodizill war die Ehe seiner Enkelin Elisabeth – die später als »rote Erzherzogin« bekannt gewordene Tochter des Kronprinzen Rudolf. Diese Ehe galt als gescheitert, weshalb sie und ihr Mann, Otto Fürst Windisch-Graetz, getrennt zur Audienz beim Kaiser erschienen. »Es scheint sich zu bewahrheiten, dass eine Scheidung bevorsteht, denn dass die Familienmitglieder einzeln und an verschiedenen Tagen empfangen werden, ist abnorm«, notierte Franz Josephs letzter Adjutant Adalbert von Spanyi in sein Tagebuch.

In dem zweiseitigen Kodizill findet sich eine Änderung, die den Beweis erbringt, dass sich des Kaisers Enkelin Elisabeth und ihr Mann – wohl auf »Befehl« Franz Josephs – doch wieder zusammengerauft haben. Denn der Kaiser bewilligte »dem Gemahle Meiner Enkelin Elisabeth Maria, Otto Fürsten zu Windisch-Graetz, auf Grund der jüngst geschlossenen ehelichen Versöhnung und auf die Dauer des hiedurch geschaffenen ehelichen Zusammenlebens vom 1. Juli 1916 an eine Rente von jährlich fünfzigtausend Kronen***** aus Meiner Privatkassa.«

Die großzügige finanzielle Abgeltung hat ihre Wirkung nicht verfehlt, auf Dauer war die Ehe aber nicht zu retten. Tatsächlich sollten noch 32 Jahre vergehen, bis sie 1948 endgültig geschieden wurde.

Mit der Urkunde, in der der Nachlass des Familienvermögens (Fideikommiss, eine Art Stiftung) geregelt wurde, wollte Franz Joseph seinem Nachfolger nicht dieselben Probleme bereiten, unter denen er selbst als »armer Kaiser« bis 1875 gelitten hatte. Daher beschloss er, seinem damaligen Thronfolger Franz Ferdinand »aus Unserem Privatfonde eine Vermögensmasse von rund Sechzig Millionen Kronen … zu widmen«. Tatsächlich erhalten hat den Betrag dann sein Nachfolger Kaiser Karl I.

Franz Joseph hat sogar Vorkehrungen für den schlimmsten aller Fälle getroffen: »Wenn im Laufe der Begebenheiten und der geschichtlichen Entwicklung die Regierungsform der österreichisch-ungarischen Monarchie eine Änderung erfahren und, was Gott verhüten möge, die Krone nicht bei Unserem Hause bleiben sollte, so werden für die Succession in das hier begründete Fideikommiss lediglich die privatrechtlichen Grundsätze zur Anwendung kommen, wie dieselben durch das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch … derzeit in Kraft bestehen.«

Die Verlassenschaft war laut einem Beschluss aus dem Jahr 1855 zum Teil steuerfrei. Christoph Schmetterer: »Damals war entschieden worden, dass bei Erbanfällen innerhalb des Herrscherhauses die Erbgebühr nur für Immobilien entrichtet werden musste, nicht aber für bewegliches Vermögen.« Dabei blieb es auch bei späteren Regelungen bis zum Ende der Monarchie.

Am 9. Oktober 1918 wurde der Nachlass Kaiser Franz Josephs seinen drei Erbinnen eingeantwortet. Gut einen Monat später endete die Regentschaft der Habsburger. Ihre Erbschaft blieb den Erbinnen auch in der Republik Österreich erhalten, da es sich dabei um Privatvermögen im Sinne des Habsburgergesetzes handelte. Allerdings gingen weite Teile, sofern sie in Bargeld und in Wertpapieren angelegt waren, durch die Inflation der 1920er-Jahre verloren.

*Die Summe entspricht laut Statistik Austria im Jahr 2021 einem Betrag von rund 65 Millionen Euro.

**Siehe auch Seite 32

***Siehe auch Seiten 137–141

****Die Summe entspricht laut Statistik Austria im Jahr 2021 einem Betrag von rund 5,5 Millionen Euro.

*****Die Summe entspricht laut Statistik Austria im Jahr 2021 einem Betrag von rund 72 000 Euro.

Keine zweite Frau für Franz Joseph

Aber intensive Bemühungen

Nach dem tragischen Tod der Kaiserin Elisabeth gab es am Hof ebenso ernsthafte wie intensive Bemühungen, eine zweite Ehefrau für den verwitweten Kaiser zu finden. Vor allem Erzherzogin Marie Valerie verfolgte diesen Plan vehement, da sie darunter litt, mitansehen zu müssen, wie ihr Vater zunehmend vereinsamt in seinen Palästen saß.

Auch dem britischen Botschafter Sir Horace Rumbold waren die Kuppelversuche zu Ohren gekommen, und so berichtete er seinem Außenminister nach London, dass man in Hofkreisen an die Schwägerin des Monarchen, Erzherzogin Maria Therese, die Witwe nach seinem Bruder Erzherzog Karl Ludwig*, dachte, die 43 Jahre alt war und die der Kaiser persönlich sehr schätzte. Eine solche Ehe hätte auch den Vorteil gehabt, dass Erzherzog Franz Ferdinand nicht nur als Neffe, sondern auch als Stiefsohn des Kaisers der Thronerbe wäre.

Sollte mit dem Kaiser »verkuppelt« werden: Mathilde von Trani, eine jüngere Schwester der Kaiserin Elisabeth

Doch Marie Valerie, so verkündeten die Hofauguren, hatte eine jüngere Prinzessin aus dem Hause Bourbon-Orléans im Auge. Allerdings vertraute die Erzherzogin ihrem Tagebuch an, dass für ihren fast siebzigjährigen Vater nur Elisabeths 47-jährige Schwester Mathilde in Betracht käme. Mathilde – wegen ihrer hohen Piepsstimme in der Familie »Tante Spatz« genannt – war bis zu dessen Tod mit dem Grafen Ludwig von Trani verheiratet, mit dem sie eine allseits bekannt schlechte Ehe geführt hatte. Der Graf war alkoholkrank und betrog sie ständig, aber auch ihr wird ein Verhältnis mit einem jungen Offizier nachgesagt. Mit der Gräfin Mathilde Trani als Ehefrau wäre Franz Joseph wohl vom Regen in die Traufe gekommen, war sie doch wie ihre ältere Schwester »Sisi« ständig auf Reisen. Ihr Mann Ludwig, mit dem sie eine Tochter hatte, war 1886, zwölf Jahre vor der Kaiserin Elisabeth, gestorben.

Franz Joseph wollte von den Bemühungen seiner engeren Verwandtschaft nichts wissen, sonst hätte er sich als Doyen der europäischen Monarchen ja für eine der zweifellos bereitwillig zur Verfügung stehenden Damen entschieden.

Die Kaiserin selbst hatte einen ganz anderen Plan für ihren Mann ausgeheckt. Elisabeth befürchtete schon acht Jahre vor ihrem Ableben eine mögliche Einsamkeit des Kaisers – zum ersten Mal am 28. Mai 1890, als Marie Valerie in ihrem Tagebuch notierte, Elisabeth hätte sie aufgefordert, »falls sie stürbe … Papa zuzureden, Schratt zu heiraten.« Und auch in Bad Kissingen, wenige Tage vor ihrem Tod, erwähnte Elisabeth, dass ihr Mann, wenn er sie überleben sollte, in zweiter Ehe seine engste Vertraute, Katharina Schratt, heiraten sollte.

»Merkwürdigerweise«, schreibt Franz Josephs erster Biograf Egon Caesar Conte Corti, »wäre ihre Unebenbürtigkeit kein Hindernis, da eine Lücke im Hausgesetz des Erzhauses es möglich erscheinen ließe, dass der Herrscher auch eine Frau aus bürgerlichem Hause oder niederem Adelsstande ehelicht«.

Einige Monate nach Elisabeths Tod vermerkte Marie Valerie dann – datiert mit 11. Juli 1899: »Lossagen wird er sich nie und nimmer von ihr (gemeint ist Frau Schratt, Anm.), und heiraten kann er sie ja leider nicht, denn sie ist ja ganz rechtmäßig verheiratet.«

Tatsächlich befand sich die Schratt zu diesem Zeitpunkt noch in aufrechter Ehe mit dem Diplomaten Nikolaus von Kiss, auch wenn sie von diesem getrennt lebte. Dieses »Ehe-Hindernis« änderte sich zehn Jahre später, als Kiss am 21. Mai 1909 einem Herzschlag erlag.

Von da an gibt es ernst zu nehmende Hinweise, dass der Kaiser und Katharina Schratt – nach dem üblichen Trauerjahr, also ab 1910 – in der Andreaskapelle des Erzbischöflichen Palais in Wien eine geheime »Gewissensehe« eingingen, wie sie die katholische Kirche für regierende Monarchen vorsieht. Diese Ehe wird nur »vor Gott, nicht aber vor der Menschheit« geschlossen.

Jedenfalls lebte der Kaiser nach Elisabeths Tod alleine und fand in der Beziehung mit seiner »Seelenfreundin« Trost. »Meine Gedanken sind sehr viel bei Ihnen«, schreibt er am 16. Jänner 1899 an Katharina Schratt, »meine Stimmung ist dunkelgrau, fast schwarz«. Und schon am nächsten Tag teilt er ihr brieflich mit: »Die Stunde, die ich mit Ihnen zubringe, ist meine einzige Erheiterung, ist mein Trost in meiner traurigen, sorgenvollen Stimmung.«

Zu einer offiziellen zweiten Ehe des Kaisers ist es nicht gekommen.

*Siehe auch Seiten 137–141

Die Erzherzogin, die ihre Schwägerin liebte …

… und nicht ihren Ehemann, Kaiser Joseph II.

Zu den wichtigsten Aufgaben eines Thronfolgers im Hause Österreich gehörte es, für entsprechenden Nachwuchs zu sorgen. Also machte man sich schon im Kindesalter des jeweiligen Erzherzogs oder der jeweiligen Erzherzogin daran, in befreundeten Königshäusern nach einer passenden Braut beziehungsweise einem Bräutigam Ausschau zu halten. Liebe spielte dabei keine Rolle, es ging einzig und allein um die Aufrechterhaltung der Dynastie.

So geschehen beim vierzehnjährigen Joseph II., dessen Mutter Maria Theresia dem künftigen Kaiser eine gleichaltrige Frau erwählte. Die »Glückliche« war Isabella von Bourbon-Parma, die einer eher unbedeutenden italienischen Nebenlinie entstammte, aber den Vorzug hatte, von der mütterlichen Seite her die Enkelin von Frankreichs König Ludwig XV. zu sein. Joseph war von der Wahl seiner Mutter anfangs gar nicht angetan, soll er doch, als man ihm ein Medaillon der Auserwählten zeigte, erschreckt ausgerufen haben: »Ich fürchte mich mehr vor dieser Heirat als vor einer Schlacht!« Die Ehe sollte sich dann aber, jedenfalls aus Josephs Sicht, ganz anders entwickeln.

Isabella war 1741 in der Nähe von Madrid als Tochter des Herzogs Philipp von Parma und seiner Frau Elisabeth zur Welt gekommen. Sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre am spanischen Hof, ehe sie mit ihrer Mutter zu König Ludwig XV. übersiedelte. Der Aufenthalt in Versailles hat Isabella sicher geprägt, erlebte sie doch, wie ihr Großvater mit seiner Frau und seiner Mätresse, Madame de Pompadour, unter einem Dach residierte. Mit den Moralvorstellungen nahm man es hier weit weniger genau als im sittenstrengen Spanien oder gar in Österreich. Danach zog Isabella mit ihren Eltern nach Parma.

Im Jahr 1759, als Isabella und Joseph achtzehn Jahre alt waren, erfolgte die Verlobung, ein Jahr später wurden sie, ohne einander je persönlich gesehen zu haben, per procurationem, also durch einen Stellvertreter, im Dom zu Parma getraut. Nur Isabella war bei dieser Zeremonie anwesend, Joseph blieb in Wien. Die Hochzeit wurde noch im gleichen Jahr – nun in Anwesenheit beider Partner – in der Wiener Augustinerkirche nachgeholt. Der berühmte Spruch »Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate« gilt hier wohl nicht, befand sich das Habsburgerreich doch mitten im Siebenjährigen Krieg. Das pompöse Spektakel der Heirat, die als das letzte große Wiener Barockfest galt, sollte der hungernden Bevölkerung wohl als Ablenkung dienen.

Und dann geschah das Wunder: Joseph verliebte sich in seine ebenso strahlend schöne wie kluge und für damalige Verhältnisse überaus gebildete Frau, ja, er betete sie an. Sie jedoch empfand weit weniger für ihn. Denn sie sah sich vom ersten Tag ihres Wien-Aufenthalts zu Josephs jüngerer Schwester Erzherzogin Marie Christine hingezogen, die wiederum mit dem Herzog Albert von Sachsen-Teschen verheiratet war.

Das Verhältnis der Schwägerinnen zueinander war sehr intim, die vorhandenen Briefe belegen, dass es sich um eine lesbische Beziehung handelte.

»Ich kann sagen«, schreibt Isabella an Marie Christine, »dass es meine einzige Freude ist, wenn ich Dich sehe und bei Dir sein kann. Ich kann die Unruhe nicht ertragen, ich kann an nichts anderes denken, als an die Liebe zu Dir. Ich liebe Dich wie eine Wahnsinnige, wenn ich nur wüsste, weshalb …«

Marie Christine schwärmt in ihrer Antwort von Isabellas körperlichen Vorzügen, beschreibt jedes delikate Detail bis hin zu den »reizvoll geformten Brüsten«. Von Marie Christine ist nur dieses eine Handschreiben erhalten geblieben – da alle anderen vom Hof vernichtet wurden.

Von Isabella hingegen existieren rund zweihundert Briefe, die intimer nicht sein könnten. »Ich beginne den Tag mit dem Gedanken an den Gegenstand meiner Liebe und ich schließe ihn, indem ich mich mit dem Wesen beschäftige, das meine Gedanken nie verlässt.« Einmal beklagt sich Isabella sogar über ihr Eheleben und über die sexuellen Wünsche, die Joseph von ihr einforderte.

Die große Liebe: Erzherzogin Marie Christine (links) und Isabella, die erste Frau Kaiser Josephs II.

Ihrem Mann hat sie ihre körperliche Ablehnung nie gezeigt, im Gegenteil, sie fügte sich dem Unvermeidlichen und war dem Thronfolger eine respektvolle Frau. Sie gewährte ihm all das, wozu Gehorsam, dynastische Verpflichtungen und das Sakrament der Ehe sie anhielten. Der sonst trockene und zurückhaltende Joseph hingegen, »dessen Herz voller Glut und Begeisterung war«, wie dies ein Höfling ausdrückte, steigerte seine Liebe ins Unermessliche, bedauerte jede Minute, da seine Gattin und Geliebte nicht bei ihm war.

»An nichts vermag ich zu denken, als dass ich verliebt bin wie ein Narr«, schreibt Isabella indes in einem ihrer Briefe an Marie Christine. »Erzeige mir die Gerechtigkeit, die Du meiner Zärtlichkeit schuldest. Verlange Beweise, befiehl alles, was Du willst, selbst das Härteste. Ich will es mit Freuden tun.«

Wie Isabella und Marie Christine zueinandergefunden haben, kann nur vermutet werden. Kaiser-Joseph-Biograf Hans Magenschab bezeichnet die Mode jener Zeit als die eigentliche Verführerin zwischen den beiden jungen Frauen, denn »das Aus- und Ankleiden, die ständige Anprobe der Rokoko-Kostüme, die Wahl der Frisuren bildeten ein wesentliches Element des weiblichen Tagesablaufes. Man kann sich vorstellen, dass die beiden Mädchen in ständigen körperlichen Kontakt kamen, der hinter dem Paravent der Chinoiserien und vor dem Spiegel der Rokoko-Boudoirs seinen Anfang nahm.«

Auch über den Ort, an dem Isabella und Marie Christine ihre sexuellen Fantasien auslebten, kann nur spekuliert werden. Fest steht, dass beide über eigene, weitläufige Appartements verfügten, zu denen nur ihre engsten Vertrauten Zutritt hatten. Joseph-Biograf Humbert Fink fragt, ohne eine Antwort zu finden: »Wie war das eigentlich möglich, dass zwei durchaus honorige Frauen so völlig hemmungslos übereinander herfielen, sich so vollkommen einander auslieferten, dass aus Zuneigung Raserei, aus Liebe Obsession wurde?«

Der künftige Kaiser Joseph war ob der verbotenen Beziehung seiner Frau – gleichgeschlechtliche Liebe war damals bei Strafe verboten – ebenso ahnungslos wie der andere Ehemann, Albert von Sachsen-Teschen, und auch die sonst über alles informierte Kaiserin Maria Theresia.

In seltenen Momenten plagte Isabella ein schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber, etwa wenn sie an die Geliebte schreibt: »Obwohl ich Dich von ganzem Herzen liebe, habe ich gestern gespürt, dass der Erzherzog vorgeht.«

Aber diese Anwandlungen dauerten nur kurze Zeit. Dafür wurden, je länger Isabella am Wiener Hof weilte, ihre depressiven Phasen und ihre Todessehnsüchte deutlicher sichtbar. Leidvorstellungen plagten die in ihre Schwägerin heillos Verliebte, sie beklagte immer häufiger ihr Dasein, das nach ihren eigenen Darstellungen ausweglos war. »Der Tod ist wohltätig«, schreibt sie der geliebten Marie Christine. »Nie in meinem Leben habe ich mehr daran gedacht als in dieser Stunde. Alles erweckt in mir den Wunsch, ein Leben zu verlassen, in welchem ich ihn jeden Tag beleidige. Das einzige Leid ist, dass ich Dich verlasse …«

Wusste nichts von der Beziehung seiner Frau mit seiner Schwester: der spätere Kaiser Joseph II.

Isabella empfand die ihr zugewiesene Rolle der Ehefrau als lästige Pflicht und sah sich auf die Rolle einer »Gebärmaschine« reduziert. Tatsächlich war sie während ihrer dreijährigen Ehe fünf Mal schwanger. Drei Schwangerschaften endeten vorzeitig in Fehlgeburten, das einzige überlebende Kind, die 1762 geborene Tochter Maria Theresia, wurde nach ihrer Großmutter benannt. Eine weitere Schwangerschaft wurde 1763 von der in Wien grassierenden Pockenseuche überschattet, von der schließlich auch Isabella befallen wurde.