Sie werden lachen, es ist ernst - Georg Markus - E-Book

Sie werden lachen, es ist ernst E-Book

Georg Markus

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Beschreibung

"Wenn der Kaiser noch gelebt hätte, hätten wir uns das nicht getraut", sagte Karl Renner nach Ausrufung der Republik Österreich im Jahre 1918. Dieses Buch dokumentiert die wichtigsten Stationen unseres Jahrhunderts anhand von Pointen, Kabarett-Zitaten, politischen Witzen und Anekdoten. Man erfährt Amüsantes über alle historischen Ereignisse von 1900 bis 1999. Und über die Großen des Jahrhunderts von Kaiser Franz Joseph über Dollfuß, Schuschnigg, Figl, Raab, Kreisky, Vranitzky und Klima bis Klestil. Georg Markus erzählt Österreichs Geschichte auf ebenso informative wie unterhaltsame Weise. Die köstlichen Kommentare zum Zeitgeschehen stammen von Karl Farkas, Alfred Polgar, Anton Kuh, Roda Roda, Friedrich Torberg, Helmut Qualtinger u. v. a. Sie werden lachen - obwohl es oft sehr ernst war.

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GEORGMARKUS

Sie werden lachen,es ist ernst

EINE HUMORVOLLE BILANZDES 20. JAHRHUNDERTSAUS ÖSTERREICH

Die Textzitate erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Thomas Sessler Verlags Wien (für Fritz Grünbaum, Karl Farkas, Jura Soyfer, Anton Kuh, Robert Weil, Rudolf Weys, Fritz Eckhardt/Franz Paul, Carl Merz/Helmut Qualtinger), der AKM (Peter Herz), der Ufa-Ton München, des Suhrkamp-Verlags Frankfurt am Main (für Karl Kraus), sowie von Elfriede Ott (für Hans Weigel), Marietta Torberg (für Friedrich Torberg), Agnes und Barbara Pluch (für Erika Molny), Gerhard Bronner, Werner Schneyder, Lore Krainer, Martin Flossmann, Peter Orthofer, Michael Niavarani, Heinz R. Unger, Alfred Heinrich, Oliver Vollmann, Joesi Prokopetz.

Rechtsinhaber von Texten, die nicht geltend gemacht werden konnten, werden gebeten, sich wegen eventueller Ansprüche an den Amalthea Verlag Wien zu wenden.

1. Auflage September 19992. Auflage November 19993. Auflage November 19994. Auflage Dezember 19995. Auflage Januar 2000

© 1999 by Amaltheain der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH,Wien · MünchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel, MünchenUmschlagillustration: Gustav Peichl (IRONIMUS)Herstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenGesetzt aus der 12/16 Punkt Stempel GaramondDruck: Jos. C. Huber, DießenBinden: Thomas-Buchbinderei, AugsburgPrinted in GermanyISBN 3-85002-429-6eISBN 978-3-902998-49-1

INHALT

WARUM LACHEN, WENN ES ERNST IST?

Vorwort

HIER DÜRFEN NUR DIE TOTEN LEBEN

Die Jahrhundertwende

WARUM MAN EINEN KRIEG ERKLÄREN MUSS

Das Ende der k. u. k. Monarchie

»NIE WIEDER GRIEG!«

Die zwanziger Jahre

»MIR WERN’S SCHON DEMORALISIEREN«

Die dreißiger Jahre

»AUF WIEDERSEHEN, FRÜHER HEIL HITLER!«

Die vierziger Jahre

DAS WIRTSCHAFTSWUNDER IST EIN WUNDER

Die fünfziger Jahre

»INTRIGIERT’S EIN BISSERL WENIGER!«

Die sechziger Jahre

ROTER KANZLER IM ROTEN SALON

Die siebziger Jahre

»IN DEN NACKEN GEKÜSST«

Die achtziger Jahre

MEHR GELD FÜRS SPARPAKET

Die neunziger Jahre

Quellenverzeichnis

WARUM LACHEN, WENN ES ERNST IST?

Vorwort

Der Mensch lacht, seit es ihn gibt.

Adam und Eva spazieren durch den Garten Eden. Plötzlich fragt sie ihn: »Liebst du mich?«

Sagt er: »Wen sonst?«

Auch wenn der Dialog wohl erst ein paar hunderttausend Jahre nach besagtem Spaziergang erfunden wurde, zeigt er auf, daß das Lachen nicht bloß ein Phänomen unserer Zeit ist.

Heute dienen in unseren Breiten Witz, Satire, Parodie, Anekdote, Aphorismus und die Conférence im Kabarett vornehmlich der Unterhaltung. Früher war das anders. Ein Scherz war oft die einzige Möglichkeit, sich gegen die Obrigkeit zur Wehr zu setzen, oder wie es der Kabarettist Werner Finck formulierte: »Ein Diktator kann Wahlen verfälschen, Meinungsäußerungen knebeln, Fanatiker unschädlich machen. Nur gegen den Witz ist er machtlos.«

Tatsächlich ist die Ventilfunktion des Witzes so alt wie die Politik, gegen die er sich richtet. Als sich Roms blutrünstiger Kaiser Nero vor 2000 Jahren in einen männlichen Lustsklaven verliebte und diesen öffentlich heiratete, flüsterte der Dichter Seneca seinem Nachbarn an der Hochzeitstafel zu: »Das hätte schon sein Vater tun sollen.«

Vom alten Rom ist’s ein großer Sprung zur österreichischen Revolution des Jahres 1848, während der ein Wiener Fiaker auf seinem Standplatz in Mariahilf auf Kundschaft wartete. Als ein junger Mann vorüberging, rief ihm der Kutscher nicht sein gewohntes »Fahr ma, Euer Gnaden?« zu, sondern: »Fahr ma zur Revolution, Euer Gnaden?«

Die Massen freilich kamen nicht im Fiaker, sondern bestiegen die Barrikaden, um ein Ende der Zensur und des Polizeistaates zu fordern. Auf österreichisch halt, denn während man anderswo »Freiheit und Gleichheit!« schrie, hieß es in Wien ein bisserl gemütlicher: »Freiheit und gleich heut’!«

Der Wahrheitsgehalt einer solchen Anekdote ist weniger wichtig als der realitätsnahe Hintergrund, der die handelnden Personen und die Zeit, in der sie gelebt haben, charakterisiert.

So auch in diesem Fall: Jahrelang hatte sich die k. k. Armee am Exerzierplatz auf der Wiener Schmelz auf einen Krieg vorbereitet, bis es dann »endlich« – wie manche Militärs im Jahre 1866 meinten – soweit war. Leider wurden die kaiserlichen Truppen von den Preußen vernichtend geschlagen. Als ein alter österreichischer General dann die Hiobsbotschaft von der Niederlage bei Königgrätz erhielt, schüttelte er resignierend den Kopf und sagte: »Vollkommen unverständlich! Wo’s doch auf der Schmelz immer so gut ’gangen is’.«

Sie werden lachen, es ist ernst.

Warum aber lachen die Österreicher, wenn die Situation so ganz und gar nicht danach ist?

Zweifellos sind wir ein humorbegabtes Volk. Wir lachen gern in Österreich. Daß die Österreicher in all den Jahrhunderten, die doch eigentlich wenig Anlaß dazu geboten haben, ihren Humor behielten, verdanken sie dem landesüblichen Talent, sich zwischen »Des geht net« und »Werd ma scho machen« durchzuwursteln. Niemand konnte den spezifisch österreichischen »Schmäh« abschaffen, nicht einmal der Staat, dem Victor Adler attestierte: »Österreich ist eine absolutistische Monarchie, gemildert durch Schlamperei.«

Die Monarchie gibt’s längst nicht mehr. Doch der Schlamperei sind wir treu geblieben.

Auch in diesem Jahrhundert, dem zwanzigsten, von dem dieses Buch handelt.

Es hat ja so schön angefangen. »Der alte Kaiser« – der uns eigentlich nur durch die Sissi-Filme wirklich vertraut ist – war noch da. Daß man über die erhabene Erscheinung des Monarchen, so lange er lebte, offiziell nicht lachen durfte, war ebenso klar wie die Tatsache, daß über ihn mehr Witze und Anekdoten verbreitet wurden als über irgendeine andere Persönlichkeit Österreich-Ungarns.

So erhielt Franz Joseph zum Beispiel täglich Besuch von seinem Leibarzt Dr. Kerzl, während dem sich die beiden Herren in angeregter Atmosphäre unterhielten. Meist über ganz harmlose Themen, denn der Kaiser erfreute sich in den 86 Jahren seines Lebens fast immer bester Gesundheit. Nebenbei und pro forma fragte der Mediziner daher bei seinen Visiten irgendwann nach dem Allerhöchsten Befinden Seiner Majestät. Als Dr. Kerzl eines Vormittags aber wie immer zum Kaiser wollte, wurde er von Kammerdiener Eugen Ketterl mit den Worten zurückgehalten: »Majestät bedauern lebhaft, den Herrn Doktor heute nicht empfangen zu können. Majestät fühlen sich nicht ganz wohl und bitten erst morgen wieder zu ihm zu kommen.«

Wenn derartige G’schichten in der Monarchie kursierten, dann waren sie mehr als ein harmloser Scherz, denn als Franz Joseph »in die Jahre kam«, bereitete sein Gesundheitszustand den Menschen tatsächlich große Sorgen.

Nach dem Tod des alten Kaisers bestieg ein junger Monarch den Habsburger-Thron. Und wieder herrschte Krieg. Also rief Kaiser Karl seinen Kriegsminister zu sich: »Exzellenz«, soll der junge Monarch befohlen haben, »teilen Sie Ihren Generälen mit, daß die Schlamperei ab sofort aufzuhören hat. Von nun an wird gesiegt!«

Da der Befehl nur ein Witz war, wurde weiterhin nicht gesiegt – und so ward aus dem mächtigen Kaiserreich eine kleine Republik geworden.

Die Erste Republik. In der sich ein Großteil der Scherze auf den ob seiner geringen Körpergröße »Millimetternich« genannten Bundeskanzler Engelbert Dollfuß konzentrierten. Es gab Leute, die im Kaffeehaus »einen Dollfuß« bestellten, wenn sie einen kleinen Schwarzen trinken wollten.

Witz und Satire waren seit jeher vom jüdischen Humor beeinflußt. So auch in den zwanziger und dreißiger Jahren, in denen die Wiener Kabaretts um Fritz Grünbaum und Karl Farkas ihre Blütezeit erlebten. Hatte die Politik tagsüber eine Entscheidung getroffen, so »saß« am Abend bereits die passende Pointe. Als etwa der in Genf beheimatete Völkerbund am 27. September 1922 den Sanierungsplan für Österreich genehmigte, »schüttelte« Farkas wenige Stunden später im Simpl den Unterschied zwischen Frankfurtern und Wienern aus dem Ärmel:

Die Frankfurter werden mit Senf garniert,

Die Wiener werden in Genf saniert!

Die Nationalsozialisten wußten dann selbst den Humor zu »arisieren«. Witze waren ab 1938 – natürlich hinter vorgehaltener Hand – die einzige Waffe gegen Hitler. Also flüchtete man in den »Flüsterwitz«.

Graf Bobby, hieß es bald nach dem »Anschluß«, wird verhaftet und nur unter der Bedingung wieder freigelassen, daß er sich verpflichtet, für die Gestapo zu arbeiten. Als er am nächsten Tag seinen Freund Rudi trifft, fragt er ihn: »Wie denkst du über das Dritte Reich?«

»Komische Frage, genauso wie du!«

»Dann«, bedauert Bobby, »dann muß ich dich leider verhaften lassen.«

Das tausendjährige Zwischenspiel hat sechs lange Jahre gedauert. Und wurde von einer neuen Republik abgelöst.

Der Zweiten. Wie befreiend müssen die nun zahlreich kolportierten Raab-, Figl- und Kreisky-Anekdoten gewesen sein.

Als der noch in Amt und Würden befindliche, schon über 70jährige Sonnenkönig Bruno Kreisky seinen fünfjährigen Enkel Oliver fragte, was er werden wollte, wenn er einmal erwachsen sei, antwortete der Bub: »Bundeskanzler.« Da erwiderte der Großpapa: »Das geht leider nicht. In Österreich gibt es nur einen Bundeskanzler.«

Dieses Buch erzählt den Verlauf unseres Jahrhunderts. Historisches wird aus dem Blickwinkel des Lachens und des Lächelns geschildert, und so wird Humor zur Zeitgeschichte.

Da die Anlässe bei weitem nicht so lustig waren wie die Pointen, die ihnen folgten, werden Sie lachen – obwohl es ernst ist.

GEORG MARKUS

Wien, im August 1999

Mein besonderer Dank gilt Dr. Katja Orter, Cornelia Ritzer und Andrea Stricker für die redaktionelle Mitarbeit.

HIER DÜRFEN NUR DIE TOTEN LEBEN

Die Jahrhundertwende

NUR LEUTNANTS SIND UNTREU

1900 beginnt mit einer neuen Währung

1. Jänner 1900. Schon der Beginn ist sehr österreichisch. Obwohl vor acht Jahren beschlossen wurde, daß mit dem ersten Tag des neuen Jahrhunderts die Krone den Gulden als neue Währung ablösen wird, will die Bevölkerung auch nach einer so langen Gewöhnungsfrist die neuen Münzen und Scheine nicht und nicht akzeptieren. Das Nörgeln hilft nichts: Krone und Heller sind ab nun das ausschließliche Zahlungsmittel in der k. u. k. Donaumonarchie. Folgerichtig ist in Innsbruck eine amtliche Verlautbarung mit diesem Wortlaut affichiert: »Es ist ab sofort verboten, anders als nach Kronen und Hellern zu rechnen. Zuwiderhandeln wird mit fünf Gulden bestraft.«

Sigmund Freud veröffentlicht Die Traumdeutung, die seine berühmteste Lehre begründen wird. Karl Kraus kann sich mit ihr nicht anfreunden: »Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält.«

Eigentlich sollte des Kaisers Thronfolger Franz Ferdinand eine Tochter der Erzherzogin Isabella heiraten, doch er verliebt sich in deren Hofdame Gräfin Sophie Chotek, die er am 1. Juli 1900 zum Traualtar führt. Das neue Jahrhundert beschert den Österreichern mit der Kronen Zeitung ein neues, bald überaus populäres Blatt. Erstmals geigen die Wiener Symphoniker auf. Und auf dem Opernring wird das Goethe-Denkmal enthüllt. »Paradox ist«, sagt man in Wien, »wenn das Goethe-Denkmal durch die Bäume schillert.«

Neben dümmlichen Backfischen, Schnorrern und Gigerln zählen am Beginn des Jahrhunderts die jungen Offiziere zu den beliebtesten Objekten der Witzblätter. Die feschen Leutnants gelten als Parade-Liebhaber, und daher ist dieser Scherz aus der satirischen Zeitschrift Die Bombe sehr typisch:

»Schweigen Sie, Herr Leutnant«, empört sich das Dienstmädchen, »Ihre Liebesbeteuerungen sind wie die aller Herren Leutnants – flatterhaft, falsch und treulos.«

»Entschuldigen Sie, liebes Fräulein«, entgegnet der fesche Offizier, »ich bin heute zum Hauptmann avanciert!«

»Hauptmann sind Sie? Das is’ was anderes. Von treulosen Hauptleuten hab’ ich noch nie was gehört!«

»SCHNITZLER IST EIN GENIE«

… und verliert 1901 seine Offizierscharge

Erzherzogin Elisabeth, die Tochter Kronprinz Rudolfs, feiert Verlobung mit Otto Prinz Windischgrätz. Auf dem Wiener Zentralfriedhof wird ein Denkmal des vor zwei Jahren verstorbenen Walzerkönigs Johann Strauß enthüllt. Und dessen jüngerer Bruder Eduard gibt seinen Rücktritt als Hofballmusikdirektor bekannt.

Direktor Gustav Mahler holt den Tenor Leo Slezak und den Dirigenten Bruno Walter an die Hofoper. Die Tatsache, daß Bruno Walter gerade erst seinen Familiennamen Schlesinger abgelegt hat, veranlaßt dessen Kollegen Franz Schalk, ihn boshaft als »Herr Schlesinger von der Vogelweide« zu begrüßen.

Die Stücke Johann Nestroys werden aus Anlaß seines 100. Geburtstags wiederentdeckt. Lumpacivagabundus feiert am Burgtheater eine fulminante Premiere – getreu der Nestroy-Devise: »Eine gute Bühne ist nämlich die, wo in jeder Loge ein Millionär und auf jedem Fauteuil ein Kapitalist sitzt.«

Arthur Schnitzler verliert seine Offizierscharge als Oberarzt, nachdem die Veröffentlichung seiner Erzählung Lieutnant Gustl in der Neuen Freien Presse einen ungeheuren Skandal provozierte. Dem Dichter wird vorgeworfen, das Ansehen der österreichischungarischen Armee verletzt zu haben. Es ist nicht das erste Mal, daß Schnitzler verkannt wird: Sein Vater, als Theaterarzt mit vielen Schauspielern befreundet, gab eines Tages dem berühmten Burgschauspieler Adolf von Sonnenthal das Textbuch des von seinem Sohn verfaßten Schauspiels Liebelei. Der es ihm mit den Worten »Völlig unbegabt« retournierte. Als Wochen danach eben dieses Stück vom Burgtheater angenommen wurde, fragte man »Burg«-Direktor Max Burckhard, wie Sonnenthal nun reagieren werde.

»Da ich ihm die Hauptrolle gebe«, antwortete der Direktor, »wird er im Brustton der Überzeugung tremolieren: >Ich habe ja immer gesagt – Arthur ist ein Genie!<«

So war’s dann auch.

SKITRANSPORT MIT HUNDEKARTE

1902 wird die Wiener Straßenbahn elektrisch

Vor dem Parlament wird die Pallas-Athene-Statue fertiggestellt, und die »Elektrische« löst die letzte Pferdetramway ab. Als auf dem Hahnenkamm in Kitzbühel das erste Skirennen stattfindet, fragen sich zunächst viele Wiener, wie sie mit ihren Skiern zum Westbahnof gelangen sollen, um von dort nach Tirol zu kommen. Ganz einfach, zwischen Wiental und Gürtel verkehrt die erste Stadtbahn, deren Kunden prompt informiert werden: »Die Beförderung von Skiern in der Stadtbahn wird gegen Lösung einer Hundekarte gestattet, allerdings nur provisorisch und wenn sich keine Beanstandung seitens des Bahnpersonals und der Mitreisenden ergibt.«

Richard Strauss kommt 1902 gemeinsam mit seiner Gattin Pauline nach Wien, wo diese einen Liederabend mit Kompositionen ihres Mannes gibt. Der gefürchtete Kritiker Eduard Hans-lick schreibt über den Abend im Bösendorfersaal: »Sie ist entschieden seine bessere Hälfte!«

Im Literatencafé Löwenbräu hinterm Burgtheater kommt es zu einem der seltsamsten Heiratsanträge aller Zeiten: Peter Altenberg, Egon Friedell und Adolf Loos sitzen an ihrem Stammtisch, als sie an einem benachbarten Tisch eine 18jährige Schauspielerin entdecken, die auf den schönen Namen Lina Obertimpfler hört. Die drei Freunde sind von dem bildhübschen Mädchen entzückt und bitten es an ihren Tisch. Loos zeigt eine wunderschöne Zigarettendose, die Lina zu öffnen versucht, wobei der Deckel bricht. Erschrocken fragt sie: »Wie kann ich das wieder gutmachen?«

Loos sieht sie lächelnd an und sagt: »Heiraten Sie mich!«

Der Antrag erfolgt fünf Minuten nach dem Kennenlernen. Während die Umsitzenden vorerst an einen Scherz glauben, treten die beiden tatsächlich vor den Standesbeamten.

Leider gibt’s kein Happy-End. Drei Jahre nach der Hochzeit geht die Ehe in die Brüche.

»ICH HEISS’ AUCH POLLAK!«

1903 kann man noch geadelt werden

Franz Joseph bekommt hohen Besuch aus Petersburg: Zar Nikolaus II. ist Gast des Kaisers in Schönbrunn. Der Komponist Hugo Wolf stirbt im Alter von 42 Jahren in Wien. In Graz bringt die Firma Puch ihr erstes serienmäßiges Motorrad in den Handel; in der Schweiz wird man darüber lachen: »Warum stellen die Österreicher ihre Motorräder ins Bücherregal?« – »Weil Puch draufsteht.«

Am Beginn des Jahrhunderts erfreuen sich die sogenannten »Prädikate« besonderer Beliebtheit. Bürger, vor allem auch solche, die sich um den Ausbau der Ringstraße Verdienste erworben haben, dürfen ihre Namen per kaiserlichem Dekret mit phantasievoll klingenden Adelstiteln schmücken. Da heißt einer dieser »Ringstraßenbarone« plötzlich Johann Huber von Prinzenbach, ein anderer Emmerich Pribil von Greifenwald. Als einmal vier Herren im Zug von Bad Ischl nach Wien fahren, stellt sich der erste Reisende vor: »Gestatten, von Bergheim«, der zweite: »von Meyendorff«, der dritte: »von Birkenstein«. Worauf der vierte sagt: »Sie werden lachen, meine Herren, ich heiß’ auch Pollak!«

Und selbst dem alten Kaiser bringen die Prädikate ein Prädikat ein. Man nennt Franz Joseph jetzt »Sehadler« – jeden, den er gesehen hat, den hat er auch schon geadelt.

In den Reihen der alten Aristokratie ist man über die Entwicklung ganz und gar nicht glücklich. Kommentar eines Grafen, dessen Ahnen den Titel seit Jahrhunderten tragen: »Es ist an der Zeit, einen Verein gegen die zunehmende Veradelung des Volkes zu gründen!«

Das Telefonieren ist in den ersten Jahren des Jahrhunderts ein ebenso aufwendiges wie außergewöhnliches Erlebnis. Als Kardinal Giuseppe Sarto 1903 als Nachfolger Leos XIII. zum Papst gewählt wird, gibt der römische Korrespondent einer Wiener Zeitung das Resultat fernmündlich durch. Sicherheitshalber buchstabiert er den Familiennamen des neuen Papstes. Am nächsten Tag erscheint in dem Wiener Blatt die Meldung: »In Rom wurde Kardinal Giuseppe Siegfried Anton Richard Theodor Otto Sarto zum neuen Papst gewählt.«

EIN GESCHÄFT FÜR ROTHSCHILD

1904 sperrt Wiens »Apollo« auf

In der Wiener Apollogasse eröffnet das Varieté Apollo, in dem 2000 Besucher Platz finden. Der Schriftsteller und Journalist Theodor Herzl stirbt im Alter von 44 Jahren im Sanatorium Edlach an der Rax; er gilt als Vater des 1948 gegründeten Staates Israel.

Ein jüdischer Witz, der in diesen Tagen erzählt wird: Ein Schnorrer wendet sich an den Wiener Millionär Salomon Rothschild. »Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor, Herr Baron, an dem Sie mühelos eine halbe Million verdienen können.«

»Das klingt interessant«, meint der Bankier, »sagen Sie mir, wie.«

»Ich habe gehört, daß Sie Ihrem Fräulein Tochter eine Million als Mitgift geben wollen.«

»Ja, das stimmt.«

»Ich nehm’ sie für fünfhunderttausend!«

Rothschild soll sehr sparsam gewesen sein. Als er im Pariser Ritz das billigste Zimmer verlangte, schrie der Portier entsetzt auf: »Aber Herr Baron, Ihr Sohn nimmt immer das Fürstenappartement!« Da entgegnete der alte Rothschild: »Mein Sohn hat ja auch einen reichen Vater.«

BEINAHE DEN NOBELPREIS VERSÄUMT

Bertha von Suttner bekommt ihn 1905 dennoch

Der Maler Rudolf von Alt stirbt im Alter von 93 Jahren in Wien. Auf der Ringstraße demonstrieren 200 000 Menschen für ein allgemeines, gleiches Wahlrecht. Die weltberühmte Tänzerin Isadora Duncan weilt zu einem Gastspiel in Wien, wo ihr völlig neuer Ballettstil Aufsehen erregt.

Die Österreicherin Bertha von Suttner, deren Hauptwerk Die Waffen nieder große Anerkennung fand, soll als erste Frau der Welt den Friedensnobelpreis erhalten. Fast wäre es nicht dazu gekommen. Frau von Suttner befindet sich nämlich, während in Stockholm das Preiskomitee tagt, auf einer Vortragstournee und weigert sich, das Telegramm mit der Mitteilung anzunehmen – da es unterfrankiert ist! Auf Umwegen wird sie dennoch informiert, und der Nobelpreis kann ihr überreicht werden.

Zu den Menschen, die Bertha von Suttners Friedensinitiative ablehnen, zählt der Schriftsteller Felix Dahn, der sie mit dem Vers tadelt:

Die Waffen hoch! Das Schwert ist Mannes eigen!

Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen!

Im Theater an der Wien findet am 30. Dezember 1905 die Uraufführung der Lustigen Witwe statt – und das, obwohl der ehemalige Pferdehändler und jetzige Theaterdirektor Wilhelm Karczag das Werk (»Schon der Titel ist saublöd«) ursprünglich ablehnte. Als Lehár ihm zum ersten Mal Melodien aus der Operette vorspielte, warf ihn der Prinzipal mit den Worten »Dös is ka Musi net« aus dem Haus. In der Folge bot er dem Komponisten 2500 Kronen, um aus dem Vertrag aussteigen zu können, doch Lehár bestand auf dessen Erfüllung.

Der Direktor hatte es nicht bereut, Die Lustige Witwe aufzuführen. Karl Kraus wettert nach der Premiere »Das war das Widerwärtigste, was ich je erlebt habe«, doch die Witwe wird zur erfolgreichsten Operette des Jahrhunderts. Wie populär sie von Anfang an ist, erkennt man auch daran, daß jeden Abend im Cabaret Hölle – gleichzeitig mit der Operette – deren Parodie Die zweite Ehe der Lustigen Witwe gespielt wird.

Der mit einem Schlag weltberühmt gewordene Franz Lehár ist Sachverständiger bei einem Plagiatsprozeß, in dem sich zwei junge Komponisten gegenseitig der Urheberrechtsverletzung bezichtigen. Die beiden Kontrahenten spielen auf einem Klavier, das man in den Gerichtssaal geschoben hat, ihre Kompositionen – die einander tatsächlich sehr ähnlich sind. Danach fragt der Vorsitzende: »Nun, Herr Lehár, wer ist hier der Geschädigte?«

Worauf der Meister antwortet: »Ich würde sagen – Jacques Offenbach!«

Eine Episode von wesentlich größerer Tragweite ereignet sich während der Aufführungsserie der Lustigen Witwe. Die Schauspielerin Rosa Albach-Retty – damals im Ensemble des Theaters an der Wien – wird Zeugin einer Szene, die sie in ihren Memoiren hinterlassen hat. Eines Tages, so schreibt sie, sei bei Direktor Karczag ein schmächtiger junger Mann zum Vorsingen erschienen, der sich um eine Stelle als Chorsänger bewirbt. Er singt Danilos Auftrittslied Da geh’ ich zu Maxim, worauf ihm der Direktor den positiven Bescheid gibt, sich beim Chorleiter zu melden. Bald kommen ihm jedoch Zweifel, ob der Mann die nötige Abendgarderobe besitzt, steht er doch in einem recht zerschlissenen Anzug vor ihm.

Schauspieler und Sänger müssen am Beginn des Jahrhunderts noch ihre eigene Bühnengarderobe mitbringen, um engagiert zu werden. Wer nicht zumindest über die Grundausstattung – Frack, Smoking, dunkler Anzug – verfügt, hat keine Chance, an einem Theater auftreten zu dürfen.

Der Direktor fragt also: »Haben Sie einen Frack?«

»Leider nein«, kommt als Antwort, »dazu reichen meine Mittel nicht.«

»Dann kann ich Sie leider nicht engagieren«, ruft Karczag, »es ist bei uns üblich, daß auch die Choristen für ihre Kleidung aufkommen!«

Direktor Karczag, erinnerte sich Rosa Albach-Retty, hat sich später oft vorgeworfen, an diesem Tag die größte Dummheit seines Lebens begangen zu haben. Der Welt wäre einiges erspart geblieben.

Denn der verhinderte Chorsänger des Theaters an der Wien ist niemand anderer als Adolf Hitler.

Sigmund Freud veröffentlicht Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Der in der Wiener Berggasse ordinierende a.o. Universitätsprofessor für Neurologie und Psychiatrie untermauert in dem Buch seine Theorie, daß der Erzähler eines Witzes mit jeder Pointe ein Stück seines Unbewußten freigibt. Drei Beispiele, die er nennt:

Die populäre Schauspielerin Josephine »Pepi« Gallmeyer wird – in einem Prozeß als Zeugin einvernommen – vom Richter gefragt: »Wie alt?«

Worauf sie mit verschämtem Augenaufschlag antwortet: »In Brünn!«

Das zweite Beispiel: Ein Mann wird zum Galgen geführt. Auf dem Weg dorthin sagt er zu seinem Henker: »Die Woche fängt ja gut an!«

Beispiel drei: Ein Ehemann »scherzt«, auf seine Frau deutend: »Wenn einer von uns beiden stirbt, übersiedle ich nach Paris!«

Für Freud ist das Erzählen eines Witzes – wie das Vergessen, das Versprechen oder das Verschreiben – eine weitere Möglichkeit, »das Unbewußte bewußt zu machen«, da man über den Weg einer Pointe imstande ist, all das auszudrücken, was man infolge der eigenen Erziehung »ernst« niemals von sich geben würde. »Im Scherz«, meint er, »darf man bekanntlich sogar die Wahrheit sagen.«

DIE GEBURTSSTUNDE DES NUMMERNADELS

Enrico Caruso singt 1906 in Wien

Das von Otto Wagner geplante Postsparkassengebäude an der Ringstraße und der Wiener Hochstrahlbrunnen werden in Betrieb genommen. Buffalo Bill, der Letzte des Wilden Westens, gastiert mit seiner Artistentruppe im Prater. Eine neue eröffnete Wiener Omnibuslinie befördert ihre Passagiere in 33 Minuten von Grinzing zum Südbahnhof.

In Österreich-Ungarn werden die ersten Autonummern vergeben. Da der Kaiser vorerst kein Auto besitzt, erhält Erzherzog Franz Ferdinand das Kennzeichen »A 1«. Womit die Geburtsstunde des »Nummernadels« geschlagen hat. Auch wenn die Motorisierung stetig zunimmt, wird das Stadtbild immer noch vom Fiaker bestimmt. Karl Kraus schreibt, als bekannt wird, daß es in Wien weniger Unfälle gibt als anderswo: »Die Sicherheit in Wien ist schon deshalb Garantie: Der Kutscher überfährt den Passanten nicht, weil er ihn persönlich kennt.«

Der weltberühmte Tenor Enrico Caruso trifft zu einem Sensationsgastspiel an der Wiener Hofoper ein. Bei Erörterung seiner kolportierten Traumgage in Höhe von 48 000 Kronen kommt man, ganz allgemein, zu dem Schluß: »Er ist sein Geld wert!«

Der unter dem Pseudonym »Homunkulus« schreibende Robert Weil drückt die rasende Caruso-Verehrung der Wiener so aus:

Was rennt das Volk, was wälzt sich dort

Die langen Gassen brausend fort?

Steht etwa gar der Ring in Flammen?

Es läuft die halbe Stadt zusammen,

Fahrzeuge schießen her und hin,

In hellem Taumel steht ganz Wien,

Nie vor der Oper ging’s noch zu so:

Denn heute abend singt Caruso!

Die Presse kündete es laut:

»Das ist das Wunder, kommt und schaut,

Das jede Konkurrenz bezwungen,

Das sich die höchste Gage ersungen,

Denn in der Welt, der neuen, alten,

Kein Sänger den Tarif kann halten.

So ein Tenor wie sein Tenor

Kommt niemals nimmer nie mehr vor.

Dafür sind doch genug Beweise,

Vierfach erhöhte Eintrittspreise!«

Jetzt hebt der Vorhang sich hinauf,

Ein Schauder bebt: Denn E r tritt auf,

Der Einzige! Der Auserkorne!

Der eigens für das C Geborne!

Zu viel nicht sagten die Tiraden:

Herrgott, was hat der Mann – für Waden!

Herrgott, wie ist die Brust so rund!

Doch still, jetzt öffnet er den Mund!

Er räuspert sich! Achtung! Er zuckt!

Achtung! Er gluckt! Er schluckt! Er spuckt!

Und jetzt: Er singt! Schon singt er A,

Schon singt er B! Schon singt er Ha!

Und jetzt – jetzt kommt’s: Hurra, das C!

Das ganze Haus schnellt in die Höh,

Es ist, als zündete ein Blitz,

Die Frauen halten sich am Sitz,

Die Mägdlein alle faßt ’ne Rage,

Es wölbt sich hoch die Decolletage,

Mit ihren Lippen, Wangen, Augen,

Sucht man das Wunder einzusaugen

Und die Prinzessin haucht ganz fahl:

»So einer, wär’ mein Ideal!«

Das Wunder schweigt: Ein Beifallsschrei

Durchtobt das Haus wie Raserei,

Weckt doch des hohen C-es Meistrung

Vierfach erhöhte Kunstbegeistrung!

Es wälzen des Applauses Fluten

Mit Wucht dahin sich durch Minuten,

Manch ein Marquis hat für Sekunden,

Die alte Manneskraft gefunden.

Und allen Mägdlein, allen Fraun

Ist die Entzückung anzuschaun.

Komteßchen flötet: »Oh, sein Spiel!«

Frau Hofrat: »Gott, hat der Gefühl!«

Frau Vistrschil sagt zum Baron:

»Das C gehört ins Grammophon!«

Die Frau Marquis gesteht dem Grafen:

»Ich fühl’s, ich kann heut nacht nicht schlafen!«

Und strahlend lispelt Frau Iren:

»Max – Wos is Schiller gegen den?!«

Während es in Österreich im Lauf des Jahres 1906 infolge des Scheiterns der geplanten Wahlrechtsreform gleich drei Ministerpräsidenten gibt (Paul Gautsch von Frankenthurn, Konrad Prinz zu Hohenlohe-Schillingfürst, Max Freiherr von Beck), ernennt Kaiser Franz Joseph mit Alexander Wekerle auch für die ungarische Reichshälfte einen neuen Regierungschef. Wekerle hat den Ruf, in den kleinen Dingen des Alltags ein geradezu pathologischer Lügner zu sein. Bei Hof erzählt man sich, daß ihn der Kaiser einmal in Schönbrunn gefragt habe: »Sagen Sie, Wekerle, regnet es draußen?«

Worauf dieser antwortete: »Ja, Majestät, es regnet stark!«

Da sagte Franz Joseph nach einem Blick durch das Fenster: »Sie irren, Wekerle, es regnet wirklich!«

Ein andermal fährt der Ministerpräsident mit dem Kaiser durch Ungarn. In einem kleinen Ort zeigt Wekerle dem Monarchen die Stelle, an der angeblich das Grab des Hunnenkönigs Attila entdeckt worden sei. Franz Joseph wundert sich: »Aber Sie haben mir doch seinerzeit in einem ganz anderen Komitat die Fundstelle Attilas gezeigt. Welches ist denn jetzt das richtige Attilagrab?«

Darauf Wekerle: »Ganz wie Euer Majestät befehlen!«

SALAMITAKTIK

1907 kann erstmals frei gewählt werden

Kaiser Franz Joseph enthüllt im Wiener Volksgarten ein Elisabeth-Denkmal zur Erinnerung an seine vor neun Jahren ermordete Gemahlin. Am Steinhof wird eine Heil- und Pflegeanstalt eröffnet. Die Mariazellerbahn wird fertiggestellt und in Betrieb genommen.

Am 14. Mai 1907 dürfen die Bürger Österreich-Ungarns – wenn auch nur die männlichen – zum ersten Mal wählen. Der Wahlsieg der Sozialdemokraten, die mit 87 Abgeordneten zur stärksten Partei werden, veranlaßt den Abgeordneten Franz Schuhmeier zu dem Satz: »Die österreichische Sozialdemokratie ist heute so stark, daß vor ihr nicht verschlossen werden kann das Tor der letzten Hütte, sondern auch aufgemacht werden müssen die Tore der Hofburg!«

Sie bleiben dennoch verschlossen, zumal sich Christlichsoziale und Katholisch-Konservative zusammenschließen und eine neue Regierung bilden.

Karl Schönherrs Drama Erde zählt zu den Klassikern naturalistischer Dichtkunst, doch in seinem Entstehungsjahr 1907 will es kein Theaterdirektor aufführen. Nach unzähligen Absagebriefen hegt der Dichter den Verdacht, daß sein Werk von den Dramaturgen der Bühnen, denen er es zur Ansicht geschickt hat, gar nicht gelesen wurde. Und so packt er eines Tages eine Stange Salami in einen mit seinem Namen versehenen Karton und schickt sie an ein Theater. Etwas später wird ihm das Päckchen ungeöffnet retourniert. Außerdem langt ein Brief ein: »Mit großem Interesse haben wir Ihr Stück gelesen, bedauern jedoch, Ihnen mitteilen zu müssen, daß es leider nicht in unseren Spielplan paßt.«

Das Streckennetz der Elektrischen Tramway ist jetzt 125 Kilometer lang, der Fahrpreis beträgt 30 Heller. Als in Wien ein Sturm der Entrüstung einsetzt, »weil die Oberleitungen die Stadt verschandeln«, wird – nachdem sogar der Kaiser seine Sorge um die Eleganz der Ringstraße äußert – die Stromversorgung der Ringlinien in die Geleise verlegt. Diese Konstruktion erweist sich jedoch als derart störungsanfällig, daß die Oberleitungen später wieder »zurückverlegt« werden. Jedenfalls gehören die chronischen Verspätungen der Elektrischen ebenso zum Bassenatratsch wie die – wechselweise – als zu viel oder zu wenig angesehenen Stationen. Im Cabaret Hölle nimmt Rudolf Österreicher 1907 den teuren Salonwagen Rund um Wien aufs Korn:

Im neuen Salonwagen »Rund um Wien«,

Da kann man acht Bezirke durchzieh’n.

Zwar wird man von Wien dabei nicht viel seh’n,

Doch bleibt man bei siebzig Haltestellen steh’n.

Und das scheint manchen die Krone wert,

Denn oftmals schon hab’ ich das Urteil gehört:

Mit diesem Gefährte Wien zu durchfliegen,

Das sei ein »anhaltendes Vergnügen«.

KRANKENHAUS UND OPERETTE

Der Kaiser feiert 1908 ein Jubiläum

Die Silberne Operette blüht: An der Volksoper feiert Richard Heubergers Opernball seine Uraufführung; und auf der Wieden eröffnet das Johann-Strauß-Theater mit der Operette Tausendundeine Nacht. In Wien-Hietzing wird der Grundstein für das Krankenhaus Lainz gelegt.

Aus Anlaß des 60jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs findet auf der Ringstraße ein Huldigungsfestzug statt, an dem tausende Menschen aus allen Kronländern der Monarchie teilnehmen. Abschluß und Höhepunkt der Veranstaltung ist das Intonieren der Kaiserhymne. Über die der als unmusikalisch geltende Monarch einmal sagte: »Die Kaiserhymne erkenne ich daran, daß sich alles von den Sitzen erhebt.«

Franz Joseph überhäuft seine Seelenfreundin, die Hofschauspielerin Katharina Schratt, mit wertvollen Geschenken. Da der Kaiser von Schmuck wenig versteht, hat er keine Ahnung, welches Vermögen er der Schratt im Laufe der Jahre in Form von Juwelen verehrte. Nachdem er ihr wieder einmal über seinen Finanzverwalter Hofrat Hawerda eine ihm selbst nicht näher bekannte Summe überweisen läßt, damit sie sich ein Schmuckstück nach Wahl kaufen kann, zeigt die Schratt dem Kaiser einen Ring, den sie mit dem Geld erworben hat.

Während Franz Joseph die feine Goldarbeit betrachtet, fragt die Schratt: »Was glauben Majestät, hat dieser Ring gekostet?«

Franz Joseph dreht das Schmuckstück nach allen Seiten um, bewundert die wertvollen, eingefaßten Steine und schätzt dann: »Fünfzig Kronen!«

»Aber Majestät«, lacht die Freundin über so viel Naivität, »nicht fünfzig Kronen – achtzigtausend hat’s gekostet!«

»Soso, achtzigtausend«, meint der Kaiser, »na ja, auch nicht teuer!«

DIE SCHOPF BEI DER GELEGENHEIT GEPACKT

Karl Kraus macht sich 1909 Hoffnungen

An der Wiener Hofoper wird die Oper Electra von Richard Strauss uraufgeführt. In Wiener Neustadt wird Österreichs erstes Flugfeld fertiggestellt. Die Familie Tschauner eröffnet in Wien eine Stegreifbühne. Und im Prater baut man die erste Hochschaubahn. Der k. u. k. Oberleutnant Adolf Hofrichter verschickt an Offiziere ein als Potenzmittel deklariertes Medikament, das in Wahrheit Zyankali enthält – ein Hauptmann des Generalstabs wird dadurch getötet.

In Wien stirbt Adolf Ritter von Sonnenthal im Alter von 75 Jahren. Der große Schauspieler des k. u. k. Hofburgtheaters war bis zuletzt mit seiner jungen Kollegin Hansi Schopf liiert. Als Karl Kraus, der die Künstlerin seit langem verehrte, die Nachricht von Sonnenthals Tod erhält, sagt er: »Jetzt müßte man die Schopf bei der Gelegenheit packen!«

Nach nur 19 Vorstellungen wird an der Neuen Wiener Bühne die Komödie Der Feldherrnhügel von Alexander Roda Roda und Carl Roeßler »wegen Beleidigung von Militärpersonen« durch die Zensurbehörde abgesetzt. Die beiden Autoren bemühen sich um Aufhebung des Aufführungsverbots, werden jedoch vom zuständigen Zensurbeamten angebrüllt: »So lange die österreichischungarische Monarchie besteht, wird dieses Machwerk nicht wieder aufgeführt!«

Worauf Roeßler zu seinem Co-Autor sagt: »Komm, Roda, geh ma. Die paar Wochen wart ma halt noch!«

Die paar Wochen sollten dann noch neun Jahre dauern.

»SIE HABEN’S GUT, SIE KÖNNEN INS KAFFEEHAUS GEHEN!«

Theodore Roosevelt ist 1910 in Wien

Am Deutschen Volkstheater wird Arthur Schnitzlers Einakter Anatol uraufgeführt. Der Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger stirbt im Alter von 66 Jahren an den Folgen seiner Zuckerkrankheit. Wien feiert die Fertigstellung der Zweiten Hochquellenwasserleitung und die Eröffnung des Volksbildungshauses Urania.

Die Volkszählung des Jahres 1910 ergibt, daß in Österreich-Ungarn 50 943 418 Menschen leben. Wien hat knapp über zwei Millionen Einwohner, von denen rund ein Viertel aus den Kronländern zugewandert ist. Ein Scherzwort aus dieser Zeit:

»Ein Wiener – a Raunzer.

Zwei Wiener – a Heurigenpartie.

Drei Wiener – des gibt’s net. Weil jeder dritte is a Böhm.«

Kaiser Franz Joseph hält an mehreren Vormittagen in der Woche Audienzen ab. Da jeder Staatsbürger mit gutem Leumund die Möglichkeit hat, seinem Kaiser persönlich zu begegnen, empfängt der Monarch im Verlauf seiner Regentschaft in der Hofburg und in Schloß Schönbrunn an die 250 000 Besucher. 1910 trifft der Friedensnobelpreisträger und frühere amerikanische Präsident Theodore Roosevelt zu einem privaten Besuch in Wien ein, in dessen Verlauf er auch von Kaiser Franz Joseph empfangen wird. Während der Audienz sagt der Kaiser zu Roosevelt: »Der Sinn meines Amtes ist es, meine Völker vor ihren Politikern zu schützen.«

Und dem Journalisten Emanuel »Mendel« Singer gegenüber äußert sich der Kaiser ein andermal – ebenfalls im Verlauf einer Audienz: »Sie haben’s gut, Sie können ins Kaffeehaus gehen!«

Josef Kainz, Wiens bedeutendster Schauspieler, stirbt im Alter von 52 Jahren. Der Marc Anton in Julius Caesar, Hamlet und Wilhelm Tell zählten zu seinen großen Rollen. Als er einmal gefragt wurde, warum er nie den Faust gespielt habe, antwortete er: »Den Faust kann nur ein wirklich bedeutender Mensch spielen. Und ein wirklich bedeutender Mensch wird nicht Schauspieler.«

»JAUSNEN SIE EINMAL MIT AN KAISER«

Girardi ist 1911 bei Franz Joseph in Audienz

Der 21jährige Erzherzog Karl heiratet die 19jährige Prinzessin Zita von Bourbon-Parma. Rund 100 000 Menschen demonstrieren vor dem Wiener Rathaus gegen die Verteuerung zahlreicher Lebensmittel. Auf dem Wiener Zentralfriedhof wird die Luegerkirche eingeweiht.

Im Jänner 1911 empfängt der Kaiser den Volksschauspieler Alexander Girardi in Audienz. Da Audienzen prinzipiell nur wenige Minuten dauern und kaum Gelegenheit für ein Gespräch in entspannter Atmosphäre bieten, lädt Katharina Schratt Girardi einige Zeit später gemeinsam mit dem Monarchen zu Kaffee und Kuchen in ihre Villa in die Gloriettegasse ein. Franz Joseph erzählt, die Schratt erzählt – nur Girardi sagt kein Wort. »Was ist denn mit Ihnen los, Girardi?« fragt der Kaiser. »Sie sollen doch der amüsanteste Mann von Wien sein.«

Da seufzt Girardi: »Schon, schon, Majestät. Aber jausnen Sie einmal mit an Kaiser!«

Eine andere Anekdote hat Girardi selbst in die Welt gesetzt. Er sei einmal neben dem Kaiser durch Bad Ischl spaziert, und da hätten sich die Leute umgedreht und gefragt: »Wer ist denn der alte Herr in der Uniform neben dem Girardi?«

Zehn Jahre lang war Gustav Mahler Direktor der Wiener Hofoper. Als es nach einer Aufführung Buhrufe aus dem Publikum gab, rief er vom Dirigentenpult herab zu den Mitgliedern des Philharmonischen Orchesters: »Muß man denn in Wien immer schon gestorben sein, damit einen die Leute hier leben lassen?«

Am 18. Mai 1911 ist er wirklich gestorben. Und die Leute hier lassen ihn leben – ganz so, wie er es vorhergesehen hatte. Richard Strauss schreibt aus diesem Anlaß an Hofmannsthal: »Mahlers Tod hat mich ergriffen; nun wird er wohl auch in Wien der große Mann werden.«

In der k. u. k. Haupt- und Residenzstadt wird das 4000. Automobil angemeldet. Roda Roda wird auf der Ringstraße Zeuge eines Gesprächs zweier alter Herren. Sagt einer der beiden: »Da schau her, ein Automobil.«

Meint der andere: »Wird aa wieder abkommen.«

Dennoch denkt man bereits darüber nach, den Verkehr in Zukunft unter die Erde zu verlegen. Ein Komitee aus Stadträten wird 1911 eingesetzt, um für Wien die Frage einer U-Bahn zu prüfen. Es sollte von nun an nur noch 58 Jahre dauern, bis mit dem Bau begonnen wird …

Karl Kraus erkennt die sich anbahnende Verkehrsmisere: »Ägypten wär’ nicht so weit. Aber bis man zum Südbahnhof kommt!«

Die Fertigstellung des Looshauses auf dem Michaelerplatz – das die Wiener wegen seiner glatten Fassade »Haus ohne Augenbrauen« nennen – sorgt für Aufregung und Protest. Architekt Adolf Loos schlägt zurück: »In Wien verschandeln die architekten die stadt, ohne von der polizei dazu veranlaßt zu werden. Aus freien stücken. Alle größe ist dadurch aus der stadt verschwunden. Wenn ich mich bei der oper aufstelle und zum schwarzenbergplatz hinunterblicke, so habe ich das intensive gefühl: Wien! Wien, die millionenstadt, Wien, die metropole eines großen reiches. Wenn ich aber die zinshäuser am stubenring betrachte, so habe ich nur ein gefühl: fünfstöckiges Mährisch-Ostrau.«

Ein anderes Urteil von Adolf Loos lautet: »Ordinär ist das, was die ordinären Leute für fein halten.«

Nicht nur mit dem Looshaus auf dem Michaelerplatz, auch bei weiteren Bauwerken hat der Architekt gewaltige Behördenprobleme zu überwinden. Als er eine Villa in der Cobenzlgasse plant, will man dem Bauherrn wegen gröblicher Verunstaltung des Stadtbildes die Baugenehmigung verweigern. Das Haus wird dennoch errichtet. Als Loos zwölf Jahre später wegen eines anderen Projekts bei derselben Baubehörde vorspricht, stellen sich ähnliche Schwierigkeiten ein: »Dafür kriegen S’ nie a Genehmigung«, sagt der Beamte. »Wissen S’ was, Herr Architekt! Bauen S’ lieber so a Haus wie in der Cobenzlgassen.«

So schlicht wie er baute, hat Loos auch seinen Berufsstand definiert: »Ein Architekt ist ein Maurer, der Latein gelernt hat.«

In einer französischen Zeitung erscheint ein satirischer Artikel mit dem Titel Der Diebstahl der Mona Lisa. Wenige Tage später wird Leonardo da Vincis Meisterwerk tatsächlich aus dem Pariser Louvre geraubt. Gelacht kann darüber erst Jahre später werden, als Karl Farkas den Diebstahl des Bildes und das weltberühmte Lächeln der Mona Lisa zum Anlaß einer Conférence im Kabarett nimmt: »Der Louvre ist das renommierte kunsthistorische Museum Frankreichs, berühmt wegen der vielen kostbaren Gemälde, die dort schon gestohlen worden sind. Die Mona Lisa ist ja seinerzeit auch gestohlen worden. Aber jetzt hängt sie wieder an der Wand und lächelt*. Und wenn man ihr Privatleben kennt, muß man sich eigentlich darüber wundern, daß sie immer gelächelt hat.«

Farkas hat herausgefunden, »daß Leonardo da Vincis Modell nicht sehr glücklich verheiratet war, da ihr Mann, dieser Herr Lisa, einen eher unregelmäßigen Lebenswandel geführt hat. Aber sie hat trotz seines Benehmens immer gelächelt. Sie hat gelächelt zu allem, was ihr Mann gesagt hat, was er gefragt hat, was er getan hat – sie hat sich den Leonardo da Vinci angelächelt – sie hat gelächelt, während er sie gemalt hat – sie hat gelächelt, als sie im Louvre aufgehängt wurde – sie hat gelächelt, als sie gestohlen wurde! Und jetzt werden Sie verstehen, daß, wenn ein Mann seiner Frau sagt: ›Du bist meine Mona Lisa!‹, er vielleicht damit gar nicht meint, daß sie so schön ist – sondern, daß sie ihm gestohlen werden kann!«

»ASTA NIMM DEN GEIGER MIT!«

Seit 1912 wird im Simpl gelacht

Egon Schiele wird »wegen Zurschaustellung erotischer Zeichnungen« verhaftet und zu drei Tagen Arrest verurteilt. Außenminister Aloys Graf Aehrenthal stirbt im Alter von 57 Jahren. Rapid ist Österreichs erster Fußballmeister. Beim Untergang der Titanic kommen mehr als 1500 Menschen ums Leben, darunter 19 Österreicher.

Ein Witz dient hierzulande auch als früher Hinweis für Schwarzen Humor: Baron Mucki, zerstreut wie immer, ist Passagier der Titanic. Sein Kopf taucht aus den meterhohen Wellen auf. Mit der Rechten hält er sich an einem Balken, der von den Trümmern des Luxusschiffes übrigblieben ist, fest, mit der Linken führt er sein Monokel zum Auge. Als er es festgeklemmt hat, greift er sich an den Kopf und sagt nachdenklich: »Hm, wo war ich nur stehengeblieben? Ach ja, richtig: Hilfe!«

Der deutsche Schriftsteller Karl May, Vater der legendären Romanfiguren Winnetou und Old Shatterhand, stirbt im Alter von 70 Jahren an den Folgen einer Verkühlung, die er sich acht Tage zuvor in Wien zugezogen hat. Er war auf Einladung des Akademischen Verbandes für Literatur und Musik in die k. u. k. Residenzstadt gekommen, um hier am 22. März 1912 einen Vortrag zu halten. Das Thema lautete: Empor ins Reich der Edelmenschen. Unter den Zuhörern in den Sophiensälen befanden sich so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Bertha von Suttner und ein arbeitsloser Maler namens Adolf Hitler.

Auf der Wollzeile in Wien wird am 25. Oktober 1912 das Biercabaret Simplicissimus eröffnet. Mit diesem »Werbetext« versucht der Gründer und erste Direktor Egon Dorn Publikum anzulocken:

O komm, du süßer Gimpl,

Und führ’ mich in den Símpl,

Sperr mich nur nicht zu Hause ein,

Der Mensch will unter Menschen sein.

Im Oktober 1912 findet in Wien auch die Erste Internationale Kinoausstellung statt. Alexander Graf Kolowrat ist mit seiner Sascha-Filmfabrik der bislang einzige namhafte Produzent in Österreich, obwohl die Anzahl der Wiener Kinos in den letzten zehn Jahren von drei auf mehr als hundert gestiegen ist. Alexander Girardi, Willi Forst und Marlene Dietrich zählen zu den frühen Stars. Dabei gilt es unter den Schauspielern vom alten Schlag anfangs als »Todsünde«, einen Film zu drehen: Emil Jannings ist einer der ersten Theaterlieblinge, die es dennoch wagen. Als sein Freund Werner Krauß davon erfährt, reagiert er entsetzt: »Bist du verrückt, willst du deine Karriere ruinieren?«

Jannings antwortet, entschuldigend: »Ich krieg für den Blödsinn hundert Kronen am Tag. Mach’s doch auch.«

»Nie im Leben«, sagt Krauß, »mein Publikum wäre schokkiert!«

»Pick dir einen Bart auf, dann wird dich keiner erkennen.« Mit Bart dreht Werner Krauß dann tatsächlich seinen ersten Film.

Bald erkennen die Kinobetreiber, daß die – noch stumm gedrehten – Handlungen auf die Besucher recht ermüdend wirken. Also werden Kapellen engagiert, die das p. t. Publikum daran hindern sollen, während der Vorstellung einzuschlafen. Der Regisseur Géza von Cziffra erinnerte sich: »Die ersten Klavierspieler und Geiger dienten eigentlich dazu, die Zuschauer wach zu halten.« Die Kinomusiker waren selten große Virtuosen. Als die Schauspielerin Asta Nielsen, wie so oft, am Ende des Stummfilms, da sie den Liebsten nicht bekommen konnte, durch einen kühnen Sprung ins Wasser ihrem Leben ein Ende setzte, rief ein Zuschauer in den Kinosaal: »Asta, nimm den Geiger mit!«

Ein Sensationsgastspiel führt Igor Strawinsky im Herbst 1912 nach Wien, wo er an einer Vorstellung seines Balletts Petruschka