Katharina Schratt - Georg Markus - E-Book

Katharina Schratt E-Book

Georg Markus

0,0

Beschreibung

Katharina Schratt war die zweite Frau des Kaisers von Österreich. In diesem Buch wird durch Dokumente und Zeugenaussagen bestätigt, was immer schon vermutet, bisher aber totgeschwiegen wurde: Kaiser Franz Joseph war nach dem Tode Elisabeths mit der Schauspielerin Katharina Schratt rechtmäßig verheiratet.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 301

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Georg Markus

KATHARINASCHRATT

Die zweite Frau des Kaisers

4., überarbeitete Auflage 19985. Auflage 2004 (Sonderproduktion)

© 1982 by Amalthea-Verlag Ges. m. b. H.,Wien · MünchenAlle Rechte vorbehaltenSchutzumschlaggestaltung: Wolfgang HeinzelSatz und Herstellung: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenDruck: Jos. C. Huber, Garching-HochbrückBinden: Buchbinderei Thomas, AugsburgPrinted in GermanyISBN 3-85002-417-2eISBN 978-3-902998-47-7

INHALT

EHE JA ODER NEIN?

Vorwort

»KATHARINA HABSBURG-LOTHRINGENGEB. SCHRATT«

Die Ehe mit dem Kaiser

»SELBST DER SOUFFLEUR SCHAUT AUSWIE EIN GRAF«

Erste Begegnungen mit Franz Joseph

»DER KAISER HAT SICH BESONDERS LANGMIT IHR UNTERHALTEN«

Elisabeth wird aktiv

»AUF DEN VERSPROCHENEN TRATSCH BIN ICHSCHON SEHR NEUGIERIG«

Was für den Kaiser interessant war

»… WIE MICH IHRE MITTHEILUNGEN AUS IHRERJUGEND INTERESSIRTEN«

Die Kindheit der Schratt

»DER DIREKTOR WOLLTE MICH KÜSSEN«

Die Schratt wird Schauspielerin

ZUNÄCHST BETÖRT SIE KAISER WILHELM

Berlin und erste Gastspiele

DER SKANDAL MIT DER MASKE

Wiener Stadttheater und Petersburger Zwischenspiel

MIT DEN GLÄUBIGERN AUF FLITTERWOCHEN

Frau von Kiss, Mutterfreuden, New Yorker Gastspiel

NUR BILLIGE ZIGARREN IM HAUS

Der Kaiser kommt!

»… SO WERDEN SIE MIR HOFFENTLICH IM BETTEAUDIENZ ERTHEILEN«

Zum Thema Sexualität

»WIE RÜHREND HABEN SIE DIESE ROLLEWIEDERGEGEBEN«

Franz Joseph als »Kritiker«

»FRAU SCHRATT BITTET UM AUSZAHLUNGIRGENDEINER SUMME«

Schulden, Pfändungen, Probleme an der »Burg«

»DER HERR PAPA IST SCHON DA«

Bad Ischl

»IM BURGTHEATER HÖRT UNDSIEHT MAN NICHTS«

Das neue Haus am Ring

»UND BETEN SIE FÜR DEN ARMEN RUDOLF«

Die Schratt und der Tod des Kronprinzen

»SO AN SOMMERGAST HABEN MIR SEITHERNIMMER G’HABT!«

Der Kaiser im Nachthemd

»IM ISCHLER WALDE SO VOR SICH HINGING,UM NICHTS ZU SUCHEN UND ZUFÄLLIG DIE SCHRATTZU TREFFEN« (KARL KRAUS)

Wie man nicht Burgtheaterdirektor wurde

»UND WIRD MICH BALD IN IHREM HERZENVERDRÄNGT HABEN«

Beziehungen der Katharina Schratt zu anderenMännern und die Eifersucht des Kaisers

»VOM COCAINWAHN BEFALLEN, IRRSINNIGUND GEMEINGEFÄHRLICH«

Katharina Schratt, der Kaiser und der »Fall Girardi«

GESCHICHTEN AUS MONTE CARLO

Die teuren Leidenschaften der Kathi Schratt

»SIE WISSEN NICHT, WIE ICH DIESE FRAUGELIEBT HABE«

Die Ermordung der Kaiserin Elisabeth

»UND MAN KNIET AUF ALLEN VIEREN,WENN SIE KOMMT«

Die Schratt nützt ihre Protektion

»ICH SOLL IN MEINEN ALTEN TAGENEINSAM WEITER LEBEN«

Abschied vom Burgtheater, Bruch mit dem Kaiser

»DER GIPFEL DER GESCHMACKLOSIGKEIT«

Die Schratt als Kaiserin auf der Bühne

»MEINE HERZLICHE THEILNAME AN DEMTOD DES ARMEN KISS«

Katharina Schratt wird Witwe

»ICH BIN SEHR MÜDE UND DIEALTERSSCHWÄCHE NIMMT ZU«

Der Kaiser stirbt

»WOVON SOLL DIE TANTE JETZT LEBEN?«

Die Jahre ohne Franz Joseph

»NICHT WEINEN, SIE HAT ES SICHJA SO GEWÜNSCHT«

Der Tod der Katharina Schratt

»MEINE BEGEGNUNGEN MITKATHARINA SCHRATT«

Nachwort von Peter Schratt

Quellenverzeichnis

EHE JA ODER NEIN?

Vorwort

Als die erste Auflage dieses Buches im Herbst 1982 erschienen war, gab es einen ziemlichen Wirbel in Österreich. Kaiser Franz Joseph I. und seine langjährige Seelenfreundin Katharina Schratt – so steht’s im ersten Kapitel – seien eine Geheimehe eingegangen. Das durfte nicht sein, auch wenn seither mehr als sieben Jahrzehnte vergangen waren, die Monarchie längst nicht mehr existierte, Kriege und Revolutionen die Welt erschüttert hatten.

Die damals noch lebende Ex-Kaiserin Zita meldete sich als Kronzeugin zu Wort und behauptete, daß »Kaiser Franz Joseph natürlich nicht mit Katharina Schratt verheiratet« gewesen sei.

Als die Kaiserin ein halbes Jahr später verkündete, Kronprinz Rudolf habe in Mayerling nicht Selbstmord begangen, sondern sei von dunklen Mächten ermordet worden, begannen Geschichtsforscher allerdings Zitas Aussagen in Frage zu stellen: »Wenn die Enthüllungen der Kaiserin so weitergehen, wie sie jetzt sind, wird das nur eine Seifenblase sein. Das ist schade, denn von einer Zeugin der Geschichte könnte man ein wahrhaftiges Zeugnis erwarten«, meinte die Historikerin Brigitte Hamann. Und weiter: »Wir wären glücklich, wenn wir durch Zita an neue Quellen kämen, aber das, was die ehemalige Kaiserin berichtet, ist keine Quelle, das ist Tratscherei. Auch eine Ex-Kaiserin muß sich gefallen lassen, daß man eine Art Quellenkritik mit ihr betreibt.«

Aus Zitas »Mordtheorie« von Mayerling ergibt sich, daß ihre Behauptung, Kaiser Franz Joseph sei »natürlich nicht mit Katharina Schratt verheiratet« gewesen, ebenso anzuzweifeln ist. Es ist auch nicht anzunehmen, daß Zita je von der Eheschließung informiert wurde.

Der Historiker Adam Wandruszka, der wohl profundeste Kenner des Hauses Habsburg, war jedenfalls aufgrund der in diesem Buch erstmals vorgelegten Indizien und Zeugenaussagen überzeugt, daß Kaiser und Schauspielerin eine Ehe eingegangen waren.

Mittlerweile weilt die Kaiserin Zita ebenso wenig unter uns wie der Historiker Wandruszka. Sehr lebendig sind hingegen die im ersten Kapitel auch der Neuauflage angeführten, mehr als glaubwürdigen Zeugen, die in »Eidesstattlichen Erklärungen« die Geheimhochzeit untermauern.

Nach Erscheinen der Erstauflage wurde mir eine Reihe von Bestätigungen für die Geheimehe zugespielt. Die interessanteste vielleicht: Monsignore Dr. Johannes Nedbal, seit 1981 Rektor der Anima in Rom, bestätigte, daß Wiens langjähriger Weihbischof Dr. Franz Kamprath (1871 bis 1952) der Überzeugung gewesen sei, daß Franz Joseph und die Schratt geheiratet hätten. Und Kamprath muß es, wie kaum ein anderer, gewußt haben. War er doch zum Zeitpunkt der Eheschließung Ordinariatskanzler im Wiener Erzbischöflichen Palais, in dem die Trauung stattfand.

Kaiserin Zitas Behauptung, die Geheimhochzeit des Kaisers mit der Schauspielerin sei »ein Märchen«, ist heute weniger haltbar denn je.

Nun zu den weiteren Quellen dieses Buches. In einem Brief an Katharina Schratt schreibt Kaiser Franz Joseph: »Ich benütze meine freien Augenblicke, um Ihre ganze Correspondenz von Anfang an wieder durchzulesen, was für mich die angenehmste Beschäftigung ist, da Ihre lieben Briefe so hübsch geschrieben sind und in ihrer historischen Reihenfolge so schöne Erinnerungen erwecken …« Die Briefe der Schauspielerin an den Monarchen galten bis zum erstmaligen Erscheinen dieses Buches als verschollen. Katharina Schratt und Franz Joseph sahen einander über drei Jahrzehnte nicht nur fast jeden Tag, sie hatten in dieser Zeit auch einen regen Briefkontakt. Ein Kontakt, der über diese beiden Menschen und deren Beziehung zueinander viel zu sagen hat. Während ein Teil der Briefe des Kaisers an die Schratt bekannt ist, sollten die historisch wie persönlich interessanten Gegenstücke ein für allemal verborgen bleiben. Man erzählt sich, Franz Joseph hätte die Schratt-Briefe in der Nacht vor seinem Ableben auf Schloß Schönbrunn eigenhändig verbrannt. Bei meiner Arbeit an der vorliegenden Katharina Schratt-Biographie wollte ich jedoch nichts unversucht lassen. Und so kam mir im Laufe meiner Recherchen zu diesem Buch zu Ohren, daß die Schauspielerin, ehe sie die Briefe an den Kaiser verschickte, Konzepte aufgesetzt und diese dann in Reinschrift übertragen hatte. Ein detektivisches Nachlaufspiel setzte ein – und war von Erfolg gekrönt: Die Konzepte der Briefe an Kaiser Franz Joseph tauchten (in der Wiener Nationalbibliothek) auf. Und sie werden hier zum ersten Mal veröffentlicht.

Die Vorgeschichte dazu: Anton von Kiss, der Sohn der Katharina Schratt, besaß die Briefkonzepte, stimmte einer Veröffentlichung aber nie zu. Seine langjährige Wirtschafterin erbte nach seinem Tod die weit über hundert Schriftstücke.

Der Besitzer eines Wiener Antiquariats kaufte ihr die Briefkonzepte ab und gab sie (mit hohem Gewinn) an die Handschriftensammlung der Wiener Nationalbibliothek weiter.

Dort lagerten die Dokumente. Als ich wegen einer Einsichtnahme im Rahmen dieser Biographie anfragte, wurde mir vorerst mitgeteilt, diese Briefe existierten überhaupt nicht.

Nach Monaten bekam ich allerdings die Nachricht, sie existierten doch, allerdings fehlte zur Einblicknahme jegliche rechtliche Grundlage. Nachdem es gelungen war, auch dies zu regeln, erhielt ich die Auskunft, die Konzepte seien verschwunden. Nach ausgedehnten Suchaktionen tauchten sie schließlich doch auf.

Als ich sie endlich in Händen hielt, traute ich meinen Augen nicht. Ein Teil der Konzepte war kaum leserlich. Katharina Schratt hatte die Briefe – einer »Mode« der damaligen Zeit folgend und aus Gründen der Papiereinsparung – kreuz und quer aufgesetzt. Das sieht so aus:

Es fand sich ein Experte, dem es gelang, diese Konzepte zu entziffern: Ernst Hübsch von der Handschriftensammlung der Wiener Stadtbibliothek nahm die Mühe auf sich. So ist es hier möglich, zum ersten Mal die Briefe der Katharina Schratt an den Kaiser zu veröffentlichen. Da es auch gelang, bisher geheimgehaltene Briefe Franz Josephs an die Schauspielerin ausfindig zu machen, liegt jetzt erstmals ein Großteil der gesamten Korrespondenz vor. Die interessantesten Stellen wurden ausgewählt und in diese Biographie eingearbeitet. Durch Gespräche mit Zeitgenossen der Katharina Schratt – allen voran ihre Nichte Katharina Hryntschak – war es möglich, ein sehr persönliches Bild der Schauspielerin, die die wichtigste Vertraute des Kaisers von Österreich war, zu erhalten. Zusätzliche Recherchen sowie der Einblick in bisher unveröffentlichtes Dokumentationsmaterial runden dieses Bild ab.

Wien, im August 1998

Georg Markus

»KATHARINA HABSBURG-LOTHRINGENGEB. SCHRATT«

Die Ehe mit dem Kaiser

Das Erzbischöfliche Ordinariat in Wien. Ein Barockpalais, vis-à-vis dem Stephansdom im Herzen der k. u. k. Haupt- und Residenzstadt gelegen, Mitte des 17. Jahrhunderts von Giovanni Coccapani erbaut. In dem prunkvollen und weitläufigen Gebäudekomplex, der den Erzbischöfen von Wien als Amtssitz dient, befindet sich ein kleines Gotteshaus, die Andreaskapelle. Teile des alten Gemäuers dieser Kapelle sind gotischen Ursprungs und gehörten zum seinerzeitigen Pfarrhof von St. Stephan.

Wien, in den letzten Jahren der Monarchie. Ein alter Herr, von den Lasten eines sorgenreichen Lebens gezeichnet, und eine um 23 Jahre jüngere Frau betreten das Erzbischöfliche Palais. Ein Priester geleitet sie in die Andreaskapelle, wo die beiden getraut werden. Sie gehen eine Ehe ein, die »vor Gott« geschlossen, vor der Öffentlichkeit aber geheimgehalten wird. Dieses Paar konnte und durfte eine »normale« Hochzeit nicht feiern. Denn er war der Kaiser von Österreich und sie die Tochter eines Schnittwarenhändlers aus Baden bei Wien, von Beruf Schauspielerin. Beide waren verwitwet. So unterschiedlich ihre Herkunft, ihr gesellschaftlicher Rang auch gewesen sind, zum Zeitpunkt dieser Eheschließung verband sie doch eine rund drei Jahrzehnte andauernde Romanze, wie sie in der Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie einmalig war: die Liebe zwischen Kaiser Franz Joseph I. und der Hofschauspielerin Katharina Schratt.

»Gewissensehe« nennt die katholische Kirche diese Form der geheimgehaltenen Legalisierung einer Verbindung. Damals wie heute werden diese Gewissensehen äußerst selten eingegangen, denn normalerweise will man seinen Partner vor Zeugen und vor der Öffentlichkeit heiraten.

Diese Hochzeit mußte aber geheim bleiben. Wie kommt es, daß das Geheimnis um die Trauung heute, Jahrzehnte nach der Zeremonie, doch bekannt wird?

Um dies zu ergründen, versetzen wir uns in das Jahr 1934. Der Kaiser war seit 18 Jahren tot, Katharina Schratt lebte, mehr als 80 Jahre alt, zurückgezogen in Wien. Die noch junge und doch schon wieder im Sterben befindliche Erste Republik hatte gerade einen Bürgerkrieg, der mehr als 300 Tote und 700 Verwunderte forderte, überstanden. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs war von der christlichsozialen Regierung verboten worden, ihre Führer wurden inhaftiert, neun von ihnen zum Tode verurteilt und hingerichtet, anderen gelang die Flucht ins Ausland, von wo sie im Untergrund weiterarbeiteten.

Vier Monate nach diesen als »Februarkämpfe« des Jahres 1934 in die Geschichte Österreichs eingegangenen Unruhen, wollte ein junges Paar heiraten. Dieses mußte seine Eheschließung ebenfalls geheimhalten, auch wenn in diesem Fall ganz andere Gründe ausschlaggebend waren als Jahrzehnte vorher für den Kaiser und die Schauspielerin: Der Wiener Medizinstudent Otto Wagner – er wurde später Primarius des St.-Josef-Spitals in Wien – entstammte einer konservativen, altösterreichischen Familie. Weder seine Eltern noch die seiner Braut, Edeltraut Dobrucka-Dobruty-Doliwa, Tochter polnischer Aristokraten, durften von dieser Hochzeit erfahren, zumal Otto Wagner sein Studium noch nicht abgeschlossen hatte. In der damaligen Zeit galt man deshalb als noch nicht »reif« für die Ehe. Trauzeuge dieser Hochzeit war der später namhafte Wiener Sozialreformer und Universitätsprofessor August Maria Knoll, zuvor auch Privatsekretär des österreichischen Bundeskanzlers Ignaz Seipel.

Die Eheschließung zwischen Otto Wagner und Edeltraut Dobrucka fand am 30. Juni 1934, ebenfalls in der Andreaskapelle des Wiener Erzbischöflichen Palais, statt. Bevor der Pfarrer die Trauung vornahm, hatte er in der der Kapelle angrenzenden Sakristei jenes Trauungsbuch auf den Tisch gelegt, in das Gewissensehen eingetragen werden. Dann verließ der Priester für wenige Minuten den Raum. Die drei Anwesenden sahen sich das aus dem Geheimarchiv des Erzbischöflichen Palais geholte Buch an und wurden Zeugen einer sensationellen Eintragung. Hier stand schwarz auf weiß, worüber in Österreich zwar seit Jahrzehnten gemunkelt wurde, was aber niemand wahrhaben wollte, geschweige denn beweisen konnte: Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt hatten geheiratet. Die Eintragung – mit den eigenhändigen Unterschriften – lautete auf die Namen: »Franz Joseph von Habsburg-Lothringen und Katharina Kiss de Ittebe, geb. Schratt«.

Im Katholischen Kirchenrecht/Abschnitt Eherecht ist unter dem Kapitel »Gewissensehe« zu lesen:

»Die Gewissensehe (matrimonium conscientiae) ist die Ehe, die wohl in der ordentlichen Form, aber ohne Verkündung geschlossen und geheimgehalten wird. Sie kann nur vom Ordinarius (das ist in diesem Fall der Erzbischof von Wien, Anm. d. A.) gestattet werden. Der Eintrag dieser Ehe hat in einem besonderen, im Geheimarchiv der bischöflichen Kurie aufbewahrten Buch stattzufinden, nicht im Pfarr-, Ehe- und Taufbuch.«

Dieses im Geheimarchiv der bischöflichen Kurie aufbewahrte Buch lag also am 30. Juni des Jahres 1934 aufgeschlagen vor Otto Wagner, Edeltraut Dobrucka und deren Trauzeuge August Maria Knoll. Sie konnten die Eintragung – jeder für sich und unabhängig voneinander, wie sie später berichteten – klar und deutlich lesen.

Alle drei Zeugen dieser Eintragung sind heute tot. Doch sie berichteten zu ihren Lebzeiten mehreren ihnen nahestehenden Personen gegenüber von ihrer Beobachtung. August Maria Knoll erzählte davon seinen Söhnen Reinhold, Norbert und Wolfgang und seinem Schüler, dem heute bekannten Wiener Politologen und Universitätsprofessor Dr. Norbert Leser.

Dieser, vom Autor der vorliegenden Biographie befragt, meint über die Eheschließung:

»Für mich gibt es an der Glaubwürdigkeit der Angaben meines Lehrers August Maria Knoll keine Zweifel, es sind ihm aus dieser Behauptung niemals irgendwelche Vorteile erwachsen, er hat in der Öffentlichkeit auch nie Verwendung davon gemacht. Ich bin sicher, daß Kaiser Franz Joseph und Frau Schratt tatsächlich verheiratet waren.«

Dr. Reinhold Knoll, Historiker und Assistent an der Universität Wien, ist, ebenfalls von seinem Vater informiert, von dieser Eheschließung nicht weniger überzeugt:

»Auch meinen Brüdern und mir hat unser Vater mehrmals von seiner Wahrnehmung im Trauungsbuch der Andreaskapelle erzählt. Es gab für ihn keinen Zweifel, daß Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt verheiratet waren.«

Der Ehe Otto Wagner-Edeltraut Dobrucka (die 1936, nachdem Wagner sein Studium abgeschlossen hatte, auch »öffentlich« nachgeholt wurde) entsprangen drei Kinder: Der heutige Universitätsprofessor Dr. Otto Wagner jun. ist Oberarzt der 1. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien, seine Schwestern Dr. Edeltraud Lothaller als Zahnärztin in Wien tätig und Magister Barbara Binder-Krieglstein unterrichtet als Gymnasialprofessorin. Die Recherchen führten den Autor auch zu ihnen. Sie bestätigen:

»Ihre Information ist richtig. Unsere Eltern haben am Tag ihrer Eheschließung die Eintragung im Trauungsbuch gesehen. Sowohl unser Vater als auch unsere Mutter haben mehrmals davon erzählt und empfanden es als begrüßenswerten Zug des Kaisers, Frau Schratt geheiratet zu haben.« Das bewußte Trauungsbuch existiert vermutlich nicht mehr. Als die Nationalsozialisten 1938 in Österreich einmarschierten, wurde ein Teil der Dokumente des Geheimarchivs vernichtet, weil man im Erzbischöflichen Ordinariat Angst vor indiskreten Veröffentlichungen durch die Gestapo hatte. Monsignore Dr. Johannes Nedbal, der langjährige Ehereferent des Wiener Erzbischofs – und derzeit im Vatikan tätig – wurde mit den obigen Zeugenaussagen und Erklärungen konfrontiert. Er ging der Sache nach und meint:

»Im Erzbischöflichen Ordinariat Wien wird aufgrund der Aussagen von Gewährsleuten vermutet, daß diese Hochzeit tatsächlich stattgefunden hat. Sollte das Trauungsbuch wider Erwarten eines Tages auftauchen, wäre es denkbar, daß der Kardinal die Geheimhaltung dieser Gewissensehe aufgrund einer kirchenrechtlichen Bestimmung aufhebt.«

Auch in Klaus Mörsdorfs Lehrbuch des Kirchenrechts findet sich ein unmißverständlicher Hinweis auf diese Heirat. Über die Gewissensehe ist in dem internationalen Standardwerk der katholischen Kirche nachzulesen: »Der wichtigste Anwendungsfall ist die Mißheirat königlicher oder fürstlicher Personen (zum Beispiel das Verhältnis eines verwitweten Monarchen mit einer Schauspielerin).«

Deutlicher kann auf eine Eheschließung des römischkatholischen, verwitweten Monarchen Franz Joseph mit der Schauspielerin Katharina Schratt wohl kaum hingewiesen werden.

Dr. Michael Habsburg-Lothringen, der Urenkel Franz Josephs, ist selbst Historiker und gibt zu der Eheschließung folgende Stellungnahme ab:

»Mir ist die These über eine Gewissensehe zwischen Kaiser Franz Joseph I. und Katharina Schratt bekannt und ich will sie auch gar nicht unbedingt ableugnen. Es könnte der Einstellung und dem Charakter des Kaisers durchaus entsprechen, daß er nach der jahrelangen Verbindung diese auch legalisieren wollte. Es ist ja bekannt, daß mein Urgroßvater ein sehr gewissenhafter und korrekter Mann war. Ich kann nicht für die gesamte Familie Habsburg sprechen, aber ich persönlich würde diese Heirat keinesfalls als ›Familienkatastrophe‹ bezeichnen. Man könnte eine Gewissensehe nach all den Schicksalsschlägen, die Franz Joseph erlitten hat, mit einem ihm nahestehenden Menschen wie Frau Schratt ohne weiteres verstehen und akzeptieren.«

Auch Peter Schratt, Schauspieler am Wiener Burgtheater und Großneffe der Schratt – er hatte sie in seiner Kindheit noch persönlich gekannt – hielt die Hochzeit für durchaus denkbar. »Man könnte diesen Schritt als normale Reaktion eines Ehrenmannes verstehen«, sagte er, als ich ihn vor Erscheinen der Erstauflage dieses Buches befragte.

Soweit die Aussagen der direkten und indirekten Zeugen und die Stellungnahmen der betroffenen Familien Habsburg und Schratt.

Nun muß man sich trotz all der Indizien mit den geschilderten Fakten nicht unbedingt identifizieren, das Trauungsbuch für Gewissensehen wird vermutlich nie wieder auftauchen. Durchaus seriös kann aber festgestellt werden, daß die Berichte beziehungsweise eidesstattlichen Erklärungen der – durchwegs honorigen – Zeugen äußerst glaubwürdig sind. Dazu kommt, daß auch noch weitere Schriftstücke und historische Unterlagen für eine Ehe Kaiser-Schauspielerin sprechen:

So hat Kaiserin Elisabeth, die ja diese Beziehung überhaupt in die Wege leitete, mehrmals – zuletzt in Bad Kissingen, kurz vor ihrem Tod – davon gesprochen, daß ihr Mann, falls sie vor ihm sterben würde, Frau Schratt in zweiter Ehe heiraten sollte. Klar läßt sich das aus den Tagebüchern der Erzherzogin Marie Valerie – der Tochter des Kaiserpaares – ersehen. Bereits am 28. Mai 1890, also acht Jahre vor der Ermordung ihrer Mutter, trug Marie Valerie ein, daß sie von Elisabeth aufgefordert wurde, »falls sie stürbe … Papa zuzureden, Schratt zu heiraten.«

Und kurz nach Elisabeths Tod vermerkte Marie Valerie – datiert mit dem 11. Juli 1899: »Lossagen wird er sich nie und nimmer von ihr (gemeint ist Frau Schratt, Anm. d. A.), und heiraten kann er sie ja leider nicht, denn sie ist ja ganz rechtmäßig verheiratet.«

Dieses »Ehe-Hindernis« änderte sich zehn Jahre später, als nämlich am 21. Mai 1909 der immer noch rechtmäßige Ehemann der Schratt, Nikolaus von Kiss, einem Herzschlag erlag. Die eventuelle Hochzeit zwischen Kaiser und Schauspielerin könnte also – nach Verstreichen des Trauerjahres der Katharina Schratt – zwischen den Jahren 1910 und 1916, dem Todesjahr Franz Josephs, stattgefunden haben.

Ein weiteres Indiz scheint die Hochzeits-Theorie zu bestätigen. Als der Kaiser am Abend des 21. November 1916 verstorben war, ereignete sich – nachzulesen in den Aufzeichnungen von Arthur Graf Polzer-Hoditz, dem Kabinettschef des Franz Joseph nachfolgenden Kaisers Karl I. – folgendes: Nachdem der alte Kaiser bereits entschlafen war, kam Frau Katharina Schratt ins Schönbrunner Schloß, »jene Frau«, meint Polzer-Hoditz, »die den Lebensabend des von der Vorsehung schwer heimgesuchten Monarchen durch ihre Herzensgüte, ihren unversiegbaren Humor erhellt und sich die Freundschaft des Kaisers durch Takt und Selbstlosigkeit zu erhalten gewußt hatte. Alle Würdenträger des Reiches hatten sich vor dieser Frau tief verbeugt, solange ihr hoher Gönner noch am Leben war. Nun wollte man ihr den Zutritt zur Bahre des toten Kaisers verwehren. Tief erschüttert und von Schmerz gebeugt, stand sie ausgeschlossen im Vorgemach des Sterbezimmers. Da sah sie Kaiser Karl. Sofort trat er auf sie zu, bot ihr den Arm und führte sie an die Bahre des toten Freundes.«

Im Sterbezimmer nahm sie – wie die Familienmitglieder – Abschied von Franz Joseph. Als Kaiser Karl und Katharina Schratt aus dem Sterbezimmer traten, kam ihnen Kaiserin Zita entgegen und nun stellte er seine Frau der Schratt vor und nicht umgekehrt. Was aus heutiger Sicht kaum bedeutsam erscheint, ist nach den strengen Regeln des damals geltenden Spanischen Hofzeremoniells eindeutig: Eine solche Geste – ausgeführt durch den bereits regierenden Kaiser Karl – wäre einer »Normalsterblichen« gegenüber völlig ausgeschlossen gewesen. Dieser Meinung war auch Österreichs wohl bedeutendster Habsburg-Kenner, der Historiker Universitätsprofessor Dr. Adam Wandruszka, der aufgrund dieser Reaktion des jungen Monarchen zur Überzeugung gelangte, »daß Franz Joseph mit der Schratt verheiratet war. Sonst hätte ein so korrekter Mann wie Kaiser Karl der Schauspielerin niemals den Arm gereicht.«

Ein nicht unwesentliches Argument lieferte – wenn auch zweifellos ungewollt – Dr. Otto von Habsburg, das heutige Familienoberhaupt des ehemaligen Kaiserhauses. Während der Sohn des letzten österreichischen Kaisers zu einer eventuellen Ehe seines Urgroßonkels mit Katharina Schratt öffentlich keine Stellungnahme abgeben will, verfaßte er am 21. Januar 1980 ein Schreiben an Professor Norbert Leser, der ihn zu diesem Thema schriftlich befragt hatte, da ihn der Fall – von einem Zeugen unmittelbar informiert – interessierte. Otto von Habsburg an Leser: »Sehr verehrter Herr Universitätsprofessor! … Ob er nun mit Frau Schratt tatsächlich verheiratet war oder nicht, interessiert höchstens Abraham a Sancta Clara – aber nicht die moderne Geschichte! Mit Respekt und Hochachtung Ihr Dr. Otto von Habsburg.«

Es spricht vieles dafür, daß auch Otto von Habsburg eine Verehelichung Franz Joseph-Schratt für wahrscheinlich hält. Denn es ist als sicher anzunehmen, daß er, wüßte er das Gegenteil, der Theorie auf das Schärfste widersprochen hätte. So verweist er nur auf den berühmten Sittenrichter des 17. Jahrhunderts und läßt damit alles offen.

Schließlich sei zum Thema Hochzeit noch vermerkt, daß dieser Schritt in der damaligen Zeit sowohl kirchlich als auch von den staatlichen Instanzen her zu einer völlig korrekten Ehe führte: Während die Republik Österreich heute nur eine vor dem Standesamt geschlossene Ehe akzeptiert, war in der Zeit bis 1939 das kirchliche Sakrament ausreichend. Fand die Trauung also tatsächlich statt, war Katharina Schratt (beziehungsweise: Katharina von Habsburg-Lothringen) die rechtmäßige Frau des Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn. Sie war jedoch keinesfalls »Kaiserin«, da es ja niemals eine Krönung gegeben hatte.

Die Historiker werden noch lange über diese »Gewissensehe« rätseln und diskutieren. Fest steht, daß Katharina Schratt, als sie mitten im Zweiten Weltkrieg 87jährig verstarb, durch Begegnungen mit Angehörigen der Hocharistokratie, politischen Vertretern, Kaisern und Königen, durch das Zusammentreffen mit den bedeutendsten Künstlern zu den interessantesten Persönlichkeiten ihrer Zeit gehörte. Es ist das sicherlich faszinierende Leben einer Schauspielerin, die drei Jahrzehnte lang an der Seite des Kaisers von Österreich lebte.

»SELBST DER SOUFFLEUR SCHAUT AUSWIE EIN GRAF«

Erste Begegnungen mit Franz Joseph

Daß es zu einem Verhältnis des Kaisers mit Katharina Schratt kommen konnte, erscheint fast wie ein Wunder. Wenn man weiß, wie peinlich genau bei Hofe zwischen Mitgliedern der Hocharistokratie und den Angehörigen des Bürgertums unterschieden wurde, und wie schwierig es gleichzeitig war, dem äußerst verschlossenen Menschen Franz Joseph überhaupt nahe zu kommen, wird man kaum begreifen, daß die »Gnädige Frau«, wie sie im ganzen Kaiserreich genannt wurde, seine wichtigste Weggefährtin werden und drei Jahrzehnte lang bleiben konnte.

Verständlich wird diese ungewöhnliche Romanze erst, wenn man die Persönlichkeiten der Schauspielerin und des »Sie innigst liebenden Franz Joseph« (der Kaiser in unzähligen Briefen an die Schratt) zu durchleuchten versucht.

Kennengelernt hat die Schratt den Kaiser auf völlig unromantische Weise: Wie Tausende andere Künstler, Kaufleute oder Beamte in der Monarchie war sie zu einer Audienz ins Schloß Schönbrunn, der Sommerresidenz des Herrschers, geladen worden. Der Monarch – bekanntlich ein extremer Frühaufsteher, und danach richteten sich auch die Termine für die Besucher – hatte an manchen Tagen weit mehr als hundert Personen aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung zu empfangen. Dementsprechend wenig Zeit war für eine solche Audienz vorgesehen.

Eines Vormittags war Katharina Schratt, seit knapp vier Jahren verehelichte Frau Kiss de Ittebe, zum Kaiser befohlen. Die damals 30jährige hatte sich als Schauspielerin sowohl im benachbarten Ausland als auch als Ensemblemitglied des angesehenen Wiener Stadttheaters einen Namen gemacht und war soeben ans k. u. k. Hofburgtheater engagiert worden. Das war im Jahre 1883, und diesen Zeitpunkt könnte man als den Grundstein der Verbindung ansehen. Franz Joseph hatte Katharina Schratt bereits Jahre zuvor – im Dezember 1873 – auf der Bühne gesehen. Er war gemeinsam mit Kaiserin Elisabeth ins Stadttheater gekommen, wo man anläßlich seines 25jährigen Regierungsjubiläums eine Festvorstellung »Der Widerspenstigen Zähmung« von William Shakespeare gab. Katharina Schratt war in ihrer vielumjubelten Rolle als Käthchen aufgetreten, dürfte dem Monarchen aber weiter nicht aufgefallen sein.

Zehn Jahre später stand sie also vor ihrem obersten Herrn, um sich – wie das bei neuen Mitgliedern des Burgtheaters so üblich war – bei ihm vorzustellen. Wie der Historiker Heinrich Benedikt beschreibt, soll sich diese erste persönliche Begegnung folgendermaßen abgespielt haben:

Katharina Schratt kannte Hofrat Dr. Paul Schulz, den Präsidenten des Wiener Patentamtes, dessen Vater Burgtheaterarzt gewesen war. Von Paul Schulz ließ sie sich beraten, wie man sich während einer Audienz beim Kaiser zu benehmen habe. Der hohe Beamte, vom Kaiser besonders geschätzt und selbst schon des öfteren in Audienz empfangen, versuchte nun, der jungen Schauspielerin das strenge höfische Zeremoniell in allen Details zu erklären.

Katharina Schratt kam also – als gewissenhafte Schauspielerin hatte sie sich bereits den Text zurechtgelegt – zu Schulz ins Patentamt, um sich letzte Instruktionen für den großen Tag zu holen. Sie spielte dem Freund die Szene vor, mit der sie sich beim Kaiser für die Aufnahme ans Hoftheater offiziell bedanken wollte.

»Euer Majestät geruhten …« sagte sie zu Dr. Schulz, der während dieser Probe den Kaiser darstellte. Dann ließ sich die Schratt in einen Fauteuil fallen. »Ganz falsch« wurde sie von Schulz unterbrochen, »du darfst dich keinesfalls niedersetzen, sondern mußt stehen und nach dem Hofknicks dein Sprüchlein sagen.«

Wenige Tage später war es soweit. Frau Schratt wurde in die Allerhöchsten Gemächer Seiner Majestät vorgelassen. Sie trug ein Taftkleid und ihr rotblondes Haar war durch einen schwarzen Schleier verdeckt.

Brav begann sie ihren wohlpräparierten Text aufzusagen: »Euer Majestät geruhten …« Nun unterbrach sie der Kaiser: »Gnädige Frau, wollen Sie sich nicht setzen?«

Frau Schratt: »Danke Majestät. Euer Majestät geruhten …« Der Kaiser: »Ja, warum wollen Sie sich nicht setzen?«

Frau Schratt: »Der Schulz hat’s mir verboten!«

Das eigentliche Gespräch zwischen dem Kaiser und der Schauspielerin ging dann folgendermaßen vor sich: »Es freut mich, Frau Schratt, Sie kennenzulernen. Hoffentlich werden Sie sich an meinem Theater wohlfühlen. Wie gefällt es Ihnen denn?« Katharina Schratt, die bereits einige Burg-Proben absolviert hatte, antwortete: »Majestät, es gefällt mir sehr. Nur ist alles so vornehm wie sonst in keinem Theater. Die Kollegen sind nobel, wie wir es beim Theater nicht gewohnt sind. Soviel Etikette. Jedem gebührt dies oder jenes. Selbst der Souffleur schaut aus wie ein Graf.«

Der Kaiser soll – schon als sie sich nicht setzen wollte und auch dann während des kurzen Dialogs – immer wieder vor Vergnügen so laut aufgelacht haben, daß seine Adjutanten im Vorraum ihren Ohren nicht zu trauen glaubten, denn zu lachen hatte es sonst für Franz Joseph auch schon Anfang der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts sehr wenig gegeben.

Ansonsten dürfte die Schratt während dieser ersten Begegnung mit dem Kaiser ziemlich schüchtern gewesen sein. Das geht jedenfalls aus einem Brief hervor, den Franz Joseph ihr etliche Jahre später, am 26. Juni 1896, als die beiden bereits eine innige Freundschaft verband, schrieb:

»… unter den 128 Audienzen, die ich gestern hatte, war das Burgtheater stark vertreten, lauter Bedankende, Sonnenthal, Robert, Thimig, Frau Lewinsky und Frl. Kallina. Letztere war sehr liebenswürdig und gesprächig, gar nicht befangen, wie jemand Anderer bei ihrer ersten Audienz …«

So sehr die naive Befangenheit der jungen Katharina Schratt dem Kaiser auch gefallen haben mag, dieser »Auftritt« allein kann noch lange nicht den Ausschlag gegeben haben, daß die später so tiefe Verbindung zwischen den beiden zustande kam.

Schon wenige Wochen nach der ersten Audienz suchte Frau Schratt nun ihrerseits um einen neuerlichen Termin beim Kaiser an.

Sie hatte vier Jahre zuvor den ungarischen Aristokraten Nikolaus von Kiss geheiratet und ihm ein Jahr später einen Sohn geboren. Die Ehe existierte jedoch nur noch auf dem Papier. Nikolaus von Kiss bereiste als österreichisch-ungarischer Diplomat die halbe Welt und war kaum je in Wien anzutreffen. Dennoch fühlte sich Katharina Schratt, obwohl von ihrem Mann getrennt, seiner Familie gegenüber verpflichtet und so kam es, daß sie in einer Familienangelegenheit keinen anderen Ausweg sah, als den Kaiser persönlich aufzusuchen und um Intervention zu bitten:

Katharina Schratts Ehemann Nikolaus hatte einen Onkel namens Ernö von Kiss gehabt. Dieser war kaiserlicher Berufsoffizier gewesen und im Jahre 1838 im Range eines Obersten als Kommandant des Husarenregiments »Hannover« in den Ruhestand versetzt worden. Zehn Jahre später, als die Revolution ausbrach, meldete sich Ernö Kiss freiwillig, um der Ungarischen Revolutionsarmee zu dienen. Der inzwischen 69jährige Pensionär wurde sofort mit dem Titel eines Generals eingestellt. Vorerst kommandierte er ein Armeekorps in Südungarn, ab Januar 1849 war er vorübergehender Oberbefehlshaber der gesamten Revolutionstruppen.

Während die Regierung der Revolutionsarmee versprochen hatte, daß den Offizieren – im Falle die Waffen niedergelegt würden – nichts widerfahre, wurden am 13. August 1849 alle kommandierenden Generäle von den verbündeten russischen Truppen verhaftet. Am 6. Oktober desselben Jahres wurden die 13 höchsten Offiziere – also auch Ernö von Kiss – auf der Festung Arad durch den Strang hingerichtet. Dieser Tag ist übrigens heute noch ungarischer Nationalfeiertag.

Alle Welt – insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien – hatten damals gegen die Hinrichtungen schärfstens protestiert. Franz Joseph war zu diesem Zeitpunkt erst ein Jahr lang Kaiser gewesen und mit seinen 19 Jahren praktisch noch nicht der wahre Regent des Reiches. Die Staatsführung lag vielmehr in den Händen seiner herrschsüchtigen Mutter Sophie und des Ministerpräsidenten Felix Fürst zu Schwarzenberg. War Franz Joseph, der den Befehl zur Hinrichtung von sich aus kaum gegeben hätte, moralisch unschuldig, so drückte ihn doch sein Leben lang ein Schuldgefühl, weil 13 Generäle – bereits während seiner Regentschaft – exekutiert worden waren. Zu Kaiserin Elisabeth sagte er mehrmals, daß ihn der Tod der Revolutionsoffiziere besonders bedrücke: »Wenn ich könnte, würde ich sie mit meinen eigenen zehn Fingern wieder ausgraben.«

Revolutionsgeneral Ernö von Kiss, bereits seit 34 Jahren tot, war also Anlaß für eine weitere Begegnung zwischen Katharina Schratt und Kaiser Franz Joseph. Der Monarch hatte sich nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich im Jahre 1867 – zu diesem Zeitpunkt wurden die beiden Reichshälften zu gleichberechtigten, selbständigen Staatsgebilden – bemüht, die eingezogenen Vermögen der hingerichteten Offiziere an deren Erben zurückzugeben. So war es auch im Falle Kiss gewesen. Doch die in finanziellen Fragen äußerst leichtfertige Familie Kiss hatte den Nachlaß, der aus den beachtlichen Gütern entstanden war, längst wieder verloren, ja die meisten von ihnen – darunter auch Frau Schratt und ihr Mann – waren dank ihrer aufwendigen Lebensweise zutiefst verschuldet.

Die Familie Kiss brauchte also dringend Geld. Und das war der Grund für Katharinas zweite Audienz beim Kaiser. Es ging um die Erträge, die der Familie zwischen Beschlagnahme der Güter im Jahre 1848 und deren Retournierung 1867 entgangen waren.

Der Kaiser hörte sich ruhig an, was Katharina Schratt ihm vortrug, mußte sie aber in dieser Angelegenheit an den ungarischen Ministerpräsidenten Kolomán von Tisza verweisen. Das fehlende Geld sollte die Familie Kiss übrigens nie erhalten, weil Tisza der Meinung war, daß es »unstatthaft wäre, eine Familie, die infolge Leichtsinns zugrunde gegangen war, aus Staatsmitteln wieder aufzurichten.«

Noch fehlte die schützende Hand des Kaisers …

»DER KAISER HAT SICH BESONDERS LANGMIT IHR UNTERHALTEN«

Elisabeth wird aktiv

Franz Joseph war alles andere als ein begeisterter Ballbesucher. Kaiserin Elisabeth hatte sich – wir schreiben das Jahr 1885 – von ihrem Mann bereits stark entfremdet, sie selbst besuchte offizielle Feste äußerst selten. Der Kaiser jedoch, sein Leben lang der Inbegriff der Pflichterfüllung und des Traditionsbewußseins, ließ Cercles, Abendgesellschaften und Bälle jeder Art über sich ergehen. »Er verneigte sich«, wie es in einem Bericht aus der Zeit heißt, »bei solchen Gelegenheiten vor den Damen, denen er auch häufiger als den Herren die Hand reichte und die er wie niemand zu entzücken verstand.«.

Fast zwei Jahre nach der Audienz »in Sachen Ernö von Kiss« sollten Franz Joseph und Katharina Schratt einander auf einem Ball wiedersehen. Als prominentes Mitglied des Hofburgtheaters war die Schratt natürlich zu allen großen Festen Wiens geladen.

So auch alljährlich beim »Ball der Industriellen«, der in den Räumlichkeiten des Musikvereins stattfand und zu den nobelsten Festen des Wiener Faschings zählte. Die Einladungskarte des für ihre Verbindung mit dem Kaiser so wichtigen Industriellenballes des Jahres 1885 hat sie nicht aufbewahrt, die Originaleinladung des Industriellenballes, der sechs Jahre zuvor gefeiert wurde, fand sich jedoch in ihrem Nachlaß.

Nora Fürstin Fugger, eine wichtige Zeugin gesellschaftlicher Veranstaltungen der damaligen Zeit, hinterließ in ihren Aufzeichnungen, daß die Schratt beim Industriellenball 1885, als sie Franz Joseph zum dritten Mal in ihrem Leben persönlich traf, »besonders hübsch ausgesehen und der Kaiser sich besonders lange mit ihr unterhalten« hätte. Das Gespräch fand auf der Estrade des Ballsaales statt und dürfte den Ausschlag für die nächste und vermutlich entscheidende Zusammenkunft dieser dann jahrzehntelang anhaltenden Verbindung gegeben haben.

Als im Sommer desselben Jahres Kaiser Franz Joseph den russischen Zaren Alexander III. zu einer freundschaftlichen Zusammenkunft auf dem mährischen Schloß Kremsier traf – Gesprächsthema Nummer eins sollte die Balkanpolitik sein – war Frau Schratt wieder dabei. Als künstlerischer Höhepunkt des an und für sich hochpolitischen Treffens war ein Abend mit namhaften Wiener Künstlern vorgesehen. Das Illustrierte Wiener Extrablatt berichtet in seiner Ausgabe vom 26. August 1885 über »Die Kaiser-Entrevue in Kremsier«:

»Selten hat eine Theater-Vorstellung einen so glänzenden Verlauf gehabt, als das théâtre paré, welches gestern Abends im Lehensaale des erzbischöflichen Schlosses stattfand. Vor Ankunft des Hofes lenkte sich das Interesse den russischen Würdenträgern zu, deren hohe Gestalten und ausdrucksvolle Mienen ihnen ein besonderes Gepräge geben … Nach einem kurzen Harfen-Präludium begann die Vorstellung. Frau Wolter und Frl. Wessely waren auf der Scene und führten den Schluß des ersten Actes der ›Sappho‹ auf. Das hoheitsvolle Spiel der großen Tragödin übte mächtigen Eindruck. Nachdem die Scene beendet, gab der Czar selbst das Signal zum Beifall, doch applaudirten nur die Allerhöchsten Persönlichkeiten, wie es der Hofsitte entspricht, und nicht nur mit Händeklatschen, sondern auch mit Zurufen: ›Sehr schön!‹, ›Bravo!‹, ›Ausgezeichnet!‹ gaben die Majestäten ihr Urtheil ab … Die frohe Stimmung steigerte sich beim Lustspiel ›Er experimentiert‹. Die Herrschaften lachten herzlich über Sonnenthal’s und Baumeister’s flottes Spiel, insbesondere über die vollendete Darstellung der Frau Schratt, die einen wirklichen Triumph feierte.«

Als die Vorstellung beendet war, bat der Kaiser – allen höfischen Gepflogenheiten zum Trotz – auch die anwesenden Künstler zum Souper. Die Ehefrauen der Monarchen waren ebenfalls zugegen, und so lernte Kaiserin Elisabeth an diesem Abend Frau Schratt kennen, die ihr als Schauspielerin schon längst ein Begriff war.

Kronprinz Rudolf, der ebenfalls an der Tafel Platz genommen hatte, mokierte sich in einem Brief an seine Frau Stephanie über die ungewöhnliche Kombination der Kaiserlichen Familien mit den Schauspielern: »Um acht Uhr Theater, dann Souper mit Wolter, Schratt und Fräulein Wessely; es war merkwürdig.« Elisabeth-Biographin Brigitte Hamann meint sogar, daß es »durchaus möglich wäre, daß die Kaiserin diese völlig unorthodoxe Einladung angeregt hatte, um die Schratt kennenzulernen.«

Fest steht: Spätestens ab diesem Zeitpunkt wußte Elisabeth von der großen Zuneigung, die ihr Mann für die Schratt empfand. Ab jetzt nahm die Kaiserin die Sache selbst in die Hand. Sie war es, die jede Gelegenheit nützte, um Kaiser und Schauspielerin zusammenzuführen. Denn für sie war Katharina Schratt der ideale »Ersatz« für die Zeit, da sie Hof und Hauptstadt verlassen wollte. Elisabeth hatte sich bereits immer mehr von ihrem Mann abgewendet und jeglichen intimen Kontakt zu ihm verloren. Sie lebte mehr und mehr in einer dem höfischen Protokoll völlig fremden Welt, wollte ausgedehnte Reisen unternehmen, begeisterte sich für griechische Philosophen und den Poeten Heinrich Heine. Außerdem begann sie selbst zu dichten. Ihr ganzes Interesse galt jedenfalls all jenen Wissensgebieten, mit denen der trockene und unromantische Kaiser nichts anzufangen wußte. »Wolkenkraxeleien« nannte er die ihm völlig sinnlos erscheinenden Beschäftigungen seiner Frau.

»AUF DEN VERSPROCHENEN TRATSCHBIN ICH SCHON SEHR NEUGIERIG«

Was für den Kaiser interessant war