Karl Farkas - Georg Markus - E-Book

Karl Farkas E-Book

Georg Markus

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Beschreibung

"Ich wünsche Ihnen mit diesem wunderbaren Buch von Georg Markus über den großartigen Karl Farkas herrliche Lesestunden." Michael Niavarani "Schau'n Sie sich das an!" Wer kennt nicht den berühmten Ausspruch von Starhumorist Karl Farkas? Doch der in den 1920ern als "Blitzdichter" im Simpl berühmt gewordene Künstler war viel mehr als nur schlagfertiger Kabarettist: Als Schauspieler, Autor und Regisseur brilliert er über Jahre auf den Theater- und Kabarettbühnen Wiens. 1938 von den Nazis vertrieben, feiert das vielseitige Allroundgenie mit Revuen und Broadwayshows auch in den USA Erfolge und wird nach seiner Rückkehr als Leiter des Simpl sowie in zahlreichen TV- und Radioformaten erneut zum Publikumsliebling. Mit Kabarettpartnern wie Fritz Grünbaum und Ernst Waldbrunn gilt Karl Farkas bis heute als Inbegriff der "Doppelconférence" – und als einer der ganz Großen der Unterhaltungsbranche, dessen Faszination ungebrochen ist.

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Georg Markus

KARL FARKAS

Sein Humor.

Seine Erfolge.

Sein Leben.

Mit einem Vorwort von Michael Niavarani

Mit 26 Abbildungen

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2021 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Überarbeitete Neuausgabe des 1993 erschienenen Buches

»Das große Karl Farkas Buch«, basierend auf der Originalausgabe

»Karl Farkas. Schau’n Sie sich das an« (1983)

Umschlaggestaltung: Johanna Uhrmann

Umschlagabbildungen: Cover: Karl Farkas in einer Bilanz des Monats, 1960

© First Look/picturedesk.com; Rückseite: Karl Farkas und Ernst Waldbrunn

© First Look/picturedesk.com

Herstellung und Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-99050-203-7

eISBN 978-3-903217-76-8

Inhalt

Das hab’ ich mir angeschaut!

Vorwort von Michael Niavarani

Persönliche Erinnerungen an Karl Farkas

Vorwort von Georg Markus

»… die ganze Klasse jüdelt«

Kindheit und Jugend

»Der Krieg bringt die Menschen um, damit sie einer besseren Zukunft entgegensehen«

Schauspielschüler und Soldat

»Ohne Geld ka Musi«

Lehr- und Wanderjahre

»Vertrauensvoll in die Vergangenheit geblickt …«

Neue Wiener Bühne und Café Central

»Glaubt mir, dass ich euch keinen Schmäh sag: Der beste Sänger ist der Slezak!«

Blitzdichter im Simpl

»Herr Farkas, Sie sind ein widerlicher Mensch!«

Hochzeit mit Anny Hán

»Weil Brünn überhaupt keinen Krieg führen kann«

Fritz Grünbaum und die Doppelconférence

»Nie wieder eine ernste Rolle«

Nebenbei noch am Theater

»Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt’ …«

Die Revue oder: Ein Farkas-Schlager geht um die Welt

»Leute mit Plattfüß sind die glücklichsten …«

Im weißen Rössl

Das tausendjährige Öster-Reich

Farkas als Patriot

»Wenn’s nicht anders geht, vergifte ich mich«

Karl Farkas muss Wien verlassen

»Und nun: Moritz Ritter!«

Paris

Ein Spanier, der nicht Spanisch kann

Die abenteuerliche Flucht

Publicity ist alles

Amerika

Mayerling mit Happy End

Wie Kronprinz Rudolf – für den Broadway – überleben sollte

»Ich werde Dir das Glück bis zum Ende unserer Tage bringen«

Korrespondenz vor dem Wiedersehen

Empfang für einen König

Wieder in Wien

»… entrüstet und ent-eichenlaubt«

Das Wiedersehen

»Ich will mindestens das Burgtheater«

Karl Farkas sucht eine Bühne

»Zu alt, um ein zorniger junger Mann zu sein«

Rückkehr an den Simpl

»Und weil wir grad vom Bronner reden …«

Kabarettkollegen und Theatergastspiele

»Wenn ich was lesen will, dann schreib ich es mir selber«

Farkas als Fernsehstar

»So ist ein Schauspieler noch nie gefeiert worden«

Staatsempfang für Karl Farkas

»Der unwiderruflich Letzte«

Karl Farkas stirbt

Wer ist der Autor?

Die Zeit nach Karl Farkas

Karl Farkas zum Nachlesen

Sketche, Conférencen, Doppelconférencen, Chansontexte und ein kleines Kabarett-ABC von Karl Farkas

Im Jenseits 1999

Doppelconférence im Himmel

Pflückt ein Mädel Ribisel

Chanson (1931)

Vor dem Vorhang

Zusammenfassung aus Farkas-Conférencen

Sex-Komplex

Sketch

Briefträger

Doppelconférence

Bankraub

Sketch

Der Geist vom Ballhausplatz

Sketch

Schwimmlehrer unter sich

Doppelconférence

Der Überfall

Sketch

Kleines Kabarett-ABC

Karl Farkas kurz gefasst

Dank

Quellenverzeichnis

Bild- und Textnachweis

Namenregister

Das hab’ ich mir angeschaut!

Vorwort von Michael Niavarani

Als ich 1992 von Martin Flossmann gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könne, der nächste Simpl-Chef zu werden, hat mich nicht nur der Schlag getroffen, mir war auch sofort klar, dass ich nur eine Chance hätte, im Simpl Erfolg zu haben: Ich muss in die Tradition des Hauses eintauchen und mir so viele Programme von Farkas anschauen wie nur irgend möglich. Heutzutage ist das nicht besonders schwierig, man braucht nur auf YouTube »Karl Farkas Simpl« eingeben und man kann sich stundenlang darüber wundern, wie dieser geniale Kabarettist es geschafft hat, sein Publikum so vielfältig und mit beständiger Qualität zu unterhalten. Ach, ja – und lachen, lachen kann man dabei auch.

Nachdem ich es mithilfe des damaligen ORF-Kabarett-Verantwortlichen Gottfried Schwarz (der mir netterweise zahlreiche Aufzeichnungen aus dem Archiv zur Verfügung stellte) geschafft hatte, mir einen ersten Überblick zu verschaffen, war mir das Lachen vergangen. Mir wurde bewusst, in welche Fußstapfen ich da zu treten hatte. »Das Lachen des Jahrhunderts« – so hat man Farkas genannt. Sein komödiantischer Geist schwebt heute noch über dem Simpl.

»Schauen Sie sich das an!«, stand am Ende jeder seiner Anfangsconférencen. Der wohl berühmteste Satz von Karl Farkas, heute ein geflügeltes Wort bei vielen Gelegenheiten. Eine Aufforderung, den Abend im Simpl zu genießen. Sich zurückzulehnen und zu lachen. Farkas ist eine Persönlichkeit, die bis heute in einem Atemzug mit dem Kabarett Simpl genannt wird. Ja, man kann sogar mit Fug und Recht behaupten: Der Farkas ist der Simpl. Immer noch. 128 Jahre nach seiner Geburt und 50 Jahre nach seinem Tod ist er immer noch der Inbegriff österreichischer Unterhaltung.

Nach einem dieser Nachmittage bei Gottfried Schwarz in seinem Büro am Küniglberg war mir klar geworden, dass dieser Farkas einfach alles konnte: Lieder schreiben, Sketches inszenieren und sie gleich auch selber verkörpern, Operettenlibretti schreiben, Revuen zusammenstellen und den schönen Sigismund im Weißen Rössl singen. Und eine seiner Skills, wie man heute sagt, beeindruckte mich besonders, es gab kaum ein Wort, auf das er nicht reimen konnte. Ich glaube, Farkas ist der einzige deutschsprachige Satiriker, der auf »Banjo« und »Känguru« einen Reim gefunden hat. Und zwar, was die Sache erschwert, einen zweisilbigen und sogar einen dreisilbigen. Also nicht nur auf »jo« und »ru«, sondern eben auf »an – jo« und »än – gu – ru«. Nachdem wir Komiker uns ja nur mit Dingen beschäftigen, über die andere lachen, führt ein dreisilbiger Känguru-Reim zu andächtiger, ja fast schon heiliger Bewunderung, und ich bilde mir ein, auch in Farkas’ Augen ein seliges Leuchten entdeckt zu haben, beim Vortrag seiner Reime. Ich will sie Ihnen natürlich nicht vorenthalten. Farkas’ Partner in diesem Sketch ist Heinz Conrads:

CONRADS:

Haben Sie auch einen Reim auf Känguru?

FARKAS:

Känguru?

CONRADS:

Ja! Aber nicht:KänguruIch und DuMüllers KuhMüllers Känguru,das bist DuNein! Auf Känguru!

FARKAS:

Känguru!

CONRADS:

Käng – gu – ru!

FARKAS:

Ja! Ich hab’s schon gehört! Also:In meinem Studierzimmer ein ausgestopftes Känguru stand …

CONRADS:

Nein, nein, nein! Das ist zu leicht: Känguru stand … hängt an der Wand. Nein, nein, nein – auf Känguru!

FARKAS:

Ich hab’ ja erst angefangen. Warte … also:In meinem Studierzimmer ein ausgestopftes Känguru standUnd vis-à-vis über meinem Bett hängt eine Uhr an der Wand.Und ich schau stets nach dem Känguru,Während ich unter der Häng-Uhr ruh.

CONRADS:

Na gut! Aber können Sie auch einen Reim auf Benjos machen?

FARKAS:

Benjo?

CONRADS:

Nein! Das kann ich auch: Benjo, wenn scho, denn scho … Mehrzahl. Benjos!

FARKAS:

Also gut! Sagen wir …Ein Mexikaner hat in einer Maiennacht, seiner Liebsten auf dem Benjo ein Ständchen gebracht!

CONRADS:

Mehrzahl!!! Und die Benjos müssen ja am Schluss sein!

FARKAS:

Das weiß ich doch! Warten S’ ein bisserl. Also:Und als die beiden Küsse getauschtHat ein Nebenbuhler sie belauscht.Da lief er nach Haus, Wut entbranntRiss seinen Revolver von der WandWomit er ihm, beim Klang des BenjosDurch Kopf und Hals und Füß’ und Händ’ schoss!

Ich muss gestehen, dass ich es trotz redlicher Bemühungen im Reimen nicht annähernd geschafft habe, dem Farkas das Wasser zu lassen (© Karl Farkas). Es ist bei mir immer nur eine dilettantische Passion geblieben. Mein Gott! Was wir uns den Kopf zerbrochen haben, um auf Schüttelreime zu kommen. Mir sind nie wirklich wertvolle eingefallen. Einen einzigen hab’ ich hervorgebracht – in 30 Jahren! –, den ich dem Farkas gern erzählt hätte:

Bleich steht an der Reling Woody Allen

Und denkt im Sturm sich: Uh, die Wellen!

Ich befürchte, er hätte mir väterlich auf die Schulter geklopft und vielleicht mit den Worten des Schriftstellers und Simpl-Kollegen Egon Friedell geantwortet: »Dilettantismus und ehrliche Kunstbemühung schließen einander nicht aus!«

Ebenso verhält es sich übrigens mit dem Humor. Stammtischwitze und »ehrliche Wuchtelbemühung« schließen einander auch nicht aus. Mir war aber damals durchaus klar, dass zwischen einem ganz witzigen jungen Schauspieler und einem professionellen Komiker noch eine sehr große Kluft zu überwinden ist. Ich war 24 Jahre alt und bis zu dem Zeitpunkt meiner Simpl-Übernahme hauptsächlich in einem kleinen, 30 Sitzplätze fassenden Kellertheater aufgetreten. Lediglich eine Saison hatte ich mich bereits vor größerem Publikum ausprobieren dürfen; unter Farkas’ Nachfolger Martin Flossmann war ich im Simpl als Darsteller engagiert. Apropos Flossmann. Da muss ich Ihnen zwei kleine Anekdoten erzählen, die Eitelkeit betreffend. Wie Sie vielleicht aus dem ebenfalls im Amalthea Verlag erschienenen Buch über den Simpl wissen, war die Übergabe Farkas–Flossmann nicht ganz so harmonisch, wie man sich das gewünscht hätte. Das neue Flossmann-Ensemble hatte schon unter Farkas’ Prominenz und Beliebtheit genug zu leiden. Erschwerend kam noch hinzu, dass nach Farkas’ Tod 1971 der Simpl, interimistisch geführt von Hugo Wiener und Max Böhm, nicht mehr so gut besucht war wie früher. Martin Flossmann übernahm also einen Simpl, dessen alteingesessenes Publikum »seinen Farkas« vermisste, und er musste sich wohl oder übel um eine neue Publikumsstruktur bemühen. Max Böhm, der dann später wieder versöhnlich mit Flossmann eine Doppelconférence spielte, sagte in einem Fernsehinterview, unter Flossmann würde er niemals auftreten: »Ich gehöre lieber zum alten Eisen, als zum neuen Blech!« Kein besonders leichter Start für Martin Flossmann, der, wie ich mich erinnern kann, Farkas zwar ohne Zweifel schätzte und verehrte, aber immer etwas säuerliche Mundwinkel zog, wenn er über ihn sprach. Flossmann setzte sich durch, trat aus Farkas’ Schatten und der Simpl war wieder ausverkauft. Jahrzehnte später – ich war bereits einige Jahre Simpl-Chef – fand zu Farkas’ 100. Geburtstag an einem Vormittag die Buchpräsentation der Jubiläumsausgabe dieser Biografie, die sie gerade in Händen halten, im Simpl statt. Martin Flossmann und ich standen am Saaleingang und begrüßten die Gäste. Wie bei Buchpräsentationen üblich, kamen zwischen 50 und 100 Menschen, die sich im Saal, der damals 280 Zuschauern Platz bot, locker verteilten. Lächelnd überblickte Martin Flossmann die überschaubare Menschenmenge und raunte mir, nicht ohne Genugtuung, zu: »Kaum spielt wieder der Farkas – ist es nicht mehr ausverkauft.«

Wir Kabarettisten sind offenbar doch eitler, als wir glauben. Die zweite Anekdote handelt von den drei Kabarett-Gockeln Martin Flossmann, Gerhard Bronner und Michael Niavarani. Wobei ich nur stiller Beobachter war, der sich zwar seinen Teil dachte, aber mit 24 Jahren noch viel zu jung, um in den Hahnenkampf einzusteigen. Es war der Tag meiner ersten Premiere im Simpl. 100 Jahre Ketchup hieß das Programm und wir spielten vor vollem Haus. Wie bei jeder Premiere gab es geladene Gäste, Prominente, Ehrengäste. Wir mussten uns als würdiges Ensemble beweisen, unter anderem vor den Augen von Martin Flossmann, Ossy Kolmann, Edith Leyrer, Dolores Schmidinger, Gerhard Bronner, Kurt Sobotka, einer ganzen Riege von Kabarettisten also, die Farkas nicht nur persönlich gekannt hatten, sondern großteils auch mit ihm auf der Bühne gestanden waren. Wir waren angespannt, nervös und voll der Freude, als wir am Schluss mit Bravo-Rufen bedacht wurden. Die Seitenblicke waren da und interviewten bei der anschließenden Premierenfeier natürlich die alten Kabaretthasen.

Am nächsten Abend schaltete ich den Fernseher ein und war gespannt, was die Herren Flossmann und Bronner über uns zu sagen hatten. Der Reporter, Peter Kocköfer, fragte Martin Flossmann: »Was macht der Herr Niavarani anders als der Herr Flossmann?« Nach einer kleinen Pause antwortete er: »Eigentlich gar nichts! Er ist erfolgreich und deshalb genauso wie ich! Na, ich hab’ kein’ Unterschied entdeckt!« Schnitt auf Gerhard Bronner, dem Peter Kocköfer offenbar Flossmanns Aussage mitgeteilt hatte. Bronner sagte: »Es ist sicherlich das beste Programm, dass ich je im Simpl gesehen hab. Und das geht weit zurück, das inkludiert die sogenannte große Farkas-Zeit und alles, was danach kam!« Schnitt zurück auf Flossmann, der wiederum mit Bronners Aussage konfrontiert worden war: »Na ja, schauen Sie, der Bronner!! Vielleicht war das heute seine erste Lüge!« Schon damals haben wir uns über die zwei sehr amüsiert. Sie haben meine erste Premiere dazu benutzt, ihre kleinen Fehden auszutragen – eigentlich doch sehr sympathisch.

Aber noch war ich weit davon entfernt, mein erstes Programm überhaupt zu schreiben. Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück, zu meinem Bildungsweg als Simpl-Chef. Ich musste also vom reproduzierenden Darsteller zum schreibenden Komiker werden. Also kümmerte ich mich um meine »ehrliche Wuchtelbemühung« und studierte neben Jerry Lewis, Stan Laurel, Johann Nestroy, Monty Python, Woody Allen und Maxi Böhm natürlich auch den Karl Farkas. Ich versuchte die Struktur seiner Sketches zu begreifen. Musste mit Entsetzen feststellen, dass man nicht nur eine gute Idee und eine hervorragende Ausführung brauchte, sondern – und das ist bis heute das Schwierigste – eine geniale Schlusspointe. Idee, Dramaturgie, Auflösung und Pointen!! Eigentlich ein Wunder, dass ich nicht schon nach drei Tagen das Handtuch geworfen habe. Aber es waren die wunderbaren Pointen des Karl Farkas, die in mir die Sehnsucht geweckt haben, Sketches zu schreiben. Es waren die Dialoge mit Maxi Böhm oder Ernst Waldbrunn, die ich bald fast auswendig konnte, die mich angetrieben haben. Dialoge wie:

MAXI BÖHM:

Bitte helfen Sie mir. Es geht mir um meinen Kopf und meinen Kragen.

KARL FARKAS:

Für was brauchen S’ an Kragen, wenn sie keinen Kopf haben?

Farkas’ Pointen waren nicht nur »Witze«, die nur innerhalb eines Sketches funktionierten, viele davon stehen als eigenständige Aphorismen auf Augenhöhe mit denen eines Oscar Wilde.

Absolutismus ist, wenn die Regierung macht, was sie will, und das Volk nicht dreinreden darf. Während in der Demokratie, da darf das Volk dreinreden. Und die Regierung macht trotzdem, was sie will.

Der Winter ist die Jahreszeit, wo man sich bemüht, das Zimmer so warm zu kriegen, wie es war, als man im Sommer darüber geschimpft hat.

Mein Onkel hat sich operieren lassen. Der Chirurg hat gesagt, es war schon höchste Zeit, denn in vier, fünf Tagen wäre er gesund geworden.

Und manchmal sind sie einfach nur wahnsinnig komisch:

Zu meiner Zeit beim Militär, da hat noch Disziplin geherrscht. Ich habe einmal zu einem Vorgesetzten gesagt, er ist ein Trottel. Bin ich sofort eingesperrt worden – wegen Verrates eines militärischen Geheimnisses.

Im September 1993 war es dann so weit. Mein erstes Simpl-Programm wurde geprobt. Es kam der Tag der Generalprobe. Der Tag vor der ersten Vorstellung. Nach der üblichen Opening-Nummer, mit dem ganzen Ensemble auf der Bühne, schließt sich der Vorhang. Ich stehe im Dunkeln. Ein Kollege hilft mir, das Tomaten-Kostüm loszuwerden. (Sie erinnern sich, die Revue hieß 100 Jahre Ketchup und ja, wir sind als Tomaten aufgetreten!) Ich habe fünf Sekunden Zeit, mich aus der Tomate zu schälen, in ein buntes Sakko zu schlüpfen, den Schlitz im Hauptvorhang zu finden, noch im Dunkeln rauszugehen und auf das Ende des Applauses und den Spot zu warten. Es war das erste Mal, dass ich auf der Simpl-Bühne, dem »größenwahnsinnig gewordenen Nudelbrett« (Farkas) conférierte. Noch war Generalprobe. Morgen muss es dann sitzen, jede Pointe, jeder Blick. Der Saal war bis auf ein paar Techniker, den Produzenten und damaligen Besitzer Albert Schmidleitner, Gabi und Emmi vom Kostüm, Elke Hummer von der Maske und Werner Sobotka, unseren Regisseur, leer. Ich sprach die ersten Worte und wurde immer unsicherer. Bin ich wirklich der Richtige, der diesen Größen, die hier auf der Bühne gestanden sind, nachfolgen soll? War das nicht alles ein Fehler? Bin ich überhaupt lustig? Werde ich bestehen? Werde ich an den Farkas, an den Flossmann auch nur annähernd herankommen? Werde ich einer von den Simpl-Chefs und Conférenciers werden, die in Erinnerung bleiben, oder werde ich dem Vergessen anheimfallen? Wie der allererste Conférencier des Simpl, Richard Hutter, der zwar das Haus 1912 eröffnen durfte, aber den man komplett vergessen hat. Werden die Menschen über mich lachen? Und vor allem, was hätte Karl Farkas gesagt? Wie hätte er meine Sketches gefunden? Was hätte er mir für Tipps gegeben? Hätte er mich gelobt mit den Worten: »Sagen Sie – sind Sie von Beruf so blöd oder ein Amateur-Trottel?« oder hätte er mich uninteressant gefunden und das so ausgedrückt: »Sie machen das ganz gut!«

Während ich also meine Conférence probte und mir tausend Dinge durch den Kopf gingen, hörte ich plötzlich im Zuschauerraum ein Rumpeln, als ob ein Sessel umgekippt oder jemand im dunklen Saal über eine herumliegende Requisite gestolpert wäre. Ich ließ mich nicht stören, und wir fuhren mit der Probe fort. Nach dem ersten Teil, ich stand noch im Kostüm des Pausenfinales auf der Bühne, ging das Saallicht an. Ich sah die Gesichter der ehemaligen Kabarettgrößen des Simpl, die mir aus ihren Logen, den an den Seitenwänden angebrachten Bildern, entgegenlächelten. Nur ein Platz war leer. Unser Regisseur, Werner Sobotka, kam an die Bühnenrampe und sagte zu mir: »Du weißt schon, dass während deiner Conférence das Bild vom Farkas runtergefallen ist?«

Da hat er mir doch tatsächlich aus dem Kabarettisten-Himmel ein Zeichen geschickt. Allerdings weiß ich bis heute nicht, was es zu bedeuten hat!

Ich wünsche Ihnen mit diesem wunderbaren Buch von Georg Markus über den großartigen Karl Farkas herrliche Lesestunden.

Ihr

Michael Niavarani

Persönliche Erinnerungen an Karl Farkas

Vorwort von Georg Markus

Hätte ich nicht gewusst, dass Karl Farkas ein Komödiant ist, ich hätte ihn eher für einen Arzt, Rechtsanwalt oder Physiker gehalten. Seine Erscheinung war charismatisch, aber ernst und nachdenklich. Humor zeigte er im Privatleben selten. Diese seine herausragende Eigenschaft hob er sich für seine Bühnen- und Fernsehauftritte auf.

Es war Ende der Sechzigerjahre, als ich durch die Vermittlung von Maxi Böhm – mit dessen Kindern ich befreundet war – Gelegenheit hatte, Karl Farkas kennenzulernen. Ich war gerade achtzehn Jahre alt und durfte mich ein Jahr lang als Mitarbeiter im Kabarett Simpl in seiner Nähe bewegen. Assistent wäre zu viel gesagt, ich war eher »Mädchen für alles«, zuständig dafür, dass hinter der Bühne alles funktionierte, ich durfte auch die eine oder andere winzig kleine Rolle spielen, und ich erledigte Schreibarbeiten für Farkas. Wir trafen uns im Kaffeehaus, wo wir Details der nächsten Premiere oder seiner Fernseh-Bilanz der Saison besprachen. Abends, nach der Vorstellung, führte ich ihn öfters nach Hause, und im Auto erzählte er mir aus seinem bewegten Leben, wobei wir bis zu einer Stunde vor seinem Haustor saßen, ehe er sich verabschiedete.

Nie hätte ich gedacht, dass seine Erzählungen viele Jahre später zur Grundlage einer Farkas-Biografie werden sollten. Der Altmeister des Wiener Humors sprach über das Kabarett der Zwanziger- und Dreißigerjahre, über Legenden wie Fritz Grünbaum, Hermann Leopoldi, Paul Morgan und wie seine Bühnenpartner alle geheißen haben, er gab aber auch die eine oder andere Episode aus seinem privaten Leben preis.

In der Herbst-Revue 1969 Gangster über Wien spielte Karl Farkas im Bankraub-Sketch (Text siehe Seite 291 dieses Buches) den Kassier und Fred Weis den Bankräuber. Ich selbst trat als Polizist auf.

Es war eine einzigartige Atmosphäre, die ich im Simpl vorfand, zumal vor allem von Farkas ein unglaublicher Zauber ausging. Ich schlich mich fast allabendlich in den Zuschauerraum, studierte in meiner jugendlichen Begeisterung seine Conférencen und Doppelconférencen, von denen sich viele Details unauslöschlich in mein Gedächtnis einbrannten. Etliche Texte kann ich heute noch auswendig.

Am Beginn jeder Vorstellung taxierte Karl Farkas die »Qualität« der Zuschauer. Lachten sie bei seiner Eröffnungsconférence leise und verhalten in sich hinein, zischelte er seinen Kollegen beim Abgang von der Bühne zu: »Heut schenk ich sie euch!«

Tobte das Publikum vor Begeisterung, brummte er zufrieden: »Sturm über Asien!«

Das vertrauliche Du pflegte Farkas nur mit Ernst Waldbrunn und Hugo Wiener – allen anderen, selbst Stars wie Maxi Böhm, Heinz Conrads und Fritz Muliar, stand er reservierter gegenüber. Wenn ihm ein Auftritt oder die Art und Weise, wie eine Pointe »serviert« wurde, missfiel, dann sagte er es. Gelobt wurde hingegen nie.

Als Muliar (lange vor meiner Zeit) einmal nach einem Sketch von der Bühne abging, flüsterte ihm Farkas ins Ohr: »Gut sind Sie heute, sehr gut!«

Muliar bedankte sich, überglücklich, endlich einmal die Anerkennung des Meisters gefunden zu haben. Worauf der erwiderte: »Nicht Sie! Die Leute sind gut! Sehr gut sind sie heute!«

Mit anderen Worten, es herrschte »Sturm über Asien« an diesem Abend.

Wenn Karl Farkas auf der Bühne des Simpl stand, funkelten seine verschmitzten Augen, die prägnante Nase ragte in den Saal, die Hände »sprachen« ebenso wie der Mund mit der vorgeschobenen Kinnlade. Er ließ sein Publikum wenigstens für die Dauer einer Simpl-Revue die Alltagssorgen vergessen und vermittelte das Gefühl: Der da oben, der kann nicht nur uns fröhlich machen, der muss es auch selber sein, der strahlt Freude und gute Laune aus, der hat keine Sorgen.

Seine Biografie, sein Leben zeigen freilich, dass es nicht so war. Das Schicksal versetzte ihm so manchen Tiefschlag: im Ersten Weltkrieg verwundet, den geliebten Bruder unter tragischen Umständen verloren. Nach der Heirat Vater eines behinderten Kindes, Verfolgung durch die Nazis, eine abenteuerliche Flucht durch halb Europa in die USA. Jahrelange Trennung von Frau und Sohn.

Und doch konnte er uns wie kein anderer zum Lachen bringen. Dass die Größe dieses Mannes ausgerechnet durch seinen Humor zur Geltung kommen sollte, war verblüffend. Das Leid seines Lebens war – dem privaten – Karl Farkas ins Gesicht geschrieben.

Etliche der biografischen Stationen kenne ich durch seine eigenen Schilderungen aus der Zeit der Zusammenarbeit. Er hat sie mir am Kaffeehaustisch oder während der erwähnten Autofahrten anvertraut. Später, nach seinem Tod, verband mich eine innige Freundschaft mit seiner Witwe Anny, der ich einen weiteren beträchtlichen Teil an Informationen für dieses Buch verdanke. Dazu kamen ausführliche Recherchen, Gespräche mit Farkas-Freunden und -Kollegen sowie das Studium von Korrespondenz und Publikationen von und über Karl Farkas. Schließlich stellte mir Peter Hey, der langjährige TV-Regisseur von Farkas, sein Tonbandmaterial – auch er führte lange, persönliche Gespräche mit dem Ehepaar Farkas – zur Verfügung.

Ob der Humor eine Therapie für Karl Farkas war? Wie auch immer er als Privatmensch gewesen ist – man wird darüber in vielen Kapiteln dieses Buches lesen können –, uns, sein Publikum, zu »heilen« ist ihm jedenfalls gelungen. Seine Gabe, andere Menschen fröhlich zu machen, wirkt heute noch nach. Wenn wir an ihn denken, müssen wir lachen. Von wem kann man das, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, noch behaupten?

Georg Markus

Wien, im März 2020

»… die ganze Klasse jüdelt«

Kindheit und Jugend

Wien, am 28. Oktober 1893. Der Schuhfabrikant und Gremialrat Moriz Farkas und seine Gattin Franziska geben die Geburt ihres jüngsten Sohnes bekannt.

Der stolze Vater wird gefragt: »Wie soll er denn heißen, der Bub?«

Moriz Farkas antwortet: »No, wie wird er heißen? Professor Karl Farkas natürlich!«

Wie anders als kabarettistisch-pointiert hätte Karl Farkas siebzig Jahre danach seine eigene Geburt kommentieren sollen. Der Mann, den man »das Lachen des Jahrhunderts« nannte, der Generationen in guten wie in bösen Zeiten königlich zu unterhalten verstand, dem – wie es Friedrich Torberg ausdrückte – »das einmalige Kunststück gelungen ist, beim breiten Publikum ebenso beliebt und erfolgreich zu sein wie bei den Intellektuellen«. Dieser Mann hat die große Zeit des Kabaretts der Zwanziger- und Dreißigerjahre in unsere Tage herübergerettet.

Indem er als Einziger überlebte – und bis zum Ende der große Farkas blieb. Alle anderen Brettlgenies – Fritz Grünbaum, Paul Morgan, Fritz Wiesenthal – haben die Nazizeit nicht überstanden oder waren – wie Armin Berg, Hermann Leopoldi, Fritz Heller – kurz danach von dieser Welt gegangen. Nur Farkas blieb es vergönnt, der Nachkriegsgeneration zeigen zu können, wie es damals gewesen ist, als Kabarett noch untrennbar mit den Begriffen Humor, Geist und Persönlichkeit des Vortragenden verbunden war.

Dabei sollte von einer Laufbahn als Humorist zunächst gar keine Rede sein. Im Gegenteil, Jurist sollte er werden, das wollte der überstrenge Herr Papa. So erzählte Moriz Farkas später einmal Karl vom Tag seiner Geburt: »Der 28. Oktober 1893, mein Sohn, war für mich ein guter und ein schlechter Tag. Das Schlechte war: Am Vormittag hat mein Anwalt für mich am Handelsgericht einen Prozess verloren. Das hat mich viel Geld gekostet. Das Gute war: Am Abend bist du zur Welt gekommen.«

Anwalt sollte er sicher nicht nur werden, um die Nachfolge dieses erfolglosen Advokaten anzutreten, die juristische Laufbahn erwarteten damals die meisten großbürgerlichen Väter von ihren Söhnen. Die gut gehende »Schuhwarenmanufaktur« mit dem »Engros-Lager aller Gattungen« des aus dem ungarischen Großwardein stammenden Moriz Farkas war am Alsergrund gelegen. Im neunten Wiener Gemeindebezirk, dem Spitalsviertel jener Haupt- und Residenzstadt der damals noch mehr als fünfzig Millionen Einwohner zählenden Monarchie. Neben den vielen Krankenhäusern – allen voran das Allgemeine – finden sich hier Schuberts Geburts- und Sterbehaus, die Rossauer Polizeikaserne, die Votivkirche und der Franz-Josefs-Bahnhof. Als Klein-Karl fünf Jahre alt war, wird hier im Bezirk die heutige Volksoper eröffnet.

Im Haus der Schuhfabrik wurde Karl auch geboren, dort war die elterliche Wohnung. Hier, in der Grünentorgasse Nummer 12, wuchs er auf. Das Gymnasium besuchte er in der Glasergasse. Als Karl zur Welt kam, waren bereits zwei Geschwister da. Elisabeth und Stefan – »Istvan« gerufen; dieser sollte dereinst die väterliche Manufaktur übernehmen. Elisabeth – die Eltern nannten sie »Erzsy« – und die kleine Nachzüglerin Käte waren dazu ausersehen, einmal »eine gute Partie zu machen«. Ja, und Karl, der Blitzgescheite, sollte als Einziger studieren – Jus, wenn möglich. Seine Meinung über Rechtsanwälte brachte Karl Farkas viele Jahre später in einer Conférence zum Ausdruck:

Wenn ein Advokat einen Prozess gewinnt, dann schreibt er seinem Klienten: »Ich teile Ihnen mit, dass ich Ihren Prozess gewonnen habe.« Wenn er ihn verliert, dann schreibt er: »Teile Ihnen mit, dass Sie den Prozess verloren haben …«

Karl ist also kein Advokat geworden. Und nicht nur das. Der Älteste wollte auch nicht die Fabrik übernehmen, und wirklich »gute Partien«, wie es die Eltern wünschten, haben auch die Töchter nicht gemacht. Es ist überhaupt alles anders gekommen, in den folgenden Jahrzehnten, als sich das der angesehene jüdische Gremialrat Moriz Farkas erträumt hat. Aber die Vierzigerjahre, die Ermordung fast der gesamten Familie, hat der alte Herr gottlob nicht mehr erlebt.

Mit der damals üblichen Strenge wurden die beiden Söhne erzogen. Sie besuchten öffentliche Schulen, die sie durch Fußmärsche zu erreichen hatten. Vater Moriz zahlte ihnen das Geld für die Straßenbahn nicht. Die beiden Töchter hingegen erhielten im Elternhaus Privatunterricht.

Humorvoll muss Karl damals schon gewesen sein. In einem Brief an Farkas – Jahrzehnte später – schreibt Frau Käthe Treitinger aus Innsbruck, die in ihrer Jugend im Nebenhaus, Grünentorgasse Nr. 14, gewohnt hat: »Meine Eltern nahmen damals die Wohnung hauptsächlich wegen der beiden großen, schönen Gärten bei Nr. 12 und Nr. 14, die durch eine Mauer mit Durchgang getrennt und doch verbunden waren. Mein erster und nachhaltigster Eindruck waren dort Sie, Herr Farkas, damals noch ein schlanker, junger Mann, der umgeben von einer Corona junger Leute in ebendiesem Garten sich öfter aufhielt und Witze erzählte. Verstanden habe ich wahrscheinlich nichts davon – ich bin um einige Jahre jünger als Sie –, aber ich habe mich schon damals unauffällig und dankbar unter Ihr Publikum gemischt und andächtig zugehört …«

Aus der weitschichtigen Verwandtschaft ist besonders ein Angehöriger erwähnenswert: Karls Onkel Siegmund Salzmann, ein Cousin seiner Mutter, der unter dem Namen Felix Salten Berühmtheit erlangte. Salten – er stammte wie Moriz und Franziska Farkas, geborene Lang, aus Ungarn – ging als Schriftsteller und Burgtheater-Kritiker in die Literaturgeschichte ein. Sein berühmtestes Werk ist die volkstümliche Tiergeschichte Bambi, das meistdiskutierte die Erzählung der Josefine Mutzenbacher, des österreichischen Pornografie-Klassikers schlechthin. Von dem allerdings nicht erwiesen ist, ob er tatsächlich der Feder Saltens entstammt, da dieses Buch ohne Nennung eines Autors – erstmals im Jahre 1906 – erschienen ist.

Karl Farkas wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen in Wien auf: die Eltern Franziska und Moriz Farkas

Karl Farkas im Alter von circa vier Jahren

Karl besucht also das Realgymnasium, um die Reife für das Jus-Studium zu erlangen. Die Mathematik-, Geografie- und Lateinlehrer sind verzweifelt: »Der Bub hat ganz andere Sachen im Kopf.« Nur der Deutschprofessor kapituliert während einer Konferenz, nachdem er von den blendenden Aufsätzen und Redeübungen des jungen Farkas geschwärmt hat: »Von mir kann der bald nichts mehr lernen.«

Karl hat wirklich anderes im Kopf als Integral, marokkanische Flüsse und Akkusativ cum Infinitiv. Ihn reizt die deutsche Sprache, genauer: der Reim in der deutschen Sprache. Noch genauer: Der junge Gymnasiast leidet unter einer »Krankheit«. Er kann im Alltagsleben kein Wort hören, ohne darauf einen Reim zu erfinden. Einfache Verse im althergebrachten Sinn sind seine Sache nicht. Herz/Schmerz, Freud/Leid, Lachen/Wachen, das ist ihm zu simpel. Die mehrsilbigen »Doppelreime« oder »reichen Reime«, wie die Germanisten sie nennen, faszinieren den jungen Mann. Tatsächlich sollte er auf diesem Gebiet später unerreichte Qualitäten erlangen. Die »reichen Reime« des jungen Karl:

Soll ich im Speisewagen

Zu speisen wagen?

Denn um zu reisen im Speisewagen,

Gehört beim Speisen ein Reisemagen

Und von den Speisewagen-Wagenspeisen

Kriegt selbst der Reisemagen – Magenreißen …

1909 ist ein wichtiges Jahr in Karls Leben. Eben sechzehn Jahre alt geworden, will er »hinaus«, will, dass nicht nur die Mitschüler und der Deutschprofessor von seinen literarischen Ambitionen erfahren. Sich an eine große Bühne zu wenden, scheint ihm jedoch verwegen.

So ging er eines Tages nach Schulschluss von der Glasergasse zu Fuß in die Praterstraße, wo das damals renommierte Intime Theater untergebracht war.

Vorher besuchte er das gegenüberliegende Kaffeehaus, um mit der Sitzkassierin ins Gespräch zu kommen. Der schlanke, aufgeschossene Bursch mit dem vollen, blonden Haar drückte ihr ein Sechserl in die Hand, um sie zu ersuchen: »Können S’ bitte meine Schultasche aufbewahren?« Wie er viele Jahre später in einem Interview für das Kleine Blatt gestand, genierte er sich nämlich vor den Künstlern des Intimen Theaters: »Einen Dichter mit einer Schultasche unterm Arm hätte doch kein Mensch ernst genommen.«

Ja, Karl wollte dem Theater sein erstes Theaterstück »verkaufen«. Er ging also während einer Probenpause in die Garderobe von Direktor Richter-Roland, dem künstlerischen Leiter der kleinen Bühne, und knallte ihm selbstbewusst sein Erstlingswerk mit dem Titel Wenn Frauen wollen auf den Schminktisch. Er werde es wohlwollend prüfen, sagte der alte Komödiant gütig.

Als Karl am nächsten Tag – die Schulmappe hatte er wie gehabt vis-à-vis im Kaffeehaus deponiert – wiederkam, wurde er bereits als »Autor« empfangen. Das Stück war angenommen. Tatsächlich hatte der Mittelschüler, von dem natürlich keiner in dem Musentempel wissen durfte, dass er vormittags noch Naturgeschichte und Physik büffelte, etwas Beachtliches abgeliefert. Etwas, das im Wien der Jahrhundertwende und kurz vor dem Ende der Monarchie selten war: Humor, der nicht auf Kosten der Stotterer, der Schielenden und Hinkenden, der körperlich und geistig Leidenden sowie der böhmischen Dienstboten ging. Der Gymnasiast nahm in dem Stück ergiebigere Persönlichkeiten aufs Korn: Er kritisierte die bereits anachronistischen Sittenrichter, indem er sich über die Armseligkeit ihrer Prüderie lustig machte, er rüttelte am Glanz und an der Selbstherrlichkeit der Könige, indem er ihnen durch weise Hofnarren die Wahrheit ins Gesicht sagte, er ließ manch Armen klug und manch Reichen zynisch und überheblich sein. Karl Farkas war modern.

Dankbar griffen die alten Theaterhasen nach ihren neuen, ergiebigen Rollen, die plötzlich nicht mehr am Leben vorbeizugehen schienen. Das war wirklichkeitsnahe Dichtung, sie spielten von Farkas geschaffene Figuren, die sie vom einfachen Hanswurst und Kasperl zum Rebellen und Weisen erhoben.

Ganz in der Nähe des Intimen Theaters, in der Leopoldstädter Taborstraße, waren die »Budapester« des von Karl Kraus mit Girardi verglichenen jüdischen Jargonkomikers Heinrich Eisenbach untergebracht. Eisenbach könnte als Vorläufer des Farkas’schen Humors bezeichnet werden. Hier zwei kurze Ausschnitte aus Eisenbach-Conférencen in der Budapester Orpheumsgesellschaft:

Der alte Abeles schickt einen Sohn nach Paris in die Schule, damit er perfekt Französisch lerne. Nach einem Jahr schreibt er ihm: »Sprichst Du schon Französisch?«

Sein Sohn antwortet: »Französisch sprech ich nicht, aber die ganze Klass’ jüdelt!«

Ein weiteres Eisenbach-Beispiel:

Der Kohn trifft den Maier und fragt ihn: »Wie geht’s?«

Darauf sagt der: »Ich hab mer ä Bankhaus aufgemacht.«

Sagt der Kohn: »Mit was?«

»Nu«, antwortet der Maier, »mit’n Stemmeisen.«

Diese Conférencen könnten ebenso gut vom jungen Farkas stammen (der in seinen Kabarettanfängen – im Gegensatz zu der Zeit als heute bekannter »Altmeister« – sehr zum Jiddeln neigte). Farkas ist dann in späteren Jahren übrigens mehrmals mit Eisenbach auf der Bühne gestanden.

Da waren also das Intime Theater und, gleich ums Eck, das Orpheum, die den Sechzehnjährigen prägten. Er sah die Darsteller, die seine Texte als Grundlage ihrer Kunst verwendeten, und überlegte, dass er in Zukunft nicht nur schreiben, sondern auch spielen wollte. Freilich: Stücke schreiben konnte er zu Hause (anstatt die Schulaufgaben zu erledigen), ohne dass die Eltern es merkten. Aber das schauspielerische Mitwirken in abendlichen Theatervorstellungen ließ sich nicht verheimlichen. Also fasste er einen Entschluss. Karl trat an den strengen Vater heran und sagte: »Papa, ich will Schauspieler werden!«

Karl Farkas über den Schock, den er bei den bürgerlichen Eltern erregte, Jahre später in oben zitiertem Interview für das Kleine Blatt: »Hätte ich meine Füße mit den schmutzigen Schuhen auf den sorgfältig gedeckten Mittagstisch mit dem blütenweißen Tischtuch gelegt, so hätte dies kein größeres Entsetzen hervorrufen können. Schauspieler waren Komödianten, unberechenbare, mittellose, stets vom Zufall und der Laune des Glücks abhängige Leute.«

Es gab eine erregte Auseinandersetzung. Nie und nimmer, das wusste Karl jetzt, würde der Vater unter normalen Umständen die Einwilligung geben. »Mein Sohn ein Schauspieler? Niemals!«, hatte er geschrien. Karl zog sich auf sein Zimmer zurück, um, wie er sagte, »Schulaufgaben zu machen«. In Wirklichkeit arbeitete er bereits längst an seinem zweiten Einakter für die Volksbühne, er hieß Die Herzogin von Lovingshire.

Ja, unter »normalen Umständen« würde der Vater die Einwilligung niemals geben. Aber die Umstände waren alles andere als normal. Die Vorgeschichte: Auch Karls älterer Bruder Istvan wollte ausbrechen. Er hatte keine Lust, wie vom Vater buchstäblich befohlen, die Leitung der Schuhfabrik zu übernehmen. Er hatte ganz anderes im Sinn, auch er zeigte künstlerische Ambitionen, nur wollte er nicht wie Karl zum Theater, er verspürte vielmehr den inneren Drang, Maler zu werden. Auch er wandte sich also an den überstrengen Vater: »Papa, ich will nicht länger im Geschäft sein, ich möchte auf die Akademie der bildenden Künste gehen …«

Das war eine weitere Enttäuschung für den Vater, die noch viel größere: Istvan, der Erstgeborene, der die Tradition der angesehenen Firma fortführen sollte, auch er wollte sich von den von Geburt an vorgegebenen Familienrichtlinien abwenden. »Womit hab ich das verdient, gleich zwei missratene Söhne«, tobte der Gremialrat Moriz Farkas. »Niemals, das ist mein letztes, mein allerletztes Wort.«

Lautes Türknallen. Istvan wusste wie Karl, dass es in der autoritären Erziehung des Vaters kein Pardon gab. Was er bestimmte, hatte befolgt zu werden, auch wenn die beiden »Buben« bereits junge Männer waren. »In der Familie gab’s keine Probleme, wenn das geschah, was er wollte«, hat Karl Farkas einmal die Persönlichkeit seines Vaters definiert.

Istvan war viel sensibler als Karl, er konnte es nicht hinnehmen, ein besserer Schuster werden zu müssen, obwohl er zu Höherem berufen war, obwohl sein ganzer Lebenssinn, seine Leidenschaften nur in der Malerei lagen. Stefan »Istvan« Farkas nahm sich, keine zwanzig Jahre alt, das Leben. Er erhängte sich in seinem Zimmer in der elterlichen Wohnung.

Es waren also keine »normalen Umstände« mehr. Vater, Mutter, die beiden Schwestern und Karl standen jahrelang unter einem schweren Schock. Der sinnlos erscheinende Tod eines Sohnes ist nicht zu verwinden.

Zudem musste Karl nun fürchten, seine künstlerische Laufbahn erst recht an den Nagel hängen zu müssen, denn nun war er der einzige männliche Erbe der Familie; was lag also näher, als dass er Geschäftsführer des väterlichen Betriebes werden sollte.

Aber Moriz Farkas war durch die Katastrophe klüger geworden. Er sah nun, wohin seine übermäßige Strenge geführt hatte. »Mein Sohn, ich will dich zu nichts zwingen, mach deine Matura und werde dann, was du für richtig hältst.« Nur einen Wunsch hatte der Vater noch: Karl sollte die Zusatzprüfung der Handelsakademie absolvieren, um jederzeit in einen »anständigen Beruf« überwechseln zu können.

Inzwischen waren die ersten Kritiken der Farkas-Aufführung am Intimen Theater erschienen. Seine Herzogin von Lovingshire, »eine in New York spielende Groteske, die eine aus Aristokraten und Hochstaplern gemischte Gesellschaft vorführt«, war gemeinsam mit drei Einaktern anderer Autoren gespielt worden. Publikum und Presse hatten sich, allerdings nur was den Farkas-Teil des Abends betraf, begeistert. So erkannte der Rezensent des Deutschen Volksblattes die neue Linie im Farkas-Boulevardstil: »Die gestrige Premiere der Praterbühne sei um des witzigen Aktes von Karl Farkas, Die Herzogin von Lovingshire, nicht als verlorener Abend betrachtet. Die übrigen drei zählen nicht mit … Die Farkas-Groteske hebt sich durch einen amüsanten Einfall und stellenweise fein facettierten Dialog von den anderen günstig ab.«

Solche Worte – und Das interessante Blatt lobte nicht weniger – gaben dem knapp Siebzehnjährigen Mut, weiterzuschreiben. Noch während seiner Gymnasialzeit veröffentlichte Farkas Gedichte, seine »ersten Jugendsünden«, wie er sie später nannte, in den Humoristischen Blättern, in der Bombe und der Wiener Karikatur. Trotzdem hielt er sein Versprechen, das er dem Vater gegeben hatte.

Karl errang also im Jahre 1912, dem Gründungsjahr des später untrennbar mit seinem Namen verbundenen Kabaretts Simplicissimus, die allgemeine Reifeprüfung und einige Monate später jene der Handelsakademie auf dem Hamerlingplatz, wo er auch Englisch und Französisch gelernt hatte, was ihm in den Jahren der Emigration noch sehr zugute kommen sollte. Denn – so conférierte er einmal auf der Simpl-Bühne:

Bei den heutigen Weltereignissen muss man jede Fremdsprache kennen – also zumindest die modernen Sprachen, nicht die alten. Latein und Griechisch dienen anderen Zwecken, das sind die Sprachen, in denen sich Ärzte mit den Apothekern verständigen. Man nennt sie daher auch die – toten Sprachen.

Farkas wurde nach der Matura ordentlicher Hörer der Akademie für Musik und darstellende Kunst. Das Schulgeld dort bezahlte er bereits mit den Tantiemen seiner beiden ersten Stücke und von den Zeitungshonoraren.

Er war drauf und dran, Schauspieler zu werden. Zurück blieben ein gebrochenes Elternpaar und eine gut gehende Firma, die keiner haben wollte.

Die Lehrer haben erkannt, dass aus ihm etwas ganz Besonderes werden könnte: der junge Karl Farkas

»Der Krieg bringt die Menschen um, damit sie einer besseren Zukunft entgegensehen«

Schauspielschüler und Soldat

Zu den berühmt gewordenen Studienkollegen des angehenden Schauspielers Karl Farkas zählen Elisabeth Bergner (die im Jahrbuch der Akademie noch als Elly Bergner aufscheint), Maria Eis, Fritz Kortner, Alma Seidler, Oskar Homolka sowie Cäcilie Lvovsky – täglicher Gast am Stammtisch von Karl Kraus – und Adrienne Gessner. Später, als Burgschauspielerin, erinnerte sich die Gessner an den jungen Farkas: »Seine einmalige Persönlichkeit war damals schon beeindruckend und ist uns allen aufgefallen. Neben der Persönlichkeit war die außergewöhnliche Begabung schnell zu erkennen. Auch der junge Farkas konnte nicht gerade als ›schöner Mann‹ bezeichnet werden. Trotzdem haben unsere Lehrer erkannt, dass aus ihm, auch in einem von Äußerlichkeiten so geprägten Beruf wie dem unseren, etwas ganz Besonderes werden könnte. Und sie haben sich nicht getäuscht.«

Über seine damaligen Ziele als Schauspielschüler sprach Farkas Jahre später, in einem seiner ersten Interviews – gegeben dem Neuen Wiener Journal: »Ich büffelte Franz Moor und Richard III. Mein Ideal war natürlich das Burgtheater, mein Abgott ist Kainz gewesen.«

Adrienne Gessner blieb ein Jahr länger an der Akademie als ihr Kollege. Denn junge Männer wurden jetzt für andere Aufgaben benötigt.

Am 28. Juni 1914 starben Österreichs Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie durch die Revolverschüsse des bosnischen Studenten Gavrilo Princip in Sarajevo. Genau einen Monat später erfolgte die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien.

Das Wort Kriegserklärung definierte der Kabarettist Karl Farkas dann etliche Jahre später so:

Einen Krieg muss man nämlich erklären. Sonst versteht ihn keiner!

Auch der bei Kriegsausbruch noch keine 21 Jahre alte Jüngling hat ihn nicht verstanden. Begeisterter Patriot, der er war, meldete er sich aber sofort als Einjährig-Freiwilliger – eine Möglichkeit, die nur Maturanten zustand. Da sein Vater ungarischer Staatsbürger war und Karl noch nicht volljährig gewesen ist, wurde er dem vierten Honvéd-Infanterieregiment zugeteilt.

Die Honvéds waren im Revolutionsjahr 1848 als ungarische Nationaltruppe gegründet worden. Ungarisch war auch die Dienstund Kommandosprache.

Nachdem der russische Außenminister Sasonow in Petersburg erklärt hatte, dass »Russland in keinem Fall aggressive Handlungen Österreichs gegen Serbien zulassen« würde, war vorherzusehen, dass die Kriegserklärung an den Zaren schnell folgen würde. Und nach Russland wurde das vierte Honvéd-Infanterieregiment mit seinem Kadett-Aspiranten Farkas dann auch entsandt.

Nach anfänglichen Erfolgen Österreich-Ungarns wird die k. u. k. Armee vom Feind schnell zurückgedrängt – die Verhältnisse an der Ostfront haben sich innerhalb weniger Monate völlig verändert.

Das Soldatenleben muss Karl Farkas doppelt schwergefallen sein. Nicht nur wegen der Gräuel des Krieges, sondern auch wegen der ersten großen Liebe seines Lebens, die sich jetzt in unerreichbarer Ferne befand. Ausgerechnet wenige Tage vor Kriegsausbruch hatte er sich Hals über Kopf in die später berühmt gewordene österreichische Schauspielerin Valerie von Martens verliebt. Nicht weniger als neunhundert Briefe und Karten, die er ihr während des Krieges schickte, sind erhalten geblieben (und heute im Besitz des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek). »Fühlst Du, wie ich Dich in Gedanken streichle und liebkose, Dein duftiges Lockenhaar, Deinen süßen Leib?«, schreibt Farkas im Sommer 1914, bereits als Soldat. Noch ist er optimistisch, wie ein an Valerie gerichtetes Gedicht zeigt:

Farkas schreibt ihr während des Krieges fast jeden Tag einen Liebesbrief: Valerie von Martens

Wenn sich der Krieg jetzt nicht kompliziert

(Ich habe darüber gesprochen),

dann kann die Geschichte erledigt sein,

so circa in 6 bis 8 Wochen.

Niemand ahnt, dass aus Wochen Jahre werden. Vier Jahre, die die Liebenden auf eine harte Probe stellen. Immer wieder hat Karl Farkas »ein solch glühendes Verlangen, dass ich mein Leben dafür gäbe, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir verbringen«.

Die kriegsbedingte Trennung macht die Liebesbriefe zu einem Dokument, das auf dramatische Weise aufzeigt, wie sehr die Weltgeschichte in das Schicksal jedes Einzelnen eingreift.

Alles, was ihn aufrecht hält, ist die Liebe zu Valerie. Farkas schreibt der um ein Jahr jüngeren Geliebten fast jeden Tag – egal, wo er gerade stationiert ist – manchmal sogar mehrmals täglich. Bekommt er nur zwei Tage keine Antwort, überfällt ihn rasende Eifersucht: »Mein liebes Spitzi! Weder gestern noch heute habe ich Nachricht von Dir. Ich fürchte, dass sich jemand Deiner bemächtigen könnte, da ich viel zu weit entfernt bin, um es zu verhüten. Ich kenne ja dieses masculine Gesindel zur Genüge … Aber es wär kein Wunder, denn Du bist das Bezauberndste, was ich je kennenlernte. Bitte, vernachlässige mich nicht, ich kann ja nichts dafür, dass ich in den Krieg muss.«

Als die Russen am 22. März 1915 die im österreichischen Besitz befindliche Festung Przemyśl erobern – und damit das Tor nach Schlesien und in die ungarische Tiefebene öffnen –, verschiebt die mit der Monarchie verbündete deutsche Armee starke Truppenverbände aus dem Westen in Richtung Galizien. Einer der Aufträge lautet: Rückeroberung Przemyśls. Für Österreich-Ungarn kämpft unter anderem das Honvéd-Regiment Nr. 4 mit seinem Einjährig-Freiwilligen Karl Farkas.

Tatsächlich gelingt die Rückeroberung der Festung Przemyśl. Aber im Zuge der erbitterten Kämpfe gibt es Tausende Tote und Verwundete auf beiden Seiten. Auch der Kadett-Offiziersstellvertreter Karl Farkas ist ein Opfer des Gemetzels. Mit einer Schussverletzung wird er in die Reichshaupt- und Residenzstadt überstellt. Hier landet er zunächst im »Vereinsspital Nr. 7 des Roten Kreuzes in Wien Währing«. Der sogenannte »Rentenakt« des Patienten Farkas liegt heute im Österreichischen Kriegsarchiv. Am 4. August 1915 diagnostiziert der leitende Arzt nach seiner Untersuchung: »Patient mit einer verheilten Schusswunde in der rechten Brustseite, ist anämisch (= blutarm), allgemein nervöse Schwäche, Zittern der Hände …«

Als Farkas noch um die Festung Przemyśl kämpft, beginnt Valerie von Martens’ Schauspielkarriere. Karl rät ihr, ein Angebot des Theaters in der Josefstadt anzunehmen, während sie eher zur Operette tendiert, wo ihr ein ganz Großer hilfreich sein möchte: »Es ist reizend, dass sich Lehár so sehr mit Dir befasst, er kann Dir sicher von Nutzen sein«, meint Farkas. »Jedoch, er ist ein Mann, und ich bin immer schrecklich eifersüchtig, wenn sich ein Mann mit Dir beschäftigt.«

Als er dann verwundet im Vereinsspital liegt, hofft Farkas seiner in Wien lebenden Valerie nahezukommen, doch die Hoffnung zerschlägt sich, da sie ausgerechnet jetzt mit ihrer Mutter in Karlsbad weilt.

»Man sagt, es gäbe vier Jahreszeiten«, schwärmt er, »das kann möglich sein. Für mich aber gibt es nur zwei: einen herrlichen Frühling – die Zeit, wo ich bei Dir bin. Und einen ewigen, eisigen Winter, wenn Du fern bist, Geliebte!«

Die andere große Sorge gilt seiner beruflichen Zukunft: »Die schriftstellerische Technik habe ich schon eingebüßt. Ich werde, falls ich den Krieg überlebe, wieder wahnsinnig daran feilen müssen. Wenn Du eine gute Komödie kennst, so schicke sie mir. Ich verlerne sonst alles …«

Je länger der Krieg dauert, desto weniger glaubt er an seine Heimkehr. »Mein letzter Wunsch an Dich: Werde eine Künstlerin von Weltruf und vergiss nicht ganz Deinen Dich liebenden K.«

Nach zwei Monaten wird Farkas, »da kein Grund weiterer Behandlung« vorliegt, aus dem Spital entlassen. Kaum genesen, nimmt er mit seinem Regiment bereits an den Isonzoschlachten teil.

Während Farkas also wieder im Schützengraben liegt, confériert im Wiener Kabarett Simplicissimus der aus Brünn stammende Fritz Grünbaum, der es zwar ebenfalls zu militärischen Ehren, aber nicht gerade zu den höchsten gebracht hat. Worüber sich Grünbaum daselbst lustig macht:

General Grünbaum sicher kein Hohn is’,

Napoleon war doch auch kein Adonis!

Und ob man aus Korsika oder aus Mähren –

Das kann doch die innere Kriegskunst nicht stören …

Bei Farkas sollte es noch einige Jahre dauern, ehe er mit den Mitteln des Kabarettisten über das Töten von Völkern sprechen sollte. Dann tat er es aber weise und pointiert:

Der Krieg zerstört das, was er zu beschützen vorgibt, und bringt die Menschen um, damit sie einer besseren Zukunft entgegensehen …

Am 11. November 1918 ist dieser Krieg endlich vorbei. Er hat zehn Millionen Menschenleben gefordert, mehr als doppelt so viele Soldaten und Zivilisten sind verwundet. Farkas rüstet, mit fünf Auszeichnungen versehen, als Leutnant der Reserve ab. Kaiser Franz Joseph war zwei Jahre zuvor verstorben, dessen Nachfolger, Kaiser Karl, musste abdanken. Sein Leben lang bezeichnete sich Farkas – nicht ohne Stolz – als »alter Soldat«. Und blieb doch, nach all dem Unheil, das er gesehen und am eigenen Leib verspürt hatte, bedingungsloser Pazifist.

Fast fünfzig Jahre später, er hatte bereits einen weiteren Weltkrieg überlebt und war ein Liebling des Publikums geworden, gelang es Farkas, seinen obersten Kriegsherrn von damals, Seine Majestät, Kaiser Franz Joseph, um eine Rechtfertigung zu bitten. In seinen Fernseh-Bilanzen wurde es Farkas nämlich zur Gewohnheit, Denkmäler zu interviewen. Also, Farkas spricht anno 1964 mit Franz Joseph I. (dargestellt von Egon von Jordan):

FARKAS:Verzeihung, Majestät …

FRANZ JOSEPH:Was ist?

FARKAS:Verzeihen Sie, wenn ich es wage, Sie zu so vorgerückter Stunde noch zu belästigen … ich hatte ja schon die Ehre, lange vor Erfindung des Fernsehens, Majestät anlässlich des großen Wirbels zu dienen.

FRANZ JOSEPH:Großen Wirbels?

FARKAS:Ein gewisser Weltkrieg. Der Erste Weltkrieg. Erinnern sich Majestät nicht mehr? Damals, als wir mit flammender Begeisterung alles aufgeboten haben, um uns zugrunde zu richten. Denn sich selbst besiegen, ist der schönste Sieg!

FRANZ JOSEPH(ironisch): Sehr verbunden. Das Kriegsende hab ich ja bedauerlicherweise nicht mehr erlebt. Wie ist denn der Weltkrieg ausgegangen?

FARKAS(achselzuckend): Leider …

FRANZ JOSEPH:Verloren?

FARKAS(nickt stumm)

FRANZ JOSEPH:Ich hab es nicht gewollt!

FARKAS:Ich auch nicht, Majestät! Aber mich hat ja keiner gefragt.

FRANZ JOSEPH:Wär auch ein bissl zu umständlich gewesen, jeden einzelnen Untertanen diesbezüglich um seine Meinung zu fragen …

Es folgt ein längeres Geplänkel Franz Josephs mit Farkas, ehe sich der Kaiser resignierend von seinem einstigen Leutnant verabschiedet.

FRANZ JOSEPH:Von der Mitwelt enttäuscht, von der Nachwelt verkannt … und jetzt sogar vom Farkas interviewt. Mir bleibt auch nichts erspart!

»Ohne Geld ka Musi«

Lehr- und Wanderjahre

Die Monarchie war im Jahre 1918 begraben. Aber Adel, Bürgertum, Boheme und jüdischen Handel gab es noch. Und sie versuchten ihren Lebensstil in die neue Zeit zu transferieren. Österreich war Republik geworden – es nahm aber nur ungern davon Kenntnis. Die tschechische Metropole gehörte nicht mehr zu Österreich, doch las man dort immer noch das deutschsprachige Prager Tagblatt. Deutsche Konversation betrieb man vorläufig noch in Brünn, Reichenberg, Bunzlau, Trebitsch …

Und in Olmütz. Die einstige Hauptstadt von Mähren besaß – wie die meisten anderen großen, mittleren und auch kleineren Städte damals – nach wie vor ein deutschsprachiges Theater. Dorthin wurde Karl Farkas engagiert. Hier sollte er zum ersten Mal in seinem Leben vor einem zahlenden Publikum auftreten. Von den rund zwanzigtausend Einwohnern war nach wie vor mehr als die Hälfte deutschsprachig.

Aus Karls Briefen an Valerie von Martens (von ihren Antworten fehlt jede Spur) geht hervor, dass es – so lange der Krieg dauerte – fast keine Möglichkeit gab, einander zu sehen. Und als er jetzt endlich vorbei ist, schlittert die Beziehung in eine Krise – wohl auch als Folge der langen Trennung. Er ist jetzt Schauspieler in Olmütz, sie in Prag.