Heimat-Roman Treueband 30 - Nora Stern - E-Book

Heimat-Roman Treueband 30 E-Book

Nora Stern

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 188: Wenn Schuld die Liebe prüft...
Bergkristall 269: Drei Millionen für Tobias
Der Bergdoktor 1733: Denn sie war kein Kind mehr
Der Bergdoktor 1734: Es war die Stunde des Abschieds
Das Berghotel 125: Mia, die kleine Ausreißerin

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 601

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © Michael Wolf / Bastei Verlag ISBN 978-3-7517-1962-9 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Martina Linden, Nora Stern, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 30

Inhalt

Martina LindenAlpengold - Folge 188Als ihr Mann Niklas sie unter dem Gipfelkreuz zärtlich in die Arme nimmt, ist es für die schöne Hofstetter-Maria, als wäre die Zeit stehen geblieben. Hier, an diesem magischen Ort, hat Niklas vor Jahren um ihre Hand angehalten, und hier erneuert er heute seinen Liebesschwur. Nie zuvor, so meint Maria jetzt, hat sie ihn mehr geliebt! Bei ihrer Heimkehr in das kleine Landhotel, das sie gemeinsam führen, haben Emma Reuter und ihr vierjähriger Enkel Marco im Hotel eingecheckt. Im ersten Moment fliegt Marias Herz dem blond gelockten Jungen zu - er erscheint der kinderlosen Frau wie die Antwort auf ihre geheimsten Wünsche! Hat sie nicht immer von einem Sohn wie Marco geträumt? Zu diesem Zeitpunkt ahnt Maria noch nicht, wer ihr da ins Haus geschneit ist. Doch ein altes Foto bringt eine Wahrheit ans Licht, die vielleicht besser verborgen geblieben wäre - eine Wahrheit, die für Marias Ehe auf schicksalhafte Weise zum Prüfstein werden soll ...Jetzt lesen
Nora SternBergkristall - Folge 269"Besorg das Geld in kleinen, nicht registrierten Scheinen - oder du siehst dein Herzensbüberl nie wieder! Genaueres erfährst du bald." Damit verstummt die raue, merkwürdig klingende Männerstimme, ein Klicken in der Leitung zeigt an, dass die Verbindung unterbrochen ist. Gregor Magreiter starrt fassungslos auf den Telefonhörer in seiner Hand. Dann sieht er verzweifelt seine Frau Andrea an, die neben ihm steht. "Sie haben Tobias entführt", murmelt er mit erstickter Stimme. "Und sie verlangen drei Millionen Lösegeld! Wie soll ich so viel Geld aufbringen?"Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1733Über fünf Jahre ist es jetzt schon her, seit Gitti Reuter von zu Hause fortlief. Damals war sie noch ein halbes Kind, aber die Härte und Strenge ihres Vaters waren zuletzt unerträglich. Wie ein Wachhund hat er jeden ihrer Schritte überwacht. Nie durfte sie sich mit Freundinnen treffen, geschweige denn abends ausgehen! Es war ein Leben wie im Gefängnis! Damals hat sich Gitti geschworen, nie wieder nach St. Christoph und in die Trostlosigkeit des einsamen Waldhäusls zurückzukehren. Doch dann erhält sie einen Anruf von Dr. Burger. Eindringlich bittet er sie, sofort heimzukehren...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1734In aller Heimlichkeit trifft Mia die nötigen Vorbereitungen, um noch in dieser Nacht den elterlichen Hof zu verlassen. Eine kleine, versteckt gelegene Hütte mitten im Wald soll von nun an ihr Zuhause sein. Überall auf der Welt wird sie es besser haben als daheim, wo man sie schlechter behandelt als eine Magd. Kalt und lieblos geht es auf dem Eder-Hof zu, Mia kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal wirklich glücklich war. Schon will das Madel nach der gepackten Tasche greifen, als nebenan aus der Schlafkammer der Eltern ein Stöhnen kommt. Dann hört sie die herrische Stimme des Vaters: "Mia, schnell, ich glaub, die Mutter stirbt..."Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 125Als Hedi Kastler den sympathischen Naturfotografen Julian als Gast im Berghotel begrüßt, erzählt ihr dieser, dass er sich während seines Urlaubs im Zillertal auf die Suche nach besonders lohnenden Fotomotiven machen will. Spontan bietet die Hotelchefin ihm an, ihn auf einer seiner Touren zu begleiten, um ihm einige besonders spektakuläre Plätze zu zeigen. Julian nimmt dieses großzügige Angebot begeistert an. Als sich die beiden am Tag darauf gemeinsam auf den Weg machen und Hedi ihren Gast gerade zu einem besonders schönen Platz führen möchte, stutzt sie plötzlich: Was war denn das gerade für ein Geräusch? Da ... schon wieder! Das klingt doch wie das Weinen eines Kindes! Die beiden folgen dem Schluchzen und finden in einer Scheune ein kleines Madel, das verängstigt und verloren scheint. Natürlich nehmen sie das Kind mit zum Berghotel, von wo aus sie sich auf die Suche nach den Eltern der Kleinen machen. Schließlich tauchen Mias Eltern im Berghotel auf, und Hedi wird schnell klar, dass das Madel einen guten Grund hatte, fortzulaufen ...Jetzt lesen

Wenn Schuld die Liebe prüft …

Kann Maria ihrem Mann verzeihen?

Von Martina Linden

Als ihr Mann Niklas sie unter dem Gipfelkreuz zärtlich in die Arme nimmt, ist es für die schöne Hofstetter-Maria, als wäre die Zeit stehen geblieben. Hier, an diesem magischen Ort, hat Niklas vor Jahren um ihre Hand angehalten, und hier erneuert er heute seinen Liebesschwur. Nie zuvor, so meint Maria jetzt, hat sie ihn mehr geliebt!

Bei ihrer Heimkehr in das kleine Landhotel, das sie gemeinsam führen, haben Emma Reuter und ihr vierjähriger Enkel Marco im Hotel eingecheckt. Im ersten Moment fliegt Marias Herz dem blond gelockten Jungen zu – er erscheint der kinderlosen Frau wie die Antwort auf ihre geheimsten Wünsche! Hat sie nicht immer von einem Sohn wie Marco geträumt?

Zu diesem Zeitpunkt ahnt Maria noch nicht, wer ihr da ins Haus geschneit ist. Doch ein altes Foto bringt eine Wahrheit ans Licht, die vielleicht besser verborgen geblieben wäre – eine Wahrheit, die für Marias Ehe auf schicksalhafte Weise zum Prüfstein werden soll …

Es kam nicht oft vor, dass sich Maria und Niklas Hofstetter einen Nachmittag freinehmen konnten, um zum Gipfelkreuz aufzusteigen.

Arm in Arm standen sie nun dort und blickten über die bewaldeten Höhen auf den Tegernsee hinunter, der gleich einem schimmernden Smaragd unten im Tal lag. Maria schmiegte den Kopf an die Schulter ihres Mannes. Ihre braunen Haare hatte sie an diesem Tag zu Zöpfen geflochten, was ihr den Zauber eines jungen Madels verlieh, dabei war sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand.

»Net zu glauben, dass es schon sieben Jahre her ist, seit ich dir genau an dieser Stelle einen Heiratsantrag gemacht hab, Schatzerl«, meinte Niklas Hofstetter. »Wo ist nur die Zeit geblieben?« Er zwinkerte ihr zu. »Ich fühle mich um keinen Tag älter als damals. Gib zu, die Zeit ist spurlos an uns vorübergegangen.«

»Das ist sie net«, erwiderte Maria. Sie griff in seine braunen Haare. »Was ist das?«, fragte sie. »Sollte das eine erste graue Strähne sein?«

Lachend umfasste er ihre Taille und wirbelte sie herum.

»Von wegen graue Strähne! Ich bin grade mal achtundzwanzig, da hat man noch keine grauen Strähnen.«

Sie hob die Schultern. »Sollte ich mich so geirrt haben?«

»Das will ich meinen.« Niklas zog sie an sich und küsste sie. »Sag, bist du mit mir noch genauso glücklich wie damals, als wir vor den Traualtar getreten sind? Würdest du es jederzeit noch einmal mit mir wagen?«

»Ja, das bin ich, Niklas. Du bist die große Liebe meines Lebens, ohne dich wäre ich verloren. Ich würde net einen Augenblick zögern, dich noch einmal zu heiraten.« Erneut schmiegte sie sich an ihn. »Ich wünschte nur, der Herrgott hätte uns auch mit einem Kind gesegnet. Jedes Mal, wenn ich auf den Dachboden gehe und dort die leere Wiege sehe, krampft sich mein Herz vor Schmerz zusammen.«

»Ich hab schon daran gedacht, die Wiege zu verschenken«, sagte Niklas. Maria hatte vor fünf Jahren eine Fehlgeburt im sechsten Monat erlitten. Sie konnte keine Kinder mehr bekommen. Nach wie vor konnte sie diesen Schmerz nicht verwinden.

Maria schüttelte entschieden den Kopf. »Diese Wiege ist seit Generationen in eurer Familie. Es wäre eine Sünde, sie in die Hände fremder Menschen zu geben.«

»Das mag wohl sein«, gab Niklas zu. »Vielleicht sollten wir noch einmal über eine Adoption nachdenken.«

»Es wäre kein Kind von dir«, sagte sie traurig. »Ich hab mir so sehr gewünscht, ein Kind in den Armen zu halten, das mich mit deinen Augen anschaut und in dem ich all das erkenne, was ich an dir so liebe.«

Niklas küsste sie sanft auf den Scheitel.

Die jungen Leute blieben noch eine Weile beim Gipfelkreuz, bevor sie sich an den Abstieg machten. Bis zu dem Platz, auf dem sie ihren Wagen geparkt hatten, führte ein ziemlich holpriger Pfad.

An besonders schwierigen Stellen blieb Niklas stehen und half seiner Frau darüber hinweg. Ihm machte der Abstieg nicht zu schaffen. Schon als Bub hatte er mit seinen Freunden die Anhöhen um Bad Wiessee erkundet und manch riskanten Aufstieg hinter sich gebracht. Seit Jahren gehörte er der Bergwacht an und hatte schon mehrere Wanderer, die ihre Kräfte überschätzt hatten, aus Bergnot gerettet.

Der Hofstetter-Hof lag abseits von Bad Wiessee an einem mit Wiesen bedeckten Hang, auf dem von Ostern bis zum Herbst Kühe weideten. Niklas Vater hatte zusammen mit seiner vor zehn Jahren verstorbenen Frau Gertrud den ehemaligen Bauernhof zu einem Landgasthaus ausgebaut, in dem es auch mehrere Fremdenzimmer gab. Außer Hühnern hielten die Hofstetters nur noch drei Kühe, zwei Pferde und für die Kinder der Gäste Ponys. Dennoch gab es genügend Arbeit auf dem Hof, sodass sie kaum einmal zur Ruhe kamen.

Maria liebte diese Geschäftigkeit. Ihr machte die Arbeit mit den Gästen Freude, und sie kochte auch gern. Besonders für die Kinder dachte sie sich gern irgendeine Leckerei aus, die sie ihnen dann als Nachtisch servierte. Und die Kinder liebten sie. Oft überraschten sie die junge Frau mit kleinen Bastelarbeiten oder selbst gemalten Bildern.

Kaum hatten sie den Hof betreten, wurden sie vom Bobby, einem alten, schwarzen Labrador begrüßt. Noch während sie ihn ausgiebig kraulten, schlich sich auch schon die Katze Mimi heran, um sich ebenfalls ein paar Streicheleinheiten abzuholen.

»Gut, dass uns die Hühner net auch noch einzeln begrüßen wollen«, scherzte Niklas, bevor er mit Maria die Gaststube betrat, in der um diese Zeit nur ein einziger Tisch besetzt war, an dem Karten gespielt wurde.

Paul Hofstetter stand hinter dem Tresen.

»Frau Staufer hat vor einer halben Stunde angerufen, um abzusagen«, wandte er sich an Sohn und Schwiegertochter. »Ihr Mann ist heute Morgen ins Krankenhaus gekommen.«

»Hoffentlich nix Schlimmes«, meinte Maria. Die Staufers verbrachten jedes Jahr im Sommer einige Wochen bei ihnen.

»Er ist in der Garage ausgerutscht und hat sich das Bein gebrochen«, antwortete Paul Hofstetter. »Einer von euch sollte Frau Staufer nachher anrufen. Immerhin kennen wir die Familie gut.«

»Das mach ich«, bot Niklas an.

»Ich hab noch einiges im Büro zu erledigen. Heute Abend bin ich net daheim. Es ist Kirchenchor-Probe.« Maria schaute an sich hinunter. »Erst mal sollte ich mich umziehen.«

»Du würdest mir auch in Sack und Asche gefallen.« Niklas küsste sie auf die Wange.

Keine zwanzig Minuten später saß die junge Frau hinter ihrem Schreibtisch im Büro. Sie waren fast das ganze Jahr über ausgebucht, deshalb machte es auch nichts aus, wenn mal Gäste absagten. Zudem fragte das Fremdenverkehrsbüro öfter bei ihnen an, ob sie noch ein Zimmer freihätten.

Wie jeden Abend aßen sie gemeinsam mit ihren Angestellten im Nebenraum der geräumigen Küche. Abendessen für die Gäste gab es erst ab neunzehn Uhr. Inzwischen war auch Heidi Eder eingetroffen, die abends in der Gaststube bediente.

Maria verabschiedete sich bald, um zur Probe des Kirchenchors zu fahren. Vergnügt summte sie vor sich hin. Schon als kleines Madel hatte sie gern gesungen, und sie liebte es, sich im Kreis ihrer Freunde aufzuhalten. An diesem Abend wollten sie noch im Nebenraum des Gemeindesaals den Geburtstag eines Chormitglieds feiern.

Außer Sekt mit Orangensaft gab es eine Torte und Kaffee. Die Schwester des Pfarrers, die ebenfalls zum Chor gehörte, hatte schon vor der Probe den Tisch gedeckt. Maria erzählte, dass sie mit ihrem Mann am frühen Nachmittag zum Gipfelkreuz aufgestiegen war.

»Sieben Jahre ist Niklas’ Heiratsantrag jetzt her. Ich werde diesen Tag nie vergessen. Ich wusste damals kaum, wie mir geschah, als er plötzlich vor mir kniete und meine Hände ergriff.«

»Leider hat’s mein Walter net so mit der Romantik«, meinte eine der Frauen und fügte seufzend hinzu: »Net jede kann so ein Juwel wie die Maria ihr Eigen nennen. Um den Niklas beneiden sie viele Frauen im Dorf.«

»Fragt sich, ob der Niklas wirklich der strahlende Held ist, den die Maria in ihn sieht«, bemerkte eine andere, während sie ein zweites Stück Torte auf ihren Teller gleiten ließ. »Wer weiß, was hinter der glänzenden Fassade für Abgründe lauern.«

Ihre abfälligen Worte ärgerten Maria, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ. Bedächtig nahm sie einen Schluck Kaffee, bevor sie sagte: »Für mich ist der Niklas über jeden Zweifel erhaben. Wir sind noch genauso glücklich wie am ersten Tag, und so wird’s bis in alle Ewigkeit sein.«

***

In der Küche duftete es angenehm nach Sauerkraut, als Maria flüchtig den Topfdeckel hob und gleich wieder schloss. Sie warf einen Blick zu Vroni, ihrer Küchenhilfe, die den Knödelteig vorbereitete.

Mit den Gedanken war sie bei ihrer Tante Barbara Wörner, die zusammen mit ihrem Mann vor einem halben Jahr einen alten Bauernhof in der Nähe von München gekauft hatte. Momentan waren sie dabei, ihn umzubauen. Ihre Tante, die als Heilpraktikerin arbeitete, plante, dort ein kleines Therapiezentrum mit vier, fünf Wohneinheiten einzurichten. Heinz Wörner unterstützte nach Kräften die Pläne seiner Frau, zumal er als Polier auf dem Bau arbeitete und sehr viel Sachverstand mitbrachte.

Beate Siebert, eine blonde Frau mittleren Alters, betrat die Küche.

»Ich wäre mit den Zimmern fertig, Maria«, sagt sie. »Habt ihr einen Kaffee für mich? Man sollt net meinen, was manche Gäste für eine Unordnung hinterlassen.«

»Net nur Kaffee, auch Mohnstrudel«, erwiderte Maria und nahm den Strudel aus dem Schrank. »Ich werde auch ein Stückerl essen.«

Vroni Neubert, deren Eltern schon auf dem Hofstetter-Hof gearbeitet hatten, schenkte für alle Kaffee ein. Als Maria nicht hinschaute, hob sie leise den Deckel des Fleischtopfes, blickte hinein und legte den Deckel so auf, dass ein winziges Stückchen offen blieb.

Maria wandte sich dem Herd zu, um noch einmal die Hitze zu kontrollieren. Sie runzelte die Stirn.

»Wer hat denn den Deckel vom Schmortopf geöffnet?«, fragte sie unwillig, obwohl sie ahnte, wer dafür verantwortlich war.

»Ich bin net am Herd gewesen, Maria«, erwiderte Beate.

»Ich auch net«, behauptete Vroni mit unschuldigem Gesicht. Sie hatte von ihrer Mutter gelernt, dass ein Topfdeckel immer ein Stückchen offen stehen musste, und wollte nicht begreifen, warum Maria da anders dachte.

»So muss es der Heilige Geist gewesen sein«, meinte Maria. Sie mochte Vroni, auch wenn das junge Madel nie etwas zugeben wollte. Dir könnt noch der Wurstzipfel aus dem Mund hängen, und du würdest behaupten, nix mit dem Verschwinden der Wurst zu tun zu haben, dachte sie.

Ihr Schwiegervater betrat die Küche. »Wir haben zwei neue Gäste, Maria. Eine Frau Reuter mit ihrem Enkel«, sagte er. »Würdest du bitte kommen?«

Die junge Hofstetterin band sich die Schürze ab und folgte ihrem Schwiegervater in den Gastraum. Am Ende des Tresens hatten sie eine kleine Rezeption eingerichtet. Dort wurde sie von einer älteren Frau erwartet, deren dunkelblonde Haare das erste Grau zeigten. Neben ihr stand ein Bub von etwa vier Jahren. Mit seinen hellblonden Locken wirkte er wie ein kleiner Engel.

Sie begrüßte die neuen Gäste und stellte sich vor. »Da haben Sie wirklich Glück, Frau Reuter«, meinte sie. »Gestern hat ein Gast abgesagt. Wie lange möchten Sie bei uns bleiben?« Sie nahm einen Lutscher aus einem Fach unter dem Tresen. »Ich darf ihn ihrem Enkel doch geben?«

»Natürlich!«

Der Bub bedankte sich, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.

»Ich heiße Marco«, sagte er. »Darf ich auf den Ponys reiten?«

»Marco hat die Ponys auf der Weide gesehen«, erklärte Emma Reuter.

»Wir haben die Ponys extra wegen der Kinder unserer Gäste angeschafft«, sagte Maria. »Ja, du darfst auf den Ponys reiten, wenn ein Erwachsener dabei ist, Marco.«

»Ich weiß noch net, wie lange wir bleiben, Frau Hofstetter, auf jeden Fall erst einmal vierzehn Tage.« Emma Reuter strich ihrem Enkel durch die Locken. »Wir müssen beide ein bisschen zur Ruhe kommen.«

»Da ist unser Landgasthof bestimmt der richtige Ort«, meinte Maria. Sie hätte Frau Reuter gern gefragt, weshalb sie und ihr Enkel zur Ruhe kommen mussten, aber das verbot ihr die Höflichkeit.

»Magst du Tiere, Marco?«

Der Bub nickte heftig.

Maria nahm einen Schlüssel vom Brett hinter der Rezeption. Sie spürte das heftige Verlangen, Marco in die Arme zu nehmen. Wie schön musste es sein, so ein Kind zu haben!

Gemeinsam verließen sie die Gaststube und stiegen die Treppe zum ersten Stock hinauf. Dort wandten sie sich nach rechts und gelangten in den Anbau mit den Fremdenzimmern.

Das Zimmer, das Maria den Reuters zugedacht hatte, lag am Ende des Ganges. Als sie die Zimmertür öffnete, traf ein Sonnenstrahl Marcos Haare und ließ sie aufleuchten.

Maria stellte den Koffer der Reuters neben dem breiten Bett ab.

Der Bub rannte durch das Zimmer auf den Balkon hinaus. Er stellte sich auf Zehenspitzen, um über die Brüstung zu schauen. Die junge Frau hob ihn hoch.

»Schau, dort unten liegt der Tegernsee«, sagte sie.

»Schiffe!« Er wies mit dem Zeigefinger auf den See.

»Wenn du möchtest, machen wir mal einen Ausflug auf den See hinaus«, bot Maria spontan an. Erschrocken fügte sie hinzu: »Die anderen Kinder nehmen wir auch mit, wenn sie wollen.«

»Und die Oma!«

»Ja, auch deine Oma.« Sie setzte Marco ab. »Gefällt Ihnen das Zimmer, Frau Reuter?«

Emma Reuter nickte anerkennend. »Hier werden wir uns gewiss wohlfühlen.« Sie sah die Wirtin forschend an. »Sie lieben Kinder, das merkt man. Bestimmt haben Sie selbst Kinder.«

Marias Gesicht verdüsterte sich kurz. »Nein, Kinder hat meinem Mann und mir unser Herrgott versagt«, antwortete sie. »Was würde ich darum geben …« Sie straffte die Schultern. »Man kann net alles im Leben haben.«

»So ist es leider«, bestätigte die ältere Frau. »Führen Sie und Ihr Mann schon lange den Gasthof?«

»Der Gasthof ist im Familienbesitz. Meine Schwiegereltern haben ihn gegründet, nachdem sie die Landwirtschaft aufgegeben hatten. Wir haben ihn vor drei Jahren von meinem Schwiegervater übernommen.«

»Und wie ich annehme, sind Sie meistens ausgebucht.«

Maria nickte. So nett sie auch Emma Reuter fand, ihre neugierigen Fragen konnte sie nicht verstehen. Andererseits, warum sollte sie ihr nicht diese Fragen beantworten? »Ja, wir haben nur selten ein freies Zimmer.« Sie wandte sich der Tür zu.

»Da habe ich ja wirklich Glück gehabt.«

»Mittagstisch gibt’s ab zwölf, Frau Reuter«, sagte Maria. »Den Speiseplan für die einzelnen Wochentage finden Sie in der Mappe auf dem Schreibtisch. Sie wandte sich an Marco: »Was ist denn dein Lieblingsgericht?«

»Spaghetti mit einem Majo-Gesicht«, erklärte Marco. »Meine Mama hat das immer gemacht, wenn sie laufen konnte.« Seine braunen Augen füllten sich mit Tränen. »Nun ist sie beim lieben Gott im Himmel.«

Maria ging vor ihm in die Hocke und zog ihn an sich.

»Deine Mama wird jeden Tag vom Himmel aus zu dir hinunterschauten und darüber wachen, dass es dir gut geht.«

»Das sagt Oma auch.«

»Meine Tochter hatte Multiple Sklerose.« Emma Reuter legte leicht eine Hand auf Marcos Schulter. »Deine Mama ist immer bei dir, auch wenn wir sie nicht sehen können.«

Die Hofstetterin erhob sich. »Heute Mittag bekommst du Spaghetti mit Gesicht«, versprach sie.

Marco schlang die Ärmchen um sie. »Du bist wirklich lieb, Frau Hofstetter.«

»Du darfst Tante Maria zu mir sagen.« Die junge Frau nickte Emma Reuter zu und verließ beglückt das Fremdenzimmer.

Sie schwebte fast zur Küche hinunter. Der kleine Bub berührte ihr Herz auf eine ganz eigene Weise. Nie zuvor hatte sie ähnlich empfunden. Es war, als würden sie sich schon seit ewigen Zeiten kennen.

***

Emma Reuter und Marco fühlten sich auf dem Hofstetter-Hof ausgesprochen wohl.

Marco blühte regelrecht auf. Zusammen mit den Kindern der anderen Feriengäste tobte er durch Haus und Hof. Frühmorgens schlich er sich manchmal im Schlafanzug aus dem Haus, um beim Melken der Kühe zuzuschauen. Er half Vroni beim Füttern der Hühner, rannte mit Bobby durch die Wiesen und lag oft fast bewegungslos mit Mimi vor einem Mauseloch.

Schon bald konnte sich Niklas den Buben nicht mehr vom Hof wegdenken. Er beschäftigte sich mit Marco noch intensiver als mit den anderen Kindern, nahm ihn sogar auf seinem Traktor zum Heumachen mit.

»So gern ich all die anderen Kinder hab, der Marco ist was ganz Besonderes«, sagte er zu Maria. »Mir wird angst und bange bei dem Gedanken, wie schnell die Zeit vergeht und er mit seiner Großmutter nach Regensburg zurückkehren wird.«

»Wenn wir Glück haben, bleiben sie länger«, erwiderte Maria. »Es schaut net danach aus, als hätte es Frau Reuter eilig heimzukommen. Wir werden sie schon unterbringen können. Notfalls im Gästezimmer unserer Wohnung.«

»So weit würdest du gehen, um den Marco bei uns zu behalten?« Niklas lachte. »Bisher war dir unsere Wohnung heilig.«

»Manchmal lohnt es sich, seine Prinzipien über Bord zu werfen. Mir ist Marco genauso ans Herz gewachsen wie dir.«

Er berührte sanft ihre Wange. »Wir könnten einen Buben wie ihn adoptieren.«

»Ich hab in den letzten Tagen mehrmals darüber nachgedacht«, gestand sie. »Ganz so abwegig erscheint mir der Gedanke net mehr.«

Niklas küsste sie auf die Wange. Bisher war seine Frau ja nicht so recht mit einer Adoption einverstanden gewesen. Ihre Worte machten ihm Hoffnung.

»Lass uns heute Abend darüber sprechen. Ich muss zur Bank.«

»In Ordnung.« Maria blickte ihm nach, als er quer über den Hof zu den Garagen ging.

In der Tür stieß sie fast mit ihrem Schwiegervater zusammen, der auf dem Weg zum Gewölbekeller war, dessen Eingang seitlich des Hauses lag.

»Einen Taler für deine Gedanken, Maria«, meinte er.

»Niklas wäre ein wunderbarer Vater geworden«, sagte sie versonnen.

»Und du eine fantastische Mutter.« Er legte eine Hand auf ihre Schulter. »Unser Herrgott muss einen guten Grund haben, weshalb er euch net mit Kindern gesegnet hat.«

»Ich wüsste gern, welchen«, erwiderte sie bitter.

Um sie auf andere Gedanken zu bringen, meinte Paul Hofstetter: »Diese Emma Reuter ist mir net ganz geheuer.« Er runzelte die Stirn. »Bevor sie vorhin mit ihrem Enkel zu den Koppeln gegangen ist, hat sie mir wieder mal Löcher in den Bauch gefragt. Da kann sie noch so harmlos tun. Ich bin überzeugt, ihre Fragen über unsere Familie haben alle einen ernsten Hintergrund.«

»Du neigst sonst net dazu, Gespenster zu sehen, Vater«, antwortete Maria. »Ich mag Frau Reuter, auch wenn ich sie für eine sehr neugierige Person halte. Es gibt nun mal Leute, die allem auf den Grund gehen wollen.« Sie zwinkerte ihm zu. »An und für sich hab ich gedacht, du hättest einiges für sie übrig. Jedenfalls ist mir aufgefallen, wie liebenswürdig und zuvorkommend du zu ihr bist.«

»Unsinn«, wehrte er verlegen ab. »Ich bin zu all unseren Gästen zuvorkommend.«

»Aber net so liebenswürdig.«

»Gut, abgesehen von ihrer Neugierde, hab ich sie schon gern. Wenn ich ein paar Jährchen jünger wäre, könnt sie mir gefährlich werden. Nun, aus diesem Alter bin ich mit meinen einundsiebzig längst heraus. Außerdem macht mir von Zeit zu Zeit meine Gicht schwer zu schaffen. Nein, ich hab net vor, nochmals auf Freiersfüßen zu gehen.«

»Euer Altersunterschied beträgt grad mal acht Jahre, Vater.«

»Willst du mich etwa verkuppeln, damit der Bub auf dem Hof bleibt, Maria?« Er drohte ihr mit dem Finger. »Ich würd’s dir sogar zutrauen.«

»Gewiss net. Ich denke nur, mit einundsiebzig gehört man noch net zum alten Eisen.« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »Es wird Zeit, in der Küche nach dem Rechten zu sehen, bevor die Vroni mir alle Topfdeckel öffnet. Ich wünschte, ich könnte ihr das abgewöhnen.«

»Schlag ihr mal kräftig auf die Finger. So was kann Wunder wirken«, meinte Paul Hofstetter und ging um das Haus herum.

Vroni saß am Küchentisch und putzte Gemüse. Maria warf einen prüfenden Blick zu den Töpfen.

»Ich hab die Töpfe net angerührt«, sagte die Küchenmagd.

»Das will ich hoffen!« Die Hofstetterin öffnete den Backofen und warf einen Blick auf den Salzbraten, der dort vor sich hin brutzelte.

Durch das offene Küchenfenster drang Marcos Stimme. Sie blickte nach draußen. Marco stand mit seiner Großmutter bei der Koppel. Er erklärte ihr ziemlich laut, auf was man beim Reiten achten sollte, damit man nicht unsanft auf dem Boden landete.

»Hat Onkel Niklas gesagt«, fügte er hinzu.

Maria wandte sich ihrer Arbeit zu. Niklas wollte am nächsten Tag mit einigen der Gastkinder eine Rundfahrt in der Pferdekutsche unternehmen. Für unterwegs hatte er ein Picknick geplant. Sie überlegte, was den Kindern wohl Freude machen würde.

Kurz vor dem Mittagessen reiste das ältere Ehepaar ab, das eines der Erdgeschoss-Zimmer des Anbaues bewohnt hatte. Maria begleitete sie zu ihrem Wagen, um sie zu verabschieden. Wolferts kamen jedes Jahr und hatten sich mit den Hofstetters angefreundet. Sie versprachen, am Abend anzurufen.

»Danke für alles, Maria.« Gerda Wolfert umarmte die junge Frau.

»Bis nächstes Jahr.« Hans Wolfert reichte Maria die Hand. »Es ist jedes Mal schön, bei euch Ferien zu machen. Vergiss net, deinem Mann einen Gruß zu bestellen.«

»Gewiss net, Hans.« Maria trat einen Schritt vom Wagen zurück. »Gute Heimfahrt!«

Sie wartete, bis die Wolferts den Hof verlassen hatten, bevor sie ins Haus ging, um zu überprüfen, was alles in dem Zimmer, das sie bewohnt hatten, gerichtet werden musste, bevor am Abend die neuen Gäste eintrafen.

Niklas und ich sollten auch mal Urlaub machen, überlegte sie. Bisher waren sie noch nie für längere Zeit verreist. Sie träumte seit Jahren von einer Reise an die Ost- oder Nordsee. Wenn Niklas fragte, was sie sich zu ihrem Geburtstag in drei Monaten wünschen würde, wollte sie ihn mit diesem Wunsch überraschen.

***

Paul Hofstetter hatte am Vortag die alte Kutsche gründlich mit Wasser abgespritzt und dicke Decken auf die beiden Bänke gelegt. Nun half er seinem Sohn beim Einspannen der Pferde. Gespannt sahen ihnen die sechs Kinder zu, die zurzeit auf dem Hofstetter-Hof lebten.

»Ich will bei dir sitzen, Onkel Niklas«, verlangte Marco.

»Ich bin der Älteste, ich darf vorne sitzen«, erklärte der elfjährige Tobias.

»Ich sitze vorn.« Seine achtjährige Schwester trat mit dem Fuß auf wie stets, wenn sie etwas durchsetzen wollte. »Wenn du gemein zu mir bist, sage ich es dem Papa.«

»Du bist eine olle Petze.« Tobias warf seiner Schwester einen wütenden Blick zu.

»Ihr werdet euch doch net streiten wollen?« Paul Hofstetter drohte spielerisch mit dem Finger.

»Jeder darf mal vorn sitzen«, bestimmte Niklas. »Marco ist der Kleinste. Er darf zuerst.« Er hob den Buben hoch und setzte ihn auf den Kutschbock.

Die übrigen Kinder kletterten in die Kutsche.

Maria stellte den Picknickkorb unter eine der Bänke. »Viel Spaß«, wünschte sie und winkte der Kutsche nach, als diese durch das Hoftor fuhr.

Frau Reuter machte es sich mit einem Buch und einer Tasse Kaffee auf der Terrasse im Garten gemütlich. Nach einer Weile legte sie das Buch zur Seite, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Maria kam mit einem Korb in den Garten, um ein paar Kräuter zu holen. Zum ersten Mal bemerkte sie, wie müde und abgespannt Emma Reuter wirkte.

»Soll ich einen Liegestuhl für Sie aufstellen?«, fragte sie.

»Das ist nicht nötig, Frau Hofstetter.« Emma Reuter richtete sich auf. »Marco hat gestern Abend von nichts anderem mehr gesprochen als der Kutschfahrt mit seinem Onkel Niklas und den anderen Kindern«, sagte er. »Er ist hier so glücklich.«

»Das ist mir auch aufgefallen.« Maria setzte sich zu ihr an den Tisch. Sie warf einen Blick auf den Titel des Buches. Agatha Christie. »Ich hätte net gedacht, dass Sie Krimis mögen.«

»Und dazu noch so altmodische«, meinte Marcos Großmutter. »Ich habe die Romane von Agatha Christie schon als junge Frau geliebt. Bei ihnen kann man so richtig abschalten, und das ist manchmal bitter nötig.«

»Geht es Ihnen net gut?«, fragte Maria spontan. »Verzeihen Sie, ich möchte Ihnen net zu nahetreten.«

»Das tun Sie nicht«, versicherte Frau Reuter. »Ich mache mir Sorgen um Marcos Zukunft. Ich bin nicht mehr die Jüngste, und Marco ist erst vier Jahre alt. Wie lange werde ich ihm gerecht werden können?«

»Und Marcos Vater?«

»Marco hat seinen Vater nie kennengelernt. Ich übrigens auch nicht. Er ahnt nicht einmal, dass er einen Sohn hat. Selbst auf dem Standesamt hat meine Tochter den Namen des Vaters verschwiegen.«

»Und warum?, fragte Maria erstaunt.

»Sie wollte ihm keine Schwierigkeiten machen. Der Mann ist verheiratet. ›Was bringt es, seine Ehe zu zerstören?‹, fragte sie mich, als ich sie bat, sich an Marcos Vater zu wenden. ›Unsere Beziehung war nicht für die Ewigkeit gedacht. Wir waren beide verzweifelt und klammerten uns in unserem Kummer aneinander.‹»

»So sehr das Ihre Tochter ehrt, war sie net auf die Alimente angewiesen?«

»Zum Glück nicht. Mein früh verstorbener Mann hat uns gut versorgt zurückgelassen. Ich wünschte, Hartmut hätte die Geburt seines Enkels noch erleben können, leider …« Sie seufzte auf. »Meine Tochter litt an Multipler Sklerose. Sie war zwei Jahre verheiratet, als die Krankheit festgestellt wurde. Ihr Mann ließ sich daraufhin von ihr scheiden. Wie er ihr sagte, wollte er nicht für den Rest seines Leben an eine Frau gebunden sein, die irgendwann zum Pflegefall werden würde.«

»Wie schrecklich!« Maria spürte, wie ein kalter Windhauch sie streifte. »Er kann sie net geliebt haben. Heißt es net, in guten wie in schlechten Zeiten?«

»Ja, das heißt es.« Frau Reuter nickte. »Angelika hat leider viel zu spät erkannt, dass Alexander kein Gewissen besitzt. Er lachte ihr sogar noch höhnisch ins Gesicht, als sie ihn fragte, was denn mit der Liebe geschehen sei, die sie einst verbunden hätte.«

Sie nahm ein Foto aus ihrer Handtasche und reichte es der Hofstetterin.

»Das ist sie, meine Angelika!«

Maria griff nach dem Foto. Es zeigte eine hübsche Frau mit blonden Locken und strahlend blauen Augen. Sie wirkte wie das blühende Leben.

»Als das Foto aufgenommen wurde, ging es Angelika noch relativ gut«, sagte Emma Reuter. In ihrer Stimme schwang unendliche Trauer mit. Knapp drei Monate später hatte sie ihren ersten schweren MS-Schub. Als sie morgens aufwachte, konnte sie ihr rechtes Bein nicht bewegen. Die Lähmung ließ nach ein paar Wochen nach, aber dann ging es Schlag auf Schlag. Es gab immer weniger gute Tage, dafür umso mehr, die sie im Rollstuhl verbringen musste.«

Sie steckte das Foto in die Handtasche zurück. »Wir stellten eine Pflegerin ein, weil ich Angelika wegen meines Herzens nicht allein versorgen konnte. Und da war ja auch noch Marco …«

»Es muss ein großer Trost für Ihre Tochter gewesen sein, einen so reizenden Sohn zu haben.«

»Er war ihr Ein und Alles.« Emma Reuter starrte zu den Bergen. »Wir wollten ins Kino. Es liegt nicht weit von meiner Wohnung. An diesem Nachmittag gab es eine Sondervorstellung von Die Eisprinzessin in 3D. Angelika bestand darauf, zu Fuß zu gehen. Es ging ihr mal wieder besser, und sie konnte fast normal laufen … Hätte ich mich nur nicht darauf eingelassen! Als wir die Straße überquerten, raste ein Wagen auf uns zu. Ich konnte Marco gerade noch zur Seite reißen. Der Wagen erfasste Angelika. Für sie kam jede Hilfe zu spät. Sie starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus.«

Erneut spürte Maria, wie ihr eiskalt wurde. Sie fragte sich, wie man so viel Leid ertragen konnte.

Als ahnte Emma Reuter, was Maria dachte, legte sie die Hand auf den Arm der jungen Frau und meinte: »Ihr Leben ist auch nicht ohne Hürden verlaufen. Es muss schwer sein, ein Kind im sechsten Monat zu verlieren.«

»Es war die Hölle«, gestand Maria. »Wer hat Ihnen davon erzählt?«

Emma Reuter hob die Schultern. »Irgendjemand hat es erwähnt«, behauptete sie.

Maria glaubte ihr nicht. Andererseits war sie sich sicher, dass weder ihr Mann noch ihr Schwiegervater mit Emma Reuter darüber gesprochen hatten. Und ganz gewiss auch nicht Vroni oder Beate. Vielleicht jemand aus Bad Wiessee. Aber wer?

Sie erhob sich. »Ich muss mich um die Arbeit kümmern, sonst gibt’s heute Mittag nix zu essen.«

»Was für ein entsetzlicher Gedanke!«, scherzte Emma Reuter und griff nach ihrem Kriminalroman.

Maria nahm den Korb und schnitt die Kräuter ab, die sie für das Essen brauchte. Die Geschichte, die ihr Frau Reuter erzählt hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie fragte sich, was aus Marco werden sollte, wenn seine Großmutter ihn nicht mehr versorgen konnte. Niklas, ihr Schwiegervater und sie liebten den Buben, und sie könnten ihm ein wunderbares Zuhause bieten. Er …

Die junge Frau schüttelte den Kopf. Was spann sie sich da zusammen? Noch hatte Marco eine Großmutter, die sich um ihn kümmerte, und überhaupt …«

Entschlossen, sich auf das Kochen zu konzentrieren, richtete sie sich auf und ging ins Haus.

***

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Längst war der Termin überschritten, an dem Emma Reuter und ihr Enkel hätten abreisen müssen. So kam es den Hofstetters sehr gelegen, dass ein junges Ehepaar absagte, weil sie sich im letzten Augenblick entschieden hatten, ihren Urlaub lieber in der Toskana statt am Tegernsee zu verbringen.

Zwischen Paul Hofstetter und Emma Reuter entwickelte sich eine herzliche Freundschaft, obwohl der alte Wirt Marcos Großmutter nach wie vor mit einem gewissen Misstrauen begegnete.

»Zwei Herzen schlagen in meiner Brust«, meinte er. »Ich freu mich jeden Morgen darauf, sie zu sehen, auch wenn ich net glauben kann, dass sie sich ohne Hintergedanken ein Zimmer bei uns genommen hat.« Er senkte etwas die Stimme. »Immerhin hat sie nie vorgehabt, bei uns kostenlos unterzukommen. Die ersten drei Wochen hat sie heute Morgen bezahlt.«

»Was du auch für Gedanken hast, Vater!« Niklas drückte ihm eine Schaufel in die Hand. »Mach dich ein bisserl nützlich. Ich will den Hafer gleich auf die Koppel hinaus bringen.«

»Bei dieser Frau können einem wirklich die seltsamsten Gedanken kommen«, meinte der alte Hofstetter. »Nach wie vor steckt sie ihre Nase überall hinein, fragt einem ein Loch in den Ranzen und denkt, wie es ausschaut, vorläufig net daran, nach Regensburg zurückzukehren.«

»Ein Sommer am Tegernsee ist halt durch nix zu überbieten. Soviel ich weiß, bist du auch dieser Meinung. Jedenfalls steht dieser Slogan auf den Werbeprospekten, die du vor etwa dreißig Jahren hast drucken lassen.«

»Ja, und genauso denk ich noch heute darüber«, gab er lachend zu. »Was soll’s, ich werde mir net ununterbrochen den Kopf über die Motive dieser Frau zerbrechen.« Er schmunzelte. »Ich hab sie eingeladen, mit mir morgen Abend das Kurkonzert in Rottach-Egern zu besuchen.«

Sieh einer an, dachte Maria amüsiert. Sie zwinkerte ihrem Mann zu.

»Und, hat sie zugesagt?«

»Ich hatte net damit gerechnet, doch sie hat zugesagt. Ich werde mich also morgen Abend mal in Schale werfen, denn ich will sie vorher noch zum Essen ausführen.«

»Es wird bestimmt ein schöner Abend werden«, meinte Maria. »Ihr könnt euch ruhig Zeit lassen. Ich werde mich um Marco kümmern.«

»Was kein großes Opfer für dich sein wird«, bemerkte Niklas.

»Ganz gewiss net.« Maria ging ins Büro, um sich endlich mal der Ablage zu widmen. Zudem musste sie sich um die Bestellungen bei den Lieferanten kümmern. Niklas hatte ihr am Vortag eine lange Liste mit all den Sachen, die sie während der nächsten vier Wochen brauchen würden, auf den Tisch gelegt.

Als Niklas Hofstetter am späten Nachmittag ins Büro kam, hatte seine Frau inzwischen die Bestellungen aufgegeben und sortierte die Ablage.

»Ah, deine Lieblingsbeschäftigung«, bemerkte er.

»Pass nur auf, dass ich dich nicht während der nächsten Zeit ablegen lasse«, drohte Maria. »Würde dir mal ganz guttun.«

»Das geht net. Ich hab darin zwei linke Hände.«

»An und für sich reicht’s, wenn du des Alphabetes mächtig bist und mit einem Locher umgehen kannst.«

»Einen Locher sollte man mir net in die Hände geben. Ich bohre mir damit garantiert Löcher in die Finger.« Er beugte sich über sie. »Auf einen Mann, dessen Finger wie ein Schweizer Käse ausschauen, legst du gewiss keinen Wert.«

»Um Ausreden bist du net verlegen.« Maria klappte den Ordner zu, der vor ihr lag.

Er schlang von hinten die Arme um sie. Wie absichtslos glitt seine Hand in den Ausschnitt ihres Dirndls.

»Lass das!« Maria schlug ihm leicht auf die Hand. »Ich hab noch zu tun und du vermutlich auch, Schatzerl.«

»Leider.« Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und richtete sich auf. »Wir könnten heute Abend, nachdem wir die Gäste abgefüttert haben, ein Stückerl spazieren gehen«, schlug er vor. »Oder sollen wir an den See hinunterfahren und auf der Promenade bummeln gehen? Haben wir schon lange net mehr gemacht.«

»Ich weiß genau, woran du denkst, Niklas. An dieses lauschige Plätzchen abseits der Promenade, wo die Trauerweide uns vor allen Blicken verbirgt.« Sie stand auf und legte die Arme um seinen Nacken. »Einverstanden.« Ihre braunen Augen strahlten wie zwei Sterne.

Niklas verschloss ihr den Mund mit einem innigen Kuss.

Widerwillig löste sie sich von ihm.

»Dein Vater scheint auf Freiersfüßen zu gehen.«

»Du meinst, weil er Frau Reuter zum Kurkonzert eingeladen hat? Würde mich net wundern. Er hat sehr viel für sie übrig und umgekehrt scheint’s auch so zu sein.« Er grinste. »Mal sehen, was sich daraus ergibt.«

Niklas bedachte seine Frau mit einem letzten Kuss und verließ das Büro. Sein Vater und Emma Reuter! Er lachte in sich hinein. Der Gedanke gefiel ihm. Sein Vater hatte viel zu lange allein gelebt.

***

Nach einem wunderschönen Abend am See und einer Nacht, in der sie nicht viel Schlaf gefunden hatte, erwachte Maria am nächsten Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie stützte sich auf dem Ellbogen auf und betrachtete Niklas schlafendes Gesicht. So schwer es ihr auch fiel, ihn nicht zu berühren, sie wollte ihn nicht wecken. Es war erst kurz nach fünf, und vor sechs Uhr mussten sie nicht aufstehen.

Sie legte sich zurück und schloss die Augen. Während sie über das Glück nachdachte, einen Mann wie Niklas an ihrer Seite zu haben, schlief sie erneut ein.

Als Maria zum zweiten Mal erwachte, war das Bett neben ihr leer. Ihr Blick glitt zur Uhr. Erschrocken setzte sie sich auf und schwang die Beine über den Bettrand. Es war bereits acht! Warum hatte Niklas sie schlafen lassen? In aller Eile duschte sie und zog sich an.

Als sie nach unten kam, saß er mit seinem Vater und dem Personal am Frühstückstisch.

»Na, ausgeschlafen?«, fragte er.

»Du hättest mich wecken müssen«, meinte sie vorwurfsvoll.

»Wir haben uns um alles gekümmert, Maria«, sagte Paul Hofstetter. »Die Gäste sind versorgt und die Picknickkörbe für die Tills und die Novaks gerichtet. Sie werden in einer halben Stunde zu ihren Ausflügen abgeholt.«

»Du kannst also in aller Ruhe frühstücken«, fügte ihr Schwiegervater hinzu. »Ab und zu sollte man ausschlafen.« Er zwinkerte ihr zu. Sie wusste genau, was das heißen sollte, und war überzeugt, dass die anderen es ebenfalls wussten. Verlegen griff sie nach ihrer Tasse.

Die Stunden verstrichen für Maria nur zäh. Sie konnte es kaum noch erwarten, bis ihr Schwiegervater mit Frau Reuter den Hof verließ. Einen ganzen Abend würde sie sich um Marco kümmern dürfen! Allein der Gedanke daran erfüllte ihr Herz mit Freude.

Endlich stieg Marcos Großmutter in den Wagen des Hofstetters. Sie wünschte beiden viel Spaß.

»Sei brav, Marco, und mach Tante Maria und Onkel Niklas keinen Ärger«, mahnte Emma Reuter.

Marco umfasste Marias Hand. »Ich bin ganz lieb, Oma«, versicherte er.

»Das wird er bestimmt, Frau Hofstetter«, meinte die junge Frau.

Bobby gesellte sich zu ihnen. Den Kopf an Maria geschmiegt, blickte er dem Wagen nach, der durch die Hofeinfahrt auf die Straße hinausfuhr.

»Sollen wir ein Stückchen mit Bobby durch die Wiesen gehen?«

Marco nickte eifrig. »Ich hol meinen Ball.« Er rannte davon.

Bobby rannte ihnen voraus, blieb jedoch alle paar Meter stehen und drehte sich nach ihnen um. Als Marco den Ball warf, jagte er ihm hinterher. Vorsichtig ergriff er ihn mit der Schnauze und trug ihn zu Marco zurück.

Der Bub warf den Ball, so weit es ging, in die Wiese hinein. Ein Spiel, das Bobby zuerst Spaß machte, doch nach einigen Minuten warf sich der Labrador einfach auf den Rücken und strampelte mit den Pfoten.

»Soll ich dich kitzeln?« Marco kniete sich neben ihn. Er riss einen Grashalm aus und fuhr damit sanft über Bobbys Bauch. Der Hund rollte sich zusammen.

»Schaut net aus, als würd’s ihm gefallen«, sagte Maria.

»Du musst keine Angst haben. Ich kitzel dich nicht mehr, Bobby.« Marco sprang auf. »Komm, fang mich!« Er rannte in Richtung Hof.

Völlig außer Atem kamen sie an.

Niklas, der in Bad Wiessee gewesen war, stieg gerade aus seinem Wagen. Marco rannte ihm entgegen und warf sich in seine Arme.

»Bobby hat es gar nicht gern, wenn man ihn kitzelt«, verkündete er. »Er ist meinem Ball nachgelaufen, und wir haben Fangen gespielt. Tante Maria ist fast so schnell wie Bobby.«

»Dann muss ich ja aufpassen, dass sie mir net wegläuft«, erwiderte der Wirt und sah seine Frau an.

»Tante Maria läuft nicht davon. Die hat dich lieb«, erklärte der Bub.

Maria nahm ihn hoch. »Es wird Zeit für die Badewanne. Danach bekommst du dein Abendessen. Was hältst du von Griesbrei mit Himbeerkompott?«

»Ess ich gern.« Marco schlang die Ärmchen um sie. »Darf ich heute länger aufbleiben? Ich bin noch nicht müde.«

»Mal sehen«, antwortete sie vage.

Gemeinsam betraten sie das Haus. Maria bat ihren Mann, in der Küche den Griesbrei zu bestellen. Sie wandte sich dem Gästetrakt zu.

»Kommst du auch mit, Onkel Niklas?« An Maria geklammert, streckte der Bub die Hand nach dem jungen Mann aus.

»Nein, Marco, ich muss noch etwas erledigen. Wir sehen uns beim Abendessen.« Niklas betrat die Küche.

Maria setzte Marco im Badezimmer ab, holte seinen Pyjama und seinen Bademantel aus dem Zimmer und half ihm danach beim Auskleiden, während das Wasser in die Wanne lief.

»Ganz viel Schaum«, verlangte der Bub.

Maria spritzte noch etwas Seifenextrakt ins Wasser, prüfte seine Temperatur, hob Marco hoch und setzte ihn hinein. Er griff nach der Ente und dem Schiff, die am hinteren Rand der Wanne standen.

»Das ist die Titanic«, erklärte er. »Der Schaum sind Eisberge und Eisschollen. Und die Ente ist ein besonders großer Eisberg.«

»Woher kennst du die Titanic?«, fragte Maria überrascht.

»Ich habe ein Bild von ihr in einem Buch gesehen«, antwortete er. »Und als ich meine Oma gefragt habe, weshalb das Schiff so komisch ausschaut, da hat sie gesagt, es würde untergehen, weil es mit einem großen Eisberg zusammengestoßen ist.« Er ließ das Schiff gegen die Ente fahren. »Das ist der Eisberg. Schau, wie es sinkt!« Langsam ließ er das Schiff senkrecht ins Wasser tauchen. »Hörst du, wie die Leute um Hilfe rufen?«

»Du könntest auch so tun, als würde deine Titanic am Eisberg vorbeifahren«, schlug Maria vor.

»Untergehen macht mehr Spaß!« Er grinste und bot großzügig an: »Du darfst den Eisberg halten.«

Was für ein Lausbub!

Bis es Zeit wurde, das Spiel zu beenden, ließen sie die Titanic mehrmals untergehen. Obwohl Maria diesem Spiel nichts abgewinnen konnte, wollte sie Marco den Spaß nicht verderben.

Sorgfältig duschte sie den Jungen ab und hob ihn aus der Wanne. In ein weiches Badetuch gehüllt, wirkte der kleine Bub wieder wie ein Engelchen. Er benahm sich auch so und zappelte nicht einmal herum, als sie ihm die Haare föhnte. In Schlafanzug und Bademantel trug sie ihn in die Küche hinunter und setzte sich mit ihm in die Essecke.

Niklas stellte den Griesbrei mit dem Himbeerkompott vor ihm auf den Tisch. Er hatte bereits aus der Gaststube eines der hohen Sitzkissen für Kinder geholt.

»Na, wie war dein Bad, Marco?«, fragte er.

»Tante Maria hat mit mir Titanic gespielt«, verkündete der Kleine. »Sie kann das viel besser als die Oma.« Er stieß seinen Löffel in den Brei.

Niklas hob die Augenbrauen.

»Erklär ich dir später«, sagte sie. »Wie schmeckt der Brei?«

»Fein.« Marco wollte sich mit dem Ärmel über den Mund wischen. Maria hielt rasch seinen Arm fest, während Niklas ihm den mit Himbeersaft verschmierten Mund mit einem Küchentuch abtupfte. »Mit dem Ärmel sollte man sich net den Mund abwischen«, mahnte die junge Frau.

»Sagt Oma auch.« Marco ließ es sich weiter schmecken.

Er aß fast den ganzen Brei und das Kompott. Bei den letzten Löffeln kämpfte er schon mit dem Schlaf, behauptete jedoch gähnend, überhaupt noch nicht müde zu sein.

Maria trug ihn nach oben, half ihm noch rasch beim Zähneputzen und steckte ihn ins Bett.

»Und jetzt vorlesen«, verlangte er und bemühte sich, die Augen offen zu halten. »Oma liest mir jeden Abend aus dem Buch Aus einem Land vor unserer Zeit vor.« Er setzte sich auf und schlang die Arme um sie. »Ich habe dich so lieb, Tante Maria. Fast so lieb wie meine Oma.«

Das Buch lag auf dem Nachttisch. Maria deckte Marco zu und schlug das Buch auf der Seite auf, in der das Lesezeichen steckte. Weit kam sie mit dem Vorlesen nicht, denn schon nach den ersten Sätzen fielen die Augen des Kleinen zu.

Hinter ihr öffnete sich die Tür. Niklas trat ein und huschte zu Marcos Bett.

»Schläft er?«, raunte er seiner Frau zu.

Maria nickte. »Er muss sehr müde gewesen sein.« Sie strich dem schlafenden Kind sanft die Locken zurück und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Unser Kleiner wäre nicht viel älter als Marco. Sie hätten Freunde sein können.«

Niklas nahm sie in die Arme. »Seit Marco bei uns ist, denke ich mehr als früher an unseren eigenen Buben. Ich hätte ihn so gern aufwachsen sehen.« Er holte tief Luft. »Genießen wir die Zeit, die wir mit Marco haben. Frau Reuter gefällt es bei uns. Vielleicht wird sie auch nächstes Jahr ein paar Wochen bei uns verbringen.«

»Das hoffe ich«, gestand seine Frau. Sie lehnte den Kopf an Niklas’ Schulter und blickte versonnen auf das schlafende Kind hinunter.

***

Paul Hofstetter wirkte am nächsten Morgen äußerst zufrieden, als er sich zu seinem Sohn und seiner Schwiegertochter zu einer ersten Tasse Kaffee an den Tisch setzte. Mit beiden Händen umklammerte er seinen Kaffeebecher und lehnte sich auf seinem breiten Stuhl zurück.

»Du schaust aus wie eine Katze, die Sahne geschleckt hat, Vater«, bemerkte Niklas. »Scheint ein sehr erfolgreicher Abend gewesen zu sein.«

»Ich müsste lügen, wenn er mir net gefallen hätte«, erwiderte der alte Hofstetter. »Emma ist eine wirklich patente Frau, die ihr Herz auf dem rechten Fleck hat. So was findet man heut nur noch selten.«

»Emma?«, fragten Maria und Niklas wie aus einem Munde.

»Wir haben Brüderschaft getrunken«, gab Paul Hofstetter schmunzelnd zu. »Wir verstehen uns wirklich gut. Ich hab mich schon lange net mehr so gut unterhalten. In ihrer Gesellschaft blüht man regelrecht auf.«

»Ach, in unserer geht man ein?«, scherzte sein Sohn.

»Unsinn, ihr wisst genau, wie ich’s meine.« Paul Hofstetter nahm einen Schluck Kaffee. »Wir haben viel über früher gesprochen und wie einfach das Leben noch in unserer Kindheit gewesen ist. Heutzutage ist alles so kompliziert und oft verworren. Früher zum Beispiel wurde man net ständig durch das Läuten eines Handys aus seinen Gedanken gerissen.«

»Kunststück, damals gab es noch keine Handys«, bemerkte Niklas.

»Was für eine segensreiche Zeit«, sagte sein Vater, der sich schon lange darüber ärgerte, dass die meisten Gäste selbst während der Mahlzeiten ihre Handys neben sich auf dem Tisch liegen hatten. »Emma gehört jedenfalls zu den Frauen, die auch ohne Handy leben können. Genau wie ich!«

Niklas drohte ihm lachend mit dem Finger. »Hört sich ganz so an, als wärst du auf Freiersfüßen, Vater.«

»Wo denkst du hin«, wehrte dieser ab. »Wir verstehen uns nur sehr gut.«

Es war ein heißer Tag, und so fuhren die meisten der Pensionsgäste zum Schwimmen. Emma Reuter und ihr Enkel machten einen Ausflug zum Wallberg. Marco wollte unbedingt mit der Bergbahn fahren und außerdem den Drachenfliegern zuschauen, wenn sie vom Wallberg aus zum Tal hinunterschwebten.

Nachdem Maria sich überzeugt hatte, dass die Gästezimmer alle geputzt worden waren, ging sie in die Küche, um sich des Sauerbratens anzunehmen, den es an diesem Tag zum Mittagessen geben sollte. Während er vor sich hin schmorte, setzte sie sich an den Esstisch, um den Speiseplan für die kommende Woche festzulegen.

Beate kam in die Küche. In der Hand hielt sie eine rote Brieftasche.

»Hab ich eben im Garten gefunden, Maria. Sie legte die Brieftasche auf den Tisch. »Unterhalb der Terrasse lag sie zwischen zwei Rosen.«

Maria griff nach der Brieftasche. Sie scheute davor zurück, sie zu öffnen, und sie war überzeugt, dass auch Beate sie nicht geöffnet hatte.

»Ein Teil der Gäste hat im Garten gefrühstückt«, sagte Beate. »Einer von ihnen muss sie verloren haben. Gestern lag sie noch net da. Die rote Farbe wäre aufgefallen.«

»Danke, Beate, ich werde mich darum kümmern«, versprach Maria. Sie legte die Brieftasche zur Seite. Erst einmal wollte sie den Speiseplan fertig schreiben.

Der Zeitmesser, den sie neben sich gestellt hatte, läutete. Sie sprang auf, um nach ihrem Sauerbraten zu sehen. Als sie zurückkehrte, fiel ihr Blick sofort auf die Brieftasche. Statt sich dem Speiseplan zu widmen, griff sie nach ihr und schlug sie auf, um nach einem Namen zu suchen.

Die Brieftasche enthielt ein paar Notizen, ein Theaterabo und mehrere Schriftstücke, die Maria jedoch nur, wenn ihr nichts anderes übrig bleiben würde, lesen wollte. Im letzten Fach entdeckte sie Fotos. Sie zog sie heraus. Ihre Augen weiteten sich. Unwillkürlich fuhr ihre Hand zum Mund. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein!

Bei der jungen Frau auf dem Foto handelte es sich unzweifelhaft um die Tochter Emma Reuters. Angelika lehnte neben einem jungen Mann mit braunen Haaren und braunen Augen. »Niklas«, flüsterte Maria fassungslos.

Sie schloss kurz die Augen und riss sie wieder auf. Nein, es war kein Irrtum! Der Mann an Angelikas Seite war Niklas, ihr Niklas!

Mit zittrigen Fingern drehte sie das Foto um. Das Datum auf der Rückseite erfüllte die junge Frau mit Entsetzen. Nur mit Mühe unterdrückte sie das Zittern, das sie ergreifen wollte. Ausgerechnet in der Zeit, in der sie mehr als alles anderes Niklas’ Trost bedurft hätte, hatte er sie mit Angelika Reuter betrogen!

Marco! War Marco etwa Niklas Sohn? Wusste er davon?

Nein, sie war sich sicher, dass er es nicht mal vermutete. Frau Reuter hatte ja davon gesprochen, dass Marcos Vater nichts von der Existenz seines Sohnes ahnte. Fragte sich nur, wie weit sie ihr noch vertrauen konnte. Denn eines stand für Maria fest: Emma Reuter verbrachte nicht ohne Hintergedanken einige Wochen bei ihnen.

So muss einem zumute sein, wenn man zum Arzt geht und dort unvermutet eine tödliche Diagnose erhält, dachte sie. Heute Morgen war ihr Leben noch voller Sonne gewesen, nun sah sie nur noch dunkle Wolken.

Wie konnte mir Niklas das antun?, fragte sie sich verzweifelt. Sie konnte sich doch net so in ihm geirrt haben. Und doch musste es so sein. Während sie um ihr verlorenes Kind getrauert hatte, hatte er sich mit einer anderen vergnügt.

Die Hände auf den Tisch gestützt, stand sie auf. Sie steckte die Brieftasche in ihre Schürzentasche und zwang sich zu einem unverbindlichen Lächeln. Als wäre nichts geschehen, kontrollierte sie den Sauerbraten, wechselte ein paar belanglose Worte mit Vroni und verließ die Küche.

Was sollte sie nur tun? Niklas reparierte in der Scheune den Traktor. Alles in ihr drängte sie danach, ihn sofort mit dem Foto zu konfrontieren.

Sie überquerte den Hof, um in die Scheune zu gehen. Mitten auf dem Weg, wechselte sie die Richtung und verließ, begleitet von Mimi, den Hof. Sie brauchte ein paar Minuten für sich, um erst einmal einen klaren Kopf zu bekommen, so weit das überhaupt möglich war.

Die Katze verschwand nach einigen Metern in einer Wiese, um dort auf Mäusejagd zu gehen. Maria setzte sich unter einen Zwetschgenbaum und lehnte sich gegen den Stamm. Den Kopf in den Armen verborgen, verharrte sie dort die nächsten Minuten. Erst als sie sich der Tränen bewusst wurde, die über ihr Gesicht rannen, ließ sie die Hände sinken.

Maria erhob sich, wischte sich mit dem Schürzenzipfel über das Gesicht und kehrte zum Hof zurück. Sie musste sich um ihren Sauerbraten kümmern. Hoffentlich war er nicht schon verbrutzelt! Ihren Mann wollte sie erst mit der jungen Frau auf dem Foto konfrontieren, nachdem sie mit Emma Reuter gesprochen hatte. Sie hoffte, so lange durchhalten zu können.

»Ist was, Maria?«, erkundigte sich Paul Hofstetter besorgt, als seine Schwiegertochter die Gaststube betrat. »Du schaust aus, als wäre dir ein Geist begegnet.«

»Ich hab nur ein bisserl Kopfschmerzen, Vater«, behauptete sie und öffnete die Küchentür.

Vroni stand neben dem Herd und drehte den Sauerbraten um. Als sie Maria bemerkte, sagte sie: »Er wäre fast angebrannt.«

»Danke, Vroni.« Maria starrte aus dem Fenster. Wie sollte sie die nächsten Stunden nur hinter sich bringen? Sie griff sich mit beiden Händen an die Stirn. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte man ihn in eine Schraubzwinge gepresst, die immer weiter zugedreht wurde. Ihr war regelrecht übel. Sie hoffte, sich nicht übergeben zu müssen.

Zum Glück waren die meisten Gäste unterwegs, sodass sie nicht in der Gaststube bedienen musste. Es reichte, sich mit ihrer Familie und den Angestellten an den Tisch zu setzen. Jeder Bissen bedeutete eine ungeheure Qual für sie.

»Du gefällst mir gar net, Schatzerl«, meinte Niklas besorgt. »Ich denke, du solltest dich ein bisserl hinlegen. Wir schaffen die Arbeit auch allein.«

»Ja, es wird besser sein«, sagte Maria. »Ich versuche, ein wenig zu schlafen.«

Er legte seine Hand auf ihre und bemerkte nicht, wie sie unter seiner Berührung erstarrte. »Das wird dir guttun.«

Maria flüchtete regelrecht aus der Küche. Erst als sie einige Minuten später die Schlafzimmertür hinter sich schloss, atmete sie auf. Sie zog sich nur die Schuhe aus, bevor sie sich aufs Bett legte. Da sie ohnehin nicht würde schlafen können, versuchte sie es erst gar nicht. Blicklos starrte sie zur Decke.

Der Tür näherten sich Niklas’ Schritte. Auf Zehenspitzen betrat er das Zimmer und huschte zum Bett. Sie tat, als schliefe sie. Er beugte sich über sie und küsste sie ganz leicht auf die Wange. Unter der Decke verkrampfte sie die Hände im Laken. Es fiel ihr schwer, vor Schmerz nicht aufzuschreien.

***

Emma Reuter und ihr Enkel kehrten erst am Nachmittag von ihrem Ausflug nach Tegernsee zurück. Inzwischen hatten sich auch die anderen Familien auf dem Hof eingefunden. Während die Erwachsenen auf der Terrasse Kaffee tranken, gab Niklas den Kindern Reitstunden.

Von ihrem Balkon aus blickte Maria in den Garten. Sie sah Emma Reuter mit einem Buch auf einer Bank sitzen, die etwas abseits der Terrasse stand.

Maria wusch sich das Gesicht und kämmte sich die Haare. Die Küchenschürze, die sie noch immer trug, band sie ab und warf sie achtlos auf den Boden. Die Brieftasche hatte sie herausgenommen.

Die nächsten Minuten würden über die Zukunft ihrer Ehe entscheiden, das wusste sie. Ihre Füße fühlten sich wie Blei an, als sie sich Stufe für Stufe die Treppe hinunterkämpfte. Ihre Hand umklammerte so fest das Geländer, als wäre sie mit dem Holz verwachsen.

Sie wechselte ein paar freundliche Worte mit den Gästen, die noch auf der Terrasse saßen, bevor sie durch den Garten ging. Emma Reuter blickte erst auf, als Marias Schatten über sie fiel. Sie lächelte ihr entgegen.

»Wir müssen miteinander sprechen, Frau Reuter«, sagte Maria.

»Gern.« Frau Reuter wies auf die Bank. »Wollen Sie sich nicht setzen?«

»Nein, danke!«

»Ist etwas passiert?« Auf der Stirn von Marcos Großmutter bildete sich eine Falte.

Maria hatte die Brieftasche in eine Tüte gesteckt. Sie zog sie hervor. »Sie müssen sie versehentlich im Garten verloren haben, Frau Reuter. Beate hat sie heute Vormittag gefunden.« Die junge Frau beugte sich ihr leicht zu. »Oder haben Sie die Brieftasche absichtlich verloren?«

»Wie kommen Sie denn auf diese Idee, Frau Hofstetter«, fragte Emma Reuter empört.

»Da ich wissen wollte, wem sie gehört, musste ich sie öffnen«, fuhr Maria fort. »Dabei hab ich das Foto entdeckt, dass Ihre Tochter und meinen Mann zeigt.« Sie straffte die Schultern. »Oder ist der Mann auf dem Foto etwa nicht mein Mann?« Maria merkte nicht einmal, wie sich ihre Stimme hob.

»Leugnen würde nicht helfen«, antwortete Emma Reuter, ohne sie anzusehen. »Irgendwann hätte ich ohnehin mit Ihnen und Ihrem Mann darüber sprechen müssen.« Sie nahm das Foto aus der Brieftasche und starrte darauf.

»Ist mein Mann Marcos Vater?« Marias Stimme verlor sich fast.

»Ja, er ist Marcos Vater«, antwortete die Frau, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.

Maria ballte die Hände zu Fäusten. Bis zu diesem Augenblick hatte sie gehofft, alles würde sich noch als Irrtum herausstellen, obwohl sie nicht daran hatte glauben können. Nun musste sie endgültig der Wahrheit ins Gesicht sehen. Und diese Wahrheit raubte ihrer Welt jegliche Farbe.

»Und Niklas weiß nix davon? Ihm hätte zumindest auffallen müssen, dass Marco mit Nachnamen wie die Frau heißt, mit der er mich betrogen hat.«

»Es konnte ihm nicht auffallen. Als Ihr Mann und meine Tochter sich kennenlernten, hieß sie noch Leitner, wie ihr geschiedener Mann. Angelika hat erst kurz vor ihrer Niederkunft ihren Geburtsnamen angenommen.« Emma Reuter wrang die Hände. »Es war nur eine ganz kurze, aus der Verzweiflung geborene Affäre, die Angelika und Ihren Mann verbunden hat. Ihr Mann war genauso verzweifelt wie meine Tochter. Sie waren so in Ihrem Kummer gefangen, dass Sie nicht bemerkten, wie verzweifelt auch Ihr Mann über den Verlust Ihres Kindes gewesen ist.«

»Verzweifelt?« Maria spürte wieder den zusätzlichen Schmerz, den sie damals empfunden hatte, als Niklas drei Wochen nach ihrer Fehlgeburt einfach zu seinem Freund nach Regensburg gefahren war.

»Ja, verzweifelt«, wiederholte Emma Reuter. »Das weiß ich von meiner Tochter. Sie trösteten sich gegenseitig, und dann kam es, wie es …«

»Nein, so hätte es net kommen müssen«, fiel ihr Maria bitter ins Wort. »Beide hätten rechtzeitig eine Grenzlinie ziehen müssen.«

»Ich kann Ihnen nur sagen, was mir meine Tochter erzählt hat.« Frau Reuter blickte ihr ins Gesicht. »In den letzten Jahren hab ich sie wieder und wieder nach dem Namen von Marcos Vater gefragt, sie hat ihn verschwiegen.« Sie strich mit dem Zeigefinger über das Foto. »Ich habe es nach Angelikas Tod in ihren Sachen gefunden. Und ich habe einen der Kugelschreiber gefunden, die Sie Ihren Gästen zur Verfügung stellen.«

Maria kannte diese Kugelschreiber nur zu gut. Auf ihnen standen nicht nur Niklas und ihr Name, sondern auch die Adresse des Landgasthauses. Niklas hatte stets zwei, drei dieser Kugelschreiber dabei.

»Ein von Angelika gebasteltes und mit einem roten Band befestigtes Papierherz hing von ihm hinunter. Sie muss diesen Kugelschreiber wie einen Schatz gehütet haben. Ein Bekannter von mir recherchierte im Internet, und dort fanden wir auch ein Foto von Ihnen und Ihrem Mann.«

»Und wie soll’s nun weitergehen?«, fragte Maria, obwohl sie diese Frage nicht stellen wollte.

»Wie gesagt, ich bin schwer herzkrank. Ich werde nicht mehr lange für Marco sorgen können, und ich möchte nicht, dass er in ein Heim kommt.«

Maria trat einen Schritt zurück.

»Ich wusste mir keinen anderen Rat mehr«, fügte Emma Reuter hinzu. »Marco braucht Menschen, die ihn von Herzen lieben, die ihm das Zuhause geben, das er verdient hat. Die …«

Die junge Frau drehte sich auf dem Absatz herum und lief zum Geräteschuppen. Dort schloss sie sich ein und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Emma Reuter hatte tatsächlich die Stirn, sie mehr oder weniger zu bitten, ihren Enkel aufzunehmen. Wie konnte sie es wagen? Wie … Es gehörte eine ganze Menge Mut dazu, vermutlich der Mut der Verzweiflung. Aber das konnte keiner von ihr verlangen! Nicht unter diesen Umständen!

Erst, als sie sich etwas gesammelt hatte, kehrte Maria ins Haus zurück. Von ihrem Schwiegervater erfuhr sie, dass Niklas mit einer Gastfamilie und Marco in den Gewölbekeller hinuntergestiegen war, um ihn ihnen zu zeigen. Viele der Gäste interessierten sich für den mehrere Jahrhunderte alten Keller.

Paul Hofstetter sah sie forschend an. »Ist alles in Ordnung, Maria?«, fragte er besorgt. »Du schaust aus, als hättest du geweint.«

»Ich hab nur ein bisserl Kopfschmerzen, Vater«, behauptete sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Das geht vorbei.« Sie wandte sich der Küche zu. »Ich hab noch einiges fürs Abendessen vorzubereiten.«

»Es gibt nix, über das du net mit mir sprechen könntest«, sagte der alte Hofstetter.

»Ich weiß. Danke!« Sie verschwand in der Küche.

Während der nächsten Minuten gelang es ihr, sich auf das Kochen zu konzentrieren. Sie hörte sogar Vroni zu, die von ihrer Cousine erzählte, die außer der neuesten Mode nicht viel im Kopf hatte.

Als sie einen Blick aus dem Seitenfenster warf, sah sie, wie Niklas, Marco bei der Hand, mit den Gästen aus dem Gewölbekeller kam. Sie schaltete den Herd kleiner und ging, ohne sich die Schürze abzubinden, ihrem Mann entgegen.

»Kann ich dich sprechen, Niklas?«, fragte sie, als er mit Marco die Gaststube betrat. »Allein!«

Er hob die Augenbrauen. »Lauf zu deiner Oma, Bub«, forderte er den Buben auf.

»Sie ist im Garten, Marco«, sagte Maria. Sie schloss den Kleinen kurz in die Arme. Er konnte ja nichts dafür, dass Niklas sie mit Angelika betrogen hatte.

Paul Hofstetter blickte zu ihnen hinüber. Er wirkte besorgt.