Familie mit Herz 22 - Nora Stern - E-Book

Familie mit Herz 22 E-Book

Nora Stern

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Beschreibung

Wie gebannt hängt der Blick aus den Kinderaugen an der Mutter, die als Primaballerina über die Bühne schwebt. Einmal so tanzen können, wünscht sich die sechsjährige Marisa, nur ein einziges Mal in ihrem Leben! Alle Schmerzen würde das Kind dafür ertragen ...

Vera Frey sieht von der Bühne, wie der Körper ihres Kindes von heftigen Schluchzern geschüttelt wird und wie die Tränchen über ihre zarten Wangen kullern, und Veras Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Wie gern würde sie Marisas brennendsten Wunsch erfüllen, doch die Ärzte machen ihr keine Hoffnung. Marisa wird für immer auf den Rollstuhl angewiesen sein ...

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Seitenzahl: 109

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Inhalt

Cover

Impressum

Weil es noch Wunder gibt

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: GlobalStock / iStockphoto

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6475-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Weil es noch Wunder gibt

Marisa möchte Tänzerin werden – doch sie ist an den Rollstuhl gefesselt

Von Nora Stern

Wie gebannt hängt der Blick aus den Kinderaugen an der Mutter, die als Primaballerina über die Bühne schwebt. Einmal so tanzen können, wünscht sich die sechsjährige Marisa, nur ein einziges Mal in ihrem Leben! Alle Schmerzen würde das Kind dafür ertragen …

Vera Frey sieht von der Bühne, wie der Körper ihres Kindes von heftigen Schluchzern geschüttelt wird und wie die Tränchen über ihre zarten Wangen kullern, und Veras Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Wie gern würde sie Marisas brennendsten Wunsch erfüllen, doch die Ärzte machen ihr keine Hoffnung. Marisa wird für immer auf den Rollstuhl angewiesen sein …

Die sechsjährige Marisa klatschte begeistert Beifall, als sich der schwere Vorhang im Budapester Opernhaus nach den Schlusstönen des Balletts »Carmen« senkte.

Britta Gerbauer war die Betreuerin des Kindes. Jetzt legte sie ihm sanft die Hände auf die Schultern und meinte leise: »Wenn du möchtest, bringe ich dich nun zu deiner Mami in die Garderobe.«

Marisa nickte. Doch die Begeisterung in ihren Augen erlosch. Sie wusste, dass es für Britta ziemlich anstrengend war, den Rollstuhl durch die schmalen Gänge des Theaters zu schieben, wenn das Publikum einmal aufgebrochen war.

»Warte, Britta«, bat die Kleine deshalb. »Warte, bis nicht mehr so viele Menschen nach draußen drängen.«

»Aber Spatz! Für uns beide bleibt doch Platz genug«, versuchte Britta, ihren Schützling aufzumuntern. »Deine Mami freut sich doch, wenn du sie schon in der Garderobe erwartest. Der Beifall wird zwar noch anhalten, aber wenn sie kommt und dich sieht, ist ihr das wichtiger als aller Applaus.«

Marisa nickte. »Na gut, wenn du meinst …«

Während Britta dann den Rollstuhl zur Künstlergarderobe schob, träumte Marisa davon, selbst die rote Hibiskusblüte der Carmen im Haar zu haben und den roten, weit schwingenden Rock der Zigeunerin zu tragen. Fast unhörbar summte sie die »Habanera« vor sich hin.

Erst als Britta die Garderobentür öffnete, fand Marisa in die Wirklichkeit zurück.

»Wie schön!«, rief die Kleine begeistert, als sie das Blumenmeer sah.

Begeisterte Fans hatten ihrer Mami die vielen Sträuße geschickt. Körbe voller Nelken, Rosen und Lilien standen neben Vasen mit kunstvollen Orchideen-Arrangements, der Duft berauschte einen regelrecht.

Da ging die Tür auf, und Vera Frey kam herein. Über ihrem Kostüm trug die begnadete Primaballerina jetzt einen flauschigen Bademantel. Mit glänzenden Augen eilte sie sofort auf Marisa zu und schloss sie zärtlich in die Arme.

»Na, wie hat es dir gefallen, Sternchen?«

»Du warst toll, Mami!« Marisa lächelte stolz, doch ihre Augen blieben ernst.

»Noch zwei Abende, dann geht es erst mal nach Hause«, rief Vera fröhlich. »Ich freue mich schon darauf!«

»Ich mich auch!« Marisa klatschte in die Hände. »Ich sitze doch so gern am Wasser. Und die Enten vermissen mich bestimmt schon.«

Vera streichelte Marisas Wange. »Wir werden, so oft es irgend möglich ist, auf unserem Lieblingsplatz sitzen, ich werde dir Märchen vorlesen, und wir können zusammen Musik hören. Die Töne tragen uns hinaus auf die Alster, und in unserer Fantasie können wir die Segelboote begleiten.«

Marisa nickte, doch im nächsten Augenblick lief ein Schatten über ihr hübsches Gesichtchen.

»Wie lange machst du diesmal Pause, Mami?«, wollte sie wissen.

Vera küsste sie auf die Stirn. »Diesmal haben wir viel, viel Zeit, bis ich in der Staatsoper in Wien tanze.«

Jemand klopfte an der Tür, und Britta öffnete. Draußen stand eine der Garderobieren mit noch mehr Blumen.

»Stellen Sie sie hierhin«, bat Vera und wies auf das letzte freie Eckchen des Tisches. Dann wandte sie sich wieder ihrem Töchterchen zu: »Ich beeile mich jetzt beim Umziehen, dann fahren wir zum Essen auf die Margarethen-Insel. Frank hat für uns vier einen Tisch in einem Restaurant reservieren lassen.«

Ein feines Lächeln spielte bei der Erwähnung von Franks Namen um Brittas Mundwinkel. Mit dem persönlichen Agenten der Tänzerin verband die junge Kinderfrau der kranken Marisa seit einigen Monaten mehr als schlichte Freundschaft. Vera, für die Britta gleichzeitig die beste Freundin war, gönnte ihr das Liebesglück.

Während Vera nun duschte und danach in das dunkelgrüne Kleid schlüpfte, half Britta ihrem Schützling in das zum Kleidchen passende Samtjäckchen.

»Du siehst wunderhübsch aus, mein Schatz«, erklärte sie liebevoll.

Das Kind nickte nur. Marisa dachte an ihre Mama: Die war nicht nur hübscher als sie. Sie konnte etwas, das sie, Marisa, wohl niemals können würde: tanzen nämlich! Sie konnte ja noch nicht einmal gehen …

***

Eine Woche später saßen Marisa und ihre Mutter dann wirklich am Alsterufer. Zu der schönen Hanseatenvilla, die Vera noch vor Marisas Geburt gekauft hatte, gehörte ein weitläufiges Grundstück, das direkt ans Wasser grenzte.

Zwischen tief hängenden Weidenzweigen und verblühenden Rhododendren hatte Vera außerdem ein hübsches Gartenhaus errichten lassen. Vor dem Pavillon standen Gartenmöbel bis unmittelbar ans Wasser. Hier fühlte sich Marisa besonders wohl. Die Enten kamen so nahe heran, dass das Kind sie mühelos füttern konnte.

Auch jetzt schnappten die Enten gierig nach den Brotstückchen, die Marisa ihnen zuwarf. Dabei lauschten Mutter und Kind den Tönen von »Peter und der Wolf«, dem bekannten musikalischen Märchen von Sergej Prokofieff.

Marisas zarter Körper wiegte sich im Takt, rhythmisch klopften die Fingerchen der freien Hand auf die Armstütze des Rollstuhls. Am liebsten wäre das Kind aufgesprungen und hätte sich im Kreis gedreht. Doch schmerzhaft wurde der Kleinen bewusst, dass sie ja nicht einmal auf ihren schwachen Beinchen stehen konnte. Sofort verdüsterte sich ihr Gesicht, und sie drückte auf den Aus-Knopf des CD-Players.

»Gefällt dir die Musik nicht?«, wunderte sich Vera.

Marisa schüttelte den Kopf. »Nein, Mami! Ich mag keine Musik mehr«, erklärte sie trotzig und traurig zugleich.

Vera seufzte. Sie wusste, wie gern ihr Töchterchen tanzen würde …

»Sternchen, du sollst den Kopf nicht hängen lassen«, sagte sie sanft. »Eines Tages werden wir einen Arzt finden, der dich gesund macht. Bis dahin könntest du ja versuchen zu singen. Was hältst du von meinem Vorschlag?«

»Nichts«, gab Marisa störrisch zurück. »Ich will ins Haus!«

»Na gut.« Federleicht war Marisa, mühelos konnte ihre Mutter sie über den grünen Rasen in das luftige Wohnzimmer der Villa schieben. Vera platzierte den Rollstuhl gleich neben der Terrassentür. Durch das Laub der Bäume konnte die Kleine die Segler auf der Alster beobachten.

Britta Gerbauer hatte einen leichten Imbiss vorbereitet. Sie schob den Teewagen herein.

»Danke, Britta!«

Vera griff nach der Karaffe und schenkte für sich und ihr Kind frisch gepressten Orangensaft ein. Anschließend reichte sie Marisa ein Stück der Biskuitroulade, die sie selbst gebacken hatte, während die Kleine ihr Mittagsschläfchen gehalten hatte. Vera, die nie dazu gekommen war, sich besondere hausfrauliche Qualitäten anzueignen, hatte es sich nicht nehmen lassen, das Lieblingsgebäck ihrer Tochter selbst zu backen und mit der besten Brombeerkonfitüre zu füllen, die Britta hatte auftreiben können.

Dennoch lag immer noch ein Schatten über Marisas Gesichtchen. Jener Schatten, der vor allem der Mutter ans Herz ging, aber der auch Britta bedrückte.

Gleich nach der Scheidung von Philip, Marisas Vater, hatte Vera die zweiundzwanzigjährige Britta Gerbauer eingestellt. Die junge Frau sollte sich vor allem um das kranke kleine Mädchen kümmern, doch Britta machte es auch Spaß, sich im Haushalt nützlich zu machen.

Ein betrübter Seitenblick der erfolgreichen Primaballerina streifte die kleine Marisa, die mit einer äußerst seltenen Abnormität der Rückenwirbel zur Welt gekommen war und deshalb im Rollstuhl sitzen musste. Nur zu gut wusste Vera, wie sehr sich das Kind wünschte, laufen zu können.

Vera hatte bereits alle führenden Ärzte, Chirurgen und Orthopäden auf der ganzen Welt aufgesucht, doch keiner von ihnen hatte sich an die komplizierte Operation gewagt. Sie alle waren überzeugt, dass Marisa einen derartigen Eingriff kaum überleben würde.

»Eines Tages vielleicht«, hatte man Vera Hoffnung gemacht. »Eines Tages, wenn die Medizin weiter fortgeschritten ist …«

Um ein Haar hätte Vera jetzt bitter aufgelacht, stattdessen jedoch schlang sie die Arme um Marisa und sagte weich: »In zwei Tagen beginnen unsere Ferien in Tetenbüll, Spatz. An der Nordsee wird es dir sicher gefallen!«

Marisa nickte ernsthaft. »Ja, Mami! Und ich bin auch gar nicht traurig, dass Britta diesmal nicht mitkommt.«

Das Kindermädchen warf seinem Schützling einen überraschten Blick zu.

»Ich werde dir also gar nicht fehlen?«

»Doch!« Das kleine Mädchen im Rollstuhl streckte die Ärmchen nach Britta aus. »Fehlen wirst du mir schon. Aber du hast mir doch erzählt, dass du Sehnsucht nach deiner Mama hast. Und das ist sicher schlimm. Also fahr zu ihr.«

Wieder einmal staunten Britta und vor allem Vera über die Verständigkeit der Sechsjährigen.

***

Ein frischer Wind wehte vom Wasser her über die Deiche, hinter denen sich malerische, reetgedeckte Häuser duckten.

Marisa zog fröstelnd die schmalen Schultern hoch. Sofort hängte die Mutter ihr die warme, flauschige Wolljacke über das Sweatshirt.

»Ist es jetzt besser, Sternchen?«, erkundigte sich Vera besorgt.

Die Kleine lächelte. »Mir geht es prima, Mami! Lass uns noch ein bisschen weitergehen, ja? Vielleicht kommen wir heute bis zum Leuchtturm.«

»Wenn du ihn wirklich sehen möchtest …« Vera, die in den Jeans und dem wollweißen Pullover, den sie dazu trug, eher aussah wie eine ältere Schwester des Kindes als dessen Mutter, schob den Rollstuhl nun zügig die Deichkrone entlang.

Marisa war still geworden. Sie genoss die salzige Luft und das leise Plätschern der auslaufenden Flut, lauschte auf das Möwengeschrei und fixierte immer die Spitze des rot-weißen Leuchtturms von Westerhever, der zwar zum Greifen nahe schien, aber doch noch ein ganzes Stück entfernt war. Schafe blökten, und das Kind spürte die Ruhe und den Frieden, die diese bescheidenen Tiere verbreiteten.

Auch Vera hing ihren Gedanken nach. Sie fragte sich, ob sie sich eigentlich noch nach Philip sehnte, mit dem sie doch einmal so glücklich gewesen war, schüttelte dann aber den Kopf.

Philip und sie waren sich begegnet, als sie beide erst ganz am Anfang ihrer Karriere als Tänzer standen. Der junge Engländer war fasziniert von Vera gewesen, die schon damals mühelos, wenn auch nicht perfekt, schwierige Passagen getanzt hatte.

Mit demselben Ballett waren sie dann als »Romeo und Julia« auf ihre erste Tournee gegangen. Während dieser Wochen hatten sie ein wenig überstürzt geheiratet. Philip hatte sich sehnlichst ein Kind gewünscht, doch erst als Vera wusste, dass sie schwanger war, hatte sie seine wahren Beweggründe erkannt: Philip neidete ihr den Erfolg! Denn die begabte Vera überholte ihn rasch im Können, und der begeisterte Erfolg des Publikums galt immer öfter ihr und nicht ihrem Partner und Ehemann.

Der auf Veras Erfolg eifersüchtige Philip dachte tatsächlich, ihre Karriere durch Schwangerschaft und Geburt beenden zu können. Doch Vera hatte zwar Marisa das Leben geschenkt, aber trotzdem weiter an sich gearbeitet, sodass sie schon zwei Monate nach der Geburt wieder auf der Bühne gestanden hatte.

Das hatte Philip nicht verkraftet. Von einem Tag auf den anderen hatte er Frau und Kind verlassen und war zurückgekehrt in seine englische Heimat, wo man ihn an einem kleinen Provinztheater als Choreografen angestellt hatte.

Vera hatte Philips Handlungsweise erstaunlich gelassen aufgenommen. Doch als sich herausstellte, dass Marisa wahrscheinlich für immer an den Rollstuhl gefesselt sein würde, war sie nahe daran gewesen zu verzweifeln.

»So, Sternchen, jetzt sind wir gleich da.« Vera blieb stehen.

Auch ihr gefiel der Blick auf die Leuchtturmanlage von Westerhever. Die beiden weißen Häuser mit ihren braunen Reetdächern wirkten verschwindend klein vor dem mächtigen Turm.

»Früher hat das Blinkfeuer die Schiffe geleitet«, erklärte sie ihrer Tochter.

»Und heute?«, wollte Marisa wissen.

»Heute sind die Schiffe alle mit Radar ausgestattet«, antwortete Vera. »Das Blinkfeuer ist nur mehr eine Erinnerung an die Seefahrt, wie sie früher einmal war.«

»Damals haben die Seeleute auch Meerjungfrauen und Seegeister gesehen, oder?«

Marisa bekam bei dieser Vorstellung ganz rote Wangen vor Aufregung, und ihre Augen glänzten, als die Mutter ihr von Ekkenekkepen erzählte, dem Wassermann, der zwar so manches Schiff vor dem Untergang gerettet hatte, aber auch boshaft sein konnte.

Einige Male umkreiste Vera mit der Kleinen die alte Leuchtturmanlage, dann schlug sie vor: »Machen wir uns auf den Rückweg.« Sie zwinkerte Marisa zu. »Ich habe nämlich Hunger! Und du sicher auch.«

Diesmal ging es nicht über den Deich zurück, sondern Vera wählte den Weg durch die Dörfer.

Im ersten der malerischen Gasthöfe kehrten sie ein. Vera, die sonst streng Diät hielt, schlug diesmal über die Stränge: Sie genoss die knusprig gebratenen Schollen, die Bratkartoffeln und die riesige Salatportion. Marisa hingegen stocherte lustlos auf ihrem Teller herum.

»Schmeckt dir der Milchreis nicht? Oder die Früchte?«, erkundigte sich Vera.

Marisa zuckte die Schultern. »Ich hab keinen Hunger, Mami.«

Vera seufzte verhalten, sagte dann aber zuversichtlich: »In einigen Tagen wirst du alles nachholen. Ich bin sicher, dass dich die Seeluft hungrig machen wird.«

Für den schlanken Mann mit dem brünetten Haar und den dunklen Augen, der an einem Nebentisch saß und sie eingehend beobachtete, hatte sie keinen Blick.

Mark Leregger hingegen hatte die berühmte Tänzerin erkannt und sann über eine Gelegenheit nach, sich mit ihr bekannt zu machen.

Diese Gelegenheit sollte sich ihm schon am späten Nachmittag bieten …

***