Heißer Flirt im Gepäck - Manuela Lewentz - E-Book

Heißer Flirt im Gepäck E-Book

Manuela Lewentz

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Beschreibung

"Das Leben, so meine Überzeugung, kann grandios sein, von herrlich leicht bis in der Liebe verrucht", so Lydia Lowere, Lottes Tante. Statt eines gemütlichen Mädelsabend mit Prosecco und Chips in Lottes Garten, starten die Freundinnen zu einer Kreuzfahrt. Abenteuer sind das Feuer im Leben, so Lottes Credo. Nebenbei erhofft sich Lotte, an Bord einen netten Mann zu treffen. Nicht gerechnet hat sie mit dem Tumult, der sich anbahnt, und ebenso wenig mit dem netten Kellner, der ihr Rotwein serviert. Für eine gehörige Portion Aufregung sorgen die Worte von Vincenz. Doch nicht nur er bringt die Stimmung zum Knistern. Dafür sorgen auch die Überraschungsgäste, die Herzen höher schlagen lassen. Humorvoll und spannend zugleich, der neue Roman von Manuela Lewentz.

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Inhaltsverzeichnis

Lotte

Florian

Petra

Lotte

Petra

Samstag Karin

Vincenz

Rosalinde

Karin

Lotte

Johann

Florian

Anton Wall

Lotte

Anton Wall

Vincenz

Johann

Vincenz

Florian

Ina

Lotte

Florian

Franz

Lotte

Hermann Josef von Breggele

Lotte

Lotte

Abenteuer sind das Feuer im Leben! Beflügelt von dieser Idee beschreite ich gerne neue Wege. Mit meiner Kontaktanzeige, die ich unter die Überschrift Suche Mann zum Renovieren gestellt hatte, fing alles an. Die Antworten auf meine Kontaktanzeige flogen regelrecht in meine Hände. Der Briefträger kam täglich und mit ihm kamen die Wünsche der Herren in mein Haus. Bei Prosecco und Chips wurden die Schreiben feierlich geöffnet. Immer an meiner Seite weilten meine Freundinnen Karin, Petra und Ina. Was nur hätte ich ohne sie gemacht? Wie würde ich heute dastehen ohne meine Mädels? Jede Frau braucht ihre Freundinnen, die gemeinsamen Abende, ohne dass ein Mann hineinredet oder bestimmt, wann der Abend sein Ende findet. Für mich sind meine Freundinnen wie eine Familie, eben ein Teil von mir. Mit niemandem kann ich so ungeniert meine Gedanken und Wünsche teilen, meinen Frust über eine gescheiterte Liebe ebenfalls.

Ich hole Luft, sinniere kurz über meinen Versuch, Franz mit roten Dessous zu verführen. Wie befreiend, dass ich inzwischen über den weiteren Verlauf dieses Abends lachen kann. Ein Mann, der nicht auf die Verführungskünste seiner Freundin anspringt, dafür lieber in seinen Bratkartoffeln stochert, ist nicht gerade ein Hauptgewinn. Seit diesem Erlebnis gehe ich Franz aus dem Weg, zumindest versuche ich dies. Fazit aber ist, ich habe ihn mehr als nur einmal unter dem Einfluss von Prosecco angerufen und geweint. Peinlich, so mein Resümee, doch ich bin nun einmal eine spontane Person und gefühlsbetont dazu. Ob ich Franz sein Verhalten verzeihen kann, hat Ina mich beim letzten Treffen gefragt. Zögerlich habe ich mich gewunden, bin der Antwort aus dem Weg gegangen und glücklicherweise hat im Anschluss Petra von der neusten Gemüsediät angefangen zu berichten. Somit war ich außen vor.

Die Tätigkeit in meinem Café ist der Weg zu vielen Menschen, ebenso meine Aufgabe, für die Frauenzeitschrift zu schreiben. In diesem Zusammenhang fällt mir meine noch ausstehende Kolumne für die Frauenzeitschrift ein: Lerne zu verzeihen, so der Titel. Richtigen Gefallen kann ich nicht an der neuen Aufgabe finden, möchte mich am liebsten schon heute in den Urlaub abmelden, um der Verantwortung zu entkommen. Um noch etwas Zeit zu schinden, eile ich zunächst zu meinem Kühlschrank. Die Marzipantorte, die ich aus dem Café mitgenommen habe, fällt mir ins Auge. Unvermittelt fällt mein Blick auf die Küchenuhr. Für diese Kalorienzufuhr, so mein Gewissen, ist es noch zu früh. Mit einem Stück Käse, das ich noch in meinem Kühlschrank finde, setze ich mich anschließend vor meinen Laptop und plötzlich sprudeln die Worte aus mir heraus.

Lerne zu verzeihen

Meine lieben Leserinnen. Immer ich, möchte ich am liebsten schreien. Meine Chefredakteurin hat mir wieder einmal eine Aufgabe übertragen, die zumindest für mich sehr schwierig zu erfüllen scheint. Der naheliegendste Gedanke führt mich zu Franz, den die meisten von Ihnen schon von anderen Kolumnen kennen. Mir tut es immer wieder gut, Ihre Antworten zu lesen und zu spüren, mit meinem Liebesleben, das oft aus den Fugen läuft, bin ich nicht allein. Bin ich beziehungsunfähig? Franz hat mich verletzt, sein Verhalten und die Kälte, die er mich hat spüren lassen, sitzen noch tief in meinem Herzen. Erst neulich waren wir uns noch ganz nah und dann dieser Sinneswandel. Franz kam es nie in den Sinn, sich für unsere Beziehung zu verbiegen, einmal richtig einzubringen, was ich mir gewünscht habe.

Was schreibe ich nur? Verbiegen möchte ich mich auch nicht, unter keinen Umständen. Das hat nichts mit Liebe und Leidenschaft zu tun. Die Liebe soll uns doch tragen, schweben lassen wie auf einer Wolke und uns das schöne Prickeln im Magen schenken, diese Schmetterlinge im Bauch, die zu Beginn einer neuen Liebe zu spüren sind. Meiner Meinung nach, müsste es doch zu schaffen sein, diese Schmetterlinge über Jahre zu spüren. Meine Freundin Ina sagt, das kostet Kraft und Mühe. Bin ich zu unachtsam gewesen? Achtung und Liebe sollten doch schaffen zu verwirklichen, was ich mir sehnsüchtig wünsche. Fordere ich zu viel?

Einen Mann, der mich buchstäblich auf seinen Händen durch das Leben trägt, werde ich niemals finden, dessen bin ich mir bewusst. Ebenso der Gewissheit, dass mir solch ein männliches Exemplar schnell langweilig würde. Franz, so darf ich offen zugeben, hat mich als Frau mehr als nur angezogen und ich wünschte mir, den Tag mit den roten Dessous und dem anschließenden Streit könnte ich aus meinem Gedächtnis verdrängen. So einfach wie es sich schreibt, das Vergessen und Verzeihen, gelingt es mir leider nicht. Kann ich überhaupt richtig verzeihen?

Dazu gehört unweigerlich auch, vergessen zu können, was uns an dem Menschen gestört hat, den wir glaubten oder glauben zu lieben. Bevor ich diese Frage für mich geklärt habe, will ich mir eine kleine Auszeit gönnen. Für Sie, meine Leserinnen, bin ich jedoch erreichbar.

Die Einladung von Vincenz, meinem väterlichen Freund, zu einer Kreuzfahrt, kam für mich im richtigen Augenblick. Ohne Zögern habe ich sein großzügiges Angebot angenommen. Seit ich weiß, es geht auf Reisen, bin ich aufgedreht, im positiven Sinne. Mein roter Bikini vom letzten Jahr kommt in jedem Fall in den Koffer. Das sündige Rot hat mir, wenn auch einmal wieder nur kurzfristig, lustvolle Momente beschert. Beim Anprobieren, gestern am Abend, war ich happy, noch in den Bikini zu passen. Hierfür gibt es auch einen Grund: Inzwischen habe ich mich aufgerafft, öfter Sport zu treiben. Das war die Idee meines Ex-Freundes, der sich mit Sicherheit auch um meine weibliche Figur gesorgt und den Verzehr meiner Chipstüten pro Woche als Gefahr angesehen hat. An dieser Stelle habe ich wieder Franz in meinem Kopf. Während meine Freundinnen Ina, Petra und inzwischen auch Karin ihr privates Glück gefunden haben, bleibt es mir noch verborgen. Ich verliebe mich so gerne, kann mich, sobald die Schmetterlinge in meinem Bauch anfangen zu flattern, so richtig dem süßen Leben, dem Gefühl, das nur die Liebe einem Menschen schenkt, hingeben. Alles gelingt mir dann, wie von Zauberhand gelenkt. Mein Äußeres untermalt noch diesen glückseligen Zustand, lässt mich strahlend und mit reiner Haut durch die Welt marschieren. Immer in der Gewissheit, das Leben ist nur schön. Ein Adrenalinschub, wie ich dieses Hoch gerne nenne. Von Herzen möchte ich diese gute Laune, das Gefühl, mir ist nichts zu viel und ich bleibe auch bei einem Sturm noch gelassen, ständig in mir tragen. Meine Liebe ist leider immer wieder von Höhen und Tiefen geprägt. Mir ist aber völlig klar, damit stehe ich nicht allein.

Was, so frage ich mich, habe ich zu erwarten, wenn ich Franz sein Verhalten verzeihe? Über diese Frage werde ich nachdenken, auch während ich meinen Koffer für die anstehende Reise packe.

Meine lieben Leserinnen, Sie lesen und hören von mir!

Herzliche Grüße

Lotte

Beim Ausschalten meines Laptops geht eine SMS auf meinem Handy ein. Petra möchte wissen, ob ich am Abend Zeit habe, mit ihr in die kleine Pizzeria in Limburg zu gehen. Rasch sende ich meine Antwort zurück:

Zeitlich perfekt getimt erhalte ich deine liebe Nachricht. Meine Hüften schreien unvermittelt ein lautes Ja! Sie freuen sich schon auf die leckere Kalorienzufuhr am Abend. Gruß Lotte

Dein Optimismus gefällt mir, er wirkt ansteckend auf mich. Allerdings kannst du auch einmal einen Salat essen, so wie ich es tue, meine Liebe! Bis zum Abend und liebe Umarmung, Petra.

Diese Nachricht schreit noch nach einer Reaktion von mir und rasch tippe ich diese in mein Handy.

Liebe Petra, um einen Salat zu essen, kann ich auch zu Hause bleiben. In meinem Garten wachsen so viele grüne Blätter, dass wir eine Woche davon leben könnten. Mir ist allerdings nicht daran gelegen, den süßen Kaninchen, die sich gerade in meinem Garten so ausbreiten, ihre Nahrung wegzuessen. Was mich betrifft, so soll mir am Abend eine saftige, dicke Pizza mit viel Käse vor die Augen kommen. Freue mich schon auf dich!

Zufrieden stecke ich mein Handy in die Hosentasche. Meine Kolumne ist abgesandt und ich schwebe auf einer Wolke der Hoffnung. Mein Café schenkt mir monatlich eine gute Rendite. Der neue Vertrag von meiner Chefredakteurin, Frau Krautwinkel, lässt mich in der Gewissheit schwelgen, genügend Geld für kleine Extras zu verdienen. Ein zweites Standbein zu haben, gibt mir Sicherheit. Innerlich muss ich lachen über meine Gedanken. Früher habe ich solche Gedanken nicht gehegt und Menschen, die so an ihre Absicherung dachten, belächelt. Ob sich Frau ab Vierzig doch ändert, körperlich wie geistig? Automatisch schüttele ich meinen Kopf. Nein! Ans Älterwerden möchte ich noch nicht denken, ich stecke doch in den besten Jahren einer Frau.

Meine Schritte lenke ich in mein Schlafzimmer. Grinsend fällt mir ein Stapel neuer Kleidung ins Auge, der auf meinem Bett liegt und darauf wartet, für die Reise einen Platz in meinem Koffer zu finden. Der Anblick bringt mir nicht nur Freude, er erinnert mich an den gestrigen Tag mit Petra. Mit ihr war ich in der kleinen Boutique in Limburg zum Einkaufen. Gebannt blicke ich auf mein Bett. Die gesamte Ausbeute meines Einkaufbummels liegt nun auf meinem Bett, zumindest auf der Seite, die sonst Franz gehörte. Ich zucke leicht mit den Schultern bei der neuerlichen Erinnerung an ihn. Um mich selbst abzulenken, nehme ich den neuen Minirock in meine Hände. Das Blumenmuster hat mich magisch angezogen. Amüsiert streife ich den Rock und das neue Top über. Freudig blicke ich in meinen Spiegel. „Es geht doch noch!“ Meine Selbstmotivation trägt Früchte. Überschwänglich greife ich nach meiner Tasche, eile die Stufen bis zum Erdgeschoss hinunter und verlasse mein Haus. Hatte ich noch kurz zuvor in Erwägung gezogen, meinen Koffer für die Reise zu packen, verwerfe ich diesen Gedanken wieder. Mir ist nach Unterhaltung und bis zu dem Treffen mit Petra bleibt noch sehr viel Zeit. Jetzt denke ich mir, zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf, wenn ich niemanden zum Reden habe. Die wenigen Meter bis zu Ina sind rasch genommen.

Meine Freundin wohnt in der gleichen Straße wie ich, uns trennen gerade einmal hundert Meter Luftlinie. Vor dem Haus angekommen, bleibe ich kurz stehen und blicke an mir hinunter. Beglückt und zufrieden mit dem Ergebnis und ganz mit mir im Reinen, eile ich durch Inas Garten. Unbedingt möchte ich meiner Freundin zeigen, was ich für die gemeinsame Kreuzfahrt eingekauft habe. Ina wird Augen machen, davon bin ich schon auf dem kurzen Weg überzeugt.

Was Franz nur sagen würde, wenn er mich jetzt so sehen könnte? Sicherlich wäre er ganz hingerissen und angezogen von meinem Anblick. Wahrscheinlich würde er mich am liebsten sofort mit in das Schlafzimmer ziehen und ausziehen. Dieser Gedanke gefällt mir. Unser Sex fehlt mir, das kann ich nicht leugnen. Traurig bleibe ich vor Inas Haus stehen. Der Mann tut mir dauerhaft nicht gut und doch muss ich zugeben, ihn zu vermissen. In meinem Kopf herrscht wieder einmal Chaos!

Ich schnappe nach Luft, drücke auf die weiße Klingel, die mich hoffentlich in Inas Welt eintauchen lässt. Einen Augenblick muss ich warten und nutze diese Pause, um mich umzusehen. Inas Garten ist so ganz anders als meiner. Für meinen Geschmack ist hier alles schon zu akkurat und ordentlich. Heimlich nenne ich dieses Refugium Inas Last, wie sonst kann ich etwas bezeichnen, das einem so viel Arbeit bereitet. Mein Garten ist Natur pur, verwildert, alles passt genauso zu mir. In diesem Kleinod verbringe ich herrliche Stunden der Entspannung und Erholung, gerne auch am Abend mit einem Glas Wein.

„Lotte? Bist du auf Männersuche?“ Meine liebe Freundin Ina stellt mir diese Frage, nachdem sie mir die Tür geöffnet hat. Ihr Blick spricht Bände. „Der Rock ist viel zu kurz für dein Alter!“ Ihr anschließender und erneuter Blick über meinen Körper unterstreicht ihre Worte.

„Wen interessiert das? Immerhin kann ich mir einen kurzen Rock doch noch gut leisten.“ Mit diesen Worten eile ich an meiner Freundin vorbei, drehe mich im Flur aber wieder zu ihr um. „Wie ich mich auf die Kreuzfahrt freue, Ina! Wir werden eine fantastische Woche erleben. Denk nur an das leckere Essen, das wir erwarten dürfen! Die Fotos auf dem Reiseprospekt haben mir schon das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Wir werden im Anschluss Sport machen müssen, Ina, ich sage es dir voraus.“ Beschwingt und mit viel Vorfreude strahle ich meine Freundin an.

Die stemmt allerdings ihre Arme in die Hüfte. „Lotte! Es liegt doch an dir, was du isst und ob du zunimmst. Mit der gehörigen Portion Disziplin …“

„Das Wort solltest du doch aus deinem Sprachgebrauch streichen“, blicke ich meine Freundin mahnend an. „Wir sind doch noch jung und können die Welt einmal aus den Fugen geraten lassen.“

„So ganz kann ich dir und deinen Worten nicht zustimmen.“ Ina bleibt noch immer in der Tür stehen. „Ich packe gerade meinen Koffer.“

„Wie schön! Dann helfe ich dir und kann dich gerne in Sachen Mode beraten.“

„Auch das halte ich für keine gute Idee“, zögerlich sieht sie mich an. „Aber wenn du schon einmal bei mir bist“, höre ich zaghaft über ihre Lippen kommen. Im Anschluss nimmt Ina mich mit in ihr Schlafzimmer. In der Tür zum Zimmer fällt mein Augenmerk auf Inas Unterwäsche, die fein säuberlich sortiert auf ihrem Bett liegt.

„Solide gute Baumwolle“, hebe ich einen großen Schlüpfer, der hautfarben neben ihrem Koffer wartet, in die Höhe. „Das Teil willst du nicht wirklich mitnehmen? Ich würde mich schon schämen, so einen Schlüpfer der Marke Rühre mich nicht an zu kaufen, geschweige denn zu tragen.“

„Du bist mir ein Rätsel, Lotte!“, keift Ina mich an, zieht zeitgleich ihren Schlüpfer an sich, faltet das gute Stück und legt es in den Koffer. Wortlos beobachte ich meine Freundin. Auch, als Ina vier weitere baumwollene Schlüpfer in Hautfarbe einpackt, übe ich mich in Schweigsamkeit. Erst als ich die passenden BHs sehe, die ihren Platz neben den Schlüpfern finden, kann ich nicht mehr schweigen.

„Trägst du nie etwas Schärferes? Ina, wirklich! Du hast doch eine gute Figur und kannst in jedem Geschäft kaufen, was du möchtest. Muss es die Ware für eine Großmutter sein, die du mitnimmst?“ Irritiert blicke ich meine Freundin an. „Dafür sind wir doch noch viel zu jung, Ina! Für mich läuft diese Wäsche unter der Rubrik Liebestöter. Was nur sagt dein Freund dazu? Will Johann dich nicht einmal wieder in etwas Reizvollerem sehen? So wie zu Beginn eurer Freundschaft?“

„Hör zu, Lotte!“ Ina rollt ihre Augen. Mein Handy klingelt in dieser, für mich grotesken Situation. Die Nummer auf meinem Display ist mir nicht bekannt, neugierig nehme ich das Telefonat entgegen. „Ja, hallo?“, trällere ich gut gelaunt und drehe mich zu Inas Schlafzimmerfenster um, blicke hinaus in ihren ordentlichen Garten.

„Haben Sie noch ein Stück Marzipantorte für mich?“ Die raue Männerstimme klingt nicht unsympathisch und ich reagiere locker und gelassen auf diese Frage. Lachend gehe ich einige Schritte in Inas Schlafzimmer auf und ab. „Marzipantorte möchten Sie von mir?“ Erneut muss ich lachen. „Sie wollten sicherlich im Café anrufen? Die Nummer kann ich Ihnen selbstverständlich geben und ich bin überzeugt, Ihren Wunsch wird man Ihnen erfüllen können. Marzipantorte ist ständig im Verkauf, unser Renner sozusagen unter den süßen Köstlichkeiten.“ Inas Blick haftet an mir, was mich kurz ablenkt.

„Nein! Sie verstehen mich falsch.“ Die Stimme klingt aufgeregt, was mich jetzt verwundert und zeitgleich meine Aufmerksamkeit weckt. „Ich habe ganz bewusst diese Handynummer gewählt“, darf ich als nächstes hören. Diese Worte kann ich nicht sogleich zuordnen und schweige einen Moment. „Mir liegt viel daran, die Marzipantorte aus Ihren Händen zu erhalten.“

„Gut.“

„Gut?“

„Ja!“

„Sie sind einverstanden?“

„Womit?“

Ina, die wie versteinert vor ihrem Koffer steht, schon längst in ihrer Bewegung innehält, blickt mich intensiv an. Mir ist selbst bewusst, meine Wortwahl und die ganze Unterhaltung mit dem Unbekannten sind nicht gerade als hohes Niveau einzustufen. „Wir sollten unsere Unterhaltung noch einmal von vorne anfangen. Mein Name ist Lotte Wolke“, sage ich höflich, „Bitte erklären Sie mir noch einmal und in Ruhe, was ich für Sie tun kann!“

„Sie haben einen schönen Namen“, darf ich als Antwort hören. Amüsiert blicke ich wieder zu Ina, zucke mit meiner Schulter. „Kann ich etwas für Sie tun?“, wiederhole ich meine Worte. Lachen dringt an meine Ohren. Es wirkt ansteckend und ich lache tatsächlich mit.

„Ihr Lachen ist so … so gewinnend. Sympathisch.“

Nun, so denke ich mir, das hört sich ja grandios an, trotzdem möchte ich endlich wissen, was er von mir will. „Hören Sie, was genau ist der Grund für Ihren Anruf?“ Ina nickt mir zu. Gibt mir auch zu verstehen, das komische Telefonat zu beenden.

„Das ist bestimmt ein Stalker, der dich im Café gesehen hat und jetzt besuchen will. Sei vorsichtig, Lotte!“, flüstert sie mir zu. Verwirrt nicke ich, ohne zu wissen, was ich gerade will oder von ihrer Bemerkung halten soll.

„Ihr Marzipankuchen ist eine Gaumenfreude.“ Die sonore Stimme gefällt mir, lässt mich sogleich Inas Belehrung vergessen. Unter dem strengen Blick von Ina fange ich innerlich an zu schwimmen. Frage mich selbst, ist mein Verhalten korrekt oder flirte ich gerade mit einem Fremden? Nur, weil mir die Stimme gefällt?

„Hören Sie mir noch zu?“

Hüstelnd fühle ich mich ertappt. „Sie sollten im Café anrufen, ich kann Ihnen gerne die Nummer …“

„Nein, danke! Ich wollte mit Ihnen sprechen. Schon im Café habe ich diesen Versuch gestartet, leider ohne Erfolg.“

Also doch, Ina scheint, zumindest dieses eine Mal, richtig mit ihrer Vermutung zu liegen. Es irritiert mich doch etwas. „Wie kommen Sie an meine Handynummer und wieso …“

„Zu viele Fragen von einer so schönen Frau.“

Mein innerer Kampf scheint aktuell von der Neugierde in mir besiegt zu sein. Ein erneutes Lachen kann ich mir jetzt nicht mehr verkneifen, trotzdem sage ich: „Leider muss ich unser Gespräch beenden, mir fehlt gerade die nötige Zeit.“ Mit fester Stimme und unter Zunicken von meiner Freundin Ina habe ich diese Worte ausgesprochen. Eine Gelegenheit zum Antworten gebe ich dem Unbekannten nicht, rasch drücke ich die Beenden-Taste.

„Wer war der Anrufer? Gibt es wieder ein Geheimnis um irgendwelche Kontakte zu zwielichtigen Männern?“ Inas Stimme ist hoch geworden. Ihre Wangen zieren rote Flecken, was nicht attraktiv aussieht. Kurz streift mein Blick ihre Wäsche, die oben auf dem Koffer thront. Ina war in der Vergangenheit gerne mit erhobenem Zeigefinger unterwegs, besonders immer dann, wenn es in ihrem eigenen Leben Probleme gab, die sie versuchte zu verdrängen. Ob meine Freundin aktuell ein Problem mit sich herumträgt? Meine Gedanken behalte ich für mich. Trotzdem bin ich schon überzeugt, sie möchte erneut von sich ablenken und verhält sich daher wieder wie eine Gouvernante.

„Wir sehen uns, meine Liebe“, ein angedeuteter Kuss in Inas Richtung muss ausreichen, dann eile ich aus ihrem Haus. Im Garten hole ich tief Luft. Meine Freundin ist so ganz anders als ich es bin. Ich will hoffen, unser gemeinsamer Urlaub verläuft harmonisch. Wir vier Freundinnen sind schon so lange befreundet, darauf möchte ich nicht mehr verzichten. Mir fällt Karin ein, auf sie freue ich mich schon sehr. Karin liebt gutes Essen, Prosecco, kann über Kleinigkeiten lachen, sie ist einfach meinem Naturell am ähnlichsten. Mein Handy klingelt erneut und ich sehe zu, den Garten von Ina zu verlassen. Wie ich sie kenne, wird sie mir nachsehen und mit einem lauten Ruf nicht an sich halten, falls es wieder der Anrufer von vorhin sein sollte.

„Ja, hallo?“

„Hier auch hallo, liebe Lotte“, das anschließende Kichern kommt von Petra. „Ich finde es toll, dass du spontan für heute Abend zugesagt hast. Marc ist noch unterwegs und mir ist nach etwas Unterhaltung.“

„Essen macht glücklich, meine Liebe“, antworte ich und zeitgleich muss ich grinsen, für Petra dürfte der Spruch nicht passend sein. Daher sage ich süffisant freundlich: „Meine Freundin tut es den Kaninchen gleich und liebt mehr das Grünzeug, verzichtet auf den Pizzateig samt Belag und somit auf sämtliche Kalorien.“

„Warte nur, bis wir uns am Pool von dem Kreuzfahrtschiff treffen und du neidisch auf meine Kurven schielst.“ Petra reagiert belustigt, was mir gut gefällt. Kurz berichte ich noch von meinem Besuch bei Ina.

„Wir reden am Abend ausführlich darüber. Ich will mich noch umziehen“, unterbricht Petra meinen Redeschwall. „Und komm pünktlich!“

Mein Grundstück erreiche ich mit einem Lachen im Gesicht. Die Aussicht, Petra am Abend zu treffen, gefällt mir, stimmt mich milde und lässt die Reaktion von Ina verblassen. Kaum, dass ich mir einen frischen Kaffee gekocht habe und mit einem Stück Marzipantorte zurück im Garten bin, klingelt mein Handy erneut. Mein Blick fällt auf die Nummer und ich ahne schon, sie gehört zu dem unbekannten Mann von vorhin.

„Meine Marzipantorte, die gerade vor mir steht, werde ich jetzt nicht mit Ihnen teilen“, kichernd lasse ich mich in meinen Gartenstuhl fallen. Das Leben, so meine Überzeugung, kann so grandios sein. Von herrlich leicht, verzaubernd und in der Liebe verrucht, bis … Darüber möchte ich nicht nachdenken.

„Das dürfen Sie mir nicht antun, bitte!“ Jetzt klingt auch sein Lachen an meine Ohren. „Sie sind ziemlich ungerecht zu mir!“

„Wer, bitte schön, stört gerade wen? Wie soll ich meine Marzipantorte genießen, wenn ich vom Essen abgehalten werde? Immerhin rufen Sie seit einer Stunde ständig mich an, nicht umgekehrt.“

Vorwurfsvoll sollen diese Worte klingen, jedoch gelingt mir der passende Unterton nicht, ich fange schon wieder an zu lachen. „Ich soll ungerecht zu Ihnen sein? Niemals würde ich mir dieses Verhalten erlauben, bei einer so schönen Frau.“

Wie verrückt das kleine Telefonat doch ist, überlege ich. Mir tut es gut, mit diesem Fremden zu reden, zu Lachen und für den Moment alle Sorgen zu vergessen. Selbst wenn dies für meine Freundin Ina schon flirten ist, na und? Wem tut es weh?

Gewiss ist nur, mir tut der Unbekannte im Moment gut. Am Abend werde ich einen Prosecco trinken und dabei Petra jedes Detail meines Telefonats berichten. Meine Gedanken driften ab, ich stecke mir ein Stück Marzipantorte in den Mund. „Ihnen scheint es gut zu schmecken.“

Erschrocken über das Gehörte, meine Gedanken und die Situation an sich, beende ich ohne Ankündigung das Telefonat. Bin ich noch zu retten, frage ich mich selbst. Mein Handy lege ich zur Seite, meinen Kuchen ebenfalls. Dafür genieße ich jetzt die Nachmittagssonne. Versonnen denke ich an unsere Reise. Mir liegt am Herzen, mit Freude diesen Urlaub anzutreten und jede, wirklich jede Minute zu genießen.

Franz kommt mir erneut in den Sinn. Mein Blick schweift automatisch zum Himmel. Das satte Blau, ich liebe es. Für mich kann der Sommer ewig bleiben. Ein kleiner Schmetterling, der frech um meine Nase kreist, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Gebannt verfolge ich seine Flugkünste, bis er sich auf einer meiner Blumen niederlässt. Ob das Leben als Schmetterling schön ist? Gibt es ein Leben nach dem Tod und wenn ja, wie sieht es aus? Werde ich nochmals auf diese Erde kommen, vielleicht als Schmetterling? Über meine Gedanken fange ich an zu lachen, schüttele automatisch meinen Kopf.

Mit Franz ist das Leben für mich gerade nicht mehr rosig. Momente, in denen ich gelöst war, einfach einmal mit ihm lachen konnte, wie zu Beginn der Freundschaft, ließen auf sich warten. Wieso kommt nach einem Höhenflug der Glücksgefühle automatisch wieder Eiswind hinterher? Mehr als nur einmal habe ich versucht, mich in Franz hineinzudenken, sein Verhalten zu erforschen, lag mir am Herzen. Mein Resultat jedoch fällt unbefriedigend aus. Franz kann ich gefühlsmäßig in keine Schublade stecken. Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt ist alles möglich, fast täglich ändert dieser Mann seine Launen. Wirklich alles, was mich zu Beginn angezogen und gereizt hat, das neue und fremde Verhalten, das mir auffiel, schreckt mich heute ab. Ina sagt immer wieder, ich sei naiv und unfähig, eine Beziehung zu führen. Sie schiebt, so interpretiere ich ihre Worte, die gesamte Schuld auf mich. Tief Luft holend schaue ich mich in meinem Garten um, der mir immer wieder Ruhe und Kraft schenkt. Natürlich möchte ich in einer glücklichen Beziehung leben und mein Wunsch, länger als nur in den ersten Wochen einer neuen Beziehung Schmetterlinge zu spüren, ist auch normal.

Wie Petra ihre Partnerschaft mit Marc so gut meistert? Die beiden haben umeinander gekämpft und allem Anschein nach war es auch richtig so. „Freiräume braucht jeder Mensch“, hat Petra mehr als einmal mir gegenüber betont. Mit Franz an meiner Seite habe ich aufgehört, Zeit für eigene Bedürfnisse zu suchen. Auch meine Treffen mit Ina, Karin und Petra habe ich immer öfter sausen lassen, um Franz nicht zu verärgern. Er mochte es nie gerne sehen, wenn wir mit Prosecco und Chips zusammensaßen und klönten.

„Dabei kommt doch nur Mist heraus“, durfte ich mir mehr als nur einmal aus seinem Mund anhören. Ich schwieg stets darauf. Mir lag nur am Herzen, diesen Mann glücklich zu machen und mein Wunsch, seine Liebe zu spüren, kam schon einer Sucht nahe. Wahrscheinlich bin ich süchtig nach netten Worten und Gesten. Meine Mutter fällt mir ein und sogleich spüre ich wieder diesen Druck in meinem Magen, der mir sagt, du kümmerst dich zu wenig um sie. Kurz schließe ich meine Augen und lasse zu, dass meine Gedanken mich in die Kindheit zurückführen. Die wenigen Momente, in denen ich fröhlich durch den Garten gehüpft bin, stehen nicht in einer Verbindung mit meiner Mutter. Die Zeit, als sie krank war und meine Tante Lydia Lowere in unserem Haus lebte, war meine glücklichste Zeit. Mit Lydia Lowere zog die Fröhlichkeit in unser Haus ein, das hat mein Vater oft betont. Wenn wir, nachdem Mutter wieder gesund war und zu Hause weilte, von Lydia Lowere sprachen, lag ein Lächeln auf Vaters Gesicht. Nur Mutter konnte kein gutes Wort für ihre Schwester finden. Meine Tante, das durfte ich nach ihrem Tod erfahren, hat ein Leben geführt, das so ganz anders verlief als meines jetzt. Lydia hätte nicht so viel über eine Beziehung nachgedacht, sie hat gelebt und das mit Leidenschaft. Immer hübsch angezogen und frisiert war meine Tante. Das schöne und gute Leben war ihr zu eigen geworden, auch dank Vincenz. Lustig, dass dieser Mann zunächst mit meiner Tante liiert war und ich heute für ihn wie eine Tochter bin. Wenn ich so über mich nachdenke, dann habe ich mich schon zum Positiven verändert. Lydia Lowere wäre stolz auf mich. Immer öfter kleide ich mich gut, achte mehr auf meine Haare und gelegentlich greife ich zu Make-up. Natürlich falle ich immer wieder mal in alte Muster, das wiederum empfinde ich als normal. Erneut denke ich an Franz. Habe ich mich zu sehr aufgehübscht im Alltag, war Franz sauer. Immer öfter fand er einen bösen Kommentar mir gegenüber, aber auch wenn ich wieder mal meine Leggins und Strickpullis hervorzog, war sein Blick abwertend. Ich war jeden Tag melancholischer geworden. Mit dem ersten Treffen zwischen Franz und mir kam es damals auch zu einer Veränderung für mein altes Haus. Wenn ich mich jetzt so umsehe, dann muss ich zugeben, es ist wieder Zeit für kleine Reparaturarbeiten. Innerlich muss ich schmunzeln bei dem Gedanken an meine ersten Versuche, über eine Kontaktanzeige einen Mann und zeitgleich einen Handwerker für mein altes Haus zu finden. Mit dieser Idee und meiner Kontaktanzeige kam Franz in mein Leben und in mein Haus. Zumindest blieb er für wenige Wochen als Handwerker bei mir wohnen, zunächst immer an den Wochenenden, von Freitag am Nachmittag bis Sonntag nach dem Abendbrot. Während er sich um mein Haus gekümmert hat, sorgten Karin und ich mich um seine Wäsche und das leibliche Wohl. Letzteres ließ er sich ganz besonders verwöhnen.

Vom Grunde her war es ganz einfach gewesen, unser Kennenlernen. Hätte ich damals nicht die Kontaktanzeige aufgegeben, wir wären uns nie begegnet. Ob ich einen neuen Versuch starten soll? Irgendwie reizt mich die Möglichkeit, das Schicksal noch einmal herauszufordern und vielleicht kommt dann doch noch der Mann meiner Träume in mein Haus? Obwohl, was würde ich tun, wenn Franz sich erneut bei mir als Handwerker bewerben würde? Zugeben darf ich, die Türe würde ich nicht vor seiner Nase zuschlagen. Franz ist ein guter Handwerker und ein ebenso guter Liebhaber. In den Wochen, als Franz sich handwerklich für mein altes Haus einsetzte, fing mein Haus immer mehr an zu glänzen. Irgendwann war mein Haus wieder vorzeigbar und die größten Mängel behoben, soweit war alles gut. Das Traurige in diesem Zusammenhang ist die Gewissheit, dass plötzlich auch Franz nicht mehr regelmäßig bei mir auftauchte. In mir herrschten eine Leere und Zerrissenheit. Als wir uns dann aber erneut näherkamen, lagen die Prioritäten für Franz anders. Mein Haus und sein Ist-Zustand wurden von ihm gekonnt ignoriert und vergessen.

Während Franz in regelmäßigen Abständen nun Einzug in mein Schlafzimmer hielt, trug er Scheuklappen, was den allgemeinen Zustand meines Hauses betraf, zumindest kommt es mir heute so vor. Schade eigentlich! Da war ich mit einem richtigen Handwerker liiert und noch dazu mit einem talentierten und mein Haus ist noch immer, besser gesagt erneut, renovierungsbedürftig. Was das anbetrifft, dürfte Franz nicht einmal sauer sein, sollte ich tatsächlich wieder einen Mann zum Renovieren suchen. Immerhin bleibe ich der Wahrheit mit einer solchen Kontaktanzeige doch sehr nah.

Vincenz, mein väterlicher Freund, war bei seinem letzten Besuch erschrocken über den baulichen Zustand meines Hauses und meinte, ich solle vorübergehend in die alte Villa in Frankfurt zu Anton Wall einziehen.

„Vergisst du gerade, dass Anton Wall sein Atelier in der alten Villa hat und dort auch wohnt?“, gab ich Vincenz zu bedenken. „Mir ist zu Ohren gekommen, Anton Wall kann einen Untermieter sehr gut gebrauchen.“ Sein Blick, der sehr nachdenklich wirkte, hatte mich kurz verwundert. Keine fünf Minuten später setzte Vincenz noch einmal bei dem Thema an.

„Gefällt dir die alte Villa deiner verstorbenen Tante Lydia Lowere? Findest du auch, dass ihr Geist in diesen Räumen ruht?“

Es war ja rührend von Vincenz, sich Sorgen darüber zu machen, wo und wie ich in der Zukunft leben kann. „Zugegeben, es liegen natürlich Welten zwischen deinem kleinen Haus hier und der Villa von Lydia Lowere“, hob Vincenz seine Stimme.

„Wie sollte ich die alte Villa unterhalten, geschweige denn putzen? In meinem Café müsste ich mir noch eine Aushilfe einstellen, nur damit ich den größeren zeitlichen Aufwand bewältigt bekäme.“

So ganz zufrieden war Vincenz mit meinen Worten nicht, was er auch gleich betonte.

„Nicht zu vergessen, die große Entfernung zu Ina, Karin und Petra. Eine räumliche Trennung muss bedacht angegangen werden“, fügte ich emotional nach. „Möchtest du eine Tasse Kaffee?“, brach ich das Thema dann ab. Mir war es unangenehm, über etwas zu sprechen, das niemals in Erfüllung gehen kann. Daher brachte ich das Thema wieder auf die bevorstehende Reise.

Erst als Vincenz gegangen war und ich wieder allein in meinem Garten saß, blickte ich mich erneut genauer um. Nicht entgangen sind mir die vielen Schwachpunkte an meinem Haus, die zu beheben sicherlich meine kompletten Ersparnisse aufbrauchen werden. Ausgerechnet an diesem Abend gab es ein fürchterliches Gewitter in der Nacht. Zum einen gruselte mich schon die Dunkelheit, gepaart mit einem Donner wollte ich mich am liebsten ganz unter meiner Bettdecke verkriechen. Wäre Franz nur bei mir gewesen, ich hätte nicht einmal das Gewitter mitbekommen, davon bin ich überzeugt.

Der laute Knall und ein damit einhergehender Windstoß, der unvermittelt durch mein Schlafzimmer zog, ließen mich unter meiner Decke hervorkommen. Ein Windzug war zu spüren, obgleich die Decke über mir lag. Nicht verhindern ließ sich in diesen Minuten, dass ich mich der Wahrheit stellte und meine Augen erblickten, was geschehen war. Mein Schlafzimmerfenster war weit aufgerissen, der linke Fensterflügel aus seiner Verankerung gerissen. Er flog mit dem Wind hin und her, was einen unangenehmen Ton erzeugte, der mich ängstigte. Quietschende Geräusche und im Hintergrund die Lichteinfälle eines Blitzes tauchten mein Schlafzimmer in eine mystische Stimmung, die mein Herz schneller schlagen ließ. An Schlafen war in dieser Nacht nicht mehr zu denken. Der einfallende Regen, das Quietschen des ausgerissenen Fensterflügels, der eiskalte Wind und die aufkeimende Angst hielten mich bis zum Morgen wach.

Meine Idee, die Zeit in der Küche zu nutzen, um an meiner Kolumne zu schreiben, zog mich in das Erdgeschoss meines Hauses. Wie erschüttert war ich, als ich die letzte Stufe meiner alten Holztreppe betrat und im Nassen stand. Mein Plüschpantoffel war innerhalb von Sekunden durchnässt. Panik stieg mir in die Knochen. Hier war mehr kaputt als ich mir eingestehen wollte. Wieso, so meine nächste Frage, hat Franz sich nie darum gekümmert? Zumindest einen Hinweis hätte er mir doch geben können. Seine Nummer wählte ich automatisch, leider erreichte ich in diesen Minuten nur seine Mailbox. Typisch, so dachte ich mir, wenn ich den Mann mal brauche, liegt er in seinem Bett und schläft. Kurz überflog ich in Gedanken meine Ersparnisse und zog die Hilfe eines fremden Handwerkers in Betracht. Nur, so der nächste Gedanke, dann würde ich im Anschluss wieder bankrott sein, was mir Sorgen bereitete.

Suche Hilfe beim Renovieren, mit einem Male hatte ich doch wieder eine neue Formulierung für eine Kontaktanzeige in meinem Kopf. Mit Suche Mann zum Renovieren hatte es doch auch funktioniert. Mein Beziehungsstatus war gerade wieder auf Single gestellt und so konnte ich erneut zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, lachte ich in mich hinein. Im Nachhinein wundere ich mich, wie gelassen ich diese Nacht, das Gewitter und die Umstände aufgenommen habe. Mit meinen Pantoffeln stampfte ich damals durch meine Küche. In meinem Kühlschrank fand ich noch eine Flasche Prosecco, die zu der bizarren Situation passte. Um dem Trübsinn zu entkommen, gönnte ich mir ein Gläschen, verzog mich trotz der Dunkelheit in meinen Garten und blickte mich um. Gegen Morgen habe ich mich daran gemacht, das Erdgeschoss vom Wasser zu befreien und zu putzen.

Ich darf nicht immer in der Vergangenheit schwelgen, ermahne ich mich selbst. Mein Gesicht halte ich unvermittelt in den Himmel, genieße die warmen Strahlen der Sonne, die ihren Weg bis zu mir finden. Nach dem Gewitter von vor zwei Tagen, ist es heute ruhig und mir ist es auch gelungen, den ausgerissenen Fensterflügel selbst wieder einzuhängen. Darauf bin ich stolz! Wasser ist auch keines mehr in meinen Flur getropft, kein Wunder, in den letzten Tagen schien die Sonne. Etwas bange wird mir allerdings vor der nächsten Schlechtwetterfront, die sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lässt. Ob ich doch noch einmal mit Vincenz reden soll?

Ihn um Geld zu bitten, empfinde ich nicht als Alternative. Gehen Freundschaften nicht viel zu oft in die Brüche, wenn es um das liebe Geld geht? Wieso nur ist er so vehement davon überzeugt, ich solle in die alte Villa ziehen? Einfacher wäre es doch, er kommt von sich auf die Idee und leiht mir Geld für die Reparatur meines Häuschens oder schickt mir einen Handwerker ins Haus. Mein Kopf ist voll mit Gedanken, ich fühle mich gerade überfordert und finde nicht wirklich einen Weg für mich. Eines ist mir jedoch gewiss, ich werde mir nicht den Abend und die Freude auf Petra nehmen lassen. Irgendwie, so ist mir bewusst, bekomme ich meine Probleme schon in den Griff. Bisher gab es immer eine Lösung, darauf möchte ich auch jetzt hoffen.

Florian

Lotte Wolke, der Name ist schon lustig. Neugierig bin ich auf die Frau, die diesen Namen trägt. Meine bisherigen Versuche, Lotte Wolke zu treffen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Die Idee, sie anzurufen und über meine Leidenschaft zu ihrer Marzipantorte einen Kontakt zu dieser Frau aufzubauen, war auch nicht so genial. Allerdings ist mir keine andere Eingabe gekommen und so habe ich den Versuch gestartet und mich bei den kurzen Telefonaten köstlich amüsiert. Die Frau hat Humor, das dürfte schon einmal ein guter Anfang sein. Natürlich gibt es die Möglichkeit, auf ein Treffen in ihrem Café in Limburg zu warten, was mich allerdings zeitlich sehr einbinden würde. Im Augenblick will ich meine privaten Dinge regeln und kann nicht unnötig herumsitzen und warten, dass diese Frau mich bedient. Wenn ich mir etwas in meinen Kopf gesetzt habe, dann muss ich es umsetzen.

Schon nächste Woche werde ich Vincenz wiedersehen. Dieser Mann ist mein Vorbild, in vielerlei Hinsicht. Ihm habe ich zu verdanken, dass ich jetzt den Versuch starte, Lotte Wolke doch noch zu treffen, bevor ich wieder nach Frankfurt zurückfahren und meiner Arbeit nachgehen muss.

Den Worten von Vinzens zufolge, soll Lotte Wolke meinen Freund an seine verstorbene Tochter erinnern. Aus dieser Sichtweise heraus ist es für mich noch wichtiger, mir ein persönliches Bild von dieser Frau zu machen. Sie ist sehr wichtig für Vincenz, das ist mir inzwischen bewusst geworden. Die ganzen Verträge, er hätte diese niemals unterschrieben und so viele Hindernisse überwunden, läge ihm nicht so viel am Wohl von dieser Frau. Mehr als nur einmal durfte ich in meinem Freundeskreis beobachten, das es erfolgreiche Menschen