Mörderjagd - Manuela Lewentz - E-Book

Mörderjagd E-Book

Manuela Lewentz

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine geplante Windkraftanlage bringt die Gemüter zum Kochen. Die Debatten entzünden sich an dem vorgesehenen Standort. Er wird aus Gründen des Naturschutzes verlegt. Und ausgerechnet der smarte Paul, Befürworter der Anlage und Eigentümer des neuen Standortgrundstückes, wird nach der Unterzeichnung des Vertrages kaltblütig ermordet. Ihm folgt ein weiterer Zustimmer - auch er stirbt durch eine 8x57IRS. Wer war der Schütze? Für Kommissarin Jil Augustin und ihre Kollegen beginnt ein Rennen gegen die Zeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 240

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Manuela Lewentz

Mörderjagd

Jil Augustin ermittelt

LangenMüller

Besuchen Sie uns im Internet unter:

www.langen-mueller-verlag.de

© für das eBook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© für die Originalausgabe: 2013 Universitas Verlag in der Amalthea Signum Verlag GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagmotiv: shutterstock

Vignette: Falk Kern

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8308-5

Inhalt

»Angst«

In der Nacht vom 6. auf den 7. August

7. August

Rückblende: 3. August

3. August

In der Nacht vom 3. auf den 4. August

4. August, 8 Uhr

4. August, 12 Uhr7

5. August

6. August

7. August, der Tag nach der Beerdigung

Pauls Beerdigung

Am Nachmittag

Rückblende: 8. August

10. August

12. August

Am nächsten Tag

13. August

14. August

»Angst«

Ich hatte Träume, ja, große Träume! Jetzt werde ich nachts wach, liege auf meinem schweißgetränkten Bettlaken und quäle mich mit Erinnerungen herum. Doch ich bereue nichts. Alles, was geschehen ist, war gut so. Hätte ich etwas mehr Zeit für meine Vorbereitungen gehabt, ja, da wäre ich doch fast über meine eigene Ungeduld gestolpert und der Polizei in die Arme gelaufen.

Doch das Glück war mir hold. Immerhin einmal war ich der Sieger! Es wird trotzdem nicht mehr lange dauern, und ich liege auch unter der Erde. Welch eine Ironie des Schicksals …

Aber warum nur habe ich diese Träume? Es hat doch so gut getan, das Blut zu sehen und trotzdem … Ich hätte das ganze Szenario fotografieren sollen. Eine Erinnerung für die Ewigkeit … aber, wie lange dauert die Ewigkeit??? Was kommt danach?

Der Tod … Er ist so endgültig … so brutal … Einmalig diese über uns herrschende Macht, die uns nimmt, ohne zu fragen, ob wir bereit sind zu sterben. Immerhin konnte ich auch einmal Macht ausüben und zeigen, dass niemand so mit mir umgehen kann, niemand!!

Es gibt diese qualvollen Träume. Kommen bestimmt von den Tabletten.

Schlechtes Gewissen, ich?? So ein Quatsch, ich doch nicht! Nein! Geradezu gefreut habe ich mich auf meinen … nennen wir es Auftritt! Ja, alles war gut durchdacht, wenn auch noch nicht einmalig perfekt. Eigentlich hasse ich Fehler. Egal, es ist die Zeit gekommen, das Leben so anzunehmen, wie es im Augenblick ist − beschissen!

Nein! Mir geht’s gut. Nur … niemandem kann ich mich anvertrauen. Das macht mich fertig. Reden, ja, von der Seele reden. Alles Quatsch! Was soll das noch ändern? Mein Kopf fängt an, gegen mich zu spielen. Die Gedanken sind ungeordnet … Ich rede mit mir selbst. Das ist die Einsamkeit … Aber bin ich wirklich einsam? Wann ist man einsam?

Ich habe die Macht gespürt, über das Ende zu bestimmen. Dieses Recht hast du mir vor langer Zeit, ohne es zu merken, selbst in meine Hände gespielt − ohne zu ahnen, wer ich wirklich bin. Welche Gedanken sich in meinem Kopf abspielen? »Ein Satan in der Hülle des Guten.«

Sie hatte gelacht, schrill war ihre Stimme. Den ganzen Abend über hatte sie sich so sonderbar verhalten und Dinge gesagt, die Paul nicht verstanden hatte. Gegen Mitternacht war er gegangen. Der Abend war nicht so verlaufen, wie er es gehofft hatte.

Er blickte zum Himmel und entdeckte den Mond in seiner vollen Pracht. Er leuchtete ihm den Weg.

Als er hinter sich ein Knistern vernahm, drehte er sich langsam, ganz langsam um. Aber es sollte nur eine Warnung sein, ein Vorbereiten auf den Tod!

In der Nacht vom 6. auf den 7. August

Sie waren sehr lange in der Kneipe geblieben. Es war auch richtig was los gewesen. Alle hatten sie von dem Paul gesprochen, der armen Sau. Jetzt ist er tot. Eine Geliebte soll er gehabt haben. »Nein, zwei«, meinte Arno. Und immer diese Geschäfte, die er machte. Ja, der Paul hatte einen guten Riecher für Anlagen. Ein Windkraftpark sollte nun das letzte Projekt gewesen sein. Er wollte die ganze Verbandsgemeinde mit Strom versorgen. »In den letzten Wochen wurde er immer wieder mit so Alternativen gesehen«, raunte Luz. Er musste es ja wissen, er arbeitet doch in der Stadtverwaltung. Paul hatte nicht zu diesen Grünzeugessern gehört. Immer top gepflegt, tolle Figur, gutes Auftreten. Richtig neidisch waren sie gewesen. Die Frauen liefen ihm scharenweise nach. Daheim hatte er eine recht patente, die noch dazu ordentlich was an Geld verdiente, und dann noch Weiber nebenher. Neidisch waren sie, ja, das stimmt.

Jetzt liegt er in der Holzkiste, nein, darauf waren sie nicht neidisch. Gekannt hat man ihn doch. Es gab kein Fest, wo der Paul nicht war. Immer stand er im Mittelpunkt. Der Bürgermeister umwarb ihn, wohl aus Angst, er könne ihm mal als Gegenkandidat sein Amt streitig machen. Er war doch schon sein Stellvertreter und überall so angesehen. Aber er war in keiner Partei, der Paul. Trotzdem saß er im Stadtrat, als Freier.

Nett war der immer, wirklich immer. Auch so gepflegt. Immer adrett gekleidet. »Ja, wahrscheinlich wegen der vielen Weiber«, lachte Arno.

Sie blieben stehen und lachten. Lang war es geworden heute Nacht, sehr lang. Das Bier war nur so die Kehle hinuntergelaufen. Es hatte gut getan. Sie, die noch Lebenden, wollten das Leben spüren. Waren sie doch im selben Alter wie der Paul, siebenundvierzig Jahre, zu jung, um sich schon von den Lebenden zu verabschieden.

»Jetzt hat er auch nichts mehr von seinen vielen Liebschaften«, meinte Hans und blieb stehen, »Schon in der Schule war er der Schwarm aller Mädchen gewesen. Meine Frau ist immer so gerne zu seinem Gesprächskreis gegangen. Regelrecht aufgetakelt hatte die sich, bevor sie losging. Alternative Energien. Letzte Woche, wie sie heimkam, hielt sie mir einen Vortrag darüber, was in unserem Haus alles verändert werden müsse.

Ob sie überhaupt wisse, wie viel Krach so ein Windrad macht, habe ich gefragt. Ausgelacht hat sie mich, die dumme Kuh. Der Paul habe gesagt, es würde sich schon niemand in den umliegenden Orten gestört fühlen. Und außerdem müsse man auch an die Zukunft unserer Kinder denken. Er wäre so kompetent und freundlich, der Paul. Jetzt kann ich sicherlich die ganzen Prospekte und Erläuterungen über erneuerbare Energien, die sie angeschleppt hat, entsorgen.«

Arno klopfte seinem Kumpel auf die Schulter. Dann lachten beide wieder.

»Was wird eigentlich aus seiner Frau, der Anne­marie?«

»Vielleicht zieht sie weg von hier. Ist doch so eine Mondäne, passt eigentlich nicht hier auf das Land. Künstlerin ist sie. Die Bilder sollen richtig wertvoll sein.«

Angetrunken torkelten sie durch die Nacht.

Plötzlich blieben sie stehen. Gerade erst waren sie am Friedhof vorbeigekommen und befanden sich in Richtung Freibad.

Sie waren als Jungen oft hierher gekommen. Klar, Mädels waren auch immer dabei gewesen, war doch lustig!

Das Bier nahm ihnen heute alle Hemmungen. Sie wollten noch einmal wie Teenager sein und den Mord vergessen. Kurz entschlossen nahmen sie den kleinen Pfad Richtung Freibad. Rund hundert Meter war der dunkle Pfad lang, umgeben von hohen Bäumen.

Ungelenkiger als noch vor zwanzig Jahren kletterten sie über die Absperrung zum Freibad. Hastig und unter viel Gelächter fielen ihre Kleider auf die Wiese. Mit einem Mal war alles wieder wie vor zwanzig Jahren, leicht und unbekümmert. Und der Tod, die Beerdigung vom Paul waren weit, weit weg …

»Mist, dass keine Weiber mit wollten.« Arno sah seinen Kumpel an, der nun nackt, so wie Gott ihn erschaffen hatte, vor ihm stand. Dann lachte er laut. »Bist du fett geworden, Alter!«

»Schau dich doch an! Oder glaubst du, die letzten zwanzig Jahre haben bei dir keine Spuren hinterlassen? Das wird auch der Grund sein, warum die Mädels nicht mit wollten.«

Arno blickte an sich hinab. »Glaubst du, die hatten Hemmungen?«

Hans wollte antworten, drehte sich aber ruckartig um. »Mir ist, als würde uns jemand beobachten.« Hans versuchte im Dunkel etwas zu erkennen.

»Du warst schon vorhin, auf dem kleinen Pfad, so unruhig. Mensch, vor zwanzig Jahren warst du anders!«

»Denkst du nicht mehr an den Paul? Wer wird ihn ermordet haben? Und warum? Nur wegen des geplanten Windkraftparks? Kann ich mir nicht vorstellen, da steckt mehr dahinter.«

»Lass uns jetzt ins Wasser springen«, sagte Arno und zog ihn mit in Richtung Schwimmerbecken, ohne auf seine Fragen einzugehen.

»Ich hab keinen Bock, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Das gäbe einen schönen Skandal. Und in der Presse würde dann stehen: ›Staatsanwalt bei Kinderspielchen nackt im Freibad erwischt.‹«

»Du bist verdammt spießig geworden.«

Hans zuckte kaum merklich mit seinen Schultern, dann nahm er Anlauf und sprang wie Arno ins Wasser.

Übermütig, wie zu Teenagerzeiten, spritzten sie sich nass und versuchten sich gegenseitig unter Wasser zu ziehen.

»Überraschung!«, ertönte wenige Minuten später eine grelle Stimme.

»Eli!« Hans hob seinen Kopf, dann blickte er sich um. »Hat dich auch niemand gesehen?«, fügte er besorgt hinzu.

»Ja, jetzt fällt es mir wieder ein«, kicherte Eli, die eigentlich Eleonora hieß. »Auf dem Weg hierher bin ich deiner Frau begegnet. Natürlich habe ich ihr gleich gesagt, dass ich auf dem Weg ins Freibad bin, um mich mit dir zu vergnügen.« Sie lachte, noch lauter als zuvor.

»Hör auf mit den Spielchen und komm zu uns ins Wasser!«

»So wie früher?«

»Ja, warum nicht?« Hans lässt keinen Blick von Eli.

Genüsslich zog sie sich aus, ganz langsam. Auch Arno konnte sich ihren Reizen nicht entziehen.

»Mist, dass es so dunkel hier ist«, flüstert Arno.

Dann sprang Eli mit einem Sprung ins kalte Nass. Sie tauchte für einen Moment unter, kam dann Sekunden später zwischen den Männern zum Vorschein.

»Hey! Finger weg, du Schwein!«

Arno war sogleich abgetaucht, um Eli zu necken. Mit lautem Gelächter und unverständlichen Ausrufen zogen Arno und Eli sich immer wieder unter Wasser. Hans schaute sich missmutig das Spiel der beiden an. Ein lautes Knacksen ließ ihn wieder bewusst werden, wo er sich gerade befand.

»Hey! Wer ist da?« Hans lauschte in die Nacht. Er rief noch einmal. Arno und Eli unterbrachen ihr Spiel und schwammen luftschnappend zum Beckenrand.

»Da ist jemand«, stammelte Hans und schwamm zu den beiden. Arno, der nur Blicke für Elis Körper hatte, hörte ihm nicht wirklich zu. Wegen ihm konnte Hans auch verschwinden, ihn nervten seine Angst und sein Getue.

»Denkst du unentwegt an den Mörder von Paul? Er läuft in der Tat noch frei herum, aber sollten wir nicht lieber das Leben mal genießen?« Eli verließ das Wasser, genau wie Hans.

»Ich bin mir ganz sicher, dass wir beobachtet werden«, raunte Hans. Eli und er versuchten in der Dunkelheit etwas zu erkennen.

Das Freibad war auf zwei Seiten umgeben von hohen Bäumen. Die dritte Seite ließ den Blick auf den Rhein zu. Jetzt in der Dunkelheit wirkte alles gespenstisch auf Eli. Das Rauschen der Blätter in den hohen Bäumen wirkte beängstigend. Sie suchte Hans’ Hand. Sie fühlte sich gut an. Aber irgendwie war für Eli die ganze Situation auch anregend. Pauls Tod hatte ihr die Augen geöffnet. So wollte sie nie enden. Das Leben genießen, war stets ihr Motto. Genau dieses Ziel wollte Eli seit Pauls Tod noch mehr verfolgen. Wer weiß schon, wie viel Zeit einem bleibt?

»Asche zu Asche«, hatte der Pfarrer gesagt. Ganz komisch hatte sie sich in diesem Moment gefühlt. Es hatte ihr Angst gemacht. Beerdigungen mochte sie noch nie. Gefroren hatte sie in der Kirche, mitten im Sommer. Ihr dunkles Kostüm saß wie eine zweite Haut. Genau gespürt hatte Eli die Blicke der Männer auf ihrem Hintern, ihrer Brust. Warum auch nicht?

Hans zog sie ein Stück näher an sich heran. Eli erkannte, dass er seinen Kopf nach vorn gebeugt hatte. Derweil planschte Arno noch vergnügt im Wasser herum und rief Eli zu, sie solle doch den Langweiler von Hans stehen lassen.

»Ist da wer?«, rief Hans, nun sicher, beobachtet zu werden.

Erneut vernahm er ein Knistern. Es kam aus den Büschen, die direkt hinter ihm standen. Hans ging näher, Eli im Schlepptau, die seine Hand immer noch fest umklammert hielt, und spähte in die Büsche. Die Dunkelheit ließ ihn wenig erkennen.

Vom Becken her hörte er erneut Arnos Stimme: »Nimm deine Finger von Eli weg, du Idiot! Du warst schon als Teenager scharf auf sie.«

Eli wollte etwas antworten, doch genau in dem Moment kam jemand aus dem Gebüsch gerannt, ganz in Schwarz gekleidet mit einem Motorradhelm auf dem Kopf. Dann spürte Hans einen Schlag gegen seine Schläfe. Er sank in die Knie und ließ Elis Hand los. Ein gellender Schrei ertönte. Ein Schuss fiel. Das Letzte, das Eli noch vernahm, war der Schuss. Dann wurde es dunkel um sie herum.

»Ich«

Meine Kraft geht so schnell weg, dann muss ich mich ausruhen. Meine Atmung wird so rasch hektisch. Ich habe keine Energie mehr. Merke mehr und mehr, dass mein Körper eingeht … und mich versucht, an dem zu hindern, was ich noch ausführen möchte … töten!

Kennen Sie das auch? Sie liegen wach im Bett und finden keinen Schlaf. Der Kopf ist voll mit Müll … aber Sie können es nicht lassen, darüber nachzudenken?

Immerhin, das hört nach dem Tod auf, oder nicht?

Meine Handschuhe habe ich heute Morgen gesucht. Die lagen doch tatsächlich neben der Mikrowelle, verrückt!

Heute stand in einem Artikel: »Glaube an das Gute!«

Ha! Wenn ich nicht an mich glauben würde, wäre ich nicht so erfolgreich, so einmalig und gleichzeitig gefährlich.

Trotzdem, Sie würden mich niemals auf der Straße so einordnen. Mein Lächeln, meine Haltung, meine Ausstrahlung – ich bin für mehr bestimmt!

Freibad

Es dauerte wahrscheinlich nur wenige Sekunden. Doch später kam es ihnen vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen, bevor sie in der Lage waren, näher zu gehen und sich Gewissheit zu verschaffen über das, was sie längst ahnten. Selbst der Alkohol vermochte nicht, die Realität zu verschönern.

Zuerst kam Hans wieder zu sich. Eli lag zusammengekrümmt nur einen Schritt neben ihm. Er versuchte aufzustehen. Sein Kopf schmerzte. Er blickte kurz auf seine Armbanduhr. Es ist fünf Uhr am Morgen. Die anbrechende Helligkeit ließ ihn nun alles erkennen.

»Eleonora!«, stieß Hans panisch aus. Er atmete hastig, endlich stand er auf seinen Beinen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er nackt war, genau wie Eli. Seine Beine wollten ihm erst nicht gehorchen, dann endlich stand er neben ihr. Seine Hand berührte ihre Schulter. Sie war warm. »Gott sei Dank – sie lebt!«, schoss es durch seinen Kopf. Er ließ sich auf seine Knie fallen und rüttelte an ihrem Körper.

»Was? Oh, mein Kopf tut so weh!«, jammerte Eli und öffnete kurz darauf ihre Augen. »Warum bist du nackt?«, fragte sie und blickte an sich herab. »Hans?!«

»Weißt du noch, was passiert ist? Und wo ist Arno?«, stammelte Hans und schüttelte ihre Schulter. Eli kam nicht zum Antworten, sein Blick fiel auf den Beckenrand. Eli folgte seinem Blick und ein kurzer, greller Schrei durchdrang die Morgenruhe.

7. August

Vernehmung Hans und Eleonora

Eli, also Eleonora, und ich. Was? Ach so. Eli wird sie schon seit der Schulzeit genannt. Gut, wie Sie möchten, Frau Kommissarin, dann sage ich jetzt eben Eleonora, wenn ich über sie spreche.

Warum wir nicht direkt die Polizei gerufen haben? Wir hatten keine Kleidung und Panik, hier in den Mord hineingezogen zu werden. Dann der Ärger, den meine Frau mir machen würde. Nein, ich habe einfach nur Panik gehabt und wollte weg von diesem Ort.«

»Eleonora, warum haben Sie die Polizei nicht informiert, nachdem schon Hans, unser Herr Staatsanwalt, sich so unvernünftig verhalten hat?«, fragte Jil Augustin, die Kommissarin, und sah Eleonora prüfend an.

»Hans und ich sind gemeinsam weggelaufen. Wir waren dem Mörder begegnet, das …«

»… ist noch keine Entschuldigung für Ihr Verhalten.«

»Nein, sicherlich nicht. Wir kletterten über den Zaun, so wie in der Nacht zuvor, als wir in das Bad ­hineingeklettert sind. Dann schlichen wir durch die Straßen, immer in der Angst, gesehen zu werden. Einige Autos waren schon unterwegs.«

»Wie kamen Sie an Kleidung?«

»Was? Ach so, Sie möchten wissen, wie wir nach Hause gelangen konnten ohne Kleidung und Schlüssel. Das Problem konnte ich schnell lösen. Zum Glück habe ich immer einen Ersatzschlüssel im Garten liegen, und so kamen wir in meine Wohnung. Hans hatte Panik, ein Nachbar würde ihn sehen. Er hatte dann auch nach wenigen Minuten meine Wohnung wieder verlassen, bekleidet. Mein Freund lässt ab und zu mal was liegen. Ich wasche die Sachen immer mit, und wie der Zufall es wollte, lagen eine Sporthose und ein Shirt herum.«

Hans

»Meine Frau schlief noch, als ich zu Hause ankam. Bei uns im Haus leben meine Eltern, meine Frau, meine Kinder und ich. Dank meiner Mutter kam ich rasch ins Innere.«

»Und dann haben Sie so getan, als seien Sie gerade aufgestanden?«

»Nicht so spöttisch, Frau Augustin! Für Sie muss es ja ein tolles Gefühl sein, mich so in der Hand zu haben. Ich wollte erst einmal nachdenken, bin dann in mein Büro gefahren.«

»Der Mörder hat Ihre Kleidung und alle persönlichen Dinge, die Sie in der Nacht bei sich hatten, mitgenommen. Er hatte Sie also in der Hand.«

»Genau der Gedanke kam mir im Büro. Plötzlich hatte ich Angst um meine Frau und die Kinder. Aber auch um Eleonora.«

Kommissar Hansen

Es war so gegen halb neun, als ich im Waldbad eintraf. Der Mitarbeiter des Bauhofs hatte uns informiert. Bei der Leiche handelt es sich um Arno Taun. Papiere wurden keine gefunden, allerdings ist der Mann hier jedem bekannt. Noch gestern bei Pauls Beerdigung habe ich ihn gesehen.

Der Mann war nackt und lag mit dem Gesicht nach unten im Schwimmerbecken. Das Wasser war rot von seinem Blut gefärbt.

Doktor Gemmel, den ich sogleich informiert habe, war bereits fünf Minuten nach mir am Tatort.

Das Schwimmbad habe ich, bis alle Untersuchungen der Spurensicherung abgeschlossen sind, als geschlossen erklärt. Haben sich doch tatsächlich einige Leute beschwert, in ihrem Tagesrhythmus gestört zu werden. Das muss man sich mal vorstellen. Gestern erst Pauls Beerdigung und heute schon wieder eine Leiche.

Mitarbeiter Bauhof, Waldbad

»Ich arbeite für den Bauhof der Stadt. Das habe ich aber auch schon gesagt. Eigentlich war es für heute nicht geplant, die Anlage des Freibades aufzusuchen. Es war Zufall, wirklich Herr Hansen, reiner Zufall. Der Bernd meinte noch … ja, sicher. Nur die wirklich wichtigen Sachen interessieren Sie, das kann ich verstehen. Also, es war Zufall, dass ich heute auf dem Gelände war. Aber ich muss etwas ausholen, damit Sie auch verstehen, weshalb ich hier war. Der Bernd, mein Kumpel und Nachbar, bekommt morgen Besuch. Er will ’ne kleine Party schmeißen, wissen Sie, so mit Bier und … ja, verstehe! Also, um es auf den Punkt zu bringen … er braucht einen zweiten Kühlschrank. Da kam ich auf die Idee, den Ersatzkühlschrank aus dem Kiosk im Schwimmbad zu holen. Nur für ein oder zwei Tage, das müssen Sie mir glauben!«

»Unser Bürgermeister war informiert?«

»Ob der Bürgermeister davon wusste? Nein … er ­hätte es auch nicht gemerkt. Die Verkäuferin aus dem Kiosk ist auch bei Bernd eingeladen und deshalb …

Wie ich dann die Leiche entdeckt habe? Wann? Erst habe ich nichts bemerkt. Gegen sieben heute Morgen war ich schon am Freibad. Beim Aufschließen sind mir die Schlüssel auf den Boden gefallen, fängt ja gut an der Tag, habe ich noch gemault.«

»Stand ein Auto vor dem Freibad?«

»Nein, nein. Weit und breit war niemand zu sehen. Die ersten Besucher kommen erst ab acht Uhr. Meistens Rentner. Die Stadt hat so ein Sonderticket für Frühaufsteher. Die bezahlen dann etwas weniger, dürfen aber nur bis zwölf im Bad bleiben. Hat unser Bürgermeister eingeführt.«

»Sie haben das Bad aufgeschlossen, und dann?«

»Bin ich zum Eisschrank. Ausräumen musste ich den auch noch. Die Verkäuferin war gestern auf Pauls Beerdigung, anschließend Ausnahmesituation! Der halbe Ort war im Ausnahmezustand. Unser Paul, die Hoffnung der Region, der Liebling aller Frauen. Ach, man soll über Tote nicht schlecht reden.«

»Was wissen Sie über Paul?«

»Soll ich jetzt berichten, wie ich den Arno gefunden habe, oder über das Leben von Paul quatschen? Was? Ja, ja. Also, der Paul ist hier aufgewachsen, den kennt man. Hat viel in den Vereinen gemacht, die Eltern auch schon. Ist dann zum Studieren weg. Freundin? Ja und nein. Was ich damit meine? Er war halt beliebt bei den Frauen. Genau weiß ich auch nichts zu sagen. Habe ja nicht die Laterne gehalten.«

»Was?«

»Ist so ein Spruch, Herr Kommissar, tut nichts zur Sache. Glaube, er hatte eine Freundin im Ministerium, ganz ’ne Erfolgreiche. Aber gesehen habe ich die nie, niemals. Das können Sie mir glauben! Wo ich das gehört habe? Ja, in der Kneipe, gestern. Nach der Beerdigung war doch richtig was los gewesen. Also, fast so wie beim Brunnenfest vergangenen Monat, als … schon gut! Aber es war echt was los. Alle waren gekommen.«

»Auch die Frau aus dem Ministerium?«

»Ich kenne doch nicht alle Frauen. Denke aber mal nein. Die hätte doch sonst neben dem Bürgermeister gesessen, und da saß während der Beerdigungsfeier der Landrat. Jetzt müsste ich aber gehen, die Arbeit macht sich nicht von allein. Außerdem muss ich jetzt noch einen anderen Kühlschrank besorgen. Den hier aus dem Schwimmbad kann ich nicht mehr holen. Da laufen Ihre ganzen Kollegen rum und der Bürgermeister. Haben Sie nicht bei sich im Büro einen stehen, den Sie uns mal ausleihen? Nein? Schade, echt.

Wann ich den Arno gefunden habe?

Ja, das war, nachdem ich den Kühlschrank ausgeräumt hatte, so gegen zehn vor acht. Lange gedauert? Das Ausräumen? Ja, also, ich habe noch eine kurze Pause gemacht und was getrunken. Wissen Sie … ich hab noch auf den Karl gewartet. Der sollte mir helfen, den Kühlschrank auf den Hänger zu schleppen. Karl rief mich auf dem Handy an, seine Schwiegermutter sei gefallen, und er müsse sie zum Arzt bringen. Ich war nicht begeistert, das können Sie mir glauben! Also hab ich anschließend versucht, das Teil alleine zu schleppen, und gerade als ich den Kühlschrank anhebe, geht mein Blick Richtung Becken, und da sehe ich ihn.

Nein! Wenn ich es Ihnen doch sage. Ich habe natürlich in dem Moment noch nicht geahnt oder gewusst, dass es sich um Arno handelt, der dort im Wasser treibt. Den restlichen Besuchern hat er ordentlich den Badespaß verdorben. Darf doch keiner heute mehr rein in das Freibad. Also ich glaube ja …«

Rückblende: 3. August

Paul

Beim Nachhausekommen, am Abend zuvor, war seine Frau noch aufgewesen. Sie hatte immer noch in ihrem Atelier gestanden und gemalt. Nicht einmal umgedreht hatte sie sich, als Paul ihr einen guten Abend wünschte.

»War dein Skatabend ein Erfolg?«, hatte sie ihn mit monotoner Stimme gefragt.

Paul erzählte von den vielen Runden, die er gewonnen hatte, und dass er nächste Woche einmal zu Hause bleiben und sich um sie kümmern werde. Man könne doch mal wieder essen gehen.

Seine Frau hatte nur gelächelt und weitergemalt.

Paul ging schlafen. Seit zwei Jahren schlief Paul in seinem Arbeitszimmer im Erdgeschoss. Er hatte sich damals eine Ausziehcouch zugelegt.

Ihm war nicht entgangen, dass seine Frau sich in jüngster Vergangenheit verändert hatte. Sie war viel gelöster und sah blendend aus. Ihm war aufgefallen, dass sie beim Malen wieder sang, wie zum Anfang ihrer Ehe.

Einige Male hatte er sie heimlich durch das Fenster im Atelier beobachtet.

Am Freitag, das heißt vor vier Tagen, hatte er diese Magenkrämpfe bekommen. Er solle zu Hause bleiben und sich ins Bett legen, hatte seine Frau gemahnt.

Die Krämpfe hielten noch zwei Tage an, dann ging es Paul wieder besser.

»Warum gehst du nicht mal zum Arzt?«, hatte seine Frau ihn an diesem Morgen gefragt. Sie sah besorgt aus.

Er fand ihre Besorgnis rührend. Klar, hatte sie von dem Verhältnis zu Wilma Sauer, Mitarbeiterin der Verwaltung, etwas mitbekommen, obwohl er sich stets um Diskretion bemüht hatte. Ob sie auch von Susi wusste?

Mit fahler Gesichtsfarbe schleppte er sich an diesem Morgen in die Stadtbank. Der Termin mit Bürgermeister Karbach und von Tannenberg, potenzieller Geldgeber für die neue Windkraftanlage, war wichtig. Er fuhr zuerst noch in die Verwaltung, sprach kurz mit seiner Sekretärin den Tag durch. Gegen halb neun machte Paul sich auf den Weg in die Stadtbank. Das Gespräch verlief gut. Von Tannenberg erklärte sich bereit, drei Millionen zu investieren. Die Gemeinde, sprich der Bürgermeister, verlangte eine Beteiligung für die Gemeinde. Paul war zufrieden. Der Bankdirektor hatte alle Papiere für die Unterschrift vorbereitet.

Der Termin dauerte ungefähr eine Stunde. Nach dem Unterzeichnen der Papiere trank man noch einen Kaffee zusammen. Gemeinsam verließen von Tannenberg, Bürgermeister Karbach und Paul die Bank. Vom Bankdirektor hatten sie sich bereits verabschiedet. Vor der Bank reichte Paul von Tannenberg die Hand, um sich zu verabschieden. Karbach stand neben von Tannenberg, als der Schuss fiel. Es ging ganz schnell. Paul brach zusammen, ehe er von Tannenbergs Hand greifen konnte. Eine Passantin von der gegenüberliegenden Straßenseite schrie, Fenster wurden aufgerissen, einige Bankangestellte gerieten in Panik und dachten, dies sei Teil eines Überfalls. Paul hatte ein Lächeln in seinem Gesicht. Das sagte später der Bürgermeister aus.

Kommissarin Jil Augustin, 3. August, am Morgen

Mein Handy suche ich fast täglich. Ja, in gewisser Weise bin ich unordentlich, jedenfalls was meine Wohnung angeht. Bei meiner Arbeit bin ich penibel. Damit ecke ich manches Mal bei meinen Kollegen an.

Gestern Abend hatte meine Freundin Elke noch spät angerufen und mich zu einem Ausflug nach Köln überredet. Es war mein freier Tag, und daher habe ich spontan ja gesagt. Ein Frauentag in Köln − einkaufen, gut essen gehen, Spaß haben.

Ich brauchte noch etwas Neues zum Anziehen für meinen Geburtstag, habe ich Elke auf der Fahrt erzählt.

»Dann gibt es also eine große Party?«, rief Elke begeistert.

»Ja, soweit kein Mord dazwischenkommt. Sag, Elke, was zieht man an seinem vierzigsten Geburtstag an? Ein Kostüm mit Pumps? Oder soll ich mir doch lieber wieder eine neue Jeans zulegen?«

»Kauf dir eine Jeans, Jil! Die stehen dir gut. Außerdem kann und will ich mir nicht vorstellen, wie meine Freundin in einem Kostüm aussieht, vielleicht noch eines in Mausgrau? Du hast nicht zufällig einen neuen Freund, Jil? Einen Beamten?« Ihre Stimme klang spöttisch.

»Elke, du bist verrückt. Ich mache mir ernsthafte Sorgen, was ich an meinem Geburtstag anziehe, und du machst dich lustig über mich.«

»Zieh eine Jeans an! Das habe ich doch schon gesagt.«

»Ich finde, ich sollte mich mal etwas anders kleiden. Wie wäre es denn mit einem Kleid?«

»Manfred?«, fragte Elke und blickte mich vom Beifahrersitz aus an.

»Ja, er hat nie gewollt, dass ich Kleider trage.«

»Dann kaufen wir dir ein Kleid.« Elke hob ihr Kinn und blickte mich zufrieden an. »Dieser Manfred hat nie zu dir gepasst.«

Die Beziehung zu Manfred Luck, einem Journalisten bei der Tageszeitung, ist vor wenigen Tagen zerbrochen. Unser »Wir-versuchen-es-noch-einmal-Liebling-Versuch« ist zum fünften Mal gescheitert. Das Verrückte war, ich liebte diesen Mann immer noch. Es verging kaum eine Stunde, in der ich nicht an Manfred dachte.

Vielleicht sollte ich Elke fragen, ob wir gemeinsam für einige Tage verreisen könnten. Seit ich umgezogen bin, arbeite ich zu viel. Der erste Mord, in den ich direkt reingeschlittert war, geschah im Landschaftsmuseum, nachdem ich von Hamburg zurück an den Rhein gezogen bin. Der Umzug sollte mir etwas Abstand zu meiner gescheiterten Ehe bringen. Außerdem hegte ich die Hoffnung, in der vertrauten Umgebung aus Kinder­tagen ein ruhiges Leben führen zu können.

Bei meinem zweiten Fall arbeitete ich mit dem Kollegen Schuster aus Sankt Goarshausen zusammen. Zu Anfang konnte er sich kaum auf die Arbeit konzen­trieren, er hatte Eheprobleme. Bei der Auflösung des Falles hatte Schuster sein Privatleben wieder im Griff, und ich stand ohne Manfred da. Es folgte eine kurze, aber heftige Liaison mit Bürgermeister Toni Karbach aus Kamp-Bornhofen. Eigentlich ein sehr interessanter Mann. Doch immer, wenn ich mit Toni zärtlich wurde, dachte ich an Manfred. Das ist doch absurd!

Manfred meinte immer, meine Natürlichkeit ziehe ihn an. Ja, das hat er immer betont. Meine Haare habe ich während unserer Beziehung immer mehr abschneiden lassen. Zu Anfang, als wir uns kennenlernten, trug ich meine Haare immer offen. In weichen Wellen fielen sie bis über meine Brust. Manfred hasst es, wenn Frauen stundenlang im Bad stehen, um sich zu frisieren. Kleidungsmäßig bin ich immer alternativer geworden. Manfred ist ein Altachtundsechziger, schulterlanges, leicht gräuliches Haar, verschmitztes Lächeln, toller Oberkörper und Augen zum Dahinschmelzen. Elke hat nie verstanden, was ich an Manfred so liebe. Elke wohnt noch immer in meinem Heimatort. Sie hat es nie gepackt, wegzuziehen. Wahrscheinlich hat sie es auch nie gewollt. Als ich zurück kam von Hamburg, war ich erst einmal zu meinen Eltern gezogen. Das war aber nichts mehr für eine erwachsene Frau. So schön es auch ist, wenn der Frühstückstisch morgens gedeckt ist, doch die permanente Einmischung in mein Privatleben ging mir zunehmend auf die Nerven. Manfred hat sich einmal vor Lachen gekrümmt, als ich ihn mit auf mein Zimmer genommen hatte.

»Ich soll dich hier lieben, Jil, wo nebenan Mama und Papa schlafen?«