Naschen erlaubt - Manuela Lewentz - E-Book

Naschen erlaubt E-Book

Manuela Lewentz

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Beschreibung

"Ich liebe es zu Naschen, nicht nur Schokolade", so Lydia Lowere, Lottes Tante. Lydia hat es verstanden, zu leben und mit allen Sinnen zu genießen, das Leben und die Männer. Die Gene der Tante sind leider nicht 1 zu 1 bei Lotte angekommen. Männer sind für Lotte noch immer ein unbekanntes Buch. Ein Wochenende in Dresden verspricht Abwechslung und garantiert auch neue Begegnungen, die unverhoffte Wendungen nach sich ziehen. Witzig, lustig und immer so herrlich nah an der Realität, die Frauenromane von Manuela Lewentz.

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Inhaltsverzeichnis

Lotte

Ina

Karin

Lotte

Petra

Am Abend

Vincenz

Petra

Lotte

Petra

Vincenz

Maja

Petra

Vincenz

Lotte

Der nächste Morgen Samstag

Petra

Karin

11 Uhr

Lotte

19 Uhr

Petra

Lotte

Karin

Petra

11 Uhr

Lotte

Karin

Ina

Lotte

Das nächste Wochenende

Petra

Eine halbe Stunde später

Ina

Lotte

Der nächste Morgen

Zwei Stunden später

Vier Wochen später

Lotte

Johannesburg

Petra

Vincenz

Ina

Drei Stunden später

Lotte

Franz

Die nächsten Tage

Ina

Ankunft in Deutschland

Lotte

Der nächste Morgen

Petra

Lotte

Die nächsten Tage

„Wer geht schon auf das Kinderkarussell, wenn die Achterbahn in Aussicht steht?“, Lydias Worte hängen über den Köpfen der Freundinnen.

Lotte

„Wie lange hattest du keinen richtigen Sex mehr?“ Karins Frage bringt mich kurz zum Schweigen. „Habe ich nicht gerade mit dir über mein Outfit für die Vernissage gesprochen?“ Meine Frage klingt hohl, was mich ärgert. „Natürlich haben wir gerade darüber gesprochen, du zumindest, Lotte. Deine Zweifel bezüglich deiner Kleiderwahl, die ich sonst nicht von dir kenne, lassen mich diesen Rückschluss schließen.“

„Quatsch! Ich habe dich oder Petra schon öfter um Rat gebeten, wenn ich eine schöne Einladung hatte und im Vorfeld unschlüssig war, was ich anziehen soll.“

„Ja, das stimmt, Lotte. Es ist nur so, deine Stimme klingt aufgekratzt. Ich kenne dich schon seit Jahren. Dieser Unterton ist nicht zu überhören bei dir.“

Puh, denke ich. „Wenn ich einen Psychologen anrufen möchte, dann wähle ich bestimmt nicht deine Nummer.“

„Wie du meinst, Lotte. Ich bleibe trotzdem bei meiner Vermutung, dir fehlt Sex.“ So selbstverständlich, wie Karin sagt, was sie gerade denkt, das verblüfft mich doch, obgleich wir Freundinnen immer offen miteinander umgehen. Nur in diesem Punkt bin ich aktuell empfindsam.

„Ich habe gerade viel zu arbeiten und an den Wochenenden hat Theo oft seine kleine Tochter und die schläft mit Vorliebe zwischen uns im Bett.“

„Puh, das klingt nicht prickelnd.“

„Nein, ist es wirklich nicht. Nur, das ist ja nicht alles.“

„Ich bin ganz Ohr.“

„Irgendwie habe ich das Gefühl, Theo sieht mich nicht als feste Partnerin. Ich darf immer wieder auf die Kleine aufpassen, er schmust gerne mit mir, soweit ist alles gut und doch spüre ich, für ihn nur eine Kurzzeitliebe zu sein.“

,,Mir tut leid zu hören, dir geht es nicht gut, Lotte! Wie sehr freue ich mich auf unser gemeinsames Wochenende und die Gelegenheit, mit meinen Freundinnen zu reden.“ Karin atmet tief ein und aus, was ich hören kann.

„Mir liegt auch viel an dem Wochenende und ich bin für mich voller Hoffnung auf eine positive Wendung. Keine Ahnung, wieso ich so fest davon überzeugt bin, Karin, ich spüre es einfach. Das Treffen und die Gespräche mit euch, es wird für mich eine Veränderung bringen.“ Meine Worte erheitern Karin, ich höre die Freundin laut lachen.

„Ich muss allerdings noch meine Kleiderauswahl treffen und darum bitte ich dich jetzt erneut um einen Rat. Soll ich mein kurzes, enges rotes Kleid anziehen?“ Meine Frage bringt Karin erneut zum Lachen. „Mit dem Ausschnitt ziehst du alle Blicke auf dich, da muss ich mich ja mächtig anstrengen, um nicht übersehen zu werden“, darf ich anschließend aus ihrem Mund hören. Wie fröhlich doch Karins Stimme klingt und wie gut mir die Aussicht tut, bald in Dresden zu sein. „Pack in jedem Fall das sexy Kleid ein, Lotte!“, muntert Karin mich erneut auf. „Vergiss nicht die hohen schwarzen Pumps! Das ist ein Muss unter diesem scharfen Fummel.“

Meine Frage, was Karin an dem Abend der Vernissage anzieht, ist rasch beantwortet. „Als Mitorganisatorin der Vernissage und in Anlehnung an den Künstler schlüpfe ich in einen Farbtopf, bildlich gesehen“, erneut ist ihre Stimme mit Lachen unterlegt. „Ich muss jetzt weiterarbeiten“, beendet Karin viel zu rasch unser Telefonat. Kurz sinniere ich über ihre Bemerkung zu dem eigenen Outfit nach. Eine Lösung für Karins Andeutung will mir nicht in den Sinn kommen. Als wichtig stufe ich ihre Worte gerade nicht ein, immerhin weile ich an dem Abend der Vernissage an Karins Seite und somit ist das Rätsel um Karins Outfit bald gelüftet. Mein rotes Kleid betrachte ich noch einmal und muss lächeln. Ja, in diesem Kleid werde ich nicht übersehen. Ein Gedanke, der mir gerade anfängt zu gefallen. Warum soll mein Leben nicht wieder einmal verrückt sein, wenigstens für ein Wochenende! Lydia Lowere, so denke ich, meiner Tante hätte diese Entscheidung auch gefallen. Bei diesem Gedanken erhellt sich meine Stimmung und ich werde mir einmal mehr gewiss, mir geht es vom Grunde her doch gut.

Für mich ist das Leben jetzt gerade nicht bunt und schillernd, was ich als Wehmutstropfen empfinde. Doch gesundheitlich fühle ich mich grandios. Lediglich mein Ego als Frau ist angekratzt, ich fühle mich nicht wirklich begehrt. Theo kann mir nicht das Gefühl vermitteln, eine Traumfrau für ihn zu sein. Er muss jetzt nicht lügen, wenn es um die Cellulite an den Oberschenkeln geht, nur möchte ich gerne einmal wieder hören: Lotte, du siehst wunderschön aus. Ich liebe dich, so wie du bist. Meine Herzensfrau bist du … Mir fallen noch mehr Komplimente ein, die ich leider nicht gesagt bekomme. Das muss auch der Grund sein, weshalb mir im Alltag die Energie fehlt. Das kurze Telefonat, Karins aufmunternde Worte, sie haben mir gutgetan. Kein Wunder, in der letzten Woche habe ich kaum ein Kompliment von meinem Freund erhalten, das mein Ego beflügeln konnte. Obgleich ich mich bemüht habe, sein Lieblingsessen zu kochen, mit seiner Tochter zu malen und einen Kuchen mit dem Kind zu backen. Theo hat das alles wie selbstverständlich hingenommen, was mir wehtut. Für ihn habe ich mich bemüht, mich zu verändern, habe an mir gearbeitet. Karins Worte schleichen sich plötzlich wieder in mein Unterbewusstsein. Ihre Aussage, mir fehle Sex, klingt in meinen Ohren nach. Ja, sie hat recht mit ihrer Bemerkung. Trotzdem liegt meine Traurigkeit nicht nur an dem fehlenden Sex. Ich fühle mich als Frau nicht mehr wahrgenommen.

Um meine Gedanken zu ordnen, komme ich auf die Idee, ein paar Zeilen an Frau Krautwinkel zu senden:

Liebe Frau Krautwinkel,

ich stehe schon in den Startlöchern für meine Kolumne, die in den Ausgaben Oktober und November erscheinen soll. Bitte teilen Sie mir noch das Thema mit, über das ich schreiben darf.

Mit besten Grüßen

Lotte

Hoffentlich bekomme ich schon bald die neue Aufgabe und habe somit die gewünschte Ablenkung in meinem Leben. Das Schreiben, Eintauchen in meine Gedanken und Worte, meine Fantasie sind für mich Erholung pur!

Erneut wandern meine Gedanken zu Theo und meiner Freundschaft zu ihm. Seine kühle und distanzierte Art im Umgang mit mir ist mir zu Beginn nicht als störend aufgefallen. Nur, jetzt spüre ich immer deutlicher, ich werde vernachlässigt.

Ob dies auch der Grund dafür ist, dass ich so glücklich bin, sobald ich nur das kleinste Kompliment von außen erhasche? Vom Grunde her sollte ich vor Glück Luftsprünge machen. Jetzt steht mir doch die kleine Reise nach Dresden bevor. Der Gedanke an diese Auszeit, die Aussicht, Karin wiederzusehen, sie beflügelt mich regelrecht. In den letzten Tagen habe ich mir so viele Gedanken um mein Outfit gemacht, wie lange nicht mehr. Meinem väterlichen Freund Vincenz ist es zu verdanken, dass diese kleine Reise in der Gesellschaft meiner Freunde stattfinden kann. Petra, Ina und ich sind eine feste Gemeinschaft, natürlich gehört noch Karin in unsere Runde. Lustig finde ich, Anton Wall, der begnadete Künstler, wird uns begleiten, ebenso Vincenz, der die Reise organisiert hat. Zunächst war ich verwundert über den Wunsch von Vincenz, dass wir alle ohne unsere Partner zu der Vernissage reisen. „Es wird nicht nur mit guttun. Eine kleine Abwechslung dürfte auch in eurem Sinne sein.“ Wirklich verstanden habe ich seine Andeutung nicht. Nun gut, Vincenz ist Anfang achtzig und für mich wie ein Vater. Warum soll ich ihm nicht ein Wochenende lang meine ganze Aufmerksamkeit schenken, ihm und meinen Freundinnen, wohl gemerkt. Mir fällt die gemeinsame Zeit auf dem Kreuzfahrtschiff ein. Damals war viel passiert, besonders in meinem Leben. Auch diese Reise war von Vincenz organisiert worden. Ich hole tief Luft und lasse mich auf mein Bett fallen, neben meinen Koffer, auf dem obenauf das rote Kleid liegt.

Eigentlich wollte ich mit Ina und Petra im Zug anreisen. Nach der aktuellen Planung muss ich vorher zunächst im Café arbeiten. Meine Aushilfe muss zum Arzt und daher muss ich die ersten beiden Stunden im Café einspringen. Deshalb schaffe ich es nicht pünktlich zum Bahnhof zu kommen und reise daher mit meinem Auto an. Vincenz und Anton reisen ebenfalls mit dem Auto, leider fahren beide schon so früh los, dass ich nicht mitfahren kann.

Während mein Blick auf dem Koffer ruht, muss ich erneut an Theo denken.

Mit meinem Freund Theo läuft es gut, aber ist das nicht zu wenig, zu sagen, es läuft gut? Ich bin mit dem Mann noch keine zehn Jahre zusammen, was wird danach kommen? Antworte ich dann auf die Frage, wie es in meiner Beziehung läuft, „mit es geht?“ Traurige Aussichten sind das für mich. Ja, es ist die Wahrheit, nicht jedes Treffen lässt mich voller Glückseligkeit zurück. Jedoch empfinde ich auch positive Momente bei diesem Mann, was ich auch bei dem Telefonat mit Karin erwähnt habe.

„Lotte? Für mich hört sich das nach dem Leben an, welches Rentner nicht einmal führen.“ Karin war geschockt über mein Resümee zu meiner aktuellen Beziehung. „Wo ist die Lotte, die mir von ihrem Freund vorschwärmt? Wann haben deine Augen zuletzt vor Freude geleuchtet beim Warten auf Theo? Spürst du sie noch, die Gier in seinen Armen zu liegen, dich fallenzulassen und diesen Mann regelrecht aufsaugen zu wollen?“ Das Telefonat hat einen Teil meiner Beziehung und die Wahrheit darüber zu Tage gebracht. Im Verdrängen bin ich Weltmeister, wie mir gerade wieder einmal bewusst wird.

Wieso nur muss die Liebe so kompliziert sein?

Auf meinem Weg vom Badezimmer zum Flur bleibe ich kurz am Spiegel stehen. Skeptisch wandern meine Blicke über das bunte, kurze Kleidchen, für das ich mich heute entschieden habe zu tragen. „Ich sehe doch gut aus“, muntere ich mich selbst auf und gehe vergnügt in meine Küche. Im Stehen gönne ich mir einen Espresso, dann eile ich aus meinem Haus.

„Hoppla, Fräulein Lotte“, höre ich meinen alten Briefboten rufen. Über den Gartenzaun seines Grundstücks, in dem er inzwischen lebt, ragt sein hagerer Kopf hervor. „Guten Morgen“, werfe ich euphorisch zurück. „Was für ein wunderschöner Tag!“

„In Ihrem Alter sollten Sie sich anständig kleiden“, darf ich hören, während ich gerade meine Autotür öffne. „Das darf doch nicht wahr sein!“, drehe ich mich noch einmal um. Auf meinen Lippen liegen bereits Worte, die ich glücklicherweise hinunterschlucken kann. Mit einem aufgesetzten Lächeln eile ich in mein Auto und brause davon.

Was, so meine Überlegungen, läuft aktuell schief? Mein Leben, so, wie ich es gerade führe, ist schon als spießig zu bewerten. Jetzt muss ich mir auch noch von meinem alten Briefträger sagen lassen, wie ich mich ordentlich, wohl gemerkt in seinen Augen, zu kleiden habe. Wie ich es hasse, so kritisiert zu werden. Leben und leben lassen! Ja, die Worte von Lydia Lowere sollte ich dem Briefträger ins Gesicht rufen. Zweifel keimen unvermittelt in mir auf und ich bin mir bewusst, ihm würden diese Worte nicht zu Herzen gehen. Manche Menschen kann man nicht mehr verändern, auch das habe ich in den letzten Jahren gelernt. Erwachsen zu werden bringt die Gewissheit mit sich, einen geschulteren Blick und mehr Erfahrung in vielen Lebenslagen zu haben, jedoch schleicht sich auch die Gewohnheit darunter. Langeweile kann ich nicht gebrauchen und sobald ich an diesem Punkt in einer Beziehung angekommen bin, muss ich gehen. Schleichend kommt der Gedanke in meinen Kopf, dass meine aktuelle Verbindung immer mehr zur Routine wird. Bin ich beziehungsunfähig? So oft schon habe ich mir diese Frage gestellt, an mir gezweifelt.

Liegt es an mir? Ich funktioniere und arbeite mehr Stunden in meinem Café als ich es je zuvor getan habe.

Die Wochenenden verbringe ich meist mit Theo und seiner kleinen Tochter Anna, die ich sehr mag. Das kleine Mädchen bringt eine Seite in mir zum Vorschein, die bis zu dieser Begegnung im Verborgenen lag. Fast komme ich zu dem Resultat, diese Gefühle lagen in einem Dornröschenschlaf. Ein Kind in seiner Nähe zu haben, bringt Abwechslung. Jedes Wochenende, an dem Anna bei uns schläft, müssen wir überlegen, was können wir mit dem Kind unternehmen. Die Spielplätze der Umgebung kenne ich inzwischen und den Sand, der mir beim Spielen in die Schuhe rutscht, ebenfalls. Mein Leben hat mit dem Kennenlernen von Theo eine Kehrtwende von 180 Grad genommen. Eventuell ist diese Veränderung zu heftig für mich?

Immer wieder kommen mir die Worte von Karin in den Kopf. Beim Einparken vor meinem Café muss ich daran denken und beim anschließenden Arbeiten ebenso. Ihre Worte haben mich aus dem Lot gebracht und irgendwo in meinem Kopf einen Schalter umgestellt, der mich nicht mehr zur Ruhe kommen lassen will. Bin ich glücklich in meiner Beziehung? Will ich so weiterleben, bis ich eine alte Frau bin und keine Kraft und Energie mehr habe, um verrückte Dinge zu tun?

„Ich wollte keinen Kakao! Oder sehe ich noch wie ein kleines Kind aus?“ Die Stimme der Frau, die vor mir sitzt, klingt nicht nach einem Spaß. Meine Konzentration wird nicht nur von den Gästen angezweifelt, auch meine Aushilfe spricht mich an. „Haben Sie Kummer?“, will sie wissen, nachdem ich einen Käsekuchen an den Tisch gebracht habe, wo meine Marzipantorte sehnlichst erwartet wurde.

„Ist heute nicht so ganz mein Tag“, gebe ich offen Auskunft.

Um 19 Uhr schließe ich erleichtert die Tür zum Café zu und lasse mich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Meine Aushilfe wischt noch den Fußboden, ein Angebot, das ich heute sehr gerne angenommen habe. „Wenn ich private Probleme habe, bin ich auch immer durcheinander. Ganz besonders, wenn ich einen Streit mit meinem Freund habe“, höre ich meine Aushilfe kundtun, während sie unter dem Tisch wischt, an dem ich noch sitze. Meine Füße hochhaltend denke ich über ihre Worte nach. „Männer sind nicht so leicht in den eigenen Rhythmus zu integrieren“, hole ich Luft. ,,In wenigen Tagen reise ich nach Dresden, die Aussicht tut mir gut!“

„Sie können die Füße wieder auf den Boden stellen“, kommt ein Lachen als Antwort. „Ihr Kopf ist schon rot.“

„Ja, mir ist die Anstrengung der kleinen Übung bestimmt anzusehen. Ich muss mir einmal wieder die Zeit nehmen, um sportlich aktiv zu werden“, greife ich wenig später nach meiner Tasche.

Noch auf der Fahrt nach Bremberg denke ich über den heutigen Tag und meine Verfassung, die als sehr durcheinander zu bezeichnen ist, nach. Unkonzentriert fahre ich beinahe einem anderen Auto, das an einer Ampel hält, auf den Kofferraum. In letzter Sekunde kann ich einen Aufprall verhindern. Erschöpft wähle ich über meine Freisprechanlage Ina an.

„Komm doch zu uns zum Abendessen“, höre ich die vertraute Stimme meiner Freundin und fühle mich unvermittelt schon wieder besser. „Was sagt Johann, wenn ich plötzlich in der Küche auftauche?“ Ina lacht meine Bedenken weg. „Johann hat noch Arbeit mit nach Hause gebracht, was bedeutet, nach dem gemeinsamen Essen verzieht er sich in sein Arbeitszimmer und ich habe Zeit für dich. Wolfi schläft heute Nacht bei Rosalinde und Vincenz. Einem gemeinsamen Glas Prosecco steht nichts im Wege.“ So, wie Ina es sagt, kann ich nicht umhin zuzusagen. Jedoch lehne ich die liebe Einladung zum gemeinsamen Essen ab. „Ich muss erst einmal unter die Dusche, Ina. Der Tag im Café war stressig und ich bin verschwitzt.“ So ganz will Ina mir nicht abnehmen, dass dies der wahre Grund ist. Mir gelingt es aber sie zu überzeugen. „Dann komme ich um halb neun zu dir. Ich freue mich sehr auf dich!“, beende ich zufrieden das Telefonat.

Ina

Kurz vor halb neun steht Lotte vor meiner Tür und ich sehe meiner Freundin an, sie hat Redebedarf. Johann hat sich nach dem Abendessen, wie von mir vermutet, in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Für Lotte habe ich noch eine Portion Gulasch mit Nudeln aufgehoben. Den Teller stelle ich vor Lotte auf den Tisch, obwohl sie zunächst ablehnen möchte. „Und ein Glas Prosecco gibt es auch dazu“, eile ich zu meinem Kühlschrank. „Du bist ein Schatz“, greift Lotte zu dem Essen und ich kann beobachten, sie ist mit leerem Magen zu mir gekommen. Ganz so, wie ich es vermutet habe. Während Lotte kaut, fange ich an, unsere Gläser zu füllen, dann lehne ich mich einen Moment zurück und warte, bis Lotte aufgegessen hat. „Du bist eine der besten Köchinnen, die ich kenne“, schiebt Lotte den Teller von sich weg. „Wie sehr freue ich mich auf Dresden“, wirft sie schon etwas gelöster nach.

„Dann stoßen wir jetzt auf Dresden an“, hebe ich mein Glas und Sekunden später klirrt Lottes Glas an meines. „Ich muss einfach einmal raus und benötige einen Tapetenwechsel“, seufzt Lotte nach einem kräftigen Schluck. Ihr Glas stellt sie vor sich auf den Tisch und ich darf zusehen, wie sie das Glas im Anschluss anstarrt und in den Händen dreht. „Möchtest du reden?“ Meine Frage bringt Lotte dazu, ihren Blick zu heben und mich anzusehen. Ihre Hände liegen noch immer um das Glas, jedoch hat sie ihre Drehbewegungen unterbrochen. „Bist du glücklich, Ina?“ Über Lottes Frage kann ich zunächst nur lachen. „Ja, ich bin sehr glücklich, Lotte. Hast du schon vergessen, ich werde bald heiraten. Diese Tatsache sowie meine Liebe zu Johann und zu Wolfi, sie machen mich zu einer sehr glücklichen Frau.“ Lotte nickt, ihren Blick lässt sie wieder auf das Glas fallen. „So möchte ich auch einmal auf die Frage antworten können, ob ich glücklich bin.“

Oh, so mein spontaner Gedanke, neue Probleme zeigen sich am Horizont. „Gibt es Gewitterwolken in deiner Partnerschaft, Lotte? Habe ich einen Streit nicht mitbekommen oder wo liegt dein Problem?“ Lotte nimmt noch einen kräftigen Schluck Prosecco und ich muss mich in Geduld üben. „Mir geht es ja gut“, darf ich im Anschluss erfahren. Auf weitere Auskünfte muss ich erneut warten. Auch gefühlte fünf Minuten später, in denen ich die Spülmaschine in Gang setze, gibt Lotte mir keine weiteren Einblicke in ihr Leben. „Nächsten Freitag geht es ja schon auf Reisen“, steht Lotte unvermittelt neben mir. „Du willst schon wieder gehen?“ Mein Blick fällt auf ihre Tasche, die Lotte zuvor auf dem Boden abgelegt hatte und jetzt über ihre Schulter hängen hat. „Ja, ich muss nachdenken und noch telefonieren“, wirft sie mir einen Kuss zu und dreht sich unverhofft um. „Wir reden in Dresden, dort werden wir mehr als genügend Zeit dafür finden“, dreht Lotte sich in der Tür noch einmal um, dann eilt sie aus meiner Küche und ich höre, wie im Anschluss meine Haustüre geöffnet wird und wieder ins Schloss fällt. Unschlüssig bleibe ich an meiner Spüle stehen. Ob Lotte mit Theo schon wieder in der Endphase der Beziehung angekommen ist? Kurz schiele ich zu der Tür, hinter der sich Johann befindet. Es ist ruhig und sicherlich wird er noch eine Weile in seinem Refugium bleiben. Zeit genug für mich habe ich, daher greife ich zu meinem Handy und rufe Karin an.

„Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, Ina. Ich bin so freudig aufgeregt, auf die Vernissage, auf ein Wiedersehen mit euch Freundinnen und auf Vincenz und Anton.“ Karin redet und redet und scheint nicht zu ahnen, dass ich auch gerne etwas sagen möchte. „Für Vincenz und Anton habe ich ein Hotelzimmer gemietet, so, wie Vincenz es auch liebt. Ruhig und edel. Etwas gespannt bin ich auf die Reaktion der anderen Hotelgäste beim Anblick von Anton Wall. Unser Künstler, wie ich weiß, wird sicherlich in einem sehr ausgefallenen Look erscheinen. Das Bild, das Vincenz und er abgeben werden, es wird für Aufsehen und Gerede sorgen“, Karin wirkt belustigt auf mich. Ihre Stimme verrät, der Freundin geht es gut. Im Anschluss werde ich von Karin noch über die weiteren Vorbereitungen im Kunstmuseum unterrichtet. „Stell dir nur vor, der ausstellende Künstler hat uns alle Gemälde nochmals neu aufhängen lassen. Die zuvor gewählte Anordnung der Gemälde habe ihn nervös gemacht und Bauchgrummeln verursacht.“ Karin holt tief Luft und ich glaube schon, jetzt finde ich die Gelegenheit, um von Lottes Besuch zu erzählen, da ist Karin schon wieder in ihrem Element. Die nächsten zehn Minuten bekomme ich einen Einblick in das Leben des Künstlers, das in der Tat sehr facettenreich ist. Karin gelingt es, mich abzulenken. Plötzlich sind die Sorgen um Lotte aus dem Kopf und wir sprechen angeregt von der bevorstehenden Vernissage. „Dass der Künstler auch in dem Hotel übernachtet, in dem ich Vincenz und Anton untergebracht habe, ich finde es hat schon mit Fügung zu tun“, betont Karin mit einer Stimmlage, die mich hellhörig macht. „Was führst du im Schilde?“, werfe ich in dem Moment ein, als Karin eine Pause einlegt. Im Hintergrund höre ich einen Mann nach Karin rufen. „Es tut mir leid, Ina, ich bin noch im Kunstmuseum und mein Direktor ruft nach mir. Der Art nach, wie er nach mir schreit, lässt vermuten, der Künstler hat erneut Wünsche, die wir noch rasch ausführen müssen.“ Ohne noch auf mein Tschüss zu warten, beendet Karin das Gespräch. Traurig stelle ich Lottes Glas auf die Spüle und gönne mir noch ein frisches Glas Prosecco, mit dem ich mich auf mein Sofa setze. Johann kommt in dem Augenblick zu mir, als ich gerade durch die Programme zappe. „Lotte hat mir gegenüber so komische Andeutungen zu ihrer Freundschaft mit Theo gemacht“, schiele ich Johann von der Seite an.

„Oh, Ina!“, er nimmt mich in seinen Arm und küsst mich. Es tut so gut, ihm nahe zu sein. „Lotte wird sich in diesem Leben nicht mehr ändern. Gut, jetzt war sie tatsächlich für kurze Zeit in einer Beziehung, die uns allen gefiel. Theo finde ich sympathisch und dass er eine Tochter hat, ich dachte, Lotte macht es glücklich. Ich hätte meine ursprüngliche Meinung über Lotte nicht ablegen sollen“, höre ich Johann sagen. Unvermittelt sehe ich ihn erbost an. „Du redest sehr schlecht über Lotte“, muss ich sagen, was ich zuvor gedacht habe. Johann nickt. „Ich möchte sagen können, was ich denke, besonders in deiner Gegenwart und wenn es um Menschen geht, die einem von uns wichtig sind.“ Ja, so denke ich, Johann hat mit seinen Worten die Wahrheit getroffen. Auch mir liegt sehr am Herzen, mit Johann offen sprechen zu können, besonders über Menschen in unserem näheren Umfeld. „Deine Freundin Lotte wird ihr Leben nicht ändern, nicht jetzt und nicht in zehn Jahren“, fügt Johann nach. So, wie er es sagt, lässt er keine Zweifel aufkommen, gesagt zu haben, was er auch denkt. Sorgen sind in meinem Kopf und ich spüre, mein Kopf fängt an zu schmerzen. „Nimm dir doch bitte nicht alles so zu Herzen, Ina! Lotte kennst du doch schon über Jahrzehnte und das sollte dich inzwischen etwas abgehärtet haben.“ Johann hält mich fest in seinem Arm und streichelt über meinen Rücken, ab und an küsst er mich auf die Stirn. „Mach dir nicht so viele Sorgen, Ina! Deine Freundin wird sich schon wieder fangen und glaube mir, Lottes Welt dreht sich schneller wieder als du dir vorstellen kannst.“

Meine Erfahrungen mit Lotte und den Männern in ihrem Leben sind tatsächlich facettenreich. Kaum war ein Liebeskummer überwunden, kam der nächste Mann in ihr Leben. „Nur mit Franz war das Verhalten von Lotte anders. Erinnerst du dich, Johann? Sie hatte richtig Herzschmerzen wegen ihm.“ Johann lässt mich aus seiner Umarmung und geht zum Kühlschrank. „Ja, es mag sein, in diesem Punkt liegst du nah an der Wahrheit. Lotte scheint einen Hang zu Männern zu haben, denen sie nachlaufen muss.“ Nachdenklich beobachte ich Johann, wie er sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank nimmt. „Wie nur unser Wochenende in Dresden verlaufen wird? Ich bekomme Angst vor dem Chaos, das Lotte an den Tag bringt.“ Jetzt muss ich in ein Taschentuch schniefen. Johann stellt seinen Joghurt auf den Küchentisch und nimmt mich erneut in seine Arme. „Keine Sorge, meine Liebe“, küsst er meine Stirn. Ich umfasse seinen Körper und drücke mich ganz fest an den Mann, den ich liebe. „Du riechst so gut“, höre ich Johann sagen. Mir gefallen seine Worte, seine Streicheleinheiten und Küsse ebenso. „Wieso kann das Leben nicht leichter sein?“ Johann schmunzelt. „Du hast es doch in den eigenen Händen. Lass dich fallen und fange an selbst zu bestimmen, wie dein Leben verlaufen soll und finde heraus, wer und was dir guttut.“

Mit einem innigen Zungenkuss beende ich unsere Unterhaltung und ziehe Johann mit in unser Schlafzimmer. „Ich möchte jetzt das haben, was mir wirklich guttut. Dich!“ Mehr Worte bedarf es nicht. Johann fängt an, meine Kleidung aufzuknöpfen, mich erneut zu küssen und zu streicheln. Jede seiner Berührungen ist wie Balsam für meine Seele. Die Kopfschmerzen sind wie weggeblasen. Ich lasse mich nackt und zufrieden auf unser Bett fallen, öffne meine Arme für Johann und genieße den Moment.

Karin

Die Nachricht von Ina, gleich am frühen Morgen auf meinem Handy, sie hat mich umgehauen, bildlich gesprochen. Einem ersten Impuls, die Freundin anzurufen und ihre Worte in Frage zu stellen, kann ich nicht nachgehen. Hermann Josef zieht mit seinen Worten meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. ,,Du musst dringend abnehmen, Karin!“ Wie ich diese Bemerkung hasse. Immer wieder gibt es zwischen uns Streit, wegen meiner Figur. ,,Dann such dir doch eine dünne Freundin!“

Zu meiner Verwunderung geht Hermann Josef nicht auf meine Worte ein, sondern ist bemüht den Streit zu schlichten. „Wir gehen heute einkaufen. Wie findest du meine Idee?“ Ich strahle ihn an. „Für die Vernissage?“ Meine Stimme überschlägt sich vor Freude. ,,Streiten kostet unnötige Energie“, betone ich und angele sogleich meine Handtasche. Mit Hermann Josef einkaufen, bedeutete früher für mich puren Stress, heute ist es richtig schön. Ich musste lernen ihm zu sagen, was ich möchte und dass ich mich nicht verbiegen werde, auch nicht für den Mann meines Herzens. Die Boutiquen für die schlanken Frauen hatten Hermann Josef magisch angezogen und in mir eine Panik hervorgerufen. Kaum eines der Kleider in den Auslagen passte mir, wenn doch, dann waren es Reststücke, die längst aus der Mode waren. Inzwischen habe ich meine Geschäfte entdeckt, dort werde ich fachmännisch beraten und finde immer ein kleines Highlight für meine Garderobe. Es gibt auch die Shopping Touren, bei denen ich mich entscheiden muss, um meinen Geldbeutel zu schonen. Herrlich ist die Gewissheit, in Ruhe auswählen zu dürfen, nicht den Bauch einziehen zu müssen, wenn ich die Kabine verlasse, und keine Angst haben zu müssen, in ein Kleid zu schlüpfen, bei dem der Reißverschluss unter meinen Kilos aus der Naht reißt.

„Mein Onkel Vincenz hat sich gemeldet und er möchte mich in der nahen Zukunft mehr in seine Geschäfte involvieren. Das, liebe Karin, habe ich dir zu verdanken. Vincenz schätzt dich und ich liebe dich.“ Hermann Josef erwähnt dies auf der Fahrt in die Stadt.

Kurz denke ich, deshalb ist er plötzlich so freundlich zu mir. Dann aber beschließe ich einfach einmal loszulassen und den heutigen Tag zu genießen.

„Wo werden deine Freundinnen schlafen?“ Ups, auf diese Frage habe ich schon gewartet. Jedoch passt sie nicht in den heutigen Tag und in die wunderschöne Stimmung. Daher lenke ich das Thema in eine andere Richtung, was mir sehr leichtfällt. Hermann Josef und ich stehen gerade vor einem Dessous-Geschäft und ich habe mein Traum-Outfit entdeckt. Spontan kommt ein: „Wahnsinn!“ über meine Lippen. Mit einem Mann in einen Dessous-Laden zu gehen, früher habe ich mich das nicht getraut. Heute, an der Seite von Hermann Josef, ist es anders. Gut, er greift noch immer spontan nach Stücken, worin maximal ein Oberschenkel von mir seinen Platz finden würde, an meinen Po gar nicht erst zu denken, jedoch kann ich ihm seine Fehlgriffe inzwischen besser verzeihen.

„Ich habe gerade ein kleines Vermögen ausgegeben“, verlasse ich wenig später mit zwei Tüten voller verführerischer Teile den Dessous-Laden. Mein Gesicht glüht vor Aufregung. „Ich nehme die Tüten“, befreit mich Hermann Josef von den neuesten Errungenschaften. „Mir ist nach einem Glas Sekt“, gebe ich unumwunden zu.

Auf dem Weg zu einem kleinen Restaurant kommen wir an einer Boutique vorbei, deren Auslagen die Aufmerksamkeit von Hermann Josef auf sich ziehen. „Schau nur“, zieht er mich ein Stück näher an das Schaufenster. „Solch ein Kleid würde ich gerne bei der Vernissage an meiner Freundin sehen!“

Oh, weh! Mein gerade erst aufkeimendes Selbstvertrauen sinkt spontan in den Erdboden. Das traumhafte Stück im Schaufenster ist allenfalls für eine Größe 36 geschneidert, nicht aber für meine weiblichen Rundungen gemacht. Unvermittelt kaue ich auf meiner Unterlippe und überlege mir, wie komme ich ohne Zoff aus der Situation heraus? „Lass uns in die Boutique gehen und du probierst das Kleid an.“ Hermann Josef zieht schon an meinem Arm und ich komme nicht dazu mich zu sträuben, lasse mich von ihm mit in das Paradies der Frau entführen, wie an der Tür zu lesen ist.

Mir kommt es entgegen, dass Hermann Josef im Inneren der Boutique auf einen Kollegen trifft, der geduldig vor der Umkleide auf seine Frau zu warten scheint. Schweiß läuft mir über die Stirn und ich befürchte schon, aus der Kabine kommt gleich eine Gazelle heraus.

Unsicher blicke ich mich in dem schicken Laden um und versuche, die Preise und vor allem die Größen zu erhaschen.

„Darf ich Ihnen behilflich sein?“

Nicht auch noch das, blicke ich die hübsche, junge und wirklich sehr schlanke Verkäuferin an. Warum hat das Universum mir nichts Angenehmeres zu bieten als diesen Moment? Mein Blick geht über meine Schultern und ich sehe zu Hermann Josef, der sich noch immer angeregt unterhält. „Ich, ja, also“, stammelnd und unsicher sehe ich die hübsche Verkäuferin an. Mich ärgert meine Unsicherheit, die ich durch mein Gestammel noch untermale.

„Wenn ich Ihnen etwas wirklich Hübsches zeigen darf?“ Die strahlend weißen Zähne der Verkäuferin, die ich jetzt erst bemerke, lassen mich noch hässlicher, dicker und älter wirken als ich es bin.

Auf dem Absatz möchte ich kehrt machen und diese Boutique verlassen, doch Hermann Josef kann ich nicht so stehen lassen, damit wäre ein Eklat vorhersehbar. Während meiner Überlegung eilt die junge Verkäuferin zu einem Regal und fingert ganz selbstverständlich einige Teile hervor, begutachtet diese kurz und lächelt mich zufrieden an. „Sie werden den Kleidern die besondere Note schenken. Ihr Körper ist wie gemacht für diese edlen Stücke“, höre ich sie sagen. Nein, so denke ich mir, das ist pures Gesäusel. Das junge Geschöpf will mir etwas aufschwätzen, säuselt mir die Ohren voll und amüsiert sich derweil über meine üppige Figur. Was nur wird Hermann Josef denken, wenn ich wie eine Wurst in der Pelle aus der Kabine komme und ihm die neuen Kleider vorführen soll? Ohne aufdringlich zu werden, schafft es die junge Verkäuferin, mich mit den von ihr ausgewählten Kleidungsstücken in eine der freien Kabinen zu schicken.

„Wie schön! Karin, du hast ein hübsches Kleid zum Anprobieren gefunden?“ Ein fröhlicher Ruf von Hermann Josef erreicht mich vor der Umkleidekabine, die ich gerade erst aufgesucht habe.

„Darf ich kurz einen Blick in die Kabine wagen, meine Süße?“ Ein lautes: „Nein!“ kommt harsch über meine Lippen. „Die Überraschung möchte ich dir doch nicht nehmen“, füge ich sanft nach. Mir wird warm, ich fange an zu schwitzen. „Gib mir bitte etwas Zeit, Hermann Josef. Ich habe eine kleine Auswahl an Kleidern in meiner Kabine.“ „Dann darf ich mich ja für einen längeren Aufenthalt wappnen. Ich freue mich auf das Ergebnis, Karin!“

Verschämt halte ich meine Hände vor mein Gesicht. Dann aber ermahne ich mich selbst, nicht einzuknicken. Beim näheren Betrachten der Teile, die mir die junge Verkäuferin in die Garderobe gehangen hat, stelle ich fest, die junge Verkäuferin liegt mit den Größen, die sie für mich herausgesucht hat, richtig. Verblüfft überlege ich, sie hat nicht einmal die Größe betont oder hervorgehoben, sondern mir alles wie selbstverständlich und noch mit lobenden Worten herausgesucht. Ist das ein gutes Zeichen? Skeptisch fange ich an mich auszuziehen, allerdings ohne die Euphorie, die ich noch im Dessous-Laden verspürt habe.

„Maja“, höre ich einen Mann rufen und bin mir sicher, es ist der Mann, der vorhin neben Hermann Josef stand. „Wie gefalle ich dir in diesem Kleid?“ Jetzt dringt von außen auch die Stimme von Maja, wie ich vermute, bis in meine Kabine. „Traumhaft schaust du aus, meine Liebe. Das Kleid ist wie für dich gemacht. Ich finde auch, dass deine Figur in diesem Kleid sehr gut zur Geltung kommt“, dringen die Worte des Mannes nun ebenfalls bis in meine Kabine. In meiner Fantasie stelle ich mir Maja vor, wie sie gerade vor der Kabine ein Kleid vorführt. Schlank, hübsch, langes Haar und ein jugendliches Lächeln zum Verführen. Ich fühle mich klein und hässlich, möchte hier weg und am allerliebsten in mein Bett. Mir ist elend zumute.

„Ist bei Ihnen alles gut?“ Mit der Frage schielt die Verkäuferin auch schon in meine Kabine. Gut, sie hat es sehr dezent getan. Den Vorhang nur für ihre Augen ein Stück zur Seite genommen, um mich zu begutachten. „Wie schön! Heute werden alle meine Kundinnen in Prinzessinnen verwandelt“, ruft sie euphorisch und reißt im nächsten Moment den Vorhang ganz auf. Ruckartig drehe ich mein Gesicht in Richtung Spiegel und offenbare nur mein Hinterteil, gut, auch meinen Rücken zur direkten Ansicht. Lachen dringt an meine Ohren. „Karin?“ Hermann Josef wirkt belustigt, zumindest klingt seine Stimme so. „Wieso drehst du dich nicht zu uns um?“ Heulen könnte ich vor Scham. Ich, die rundliche Karin, muss mich gleich neben eine gertenschlanke und hübsche Frau gesellen, diese Vorstellung bereitet mir Angst. „Karin? Drehst du dich bitte einmal zu mir um?“ Hermann Josef lässt nicht locker und ich komme nicht umhin, mich zu drehen. Einmal noch blicke ich in den Spiegel und spontan darf ich erkennen, das Kleid schmeichelt meiner Figur. Ich komme nicht umhin, mich kurz anzulächeln. Tatsächlich gefalle ich mir in dem neuen Kleid. Die Hüften sind geschickt eingepackt, ohne dass sich das Kleid in den kleinen Röllchen abzeichnet.

Langsam drehe ich mich und als erstes sehe ich die Frau, die neben mir in der Kabine steht, auch mit geöffnetem Vorhang. Auch sie blickt unsicher und ängstlich zu mir.