Küssen statt reden - Manuela Lewentz - E-Book

Küssen statt reden E-Book

Manuela Lewentz

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Beschreibung

"Zuckerwatte gehört zur Kirmes - wie guter Sex zu mir", so Lydia Lowere. Lottes Tante liebte das Leben. Für Lotte wäre gerade schon die Zuckerwatte ein kleines Highlight in ihrem Leben. Wieso nur vergessen Männer im Laufe einer Beziehung die Freundin einmal wieder zu verwöhnen, nicht nur beim Sex? Die gemütlichen Abende mit den Freundinnen bei Prosecco, Kartoffelsalat und Chips sind zu Lottes Highlight der letzten Wochen geworden. Liebe, so denkt Lotte, sie ist wie Pudding. "Ich liebe Pudding, kann ihm nicht aus dem Weg gehen, trotzdem tut er mir nur kurzfristig gut und hängt im Anschluss zäh auf meinen Hüften fest", so Lottes Credo. Zwischen dem Verfassen von Kontaktanzeigen und zwei Gläsern Prosecco scheint sich ein neuer Weg zu öffnen. Marzipantorte alleine reicht nun einmal nicht zum Glücklichsein. Witzig, spritzig, frech und humorvoll zugleich, der neue Roman von Manuela Lewentz

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Inhaltsverzeichnis

Lotte

Karin

Ina

Lotte

Der nächste Morgen

Ina

Samstag

Der nächste Morgen

Lotte

August von Bergtal

Lotte

Der nächste Morgen

Der nächste Tag

Karin

August

Ina

Einige Tage später ...

Lotte

Der nächste Morgen

Gegen 18 Uhr

Lotte

Ina

10 Wochen später

Eine halbe Stunde später

Eine Woche später

Der nächste Tag

Lotte

„Guter Sex gehört für mich zu einer glücklichen Beziehung dazu.“ Großes Erstaunen und ganz unterschiedliche Reaktionen lösten meine Worte aus. Ina wurde rot im Gesicht nach meiner Äußerung, Petra fing an zu kichern und Karin hat in ihre Hände geklatscht. Unser letzter Mädelsabend war einmal mehr gelungen und wie Balsam für meine Seele. So, wie in dieser Runde, kann ich mich nirgends frei äußern, über meine Gefühle sprechen und zulassen, selbst die geheimsten Wünsche zu offenbaren. Für mich gehören auch kleine Verrücktheiten zu einem ausgefüllten Leben dazu, was meine Freundinnen respektieren. Nicht nur beim Reden spüre ich die totale Freiheit, auch beim Essen. Wie leicht doch das Leben sein kann mit den richtigen Menschen an der Seite. Meine Mädels nörgeln nicht an mir herum, kritisieren auch meinen gesunden Appetit nicht. Echauffieren über meine Rundungen tut sich nur mein Freund Franz.

Unser Mädelsabend liegt schon wieder fünf Tage zurück und trotzdem bin ich noch heute positiv gestimmt in der Erinnerung an die kurze Begegnung mit meiner Ersatzfamilie, wie ich Karin, Petra und Ina oft nenne. Ein besonderer Grund für mein heutiges Hoch ist die Nachricht von Petra, die schon vor dem Duschen auf meinem Handy ankam. Glück muss man zulassen, wie ich denke. Den Einfluss, den diese kleine Botschaft von Petra auf mein Wohlempfinden genommen hat, er ist enorm. Sekunden entscheiden darüber, ob wir spontan happy sind oder geknickt. Am allerliebsten möchte ich jetzt laut ,,Hurra!“ rufen, so wohl fühle ich mich jetzt in meiner Haut, dank Petras Zeilen. Wer kennt sie nicht, diese Tage, an denen man glaubt, einem gehört die Welt. Heute Morgen kann mich nichts aus der Ruhe bringen. Jetzt gerade ist die Situation perfekt für mich. Selbst die Tatsache, dass Franz, mein aktueller Freund, mich wieder einmal kritisiert hat, lässt mich kalt. Meine Zweisamkeit mit Franz ist mühsam geworden und lässt meine gute Laune kaum mehr aus dem Keller kommen.

„Männer sind wie Kaugummi, erst schmecken sie lecker, dann sind sie zäh und kleben“, fällt mir eine Weisheit meiner Tante Lydia Lowere ein. Meine verstorbene Tante hat es verstanden, die Zuckerseiten des Lebens zu suchen und zu finden.

Bewusst habe ich mir nach dem Duschen ein rotes Kleid angezogen, um meine muntere Stimmung auch nach außen zu tragen. „Das Kleid steht dir nicht, Lotte! Deine Hüften wirken noch dicker in dem auffallend roten Kleid“, übt Franz erneut Kritik, als ich aus dem Badezimmer komme. Couragiert gehe ich auf ihn zu. „Wir sehen uns am Abend“, möchte ich Franz küssen, ohne auf seine Worte einzugehen.

„Abnehmen ist für meine Freundin ein Fremdwort“, lässt er mich stehen. Ich bin wohl im falschen Film, überlege ich und eile Franz nach in Richtung Erdgeschoss. Die Haustüre fliegt gerade zu, als ich angekommen bin. Jetzt hat Franz es doch noch geschafft, mir die aufkeimend gute Laune zu zerstören. Ich blicke sorgenvoll in meinen Garderobenspiegel und betrachte mich. Das, was ich sehe, ich finde es schön. Weder mein Kleid noch meine Röllchen an den Hüften fallen mir negativ ins Auge. Außerdem kommt mir erneut die Nachricht von Petra in den Kopf, was mich beschwingt und doch noch positiv losziehen lässt. Dass ich auf der Schwelle zum Garten fast die Balance verliere und mehr hüpfend als gehend die untere Stufe erreiche, geschenkt! Rasch werfe ich einen Blick zu dem Parkplatz vor meinem Haus. Der Wagen von Franz ist nicht mehr zu sehen, somit hat er a) nichts mitbekommen und b) kein Interesse gezeigt auf eine kleine Versöhnung. Liebe, so denke ich auf meiner Fahrt nach Limburg nach, sie ist wie Pudding für mich. Ich liebe Pudding, kann ihm nicht aus dem Weg gehen, trotzdem tut er mir nur kurzfristig gut. Das Ärgernis, dass sich die Kalorien im Anschluss immer meine Hüften als neuen Wohnort suchen, versuche ich zu verdrängen.

Ebenso geht es mir mit den Worten von Franz, die er seit einigen Wochen für mich findet. Wie anders war es doch zu Beginn unserer Beziehung. So romantisch, so leidenschaftlich hat er sich gezeigt. In meinem Bauch flatterten ständig die berühmten Schmetterlinge herum und ich schwebte auf einer Wolke voller Glückseligkeit.

„Ich finde dich so schön, Lotte!“ oder „Du bist mein Augenstern“, vielleicht auch „Was ich für ein Glück habe, dich an meiner Seite zu wissen“, höre ich nicht mehr aus seinem Mund. Das, was Franz inzwischen sagt, verletzt mich mehr und mehr. „Specki rollt an“, war die Begrüßung der letzten Tage. „Bockwürstchen im Kleid“, flog mir auch entgegen. Franz ist kein Mann, den Frau als einfach im Umgang bezeichnen würde, dessen bin ich mir bewusst. Feingefühl ist ihm völlig abhandengekommen und fremd. Trotzdem hat er auch seine guten Seiten und die kommen besonders im Bett zum Vorschein, was mich immer wieder dazu bewegt, bei diesem Mann zu bleiben.

Ina rollt die Augen, wenn ich davon anfange zu erzählen, sie findet meine Aussage zu trivial. Mit meiner Freundin Karin habe ich des Öfteren über das Verhalten von Franz gesprochen. Karin ist aufgeschlossen und die Tatsache, sie lebt aktuell in Dresden, hat mir meine Entscheidung offen zu reden, leichter gemacht. „Such dir einen neuen Freund, Lotte! Am besten einen Mann, der Kinder hat. Die sind in der Regel umgänglicher und nicht so ichbezogen.“ Meine Frage, wo ich diesen Mustermann finden kann, konnte Karin mir allerdings auf die Schnelle auch nicht beantworten. „Dann werde ich wohl doch noch an der Seite von Franz alt werden“, hatte ich lachend das Telefonat beendet.

Sex ist mir sehr wichtig in einer Beziehung. Für mich wäre es unvorstellbar, ohne Sex zu leben. Immerhin darin bin ich meiner Tante Lydia mehr als nur ähnlich. Diese verwandtschaftlichen Gene sind zu 100 Prozent bis zu mir durchgedrungen. Tatsächlich bin ich für diese Erkenntnis dankbar. Lydia Lowere ist mein Vorbild und der Wunsch, meiner verstorbenen Tante nachzueifern, keimt schon lange in mir. Bisher bin ich nur Menschen begegnet, die positiv von meiner Tante gesprochen haben. Noch beim Einparken hege ich diese Gedanken, dann aber greife ich nach meiner Tasche und eile sogleich in mein Café.

Welch Glück ich nur habe, bleibe ich kurz vor der Eingangstüre stehen. Mir kommt mein väterlicher Freund Vincenz in den Kopf. Ohne ihn und sein großzügiges Geschenk würde ich heute nicht so unbekümmert leben können. Unvermittelt wandert mein Blick zu dem oberen Fenster und den Räumlichkeiten, die von Anton Wall bewohnt werden. Er, der Künstler, und ich, die Land-Lady, unter einem Dach, das hätte ich vor drei Jahren nicht für möglich gehalten. Skeptisch hatte ich den Einzug beobachtet und war sicherlich in den ersten Tagen nicht wirklich freundlich zu Anton. „Dauerhaft müssen wir uns aneinander gewöhnen und den Gedanken zulassen, wir leben und arbeiten ab heute unter einem Dach“, stand er am dritten Tag vor mir. Gut, ich habe noch mein kleines altes Häuschen in Bremberg, wo ich auch schlafe und mein Leben außerhalb des Cafés verbringe. Trotzdem sind Anton Wall und ich uns seit dem Tag, als er mich so direkt angesprochen hat, nähergekommen, bildlich gesehen. Vincenz hat uns gemeinsam das Haus geschenkt und diese Tatsache verbindet uns, was ich dann rasch verstanden hatte. Inzwischen gibt es diese Abende, an denen Anton und ich um die Häuser streifen, gemeinsam essen gehen und noch einen Sekt genießen, bevor ich in mein altes Häuschen fahre. Mir sind diese Treffen richtig ans Herz gewachsen, genau wie der Künstler selbst. Unterschiede ziehen sich an, den Spruch haben früher die Alten im Dorf gerne aufgesagt und heute kann ich zugeben, es stimmt. Unterschiedlich sind Anton und ich wirklich. Auch äußerlich liegen Welten zwischen uns, obgleich ich mich schon sehr zu meinem Vorteil gewandelt habe. Immer öfter verlasse ich mein Zuhause in einem ausgefallenen Kleid und muss zugeben, die damit verbundene Aufmerksamkeit meiner Mitmenschen, die mir über den Tag verteilt begegnen, sie gefällt mir.

Beschwingt öffne ich endlich die Tür meines Cafés und tauche in die anheimelnde Atmosphäre der Räumlichkeiten ein, die auch durch Anton Wall und seine Kunst geprägt sind.

„Nur wer durch das Leben tanzt und den Sorgen keine Plattform gibt, wird am Ende aller Tage glücklich sein“, ein Spruch meiner Tante Lydia Lowere. Sie ist mein Augenstern, den ich auch nach ihrem Tod noch anhimmele. Wann immer ich auf das Portrait meiner verstorbenen Tante sehe, fühle ich mich ihr ganz nahe. So, wie Lydia gelebt und geliebt hat, so möchte ich es gerne auch tun. Mit Leichtigkeit und einem sonnigen Gemüt ist meine Tante durch das Leben getanzt. Schmunzeln darf ich bei meinen Gedanken.

„Sterne funkeln noch in hundert Jahren am Himmel, ich muss jetzt lieben und leben. Wer weiß, was kommt?“, war eine weitere Weisheit aus Lydias Mund. Lydia Lowere, ich habe schon viel von dir gelernt, wenn auch noch nicht genug, seufze ich vor mich hin. Versonnen starre ich auf das Gemälde von meiner Tante, das in meinem Café hängt. Meine Aushilfe im Café wundert es schon lange nicht mehr. Diese liebevolle Macke, wie ich selbst mein Verhalten nenne, ist bekannt.

In diese, für mich nicht ganz einfache, emotionale Lage kommt die Anfrage meiner Chefredakteurin Frau Krautwinkel. Kurz zögere ich, das Telefonat entgegen zu nehmen, dann aber siegt die Neugierde. Dank Frau Krautwinkel kann ich auch meiner großen Leidenschaft, dem Schreiben, nachkommen. Für meine Beiträge erhalte ich auch noch Geld. Ich muss sagen, ich verdiene es in meinen Augen spielend. Mit wenigen Worten klärt mich die Chefredakteurin über die neue Aufgabe auf. Ich soll eine Kolumne über das Thema Ehrlichkeit in einer Beziehung schreiben, was mich staunen lässt. Nach dem Telefonat schweifen meine Gedanken direkt zu Franz. Das Wort Ehrlichkeit ist für ihn nicht so wichtig, wie ich inzwischen erfahren durfte. Soll ich vielleicht über meine eigenen Erfahrungen berichten? Ob das die Leserinnen und Leser interessieren wird?

Lautes Stimmengewirr dringt an meine Ohren und zieht mich in den Bann. Hoppla, so denke ich, als die Tür zu meinem Café aufgeht und an einem Mittwochmorgen eine ganze Busgesellschaft eintritt und sich jeder einen Platz im Café erkämpft.

„Ärmel hochkrempeln!“, rufe ich der Aushilfe lächelnd entgegen und eile an den Tresen. Zufrieden nickend bereitet meine Aushilfe sogleich die ersten Teller und Tassen vor. „Dieser Monat scheint doch noch ein Gewinn zu werden“, flüstere ich voller Euphorie. Unvermittelt steigt die Geräuschkulisse. Unsere Gäste scharren und können kaum auf unsere Köstlichkeiten warten, obgleich es noch nicht einmal Mittag ist. Meine Marzipantorte ist legendär, was mich stolz macht, ebenso die gezeigte Kunst. Die Gemälde von Anton Wall, die im Café hängen, ziehen immer wieder neue Gäste an.

„Der Kuchen muss an die Tische gebracht werden“, holt mich die Aushilfe zurück in die Realität. Beherzt greife ich nach einem Tablett und verteile die Köstlichkeiten unter den wartenden Gästen. „Mir bringen Sie bitte zwei Stücke von der Marzipantorte“, höre ich eine Stimme und drehe mich um. Einen Augenblick bin ich gefangen von dem Mann, der unter dem Gemälde von Lydia Lowere sitzt. Bizarr der Anblick von Gemälde und meinem Gast, der ganz in Royalblau gekleidet vor mir sitzt. Lydia Lowere trägt auf dem Gemälde ebenfalls die Farbe royalblau. Wie dahingegossen wirkt der Anblick auf mich. Ob der Fremde ein Freund von Anton Wall ist, frage ich mich und bin mir sogleich bewusst, mit dieser Idee liege ich falsch. Mir kommt der Gedanke, dieser Mann bringt noch Aufregung in meine Räumlichkeiten. Auf dem Weg zum Tresen bleiben mir die blauen Augen des Gastes im Kopf. Lange Zeit zum Nachdenken bekomme ich jedoch nicht. Neue Gäste sprechen mich an, möchten ebenfalls ihre Bestellung aufgeben und mitten in diese Vorbereitung wünschen schon die ersten Kunden eine weitere Tasse Kaffee, manche fragen nach den Toiletten und andere möchten bezahlen. Hektik macht sich breit und geschäftig eile ich zwischen den Tischen und dem Tresen hin und her. Fast habe ich den Gast unter dem Gemälde vergessen. Erst, als die Aushilfe mich auf die noch immer am Tresen stehenden Stücke Marzipantorte aufmerksam macht, kommt mir der Mann wieder in den Sinn.

„Das habe ich in der Hektik vergessen. Der arme Gast“, drehe ich mich um. Wie überrascht bin ich jedoch zu sehen, der Platz unter dem Gemälde von Lydia Lowere ist leer. Ob mein Gast die Toilette aufsucht? Unschlüssig wende ich mich wieder zum Tresen um. Meine Hilfe zuckt mit den Schultern, was mich bewegt, wieder meiner Arbeit nachzugehen. Die Marzipantorte nehme ich auf mein Tablett, denke noch, der Gast ist bestimmt die Toilette aufsuchen, und dann bringe ich ihm gleich den Kuchen an seinen Tisch.

„Der Mann ist schon wieder gegangen, den Kuchen können Sie bei uns abstellen“, kommt eine Erklärung vom Nachbartisch. „Na, dann“, verteile ich die Teller mit einem Lächeln und einem kurzen Blick auf das Gemälde von Lydia Lowere. Ob der Unbekannte meine Tante kannte? War seine Aufmachung Zufall? Bilde ich mir nur ein oder wünsche es mir, dass er meine Tante kannte? Rein äußerlich hätte er perfekt zu den Männern gepasst, die meine Tante als Begleitung suchte. Nicht zu alt, attraktiv, gut gekleidet und mit einem Hauch von Mystik umgeben. Ja, Lydias Geschmack war besonders und auf eine ganz eigene Art ausgefallen. Mir fällt Hermann Josef von Breggele ein. Grinsend denke ich an meine Versuche, in den Adel aufzusteigen und der raschen Gewissheit, an seiner Seite nicht meinen Platz gefunden zu haben. Für einen Mann wie ihn war ich nur ein Landei. Trotzdem war es eine gute Erfahrung für mich und immerhin meine Freundin Karin scheint ihn gefunden zu haben, den Platz an der Seite von Hermann Josef von Breggele. Schon lustig, wie sich manches von ganz alleine fügt. Karin war vom ersten Moment an, als sie Hermann Josef gesehen hat, von ihm angetan. Dass auch diese Beziehung nicht ohne Tiefen verläuft, empfinde ich inzwischen schon als normal. Mein Weltbild, das ich noch als kleines Mädchen in mir trug, es hat sich verschoben. Sagen kann ich auch, das Leben und die Liebe haben mich geprägt und meine Sichtweise verändert. Ob mir die große Liebe noch begegnet? Oder muss ich mich mit dem, was ich bisher an Liebschaften hatte, zufriedengeben?

Erneut sehe ich den Mann vor mir, der eben noch unter dem Gemälde meiner Tante saß. Er hatte etwas an sich, das mich nervös macht. Meine letzten Bekanntschaften kamen alle über das Internet. Bisher war mir dieser Weg auch lieb gewesen. In Ruhe und mit Hilfe meiner Freundinnen konnte ich im Vorfeld die Kandidaten auswählen und mich entscheiden, wen ich treffen möchte.

Das laute Räuspern meiner Mitarbeiterin und der Ruf eines Gastes lassen mich aus meinem Tagtraum rasch zurück in die Realität finden.

„Ich möchte noch einen Kaffee!“, höre ich eine hohe Stimme rufen. Meine Gäste fordern meine komplette Aufmerksamkeit und somit verliere ich keine weiteren Gedanken mehr an Mister Unbekannt. Tablett um Tablett balanciere ich durch mein Café und fast trage ich schon die Sorge in mir, meine Marzipantorte würde unter dem plötzlichen Andrang nicht für alle Gäste ausreichen, da kehrt doch noch etwas Ruhe ein. Eine gute Stunde später darf ich beobachten, wie die Gruppe zufrieden von Dannen zieht. Lächelnd gönne ich mir einen Cappuccino und einen weiteren Blick auf das Gemälde meiner Tante.

„Der Nachmittag wird allem Anschein nach ruhig verlaufen“, lacht meine Aushilfe mich später an. „Sie können mich den Rest des Tages alleine lassen“, fügt sie gutgelaunt nach. Was für eine Kondition die junge Frau hat, überlege ich beim Zusammenpacken meiner Sachen. Ihr Angebot habe ich gerne angenommen. „Sollte jedoch noch eine ganze Gruppe kommen …“, weiter komme ich nicht.

„Dann rufe ich gleich an“, trällert meine Aushilfe mit einer Zufriedenheit im Gesicht, die auch mich ansteckt.

Auf meiner Fahrt nach Bremberg zurück in mein altes Haus, kommt mir erneut der Gast mit den blauen Augen in den Sinn. Ob es zwischen ihm und meiner Tante Lydia Lowere zu ihren Lebzeiten eine Verbindung gab? Unvermittelt kommen mir Ideen in den Kopf, die eine Verbindung untermalen. Ein Song im Radio lenkt mich ab und plötzlich stellt sich mir die Frage: Trage ich einmal mehr den Wunsch in mir, noch nach dem Tod von Lydia in ihr Leben einzutauchen, und suche deshalb einen Zusammenhang? Erst, als ich überholt werde, der Fahrer hupt und mir so signalisiert, ich solle nicht so langsam fahren, kehrt meine Konzentration auf die Straße zurück. Zugegeben, ich bin jetzt aufmerksamer beim Fahren, jedoch kommt mit einem Male eine Szene aus Kindertagen vor meine Augen. Gemeinsam mit meiner Tante Lydia war ich einmal auf der Kirmes in Limburg. Lydia liebte es, Kettenkarussell zu fahren, und lachte währenddessen so herzhaft, dass ich als Kind bewogen war, es ihr gleichzutun. Wie schön es doch ist, Menschen in seiner Nähe zu haben, die auch lachen können. Deren Leichtigkeit und Zuversicht sich auf das eigene Gemüt übertragen lässt. Meine Mutter ist vom Wesen her leider das Gegenteil von meiner Tante. Bei ihr war das Glas immer halb leer, niemals halb voll.

Die nächste Kurve erfordert meine volle Aufmerksamkeit. Kaum, dass ich diese Gefahrenstelle überwunden habe, denke ich erneut an Lydia. Das Bestreben, meiner Tante Lydia nachzueifern, gelingt mir immer öfter. Ob ich auch in Sachen Männer etwas offener sein sollte, so wie Lydia es zu Lebzeiten war? Huch, so überlege ich, was für Gedanken springen in meinem Kopf herum? Mit Franz bin ich gerade einmal wieder ein halbes Jahr zusammen, da sollten doch die Schmetterlinge im Bauch überwiegen. Statt an Männer im Allgemeinen oder an Franz zu denken, ermahne ich mich selbst, mich vielmehr an dem sonnigen Tag und der Aussicht auf einen freien Nachmittag in meinem Garten zu erfreuen. Die letzten Meter im Auto liegt meine komplette Konzentration auf der Fahrbahn. Zu Hause angekommen, streife ich im Flur meine Schuhe aus und wünsche mir, die Sorgen des Alltags ebenfalls fallenzulassen.

Was für ein herrlicher Tag, denke ich beim Betreten meines Gartens, den ich stolz mein Refugium nenne. Für mich ist es der schönste Ort, um abzuschalten und zu relaxen. Meine Freundin Ina kommt mir in den Sinn und ihre Art, meinen Garten in Worte zu fassen. Unordentlich, lange nicht nachgehalten, übersät mit Unkraut, unfassbar … ist nur ein kurzer Auszug aus ihren Äußerungen. Ina und ich, wir sind so unterschiedlich und doch sind wir seit Kindestagen Freundinnen. Ich verstehe nicht immer, wie sie handelt und ihr Leben gestaltet, ebenso scheint Ina ihre Probleme mit mir und meiner Art zu leben zu haben. Früher zu Schulzeiten war Ina aufgeschlossener, zumindest habe ich sie so in Erinnerung. Sie liebt es, in Harmonie zu leben, wie sie stets betonen muss. Tatsache jedoch ist, auch bei Ina läuft nicht immer alles rund und ihr Privatleben steht öfter auf dem Kopf als ihr lieb ist. Zugeben will Ina diese menschlichen Fügungen oder Schicksalsschläge jedoch nicht. Viel lieber versucht sie immer wieder, von ihren Problemen abzulenken und konzentriert sich stattdessen mit Inbrunst auf mich und mein Liebesleben.

Hier, so muss ich mir eingestehen, gibt es regelmäßig etwas zu entdecken, das nicht in das allgemeine Raster oder unter den Stichpunkt normal fällt, in den Augen der lieben Nachbarn.

„Du musst dir in einer Beziehung mehr Mühe geben!“, gab Ina mir beim letzten Treffen mit auf den Weg. „Deine Dickköpfigkeit wird dir jeden Mann aus dem Haus jagen“, musste ich ebenfalls schlucken. Ina kam in Hochform. Ihre Angewohnheit, sich bei solchen Ansprachen, wie ich es nenne, vorn auf den Rand des Stuhls zu setzen, kerzengerade versteht sich, missfällt mir. Für mich ist es trügerisch und was ich in diesen Minuten denke, ist nicht wirklich nett.

Im ersten Schritt habe ich großartig reagiert und Ina ins Gesicht gelacht. Dabei habe ich mich auch ebenso großartig gefühlt, überlegen und auf eine gewisse Weise auch erwachsen. Ina, das durfte ich an ihrer Reaktion erkennen, war von meinem Verhalten irritiert. Gut zehn Minuten später ist sie dann unter einem Vorwand wieder gegangen. Meine erste, zarte Freude über meine neue Stärke wich der Tatsache, dass ich seit diesem Moment leider immer wieder an ihre Worte denke und Zweifel an mir und meinem Verhalten Franz gegenüber hege. Wie ein kleines Teufelchen sitzen die Worte meiner Freundin in meinem Kopf fest. Bei aller Kritik, die ich inzwischen mir und meinem Verhalten zugestehe, will ich mich nicht mehr runterputzen als ich verdient habe. Franz verletzt mich ständig und seine Worte sind wie kleine Pfeile in mein Herz. Ich will, dessen bin ich mir bewusst, keinen Partner an meiner Seite haben, der mich nur kritisiert und beleidigt. Ein leichter Anflug von Zweifeln, was die Beständigkeit unserer Beziehung betrifft, keimt auf.

Rasch eile ich in meine Küche und koche mir einen Kaffee. Auf einen Teller lege ich mir Plätzchen und nehme alles mit in meinen Garten. Meinen Laptop angele ich aus meiner Tasche und nehme ihn ebenfalls mit in meine grüne Oase. Genussvoll trinke ich zunächst den Kaffee und knabbere das süße Gebäck, das von Hausfrauen selbst gebacken wurde. In meinem Café kommen nur die feinsten Süßigkeiten über den Tresen, worauf ich sehr stolz bin. Nicht nur für mich sind die kleinen Leckereien oft Balsam für die Seele.

Gut zwanzig Minuten später fahre ich endlich meinen Laptop hoch, fühle mich jetzt bereit, mit meiner neuen Kolumne anzufangen. Frau Krautwinkel wird schon auf die ersten Zeilen von mir warten. Sie denkt sich aber auch immer Themen aus, die auf eine gewisse Art und Weise zu mir passen. Ob es Absicht von meiner Chefredakteurin ist, für die jeweilige Arbeit gerade mich auszusuchen? Warum darf ich nicht einmal über ein Kindereinkaufsparadies berichten? Mit großer Wahrscheinlichkeit traut sie mir diese Aufgabe nicht zu, emotional gesehen, da ich keine eigenen Kinder habe. Bei einer unserer nächsten Teamsitzungen werde ich versuchen, meine Chefredakteurin diesbezüglich anzusprechen. Viele Fragen sind in meinem Kopf und doch gelingt es mir, mich auf das Schreiben zu konzentrieren.

Liebe Leserinnen und Leser,

wie immer kommt mit der neuen Aufgabe, dem neuen Thema für meine inzwischen regelmäßigen Kolumnen, auch die Nachdenklichkeit in meinen Kopf.

„Ehrlichkeit in einer Beziehung“

Vom Grunde möchte ich schreiben: Das ist doch eine Grundvoraussetzung für jede Partnerschaft. Mir kommen schon beim Formulieren der wenigen Worte, die ich gerade geschrieben habe, Zweifel auf. Nicht leugnen möchte ich, schon öfter als mir lieb ist, angelogen worden zu sein. Franz, meine treuen Leserinnen und Leser kennen den Mann an meiner Seite schon, macht es mir nicht immer leicht. Träumerisch und verliebt liege ich in seinen männlichen Armen, nach unserem Sex, den ich als grandios einstufe und der uns immer wieder zusammenbringt. Reicht das körperliche Miteinander aus, um glücklich als Paar zu leben? Noch kann ich diese Frage nicht zu 100 Prozent beantworten. Zweifel wachsen in mir und ich grübele öfter darüber nach als ich für gut empfinde. Wo nur ist die Leichtigkeit meiner anfänglichen Liebe zu Franz geblieben? Wieso streiten wir uns immer häufiger und ich hege das Gefühl, Franz verschweigt mir etwas?

Ist das schon der Anfang vom Ende meiner Partnerschaft?

Reicht es aus, nicht jeden Gedankengang des anderen zu kennen, um zu glauben eine Lüge schwebe über der Liebe? Immer ehrlich zu sein, ist das nicht schwierig? Wo genau fängt die Lüge an, die eine Beziehung belasten und zerstören kann?

Für mich ist die Antwort leicht: Nicht in den kleinen Dingen des Alltags, sondern bei der großen Frage: Liebst du mich noch so, wie ich jetzt bin?

Ein offenes: Ja! Wir wünschen es uns alle von ganzem Herzen zu hören.

In den letzten Tagen habe ich diese Liebesbekundungen regelrecht von meinem Freund eingefordert. Jetzt, wo ich hier sitze und darüber schreibe, frage ich mich, habe ich das nötig? Ich bin eine selbständige Frau, die noch jung genug ist alles zu erleben und neue Wege zu beschreiten. Wieso nur klammere ich und was hält mich fest auf eingefahrenen Wegen, auf denen ich die Spur verliere?

Sicherlich bekomme ich von Ihnen, meinen treuen Leserinnen und Leser, auch Rückmeldungen über die eigenen Beziehungen und zu den Ansichten für das Leitthema meiner Rubrik: Ehrlichkeit in einer Beziehung.

Nachdenklich verabschiede ich mich, jedoch nicht ohne die große Hoffnung in meinem Herzen, bald wieder aus ganzem Herzen zu lachen.

Ich grüße Sie ganz herzlich,

Ihre Lotte

Meinen Laptop schiebe ich ein Stück von mir weg und dafür kommt der Teller mit den Plätzchen wieder näher. Mein Gesicht halte ich in Richtung Himmel und blicke in das satte Blau, das ich so liebe. Erst, nachdem ich auch das letzte Stückchen der süßen Verführung genascht habe, kommt mir Petra in den Kopf, ich habe ihr noch nicht zurückgeschrieben. Ärgerlich über mich selbst suche ich sogleich mein Handy. Petra hat mir den Start in diesen sonnigen Tag versüßt und ausgerechnet ihr bleibe ich eine Antwort schuldig.

Karin

Meine neuentdeckte Liebe und somit auch Leidenschaft zu Hermann Josef von Breggele tun mir gut. So, wie wir beide leben, spiegeln wir nicht den Durchschnitt der Menschen in ihrem Privatleben wider, dessen bin ich mir bewusst. Die Zeit der großen Sorgen und Gedanken über mich, meinen Eindruck auf die Umwelt ist vorbei. Geblieben ist eine Karin, die wieder lacht und so oft als möglich sorglos durch die Welt marschiert. Ich bin zu einer Karin gereift, die liebt und mit allen Sinnen auch diese Hingabe und Gefühle genießen kann. Auch und insbesondere die körperliche Liebe! Sonntags liegen Hermann Josef und ich bis zum Nachmittag im Bett. Einzig, um uns Kaffee und Croissants zuzubereiten, verlassen wir kurz unsere Oase des Glücks, wie ich unser Schlafzimmer nenne. Immerhin leben wir jetzt schon seit einem halben Jahr wieder zusammen. Es gibt sie, diese Tage und Momente, an denen ich an unserem ganz großen Glück zweifele. Inzwischen denke ich mir, es ist doch normal, dass nicht jeder Tag voller Harmonie verlaufen kann. Wir sind Menschen und jeder von uns hat seine Gewohnheiten und kleinen Macken. Hermann Josef, so fällt mir ein, hat die nervige Angewohnheit, ständig meine, in seinen Augen zu weiblichen Rundungen zu kritisieren. Mitunter gelingt es ihm durch seine Bemerkungen, mein Selbstbewusstsein zu untergraben. An diesen Tagen gehe ich wie ein scheues Huhn durch die Welt. Meinem neuen Chef, dem Kunstdirektor, ist dies schon aufgefallen und er hat mich direkt auf meine Gefühlslage angesprochen. Wie einfühlsam der Mann nur ist, so ganz anders als mein Partner. Für ihn bin ich auch nicht zu rund, sondern sehr erotisch, wie ich hören durfte. Natürlich war ich verlegen und konnte das Kompliment nicht einordnen. Mein Chef allerdings ist verheiratet und somit habe ich seine Worte zunächst als Geschenk für meine Seele gesehen.

Ich bin auch nicht ohne Fehler und diese habe ich noch in guter Erinnerung, besonders wenn es um das Thema Kinder geht. Gewiss ist Hermann Josef sehr dankbar, dass ich niemals mehr das Thema Kind angesprochen habe. Für mich war es für wenige Wochen ein Traum Mutter zu werden. Mein Körper, die Natur waren allerdings nicht davon überzeugt, dass ich geeignet sei, Mutter zu werden und so musste ich mich den Gegebenheiten und gleichzeitig der Realität stellen, zum Vererben nicht geschaffen zu sein.

Immer einmal wieder, wenn ich gerade die ganz großen Gefühle in den Armen von Hermann Josef gespürt habe, frage ich mich, ob es eine Vorbestimmung gibt. Unser Leben wäre mit Kind anders verlaufen, das ist gewiss. Die Wahrheit aber ist, so wie ich jetzt lebe, bin ich glücklich, nicht immer zu 100 Prozent, aber wenigstens zu 90 Prozent. Sicherlich musste ich diesen Weg über Umwege und Tränen schreiten, um jetzt bei mir angekommen zu sein.

Als der Anruf von Petra kam, ihre Einladung für das kommende Wochenende zu einem Mädelsabend, ich war happy. Hermann Josef schien auch begeistert zu sein von der Tatsache, einmal wieder mit seinen Freunden losziehen zu können, was ich jetzt auch verstehen kann. Mir fehlen meine Freundinnen im Alltag, das ungezwungene Beisammensein. Dresden liegt nicht aus der Welt, aber um kurz einmal die Gefühlslage zu erkunden, ist es zu weit. Gleich nach dem Telefonat mit Petra habe ich mich gefragt, was Ina und Lotte machen, wie es um ihr privates Glück bestellt ist. Bei Ina bin ich mir sicher, sie lebt noch mit Johann zusammen. Unser letztes Telefonat liegt erst zwei Wochen zurück und meine Ina ist eine treue und gradlinige Person. Eine Änderung über Nacht kann ich mir nicht vorstellen bei ihr. Und Lotte? Ob sie noch mit Franz unter einem Dach lebt? Beide sind so unterschiedliche Charaktere und doch durfte ich beobachten, sie ziehen sich auf ihre Weise immer wieder an. Lotte habe ich versucht anzurufen, ohne Erfolg. Ich denke mal, sie arbeitet viel in ihrem Café. Kurz werde ich beim Nachdenken sentimental. Die gemeinsame Zeit in Limburg in Lottes Café war schön, wenn auch nicht die Tätigkeit, die ich für immer ausüben möchte. Jetzt, wo ich im Kunstmuseum arbeite, ist mein Leben erfüllt. Jede Ausstellung, die ich mit vorbereiten darf, ist für mich wie ein Bonbon, auf das sich Kinder freuen. Ja, ich kann behaupten, endlich angekommen zu sein und hoffe sehr, mein Leben bleibt in stillen Fahrwassern. Gut, es ist nicht zu 100 Prozent perfekt. Meine Idee, Hermann Josef dazu zu drängen, mir einen Heiratsantrag zu machen, ging ordentlich daneben. Beinahe wäre ich wieder auf dem Weg zu Lotte gewesen, so heftig war unser Streit. Hermann Josef braucht mehr Freiheit als ich, das habe ich verstanden. Was, so denke ich aktuell, ändert ein goldener Ring an meinem Finger? Vielleicht werden solche Dinge, wie Hochzeit und ewige Schwüre, auch überschätzt.

Für Ablenkung sorgt meine Frage nach der richtigen Garderobe, die ich mit zu dem Mädelsabend nehmen werde. Mein Kleiderschrank, das muss ich mir schmunzelnd selbst eingestehen, ist gut gefüllt. Für jede Vernissage kaufe ich mir ein neues Teil zum Kombinieren. Mal ein neuer Gürtel oder neue Schuhe, ein Oberteil und des Öfteren auch ein Kleid. An der Seite von Hermann Josef achte ich viel mehr auf mein Erscheinungsbild. Mein Freund legt selbst auch sehr viel Wert auf seine Pflege und Garderobe. Hermann Josef hat mehr Hosen in seinem Schrank hängen als ich Kleider besitze. Mein Blick wandert über die moderne Einrichtung, die wir uns in einem Design-Möbelgeschäft ausgesucht haben. Gegenüber Lotte lebe ich im Luxus, was auch an der Tatsache liegt, meine Freundin Lotte legt auf solche Dinge, wie moderne Möbel, keinen Wert.

Ich vermisse Lotte, Ina und Petra, wie mir gerade schmerzlich bewusst wird.

Ina

Meine Welt, so wie sie gerade ist, schimmert nicht in den schillerndsten Farben, jedoch fühle ich mich gut. Meine Liebe zu Johann stärkt mich und ich möchte behaupten, die kleinen Veränderungen von meiner Seite, für die er mir die nötige Zeit lässt, fangen an mir zu gefallen. Zugegeben, ich habe auch Unterstützung an meiner Seite, Rosalinde, die Mutter von Johann. Sie ist eine wunderbare Frau und mir eine gute Beraterin. Gestern hat Rosalinde so ganz nebenbei erwähnt, sie möchte neue Kleider kaufen und mich gebeten, sie zu begleiten. „Mir macht der Gedanke, so ohne Beratung in der Stadt unterwegs zu sein, Angst“, durfte ich aus ihrem Mund hören. Natürlich habe ich direkt verstanden, worum es ihr in Wahrheit geht. Rosalinde möchte mich dazu motivieren, endlich neue Kleidung zu kaufen. In ihren Augen bin ich eine Ausnahme, was die Gewohnheiten einer Frau anbetrifft. „Junge Frauen lieben es doch, in die Stadt zu fahren und durch die Boutiquen zu schlendern“, kam als kleiner Nachschlag über Rosalindes Lippen. Vorbei die Zeit, wo ich mich allzu sehr über kleine Andeutungen oder Seitenhiebe aufgeregt habe. Inzwischen nehme ich Rosalindes Worte als Wegweiser einer weisen Frau an, die mich in ihr Herz geschlossen hat und es gut mit mir meint. Nicht zuletzt denke ich dabei auch an Johann. Mein Freund sieht es gerne, wenn ich mich etwas aufhübsche. Spontan denke ich an Petra. Nein, meine Gedanken im Zusammenhang mit Petra sind nicht mehr düster und böse. Sie ist nun einmal so ganz anders in ihrer Persönlichkeit als ich es bin. Einsehen muss ich, so wie Petra werde ich mich niemals kleiden, da ich es nicht möchte. Gut, noch etwas jünger und flotter darf meine Garderobe werden. Verrückt, so lache ich in mich hinein bei der Überlegung, dass ausgerechnet Rosalinde meine Beraterin sein soll. Die Geschäfte, wo sie die passende Garderobe sucht, dürften kaum für mein Alter passend sein. In meine Gedanken hinein steht plötzlich Rosalinde vor mir. „Wo ist die Zeit geblieben?“, sehe ich sie an. Der Blick auf meine Küchenuhr zeigt, ich habe die letzte halbe Stunde nutzlos verstreichen lassen.

„Willst du dich nicht umziehen?“ Schon liegt mir eine Antwort auf Rosalindes Worte auf der Zunge, da schaffe ich es gerade noch, diese herunterzuschlucken. An einem Streit ist mir nicht gelegen. „Gib mir noch fünf Minuten!“, eile ich in mein Schlafzimmer. Auf der Treppe halte ich kurz inne. Die Worte, die mir nachhallen, schmecken mir nicht. „Du kannst dir ruhig Zeit lassen, das Ergebnis ist das Wichtigste.“

Meine Frage im Wagen, in welche Stadt Rosalinde möchte, ist rasch beantwortet. „Frankfurt“, trällert sie zufrieden. „Ich suche ein hübsches Kleid für das nächste Essen mit Vincenz. Du weißt doch, Ina, er führt mich so gerne in wirklich teure Restaurants aus“, Rosalinde blickt versonnen aus dem Fenster. Ja, das, was sie sagt, ist mir bekannt. Mir persönlich gefallen die kleinen Dorf-Restaurants viel besser. Ich bevorzuge die Gemütlichkeit und bin ein Fan der regionalen Küche. Dank Vincenz komme ich inzwischen regelmäßig in den Genuss der höheren Kochkunst, wie er gerne betont. Johann kann diese Treffen richtig genießen und daher will ich nicht der Spielverderber sein. Zwei Mal im Monat in diese edlen Lokale zu gehen, reicht mir persönlich, um meine Schmerzgrenze zu erreichen.

„Deine Genussknospen wurden nie geschult“, hat Vincenz mir erklärt, als ich mich beim letzten Treffen nicht entscheiden konnte, was ich esse. Mir liegen keine speziellen Kreationen. Fünf Gänge bringen mich am Ende zum Gähnen und dazu, zu Hause die Schokolade aus der Schublade zu nehmen.

„Wir möchten doch angemessen sitzen und dinieren“, hob Vincenz sein Glas und sein Blick, der auf mir ruhte, machte mich nervös. Für seinen Sohn, den er viel zu spät in die Arme schließen durfte, wünscht er sich bestimmt eine andere Frau an der Seite, so meine Vermutung.

Früher war mein Zusammensein mit Vincenz unkomplizierter und ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, was ich anziehe, wenn wir verabredet waren. Für mich war er der Rettungsanker für Lotte, später der Partner für Rosalinde. Die späte Liebe der beiden habe ich zunächst belächelt und nicht ernst genommen, inzwischen sehe ich es anders. Ja, ich habe viel gelernt durch meine neuen Freunde. Ob an meiner Vermutung, Vincenz findet mich nicht passend an der Seite seines Sohnes, ein Funken Wahrheit dran ist? Mit Johann möchte ich darüber nicht sprechen. Schlafende Hunde soll man nicht wecken, ein Spruch meiner Freundin Karin. Mit ihr kann ich über alles sprechen. Schade nur, Karin wohnt inzwischen wieder in Dresden und am Telefon ist es für mich nicht immer einfach, meine Gefühle zu erklären, diese Tatsache trübt mich. Lotte fällt mir ein. Sie ist ein guter Mensch, allerdings auch sehr eigen und von ihr brauche ich wirklich keinen Rat in Liebesangelegenheiten oder Ähnlichem. Franz, so konnte ich in den letzten Wochen beobachten, ist abends viel unterwegs. Von meinem Haus aus habe ich einen freien Blick auf Lottes Haus und die kleine Parkbucht davor. Parkplatz kann ich dieses Gelände nicht nennen. Dass ein Mann wie Franz, ein Handwerker, nicht einmal den Samstag nutzt, um Ordnung zu machen, Pflastersteine anzubringen und einen ordentlichen Gartenzaun zu montieren, kann ich nicht nachvollziehen. Lotte hat mir gegenüber erwähnt, im Haus sei Franz wieder aktiv geworden. So habe er das Schlafzimmer gestrichen, was mich direkt hellhörig werden ließ. „Na, das passt zu Franz. Sein Lieblingszimmer im Haus hält er in Schuss.“ Meine Worte fanden bei Lotte wenig Anklang. Die Aussage im Anschluss von ihr, Franz habe bereits mit Freunden gesprochen und zeitnah werden diese kommen, um das alte Haus zu renovieren, hat mich verwundert. Für Lotte würde ich mich freuen, wenn Franz sein Wort hält. Verwundert bin ich über sein Verhalten und hege daher auch Zweifel an seinen Worten. Zwischen beiden scheint es zu kriseln. Johann hat mich auch schon darauf angesprochen. Warum ich nur gerade jetzt daran denken muss, während ich den Wagen über die Autobahn lenke, verwundert mich selbst. Sicherlich liegt es an der Tatsache, dass Rosalinde im Sitz neben mir eingeschlummert ist und mir die Unterhaltung fehlt. In ihrem Alter darf das ruhig passieren, lächele ich vor mich hin. Keine zwei Sekunden später gehören meine Gedanken erneut Lotte. Ich möchte mit ihr sprechen und mir selbst ein Bild darüber machen, wie es Lotte geht. Um meinen Entschluss auch umzusetzen, rufe ich Lotte über die Freisprechanlage an.

„Sehr gut, dann komme ich gleich zu dir, wenn ich mit Rosalinde zurück bin. Sie will sich ein hübsches Kleid kaufen“, gebe ich Lotte Auskunft. Zu meiner Freude fragt Lotte nicht weiter nach, es wäre mir auch unangenehm über Rosalinde zu sprechen und sie wacht unverhofft auf. „Gönn dir aber auch etwas Hübsches, Ina! Die Fahrt nach Frankfurt sollte ausgekostet werden“, verabschiedet sie sich von mir. Lächelnd fahre ich weiter. Inzwischen haben wir Freundinnen alle eine Entwicklung gemacht. Lotte hat sich früher auch wenig für Kleidung, Make-up oder Haarfarbe interessiert, was sich geändert hat. Inzwischen möchte sie ihrer verstorbenen Tante Lydia Lowere nacheifern und immer öfter scheint es ihr auch zu gelingen. In diesem Zusammenhang denke ich auch an den Künstler Anton Wall, der über dem Café in Limburg lebt. „Menschen mit einer eigenen Persönlichkeit sind für mich die Luft zum Atmen“, hatte Lydia Lowere in einem ihrer Bücher notiert, die wir im Nachlass gefunden haben. Sicherlich ist ein Funken Wahrheit in den Worten und ich will lernen, meiner Persönlichkeit mehr Freiraum zu schenken.

Rosalinde wacht erst auf, als ich einparke und die Sicherheitsmelder meines Wagens piepsen.

Lotte

Mir tut die Zeit in meinem Garten richtig gut. Inzwischen bin ich von Kaffee auf Prosecco umgestiegen und warte auf Ina, die mich kurz aufsuchen möchte, sobald ihre Shopping-Fahrt mit Rosalinde beendet ist. Mein Kopf ist Richtung Himmel gerichtet und ich denke gerade darüber nach, wie sehr ich das satte Blau liebe, als das kleine Glöckchen am Gartentor Besuch ankündigt.

„Ina!“ Beim Anblick meiner Freundin springe ich sogleich von meinem Gartenstuhl auf. „Was ist passiert?“, weiter komme ich nicht. Ina sieht erbärmlich aus, sie muss geweint haben. Mit einer kurzen Bewegung ihrer Hand und den Worten: „Ich kann noch nicht darüber sprechen“, umarmt sie mich. Kurz stöhne ich, dann aber setze ich mich ihr gegenüber. „Du möchtest bestimmt einen Kaffee?“ Schon bin ich wieder auf den Beinen und will mein Glas Prosecco greifen, um es mit in die Küche zu nehmen. Ina, das wundert mich sehr, greift nach meinem Glas, trinkt es in einem Schluck leer und hält mir das Glas vor die Nase. „Kannst du auffüllen?“