Opas Seele bleibt - Manuela Lewentz - E-Book

Opas Seele bleibt E-Book

Manuela Lewentz

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Beschreibung

Opas Seele bleibt "Er kommt bald, der Sensenmann", sah mich Opa eines Mittags müde an. "Du kannst mich doch nicht allein lassen!" "Meine Seele wird hier auf der Erde ihren Platz finden, davon bin ich überzeugt, Anne. Du musst sie finden und dann sind wir zwei für immer untrennbar." Opa hat oft von unserem Karma gesprochen und das einige Menschen in der Gestalt einer Ameise wiedergeboren werden. "Es gibt ein Leben nach dem Tod, Anne. Das ist doch spannend! Nicht viele Menschen machen diese Erfahrung und kommen einer toten Seele nahe." Mir waren die Worte von meinem Opa geläufig, ich habe mich nicht gewundert, sondern ihm Glauben geschenkt. "Lebe dein Leben, Anne. Genieße es, versuche, so wenig Kompromisse wie möglich in deinem Verhalten zu machen. Wenn dein letztes Stündchen schlägt, Anne, dann solltest du nicht bereuen, was dir entgangen ist. Lebe und genieße dein Leben und bleibe dabei immer ein Mensch, der mit offenen Augen durch die Welt geht." Die Zweisamkeit von Anne und ihrem Opa geht über dessen Tod hinaus. Anne und ihr Opa nehmen den Leser mit in ihr Leben und zeigen eine Verbundenheit füreinander und zur Natur, die erstrebenswert scheint. Das Ende der Geschichte lässt Platz für Gedanken und Hoffnungen auf die Zeit nach dem eigenen Tod.

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Inhaltsverzeichnis

Tote tanzen länger

Die Sanduhr

Ein paar Tage später

Positive Menschen an der Seite sind wie ein Geschenk

Der Sensenmann hat schon angeklopft

Am Abend

Opas Art, mir die Welt zu erklären

Einige Tage später

Die alte Gartenlaube

Weihnachten

Wir umarmen einen Baum

Ein paar Tage später

Vorahnung

Zu Hause angekommen

Am Sterbebett

Was kommt nach dem Tod?

Auch dieser Traum sollte eine Botschaft beinhalten

Die letzten Minuten

Nachkaffee

Der nächste Morgen

Die erste Zeit nach Opas Tod

Der nächste Tag

Eintauchen in die Natur

Rückblick Am Sterbebett

Eine schöne Entdeckung

Erinnerung

Meine Träume

Meine Eiche

Eine parallele Welt – zwischen Traum und der Wahrheit auf Erden

Fünf Tage später

Rückblende Auszug aus der Tageszeitung von letzter Woche

Impressum

Tote tanzen länger

Meine Ruhe, meine Stärke, beides finde ich in der Natur. Beim Umarmen eines Baumes, am liebsten meiner Eiche, spüre ich Wärme, die meinen Körper durchflutet. Lebendigkeit und das Gefühl, ich bin nicht allein, gehören ebenso zu meinen Empfindungen, die ich in diesen Augenblicken aufnehmen darf. Eintauchen in die Natur, tiefe Gefühle zuzulassen, alles habe ich von meinem Opa gelernt. Mein Opa ist mein Lieblingsmensch gewesen und heute noch meine Stütze im Alltag, mein stiller Berater und Begleiter. Immer wieder suche ich unseren Ort der Zweisamkeit auf und treffe auf meinen Opa. Im Anschluss fühle ich mich zuversichtlich und gehe gestärkt zurück in meinen Alltag. Die Erwartungen, die an mich gestellt werden, da bin ich mir im Anschluss an meine Begegnung mit Opa sicher, kann ich, dank neu gewonnener Kraft, erfüllen.

,,Gehe mit offenen Augen in die Natur, Anne. Rieche und atme ganz bewusst, halte deine Augen offen, und du wirst immer wieder neue Eindrücke in der Natur sammeln. Nirgendwo anders bist du dem Himmel so nah wie in der Natur.“

Dank meines Opas ist mein Leben gefüllt mit schönen Momenten und Gefühlen. Von ihm durfte ich zum Beispiel lernen, auch die kleinen Momente im Alltag, die mir guttun, zu erkennen. ,,Warte nicht immer auf das Große, das Besondere, um glücklich zu sein. Der kleine Moment kann schon dazu beitragen, sich besser zu fühlen. Wer auch die kleinen Glücksmomente sieht und genießt, geht zufriedener durch das Leben.“

Opas Fürsorge, seine unermüdlichen Versuche, mir das Leben und die Natur zu erklären, sie haben mich geprägt und gestärkt.

,,Zu dem Leben, Anne, gehört auch der Tod“, sagte Opa eines Nachmittags zu mir. Wir saßen gerade in Opas alter Gartenlaube und spielten eine Partie Schach.

,,Gevatter Tod kommt eines Tages zu mir“, betonte Opa des Öfteren. Richtig ernst habe ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht genommen. Für mich war mein Opa doch gesund und fit, was sollte sich für uns schon ändern?

,,Wir alle haben unsere Zeit auf Erden. Keiner von uns kann vor dem Tod davonlaufen“, lächelte er sanft und zog im Anschluss an seiner Zigarre.

Wer kennt sie nicht, die Kostüme von Gevatter Tod? Aber seien wir doch ehrlich, spätestens dann, wenn der Tod an der Tür klopft, ist der Spaß vorbei.

,,Du hast noch viel Zeit, Opa“, habe ich ab und an geantwortet, oft habe ich nur auf Opas Worte hin geschwiegen.

,,Wir alle haben unsere Zeit hier auf der Erde und unser Ende ist schon mit der Geburt vorbestimmt“, bemühte sich mein Opa, mir seine Gedanken näherzubringen. Wir zwei spielten einmal mehr eine Partie Schach.

,,Du musst dich besser konzentrieren, Opa.“

,,Und du musst mir zuhören, Anne“, konterte mein Opa. Seine Stimme war sanft und doch spürte ich an jenem Nachmittag, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Opa zuzuhören und seine Worte über den Tod aufzunehmen.

Die letzten Tage vor Opas Tod habe ich schon gemerkt, ihm schwindet die Kraft. Selbst beim Schachspiel konnte er sich nicht mehr konzentrieren, seine Gedanken trifteten ab und ich gewann jede Partie, was sonst nur eine Ausnahme war.

,,Er kommt bald, der Sensenmann“, sah mich Opa eines Mittags müde an.

,,Du kannst mich doch nicht allein lassen!“

,,Meine Seele wird hier auf der Erde ihren Platz finden, davon bin ich überzeugt, Anne. Du musst sie finden und dann sind wir zwei für immer untrennbar. Ich glaube an ein Weiterleben hier auf Erden.“

Im Anschluss zog er an seiner Zigarre und pustete den Rauch in die Luft. Ich sah ihm dabei gerne zu. Zu der Zeit war das Rauchen noch salonfähig und niemand machte sich Sorgen, als Passivraucher gefährdet zu sein.

,,Anne, ich sage die Wahrheit, mein Kind.“

,,Dir passiert höchstens ein Unfall mit deinem alten Auto“, habe ich geantwortet. ,,Du fährst schneller als ein Rennfahrer und viel schneller, als es erlaubt ist.“

Opa nickte auf meine Worte, daran kann ich mich noch gut erinnern.

,,Deiner Mutter wäre es lieb, ich würde meinen Führerschein abgeben und endlich akzeptieren, alt zu sein“, er zog die Luft durch die Nase, was ich schon als lustig empfand. Es war seine Angewohnheit, mit Tatsachen umzugehen, die er nicht wahrhaben mochte.

,,Ich bin jetzt 86 Jahre alt und ich möchte am liebsten 110 Jahre alt werden, damit ich noch sehen kann, was aus dir später wird und, wenn du heiratest, ob du Kinder bekommst.“

,,Du wirst noch lange leben“, habe ich Opa in diesem Moment geantwortet und für mich war es auch selbstverständlich, dass ich meinen Lieblingsmenschen noch lange an meiner Seite haben werde. Zumindest wollte ich das glauben.

Meistens hat Opa vom Tod gesprochen, wenn wir eine Partie Schach gespielt haben. ,,Du willst nur gewinnen und versuchst, mich abzulenken“, habe ich ihm einmal entgegengeworfen. Opa schüttelte seinen Kopf energisch. ,,Nein, Anne, das ist nicht in meinem Sinn. Ich möchte dich nur auf das Leben vorbereiten und dir alles erklären, was ich weiß. Dazu gehört mein Geheimnis.“

Dies war ein Augenblick, der mich aufhören ließ. Geheimnisse haben eine anziehende Wirkung, was ich meinem Opa auch sogleich mitteilte.

,,Es geht um den Tod und das Weiterleben der Seele im Anschluss“, teilte er mir mit. So prickelnd war für mich das Thema oder das große Geheimnis in dem Augenblick doch nicht mehr. Ich erinnere mich genau, wie enttäuscht ich war, dass er mir kein richtiges Geheimnis anzuvertrauen hatte.

,,Es gibt ein Leben nach dem Tod, Anne. Das ist doch spannend! Nicht viele Menschen machen diese Erfahrung und kommen einer toten Seele nahe.“

Mir waren die Worte von meinem Opa geläufig und ich habe mich nicht gewundert, sondern ihm einfach Glauben geschenkt. ,,Ein richtiges Geheimnis wäre mir lieber gewesen“, habe ich im Anschluss meinen Kakao getrunken. Opa grinste. ,,Mein richtiges Geheimnis, Anne, ich werde es dir bald schon anvertrauen.“

An einem Nachmittag, wir spielten in der alten Gartenlaube Schach und ich konzentrierte mich gerade auf meine Dame, als Opa sagte: ,,Anne, wir gehen doch regelmäßig in den Wald.“

Ich sah kurz vom Schachbrett auf und nickte ihm zu. ,,Bei einem meiner vielen Ausflüge in die Natur habe ich meine

Fähigkeit gespürt, verstorbenen Menschen nahe zu sein.“

Was mein Opa mir erzählte, lenkte mich ab und brachte meiner Konzentration auf das Spiel einen Abbruch.

Bisher hatte Opa immer nur Andeutungen gemacht, besondere Fähigkeiten zu besitzen, ist aber niemals ins Detail gegangen, was an diesem Tag anders war.

,,Ich kann mit meinem alten Schulfreund reden, Anne. Ich suche regelmäßig den Platz in der Natur auf, wo ich auf seine Seele treffe.“ Opa lehnte sich nach diesen Worten genüsslich in der alten Gartenlaube zurück und sah mich an.

Meine Fantasie ging automatisch auf Wanderschaft und ich stellte mir das vor, was mein Opa mir gerade erzählte. Auch fragte ich mich, wie nur die Seele aussehen mag.

,,Mir ist wichtig, Anne, dir die Angst vor meinem Tod zu nehmen. Du sollst die Gewissheit haben, wir zwei werden niemals für immer getrennt.“

Für Opa war es selbstverständlich, eines Tages nach seinem Tod hier auf der Erde, dank einem Platz für seine Seele, weiterzuleben.

,,Meine Seele bleibt hier und sie wird einen schönen Ort finden, an dem ich meine Ruhe haben werde. Ich stelle mir diesen Platz ruhig und behaglich vor“, paffte Opa an seiner Zigarre.

,,Dann kannst du doch auch gleich am Leben bleiben“, habe ich an diesem Nachmittag zu meinem Opa gesagt. Opa sah mich lange an. ,,Wenn das nur ginge, Anne. Dies wäre mein größter Wunsch.“

Als Kind kommt einem das Leben so unendlich vor. Menschen, die über vierzig Jahre alt sind, findet man alt. Für sich selbst steht die Welt noch offen und alles scheint möglich zu sein.

Die Worte von meinem Opa habe ich erst Jahre später richtig verstanden, seine Botschaft, die dahintersteckte, ebenso.

Die Sanduhr

,,Anne, wir haben alle eine Sanduhr und wenn diese abgelaufen ist, dann ist ein Leben zu Ende.“

Diese Worte sagte Opa zu einem Zeitpunkt, als wir schon oft über den Tod gesprochen hatten. Mich haben die Unterhaltungen nicht verschreckt, ich fand es interessant, meinem Opa zuzuhören, und ich habe viel von ihm gelernt. ,,Wo glaubst du, Opa, steht deine Sanduhr?“, wieder einmal spielten wir Schach und ich musste mich sehr konzentrieren, da mein Opa ein sehr guter Spieler war.

,,Im Himmel, Anne. Dort wird alles für uns gelenkt und vorbereitet, davon bin ich überzeugt.“

,,Du glaubst wirklich, unser Tod ist schon mit der Geburt vorbestimmt?“ Opa nickte. So ganz wollte ich ihm nicht glauben.

,,Es gibt heute so gute Medikamente, die den Tod herauszögern können. Wie kannst du mir jetzt noch die

Funktion der Sanduhr erklären? Zum Glück können auch Krebspatienten inzwischen geheilt werden und selbst eine Krankheit wie Aids kann dank Medikamenten eingedämmt werden, sodass die Patienten weiterleben können.“ Ich holte kurz Luft, um im Anschluss gleich weiterzusprechen. ,,Siehst du, Opa, das Leben, ich meine die Länge des Lebens ist nicht wie von dir vermutet vorherzusagen.“

Opa blieb gelassen, obgleich meine Stimme hoch geworden war. ,,Alles ist vorbestimmt Anne, daran glaube ich. Ebenso glaube ich daran, dass meine Seele weiterleben wird, hier auf der Erde, wenn mein Körper schon sein Ende gefunden hat.“

,,Was ist mit der verbesserten Medizin, die ich angesprochen habe?“

,,Auch dieser Aspekt ist nicht vernachlässigt, glaube es mir, Anne. Es gibt eine Vorbestimmung für jeden Menschen und somit ist das Leben und ebenso der Zeitpunkt des Todes für uns vorgesehen.“

An diesem Nachmittag beendeten wir die Unterhaltung über unsere unterschiedlichen Ansichten zu dem Thema und vertieften uns stattdessen wieder in das Schachspiel.

In der folgenden Nacht kam die Unterhaltung mit Opa noch einmal in meinen Kopf und ich fing an nachzudenken.

Ob ich auch an die Gestalt des Sensenmanns denke, wenn ich gehen muss? Wenn meine letzte Stunde kommt?

Die Vorstellung, jeder Mensch hat für sich eine Sanduhr, die unser Leben auf Erden zumindest zeitlich lenkt, klang im Nachhinein doch logisch für mich. Mein Opa hatte mich mit seiner Haltung überzeugt und meine Ansichten geprägt.

Jahre später habe ich noch oft über Opas Worte nachgedacht. Im Anschluss habe ich viel gelesen und mich mit dem vertraut gemacht, was Wissenschaftler sagen, was die großen Religionen zu dem Thema aussagen.

Je mehr und je länger ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr kam ich auf das Ergebnis, mein Opa hat die Wahrheit gesagt. Es gibt eine symbolische Sanduhr für jeden von uns.

Leider ist das auch beängstigend, da wir die Geschwindigkeit, mit der unser Sand, unsere Lebenszeit abläuft, nicht beeinflussen können. Der Mensch fliegt auf den Mond, wir können inzwischen mit dem Raumschiff die Erde umrunden, Forschungen ermöglichen es uns, länger zu leben, dank guter Medizin. Viele Krankheiten haben ihren Schrecken verloren und sind heute heilbar. Nur eines haben wir bis heute nicht geschafft: Einfluss auf den Tod zu nehmen, auf das, was im Anschluss an unseren Tod folgt, die Zeit nach dem Ableben, hierzu haben wir noch nicht die Wahrheit gefunden.

Daher, so mein Gedanke, verbindet der Mensch mit dem Tod auch ein Gefühl der Angst. Das, was wir nicht kennenlernen können, was auch unsere Eltern und Großeltern nur aus Überlieferungen an uns weitergeben konnten, es ist nicht greifbar. Nur im Glauben allein liegt die Bestätigung, was uns nach dem Tod auf der Erde erwarten wird.

,,Lebe dein Leben, Anne. Genieße es, versuche, so wenig Kompromisse wie möglich in deinem Verhalten zu machen. Es ist dein Leben und du solltest es gestalten und versuchen, einen Weg zu finden, der für dich richtig ist. Wenn dein letztes Stündchen schlägt, Anne, dann solltest du nicht bereuen, was dir entgangen ist. Lebe und genieße dein Leben und bleibe dabei immer ein Mensch, der mit offenen Augen durch die Welt geht.“

Opa hat mir viele seiner Lebensweisheiten verraten und ans Herzen gelegt. Durch ihn habe ich gelernt, was Leben bedeutet. Ich gehe mit Rücksicht durch das Leben, mit Rücksicht auf meine Mitmenschen und doch achte ich auf meine Bedürfnisse, halte inne, wenn ich der Meinung bin, ein eingeschlagener Weg, er tut mir nicht mehr gut. Dann überdenke ich diesen Weg und falls notwendig, drehe ich um. Es ist keine Schande zuzugeben, ich war auf dem falschen Weg unterwegs, ich habe mich geirrt und mein Handeln war falsch. Ein Fehler ist es, sich nicht einzugestehen, Fehler zu machen. Nicht die Richtung zu wechseln, wenn der Boden unter den Füßen schwankt. Stärke bedeutet für mich, auch die Schwächen zu erkennen, die ich aufzeige, und die Fehler, die ich bisher in meinem Leben gemacht habe, zu sehen.

,,Lebe im Jetzt und Hier, Anne. Das Gestern ist Teil der Vergangenheit und kann nicht mehr geändert werden. Die Zukunft ist ungewiss und daher nicht so zu terminieren, zu verplanen, wie wir es gerne tun würden. Jetzt findet dein Leben statt, Anne!“, an die Worte von Opa kann ich mich noch immer gut erinnern. Wir waren an diesem Nachmittag gemeinsam mit seinem alten klapprigen Wagen unterwegs. Opa wollte mir die Umgebung zeigen, Türen zur Welt öffnen, wie er gerne betonte. ,,Nur wer reist, Anne, kann die Welt verstehen und kennenlernen. Es ist ein Fehler, immer im Dorf zu bleiben und auf das Ende zu warten. Wenn du eine junge Frau bist, gönne dir eine Auszeit und reise, lerne die Welt und ihre Menschen mit der Vielfalt, die sie zu bieten hat, kennen. Dadurch wirst du weise und bleibst offen neuen Kulturen und den Menschen gegenüber. Nicht alle Menschen werden sich so verhalten, wie es dir gefällt, Anne. Menschen dürfen unterschiedlicher Meinung sein, es ist in meinen Augen wichtig, diesen Leuten zu begegnen und ihnen zuzuhören. Nur wer mit offenen Augen und Ohren durch das Leben geht, ist bereit liberal in seinem Handeln zu sein und nicht zu verurteilen, was dir zunächst noch als fremd erscheint. Wir beide, Anne, wir sind uns sehr nahe und in unserem Verhalten, den Einschätzungen zu Menschen, denen wir begegnen, oft gleich. Trotzdem dürfen wir nicht mit Scheuklappen durch den Tag marschieren und nur denken, wir haben Recht. Bleibe offen in deinem Denken, Anne.“

An diesem Tag war Opa mit mir nach Köln gefahren. Meiner Mutter war es nicht lieb, dass ich mit Opa so viel unterwegs war und immer wieder neue Städte kennenlernte. Mein Opa, so der Wunsch meiner Mutter, sollte nicht mehr so lange Auto fahren und auf keinen Fall, wenn ich mit ihm im Auto saß.

Wir beide hatten jedoch unseren Spaß an den Ausflügen und mein Opa, so schien es, genoss diese gemeinsame Zeit mit mir sehr. ,,Junge Menschen in der Nähe zu haben, ist ein Segen, Anne. Die gemeinsame Zeit mit dir, sie hält mich jung und ich lerne noch von dir, Dinge aus einer neuen Sichtweise zu sehen.“

,,Wenn du das sagst, Opa.“

,,Ja, Anne! Es ist wichtig, im Kopf jung zu bleiben und das geht nur, wenn man sich mit jungen Menschen umgibt.“

Heute kann ich diese Worte verstehen, als junger Mensch jedoch habe ich sie als Kompliment aufgenommen, ohne den tieferen Sinn zu verstehen.

In meinen Erinnerungen habe ich auch immer wieder Szenen aus meiner Schulzeit vor Augen.

In der Schule, im Religionsunterricht habe ich mich gerne und oft gemeldet, meine Kommentare und Beiträge wurden jedoch regelmäßig als Unsinn abgetan.

,,Anne, auf deine Antworten möchte ich gerne verzichten. Mir scheint, deine Ansichten sind noch sehr kindlich und es fehlt dir ein Umgang, der dich positiv prägen kann.“

Es tat mir sehr weh, die Kommentare meiner Lehrer anzunehmen.

,,Ärgere dich nicht, Anne. Nicht alle Menschen haben die Größe, eine Meinung zuzulassen, die von der eigenen Meinung abweicht. Je älter du wirst, desto öfter werden dir solche Menschen noch begegnen. Hoffentlich wirst du nie abhängig sein von solchen Leuten und ihrer Meinung. Dann musst du dich freischwimmen und Abstand suchen, einen neuen Weg einschlagen und Menschen in dein Umfeld lassen, die positiv sind. Alles Negative darfst du ausblenden und auf der Seite lassen.“

,,So einfach funktioniert das leider nicht, Opa“, war meine Antwort auf seine Worte. ,,Ich muss in den Religionsunterricht gehen und es gibt aktuell für mich nur die Möglichkeit, den Mund zu halten oder ständig anzuecken und von dem Lehrer niedergemacht zu werden.“ Kurz hatte ich innegehalten. ,,Für mich ist es keine Option, die Meinung des Lehrers aufzunehmen oder ihm vorzumachen, ich sei seiner Meinung.“

Auf meine Worte hin hat sich Opa an die Wand der Gartenlaube gelehnt und traurig geblickt. ,,Anne“, kam es später aus seinem Mund. ,,Kinder sollten behütet aufwachsen, ohne von einem Erwachsenen niedergemacht zu werden, wenn sie die eigene Meinung vertreten, sollten sie dafür nicht ständig kritisiert werden. Mit deinem Lehrer werde ich sprechen.“

,,Ob das eine gute Idee ist, Opa?“

,,Ihn mit seinem Verhalten einfach gewähren zu lassen, Anne, wäre in meinen Augen ein Fehler. Was das Gespräch an Ergebnissen bringen wird, warten wir es ab.“

Schon wenige Tage nach meiner Unterhaltung mit Opa in der Gartenlaube hat er sein Vorhaben in die Tat umgesetzt.

Mein Religionslehrer war im Anschluss auf das Treffen mit meinem Opa nicht von heute auf morgen ein anderer Mensch geworden, jedoch hielt er sich mit verletzenden Kommentaren mir gegenüber zurück. Mit den Wochen fand ich auch den Mut zurück, mich wieder öfter im Unterricht zu melden und meine Meinung zu äußern.

,,Menschen ohne Rückgrat gibt es schon zu viele“, hatte mir Opa sein Handeln erklärt, wieso es ihm so wichtig war, mit dem Lehrer zu sprechen. ,,Nur ein freier und starker Mensch kann sich auch gut entwickeln. Dazu gehört auch eine pädagogische, wertvolle und achtsame Erziehung in der Schule. Ein Lehrer, besonders ein Religionslehrer sollte das wissen und sich entsprechend verhalten.“

Ein paar Tage später

,,Opa? Warum liest du immer die Todesanzeigen als erstes in der Tageszeitung?“ Diese Frage brannte mir an einem Morgen auf der Seele, als ich Ferien hatte und mit meinem Opa zusammen am Frühstückstisch saß.

,,Der Verlust eines lieben Menschen sowie auch die eigene Furcht vor dem Ableben, dem Ungewissen ist groß“, blickte mich Opa über den Rand der Tageszeitung an. ,,Für jeden Tag, an dem ich keine Anzeige finde, wo ein Bekannter von mir die Erde verlassen hat, bin ich dankbar.“

,,Du kannst doch auch die Todesanzeigen zum Schluss lesen, es ändert sich doch nichts an der Tatsache, die sich dir im Anschluss eröffnet.“

Opa nickte milde. ,,Ja, ich muss dir Recht geben, Anne. Nenne es eine liebevolle Macke von mir. Doch für mich ist es wichtig zu wissen, wie geht es den Menschen, die ich kenne oder denen ich einmal begegnet bin. Hier im Dorf ist es die Kirchenglocke, die uns verkündet, einer aus der Dorfgemeinschaft ist verstorben. Im Anschluss spricht sich sehr rasch herum, wer von uns gegangen ist. Das gilt aber nicht für die umliegenden Dörfer, wo ich auch Freunde habe und Menschen kenne, denen ich gerne begegnet bin.“

Heute ist es so leicht an Nachrichten aus der ganzen Welt zu kommen. Wir haben alle unsere Handys, News verbreiten sich innerhalb kürzester Zeit. Obwohl ich viele Informationen inzwischen auch über das Internet erhalte, ist das Lesen einer Tageszeitung für mich Bestandteil eines jeden Tages. Sicherlich hat das Verhalten meines Opas sich auf mich ausgewirkt. Ein Morgen ohne meine Tageszeitung ist wie eine Portion Eis ohne Sahne, es fehlt das Beste.

Positive Menschen an der Seite sind wie ein Geschenk

Menschen, die zum Ende ihres Lebens gefragt wurden, was sie ändern würden, wenn es die Chance gebe, noch einmal das Leben zu leben, sagten: mehr genießen. Den schönen Momenten im Leben mehr Raum lassen und sich zu überlegen, mit welchen Menschen man sich umgibt. Aussortieren, wer nicht guttut, wer mein Leben belastet, anstatt mich zu unterstützen. Jeder Mensch sollte sich nur mit Menschen umgeben, die seine Wünsche und Belange mittragen.

,,Positive Menschen können auch uns positiv beeinflussen. Pessimisten tun uns nicht gut, im Gegenteil, sie beeinflussen uns negativ.“ Auch eine Weisheit meines Opas. In diesem Punkt kann ich ihm nur Recht geben. Auch ich habe zu sortieren gelernt und habe mir auf diese Weise mein Leben lebenswerter gemacht.

Ich habe gelernt, Menschen aus dem Weg zu gehen, die mir nicht guttun. Für mich ist deren Existenz nicht mehr relevant. Ich denke an mich, an meine Bedürfnisse, meine Gefühle und finde in der Liebe zu mir auch das Glück und spüre, meine Mitmenschen öffnen sich mir, zeigen mir ihre Liebe durch mein Verhalten.

,,Nur wer sich selbst liebt, kann auch von anderen Menschen Liebe empfangen“, sagte mir Opa sehr oft.

Positive Menschen im eigenen Umfeld sind ein Glück und können uns ebenso positiv prägen und beeinflussen. Es ist erwiesen, wer sich mit Menschen im Umfeld umgibt, die eine positive Ausstrahlung haben, ist leistungsfähiger und glücklicher. Freude und Sichtweisen können sich auf uns

übertragen und uns beeinflussen.

Wer sich nur mit nörgelnden Menschen umgibt, verliert eines Tages seinen Optimismus und wird in den Sumpf der negativen Gedanken gezogen. Seinen Mitmenschen mit einem Lächeln zu begegnen, ist nicht schwierig und kostet uns kein Geld und keine Mühen. Als Belohnung erhalten wir im Allgemeinen ein Lächeln zurück, was uns wiederum positiv stimmt.

,,In der Natur, Anne, hier im Wald, bei den Bäumen, da findest du die Ruhe, um dich vom Alltag zu erholen“, habe ich oft aus Opas Mund gehört. Ihm war die Zeit in der Natur sehr wichtig.

,,Der richtige Mix aus Abenteuer und dem Eintauchen in die Natur sind für mich wichtig, Anne. So bleibe ich geistig fit und körperlich gesund.“

Dank meines Opas ist mir ein Großteil meiner Sorgen im Leben genommen. Schon in meinen Kindertagen hat Opa versucht, von seinen Fehlern im Leben zu berichten, mich davor zu bewahren, die gleichen Fehler zu begehen. Das Wichtigste jedoch für mich war zu lernen, dass ich ein Recht darauf habe, die Menschen in meinem Umfeld selbst auszuwählen und zu sortieren. Wer mir nicht guttut, hat meine Nähe nicht verdient. Oft dachte ich, wenn ich besonders lieb sei, mich gut anpasse, dann werde ich beachtet und von den Mitmenschen geschätzt und gut behandelt. Sicherlich steckt viel Wahrheit hinter meinen Gedanken und doch habe ich gelernt, nicht alle Mitmenschen sind gleich. Es gibt ein Märchen, in dem es heißt: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins ….“, dahinter steckt eine Botschaft, die ich für richtig halte.

Neben meinen neugewonnenen Ansichten im Umgang mit Menschen in meinem Umfeld hat mein Opa mir auch die Angst vor dem Tod genommen.

Mein Opa hat mir immer wieder von seinen positiven Erlebnissen und von seinen Begegnungen mit verstorbenen Menschen berichtet, die er regelmäßig auch in seinen Träumen fand.

,,Weißt du, Anne, wenn du denkst, einen liebgewonnenen Menschen durch den Tod zu verlieren, dann ist dies nicht ganz die Wahrheit. Richtige Liebe und eine gute Freundschaft, sie endet nicht mit dem Tod.“

So ganz hatte ich die Worte von Opa zunächst nicht verstanden, was ich ihm auch gesagt habe.

,,Anne, ich will dir sagen, dass Menschen, die wir lieben, immer in unserer Nähe bleiben, auch nach dem Tod. Ich zum Beispiel treffe regelmäßig meinen lieben Freund und langjährigen Weggefährten in meinen Träumen wieder. Wir tauschen uns aus, erzählen über Themen, die uns beschäftigen. Darüber hinaus ist es mir vergönnt, beim Umarmen meiner Eiche mit den Verstorbenen in den Kontakt zu kommen. Diese Fähigkeit, liebe Anne, ich musste erst zulassen und lernen, dass ich anders bin und anders sein darf als meine Mitmenschen. Es gab schon immer Menschen, die eine außergewöhnliche Fähigkeit besitzen und denen es vergönnt ist, das aufzunehmen, was wir nicht sehen können.“

,,Ich kenne solch eine Figur nur aus dem Comic. Da gibt es einen Druiden, der kann einen Zaubertrank herstellen, der Superkräfte verspricht.“ Opa nickte sanft. ,,Mir sind diese Hefte bekannt“, im Anschluss zog er an seiner Zigarre.

,,Zu allen Zeiten gab es Menschen, die übersinnliche Kräfte hatten. Viele dieser Menschen haben Probleme bekommen, wurden verstoßen oder als Spinner bezeichnet.“ Opa machte eine kurze Pause und ich beobachtete seine Gesichtszüge, die mir verrieten, er dachte nach.

,,Jede besondere Fähigkeit muss angenommen und zugelassen werden, Anne. Wissenschaftler wurden für ihre Theorien ausgelacht und niedergeschrieben, da die Menschen zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage waren, zu verstehen, was hinter der Botschaft steckte. Oft wurde Jahre später, nach dem Tod der Wissenschaftler erst entdeckt und verstanden, sie hatten mit ihren Worten recht. Mir ist bewusst, Anne, ich bin auch eine Ausnahme und daher haben auch in unserem Dorf einige Menschen Angst vor mir.“

,,Ich finde es schön, Opa, dass du so bist, wie du bist.“

Meine Antwort war ein sanftes Lächeln, das von Herzen kam. ,,Anne, immer wenn du in der Natur bist, blicke einmal in den Himmel. Jeden Tag zeigt sich uns der Himmel mit einem anderen Farbbild. Mal ist er grau und wir ent decken Wolken, oder es regnet, ein anderes Mal jedoch sehen wir ein herrlich sattes Blau. Veränderungen sind wichtig und für jeden Menschen, der sich weiterentwickeln möchte, unabdingbar.“

,,Opa? Wenn du einen Baum umarmst und mit den Verstorbenen im Kontakt stehst, was empfindest du in diesem Moment?“

,,Zufriedenheit, Ruhe und ich spüre eine Energie, die meinen Körper einnimmt und mir Wärme schenkt.“

,,Bis heute habe ich noch keine Stimme gehört, wenn ich einen Baum umarmt habe, und noch von keinem Menschen geträumt, der inzwischen verstorben ist“, war meine Antwort.

,,Zum Glück habe ich auch noch keinen lieben Menschen verabschieden müssen“, fügte ich nach. Damit war das Thema zunächst für mich abgeschlossen. Meine Konzentration galt erneut dem Schachspiel. Ich nahm die Dame in die Hände und sah an Opas Gesicht, auch er war wieder voll und ganz beim Schachspiel angekommen. ,,Heute möchte ich die Partie gewinnen“, lachte ich Opa ins Gesicht.

,,Schauen wir mal, Anne“, war seine Antwort. Im Anschluss grinste er mich an.

,,Weißt du, Anne, ich spüre und empfinde oft anders, als viele meiner Mitmenschen es tun“, sprach Opa, nachdem er die Partie in der Tat gewonnen hatte. ,,Meine intensiven Träume, nur als Beispiel, meine Fähigkeiten, Dinge vorauszuahnen, nur als kleines Beispiel für dich, sind für Außenstehende befremdlich. Sie haben Angst davor, dass ich Stimmen hören und mich mit Verstorbenen unterhalten kann. Auch meine Vorahnungen auf Situationen, die in der nahen Zukunft erst eintreffen, sie wirken beängstigend auf meine Mitmenschen. Wäre ich eine Frau, Anne, die Menschen würden mich hinter meinem Rücken eine Hexe nennen.“

,,Werde ich diese Fähigkeiten auch bald spüren?“

Opa sah mich eine Weile an, dann nickte er. ,,Davon bin ich überzeugt, Anne.“

,,Liegt es uns in den Genen, diese Fähigkeiten zu besitzen?“

Opa sah mich nachdenklich an. ,,Darüber habe ich schon nachgedacht, Anne. Mir scheint, die Antwort lautet: ja! Jedoch sind nicht alle Mitglieder unserer Familie dazu befähigt. Anders zu sein ist immer mit einem Aufwand verbunden, Anne. Du musst lernen, sehr stark zu sein und auch einmal zu schweigen den Mitmenschen gegenüber.“

,,Beim Umarmen eines Baumes, Opa, hörst du da jedes Mal Stimmen?“ Diese Frage brannte in mir. Was ich nur für ein Glück mit meinem Opa hatte. Er nahm sich immer die Zeit, meine Fragen zu beantworten, und gab mir Einblicke in seine Empfindungen, ohne diese zu verschönern.

,,Beim Umarmen eines Baumes höre ich nicht unwillkürlich auch Stimmen oder komme in den Kontakt mit Verstorbenen. Doch jedes Mal durchströmt mich Wärme in diesem Augenblick, mein Körper wird warm und ich spüre für den Moment keine Schmerzen. Im Gegenteil, ich bin im Anschluss gestärkt und fühle mich immer um Jahre verjüngt.“

Ich versuchte mir vorstellen, was Opa mir gesagt hatte. ,,Hoffentlich kann ich diese Momente auch einmal erleben und darf die gleichen Gefühle wie du spüren.“ Mein Opa ist einzigartig. Diese Gedanken waren sehr oft in meinem Kopf

und auch heute empfinde ich diese Worte für richtig, wenn ich an meinen Opa zurückdenke.