Herzflimmern in Kanada - Mathilda Grace - E-Book

Herzflimmern in Kanada E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Überarbeitete Neuauflage, Januar 2019 Die folgenden 4 Kurzromane erzählen weitere Geschichten aus dem Ostküsten-Universum, die sich um Nebencharaktere der Reihe drehen. Storyübersicht: 1. Herbstgeflüster 2. Kalt wie Eis 3. Orchideenzauber 4. Kanadisches Feuer

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Mathilda Grace

HERZFLIMMERN IN KANADA

Herzflimmern in Kanada

2. Auflage, Januar 2019

Impressum

© 2019 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2013/2014

Foto: Free-Fotos; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Web: www.mathilda-grace.de

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Drama & Romance

Liebe Leserin, Lieber Leser,

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

Mit dem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

Dankeschön.

Liebe Grüße

Mathilda Grace

Die folgenden 4 Kurzromane erzählen die Geschichten von den Ex-Navy Seals Bomer, Mac, Severin und Becker – die Jungs sind Nebencharaktere meiner Ostküsten-Reihe.

Herbstgeflüster

Der ehemalige Navy Seal Evan 'Bomer' Chambers, hat sich nach einem letzten Job für seinen Freund und Mentor Adrian Quinlan in die Einsamkeit Kanadas zurückgezogen. Er führt in den Wäldern bei Halifax ein beschauliches Leben und teilt sich das Haus mit Welpe Charly und Katzendame Emma. Mit dieser Ruhe ist es schlagartig vorbei, als Bomer eines Nachts von einem Unbekannten angegriffen wird, der gekommen ist, um ihn zu töten.

Kalt wie Eis

Alexander Waters ist ein Ärgernis, für das es in Macs Augen nur eine Lösung gibt – erschießen. Da ihm das aber ein wenig drastisch erscheint und er zudem keine Lust hat, wegen Mordes im Gefängnis zu landen, packt er kurzerhand ein paar Sachen und flüchtet nach Kanada. Sein alter Kumpel Bomer hat mit Sicherheit einen Platz zum Schlafen für ihn, denkt Mac, und nistet sich bei Bomer und dessen Freund Cedric auf der Couch ein. Am nächsten Tag steht überraschend Alexander vor der Tür und damit fängt das Chaos erst so richtig an.

Orchideenzauber

Als sein Kumpel Bomer anfragt, ob er Zeit hätte, etwas außerhalb von Halifax ein paar Holzhäuser für ein Urlaubsresort hochzuziehen, überlegt Severin Sikes nicht lange. Das Geld kommt ihm gelegen und Kanada im Frühling wollte er schon immer mal live erleben. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht der Besitzer der Anlage, mit dem Severin keinen einzigen Satz wechseln kann, ohne dass sie sich in die Haare bekommen.

Kanadisches Feuer

Nachdem er bei einem Rohrbruch seine Küche unter Wasser gesetzt hat beschließt Becker, dass Severins Jobangebot aus Kanada gar keine so schlechte Idee ist. Den Sommer über in der Ferienanlage von dessen Freund zu arbeiten, das klingt nach Entspannung pur. Becker liebt die raue Natur und der Rangerkollege seines Kumpels Bomer scheint einem Flirt und mehr nicht abgeneigt. Dumm nur, dass besagter Kollege bereits mit einem Feuerwehrmann verlobt ist, wovon Becker allerdings erst erfährt, als der sie in flagranti beim Sex erwischt.

Herbstgeflüster

Der ehemalige Navy Seal Evan 'Bomer' Chambers, hat sich nach einem letzten Job für seinen Freund und Mentor Adrian Quinlan in die Einsamkeit Kanadas zurückgezogen. Er führt in den Wäldern bei Halifax ein beschauliches Leben und teilt sich das Haus mit Welpe Charly und Katzendame Emma. Mit dieser Ruhe ist es schlagartig vorbei, als Bomer eines Nachts von einem Unbekannten angegriffen wird, der gekommen ist, um ihn zu töten.

Kapitel 1

Kanada hatte es Bomer wirklich angetan.

Seit er vor drei Jahren für Adrians Neffen dessen Freund hier oben gefunden hatte, war Bomer die Gegend um Halifax nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und am Ende war es ihm nicht schwergefallen, das Loft mit seinen Kameraden von der Armee hinter sich zu lassen und umzusiedeln.

Er vermisste die Jungs und Amber nicht. Wozu gab es schließlich Telefone? Wenn er mit ihnen reden wollte, tat er es. Wenn er sie sehen wollte, flog er zu ihnen. Bomer liebte die Ruhe hier draußen, die Dichte der umliegenden Wälder, den langen Winter, der Jahr für Jahr eine gefühlte Ewigkeit andauerte. Derzeit trugen die Bäume das bunteste Herbstlaub, das er je zuvor gesehen hatte, und das stetige Flüstern der Bäume im Wind wiegte ihn nachts in den Schlaf. Einen Schlaf, der endlich frei von Albträumen war.

Für nichts in der Welt würde er sein neues, zweites Leben aufgeben, das aus einem kleinen Haus mitten im Wald, einem tapsigen Hundewelpen, einer dickköpfigen Katze und der ihn umgebenden Natur bestand. Er hatte sich um einen Job bei den Park Rangern beworben und behielt jetzt die Umgebung der Hütte im Auge. Dafür gab es zwar nicht viel Geld, aber Bomer reichte es völlig aus, um die nötigen Kosten zu decken.

Den Notgroschen aus seiner Zeit bei den Seals würde er nur anrühren, wenn es notwendig wurde, wonach es derzeit nicht aussah. Er lebte jetzt ein zurückgezogenes, ruhiges Leben. Genau das, was er insgeheim wohl schon lange gesucht hatte, denn Bomer konnte sich nicht daran erinnern, in den vergangenen Jahren so mit sich selbst zufrieden gewesen zu sein, wie in den letzten Monaten, seit er das Haus bezogen hatte.

»Wuff.«

Bomer blickte über die Schulter und lachte, als er Charly entdeckte, der mit einem Ast im Maul auf ihn zukam. Er schaffte es nur mühsam die Pfoten, die für seinen Körper momentan eindeutig zu groß waren, zu sortieren, und landete zweimal fast auf der Nase, bis er ihn erreicht hatte.

Grinsend nahm er dem Welpen dessen Beute ab und warf den Ast so weit er konnte. Charly jagte samt einem begeisterten Kläffen an ihm vorbei. Dieser Hund war die beste Entscheidung der letzten Wochen gewesen, obwohl Bomer lange überlegt hatte, ob er den jüngsten Welpen der Hündin seines Chefs Max nehmen sollte oder nicht. Emma hingegen hatte sich bei seinem Einzug einfach selbst eingeladen, indem sie eines Morgens vor seiner Haustür gesessen und nicht mehr gegangen war. Und da niemand in der Umgebung eine Katze vermisste, lebte sie nun mit Charly bei ihm.

Bomer warf den Ast unzählige Male, während er den Waldweg entlang spazierte. Er schoss einige Fotos von Bäumen, die aussahen, als würden sie den nächsten Herbststurm nicht überleben, und ging bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause zurück, wo er Emma und Charly fütterte, bevor er sich selbst etwas zu essen machte.

Später, nachdem er die Küche aufgeräumt, geduscht und die Bilder an Max geschickt hatte, beschloss Bomer, den Abend gemütlich vor dem Fernseher ausklingen zu lassen. Morgen war Freitag. Sein wöchentlicher Einkauf stand auf dem Plan. Zudem hatte er frei und wollte das verlängerte Wochenende nutzen, um Vorräte für den nahenden Winter zu besorgen. Die Liste hatte er schon vor Tagen geschrieben und Bomer setzte noch Katzenfutter dazu, als ihm einfiel, dass er das beim letzten Mal vergessen hatte.

»Was brauchen wir außerdem?«, fragte er und Emma, die neben ihm auf der Couch lag, hob den Kopf, um ihm einen Blick zuzuwerfen, bevor sie gähnte, sich umdrehte und weiterschlief. Ein wortloses Statement. Bomer lachte und erhob sich, um es ihr nachzutun und ins Bett zu gehen. Nach einem prüfenden Blick auf Charly, der beim Fenster in seinem Korb lag und schlief, löschte er überall das Licht und ging nach oben.

Bomer erwachte übergangslos.

Ein Relikt aus seiner Zeit bei den Navy Seals, das ihm das Leben rettete. Ein Messer blitzte kurz im Spiegel auf, als Mondlicht auf die schmale Klinge traf. Bomer wehrte den präzise geführten Schlag mit der bloßen Hand ab. Kein Laut verließ seinen Mund, als sich die Schneide in sein Fleisch bohrte und an der hinteren Seite wieder austrat. Er machte eine Faust und zog seinem überraschten Gegner dadurch dessen Waffe aus den Fingern. Damit hatte der Eindringling eindeutig nicht gerechnet und wich zurück.

Ein Anfänger? Bomer glaubte nicht daran und blieb auf der Hut. Eine gute Entscheidung, denn offenbar war das Messer nicht die einzige Waffe, die der Mann, er war sich sicher es mit einem männlichen Angreifer zu tun zu haben, am Körper trug.

Bomer reagierte sehr schnell, eiskalt, aber ausnahmsweise nicht tödlich. Er wollte wissen, wer der Unbekannte war, und so setzte er die scharfe Klinge gegen ihn ein. Es wurde ein harter Kampf, doch Bomer erlangte aufgrund seiner Erfahrung und Statur rasch die Oberhand. Kein Mensch legte einen Seal von fast zwei Meter Körpergröße problemlos aufs Kreuz. Bomer verpasste dem Typen eine Stichwunde in der Schulter und schlug ihm danach die Beine weg, um ihn zu Fall zu bringen. Dass der Fremde dabei mit dem Kopf auf dem Nachttisch landen würde, hatte er zwar nicht eingeplant, aber der Kampf zwischen ihnen fand so ein abruptes Ende.

Eine halbe Stunde später hatte er den Unbekannten medizinisch versorgt, durchsucht und ans Heizungsrohr gefesselt. Mehr Klischee ging nicht, aber er wollte den Mann wegen dessen Beule am Hinterkopf und seiner Wunde an der Schulter lieber im Auge behalten. Und in seinem Schlafzimmer war die Heizung nun mal die beste Möglichkeit, jemanden zu fixieren.

Bomer hatte einen schnellen Rundgang durchs Haus gemacht, Emma und Charly betäubt im Wohnzimmer gefunden, und das ins Küchenfenster geschnittene Loch notdürftig abgedeckt. Ein blutiger Anfänger konnte der Mann nicht sein, so wie er hier eingestiegen war. Vielleicht unerfahren, aber er kannte sich definitiv aus, und hatte genug im Kopf, um keine Papiere in seinen Taschen mit sich herumzutragen. Draußen hatte Bomer bislang nicht nachgesehen, vermutete jedoch, dass irgendwo im Wald ein jetzt herrenloser Wagen stand. Darum würde er sich morgen kümmern. Zuerst wollte er wissen, wer der Fremde war, der gerade leise stöhnte und den Kopf von einer Seite auf die andere drehte.

Er wartete, ob sein Besucher aufwachte, und wandte sich seiner Hand zu, als das nicht passierte. Die lange Klinge war gänzlich durchgegangen, hatte aber keinen großen Schaden angerichtet. Bomer wusste, wie er seine Wunde behandeln musste, damit sie verheilte, und tat es, während er in Ruhe ausharrte, dass der Fremde zu sich kam.

Es dauerte einige Zeit, die er sich vertrieb, indem er das Durcheinander aufräumte, das ihre kleine Prügelei hinterlassen hatte, die blutigen Reste des Verbandszeugs entsorgte und noch einen Blick auf Charly und Emma warf, denen es soweit gut ging. Mit einer Flasche Wasser bewaffnet, setzte sich Bomer schließlich in dem Moment auf sein Bett, als sein Angreifer wach wurde.

Graue Augen blickten ihn zuerst irritiert an, aber er begriff rasch, was mit ihm passiert war. Sein Gegenüber zog an den Handschellen und schnappte nach Luft, weil das der verletzten Schulter natürlich gar nicht gefiel. Bomer ließ ihn schauen. Betrachtete den Unbekannten derweil interessiert, während der sich genau umsah und seinen Blick am Ende wieder auf ihn richtete.

»Wie geht’s deinem Kopf?«

»Brummt heftig.«

»Mehr nicht?«, hakte Bomer nach, weil mit einer Kopfverletzung nicht unbedingt zu spaßen war. Doch der Mann schien alle Sinne beisammen zu haben, so finster, wie er ihn daraufhin ansah.

»Was soll das werden?«, fragte er und hob eine Hand, bis die Kette klirrte, die zwischen beiden Handschellen befestigt war, und ihm genug Spielraum gab, dass er sich bewegen und auch strecken konnte.

Bomer zog ein Bein unter das andere. »Ist das für dich nicht offensichtlich?«

Nein, das war es anscheinend nicht. Zumindest hatte sein Angreifer nicht erwartet, aufzuwachen und gefesselt an einer Heizung zu hängen. Bomer kannte diese Art von Blick, eine Mischung zwischen völligem Unglauben und dem Versuch, sich ja nicht anmerken zu lassen, dass man überrascht war. Wer war dieser Mann und wer hatte ihn hergeschickt?

Außer Adrian und seinen Jungs in Baltimore wusste niemand von diesem Haus. Wie also hatte er ihn finden können? Warum war er mit einem Messer auf ihn losgegangen, statt ihn zu erschießen. Hier draußen im tiefsten Wald hätte kein Mensch den Schuss gehört und ihm damit genug Zeit gegeben, seine Leiche zu entsorgen. Bomer wurde aus seinem Gegenüber nicht schlau und das irritierte ihn.

Allerdings war er gut im Zusammensetzen von Einzelteilen und dieser Kerl war ein einziges, großes Puzzle. Eines von der Sorte, die er lösen wollte, wie bei seiner letzten Affäre. Allerdings war Jake Porter für ihn weit mehr gewesen, als nur Sex, doch Bomer hatte von Beginn an gewusst, dass sie nicht zusammenpassten.

»Normalerweise sollte ich jetzt in einer Zelle sitzen.«

»Normalerweise wärst du bereits tot«, konterte Bomer automatisch, ohne darüber nachzudenken, und für eine Sekunde glaubte er Unsicherheit in den grauen Augen zu erkennen, aber der Augenblick war zu schnell vorbei, als dass er sicher sein konnte.

»Warum bin ich es nicht?«

Eine sehr gute Frage, die Bomer nicht beantworten würde. Wenn hier jemand Antworten verdiente, dann er selbst, und die wollte er jetzt haben. Er bezweifelte jedoch, dass sein Angreifer sie ihm einfach kampflos überließ. Wer in ein Haus einbrach, um einen Menschen zu töten, hatte sich vorher mit Sicherheit einen Plan für den Fall seiner Gefangennahme zurechtgelegt. Es gab zwar Killer, die so etwas nicht taten, weil sie zu gut waren, doch dieser Mann gehörte nicht dazu. Das war für Bomer so sicher, wie das wöchentliche Amen in der Kirche.

»Wer bist du?«

Der Fremde grinste überheblich. »Fick dich!«

Bomer stützte sich auf seine unverletzte Hand zurück. »Komischer Name. Deine Eltern hatten scheinbar einen seltsamen Sinn für Humor.«

Er bekam keine Reaktion, das störte Bomer aber nicht sonderlich. Früher oder später würde er herausfinden, was er wissen wollte, denn entweder war der Mann allein nach Kanada gekommen, um ihn zu töten, oder aber es tauchte bald ein Freund auf, der nach ihm suchte. Bomer tippte instinktiv auf Ersteres.

»Du bist schätzungsweise Ende zwanzig, knapp 1,90m groß und gut trainiert. Für einen Killer hast du allerdings eine zu schlechte Ausbildung. Bleiben in meinen Augen nur zwei Möglichkeiten. Nummer eins, du bist Anfänger und im Auftrag hier. Oder Nummer zwei, die Sache ist persönlich.« Bomer ließ seinen Blick langsam über das lädierte Gesicht des Unbekannten wandern. »Wir kennen uns nicht, da bin ich mir sicher. An einen Kerl wie dich, würde ich mich erinnern. Wer hat dich geschickt?«

Schweigen. Gefolgt von einem abfälligen Blick. In den grauen Augen des Mannes loderte blanker Hass auf, was für Bomer Antwort genug war.

»Persönlich also«, sagte er leise und horchte auf, als es unten jämmerlich jaulte. »Damit haben wir im Übrigen etwas gemeinsam. Du hast meine Tiere verletzt und das nehme ich dir übel. Da ich aber im Allgemeinen nicht zuschlage, wenn jemand bereits am Boden liegt, hast du jetzt Zeit, darüber nachzudenken, ob du meine Fragen zu deiner Person nicht doch beantworten willst. Du wirst so lange hierbleiben, bis ich weiß, wer du bist und wer dich mir auf den Hals gehetzt hat.«

»Du kannst mich nicht einfach so festhalten.«

Bomer zuckte lässig mit den Schultern und stand auf. »Da du offenbar allein gekommen bist, vermisst dich fürs Erste niemand. Ich wohne am Arsch der Welt, Kleiner, und das heißt, keiner wird dich retten können, sofern ich morgen früh beschließe, dass ich genug von dir habe und dich töte. Du solltest daher lieber dafür sorgen, dass ich mich dafür entscheide, dich bei mir zu behalten, meinst du nicht?«

Nach den Worten ließ er den Unbekannten in seinem Schlafzimmer zurück, um sich um Charly und Emma zu kümmern. Wenn sie diese Nacht nicht gesund und munter überstanden, würde er bei seinem störrischen Fremden andere Saiten aufziehen. Bomer hatte die Navy Seals vor Jahren hinter sich gelassen, aber das dort Gelernte nicht vergessen. Und er war bereit es wieder einzusetzen.

Kapitel 2

Bomer verbrachte den Rest der Nacht auf der Couch im Wohnzimmer, um in der Nähe von Emma und Charly zu sein. Doch die beiden rappelten sich bald wieder auf, und als der Morgen graute, stieg er unter die Dusche und warf anschließend einen Blick in sein Schlafzimmer. Die letzten Stunden hatte er mit einem Ohr regelmäßig nach oben gelauscht, aber nichts gehört. Keine Flüche, kein Versuch sich zu befreien, nichts. Sehr sonderbar.

Genauso merkwürdig war auch der Anblick, der sich Bomer nun bot, denn der Fremde lag auf dem Boden und schlief. Bequem konnte das auf keinen Fall sein, also war er entweder völlig erschöpft oder schwerer verletzt als angenommen. Bomer trat lautlos näher, warf einen prüfenden Blick auf die Schulterverletzung. Er hatte den Pullover seines Gastes nur so weit zerschnitten, damit er an die Wunde herankam, die den Verband bislang nicht durchgeblutet hatte. Ein sehr gutes Zeichen. Die Nähte hielten. Er hockte sich hin und hielt eine Hand vor den Mund des Mannes. Der atmete ruhig und gleichmäßig. Und da ihm zuvor weder übel noch schwindlig gewesen war, konnte Bomer die vermutete Gehirnerschütterung jetzt wohl endgültig ausschließen.

Kopfschüttelnd nahm er sich frische Kleidung aus dem Schrank und ging wieder nach unten, um seine Tiere zu füttern und mit Charly danach eine schnelle Runde ums Haus zu machen. Dabei überlegte Bomer, wie er weiter verfahren sollte. Er musste in die Stadt, soviel stand fest. Allein schon zum Einkaufen und um die kaputte Scheibe zu ersetzen, durch die sein Gast letzte Nacht eingestiegen war. Nur was machte er solange mit ihm? Er hatte einen kleinen Schuppen hinterm Haus, für Werkzeug und Holz für seinen Kamin, aber der war zugig und damit gänzlich ungeeignet, einen Verletzten eine Weile einzusperren.

Bei seinem Glück bekam der unbekannte Angreifer eine Lungenentzündung oder Blutvergiftung und starb ihm weg, bevor er seine Antworten erhielt. Er würde ihn im Haus lassen müssen. Ein verdammt hohes Risiko. Die Chancen waren gut, dass der Mann einen Fluchtversuch wagte und sich genauer umsah, ehe er flüchtete. Er musste seine Waffen im Versteck einschließen. Das war gesichert und ein Safeknacker war sein Einbrecher wohl kaum. Es ging nicht anders, entschied Bomer, Risiko hin oder her. Es dürfte auffallen, falls er nicht bei Morty zum Einkaufen vorbeikam, also würde er genau das tun.

Bomer pfiff und Charly kam bellend zwischen einigen Büschen hervor. Sie liefen ins Haus zurück, wo er den Welpen im Wohnzimmer ließ, sich eine Waffe aus seiner Sammlung holte und nach oben ging. Sein Besucher war wach und sah ihn an. Er runzelte die Stirn, als sein Blick auf die 9mm Beretta fiel, sagte aber nichts. Bomer holte die Schlüssel für die Handschellen aus der Tasche und warf sie dem Mann zu.

»Aufmachen!«

Keine Reaktion.

»Willst du ins Bad oder nicht?«, fragte Bomer und das reichte aus, um die Meinung des Fremden zu ändern. Er entsicherte die Waffe, als der Typ aufstand und Schlüssel und Ketten auf sein Bett warf. »Die Tür geradezu«, sagte Bomer und deutete in den Flur.

Offensichtlich kannte sich sein verhinderter Angreifer mit Schusswaffen aus oder er war zumindest erfahren genug, um zu wissen, dass Bomer sie einsetzen würde, wenn er jetzt versuchte, eine Dummheit zu begehen. Schweigend trat er an ihm vorbei in den Flur und ging durch bis ins Badezimmer. Bomer folgte ihm, schob die Tür von innen zu und lehnte sich dagegen.

»Das ist ein Witz, oder?«

Die ungläubige Frage entlockte Bomer ein spöttisches Grinsen, ehe er seine Arme vor der Brust verschränkte, die Waffe dabei fest mit seiner Hand umschloss. »Du bist bei mir eingebrochen, um mich zu ermorden. Du kannst von Glück reden, dass ich dich überhaupt ins Bad lasse. Du hast zwei Minuten fürs Pinkeln, weitere drei, um dich zu waschen. Deine Zeit läuft.«

Die ersten dreißig Sekunden vergingen damit, dass er in einer Mischung aus Verlegenheit und Ärger angestarrt wurde, aber als Bomer demonstrativ auf die Uhr sah, begriff der Kerl, dass er es ernst meinte. Mit einem Fluch ging er ans Werk und war vier Minuten später fertig. Im ersten Moment wollte Bomer ihn darauf hinweisen, dass er etwas trinken sollte, ließ es dann aber bleiben. Durst machte ihn vielleicht gesprächig.

Er brachte den Einbrecher zurück ins Schlafzimmer und deutete auf die Handschellen. Die grauen Augen verdunkelten sich vor Zorn, worauf Bomer reagierte, indem er seine Waffe auf den Eindringling richtete. Mehr war nicht nötig, um ihn dazu zu bringen, sich selbst an die Heizung zu fesseln. Er hatte offenbar kein Interesse, angeschossen zu werden. Bomer machte, nachdem er überprüft hatte, ob seine Handschellen wirklich fest saßen, wortlos kehrt und sperrte den Typen im Schlafzimmer ein, um Einkaufen zu fahren. Mal sehen, ob er noch hier war, wenn er zurückkam.

»Gar nicht schlecht«, kommentierte Bomer das blutig geschürfte Handgelenk und den ausgerenkten Daumen drei Stunden später.

Ein aufgebrachter Blick war die einzige Antwort, die er bekam und Bomer verkniff sich ein Grinsen, während er sein Gegenüber in Augenschein nahm. Die Wunde in dessen Schulter war von dem Versuch, sich zu befreien, wieder aufgegangen und blutete sichtbar durch den Verband. Dazu der Schweiß auf der gebräunten Haut des Fremden und sein abgehackter Atem. Er musste ziemlich heftig und vor allem lange gekämpft haben, um von hier wegzukommen. Es war in Bomers Augen fast ein kleines Wunder, dass er nicht das Heizungsrohr aus der Wand gerissen hatte.

»Ein Rat fürs nächste Mal«, begann er leise und packte das Kinn des Mannes, damit der ihn ansah. »Die Handschellen wurden speziell angefertigt. Wenn du aus ihnen rauskommen willst, braucht es weit mehr, als dass du dir deinen Daumen ausrenkst und das Blut von den aufgeschürften Handgelenken als Schmiermittel benutzt. Und jetzt werde ich mir deine Wunden ansehen. Schlaf' gut, Kleiner.«

Die grauen Augen weiteten sich begreifend. »Wag' es ja nicht, mir ...«

Ein gezielter Schlag gegen die Schläfe des Kerls setzte dem Protest ein jähes Ende. Bomer zog den Schlüssel für die Handschellen aus der Tasche, verfrachtete seinen Gefangenen ins Bett, nachdem er ihn befreit hatte, und holte alles, was er brauchte, um dessen Stichwunde, den Daumen und die Handgelenke zu versorgen.

Dabei warf er einen Blick auf die Stelle an der Heizung und entschied, es seinem starrköpfigen Gast für die kommenden Tage ein wenig bequemer zu machen. Er holte seine Campingunterlage aus dem Schuppen, bezog ein Ersatzbettzeug und breitete auf dem Fußboden eine Decke aus, auf die er dann alles legte. Mit dem Ergebnis zufrieden, kettete er seinen bewusstlosen Besucher wieder an die Heizung, bevor er sich anzog und erneut das Haus verließ, um den Wagen des Mannes zu suchen. Vielleicht hatte er Kleider zum Wechseln dabei und möglicherweise fand er einen Führerschein oder irgendwas anderes, um seinen namenlosen Einbrecher zu identifizieren.

Was den fahrbaren Untersatz betraf, hatte Bomer Glück, denn den entdeckte er keine drei Meilen vom Haus entfernt im Wald. Bedeckt mit extra abgeschnittenen Ästen und jeder Menge Laub, hatte der Fremde sich viel Mühe gegeben, das Auto, einen schwarzen Pick-up, zu verstecken. Er knackte das Schloss und durchsuchte das Innere. Keine Papiere, keine Kleidung zum Wechseln, nichts, das ihm einen Hinweis gab, mit wem er es zu tun hatte. Dafür war der Tank fast leer, also musste der Mann lange unterwegs gewesen sein. Er fand kein Navigationssystem, was ihn irritierte.

Diese ganze Sache war ein einziges Mysterium und er wollte endlich wissen, was hier los war. Bomer schlug die Tür zu und versteckte den Wagen wieder, bevor er begann, die Umgebung zu durchsuchen. Es musste etwas zu finden sein, selbst wenn es nur die Reste einer Packung von McDonalds oder ein Sandwichpapier waren. Niemand fuhr hunderte Meilen zielgerichtet durch die Gegend, mit nur einem Messer in der Tasche, um einen Menschen zu töten.

Noch so ein Detail, das Bomer Kopfschmerzen bereitete, denn entgegen seiner ersten Annahme hatte der Mann keine anderen Waffen dabei gehabt. Nichts. Nicht mal die Schlüssel zu seinem Pick-up. Wenn das nicht zum Himmel stank, was denn dann? Das Verhalten war komplett widersprüchlich, fand er. Ein Killer konnte der schweigsame Unbekannte nicht sein, dafür stellte er sich zu ungeschickt an. Aber er schien in irgendeiner Art und Weise in der Richtung tätig zu sein. Vielleicht ein Geldeintreiber, der sich als Hobbymörder betätigte? Nur für wen und aus welchem Grund?

Bomer hatte keine Schulden und ein Geldeintreiber ging allgemein nicht mit dem Messer auf sein Opfer los, sondern benutzte die Fäuste. Ein Hobbyattentäter kam auch nicht infrage, denn der suchte sich kaum jemanden zum Umbringen aus, der größer und schwerer war als er selbst. Jedenfalls nicht, wenn er unerfahren war.

Bomer hielt inne, als ihm eine Unebenheit auffiel, die auf den ersten Blick der Natur angepasst war und nicht aufgefallen wäre, hätte er nicht danach gesucht. Er trat näher heran, nahm die Stelle genau in Augenschein, um zu sehen, ob sie durch eine Falle geschützt war. Aber er fand nichts in der Richtung. Keine Drähte, die auf einen Sprengsatz hindeuteten, keine eingegrabene Mine. Er fegte das Laub behutsam zur Seite. Ja, hier war vor kurzer Zeit ein Loch ausgehoben worden. Da er keine Schaufel hatte, nutzte Bomer die Hände. Mit den Ohren in die Umgebung lauschend und seine Augen auf die Erde gerichtet, nur für den Fall, dass doch noch eine Falle zum Vorschein kam, hob er das Loch aus.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, da er vorsichtig blieb, bis er auf eine Schnur stieß, die zu einem Beutel gehörte, den er ausgrub und sicherstellte, dass der nicht durch eine Mine geschützt war, bevor er ihn in die Hand nahm und öffnete.

»Bingo«, flüsterte Bomer zufrieden, als er einen Blick auf die Karten von Halifax und der näheren Umgebung, Schokoriegel und leere Verpackungen derselben Sorte Schokolade, eine halb volle Flasche Wasser und die Wagenschlüssel geworfen hatte.

Ein Dummkopf war der Kerl nicht. Bomer durchsuchte den Inhalt des Beutels nach einem Führerschein, wurde aber nicht fündig. Der Mann wollte seine Identität nicht preisgeben. Bomer suchte weiter und entdeckte schließlich, in einem zweiten Loch, ein paar Meter entfernt, einen weiteren Beutel, in dem die Überreste eines zerstörten Navigationssystems lagen. Er runzelte die Stirn. Was sollte das denn? Ihm stieg ein sehr bekannter Geruch in die Nase und Bomer drehte den Beutel von innen nach außen.

»Verdammt, was soll das?«, fragte er entgeistert und sah den verkohlten Stücken Papier zu, wie sie vor seinen Beinen auf den Boden segelten. Er nahm einen größeren Schnipsel in die Hand. Ein Flugticket. Zumindest war es das gewesen. Bomers Irritation wuchs.

Wieso verbrannte man ein Ticket, behielt aber alle Karten? Und wieso zerstörte jemand ein Navigationsgerät, versteckte aber gleichzeitig das dazugehörige Auto? Das Flugticket konnte er noch damit erklären, dass der Typ möglicherweise nur einen Hinflug gebucht hatte und nun keine Spuren hinterlassen wollte. Doch es erklärte weder den Wagen, zu dem es scheinbar keine Papiere gab, was nahelegte, dass er gestohlen war, noch die Karten über Halifax und die umliegenden Wälder.

Bomer beschlich ein ungutes Gefühl, während er seinen Blick über die entdeckten Dinge schweifen ließ. Falls er sich nicht völlig irrte, und das tat er selten, sah das in seinen Augen nach einem Abschluss aus. Einem endgültigen und entschlossenen. Dieser Mann war nach Kanada gekommen, um ihn eiskalt zu töten und er hatte scheinbar nicht vor, danach an den Ort zurückzukehren, von dem er stammte.

War dieser Fremde in seinem Schlafzimmer etwa auf einem Selbstmordtrip? Bomer schüttelte den Gedanken sofort wieder ab. Nur weil er damals so am Ende gewesen war, dass er sich eine Brücke gesucht hatte, um Schluss zu machen, hieß das noch lange nicht, dass dieser Aushilfsmörder an seiner Heizung es ebenso hielt. Vielleicht war dieser Job einfach sein letzter und er wollte danach ein neues Leben beginnen. Nicht jeder warf gleich alles hin, wie er es vor vielen Jahren vorgehabt hatte.

Kapitel 3

Die Bierflasche zerschellte auf den Gleisen, er bekam es gar nicht mehr richtig mit. Dafür hatte er schon zu viele von ihnen intus. Erst Wodka, dann Bier. Zwei Sechserpacks, das eben war die letzte Flasche gewesen.

Irgendwann war ihm von dem hochprozentigen Zeug schlecht geworden und er hatte die noch zu einem Viertel volle Flasche von sich geschleudert. Er vertrug einfach keinen Alkohol mehr. Jedenfalls nicht auf leeren Magen. Wann hatte er eigentlich zuletzt was gegessen? Bomer dachte darüber nach, aber sein dröhnender Kopf war, wie der näher kommende Zug, zu ablenkend.

Sollte er diesen nehmen? Es machte ohnehin keinen Unterschied. Der Schnaps war alle, das Bier auch, und er hatte kein Geld mehr in der Tasche. Irgendwo gab es noch seine harten Reserven von den Seals, aber Bomer erinnerte sich nicht mehr daran, wo er sie lagerte. Das bedeutete, für das Loch, in dem er zuletzt gehaust hatte, konnte er die Miete nicht mehr zahlen. Nicht, dass diese Kakerlaken verseuchte Bude ohne ein funktionierendes Türschloss auch nur einen Dollar wert gewesen wäre. Doch sie hatte eine Heizung und ohne die wäre er schon längst jämmerlich erfroren. Was er heute Nacht wohl tun würde, wenn er seinen Arsch nicht hochbekam und sprang.

Was war ein besserer Tod? Erfrieren oder von einem Zug zermalmt werden? Letzteres ging schnell, aber wer erfror, schlief einfach ein. Keine Schmerzen, kein letzter Gedanke an die Qualen, aus denen sein Leben bestand. Keine mögliche Rettung, falls er den Sprung überlebte und entschied, doch lieber von den Gleisen zu kriechen, um es als Krüppel ein zweites Mal zu versuchen. Bomer wusste von einem ehemaligen Kameraden, der das getan hatte und heute ohne Beine im Rollstuhl vor sich dahinvegetierte. Eingesperrt in einer Anstalt, weil er auf der Intensivstation versucht hatte sich umzubringen. So wollte Bomer nicht enden.

Dann lieber der Zug, entschied er und stand auf, was nicht so einfach war, weil sich um ihn herum alles drehte und die Kälte sämtliche seiner Glieder hatte taub werden lassen. Er würde es schon richtig machen und dabei sterben. Ganz sicher. Das Metall der Brücke stach wie Nadeln in seine steifen Finger. Sie war hoch genug, um beim Aufprall wenigstens ein paar seiner Knochen zu brechen, den Rest würde der Güterzug erledigen. Er musste nur noch loslassen.

»Ganz schön endgültig.«

Bomer zuckte zusammen und sah über die Schulter. Wenige Meter entfernt stand ein BMW mit offener Tür und sein Besitzer lehnte mit verschränkten Armen auf dem Dach der Fahrerseite.

»Kann man sich in dieser verfickten Stadt nicht mal in Ruhe umbringen?«, fluchte Bomer und blickte zurück auf die Gleise. Der Zug war fast da.

»Nimm den nächsten.«

»Was?«, fragte er überrascht und riss sich vom Anblick der riesigen Lok los, um erneut einen Blick nach hinten zu werfen. »Wieso?«

»Ich würde vorher gerne den Grund wissen.«

»Hä?«

»Wenn du springst, muss ich das den Cops melden. Die werden wissen wollen, wieso. Vielleicht will deine Familie auch erfahren, warum du es getan hast, wenn sie später deine Einzelteile beerdigen.«

Was war das denn für ein Spinner? »Ich habe keine Familie.«

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. »Dann die Cops. Bitte erspar es mir, die restliche Nacht auf einem muffigen, nach uraltem Kaffee riechenden Revier zu hocken und Berichte zu unterschreiben.«

Bomer blinzelte und hätte sich gerne gegen die Stirn getippt, um diesem Kerl zu zeigen, für wie bescheuert er ihn hielt. Der konnte nicht ganz dicht sein. Wer sprach denn freiwillig und in tiefster Nacht einen Selbstmörder an, der auf einer Brücke stand? Also mal abgesehen von Cops oder Psychologen? Bomer betrachtete den Mann genauer. Nein, ein Bulle war er sicher nicht und wie ein Psychofutzi sah er auch nicht aus. Eher wie ein Banker.

»Hau ab!«, murrte er schließlich, was nicht wirklich Eindruck hinterließ, denn er wurde dafür angegrinst.

»Geht nicht, ich bin Anwalt.«

»Auch das noch«, stöhnte Bomer und sah frustriert wieder nach unten. Der Zug donnerte gerade unter ihm entlang und ließ das Metall der Brücke leicht vibrieren. »Besten Dank, du Arsch. Jetzt muss ich deinetwegen auf den nächsten warten.«

Leises Lachen ertönte in seinem Rücken, dann warf der Anwalt die Autotür zu und kam langsam auf ihn zu. Er war dabei so vorsichtig und behutsam, dass Bomer instinktiv spürte; der Kerl wusste, wie ernst es ihm war.

»Erzählst du mir, warum du springen willst?«

»Weil mein Leben im Arsch ist.«

»Das ist es immer, wenn sich jemand auf eine Brücke stellt«, konterte der Anwalt und lehnte sich neben ihn an das Geländer. »Erzähl´s mir.«

Bomer schnaubte. »Wieso sollte ich?«

»Wieso nicht?«

»Sag mal, hast du nichts zu tun?« Er warf der menschlichen Nervensäge einen abschätzigen Blick zu. »Ein Anwalt, der spätnachts in seinem teuren Anzug einen Selbstmörder anspricht, der muss echt Probleme haben. Pass lieber auf, dass ich es mir nicht auf einmal anders überlege und dir eine reinziehe, um mir deinen Mantel zu klauen.«

»Du bist ganz schön angriffslustig für jemanden, der sich umbringen will.«

»Na und?«

»Ich heiße Adrian.«

»Scheiß drauf.«

Sein Gegenüber grinste und drehte sich nach vorne, sodass er auf die im Licht der Laternen schimmernden Gleise hinunterschauen konnte. »Ich komme gerade aus dem Büro. Normalerweise fahre ich nicht diesen Weg nach Hause, aber sie bauen auf meiner üblichen Strecke wieder. Trey, mein Mann, wird schon schlafen. Wir haben gestern gestritten.«

Wenn dieser Arsch ihm jetzt seine Lebensgeschichte erzählte, würde er ihm tatsächlich eine verpassen. »Kein Wunder, wenn du so lange arbeitest«, ätzte Bomer und bekam dafür ein Seufzen als Antwort.

»Ich weiß. Nur noch ein paar Tage, dann ist der Fall erledigt. Ich schätze, ich werde wohl bei ihm zu Kreuze kriechen müssen.«

»Hm«, machte Bomer nichtssagend und setzte sich umständlich wieder hin, weil er sich doch langsam blöd vorkam, hier zu stehen und auf den Zug zu warten. Erst da kam in seinem vom Alkohol vernebelten Verstand an, was er eben gehört hatte. »Äh … Du bist mit einem Kerl verheiratet?«

»Ja. Stört dich das?«

»Nee.« Bomer hickste. »Sorry«, nuschelte er und rieb sich den Nacken. »Du bist reich, oder?«

Er wusste gar nicht, wie er auf die Frage kam. Ob es am Anzug lag? Oder wollte er einfach nur das Gespräch nicht abreißen lassen? Noch war der nächste Zug nicht in Sicht und alleine hier sitzen, brachte nur wieder düstere Gedanken mit sich. Da konnte er sich genauso gut mit diesem Anwalt unterhalten.

»Ja, und ich schätze, du nicht«, konterte Adrian und lächelte ihn an. »Aber ich bezweifle, dass du deswegen hier oben sitzt.«

Bomer antwortete nicht, sondern wandte den Blick ab. Was sollte er darauf schon sagen? Was ging es den Typen an? Nichts. Andererseits, was änderte es, ob er ihm davon erzählte?

»Ich wette, dein Leben war immer toll«, sagte er und kümmerte sich nicht darum, wie abfällig seine Stimme klang. »So richtig ekelhaft perfekt mit Kindermädchen, Chauffeur und jeder Menge Kohle. Hatte ich auch mal. Also Geld. Sogar viel. Kriegt man, sofern man dämlich genug ist, ins Ausland zu gehen. Nur verraten sie einem in der Ausbildung nicht, wo man endet, wenn man nicht auf sich aufpasst. Ich fand nie etwas dabei, jemanden umzubringen. Tut man eben für sein Land. Aber den … Ich habe es genossen, den Arschficker Stück für Stück auseinanderzunehmen. Ihn fertigzumachen, bis er nach Mama gebettelt hat. Dann hab ich ihn abgestochen.«

»Marine oder Seal?«, fragte Adrian und riss ihn damit aus seinen Erinnerungen. Gerade rechtzeitig, da sein Magen angefangen hatte, sich von innen nach außen zu stülpen. So fühlte es sich jedenfalls an.

Bomer schluckte einige Male und wischte sich dabei mit der Hand über den Mund. Er hatte plötzlich Durst. Wahnsinnigen Durst. Er nahm ein wenig Schnee in die Hand und formte eine Kugel, an der er dann leckte. Das war zwar nicht gerade Wasser aus der Flasche, aber es beruhigte seine ausgedörrte Kehle.

»Seal. Ich war ein Seal«, antwortete er schließlich auf Adrians Frage.

»Gefangenschaft?«

»Hm«, machte Bomer zustimmend.

»Du warst nicht allein, oder? Du hast jemandem das Leben gerettet.«

Bomer fragte nicht, woher der Anwalt es wusste. Er nickte nur, mehr war nicht drin. Mehr würde niemand aus ihm herauskriegen, nicht ohne Gewalt. So besoffen konnte er nicht werden, um zuzugeben, dass er für Mac seinen Arsch hingehalten hatte, damit sie ihn nicht umbrachten. Und dass er die erstbeste Gelegenheit zur Flucht genutzt und ein Blutbad angerichtet hatte, bevor Chase und der Rest der Truppe sie raushauen konnten. Für Macs Auge war es zu spät gewesen, aber sie hatten überlebt.

»Ich konnte ihn nicht retten ... Den ersten Mann, der mir etwas bedeutete. Er ist in den Tod gesprungen.«

Bomer seufzte leise. »Ach so, ich bin deine gute Tat für heute Nacht, oder was?«

»Nein«, widersprach Adrian sehr leise. »Ich bin deine zweite Chance, wenn du sie willst.«

Kapitel 4

»Zweite Chance«, murmelte Bomer und sah die Beutel in seinen Händen nachdenklich an.

Er hatte Adrians Angebot damals angenommen, obwohl er beim Herunterklettern von der Brücke beinahe abgestürzt war. Doch der Anwalt hatte sofort zugegriffen und ihn festgehalten. Seinen betrunkenen, schweren Körper rabiat über die Brüstung gezerrt, bis sie heftig keuchend auf dem kalten Boden lagen.

In dieser Nacht begann sein Leben mit zwei Männern von vorn, die sich den Arsch aufgerissen hatten, um ihm dabei zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Jetzt stellte sich nur noch die Frage, ob dieser Fremde in seinem Schlafzimmer ebenfalls eine neue Chance oder eine Tracht Prügel brauchte. Doch das würde er nicht herausfinden, indem er weiter hier herumsaß und grübelte. Daher vergrub Bomer beide Beutel, mit ihrem Inhalt, wieder genau dort, wo er sie gefunden hatte, und machte sich auf den Weg nach Hause.

»Ich habe Durst.«

»Ist mir scheißegal«, erwiderte er auf die mürrische Begrüßung aus dem Mund des Unbekannten, und nahm sich frische Shorts, um duschen zu gehen.

Vielleicht würde er später nett sein und Wasser rausrücken, aber das kam ganz darauf an, wie sein Gast sich benahm. Hunger dürfte er mittlerweile auch haben, aber was das betraf, wollte Bomer ihn noch mindestens diese Nacht schmoren lassen. Er hielt grinsend den Kopf unter den warmen Wasserstrahl, als ihm einfiel, dass er noch ein Steak im Gefrierschrank hatte. Und das würde er sich zum Abendessen machen, welches er gemütlich im Bett zu essen gedachte, direkt vor der Nase seines hungrigen Einbrechers.

Nach der Dusche fiel Bomer auf, dass er seine Hose im Schlafzimmer liegen gelassen hatte. Er hing das Handtuch auf, schlüpfte in seine Unterwäsche und ging nach nebenan. Aus den Augenwinkeln merkte er, dass er angestarrt wurde, und zwar mit offenem Mund.

»Was ist?«, fragte Bomer irritiert.

»Geiles Tattoo«, bekam er murmelnd zur Antwort und grinste belustigt, als sein Gegenüber nach seinen Worten rot anlief.

»Findest du?« Bomer drehte sich Richtung Spiegel, wohl wissend, dass er dem Mann damit einen perfekten Ausblick gewährte. »Hat eine Ewigkeit gedauert, bis das Ding fertig war.«

»Hm«, machte sein geheimnisvoller Fremder und klang auf einmal verlegen.

Bomer lachte in sich hinein und verschwand aus dem Schlafzimmer, um Emma und Charly zu füttern und sich nebenbei um sein eigenes Essen zu kümmern.

Mister Namenlos gefiel also sein Tattoo. Wenn das nicht hochinteressant war. Bomer kramte eine Pfanne aus dem Schrank und stellte sie auf den Herd. Es war nicht das erste Mal, dass er wegen des Drachens auf seinem Rücken bewundert wurde, allerdings hatte er nie erwartet, dass sein verhinderter Meuchelmörder auch zu der Sorte Mann gehörte, die auf Tattoos abfuhren. Schon gar nicht auf solche großen. Sein farbiger Drache begann auf der rechten Seite in Hüfthöhe und zog sich über den ganzen Rücken. Das Stechen hatte Monate gedauert und die Schmerzen an einigen Stellen waren damals nicht zu verachten gewesen. Doch das Ergebnis war es wert.

Es dauerte nicht lange und der Geruch des Fleisches zog durch sein Haus. Emma und Charly bettelten, bis er ihnen ein paar Stücke Fleisch überließ, bevor er mit dem Tablett, auf dem der Teller mit dem Steak, Pommes und Bohnen stand, nach oben ging. Dazu gab es ein Bier und als Nachtisch frischen Joghurt, den er aus der Packung in eine Kompottschüssel gefüllt und mit Ananasstücken aus der Dose garniert hatte. Das war ein Aufwand, den er normalerweise niemals betrieben hätte, aber für seinen durstigen, hungrigen Gast würde es hoffentlich reichen, um ihn zu quälen und möglicherweise, im Austausch für Wasser und Essen, einige Antworten zu entlocken.

»Das wird nicht funktionieren«, erklärte der Kerl, als Bomer es sich auf seinem Bett bequem gemacht hatte.

»Früher oder später wird es das tun«, konterte er und nahm sich ein paar Pommes. »Mhm, lecker.«

»Arschloch«, grollte es von der Heizung her, aber ihm entging das minimale Grinsen nicht, das ihn, auch wenn es seinen Plan torpedierte, amüsierte.

Bomer konnte sich nicht erklären warum. Eigentlich sollte er sauer sein. Mehr als das sogar. Immerhin hatte er dank dieses Typen auf dem Fußboden ein Loch in der Hand. Die Wunde störte ihn zwar nicht sonderlich, aber sie war da. Für einen Seal eine Schmach. Selbst wenn er seit Jahren außer Dienst war. Das änderte nur nichts an der Tatsache, dass er seinem Gefangenen im Augenblick nicht böse war.

»Versuch es mit Verdursten. Das geht schneller.«

»Tot nützt du mir nichts.«

»Stimmt, du willst Antworten. Hatte ich vor lauter Hunger schon vergessen.«

Bomer grinste und spießte ein Stück Steak auf seine Gabel. »Willst du?«

»Dir die Gabel ins Herz stechen? Oh ja.«

»Immer diese leeren Versprechen.« Bomer aß das Fleisch mit Genuss und verkniff sich ein Lachen, als der Magen seines Gegenübers hörbar knurrte, woraufhin der den Blick abwandte. »Ich habe den Pick-up gefunden«, erklärte er übergangslos. »Und die Beutel, die du vergraben hast.« Bomer war sich der Aufmerksamkeit des Mannes bewusst, obwohl der weiter die Wand neben dem Spiegel anstarrte. »Keine Sprengfallen, keine Minen. Ich war ein bisschen enttäuscht.«

»Beim nächsten Mal werde ich daran denken«, murrte sein störrischer Gast und funkelte ihn wütend an. »Wenn du nicht vorhast, mich einfach kaltzumachen, stell dich besser darauf ein, dass ich sehr lange hierbleibe. Von mir erfährst du kein Wort.«

Bomer nickte, denn er hatte nichts anderes erwartet. »Durchhalten bis zum letzten Atemzug, das hat man dir nicht beigebracht, auch wenn du gerade so tust, als ob es so wäre. Was das angeht, bin ich dir weit voraus.«

»Du bist kein Parkranger.«

»Oh doch, das bin ich«, widersprach Bomer und stand auf. Er nahm sich das Bier vom Tablett und stellte das restliche Essen auf den Fußboden, in Reichweite seines Angreifers, der ihn daraufhin irritiert anstarrte. Er ging vor ihn in der Hocke. »Du hast recht, Durst funktioniert schneller, und da du vorhast fürs Erste bei mir zu leben, solltest du die Gelegenheit nutzen, denn das«, er deutete auf das Steak und den Joghurt, »wird die letzte Nahrung sein, die du in nächster Zeit von mir bekommst.«

»Wer bist du?«

»Willkommen im Club. Denn das frage ich mich auch schon die ganze Zeit, was dich angeht.«

»Foltern in Form von Wasser- und Nahrungsentzug?« Der Unbekannte grinste in einer Art und Weise, als hätte er nichts anderes erwartet. »Das passt zu dir. Obwohl ich ja zuerst dachte, du hantierst lieber mit Messern, Strom oder sonstigen netten Werkzeugen.«

»Das kann ich dir bieten, sofern du darauf bestehst.«

Ein hämischer Blick traf ihn. »Denkst du wirklich, du bist Manns genug dafür?«

Bomer ließ sich sein Erstaunen nicht anmerken, aber die Richtung, die ihr Gespräch nahm, bescherte ihm ein flaues Gefühl in der Magengegend. »Wie viele Menschen hast du schon getötet?«, fragte er kalt.

»Keinen. Du wirst der erste und einzige sein!«

Bomer erhob sich und hielt den Augenkontakt mit dem Mann, der ihn mit einem Blick ansah, als gäbe es nichts, was er mit ihm tun könnte, das er selbst nicht bereits erlebt hätte. »Achtunddreißig.« Er brauchte diese Zahl nicht erklären, sein Gegenüber begriff auch so, was gemeint war, so schockiert, wie er ihn daraufhin ansah. »Beantwortet das die Frage, ob ich Manns genug dafür bin?«, fragte er trocken und deutete auf das Messer vom Besteck, das neben dem Teller lag. »Wenn du klug bist, erledigst du das Problem für mich. Sich die Pulsadern aufzuschneiden, um damit Schlimmerem zu entgehen, halte ich für durchaus legitim.«

Der Unbekannte wurde so blass, wie eine frisch gekalkte Mauer, und das war der letzte Beweis, den Bomer noch gebraucht hatte, um sicher zu sein. Dieser Mann hatte vom Töten nicht die geringste Ahnung. Trotzdem ließ er sich nicht in eine Ecke drängen. Das Ganze lief nicht im Geringsten so ab, wie Bomer es gewohnt war. Normalerweise reichten seine Statur und das Andeuten von Dingen, die er zu tun gedachte, vollkommen aus, um Gegner zu Fall und zum Reden zu bringen. Aber der hier würde nicht so einfach zu knacken sein.

Bomer gestand sich ein, dass er davon beeindruckt war, aber gleichzeitig ärgerte ihn die Hartnäckigkeit des Mannes. Er musste unbedingt ein wenig runterkommen, bevor er einen Fehler machte. Charly bellte und gab ihm den perfekten Grund, sich für eine Weile aus dem Staub zu machen. Er zwinkerte seinem Gast zu.

»Du hast Glück. Mein Hund hat Sehnsucht nach mir. Wir reden später weiter. Guten Hunger.«

Zwei Bier später hatte er sich ausreichend beruhigt, dass er gefahrlos sein Handy nehmen und eine Nachricht verfassen konnte. Er löschte sie dreimal, weil er nicht die richtigen Worte fand, und fluchte schlussendlich, um das nächstbeste abzuschicken, was seine Finger hergaben. Es würde keine fünf Minuten dauern, bis eine Antwort kam, so gut kannte er seinen Mentor. Vor allem, da er außer: 'Ich habe Probleme.' nichts geschrieben hatte. Auf Adrian Quinlan war in solchen Fällen Verlass.

Bomer schlug den Kragen seiner Jacke hoch und warf einen Ast für Charly, der ihm schwanzwedelnd und laut bellend nachjagte. Er beobachtete den Welpen amüsiert, weil der kleine Racker immer wieder stolperte. Bis er ein ausgewachsener, eleganter Labrador war, würden noch Monate ins Land gehen.

Der Wind frischte auf und Bomer verwünschte sich, weil er vergessen hatte, sich eine Mütze und Handschuhe mitzunehmen. Es war spät und dunkel, die Temperatur lag im Keller und würde in der Nacht vielleicht schon die Nulllinie überschreiten. Neben dem baldigen Schnee war Bodenfrost angesagt. Das nächste Mal würde er auf einen Spaziergang verzichten und beim Kamin bleiben. Den er heute nicht mal angezündet hatte, fiel ihm ein.

Bomer runzelte angesäuert die Stirn. Sein Gast wurde langsam zu einem ernsten Störfaktor. Er brachte seinen normalen Tagesablauf durcheinander, und das gefiel ihm nicht. Sein Handy piepte und lenkte ihn ab.

Ruf an, Dickschädel!

Kurz und knapp, so typisch Adrian. Bomer schmunzelte, warf erneut den Ast, welchen Charly ihm zurückgebracht hatte, und tippte eine Antwort. Sein Handy klingelte keine Minute später.

»Lass den Blödsinn! Du weißt ganz genau, dass ich immer Zeit für dich habe.«

»Du hättest beschäftigt sein können.«

»Wenn ein Mann wie du freiwillig Kontakt aufnimmt und zugibt, dass er Probleme hat, nehme ich mir Zeit für ihn. Egal, was ich gerade tue. Also? Was ist los?«

Bomer gab den Vorfall von letzter Nacht in knappen, ungeschönten Sätzen wieder. Adrian hörte stumm zu, bis er an der Stelle mit seinem Schlafzimmer ankam.

»Moment. Du hast mir eben nicht gesagt, dass du den Kerl bei dir gefangen hältst, oder?«

Es war besser, dass Adrian sein folgendes, genervtes Augenverdrehen nicht sehen konnte. Der Anwalt hätte ihm dafür sofort die Leviten gelesen. Gut, das würde er sowieso tun, also konnte er es genauso gut hinter sich bringen, dachte Bomer.

»Doch, habe ich. Er sitzt seit gestern Nacht angekettet an meiner Heizung im Schlafzimmer.«

»Evan!«

»Was? Hätte ich ihn etwa laufen lassen sollen?«, fragte Bomer giftig und hielt das Handy vom Ohr weg, als Adrian daraufhin laut auf Japanisch fluchte.

»Das ist illegal!«, zischte er anschließend. »Noch dazu, wo er verletzt ist. Ich sage ja nicht, dass ich es an deiner Stelle nicht genauso gemacht hätte. Aber wenn der Junge stirbt, aus welchen Gründen auch immer, bist du dran.«

»Nicht, wenn es keine Leiche gibt.«

Das saß. Adrian schwieg eine Weile. »Also schnön. Reden wir Klartext. Hast du seine Verletzungen versorgt?«

»Ja.«

»Geht es ihm sonst gut?«

»Noch ja.«

»Das heißt?«

»Er will mir weder sagen, wer er ist, wer ihn geschickt hat, noch was er will.«

»Dich umbringen, dachte ich.«

»Ja, aber ich will einen Grund wissen.«

»Ah«, machte Adrian verstehend. »Du denkst darüber nach, ihn höflich zu fragen. Wobei 'höflich' wohl eher das falsche Wort dafür ist. Ganz der Folterknecht, der du früher warst, nicht wahr?«

Bomer schnaubte bei Adrians abfälligem Tonfall. »Spiel dich nicht so auf. Du weißt sehr gut, was ich früher gemacht habe, und trotzdem hast du meinen versoffenen Arsch von der Brücke geholt.«

»Zu dem Zeitpunkt kannte ich dich kein Stück, vergiss das nicht. Und du weißt, dass ich der Letzte bin, der dir wegen unorthodoxer Methoden in den Rücken fällt. Aber zwischen einem Faustschlag, um ein paar Antworten zu bekommen, und foltern, besteht ein großer Unterschied, Evan.«

»Kommst du mir jetzt wieder mit den Grenzen, die man besser nicht überschreitet?« Bomer trat sauer gegen einen alten, knorrigen Baumstamm, den er vor wenigen Wochen gefällt hatte, als der drohte, über den Spazierpfad zu stürzen. »Ich will wissen, wer er ist. Und er wird es mir erzählen, so oder so, Anwalt!«

»Schick mir ein Foto von ihm und ich finde es raus«, verlangte Adrian und Bomer ballte die freie Hand zur Faust. »Und knurr mich jetzt ja nicht an, Evan. Du weißt, dass ich in dem Fall recht habe!«

»Leck mich!«

»Danke für das Angebot, aber ich bin verheiratet.«

»Du blöder ...«

»Evan, reiß dich zusammen oder dieses Telefonat ist beendet und du hast spätestens morgen Mittag Mac und Chase auf dem Hals.«

Bomer knirschte vor Ärger mit den Zähnen. »Das ist Erpressung!«

»Funktioniert es?«

»Ja«, murrte er und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. »Kein Foto«, erklärte er nach einer Weile, die Adrian schweigend am anderen Ende gewartet hatte. »Dabei hinterlässt du Spuren.«

»Willst du mich beleidigen?«

»Nein, aber wir beide wissen, dass es nun mal so ist. Jemand könnte unabsichtlich aufgeschreckt werden.«

»Du bist uneinsichtiger, als gut für dich ist.«

»Ich habe vom Besten gelernt.«

»Ach ja? Sag mir seinen Namen und ich schicke ihm einen Strauß Blumen als Dankeschön.«

Bomer musste ungewollt lachen. »Das darf ich nicht und das weißt du. Adrian, unsere Freundschaft beruht auf Vertrauen … Na ja, wohl eher auf Geheimniskrämerei, aber darin sind wir gut. Was ich damit sagen will, ist, dieser Kerl bleibt hier, bis ich Antworten habe, und ich erzähle dir das, falls du nichts mehr von mir hörst. Dann ist ihm gelungen, zu tun, weshalb er gekommen ist.«

»Du rufst mich an oder schickst Nachrichten. Regelmäßig. Alle zwei Tage. Höre ich nichts von dir, schicke ich Chase und die Jungs los.« Adrian atmete hörbar durch. »Bomer, geh nicht zu weit. Das hat dich bei den Seals fast das Leben gekostet. Verlier nicht die Kontrolle. Egal, was er sagt oder tut, reiß dich zusammen. Versprich mir das.«

»Ich versuche es.«

»Einverstanden. Ich erwarte deine Nachricht.«

»Danke. Bis in zwei Tagen.«

»Warte«, bat Adrian, bevor er auflegen konnte. »Da ist etwas an dem Mann, das dich nervös macht. Du musst dazu nichts sagen, ich kann es an deiner Stimme hören. Vielleicht solltest du herausfinden, was es ist.«

»Warum?«

»Weil er seit Jahren der erste Mann ist, den du länger als ein paar Stunden am Stück um dich hast, ohne ihm bisher an die Gurgel gesprungen zu sein. Auch wenn die Umstände diesbezüglich ein klein wenig … nun, ich sage mal, ungewöhnlich sind.«

Bomer biss sich auf die Zunge, um kein Wort dazu zu sagen, weil er sich sonst verraten hätte.

»Dein Techtelmechtel mit Jake zählt nicht.«

»Verdammt!«, fluchte er und Adrian lachte. »Wer hat es dir erzählt?«

»Ihr wurdet gesehen. Von einem von Trevors Leuten. So erfuhr es Maggie und die hat es Jake natürlich sofort unter die Nase gerieben.«

»Das erklärt nicht, woher du davon weißt.«

»Liam erzählt mir alles.«

»Das tut er nicht«, widersprach Bomer, denn Jakes junger Freund war eine Menge, aber keine Klatschtante.

»Wenn ich ihn erpresse schon«, konterte Adrian, was ihn unwillkürlich grinsen ließ. »Und, nein, du willst nicht wissen, womit ich ihn erpresst habe«, sprach der Anwalt hörbar amüsiert weiter. »Aber was dich und Jake angeht, es hätte nicht funktioniert … Ihr seid zu verschieden. Du zu geheimnisvoll, er zu ehrlich und hilfsbereit. Dein unbekannter Gast scheint mir eher deine Richtung zu sein.«

Bomer blieb der Mund offenstehen. »Das soll ja wohl ein Scherz sein? Willst du mir weismachen, ich habe den Mann, der mir, ohne dabei mit der Wimper zu zucken, ein Messer durch die Hand gejagt hat, an meine Heizung gefesselt, weil ich ihn geil finde?«

»Ich habe nichts von 'geil' gesagt, Bomer, das ist deine Interpretation. Ich denke, dass irgendetwas an ihm dich fasziniert. Wäre es anders, hättest du mir nicht von ihm erzählt, sondern ihn letzte Nacht umgebracht.«

Adrian legte auf, ehe er reagieren konnte. Bomer fluchte nicht. Er schrie seine Wut auch nicht heraus, wie sein Therapeut es damals vorgeschlagen hatte. Das war nicht sein Stil. Noch nie gewesen. Bomer bevorzugte es leise und unauffällig. Ein weiteres Überbleibsel aus seiner Zeit bei den Seals. Man konnte schließlich nicht lachend und tratschend in einen Einsatz ziehen.

Er schob das Handy in seine Jacketasche und nahm den Ast aus Charlys Maul, der ganz still zu seinen Füßen gewartet hatte, so als wüsste er, dass es besser war, sein Telefonat mit Adrian abzuwarten. Dieser sonst so wilde Welpe besaß ein sehr sensibles Gespür für Stimmungen, das hatte er mit Emma gemeinsam. Die alte Norwegerdame brauchte ihn nur anzusehen, um zu bekommen, was sie wollte, und zwar jedes Mal.

Bomer warf den Ast und Charly stob begeistert hinter ihm her. Lächelnd sah er dem Welpen zu, atmete tief die eisige Abendluft ein und fragte sich, ob sein noch immer namenloser Besucher wohl erneut versucht hatte, sich zu befreien. Er traute es ihm durchaus zu, überlegte Bomer, und pfiff leise. Charly sah ihn an, bellte und kam zu ihm, als er mit der Hand gegen seinen Oberschenkel klopfte.

»Komm, mein Junge. Ab nach Hause.«

Es war an der Zeit herauszufinden, mit wem er es zu tun hatte.

Kapitel 5

Aus der geplanten Fragerunde wurde aber nichts, denn als Bomer eine Stunde später in sein Schlafzimmer trat, lag der Fremde schlafend in seinem provisorischen Bett. Er hätte ihn aufwecken können, aber als Bomer auf ihn zutrat, um genau das zu tun, brachte er es nicht fertig und ärgerte sich wahnsinnig darüber. Was war bloß mit diesem Typen, dass er Skrupel entwickelte?

Das war nur Adrians Schuld. Der hatte ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt und bei seinem Pech würde er ihn jetzt nicht mehr loswerden. Genauso wie Mister Unbekannt.

Bomer kam den ganzen Abend lang nicht zur Ruhe und drehte sich irgendwann von einer Bettseite auf die andere, oder starrte die Decke an, um irgendwann in einen unruhigen Schlaf zu fallen, aus dem er schreiend wieder erwachte. Es dauerte lange, bis er klar genug war, um zu begreifen, dass er in seinem eigenen Bett lag und nicht im Dschungel, wo sie sich an ihm vergangen hatten.

Am ganzen Körper zitternd, schob er die Bettdecke zurück und hob die Beine langsam über den Rand. Als er mit den Fußsohlen den eiskalten Boden berührte, war es wie ein kleiner Schock. Er zischte auf, denn die Kälte tat weh. Stach wie spitze Nadeln in seine nackten Füße. Dennoch blieb Bomer sitzen und wartete, bis das Zittern aufhörte und die Nadeln zu einem mühsam ertragbaren Pochen wurden. Er begann zu frieren.

»Was hast du geträumt?«

Bomer zuckte zusammen und sah zur Heizung. Mist. Er hatte seinen Gefangenen völlig vergessen. Sein erster Albtraum seit Monaten und dann bekam dieser komische Kerl ihn auch noch live mit. »Nichts.«

»Wenn jemand schreiend aus dem Schlaf hochfährt und dabei zittert und nach Luft schnappt, als wäre er im Traum ermordet worden, kann ich mir an zehn Fingern abzählen, was los ist. Also spar dir die Lüge.«

»Es geht dich nichts an.«

»Feigling.«

»Arschloch!«, zischte Bomer und stand auf. Er musste sich am Nachttisch festhalten, weil sein Kreislauf verrückt spielte, und ärgerte sich darüber, dass der Kerl diese Schwäche auch noch mitbekam. Ohne einen Blick auf ihn zu werfen, ging er hinüber ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Erst warm, dann heiß, dann kalt. Es half und ließ ihn wieder zu sich kommen.

Warum heute? Nach all der Zeit, die er ruhig und ohne Erinnerung an seine Vergangenheit geschlafen hatte. Bomer hielt den Kopf unter den warmen Wasserstrahl. Bald würde es endgültig kalt werden, wenn er den Vorrat im Boiler verbrauchte, aber das war ihm gleichgültig. Es war sein Haus, sein Badezimmer, sein heißes Wasser. Er lebte hier, in seiner neuen Heimat, und die wollte er sich nicht von einem verhinderten Meuchelmörder oder den Schatten seiner Vergangenheit nehmen lassen.

Er drehte das Wasser erst ab, als es zu kalt wurde, und ging ins Schlafzimmer zurück, wo er irritiert in der Tür stehen blieb. Emma saß auf seinem Bett und putzte sich, während Charly hechelnd bei seinem unbekannten Gast lag und sich von ihm streicheln ließ.

»Wie ist sein Name?«

»Charly«, sagte Bomer automatisch und ging an seinen Schrank, um sich eine frische Shorts anzuziehen. »Die Katze heißt Emma.«

»Ich mag Tiere«, murmelte sein störrischer Gefangener. »Wir hatten nie welche.«

»Wir?«

Es kam keine Antwort, und als Bomer sich umdrehte, hatte der Mann ihm den Rücken zugewandt und sich wieder hingelegt. Ein Puzzlestück, das an seinen Platz rückte, begriff Bomer, denn dieses 'wir' verriet sein Gegenüber. Obwohl er keinen Beweis hatte, war er nun sicher, dass der Grund für all das hier einen Namen hatte, und der Mensch dahinter war seinem Gefangenen sehr wichtig gewesen.

Rache also.

Bomer lehnte sich mit seinem Rücken ans Kopfteil vom Bett, schaltete das Licht aus und ließ zu, dass Emma sich neben ihm zusammenrollte. Er würde auch Charly lassen, wo er war, denn dort schien er gut aufgehoben zu sein. Bomer sah zum Fenster hinaus und betrachtete den Mond, während er nachdachte.

Wenn er wenigstens einen Namen gehabt hätte, einen Hinweis darauf, wen er getötet, für wen er sterben sollte. Auge um Auge. Das Sprichwort war Bomer geläufig. Er hatte es bei den Seals selbst angewendet. Sogar öfter, als ihm mittlerweile lieb war. Aber früher war sein Leben von Befehlen geprägt gewesen, und er wollte nicht mehr morden oder selbst in den Tod gehen, ohne den Grund dafür zu kennen.

Sein Blick wanderte zurück auf den Mann am Boden. Er sah seinen Atembewegungen einige Zeit zu und schmunzelte, als Charly über ihn kletterte, um es sich eng an der lebenden Wärmequelle gemütlich zu machen. Sein Gast zog den Welpen im Schlaf an sich, was Bomer einen Stich im Inneren bescherte, den er verärgert von sich schob. Genauso wie den flüchtig durch seinen Verstand rasenden Gedanken, wie es sich wohl anfühlen würde, wäre er der Umarmte.

Mit Jake hatte es ihm gefallen. Nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte, mitten in der Nacht wach zu werden und von zwei langen Beinen und starken Armen umschlungen zu sein. Es hatte ihn einige Überwindung gekostet, Jake einfach auf sich liegen zu lassen, aber mit jeder Sekunde, die vergangen war, hatte Bomer gespürt, wie er ruhiger geworden war und sich entspannt hatte.

Vielleicht sollte er es auf diesem Weg probieren. Mit Gelassenheit, Ruhe und Freundlichkeit. Da er mit seinen Androhungen von neuer Gewalt augenscheinlich nicht weiter kam, war es einen Versuch wert.

»Was soll das jetzt für ein Trick sein?«

»Ich bin ein netter Gefängniswärter und lasse dich heute duschen.« Bomer lehnte sich belustigt an den Türrahmen. »Du kannst natürlich auch gerne dreckig bleiben, wenn dir das lieber ist.«

Das hör- und sichtbare Misstrauen, welches ihm von der anderen Ecke des Badezimmers aus entgegenschlug, war amüsant und lästig zugleich. Bomer knurrte der Magen und sie diskutierten hier schon mehrere Minuten herum. Seit er seinem Gast gesagt hatte, dass er duschen konnte und sich Zeit lassen durfte, stand der neben der Toilette und starrte ihn mit vor der Brust verschränkten Armen an. Es hätte ihm klar sein müssen, dass der Mann ihm nicht so einfach glauben würde, aber dieses Hin und Her zerrte langsam an Bomers Nerven.

»Herrje, es ist nur Wasser und Duschgel. Keine Säure auf deiner Haut. Stell dich nicht so an.«

Obwohl er danach böse angesehen wurde, entging Bomer der sehnsuchtsvolle Blick nicht, der einen Augenblick zur Duschwanne wanderte. »Und du bleibst die ganze Zeit wieder an der Tür stehen, damit ich nicht aus dem Fenster hüpfe, oder was?«

»Korrekt«, antwortete Bomer trocken und ließ seine Augen mit Absicht genießerisch über seinen Gefangenen wandern. Er wusste nicht, woher der plötzliche Wunsch kam, den Sturkopf ein bisschen zu necken, aber dessen Reaktion folgte auf dem Fuße.

»Sieh mich nicht so an!«

»Warum denn nicht?«, stichelte Bomer feixend. »Ich will schließlich auch etwas davon haben, dass du mir seit Tagen auf die Nerven gehst.«

»Und das bekommst du, indem du mich unter deiner Dusche bespannst?« Den Worten folgte ein sehr abfälliges Schnauben. »Echt jämmerlich. Fällt dir keine bessere Foltermethode ein?«

»Ich überlege noch, und bis mir was Passendes für dich einfällt, genieße ich einfach deinen Anblick.«

Ein trotziger Blick traf ihn, der Bomer fast lachen ließ. Aber damit hätte er möglicherweise eine Schlägerei herausgefordert, daher grinste er nur, was kurz darauf sogar erwidert wurde. Bomer ließ sich sein Erstaunen darüber nicht anmerken.

»Ein schwuler Parkranger, der aussieht, als hätte er in den letzten zwanzig Jahren zu viele Gewichte gestemmt. Ich glaub's ja nicht.«

Bomer verschränkte die Arme vor der Brust. »Hast du etwas gegen Schwule?«