Im Licht des Mondes - Nora Roberts - E-Book

Im Licht des Mondes E-Book

Nora Roberts

4,7
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die temperamentvolle Mia Devlin weiß, wie es ist, von ganzem Herzen zu lieben – und dann von einem Tag auf den anderen ohne ein Wort der Erklärung verlassen zu werden. Einst brach der geheimnisvolle Sam Logan ihr Herz, doch jetzt, zehn Jahre später, ist er zurück auf ihrer geliebten Insel und will sie wiedergewinnen. Doch auch wenn leidenschaftliche Funken fliegen: Mia ist so verletzt und wütend wie damals. Aber sie braucht seine Hilfe – und seine besonderen Fähigkeiten …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 495

Bewertungen
4,7 (52 Bewertungen)
40
7
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

WidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Copyright

Allen Liebenden, alten und neuen.

O Lieb’, o Glut! Einst sog er ein In langem Kuss die Seele mein, Wie Tropfen Taus der Sonnenschein.

 (Alfred Tennyson, Fatima, 1832)

Prolog

Insel der Drei Schwestern, September 1702

Ihr Herz war gebrochen. Seine spitzen Scherben staken in ihrer Seele und verletzten sie Stunde um Stunde. Ihr jetziges Leben war nichts als Kummer. Nicht einmal ihre Kinder  – die, die sie in ihrem Leib getragen hatte und die ihrer verlorenen Schwestern  – konnten sie trösten.

Und zu ihrer großen Beschämung konnte sie ihnen auch keinen Trost spenden.

Sie hatte sie verlassen, so wie ihr Vater sie verlassen hatte. Ihr Ehemann, ihr Liebster, ihr Herz war zurückgekehrt ins Meer  – und alle Hoffnung und Liebe und Magie in ihr waren am selben Tag gestorben.

In diesem Moment würde er sich nicht einmal mehr der gemeinsamen Jahre erinnern, der gemeinsamen Freude. Er würde sich ihrer nicht erinnern, oder ihrer Söhne, ihrer Töchter, ihres Lebens auf der Insel.

Das entsprach seiner Natur. Das war ihr Schicksal.

Und ihre Schwestern, dachte sie, während sie auf den geliebten Klippen stand, über der kochenden und tosenden See. Auch ihr Schicksal war es, zu lieben und zu verlieren. Die, die einst Luft war, verliebte sich in ein schönes Gesicht und wohlklingende Worte, hinter denen sich ein Ungeheuer verbarg. Ein Ungeheuer, das ihr Blut geschlürft hatte. Es hatte sie ermordet für das, was sie war, und sie hatte ihre Macht nicht benutzt, um es daran zu hindern.

Und deshalb hatte die, die einst Erde war, gewütet und gelitten, und ihr Hass wuchs Stein um Stein, bis er eine unüberwindliche Mauer war. Sie hatte ihre Macht benutzt, um Rache zu üben, hatte ihre Gabe verloren und die Dunkelheit umarmt.

Die Finsternis kam näher, und die, die einst Feuer war, blieb allein mit ihrem Schmerz. Sie konnte ihm nicht länger widerstehen, konnte keinen Sinn mehr finden in ihrem eigenen Leben.

Die Finsternis wisperte ihr zu in der Nacht, ihre verschlagene Stimme voll von Lügen. Obgleich sie sie erkannte, waren sie eine Versuchung.

Ihr Kreis war gebrochen, und sie konnte nicht, wollte nicht allein widerstehen.

Sie fühlte es, wie sie näher kroch, auf dem schmutzigen, nebligen Boden entlangglitt. Sie war hungrig. Ihr Tod würde sie sättigen, und dennoch konnte sie nicht weiterleben. Sie erhob ihre Arme, und ihr flammendes Haar flatterte im Wind, den sie gerufen hatte. Immer noch hatte sie dazu die Kraft in sich. Und die See antwortete heulend, die Erde unter ihr bebte.

Luft und Erde und Feuer  – und das Wasser, das ihr ihre große Liebe gebracht und wieder gestohlen hatte.

Dieses eine letzte Mal hatten sie ihr zu gehorchen.

Ihre Kinder würden in Sicherheit sein, sie hatte dafür gesorgt. Ihre Kinderschwester würde sie versorgen, sie lehren, und die Gabe  – die Magie  – würde überliefert werden.

Die Finsternis fuhr über ihre Haut. Kalte, eiskalte Küsse.

Sie taumelte an die Kante, Wille kämpfte gegen Wille, als der Sturm in ihr und der Sturm, den sie entfacht hatte, aufeinanderprallten.

Diese Insel, dachte sie, die sie und ihre Schwestern geschaffen hatten, um sich vor dem verheerenden Wüten ihrer Verfolger in Sicherheit zu bringen, würde verloren gehen. Alles würde verloren gehen.

Du bist allein, murmelte die Finsternis. Du erleidest Schmerzen. Beende die Einsamkeit. Beende die Schmerzen.

Und das würde sie, aber sie würde ihre Kinder nicht verlassen oder deren Kinder. Die Macht war noch in ihr, und die Kraft und die Weisheit, sie zu schützen.

»Einhundert Jahre mal drei, die Insel der Schwestern wird sicher sein und frei.«

Aus ihren erhobenen Fingern schoss Licht, wob einen Kreis in einen Kreis.

»Meine Kinder werde ich deiner Hand verwehren. Sie werden leben und lernen und lehren. Und kommt mein Zauber an ein Ende, drei neue dann bewirken die Wende. Ein Kreis von Schwestern, vereinigt in Kraft, widersteht der dunklen Macht. Ihre Lehre sind Mut und Vertrauen, Recht und Gnade, Liebe und Freiheit. Und sie wählen ihr Schicksal als eine Einheit. Wenn dies einer oder zweien oder dreien misslingt, diese Insel im Meer versinkt. Aber wenn sie die Finsternis vertreiben, wird diese Insel niemals unter ihr leiden. Dieser Zauber soll mein letzter sein. Dies ist mein Wille, so soll es sein.«

Die Finsternis schnappte nach ihr, als sie sprang, konnte sie aber nicht erreichen. Während sie der See entgegenfiel, schleuderte sie ihre Macht wie ein silbernes Netz um die Insel, wo ihre Kinder schliefen.

1

Insel der Drei Schwestern, Mai 2002

Mehr als zehn Jahre waren vergangen, seit er die Insel verlassen hatte. Mehr als eine Dekade hatte er  – außer in seinen Gedanken  – die Umrisse der Wälder, die zerstreuten Häuser, den Verlauf des Strandes und der Höhlen nicht gesehen. Und die geradezu dramatischen Klippen, wo das steinerne Haus neben der weißen Lanze des Leuchtturms stand.

Er war nicht sonderlich überrascht von dem Sog und der Anziehung und der schlichten, schieren Freude. Sam Logan war selten überrascht. Aber das Ausmaß seines Entzückens zu sehen, was sich verändert und was sich nicht verändert hatte, überraschte ihn dennoch zutiefst.

Er war nach Hause gekommen und hatte bisher nicht gewusst, nicht richtig, was das für ihn bedeutete  – bis er da war.

Er parkte in der Nähe des Fähranlegers, weil er zu Fuß gehen wollte, die salzige Frühlingsluft riechen, die Stimmen auf den Booten hören, das Leben und Treiben auf dem kleinen Stück Land vor der Küste von Massachusetts in sich aufnehmen wollte.

Und natürlich, gestand er sich ein, wollte er noch ein wenig Zeit gewinnen, bevor er der Frau begegnete, deretwegen er zurückgekommen war.

Er erwartete kein warmes Willkommen. Tatsache war, dass er nicht wusste, was er von Mia erwarten konnte.

Er hatte es früher einmal gewusst. Er hatte jeden Gesichtsausdruck von ihr, jeden einzelnen Tonfall gekannt. Einstmals hätte sie am Kai gestanden, um ihn abzuholen, mit ihrem wunderbaren roten Haar, ihre rauchgrauen Augen leuchtend vor Freude und Versprechen.

Er hätte ihr Lachen gehört, wenn sie in seine Arme gesprungen wäre.

Das war vorbei, dachte er, während er in Richtung High Street hinaufstieg und die hübschen Läden und Büros passierte. Er hatte es beendet und sie  – bewusst  – verlassen, die Insel und Mia.

Jetzt beendete er  – bewusst  – dieses Exil.

Inzwischen war aus dem Mädchen, das er zurückgelassen hatte, eine Frau geworden. Eine Geschäftsfrau, dachte er mit einem kleinen Lachen. Das war keine Überraschung, Mia hatte immer schon ein Gespür fürs Geschäft und eine Nase für Profit. Er beabsichtigte, falls nötig, das zu nutzen und ihr zu schmeicheln, wenn er damit ihre Zuneigung zurückgewinnen konnte. Sam hatte nichts gegen gelegentliche Schmeicheleien, sofern sie ihm von Nutzen waren.

Er betrat die High Street und warf einen langen Blick auf das Magick Inn. Das gotische Gebäude war das einzige Hotel der Insel  – und es gehörte ihm. Er hatte einige Ideen, wie er es führen wollte, nachdem sein Vater endlich die Zügel aus der Hand gegeben hatte.

Aber das Geschäft musste erst mal warten, bis das Persönliche erledigt war.

Er ging weiter, zufrieden, dass der Verkehr zwar langsam, aber stetig floss. Die Geschäfte auf der Insel gingen so gut, wie man ihm berichtet hatte.

Er hatte ausholende Schritte und kam schnell voran. Er war ein großer Mann, fast ein Meter neunzig, mit langen, trainierten Gliedern, und war in den letzten Jahren eher an Maßanzüge als an die schwarze Jeans gewöhnt, die er heute trug. Sein langer schwarzer Mantel zum Schutz gegen die frische Brise, die Anfang Mai noch wehte, bauschte sich hinter ihm auf.

Sein Haar war ebenfalls schwarz und durch die Fahrt vom Festland auf die Insel vom Wind zerzaust. Sein Gesicht war schlank mit markanten Wangenknochen. Die Herbheit wurde gemildert durch einen vollen und gut gezeichneten Mund, und mit seinem fliegenden Haar gab er ein eindrucksvolles Bild ab. Wachsam betrachtete er seine ehemalige  – und zukünftige  – Heimat. Seine Augen hatten die Farbe der See, die die Insel umgab, changierten zwischen blau und grün, umrahmt von dunklen Wimpern und gewölbten Brauen.

Er setzte sein gewinnendes Aussehen ein, wenn es ihm ratsam erschien, ebenso wie Scharm oder Rücksichtslosigkeit. Was immer ihm zur Verfügung stand nutzte er, um sein Ziel zu erreichen. Er war sich bewusst, dass er alles ihm zur Verfügung Stehende einsetzen würde, um Mia Devlin zurückzuerobern.

Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus betrachtete er das Buch-Café. Es hätte ihm klar sein müssen, dass Mia ein heruntergekommenes Gebäude kaufen und daraus etwas Schönes, Elegantes, Sinnvolles machen würde. Die Schaufensterscheibe gab den Blick frei auf eine Buchauswahl und Frühlingsblumen, die um einen Gartenstuhl dekoriert waren. Zwei ihrer größten Lieben, sinnierte er. Bücher und Blumen. Sie hatte sie in einer Weise arrangiert, die suggerierte, dass es Zeit wäre, eine Pause einzulegen und die Früchte seiner Arbeit lesenderweise zu genießen.

Während er das beobachtete, betraten einige Touristen  – er war nicht so lange weg gewesen, dass er nicht Touristen von Insulanern unterscheiden konnte  – die Buchhandlung.

Er blieb, wo er war, die Hände in den Taschen, zögerte die Sache hinaus. Es gab wenig, was Mia Devlin in vollem Zorn glich. Er rechnete damit, dass sie ihn hinauswarf, wutschnaubend, in derselben Minute, in der sie ihn erblickte.

Und wer könnte ihr deswegen einen Vorwurf machen? Dann wieder erinnerte er sich daran, dass es wenig gab, was erregender war als Mia in vollem Zorn. Es würde … sehr unterhaltsam werden, sich wieder mit ihr zu messen. Und ebenso befriedigend, ihren Zorn anschließend zu besänftigen.

Er überquerte die Straße und öffnete die Tür zum Buch-Café.

Lulu saß hinter dem Tresen. Er hätte sie überall erkannt. Die winzige Frau mit ihrem Gnomengesicht, nahezu verschluckt von ihrer silbergerahmten Brille, hatte im Wesentlichen Mia erzogen. Die Devlins waren mehr aneinander und am Reisen interessiert als an ihrer Tochter, und Lulu, das frühere Hippie-Mädchen, wurde eingestellt, um für sie zu sorgen.

Weil Lulu gerade bei einem Kunden kassierte, hatte er einen Moment, um sich im Laden umzuschauen. Die Deckenbeleuchtung war ähnlich wie ein Sternenhimmel arrangiert, wodurch die Suche und das Durchblättern von Büchern einen festlichen Charakter bekamen. Eine gemütliche Sitzgruppe war vor einen Kamin gruppiert, auf dem ein Kessel stand, geputzt und poliert und mit weiteren Frühlingsblumen gefüllt. Ihr Geruch war angenehm, ebenso wie die Flötenklänge, die aus den Lautsprechern drangen.

Glänzende blaue Regale, gefüllt mit Büchern  – ein eindrucksvolles Arrangement, dachte er beim Herumschlendern, und genauso erlesen, wie er das von der Eigentümerin erwartet hatte. Geschmacklosigkeit wäre das Letzte, was man Mia vorwerfen könnte.

Er verzog das Gesicht, als er die anderen Regale sah, in denen Ritualkerzen, Tarotkarten, Runen, Feen-Figuren, Zauberer, Drachen ausgestellt waren. Eine stattliche Ansammlung eines weiteren … Interesses von Mia, dachte er. Er hatte auch das nicht anders erwartet.

Er nahm sich einen Rosenquarz aus einer Schale, rieb ihn zwischen seinen Fingern  – für Glück. Obgleich er es besser wusste. Bevor er ihn zurücklegen konnte, spürte er einen kühlen Windhauch. Leicht lächelnd, drehte er sich zu Lulu um.

»Wusste immer, dass du zurückkommst. Falsche Fuffziger finden sich immer wieder an.«

Das war die erste Barriere  – der Drachen vor dem Tor. »Hallo, Lu.«

»Dein ›Hallo, Lu‹ kannst du dir schenken, Sam Logan.« Sie schniefte, spießte ihn mit ihrem Blick auf. Schniefte noch einmal. »Kaufst du das, oder muss ich den Sheriff rufen, um dich wegen Ladendiebstahls einbuchten zu lassen?«

Er legte den Stein zurück in die Schale. »Wie geht es Zack?«

»Frag ihn selber, ich werde meine Zeit nicht mit dir verschwenden.« Obgleich er sie um gut dreißig Zentimeter überragte, trat sie einen Schritt vor und tippte ihm an die Brust, sodass er sich fühlte, als wäre er wieder zwölf Jahre alt. »Was zur Hölle willst du?«

»Die Heimat wiedersehen. Mia wiedersehen.«

»Warum tust du uns allen nicht einen Gefallen und verschwindest wieder dahin, wo du dich die letzten Jahre rumgetrieben hast? New York, Paris, Frankreich und o-la-la. Wir sind alle prima ohne dich zurechtgekommen auf den Drei Schwestern.«

»Offensichtlich.« Er warf noch einen Blick auf den Laden. Er war nicht beleidigt. Ein Drachen hatte, fand er, seiner Prinzessin ergeben zu sein. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Lulu diese Rolle immer perfekt gespielt. »Nett hier. Wie ich höre, soll das Café besonders gut sein. Und von Zacks Frau geleitet werden.«

»Das hast du ganz richtig gehört. Also, hör zu. Hau endlich ab.«

Nicht beleidigt, das nicht, aber er blickte etwas nervöser, das Grün in seinen Augen vertiefte sich. »Ich bin gekommen, um Mia zu sehen.«

»Sie ist beschäftigt. Ich sage ihr, dass du vorbeigekommen bist.«

»Nein, das tust du nicht«, sagte er ruhig. »Sie wird es sowieso wissen.«

Noch während er sprach, hörte er das Geräusch hoher Hacken auf Holz. Es hätten Dutzende anderer Frauen sein können, die die Wendeltreppe herunterkamen. Aber er wusste es. Da sein Herz einen Hüpfer in seiner Brust machte, trat er vor die Bücherregale und sah sie, als sie gerade die letzte Stufe betrat.

Und dieser Blick, dieser eine Blick, schnitt ihn in tausend Stücke.

Die Prinzessin, dachte er, ist eine Königin geworden.

Sie war immer schon das schönste Wesen, das er jemals gesehen hatte. Die Verwandlung vom Mädchen zur Frau hatte diese Schönheit noch unterstrichen. Ihr Haar war so, wie er es erinnerte, ein langes Gewirr flammender Locken um ein Gesicht wie Milch und Rosen. Diese Haut, erinnerte er sich, war sanft wie Tau. Ihre Nase war schmal und gerade, ihr Mund groß und voll. Und er erinnerte sich, erinnerte sich ganz genau, seiner Form und seines Geschmacks. Ihre Augen waren rauchgrau, mandelförmig, und sie betrachteten ihn nun kühl forschend.

Sie lächelte, und zwar ebenfalls kühl, als sie auf ihn zuging. Ihr Kleid, ein mattes Gold, umschmiegte sie, ließ lange, sehr lange Beine ahnen. Die hochhackigen Schuhe, die sie trug, hatten den gleichen Ton und vervollständigten den feurigen Ausdruck. Aber er fühlte keine Wärme von ihr ausgehen, als sie eine Braue hob und ihn ebenfalls studierte.

»Na, wen haben wir denn da? Sam Logan? Willkommen daheim.«

Ihre Stimme war tiefer, ein klein wenig tiefer als früher. Glutvoller, rauchiger, seidiger. Sie schien ihn im tiefsten Inneren zu treffen, obgleich er verwirrt war wegen ihres höflichen Lächelns und der damit einhergehenden Begrüßung.

»Danke.« Er fiel bewusst in ihren Tonfall ein. »Es ist gut, wieder zu Hause zu sein. Du siehst großartig aus.«

»Man tut, was man kann.«

Sie warf ihr Haar zurück. Sie trug Bernstein-Ohrringe. Die Einzelheiten von ihr, bis zu den Ringen an ihren Fingern, die gepflegte Aura, die sie umgab, waren ihm deutlich bewusst. Einen Moment lang versuchte er, ihre Gedanken zu lesen, musste aber frustriert feststellen, dass sie in einer ihm fremden Sprache geschrieben waren.

»Ich mag deine Buchhandlung«, sagte er, darum bemüht, gelassen zu klingen. »Jedenfalls das, was ich bisher davon gesehen habe.«

»Nun, wir werden dir die große Besichtigungstour angedeihen lassen. Lulu, du hast Kunden.«

»Ich weiß, was ich habe«, murrte Lulu. »Es ist ein ganz normaler Arbeitstag, oder? Du hast keine Zeit, den hier herumzuführen und ihm alles zu zeigen.«

»Lulu.« Mia bewegte kaum die Hand, eine sanfte Warnung. »Ich habe immer ein paar Minuten für einen alten Freund. Komm rauf, Sam, sieh dir das Café an.« Sie ging voraus, glitt mit ihrer Hand über das Geländer. »Du hast vielleicht gehört, dass ein gemeinsamer Freund von uns, Zack Todd, letzten Winter geheiratet hat. Nell ist nicht nur eine enge Freundin von mir, sondern auch eine spektakuläre Köchin.« Sam legte eine Pause ein auf der Treppe. Es störte ihn, dass er um seine Fassung ringen musste, seine Balance suchen musste. Ihr Anblick warf ihn schlicht um.

Der zweite Stock mit dem verführerisch belebten Café und den Gerüchen  – Gewürze, Kaffee, Schokolade, die es umgaben  – war genauso einladend wie der erste.

Eine beeindruckende Auswahl von Backwaren und Salaten stand hinter einem blinkenden Glastresen. Wohlriechende Düfte entströmten einem großen Topf, aus dem gerade eben eine hübsche Blondine einem wartenden Kunden Suppe auffüllte.

Die weiter hinten liegenden Fenster gaben den Blick frei auf das Meer.

»Es ist unglaublich.« Das, immerhin, brachte er noch gerade eben heraus. »Einfach unglaublich, Mia. Du musst sehr stolz auf dies alles sein.«

»Warum auch nicht?«

Angesichts des leicht scharfen Tonfalls wandte er sich um, aber sie lächelte nur, winkte ihn mit einer eleganten Bewegung ihrer ringgeschmückten Hand an den Tresen. »Hungrig?«

»Mehr als ich gedacht habe.«

Ein Hauch der Schärfe trat für einen winzigen kleinen Moment in ihre rauchgrauen Augen, bevor sie sich abwandte und zum Tresen ging. »Nell, hier habe ich einen Mann mit großem Appetit.«

»Dann ist er genau am richtigen Ort.« Nell lächelte und zeigte ihre Grübchen, richtete ihre blauen Augen freundlich auf Sam. »Unsere Tagessuppe ist Curryhuhn. Das Salatangebot ist Shrimps à la Diablo, und das Tagessandwich ist Schweinebraten und Tomaten auf Olivenbrot. Und natürlich unser normales vegetarisches Angebot«, fügte sie hinzu, indem sie auf die Speisekarte tippte.

Zacks Frau, dachte Sam. Es war eine Sache, zu begreifen, dass der älteste Freund in festen Händen war, eine andere, den Grund dafür zu sehen. Es gab ihm einen zusätzlichen Stoß.

»Eine ziemliche Auswahl.«

»Wir finden, das sollte so sein.«

»Du kannst nichts Falsches wählen, solange Nell es zubereitet hat«, versicherte Mia ihm. »Ich überlasse dich jetzt ihren fähigen Händen. Ich habe etwas zu erledigen. O Nell, ich hätte euch vorstellen sollen. Dies ist ein alter Freund von Zack, Sam Logan. Genieß deinen Lunch«, sagte sie und ging weg.

Sam sah die Überraschung in Nells schönem Gesicht und auch, wie jede Wärme aus ihm wich. »Was kann ich für Sie tun?«

»Nur Kaffee im Moment. Wie geht es Zack?«

»Ihm geht es sehr gut, danke.«

Sam trommelte mit seinen Fingern auf seine Schenkel. Noch ein Wächter am Tor, dachte er, und kein bisschen weniger furchterregend als der Drache, trotz des sanften Aussehens. »Und Ripley? Ich hörte, dass sie gerade letzten Monat geheiratet hat.«

»Ihr geht es sehr gut, und sie ist sehr glücklich.« Nells Mund verzog sich zu einem strengen, abweisenden Strich, als sie ihm den Kaffee in einem Pappbecher zum Mitnehmen reichte. »Der ist umsonst. Ich bin sicher, dass Mia weder ihr Geld möchte noch braucht. Sie servieren sehr gutes Essen im Magick Inn, wie Sie sicher wissen.«

»Ja, ich weiß.« Ein hübsches Kätzchen, und sehr scharfe Krallen, grübelte Sam. »Glauben Sie, dass Mia Ihren Schutz nötig hat, Mrs Todd?«

»Ich denke, dass Mia alles allein in den Griff bekommt.« Jetzt überflog ein Lächeln ihr Gesicht, scharf wie eine Rasierklinge. »Absolut alles.«

Sam nahm seinen Kaffee. »Ich auch«, stimmte er ihr zu und schlenderte in die Richtung, in die Mia verschwunden war.

Dieser Bastard. Sobald sie die Tür ihres Büros hinter sich geschlossen hatte, entfuhr Mia ein Splitter ihrer angestauten Wut. Aber dieser reichte aus, um alle Bücher und ihren Krimskrams auf den Regalen zum Tanzen zu bringen. Dass er den Nerv hatte, die Frechheit, die Dummheit, in ihren Laden zu stolzieren.

Einfach dazustehen und zu lächeln, als ob er erwartet hätte, dass sie Freudenschreie ausstoßen und ihm in die Arme springen würde. Und konsterniert ausgesehen hatte, als sie das nicht tat.

Bastard.

Sie ballte ihre Fäuste, und ein dünner Riss lief über die Scheibe ihres Fensters.

Sie wusste genau, wann er den Laden betreten hatte. Wie sie auch genau wusste, wann er die Insel betreten hatte. Es hatte sie überschwemmt, überflutet, als sie gerade an ihrem Schreibtisch eine Bestellung komplettieren wollte. Schmerz, Schock, Freude, Zorn, alles so intensiv, alles so plötzlich, dass ihr schwindlig davon wurde. Ein heftiges Gefühl nach dem anderen überfiel sie, machte sie schwach und zittrig.

Und sie wusste, dass er zurückgekommen war.

Elf Jahre. Er hatte sie verlassen, hatte sie verletzt und hilflos und hoffnungslos zurückgelassen. Scham überfiel sie immer noch, wenn sie sich an ihre wochenlange Verwirrung und überwältigende Trauer erinnerte, nachdem er weg war.

Aber sie hatte ihr Leben auf den Trümmern der Träume, die Sam zerstört hatte, wieder aufgebaut. Sie hatte eine Aufgabe gefunden und eine ruhige Zufriedenheit.

Jetzt war er zurück.

Sie konnte dem Schicksal nur dankbar sein, dass die Gabe des Hellsehens ihr genug Zeit gelassen hatte, sich darauf vorzubereiten. Wie beschämend hätte es werden können, wenn sie ihm begegnet wäre, bevor sie dazu bereit war. Und wie befriedigend war es zu sehen, wie ihre gleichgültige und kühle Begrüßung ihn überrascht und verblüfft hatte.

Sie war jetzt stärker, rief sie sich in Erinnerung. Sie war nicht mehr länger das Mädchen, das ihm ihr blutendes und zerbrochenes Herz zu Füßen legte. Und es gab mehr, viel wichtigere Dinge in ihrem Leben als einen Mann.

Liebe, dachte sie, und schloss ihre Augen, konnte eine solche Lüge sein. Sie hatte keinen Platz, keine Toleranz für Lügen. Sie hatte ihr Heim, ihr Geschäft, ihre Freunde. Sie hatte ihren Kreis wieder, und der hatte eine Aufgabe.

Das war genug, um ihr Kraft zum Leben zu geben.

Als es an der Tür klopfte, schob sie ihre Gefühle und Gedanken wieder beiseite und glitt auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch. »Ja, herein.«

Sie überprüfte Daten auf ihrem Monitor, als Sam eintrat, schaute ein bisschen abwesend hoch mit einer Andeutung von Ärger in ihren Augen. »Nichts auf der Speisekarte, was dich gereizt hätte?«

»Ich habe mich hierauf beschränkt.« Er hob seinen Kaffeebecher hoch, entfernte den Deckel und stellte ihn auf ihren Schreibtisch. »Nell ist sehr loyal.«

»Loyalität ist eine notwendige Eigenschaft von Freunden, in meinen Augen.«

Er machte ein zustimmendes Geräusch, trank einen Schluck. »Außerdem kocht sie exzellenten Kaffee.«

»Das ist eine notwendige Eigenschaft für die Leiterin eines Cafés.« Sie klopfte mit ihren Fingern auf den Schreibtisch, so als würde sie langsam ungeduldig. »Sam, es tut mir leid, ich möchte nicht unhöflich sein. Du bist herzlich willkommen im Café und im Laden. Aber ich muss arbeiten.«

Er betrachtete sie lange forschend, aber der leicht genervte Ausdruck in ihrem Gesicht blieb. »Dann möchte ich dich nicht aufhalten. Warum gibst du mir nicht einfach die Schlüssel, und dann gehe ich und richte mich ein?«

Verblüfft schüttelte sie den Kopf. »Schlüssel?«

»Für das Cottage. Dein Cottage.«

»Mein Cottage? Warum um alles in der Welt sollte ich dir die Schlüssel für das gelbe Cottage geben?«

»Deshalb.« Erfreut darüber, endlich ihren Höflichkeitspanzer durchbrochen zu haben, zog er Papiere aus der Tasche. »Wir haben einen gegenseitigen Mietvertrag.« Er legte die Papiere auf ihren Tisch und lehnte sich zurück, als sie sie las. »Der Keltische Kreis ist eine meiner Firmen«, erklärte er, als sie mit finsterem Gesichtsausdruck die Namen entzifferte. »Und Henry Downing ist einer meiner Anwälte. Er hat das Haus für mich gemietet.«

Ihre Hand war kurz davor zu zittern. Und noch lieber hätte sie zugeschlagen. Bewusst legte sie sie flach auf den Tisch. »Warum?«

»Meine Anwälte erledigen alle möglichen Dinge für mich«, sagte Sam schulterzuckend. »Außerdem glaube ich nicht, dass du es an mich vermietet hättest. Aber ich dachte, nein, ich war sicher, dass du zu einem einmal abgeschlossenen Geschäft stehen würdest.«

Sie atmete tief durch. »Ich meinte, warum brauchst du das Cottage? Du hast ein ganzes Hotel zu deiner Verfügung.«

»Ich möchte weder in einem Hotel wohnen noch an meinem Arbeitsplatz. Ich brauche meine Privatsphäre und meine Freizeit. Beides hätte ich nicht im Hotel. Hättest du es mir vermietet, Mia, wenn ich keinen Anwalt eingeschaltet hätte?«

Sie sah ihn streng an. »Natürlich. Aber ich hätte die Monatsmiete erhöht. Erheblich.«

Er lachte und fühlte sich etwas stabiler als nach dem ersten Blick auf sie, trank noch einen Schluck Kaffee. »Ein Geschäft ist ein Geschäft, und vielleicht sollte es so sein. Da meine Eltern unser Haus an Ripleys neuen Ehemann verkauft haben, kann ich dort nicht mehr wohnen. Dinge passieren normalerweise immer dann, wenn es so sein soll.«

»Dinge passieren«, war alles, was sie sagte. Sie öffnete eine Schublade und entnahm ihr einen Schlüsselbund. »Es ist klein und eher rustikal, aber ich bin sicher, es wird dir reichen, solange du auf der Insel bist.«

Sie legte die Schlüssel auf den Tisch, auf seinen Mietvertrag. »Ich bin sicher, dass es das tut. Warum gehen wir heute Abend nicht zusammen essen? Wir haben einiges nachzuholen.«

»Nein, vielen Dank.«

Er hatte nicht die Absicht gehabt, sie zu fragen, nicht so bald. Es ärgerte ihn, dass ihm die Worte entschlüpft waren. »Dann eben ein anderes Mal.« Er stand auf, steckte die Schlüssel und den Vertrag ein. »Es tut gut, dich wiederzusehen, Mia.«

Bevor sie es verhindern konnte, legte er seine Hand über ihre auf dem Tisch. Funken sprühten, sichtbar. Die Luft war angefüllt mit ihnen.

»Ah«, sagte er nur und festigte seinen Griff.

»Nimm deine Hände von mir.« Sie sprach mit leiser, akzentuierter Stimme, während sie ihm direkt in die Augen blickte. »Du hast kein Recht, mich zu berühren.«

»Es hatte zwischen uns beiden niemals etwas mit Recht zu tun, sondern nur mit Bedürfnis.«

Ihre Hand war kurz davor zu zittern. Nur ihr starker Wille hielt sie ruhig. »Es gibt kein uns mehr, und ich brauche dich nicht mehr.«

Es tat weh. Ein heller, schneller Schmerz durchfuhr sein Herz. »Doch, tust du, und ich brauche dich. Es gibt mehr zu bedenken als alte verletzte Gefühle.«

»Verletzte Gefühle.« Sie wiederholte die Wörter, als wären sie aus einer fremden Sprache. »Ich verstehe. Wie auch immer, du wirst mich nicht mehr berühren ohne meine Erlaubnis. Du hast sie nicht.«

»Wir müssen miteinander reden.«

»Das setzt voraus, dass wir uns etwas zu sagen hätten.« Ihr Ärger brach durch, und sie unterdrückte ihn unwillig. »Aber in diesem Moment habe ich dir nichts zu sagen. Ich möchte, dass du gehst. Du hast den Mietvertrag, du hast die Schlüssel, du hast das Cottage. Das war schlau von dir, Sam, aber du warst schon immer schlau, schon als Junge. Aber dies ist mein Büro, mein Laden.« Meine Insel, hätte sie beinahe gesagt, konnte es gerade noch zurückhalten. »Und ich habe keine Zeit für dich.«

Als sein Griff sich lockerte, befreite sie ihre Hand. Die Luft klärte sich. Wieder ruhiger, schaffte sie es zu lächeln, ein kaltes Lächeln. »Lass uns deinen Besuch nicht mit einer Szene verderben. Ich hoffe, dir gefällt das Cottage. Wenn du irgendwelche Probleme damit hast, lass es mich wissen.«

»Das werde ich. Es genießen und dich wissen lassen.« Er wandte sich zur Tür und öffnete sie. »O Mia, dies ist kein Besuch. Ich bin gekommen, um zu bleiben.«

Mit einem boshaften Vergnügen konnte er gerade noch sehen, wie sie erbleichte.

Er verfluchte sich dafür und auch dafür, die ersten Schritte vermasselt zu haben. Seine schlechte Laune verbesserte sich nicht, als er die Treppen hinabstieg und aus dem Laden ging  – unter Lulus eisigem Blick.

Er ging nicht zurück zu den Docks, wo sein Wagen parkte, auch nicht zum Cottage, wo er wohnen würde, bis er … woanders wohnen würde, sondern er ging zur Polizeiwache.

Er konnte nur hoffen, dass Zack Todd, inzwischen Sheriff Todd, da sein würde. Bei Gott, dachte Sam, gibt es denn nicht eine Person, eine verdammte Person, die mich willkommen heißt und es auch so meint.

Wenn er auch nicht auf Zack zählen könnte, wäre er wirklich in einer bedauernswerten Lage. Er stemmte seine Schultern gegen die frische Frühlingsbrise, die er inzwischen unangenehm fand.

Sie hatte ihn weggewischt wie eine Fliege. Wie eine Stechmücke. Nicht wütend, sondern irritiert. Immerhin, diese Verbindung vorhin zwischen ihnen, die bedeutete etwas. Daran musste er glauben. Aber wenn es eine Person gab, die er kannte, die sich gegen das Schicksal wehren konnte, es mit ihrem ganzen Willen bekämpfen konnte, dann war es Mia.

Störrische, stolze Hexe, dachte er seufzend. Die Tatsache, dass sie es war, machte einen Teil ihrer Anziehung für ihn aus. Stolz und Macht konnte man schwer widerstehen. Und wenn er sich nicht täuschte, hatte sie davon inzwischen mehr als mit neunzehn.

Das bedeutete, dass er reichlich zu tun bekäme, auf vielen Ebenen.

Er stieß einen Seufzer aus und öffnete die Tür zur Wache. Der Mann, der dort saß, Füße auf dem Schreibtisch und Telefonhörer am Ohr, hatte sich nicht sehr verändert. Ein bisschen abgerundeter hier, verfeinert da. Sein Haar war immer noch ungebärdig, immer noch sonnengebleichtes Braun. Es gab die eine oder andere Falte um seine Augen herum, bedingt durch Blinzeln in die Sonne, aber die Augen selber waren von demselben scharfen Grün.

Und sie weiteten sich, als sie Sam erblickten.

»He, ich muss jetzt Schluss machen. Ich werde den Papierkram gegen Abend durchfaxen. Ja. Richtig. Ich muss jetzt gehen.« Zack schwang seine Füße vom Schreibtisch, während er auflegte. Er erhob sich zu voller Größe, starrte und grinste Sam dann an. »Teufel auch, es ist Mister New York.«

»Also, sieh an, da haben wir Mister Gesetz.«

Zack durchquerte das kleine Büro in drei Schritten und umarmte Sam ungestüm.

Eine große Erleichterung durchlief Sam angesichts dieses Willkommensgrußes, dieser unkomplizierten, tief sitzenden Zuneigung, die noch aus Kindertagen stammte.

Die Jahre zwischen dem Jungen und dem Mann waren wie weggeblasen.

»Es ist schön, dich zu sehen«, brachte er mühsam hervor.

»Das kann ich auf der Stelle zurückgeben.« Zack trat zurück, nahm Maß. Reine Freude erhellte sein Lächeln. »Nun, du bist weder fett noch glatzköpfig geworden hinter dem Schreibtisch.«

Sam warf einen Blick auf Zacks mit Papieren übersäten Arbeitsplatz. »Du auch nicht, Sheriff.«

»Stimmt, also denke immer daran, wer hier für Ordnung sorgt, und bleib sauber auf meiner Insel. Was zur Hölle tust du hier? Möchtest du einen Kaffee?«

»Wenn du das, was da in der Kanne ist, Kaffee nennst, passe ich, danke. Und ich habe hier Geschäfte zu tätigen. Langzeitgeschäfte.«

Zack verzog den Mund, als er sich einen trüben Kaffee in seinen Becher goss. »Das Hotel?«

»Zum einen. Ich habe meine Eltern ausgekauft. Es gehört jetzt mir.«

»Ausgekauft …« Zack zuckte seine Schultern und ließ sich auf der Schreibtischkante nieder.

»Meine Familie war nie wie deine«, sagte Sam trocken. »Es ist ein Geschäft. Eins, an dem mein Vater das Interesse verloren hat. Ich nicht. Wie geht es deinen Eltern?«

»Prima. Du hast sie gerade verpasst. Sie sind zu Ripleys Hochzeit gekommen und fast einen Monat geblieben. Gerade als ich dachte, dass sie für immer hierbleiben wollten, haben sie ihr Wohnmobil vollgestopft und sich Richtung Nova Scotia davongemacht.«

»Es tut mir leid, dass ich sie nicht sehen konnte. Ich habe gehört, dass Rip nicht die Einzige ist, die inzwischen geheiratet hat.«

»Stimmt.« Zack hob seine Hand, an der sein Ehering glitzerte. »Ich hatte gehofft, dass du zur Hochzeit kommst.«

»Ich wünschte, ich hätte es gekonnt.« Ein ehrliches Bedauern, eins von vielen. »Ich freue mich für dich, Zack. Wirklich.«

»Ich weiß. Du wirst dich noch mehr freuen, wenn du sie kennenlernst.«

»Oh, ich habe deine Frau kennengelernt.« Sams Lächeln verschwand. »Ausgehend von dem Geruch der Brühe, die du da trinkst, macht sie besseren Kaffee als du.«

»Ripley hat ihn gemacht.«

»Wie auch immer. Ich bin jedenfalls dankbar, dass deine Frau mir ihren nicht über den Kopf gegossen hat.«

»Warum sollte sie… oh.« Zack stieß einen Seufzer aus. »Oh, nun ja. Mia.« Er rieb sich sein Kinn. »Nell und Mia und Ripley. Tatsache ist …«

Er brach ab, als die Tür aufgerissen wurde. Ripley Todd Booke, vibrierend von Kopf bis Fuß, funkelte Sam an. Ihre Augen, von demselben Grün wie die ihres Bruders, musterten ihn mit Abscheu.

»Besser spät als niemals«, kündigte sie an, als sie vorwärtsstürmte. »Darauf habe ich elf Jahre lang gewartet.«

Zack sprang vor und ergriff ihre Faust, mit der sie gerade ausholte. Sie hatte  – das wusste er genau  – eine starke Rechte. »Halt«, befahl er. »Halt, verdammt noch mal.«

»Ist nicht zahmer geworden, nicht wahr?«, kommentierte Sam. Er steckte seine Hände in seine Taschen. Wenn sie ihm eine verpassen wollte, wollte er es so bald wie möglich hinter sich bringen.

»Nicht ein bisschen.« Zack hob sie hoch, und sie fluchte wild. Ihre Kappe fiel zu Boden, und ihre langen dunklen Haare fielen über ihr wütendes Gesicht. »Sam, einen kleinen Moment bitte. Ripley, hör auf!«, befahl er ihr wieder. »Du trägst ein Abzeichen, falls du dich erinnerst!«

»Dann nehme ich es ab, bevor ich ihn niederschlage.« Sie pustete sich das Haar aus den Augen und funkelte Sam an. »Er verdient es.«

»Vielleicht tue ich es«, stimmte Sam zu. »Aber nicht von dir.«

»Mia ist viel zu sehr Dame, als dass sie dir eine reindonnern würde. Ich nicht.«

Er musste lächeln. »Das mochte ich immer besonders an dir. Ich habe das gelbe Cottage gemietet«, teilte er Zack mit und sah, wie Ripley der Mund offen stehen blieb, geschockt. »Komm doch mal vorbei, wenn du Zeit hast. Dann trinken wir ein Bier.«

Er beschloss, dass der Schock umfänglich war, weil sie nicht versuchte, ihn zu schlagen, während er zur Tür ging. Er trat hinaus und warf einen weiteren langen Blick auf den Ort.

Ein Freund hatte ihn zu Hause willkommen geheißen, auch wenn drei Frauen einen Kreis der Ablehnung gegen ihn geformt hatten.

Ob zum Guten oder zum Schlechten, dachte er, immerhin war er daheim.

2

Die Straße zur Hölle, entschied Sam, konnte zwar mit guten Absichten gepflastert sein, aber die konnten auch durchkreuzt werden.

Er hatte beabsichtigt, wieder in Mias Leben zu treten, ihrem Zorn ins Gesicht zu blicken, ihren Tränen, ihrer Bitterkeit. Sie hatte ein Recht auf alles, und er wäre der Letzte, der das nicht zugäbe.

Er hätte ihre Wut, ihre Flüche, ihre Anschuldigungen akzeptiert. Er wollte ihr die Möglichkeit geben, all ihre negativen Gefühle, die sie über Jahre gespeichert hatte, an ihm abzulassen. Und natürlich hatte er sich vorgenommen, alles wegzuwischen und sie zurückzugewinnen.

So wie er es eingeschätzt hatte, eine Sache von Stunden bestenfalls, schlechtenfalls eine Sache von Tagen.

Sie gehörten zusammen seit ihrer Kindheit. Was waren elf Jahre verglichen mit einer Bestimmung, die aus Blut und Herz und Macht bestand?

Aber er war nicht auf ihre kühle Indifferenz vorbereitet gewesen. Oh, sie war wütend auf ihn, dachte er, als er vor dem Cottage parkte. Aber über der Wut lag ein dicker, eisiger Panzer. Ihn zu durchdringen würde mehr erfordern als Lächeln, Erklärungen, Versprechungen oder sogar Entschuldigungen.

Lulu hatte ihn angefaucht, Ripley hatte nach ihm geschlagen, und Nell hatte ihm ihre Zähne gezeigt. Mia hatte nichts von alledem getan, und ihre Reaktion auf ihn hatte ihn mehr berührt als die der anderen zusammengenommen.

Ihr leicht verächtlicher Blick hatte ihm einen Stich versetzt, umso mehr, als ihr Anblick alte Erinnerungen in ihm wachgerufen hatte, sie mit frischer Lust und Begehren angefüllt hatte. Liebe.

Er hatte sie geliebt, wie besessen, wahnsinnig. Und das war die Wurzel  – oder eine der vielen versteckten Wurzeln  – des Problems.

Als er darüber nachdachte, trommelten seine Finger irritiert auf dem Steuerrad. Er weigerte sich zu glauben, dass sie sich nichts mehr aus ihm machte. Es gab zu viel zwischen ihnen, zu viel von ihnen, als dass nicht etwas geblieben wäre.

Wenn gar nichts mehr da wäre, wäre dieser Funke  – dieser eine kleine Moment der Verbindung, als ihre Hände sich berührten  – nicht gewesen. Er musste sich daran festklammern, dachte Sam, als seine Hände sich auf dem Steuerrad langsam entkrampften. Was auch immer passieren würde, er glaubte an diesen Funken.

Ein Mann mit einem festen Willen konnte ein Höllenfeuer aus einem einzigen Funken machen.

Sie zurückzugewinnen, zu tun, was getan werden musste, dem Kommenden ins Auge zu blicken war eine Herausforderung. Seine Lippen verzogen sich. Er hatte so etwas immer genossen.

Er musste nicht nur Mias Eispanzer durchbrechen. Er musste den Drachen überwinden  – und Lulu war keine Kleinigkeit. Und er hatte es zu tun mit den Frauen an Mias Seite. Nell Todd mit ihrer ruhigen Ablehnung und Ripleys ungeheures Temperament.

Wenn ein Mann einen Kampf gegen vier Frauen bestehen wollte, sollte er besser einen guten Plan haben. Und ein sehr dickes Fell. Oder er würde im Handumdrehen im Staub landen.

Er musste darüber nachdenken. Sam stieg aus dem Auto und ging zum Kofferraum. Es war noch genug Zeit  – nicht so viel, wie ihm unter den Umständen lieb war  –, aber es war noch Zeit.

Er hob zwei Koffer aus dem Kofferraum und machte sich auf den Weg zum Haus. Dann blieb er stehen und warf einen ersten richtigen Blick auf das, was die nächsten Wochen sein Zuhause sein würde.

Nun, es war entzückend, stellte er fest. Weder die Fotografien, die er studiert hatte, noch seine Erinnerung waren dem Cottage gerecht geworden. Es war früher weiß gewesen und ein bisschen vernachlässigt. Die gelbe Farbe passte ausgezeichnet, und die Blumenbeete, übersät von Frühlingsknopsen, schmückten es. Das war Mias Werk, nahm er an. Sie hatte immer schon einen ausgezeichneten Geschmack und klare Vorstellungen.

Sie hatte immer genau gewusst, was sie wollte.

Ein weiteres Hindernis für ihn.

Das Cottage lag malerisch, klein und privat, auf einem kleinen Eckgrundstück, das an ein Wäldchen anschloss, und war nah genug am Meer, dass man sein Geräusch durch die zartgrünen Bäume hören konnte. Es hatte den Vorteil ruhiger Einsamkeit und war gleichzeitig nicht weit vom Ort entfernt. Eine exzellente Investition, dachte Sam. Mia wusste das selbstverständlich auch.

Aus dem cleveren Mädchen, grübelte er beim Weitergehen, war eine clevere Frau geworden. Er setzte seine Koffer auf der Schwelle ab und zog den Hausschlüssel heraus.

Als er eintrat, fühlte er sich sofort willkommen von der angenehmen Atmosphäre. Komm rein, und fühl dich hier zu Hause, schien der Raum zu sagen. Es gab keine zurückgebliebenen Gefühle oder Energiestöße von vorhergehenden Bewohnern.

Das war ebenfalls Mias Werk, da war er sicher. Sie war schon immer eine sorgfältige Hexe gewesen.

Nachdem er seine Koffer auf den Boden gestellt hatte, machte er einen schnellen Rundgang. Das Wohnzimmer war sparsam, aber hübsch möbliert, und sorgfältig gespaltenes Holz lag im Kamin. Die Fußböden glänzten, und dünne Spitzenvorhänge umrahmten die Fenster. Ein weibliches Ambiente, dachte er, aber damit konnte er leben.

Es gab zwei Schlafzimmer, eins gemütlich, das andere … nun, er brauchte nur eins. Das Bad, geputzt und frisch, war auch nur eine kleine Schachtel, die einem groß gewachsenen Mann einige Probleme machen würde.

Die Küche an der Rückseite des Hauses würde seinen Bedürfnissen allerdings mehr als genügen. Er kochte nicht und beabsichtigte auch nicht, damit jetzt anzufangen. Er öffnete die Hintertür und sah noch mehr Blumenbeete, einen Kräutergarten, der bereits austrieb, und einen kleinen Rasen, der direkt in den Frühlingswald überging.

Er konnte die See hören und den Wind, und wenn er sich konzentrierte, das Geräusch eines Autos, das in Richtung Ort fuhr, Vogelgesang und das spielerische Bellen eines Hundes.

Er war allein, stellte Sam fest. Mit dieser Feststellung wich ein Teil der Spannung, die sich in seinen Schultern festgesetzt hatte, von ihm. Er hatte einfach nicht gewusst, wie sehr er sich nach Einsamkeit gesehnt hatte. Er hatte davon nicht allzu viel gehabt während der letzten Jahre.

Allerdings hatte er auch nicht sonderlich danach gestrebt. Er hatte seine Ziele verfolgt und bestimmte Dinge herausgefunden, und derartige Ambitionen gestatteten nicht den Luxus der Einsamkeit.

Er hatte nicht gewusst, dass sein Bedürfnis nach ruhigem Alleinsein so stark war, fast so stark wie sein Bedürfnis, Mia wiederzufinden. Einst hatte er beides, wann immer er es brauchte. Und einst hatte er beides weggeworfen. Die Insel, die er als junger Mann so schnell und überstürzt verlassen hatte, war dabei, es ihm zurückzugeben.

Er hätte es genossen, durch den Wald zu streifen oder runter zum Strand zu gehen. Oder, dachte er, zu dem alten Haus zu fahren, zu seinen Felsen, seiner Höhle, wo er und Mia … Er wischte diese Idee und diese Erinnerungen beiseite. Es war nicht die richtige Zeit für Sentimentalitäten.

Es gab praktische Dinge, um die er sich kümmern musste. Telefone, Faxgeräte, Computer. Der kleine Schlafraum müsste ausreichen als Zweitbüro, da er hauptsächlich im Hotel arbeiten würde. Er brauchte Vorräte  – und wusste, sobald er sie im Ort einkaufte, würde sich die Neuigkeit seiner Rückkehr in Windeseile verbreiten.

Das tangierte ihn aber nicht weiter.

Er betrat sein Haus, um auszupacken und sich einzurichten.

Gut meinende Freundinnen, dachte Mia, waren sowohl ein Segen als auch ein Fluch. Momentan saßen zwei von ihnen in ihrem Büro.

»Ich denke, du solltest ihn in den Arsch treten«, befand Ripley. »Das habe ich natürlich schon vor zehn Jahren gedacht.« Elf, korrigierte Mia im Stillen. Elf Jahre, aber wer zählt schon nach?

»Das würde ihn nur aufwerten.« Nell streckte ihre Nase in die Luft. »Sie tut besser daran, ihn zu ignorieren.«

»Du ignorierst keinen Blutegel.« Ripley bleckte ihre Zähne. »Du reißt ihn ab und zerstampfst ihn zu Matsch.«

»Was für eine hübsche Vorstellung.« Mia lehnte sich zurück hinter ihrem Schreibtisch und betrachtete ihre beiden Freundinnen. »Ich habe weder die Absicht, Sam in den Arsch zu treten, noch ihn zu ignorieren. Er hat einen Mietvertrag über sechs Monate für das Cottage, was mich zu seiner Vermieterin macht.«

»Du könntest ihm das heiße Wasser abstellen«, schlug Ripley vor.

Mias Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »So wunderbar kindisch  – und dennoch befriedigend  – das sein könnte, habe ich trotzdem nicht die Absicht, alberne Streiche zu spielen. Wenn ich das täte, würde ich das Wasser ganz abdrehen  – nicht nur das warme. Jedenfalls«, fuhr sie fort, als Ripley laut lachte, »er ist mein Mieter, und das bedeutet, dass er ein Anrecht auf alles hat, was im Vertrag steht. Das ist Geschäft und nichts anderes.«

»Warum zur Hölle mietet er überhaupt etwas auf den Drei Schwestern für sechs Monate?«, fragte Ripley.

»Offensichtlich ist er hier, um sich persönlich um das Magick Inn zu kümmern.«

Er hat es immer geliebt, grübelte Mia. Oder hatte es jedenfalls geglaubt. Trotzdem hatte er es im Stich gelassen, so wie er sie im Stich gelassen hatte.

»Wir sind beide erwachsen, beide Geschäftsleute, beide Insulaner. Und obgleich es eine kleine Welt hier ist, denke ich, dass wir beide unsere Geschäfte tätigen können, unser Leben leben und uns gegenseitig ertragen können, ohne viel Aufhebens darum zu machen.«

Ripley schnaubte. »Wenn du das glaubst, bist du im Irrtum.«

»Ich lasse ihn nicht wieder in mein Leben.« Mias Stimme wurde schärfer. »Und ich lasse mir mein Leben nicht durcheinanderbringen, weil er hier ist. Ich wusste immer, dass er zurückkommen würde.«

Bevor Ripley etwas sagen konnte, warf Nell ihr einen warnenden Blick zu. »Du hast recht, natürlich. Und da die Saison bald beginnt, werdet ihr beide so viel zu tun haben, dass ihr euch nicht in die Quere kommen werdet. Warum kommst du nicht heute Abend zum Essen? Ich probiere ein neues Rezept aus und könnte ein fachmännisches Urteil gebrauchen.«

»Das bekommst du von Zack. Es gibt keinen Grund, mich zu bemuttern und zu betüteln, kleine Schwester.«

»Warum gehen wir nicht alle aus, betrinken uns und hetzen über Männer im Allgemeinen?«, haute Ripley in dieselbe Kerbe. »Das macht immer Spaß.«

»So verlockend das klingt, ich muss passen. Ich habe einiges zu erledigen zu Hause, wenn ich meine Arbeit hier beendet habe.«

»Sie möchte uns loswerden«, teilte Ripley Nell mit.

»Das ist bei mir angekommen.« Nell seufzte. Es war hart, dachte sie, wenn man so gerne helfen wollte und nicht wusste, wie. »In Ordnung, aber wenn es irgendetwas gibt, was du brauchst oder möchtest …«

»Ich weiß. Mir geht es gut, und ich werde dafür sorgen, dass das so bleibt.«

Sie geleitete sie hinaus, und dann setzte sie sich, legte ihre Hände in ihren Schoß und saß einfach nur da. Sie hatte sich selbst belogen, indem sie sich einredete, arbeiten zu müssen, oder sich einredete, sie könnte diesen speziellen Tag betrachten wie jeden anderen.

Sie hatte ein Recht darauf, zu rasen und zu weinen, dem Schicksal ins Gesicht zu spucken und mit ihren Fäusten zu traktieren.

Aber sie würde nichts dergleichen tun, nichts derlei Nutzloses. Sie würde trotzdem nach Hause gehen. Sie stand auf, griff nach ihrer Handtasche und dem leichten Jackett, das sie heute angezogen hatte. Und als sie an ihrem Fenster vorbeiging, sah sie ihn.

Er stieg aus einem schicken, schwarzen Ferrari, sein schwarzer Mantel umhüllte ihn. Er hatte immer schon hübsche Spielzeuge gemocht, dachte sie. Er hatte seine Jeans gegen einen dunklen Anzug getauscht. Er hatte sein Haar gekämmt, obgleich der Wind es schon wieder zerzauste. Wie früher ihre Finger.

Er trug einen Aktenkoffer und ging auf das Magick Inn zu, wie ein Mann, der genau wusste, wohin er wollte und was er wollte.

Dann drehte er sich um und richtete seinen Blick unfehlbar auf die Stelle, wo sie stand. Seine Augen hielten ihre fest, und sie fühlte den Ruck, den Hitzestoß, der früher ihre Knie zum Wackeln gebracht hatte.

Aber dieses Mal stand sie aufrecht und unbeweglich. Nach geraumer Weile, als ihr Stolz es zuließ, trat sie zurück vom Fenster und aus seinem Blickfeld.

Ihr Haus tat ihr wohl. Hatte es immer getan. Im Prinzip war das weitläufige Haus auf den Klippen zu groß für eine Frau. Aber es war, das wusste sie, genau das Richtige für sie. Schon als sie noch ein Kind war, gehörte das Haus mehr ihr als ihren Eltern. Ihr hatten die vielen Echos, das gelegentlich Zugige oder die viele Zeit, die die Pflege eines Hauses dieser Größe und dieses Alters in Anspruch nahm, nie etwas ausgemacht.

Ihre Vorfahren hatten es erbaut, und nun gehörte es ihr allein. Sie hatte wenig geändert, seit sie sich allein um das Haus kümmerte. Die Möblierung hier und da, einige Farben, einige notwendige Modernisierungen in der Küche und den Bädern. Aber es fühlte sich an, als ob das Haus schon immer zu ihr gehörte. Beschützend, warm, erwartend.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sich vorgestellt hatte, hier eine Familie zu gründen. Gott, wie sehr hatte sie sich Kinder gewünscht. Sams Kinder. Aber im Laufe der Jahre hatte sie, akzeptiert, was war und was nicht war, und sich ein warmes Nest gebaut.

Manchmal dachte sie an ihre Gärten als ihre Kinder. Sie hatte sie geschaffen, hatte sich die Zeit genommen, sie zu pflanzen, zu ernähren, zu erziehen. Und sie hatten ihr Freude geschenkt.

Und wenn sie mehr brauchte als das sanfte Vergnügen, das sie bereiteten, hatte sie die Leidenschaft und das Drama ihrer Klippen, oder die Geheimnisse und Schatten ihres Waldes.

Sie hatte, versicherte Mia sich selbst, alles, was sie brauchte. Und dennoch dachte sie jetzt nicht daran, sich an ihren Blumen zu erfreuen oder die See von den Klippen aus zu betrachten. Sie wanderte auch nicht in ihren Wald. Stattdessen ging sie direkt nach oben, ständig weiter treppauf, bis sie im Turmzimmer war.

Hierher hatte sie sich schon als Kind zurückgezogen, hier war ihre Zuflucht, und hier hatte sie ihre Entdeckungen gemacht. Hier hatte sie sich noch nie allein gefühlt, es sei denn, sie wollte sich so fühlen. Hier hatte sie gelernt, ihre strahlende Macht zu disziplinieren.

Die Wände waren rund und die Fenster hoch, eng und gebogen. Die späte, blassgoldene Nachmittagssonne fiel

Die Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Face the Fire« bei Jove Books, The Berkley Publishing Group, a division of Penguin Putnam Inc., New York

1. Auflage Taschenbuchausgabe September 2011 bei Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe

2002 by Nora Roberts Published by arrangement with Eleanor Wilder Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2002 by Wilhelm Goldmann Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Umschlaggestaltung: © Artwork HildenDesign, München unter Verwendung von Motiven von iStockphoto

LH · Herstellung: sam Satz: Uhl + Massopust, Aalen

eISBN 978-3-641-09915-2

www.blanvalet.de

www.randomhouse.de

Leseprobe