Im Schutz der Nacht - Nora Roberts - E-Book

Im Schutz der Nacht E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Ein Gentleman-Gauner trifft auf die Liebe seines Lebens – doch ein gefährlicher Auftraggeber droht ihm alles zu nehmen ... Der neue große Roman von Nora Roberts!

Harry Booth ist ein Kind, gerade einmal neun, da erkrankt seine Mutter schwer an Krebs. Um die hohen Arztrechnungen begleichen zu können, greift er zu ungewöhnlichen Mitteln: Er bricht im Schutze der Nacht in die leerstehenden Häuser der Reichen ein. Harry erweist sich als ebenso klug wie talentiert, und er schätzt den Adrenalinrausch bei seinen Abenteuern. Jahre später erliegt seine geliebte Mutter dem Krebs, und Harry verlässt seine Heimat. Schon längst versteht er sich als Dieb mit festen Regeln: niemals Aufsehen erregen, niemals lange bleiben, nur von denen nehmen, die es sich leisten können.

Bis er auf Miranda Emerson trifft und über die Liebe zu ihr alle Vorsicht vergisst. Ausgerechnet jetzt spürt ihn Carter LaPorte auf, ein früherer Auftraggeber. Er sieht in Harry nur ein äußerst nützliches Werkzeug, das er mit allen Mitteln gefügig machen darf. Harry weiß, wie wenig Zeit ihm und Miranda bleibt, bevor LaPorte skrupellos Jagd auf sie machen wird. Er trifft eine einsame Entscheidung ...

Jeder Roman ein Bestseller! Lesen Sie auch »Nach dem Sturm« und »Am dunkelsten Tag«.

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Seitenzahl: 739

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Buch

Harry Booth ist ein Kind, gerade einmal neun, da erkrankt seine Mutter schwer an Krebs. Um die hohen Arztrechnungen begleichen zu können, greift er zu ungewöhnlichen Mitteln: Er bricht im Schutze der Nacht in die leer stehenden Häuser der Reichen ein. Harry erweist sich als ebenso klug wie talentiert, und er schätzt den Adrenalinrausch bei seinen Abenteuern. Jahre später erliegt seine geliebte Mutter dem Krebs, und Harry verlässt seine Heimat. Schon längst versteht er sich als Dieb mit festen Regeln: niemals Aufsehen erregen, niemals lange bleiben, nur von denen nehmen, die es sich leisten können.

Bis er auf Miranda Emerson trifft und über die Liebe zu ihr alle Vorsicht vergisst. Ausgerechnet jetzt spürt ihn Carter LaPorte auf, ein früherer Auftraggeber. Er sieht in Harry nur ein äußerst nützliches Werkzeug, das er mit allen Mitteln gefügig machen darf. Harry weiß, wie wenig Zeit ihm und Miranda bleibt, bevor LaPorte skrupellos Jagd auf sie machen wird. Er trifft eine einsame Entscheidung …

Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

Von Nora Roberts bereits erschienen (Auswahl)

Nach dem Sturm · Am dunkelsten Tag · Die Stunde der Schuld · Ein dunkles Geschenk· ·Die letzte Zeugin · Im Schutz der WälderBesuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlagund www.facebook.com/blanvalet.

Nora Roberts

Im Schutz der Nacht

Roman

Deutsch von Margarethe van Pée

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Nightwork« bei St. Martin’s Press, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2022 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: René Stein

Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de

Umschlagmotive: © www.buerosued.de; mauritius images/Alamy/ Images By T.O.K.

BSt · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-30224-5V001

www.blanvalet.de

Für Jason und Kat, meine Theater-Kinder

TEIL I DER JUNGE

Der Wille eines Jungen ist wie der Wind, und die Gedanken der Jugend sind lang, so lang.

Henry Wordsworth Longfellow

Jeder kann den Schmerz bemeistern, nur der nicht, der ihn fühlt.

William Shakespeare

1

Mit neun Jahren, als seine Mutter zum ersten Mal mit dem tödlichen Krebs rang, wurde er zum Dieb. Damals sah er es nicht als Wahl, als Abenteuer oder als Kick – obwohl er all dies später genau so empfand. Als Junge war Stehlen für Harry Booth gleichbedeutend mit Überleben.

Sie mussten essen, die Hypothek und die Arztrechnungen bezahlen und Medikamente kaufen, obwohl seine Mutter zu krank war, um zu arbeiten. Sie tat ihr Bestes, das tat sie immer, und zwang sich aufzustehen, auch wenn ihr die Haare büschelweise ausfielen und sie so viel abnahm, dass sie nur noch ein dünnes Klappergestell war.

Das kleine Unternehmen, das sie mit ihrer Schwester aufgebaut hatte, seiner verrückten Tante Mags, konnte die unvorstellbar hohen Kosten für die Krebsbehandlung und die Medikamente, die in den Körper seiner Mutter gepumpt wurden, nicht tragen. Seine Mutter war die Seele vom Funkelschwestern-Reinigungsdienst, und obwohl Harry an den Wochenenden einsprang, gingen Kunden verloren.

Keine Kunden, kein Einkommen. Kein Einkommen, da musste man das Geld für die Hypothek des gemütlichen kleinen Hauses in Chicagos West Side anderswo herholen.

Ihr Haus war nicht besonders groß, aber es gehörte ihnen – und der Bank. Seine Mutter hatte immer pünktlich ihre Raten gezahlt, bis sie krank wurde. Doch das war den Banken egal, sobald man nur ein einziges Mal im Rückstand war.

Alle wollten Geld von ihnen, und wenn man es nicht rechtzeitig bezahlte, kam immer noch mehr dazu. Wenn man eine Kreditkarte hatte, konnte man Dinge wie Medikamente und Schuhe kaufen – seine Füße wurden immer größer –, aber daraus entstanden immer noch mehr Rechnungen und Zinsen und so was. Nachts, wenn sie glaubte, er schliefe, hörte er seine Mutter weinen.

Er wusste, dass Mags half, so gut sie konnte. Sie arbeitete hart, um die Kundschaft zu halten, und sie bezahlte einige Rechnungen oder Verzugszinsen aus ihrer eigenen Tasche. Aber es reichte einfach nicht.

Mit neun lernte er, das Wort Zwangsvollstreckung hieß, dass man auf der Straße saß. Und das Wort Pfänden bedeutete, dass Leute einem das Auto einfach so wegnehmen konnten.

Und so lernte er mit neun Jahren, dass es den Männern in Anzug und Krawatte mit den Aktentaschen völlig egal war, dass seine Mutter sich immer an alle Regeln gehalten hatte.

Er war geschickt im Taschendiebstahl. Seine verrückte Tante Mags hatte ein paar Jahre in einem Wanderzirkus verbracht und ein paar Tricks gelernt. Sie hatte sie ihm wie ein Spiel beigebracht.

Er war gut, verdammt gut darin und wusste dieses Talent zu nutzen. Seine Mutter hatte ihm zwar sorgfältig vermittelt, was richtig und was falsch war, aber ihm sagte das nicht viel, wenn sie sich nach der Chemo im Badezimmer erbrach oder sich einen Schal um den kahlen Kopf schlang und in irgendein vornehmes Haus an der Küste zum Putzen ging.

Er machte den Leuten in den schicken Häusern, den eleganten Penthouse-Wohnungen oder den glänzenden Bürogebäuden keinen Vorwurf. Sie hatten einfach mehr Glück im Leben als seine Mom.

Er fuhr mit dem Zug, wanderte durch die Straßen, suchte sich seine Opfer aus. Er hatte ein gutes Auge dafür. Die sorglosen Touristen, der Typ, der bei der Happy Hour ein Glas zu viel getrunken hatte, die Frau, die zu sehr mit ihren Textnachrichten beschäftigt war, um auf ihre Handtasche zu achten.

Er sah nicht aus wie ein Dieb, der dünne, kleine Junge, der noch wachsen musste, mit seinem lockigen braunen Haarschopf und den großen blauen Augen, die so unschuldig dreinblicken konnten.

Er konnte sein Lächeln strahlend aufblitzen lassen oder schüchtern unter gesenkten Lidern blinzeln. Manchmal verbarg er seine Haare unter einer Baseballkappe (dann sah er aus wie ein kleiner Depp), oder er bändigte sie so, als ginge er auf eine Privatschule.

In einer Zeit, in der seine Mutter zu krank war, um mitzubekommen, was los war, wurde die Hypothekenrate bezahlt – Mags fragte nicht; er sagte nichts –, und das Licht blieb an. Und er hatte trotzdem noch genug Geld, um durch die Secondhandläden zu streifen und sich seine »Garderobe« zusammenzustellen.

Ein alter Schulblazer, eine Stoffhose, ein verwaschenes Bears-Sweatshirt. Er nähte Beutel und Taschen in einen Wintermantel aus zweiter, vielleicht sogar aus dritter Hand.

Und er kaufte sich sein erstes Set Dietriche.

Er sorgte dafür, dass seine Noten gut blieben. Er war intelligent und wissbegierig, lernte, machte seine Hausaufgaben und hielt sich von Problemen fern. Er dachte über ein eigenes Geschäft nach – bezahlte Aufträge für andere übernehmen. Doch Harry wusste, dass die meisten Kinder Plappermäuler waren.

Also trainierte er mit seinen Dietrichen und benutzte den Computer in der Bibliothek, um alles über Sicherheits- und Alarmsysteme zu lernen.

Dann ging es seiner Mutter besser. Sie war zwar immer noch blass und dünn, aber sie wurde zunehmend kräftiger. Die Ärzte nannten es Remission.

Das wurde sein Lieblingswort.

In den nächsten drei Jahren war das Leben wieder fast normal. Er beging immer noch Taschendiebstähle. Er klaute in Geschäften, war aber stets sehr vorsichtig – nichts, was zu teuer war oder man wiedererkennen würde. Er hatte eine nette Vereinbarung mit einem Pfandleihhaus auf der South Side getroffen.

Sie mussten sich durch einen Berg von Rechnungen wühlen – und das Geld, das er mit Nachhilfeunterricht verdiente, reichte bei Weitem nicht aus.

Außerdem hatte er Geschmack daran gefunden.

Seine Mutter und Mags bauten ihr Geschäft wieder auf, und drei Sommer lang putzte und schrubbte Harry in Häusern und Ladenlokalen.

Ein junger Mann mit einem Auge für die Zukunft.

Und als der Schuldenberg zu einem Hügel zusammengeschmolzen war, als die Sorge aus den Augen seiner Mutter gewichen war, kam der Krebs erneut zurück.

Zwei Tage nach seinem zwölften Geburtstag brach Harry in sein erstes Haus ein. In dem Moment, als er in der stillen Dunkelheit stand, lösten sich die Angst, erwischt und ins Gefängnis geworfen zu werden, und der Gedanke, dass dieses Trauma zusammen mit dem Krebs die Mutter umbringen würde, in Wohlgefallen auf.

Als er Jahre später auf diesen Moment zurückblickte, verstand er, dass dies der Moment gewesen war, in dem er seine Bestimmung gefunden hatte. Vielleicht keine gute Bestimmung, keine, die gesellschaftlich akzeptabel war, aber es war seine.

Da stand er, ein großer Junge, jetzt, wo er endlich den ersehnten Wachstumsschub hinter sich gebracht hatte, und blickte aus dem großen Fenster auf den See, der im Mondlicht schimmerte. Es roch nach Rosen, Zitronen und nach Freiheit.

Nur er wusste, dass er hier war. Er konnte alles anfassen, nehmen, was er wollte.

Er kannte den Markt für elektronische Geräte, für Silber, für Schmuck – aber der teure Schmuck würde im Tresor liegen, und wie man einen Safe knackte, hatte er bisher noch nicht herausgefunden. Doch das würde er noch, gelobte er sich.

Er hatte weder die Zeit noch die Fähigkeit, all die glänzenden Dinge wegzuschaffen.

Am liebsten wollte er nur dastehen und darin schwelgen, aber schließlich zwang er sich zum Arbeiten.

Die meisten Leute, so hatte er gelernt, dachten sich überhaupt nichts dabei, wenn sie in Anwesenheit der Putzfrau tratschten. Vor allem dann nicht, wenn diese Putzfrau ein zwölfjähriger Junge war, der den Küchenboden schrubbte, während die Hausbesitzerin und ihre Nachbarin im Esszimmer bei einem Kaffee ihr nächstes wohltätiges Ereignis planten.

Und so hatte Harry, der mit gesenktem Kopf und gespitzten Ohren fleißig weitergearbeitet hatte, von der Briefmarkensammlung erfahren, die der Mann der Nachbarin jener Kundin besaß.

Sie hatte darüber gelacht.

»Er ist völlig besessen davon, seit er letztes Jahr die Sammlung seines Onkels geerbt hat. Kannst du dir vorstellen, dass er gerade fünftausend für ein einziges von diesen Dingern ausgegeben hat?«

»Für eine Briefmarke?«

»Das ist noch gar nichts. Im Arbeitszimmer, wo er sie aufbewahrt, hat er Temperatur- und Feuchtigkeitsmesser installieren lassen. Über seinen Onkel hat er damals immer Witze gemacht, und jetzt ist er selber so. Ständig ist er auf Auktionen und Websites unterwegs, um seine eigenen Alben aufzufüllen. Na ja, es ist eine Investition, und das ist ja auch in Ordnung so. Ich meine, was kümmert es mich, wenn er seine blöden Briefmarken im Schreibtisch aufbewahrt? Im Moment sucht er nach Auktionen und Händlern in Rom, damit er sich dort umschauen kann, wenn wir nächsten Monat dorthin fahren.«

»Lass ihn nur nach Briefmarken schauen«, riet die Kundin ihr. »Du kannst in der Zwischenzeit Schuhe kaufen.«

Harry nahm das alles auf, hielt es für ein freundliches Zeichen des Universums, als die Freundin davon sprach, dass sie die Kisten für die Veranstaltung noch ins Auto laden müsse.

Unschuldig näherte er sich dem Esszimmer. »Entschuldigung, Ms. Kelper, ich bin in der Küche fertig. Äh, brauchen Sie noch Hilfe, beim Tragen oder so?«

»Eigentlich … Alva, das ist Harry. Harry, Ms. Finkle könnte jemanden mit starken Armen gebrauchen.«

Er grinste und spannte seinen Bizeps an. »Ich kann Ihnen gerne helfen, bevor ich zu meiner Tante ins obere Stockwerk gehe.«

Also ging er mit Ms. Finkle zu dem großen, schönen Haus nebenan, mit der wunderschönen Aussicht auf den See.

Als sie es betraten, konnte er aus nächster Nähe die Alarmanlage begutachten. Kein Hund, stellte er fest. Das war immer von Vorteil.

»Äh, ziehen Sie um, Ms. Finkle?«

»Was?« Sie warf ihm einen Blick zu, während sie die große Eingangshalle durchquerten. »Oh, die Kisten. Nein, wir haben eine Wohltätigkeitsveranstaltung, eine stille Auktion, und ich muss die Sachen zusammentragen.«

»Das ist echt nett von Ihnen.«

»Wir müssen für die Leute, die weniger vom Glück begünstigt sind, tun, was wir können.«

Da sagst du was, dachte Harry, während er gleichzeitig die offene Architektur aufnahm. Jetzt bogen sie nach links ab. Hinter ihnen lagen zweiflüglige Glastüren zum Arbeitszimmer des Mannes, der gerade dabei war, Kisten herauszutragen und sie hinten in dem glänzenden weißen Mercedes-SUV zu verstauen.

Und obwohl er es gerne genommen hätte – er konnte es gut brauchen –, lehnte er die fünf Dollar Trinkgeld ab.

»Es ist doch für einen wohltätigen Zweck«, sagte er. »Aber trotzdem danke.«

Dann ging er wieder an die Arbeit und verbrachte den restlichen sonnigen Sommermorgen mit den Händen in heißem Seifenwasser.

Er und Mags schwiegen während der Zugfahrt nach Hause, denn heute war Chemo-Tag, und Mags meditierte und umklammerte einen ihrer magischen Steine, um gute Schwingungen oder so etwas in der Art heraufzubeschwören.

Und dann begleiteten sie seine Mutter mit ihrem bonbonrosa Tuch um den Kopf am besten und am schlimmsten Tag zum Krankenhaus.

Es war der beste Tag, weil die Krankenschwester – Harry mochte sie lieber als den Arzt – sagte, seiner Mutter ginge es besser. Und der schlimmste Tag, weil es ihr nach der Behandlung schlecht gehen würde.

Er saß bei ihr und las ihr laut aus dem Buch vor, das sie das C-Tag-Buch nannten. Sie hielt die Augen geschlossen, während die Maschine die Medizin in sie hineinpumpte, aber er konnte sie zum Lächeln, sogar ein bisschen zum Lachen bringen, wenn er die einzelnen Figuren mit unterschiedlichen Stimmen las.

»Du bist der Beste, Harry.«

Sie murmelte es, während Mags im Schneidersitz zu ihren Füßen auf dem Boden saß. Dabei stellte sie sich vor, so sagte sie ihnen, dass strahlend weißes Licht den Krebs auflöste.

Wie immer am bestenschlimmsten Tag bereitete Mags ein Abendessen zu, dem sie heilende Fähigkeiten zusprach, das aber fast noch schlimmer roch, als es schmeckte. Sie brannte Räucherkerzen ab, hing Kristalle auf und redete über Geistführer und so. Aber so verrückt sie auch war, sie blieb am Chemo-Tag immer über Nacht und schlief auf der Luftmatratze neben dem Bett ihrer Schwester auf dem Boden.

Und auch, wenn sie vielleicht mitbekam, wie oft sich Harry aus dem Haus stahl, sie redete nie darüber. Und wenn sie sich fragte, woher die zusätzlichen hundert Dollar auf einmal kamen: Sie fragte nie.

Jetzt stand er in dem Haus der Finkles mit Blick auf den See in der atemlosen Stille. Geräuschlos huschte er hindurch, aber es hätte auch niemand gehört, wenn er zu der zweiflügligen Glastür hingetrampelt wäre. Im Arbeitszimmer roch es schwach nach Rauch und Kirschen. Zigarren, dachte Harry, als er den Humidor auf dem breiten, mit Schnitzereien verzierten Schreibtisch entdeckte.

Neugierig hob er den Deckel und schnupperte daran. Er nahm eine Zigarre heraus und tat so, als paffe er sie. Ach, was soll’s, dachte er – er war schließlich schon zwölf – und steckte sie in seinen Rucksack.

Dann setzte er sich auf den hochlehnigen Schreibtischsessel aus dunkelrotem Leder, drehte sich hin und her und runzelte die Stirn, wie es in seiner Vorstellung ein reicher Mann bei einer Sitzung machen würde.

»Ihr seid alle gefeuert!« Er stach mit dem Finger in die Luft und stieß ein kurzes, schnaubendes Lachen aus.

Dann machte er sich an die Arbeit.

Er hatte mit einer geschlossenen Schublade gerechnet, aber Finkle hielt sein Haus offensichtlich für so sicher, dass er es nicht für nötig befand.

Harry fand die Alben – vier insgesamt – und blätterte sie im Schein seiner Taschenlampe durch.

Er würde sie nicht alle mitnehmen. Es kam ihm nicht fair vor, und es würde auch viel zu lange dauern, sie zu Geld zu machen. Aber er hatte sich in den letzten drei Wochen viel mit Briefmarken beschäftigt.

Finkle sammelte seine Briefmarken auf schwarzem, säurefreiem Papier, das in Klarsichthüllen steckte. Er hatte Pinzetten, aber Harry wollte es nicht riskieren, sie anzufassen. Ohne Übung und Erfahrung konnte er eine Briefmarke zerreißen oder beschädigen und dadurch ihren Wert verringern.

Auf den meisten Blättern waren vier Briefmarken waagerecht und sechs senkrecht. Er suchte sich eines aus dem ersten Album aus und legte es vorsichtig in die Mappe, die er mitgebracht hatte.

Ein Blatt aus jedem Album erschien ihm richtig, deshalb legte er das erste Album wieder zurück und schlug das zweite auf. Er ließ sich Zeit, und da Finkle in jedem Album auf einem losen Blatt alle Briefmarken und ihren Wert notiert hatte, fiel ihm die Entscheidung nicht schwer.

Er hatte gerade das Blatt aus dem letzten Album ausgesucht, als auf der anderen Seite der Glastür das Licht anging.

Jemand war im Haus. Jemand außer ihm.

Ein anderer Einbrecher. Ein Erwachsener. Drei Erwachsene. Mit Gewehren.

Sie stürmten durch seinen Kopf, drei in Schwarz gekleidete Männer, die ihre Knarren auf ihn richteten. Vielleicht hatten sie es gar nicht auf die Briefmarken abgesehen. Vielleicht wussten sie gar nichts von ihnen.

Doch, natürlich wussten sie Bescheid, und sie würden hereinkommen. Sie würden ihn finden, ihn erschießen und ihn in einem Loch vergraben.

Er versuchte, sich kleiner zu machen, stellte sich vor, er sei unsichtbar. Und er dachte an seine Mutter, die vor lauter Kummer immer kränker werden würde.

Er musste hier verschwinden, irgendwie an ihnen vorbeikommen oder ein besseres Versteck finden. Er begann, bis drei zu zählen. Bei drei würde er unter dem Schreibtisch hervorkrabbeln.

Die laute Musik ließ ihn zusammenzucken, und er knallte mit dem Kopf so fest an die Unterseite der Schreibtischplatte, dass er Sterne sah.

Während sich vor seinen Augen alles drehte, sagte er innerlich jedes verbotene Wort, das er kannte. Zweimal.

Die zweite Runde richtete er an sich selbst, weil er so blöd gewesen war.

Einbrecher machten nicht das Licht an, und sie stellten auch die Musik nicht so laut.

Okay, jemand war im Haus, aber es war keine Diebesbande mit Gewehren, um ihn zu erschießen.

Vorsichtig – zumal seine Hände immer noch ein bisschen zitterten – legte er das Blatt in die Mappe und packte sie in seinen Rucksack.

Er kroch unter dem Schreibtisch hervor und bewegte sich vom Licht weg, wobei er die Glastür fest im Auge behielt. Dabei entdeckte er einen Typen – älter als er, aber noch nicht alt – in Boxer-Shorts.

Er stand in der Küche und goss etwas, was wie Wein aussah, in zwei Gläser. Fast hatte er es in die Schatten geschafft, als das Mädchen in sein Blickfeld tanzte.

Sie war in Unterwäsche. Ein Spitzen-BH und so einen Tanga – wie in dem Katalog von Victoria’s Secret, den die Mom seines Freundes Will per Post bekam. Wann immer Will und er die Gelegenheit dazu hatten, schauten sie sich die Fotos an.

Ihre Wäsche war hellrot, und er konnte deutlich ihren Hintern sehen. Völlig unbedeckt. Ihre Brüste quollen über den Rand des BHs und wackelten, während sie Schultern und Hüften im Rhythmus zur Musik bewegte.

Wenn sie zur Tür geblickt hätten, hätten sie ihn gesehen, aber er konnte sich nicht rühren. Er war zwölf und ein Junge, und der Anblick ließ ihn zur Salzsäule erstarren.

Sie hatte lange schwarze Haare. Lange schwarze Haare, die sie hochhob und wieder fallen ließ, als sie das Weinglas ergriff. Sie trank einen Schluck und tanzte dabei auf den Typen zu. Auch er tanzte, aber Harry nahm ihn nur verschwommen wahr.

Er sah nur das Mädchen.

Sie griff mit einer Hand nach hinten und öffnete den BH. Als er herunterfiel, pochte jeder Tropfen Blut in Harrys Körper in seinen Lenden.

Er hatte noch nie in echt die Brüste eines Mädchens gesehen. Und sie waren toll.

Sie wippten und wogten im Takt der Musik.

Er hatte seinen ersten, aufsehenerregenden Orgasmus zu Dance, Dance von den Fall Out Boys.

Beinahe fürchtete er, die Augen würden ihm aus dem Kopf fallen. Er fürchtete, sein Herz bliebe stehen. Und am liebsten wäre er für den Rest seines Lebens auf dem glänzenden Parkettboden liegen geblieben.

Aber jetzt stürzte sich der Typ auf einmal auf das Mädchen, und das Mädchen stürzte sich auf den Typen. Sie machten alles Mögliche, und er zog ihr den Tanga herunter.

Und, Jesus, jetzt war sie ganz nackt. Er hörte, wie sie über der Musik Sex-Laute von sich gab.

Und dann lagen sie auf dem Fußboden, und sie taten es. Sie taten es! Direkt vor seiner Nase, das Mädchen oben.

Er hätte schrecklich gerne zugeguckt, mehr als alles andere in der Welt. Aber der Dieb im Jungen wusste, dass er genau jetzt abhauen musste. Er musste verschwinden, während sie zu beschäftigt waren, um es zu bemerken.

Er öffnete leise die Tür, kroch auf dem Bauch hindurch und schob sie mit dem Fuß hinter sich zu.

Das Mädchen sang jetzt beinahe: »Terry, o Gott, Terry!«

Harry richtete sich auf alle viere auf, holte tief Luft und rannte zur Haustür. Als er hinausschlüpfte, hörte er sie noch vor Ekstase schreien.

Den Marsch zum Zug nutzte er dazu, um jeden Moment noch einmal im Kopf zu durchleben.

Er verkaufte die Briefmarken an einen Hehler für zwölftausend Dollar. Er wusste, dass er mehr bekommen hätte, wenn er besser Bescheid gewusst hätte. Und wenn er kein Kind gewesen wäre. Aber zwölftausend Dollar waren ein Vermögen. Und es war viel zu viel Geld, um es in seinem Zimmer zu verstecken.

Er musste zu seiner verrückten Tante Mags gehen.

Er wartete, bis sie alleine waren. Seine Mom bestand immer darauf mitzuhelfen, aber sie konnte nur leichte Reinigungsarbeiten in einem Haus pro Tag durchführen, und an den Donnerstagen hatten sie zwei Häuser.

Er half Mags dabei, die Bettwäsche in der eleganten Wohnung des alleinlebenden Mannes abzuziehen. Der Regen peitschte schon den ganzen Tag an die Fenster. Mags ließ während der Arbeit auf der Stereoanlage des Kunden irgendeine blöde New-Age-Musik laufen.

Sie trug ein T-Shirt mit einem lila-grünen Batikmuster. Ihre Haare, seit Kurzem dunkelbraun gefärbt, hatte sie mit einem grünen Tuch zurückgebunden. An ihren Ohren baumelten tropfenförmige Halbedelsteine, und um den Hals trug sie einen Rosenquarz-Anhänger – für Liebe und Harmonie.

»Ich möchte ein Bankkonto eröffnen.« Er blickte sie an. Sie legte die zusammengefaltete Bettwäsche gerade in den Korb. Ihre Augen waren so blau wie seine und die seiner Mutter, aber heller und verträumter.

»Warum das denn, Kumpel?«

»Darum.«

»Oh, oh.«

Sie entfaltete das Bettlaken, und gemeinsam zogen sie es glatt, damit es auf das Bett passte.

Harry wusste, dass sie sonst nichts mehr sagen würde, außer dem »Oh, oh«, das sich endlos dehnte.

»Ich bin fast dreizehn und habe ein bisschen Geld gespart, deshalb möchte ich ein Bankkonto haben.«

»Wenn das so wäre, dann solltest du darüber mit deiner Mom sprechen und nicht mit mir.«

»Ich will sie nicht damit belästigen.«

»Oh, oh.«

Sie wiederholten den Prozess mit dem oberen Laken.

»Ein Erwachsener muss mich dahin begleiten und wahrscheinlich unterschreiben.«

»Wie viel Geld?«

Wenn sie mit ihm zur Bank ging, würde sie es sowieso erfahren, also blickte er ihr fest in die Augen. »Fast fünfzehntausend.«

Sie erwiderte seinen Blick. Der kleine blaue Stein an ihrem Nasenflügel glitzerte.

»Willst du mir erzählen, woher du so viel Geld hast?«

»Ich habe Nachhilfe gegeben und verschiedene Jobs gemacht, unter anderem Häuser geputzt. So viel gebe ich ja schließlich nicht aus.«

Sie wandte sich ab, um die Bettdecke, so schwarz wie die Nacht und so weich wie eine Wolke, zu nehmen. Und schon wieder sagte sie: »Oh, oh.«

»Es ist mein Geld, und ich kann davon ein paar Rechnungen bezahlen und die monatliche Rate. Wir kriegen schon wieder ständig Mahnungen, und ein Mann war an der Tür – von einem Inkassounternehmen. Sie hat mich in mein Zimmer geschickt, aber ich habe genug gehört.«

Mags nickte, während sie die Bettdecke aufs Bett schweben ließ. Dann begann sie, die Kissen zu beziehen.

»Du bist ein guter Sohn, Harry, und du wirst in dieser Angelegenheit nicht zu Dana gehen, weil sie sich nicht darauf einlassen würde. Sie würde viel zu viele Fragen stellen, aber ich habe auch ein paar, bevor wir uns einig werden.«

»Okay.«

»Hast du jemanden getötet oder verletzt, um an das Geld zu kommen?«

»Nein.« Aufrichtig geschockt sah er sie an. »Mann!«

Sie arrangierte die Kissen auf dem Bett. »Dealst du mit Drogen – und wenn’s nur Marihuana ist, Harry?«

Er wusste, dass Mags Pot rauchte, wenn sie welches bekommen konnte, aber darum ging es hier nicht. »Nein.«

Sie bedachte ihn mit einem langen Blick aus ihren verträumten Augen. »Verkaufst du dich selber, Schätzchen? Sex?«

Er riss den Mund auf. »Grundgütiger! Nein! Das ist ja … Nein!«

»Gut. Da bin ich aber erleichtert. Du bist so ein hübscher Junge. Darauf stehen einige, deshalb habe ich mir ein bisschen Sorgen gemacht. Meinst du, ich hätte nicht gemerkt, dass du dich nachts aus dem Haus schleichst?« Sie brachte die Zierkissen zum Bett. »Ich hatte gehofft, du hättest ein Mädchen oder würdest dich mit deinen Freunden treffen.« Sie musterte ihn und spielte dabei mit ihrem Kristall. »Was auch immer du tust, du tust es für deine Mutter. Ich liebe sie genauso wie du.«

»Ich weiß.«

»Keine Ahnung, warum das Universum diesen Schatten auf sie wirft, und eigentlich bin ich auch kein großer Fan von der These, dass nur Geld glücklich macht. Aber bei ihr ist das so. Sie macht sich viel zu viel Sorgen um die Rechnungen.«

Mags trat einen Schritt zurück und betrachtete die Bett-Landschaft. Sie nickte zustimmend.

»Du brauchst kein reguläres Bankkonto. Was du brauchst, ist ein Investmentfonds. Geld wird zu Geld, das ist die traurige Wahrheit.«

Mags hatte mit Sicherheit ein paar abgefahrene Ideen, aber Harry wusste auch, dass sie sich von niemandem über den Tisch ziehen ließ. Also hörte er aufmerksam zu.

»Ein Investmentfonds?«

»Hast du vor … noch mehr zu sparen?«

»Ja. Es sind ja nicht nur die Rechnungen. Als der Typ letztens die Heizung repariert hat, hat er gesagt, noch mal ginge das nicht, und wir würden diesen Winter ganz bestimmt eine neue brauchen.«

»Investmentfonds. Ich hatte mal einen Freund, der in der Branche gearbeitet hat. Er war mir zu normal, als das was aus uns hätte werden können, aber er kann uns beraten.« Sie trat zu ihm und umfasste sein Gesicht. »Du bist ein guter Sohn und ein kluger Junge.« Sie tätschelte seine Wangen. »Sieh zu, dass es so bleibt.«

Sie hörten vom Diebstahl der Finkle-Briefmarken, als Ms. Kelper ihre Terrassenpflanzen goss. Er spürte Mags’ kühlen Seitenblick auf sich, während er die Terrassentüren putzte und die Griffe aus rostfreiem Stahl auf Hochglanz polierte.

»Das tut mir aber leid«, sagte Mags. »Waren sie wertvoll?«

»Anscheinend, aber das Schlimmste ist, dass ihr Sohn Terry, der eigentlich Ferienkurse im College belegen sollte, einfach nach Hause gekommen ist und eine Woche lang Partys gefeiert hat, während sie weg waren. In ihrem Haus. Ich musste Alva Bescheid sagen, als ich die Lichter gesehen, die Musik und die Autos gehört habe. Es war vermutlich einer seiner Freunde, oder der Freund von einem Freund – man weiß ja, was auf solchen College-Partys so los ist –, der sie genommen hat.«

Ein Zeichen, dachte Harry, während er den Tiefkühlschrank polierte.

Wie Mags sagen würde, das Universum hatte ein Licht geschickt.

Und seiner Mutter ging es besser.

Als er sechzehn war, verliebte Harry sich in eine rehäugige blonde Schönheit namens Nita. Sie brachte ihn zum Träumen und ließ ihn durch die Schulkorridore schweben. Er gab ihr Nachhilfe in Spanisch – unentgeltlich – und half ihr bei ihren Mathematik-Hausaufgaben.

Sie gingen ins Kino, zum Pizzaessen, manchmal allein, manchmal mit Will und seiner jeweiligen Freundin. Er fragte sie, ob sie mit ihm zum Prom gehen würde; sie sagte Ja.

Er schränkte seine Arbeit ein – das Putzen und die Einbrüche –, um mehr Zeit mit ihr verbringen zu können. Schließlich hatten sie mittlerweile eine neue Heizung, hatten alle Arztrechnungen bezahlt und genügend Barschaft auf Vorrat.

Natürlich behielt er trotzdem einen Fuß in der Tür und machte mit seiner Mutter und Mags an den Samstagnachmittagen sauber. Pro Monat schaffte er im Durchschnitt zwei Einbrüche und zahlte das Geld auf seinem Konto ein. Schließlich gab es ständig Rechnungen zu bezahlen. Und bald kam er aufs College.

Seine Mutter mochte Nita, sie hatte es gern, wenn er mit seinen Freunden zu Hause DVDs schaute oder Video-Games spielte. Sein Juniorjahr auf der Highschool gehörte sein Leben lang zu seinen schönsten Erinnerungen.

Für den Prom legte er mit Will für eine Limousine zusammen. Er kaufte ein Armband mit einer rosa Rosenknospe und lieh sich einen Smoking.

Als er aus seinem Zimmer trat, schlug Dana die Hände vors Gesicht. »Oh, oh. Wie gut du aussiehst! Mags, das ist Booth, Harry Booth. Keine Martinis heute Abend, mein Sohn. Weder geschüttelt noch gerührt.«

»Pfadfinder-Ehrenwort.« Er hob zwei Finger und überkreuzte sie, um sie zum Lachen zu bringen.

»Fotos!« Sie griff nach ihrem Handy, aber Mags nahm es ihr aus der Hand.

»Stell du dich mit deinem gut aussehenden Jungen dahin! Gott, Dana, er sieht dir so ähnlich!«

»Meine große Liebe«, murmelte Dana und lehnte den Kopf an seine Schulter.

Er schlang beide Arme um sie und zog sie an sich. »Beste Mom in der Geschichte aller Mütter!«

Sie drehte sich zu ihm und strich ihm durch die Haare. »Du bist so groß. Mein Baby ist erwachsen geworden, Mags, und auf dem Weg zu seinem Junior Prom. Komm, ich mache noch ein Foto von dir und Harry.«

Dana und Mags tauschten die Plätze. Mags stellte sich auf die Zehenspitzen, als ob sie Harry auf die Wange küssen wollte. Sie flüsterte: »Ich habe dir Kondome in die rechte Jackentasche gesteckt. Besser safe als sorry!«

In jener Nacht, nach dem Zauber des Promabends, während der anschließenden Party bei Will, nahm Harry Nita die Jungfräulichkeit und sie seine, auf dem kühlen Fliesenboden des Gästebadezimmers.

Er begann seinen letzten Highschool-Sommer so glücklich wie nie.

Bevor der Sommer endete, kam der Krebs zum allerletzten Tanz zurück.

2

Nie zweifelte Harry an der Liebe seiner Tante zu ihrer Schwester. Sie war mit Schaustellern umhergezogen, hatte in Kommunen gelebt, sich in esoterischen Zirkeln bewegt. Sie war im ganzen Land unterwegs gewesen, hatte – kurz – als Showgirl in Las Vegas gearbeitet, als Artistin, als Assistentin eines Zauberers und als Kellnerin in einer Raststätte, wo sie dem Mann begegnet war, den sie als ihren ersten Ex-Mann bezeichnete.

Aber seit zehn Jahren bezähmte Mags ihre Wanderlust, um bei ihrer kleinen Schwester zu bleiben. Sie putzte Häuser, Wohnungen und Büros und verbrachte selbst in den guten Zeiten selten mehr als ein paar Tage auf eigene Faust woanders.

In den schlechten Zeiten war sie ein Fels in der Brandung – farbenprächtig, aber zuverlässig. Sie verpasste nie einen Arzttermin oder eine Chemo. Wenn Dana zu schwach war, badete Mags sie, zog sie an – und ließ nicht zu, dass Harry ihr half.

»Ein Sohn badet seine Mama nicht«, erklärte sie. »Nicht, wenn sie eine Schwester hat.«

Aber er begriff, wie tief und groß diese Liebe war, als der Krebs seiner Mutter die Haare zum dritten Mal nahm.

Er und Dana bereiteten gemeinsam das Abendessen zu. Sie hatte einen guten Tag, einen ziemlich starken Tag. Vielleicht machte er sich Sorgen wegen der dunklen Ringe unter ihren Augen, oder weil sie sich so dünn anfühlte – nichts als Haut und Knochen –, wenn er sie umarmte, aber ihre Farbe war gut, und ihr Blick war hell und glücklich.

Er hatte seine Hausaufgaben gemacht, und Mags wollte gegen acht vorbeikommen. Er konnte ohne Bedenken weggehen und eine Zeit lang mit Will abhängen. Danach wollte er noch irgendwo einsteigen, bevor er nach Hause ging.

Doch als Mags zwei Stunden zu früh zu ihnen kam, nahm ein guter Tag eine seltsame, erstaunliche Wendung.

Die Frau, die ihre dicken welligen Haare so gerne in verrückten Farben färbte, die sich Perlen und Federn in die Haare flocht, stand vor ihnen mit einem kahlen, mit Glitzer verzierten Schädel.

Dana fiel der Löffel aus der Hand und landete klappernd auf dem Fußboden.

»O Gott, Mags! Was hast du getan?«

»Das ist mal ein Look, was?« Mags posierte vor ihnen, eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere hinters Ohr gelegt. »Der Glitzer bringt es, finde ich. Ich habe Regenbogen-Glitzer als Tribut an meine schwulen und lesbischen Freunde und Freundinnen, Feinde und Fremde, genommen, deshalb hat es einen doppelten Effekt.«

»Deine Haare, deine schönen Haare.«

»Ich habe sie gespendet – noch ein Effekt!« Sie hob den Finger, als Dana anfing zu weinen. »Hör auf! Was gibt’s zum Abendessen?«

»Mags, Mags, du brauchtest doch nicht …«

»Ich brauche gar nichts. Ich bin ein freier Geist und tue sowieso nur, was mir gefällt.« Sie trat in die Küche und schnupperte an der Pfanne. »Riecht gut.«

»Es ist … da ist Hühnchen drin. Du bist doch Vegetarierin …«

»Heute nicht. Heute bin ich eine kahlköpfige Fleischfresserin, hoffentlich habt ihr genug für mich mitgekocht.«

»Ja, wir haben genug.« Weil er Angst hatte, auch in Tränen auszubrechen, zog Harry die Pfanne vom Herd, damit nichts anbrannte, und dann nahm er beide Frauen in die Arme. »Es wird immer genug da sein.«

Als Mags nach dem Abendessen mit seiner Mom ihre spezielle Form von Scrabble spielte – Bonus-Punkte für die besten erfundenen Wörter –, musterte Harry sich im Badezimmerspiegel.

Er mochte seine Haare. Friseurtermine schob er meistens so lange wie möglich auf, weil sie sie immer kürzer schnitten, als es ihm gefiel.

Und er mochte echt gerne, wie Nita mit seinen Haaren spielte.

Aber er verstand, dass Mags’ Geste etwas mit Liebe, Unterstützung und Solidarität zu tun hatte.

Also nahm er seinen Elektrorasierer in die Hand – er traute sich nicht, mit Rasiermesser und Abziehleder in seinem Gesicht zu hantieren. Dann holte er so lange tief Luft, bis er mehr Entschlossenheit als Angst in seinen Augen sah. Nachdem er die erste Bahn rasiert hatte – fast genau über die Mitte von vorne nach hinten – und die dicken Locken fielen, musste er sich vorbeugen und sich am Waschbeckenrand abstützen.

Ihm wackelten die Knie, sein Magen zog sich zusammen, und er bekam keine Luft mehr.

»Du liebe Scheiße!« Er zwang sich, noch einmal hinzuschauen. Ihm traten fast die Augen aus dem Kopf. »Du liebe Scheiße. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Also bring es hinter dich.«

Der zweite Streifen rief die gleiche Reaktion hervor, aber bei den nächsten wurde seine Hand immer ruhiger. Der Rasierapparat war nicht der beste, und wahrscheinlich hatte er jetzt seine Lebensdauer um die Hälfte verkürzt. Als er fertig war, hatte er noch Stoppeln auf dem Kopf, aber es war wahrscheinlich eher der Gedanke, der zählte.

Er sah aus … wirklich merkwürdig, fand er. Überhaupt nicht wie er selber. Für seine nächtliche Arbeit würde er eine Skimütze tragen müssen, aber er überlegte sowieso radikalere Veränderungen in seiner äußeren Erscheinung. Das würde seine Trickkiste erheblich erweitern.

Er machte sauber, dann musterte er sich erneut. Und noch etwas anderes fiel ihm auf.

So musste seine Mutter sich fühlen, wenn sie in den Spiegel blickte. Sie konnte nicht selbst entscheiden, ob sie ihre Haare verlieren wollte. Der Krebs und die Chemotherapie nahmen ihr die Entscheidung ab.

Wenn sie in den Spiegel blickte, sah sie diesen Verlust, diese fehlende Wahlmöglichkeit, und sie sah jemanden, der überhaupt nicht aussah wie sie.

»Auch aus dem Grund hat Mags es getan«, murmelte er. »Damit sie das Gleiche wie Mom fühlen, sehen und erfahren konnte.«

Er schlüpfte in sein Zimmer und wechselte sein Hemd. Dann setzte er sich eine Brille auf – Fensterglas –, die er manchmal benutzte, um sein Aussehen zu verändern. Griff zu einer Sonnenbrille.

Er kniff die Augen zusammen und stellte sich vor, wie er mit einem Unterlippenbart oder einem Kinnbart aussehen würde. Vielleicht konnte er sich aus seinen eigenen Haaren und mit dem Zeug, was sie in der Theater-AG der Schule verwendeten, Schnurrbärte oder einen kleinen Bart basteln.

Zufrieden mit den möglichen Nebeneffekten verstaute er die Tüte mit seinen Haaren und schnappte sich eine Baseballkappe.

Als er aus dem Zimmer kam, waren die Schwestern in ihr Spiel vertieft.

»Ochsengestöhn? Ach komm, Mags.«

»Der klagende Schrei eines an Verstopfung leidenden Ochsen.« Lächelnd klimperte Mags mit den Wimpern, als Dana die Augen verdrehte. »Dreizehn Buchstaben, ein zusammengesetztes Wort und dazu der zusätzliche Bonus. Ich bin dir weit voraus, Dana.«

»Ja, nun, das kann ich besser. Auf jeden Fall kann ich das besser. Du wirst sehen.«

Harry blieb an der Tür stehen, beobachtete, wie seine Mutter ihre Buchstaben neu ordnete, und spürte, wie die Liebe zu den beiden Frauen durch ihn hindurchwehte wie ein warmer Wind.

»Ich hänge einfach ein e an dein Wort und komme dann von oben mit Perrückte. Perrückte, zwei kahlköpfige Frauen, die billigen Wein trinken und Wörter beim Scrabble erfinden.« Dana ergriff ihr Glas. »Na, wer ist jetzt wem weit voraus?«

»Die Nacht ist noch jung.«

»Ich verlasse euch zwei Perrückte jetzt und gehe zu Will.«

»Ja, viel Spaß, Schätzchen, und …« Danas Stimme erstarb, als sie sich umdrehte.

Sie schlug sich beide Hände vor den Mund, und Tränen traten ihr in die Augen.

»Harry. Oh, Harry.«

»Was ist?« Er blickte an sich herunter und lächelte. »Puh, ich dachte schon, meine Hose stünde auf.«

»Ich glaube es nicht, dass du … du warst noch nicht einmal als Baby so kahl. Er ist mit einem Kopf voller Haare herausgekommen. Weißt du noch, Mags?«

»Ja, ich erinnere mich. Willst du auch ein bisschen Glitzer, Kumpel? Ich habe jede Menge davon.«

»Nein, danke.«

»O Gott, wenn uns einer sieht!« Tränen strömten Dana übers Gesicht, und sie fing an zu lachen. »Wenn uns einer sieht!« Sie ergriff Mags’ Hand und nahm Harrys Hand in ihre. »Ich bin die glücklichste Frau der Welt!«

Nita weinte auch, aber nicht lieb und unterstützend.

»Wie konntest du das nur tun? Du hast vorher noch nicht mal mit mir darüber geredet.«

»Es sind meine Haare. Oder sie waren es.«

Sie hatte diesen Ausdruck in ihren Augen, der ihn davor warnte, dass sie Streit bekommen würden.

»Wie würdest du es denn finden, wenn ich mir die Haare abschneiden, sie blau färben oder sonst irgendwas Verrücktes damit anstellen würde?«

»Es sind deine Haare.«

»Ach, das kannst du leicht sagen, weil du weißt, ich würde so etwas nie tun.«

»Mir geht es nicht um deine Haare, mir geht es um dich. Und ich habe es für meine Mom getan.«

Sie holte tief und hörbar Luft, wie immer, wenn sie überlegte, wie sie argumentieren sollte, um ihm klarzumachen, was er mal wieder vermasselt hatte. In den letzten acht Monaten hatte er gelernt, dass er nach Nitas Standards eine Menge falsch machte.

»Das mit deiner Mom tut mir leid, das weißt du. Es ist schrecklich, was sie durchmacht, und ich finde es wirklich furchtbar. Ich verstehe auch, dass du ihr bei der Arbeit helfen und für sie da sein musst, sodass wir nicht so oft zusammen sein oder ausgehen können wie andere Paare.«

»Aber?«

Harry wusste, dass es immer ein Aber gab, wenn sie die Vernünftige Nita vorschob.

»Aber wir sind im letzten Jahr auf der Highschool, und der Homecoming Ball ist schon nächste Woche! Nächste Woche, Harry. In einer Woche können deine Haare unmöglich wachsen. Wie sollen wir zum Ball gehen, wenn du aussiehst wie ein Freak?«

Das gab den Anstoß. Harry hatte nicht gewusst, dass man sich in einem einzigen Augenblick entlieben konnte. »Meine Mutter hat ihre Haare verloren. Schon zum dritten Mal. Dann macht sie das vermutlich zum dritten Mal zu einem Freak.«

»Du weißt genau, dass ich es nicht so gemeint habe. Es ist dumm, so etwas zu sagen. Deine Mom ist ein Opfer. Du hast es absichtlich gemacht und hast mich noch nicht einmal vorher gefragt.«

Er hatte nicht gewusst, dass es sich so kalt anfühlte, sich zu entlieben. »Meine Mom ist keineswegs ein Opfer. Sie ist verdammt noch mal eine Kämpferin. Und ich muss niemanden erst fragen, wenn ich etwas für sie tue, auch dich nicht. Und das hier?« Er zeigte auf seinen Kopf. »Das bleibt so, bis ihre Haare wieder wachsen. Da mich das zu einem Freak macht und du nicht mit einem gesehen werden willst, sind wir fertig miteinander.«

Schockiert blickte sie ihn an. Tränen traten ihr in die Augen. »Du machst Schluss mit mir? Du rasierst dir den Kopf und machst, kurz vor dem Homecoming Ball, Schluss mit mir? Das kannst du nicht machen!«

»Dass ich mir die Haare abrasiert habe, hat überhaupt nichts mit dir zu tun, und du hast laut und deutlich gesagt, dass du so mit mir nicht ausgehen willst.«

»Aber ich habe schon mein Kleid!«

»Ob du es anziehst oder nicht, ist nicht mein Problem.«

»Du kannst doch nicht … Wir schlafen miteinander.«

»Nicht mehr.«

Er ging und fühlte sich kalt und frei zugleich. Dass er auf dem Weg zu Will bei ihr vorbeigegangen war, hatte ihm die Augen geöffnet.

Alles war gut gewesen, solange seine Mutter in der Remission war. Aber es war schwierig geworden, als der Krebs zurückkam und er Nita nicht so viel Aufmerksamkeit hatte schenken können, wie sie wollte. Sie hatte es zwar nie laut ausgesprochen, dachte er jetzt, es ihn aber so spüren lassen, dass er sich schuldig und zerrissen gefühlt hatte.

Na ja, das war jetzt vorbei.

Vielleicht würde es ihm fehlen, eine Freundin zu haben, und den Sex würde er auf jeden Fall vermissen – wenn es dazu gekommen war. Aber er hatte genug anderes zu tun. Schule – er hoffte immer noch auf ein Stipendium an der Northwestern –, Freunde, Arbeit, seine Mom, seine Nachtarbeit.

Mit den Händen in den Taschen, mit gesenktem Kopf und mieser Stimmung machte er sich auf den Weg zu Will und klopfte dort angekommen an die Tür des fröhlich weiß gestrichenen Bungalows.

Wills Dad öffnete ihm. Er trug sein Bears Sweatshirt und legte den Kopf schräg, als er ihn sah. Grinsend zog er Harry die Baseballkappe herunter.

»Mann!«, sagte er und rieb ihm mit der Hand über die Stoppeln. »Wenn du willst, mache ich ihn dir glatt.«

»Können Sie das?«

Wills Dad fuhr sich mit der Hand über seinen kahl rasierten Schädel. »Darin habe ich Erfahrung.« Er legte Harry die Hand auf die Schulter, und seine Augen wurden feucht. »Du bist ein Stehaufmännchen, Harry. Und jetzt schwing deinen mageren Arsch herein.«

Der kühle, bunte Herbst verwandelte sich schnell in einen grauen und weißen Winter. Er schlug mit brutaler Härte um sich, blies seinen eisigen Atem über die Stadt, als wolle er sie einfrieren. Die neue Heizung tat ihr Bestes, aber der alte Heißwasser-Boiler hauchte an einem Februarmorgen bei minus acht Grad sein Leben aus. Harry hatte genug beiseitegelegt, um einen neuen zu kaufen, musste aber seine Mutter anlügen, wie er an das Geld gekommen war. Es war nicht die erste Lüge, die er ihr in diesem Winter erzählte, und es würde auch nicht die letzte sein.

Er redete sich ein, sie sähe besser aus, und wenn sie erst einmal den Winter überstanden hätten und sie wieder an der frischen Luft spazieren gehen könnte, dann würde sie auch wieder zu Kräften kommen.

Dass er mit einem Stipendium an der Northwestern angenommen wurde, munterte sie auf. Glücklich brütete sie über den College-Broschüren, durchforstete die Website und verbrachte ganze Abende damit, Listen von den Dingen zu erstellen, die er im Studentenwohnheim brauchen würde.

Aber er hatte alles schon durchgerechnet.

»Im ersten Jahr werde ich pendeln und zu Hause wohnen. Mietfrei und die Wäsche wird gemacht.«

»Ich will, dass du die ganze Erfahrung machst. Du bist der Erste in unserer Familie, der aufs College geht. Und dann auch noch auf so ein gutes. Ich will …«

»Ich kriege genug davon mit – und dazu brauche ich nicht mit einem das Zimmer zu teilen, den ich nicht kenne. Wenn ich alles ausgekundschaftet und Freunde gefunden habe, kann ich im nächsten Jahr immer noch auf dem Campus wohnen.«

»Aber die Aktivitäten, die Partys werden dir fehlen.«

»Du willst also unbedingt, dass ich mich auf College-Partys betrinke?«

Sie lächelte ein wenig. »Irgendwie schon. Ich will, dass du ein schönes Leben hast.«

»Ich habe ein schönes Leben.«

»Du verbringst viel zu viel Zeit mit mir. Ich weiß, dass es teurer ist, auf dem Campus zu leben, und das Stipendium deckt auch nicht alles ab, aber wir können einen Studienkredit aufnehmen.«

»Nächstes Jahr.«

»Ich habe daran gedacht, eine zweite Hypothek aufzunehmen.«

»Nein.«

Jetzt verschränkte sie die Arme über ihrem mageren Brustkorb. »Harrison Silas Booth. Wer hat hier das Sagen?«

»Nun, Dana Lee Booth, du hast gesagt, du willst, dass ich ein schönes Leben führe, und dazu gehört, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe. Und ich habe mich entschieden, im ersten Jahr zu Hause zu leben.«

»Im ersten Semester. Nur im ersten Semester, Harry, das ist ein guter Kompromiss. Bis dahin kennst du dich aus und hast Freunde gefunden.«

»Du bist sichtlich bemüht, mich loszuwerden.«

Sie legte ihre Hand auf seine. »Ich will, dass mein Vögelchen fliegen lernt. Und ich will dir dabei zusehen, Harry. Du nimmst dir ein Semester lang Zeit, und dann überlegen wir uns den Rest.«

»Erstes Semester, aber die Idee mit der zweiten Hypothek lässt du fallen.«

»Einverstanden. Wir suchen nach Studentenkrediten. Du könntest auch einen Job auf dem Campus finden. Es ist so ein schöner Campus.«

Weil es sie glücklich machte, ließ er sie schwärmen.

Aber er hatte einen Job, und wenn sie ins Bett ging, musste er zur Arbeit.

Ein junges, beruflich erfolgreiches Paar, das den kalten Februar in seinem Ferienhaus in Aruba verbrachte, besaß – sie und er – eine sehr schöne Sammlung von Designer-Uhren.

Bulgari, Rolex, Chopin, Baume & Mercier, TAG Heuer. Und, wie sein Informant ihm gesagt hatte, noch ein paar Graff.

Er bezweifelte, dass sie sie alle mitgenommen hatten.

Doch wenn er sich irrte, konnte er immer noch sicher sein, dass Leute, die so teure Uhren sammelten, viele andere Sachen hatten, aus denen er sich etwas Schönes aussuchen konnte.

Er hoffte jedoch auf die Uhren – eine von ihr und eine von ihm; er war schließlich kein Monster. Wenn eine davon eine Graff war, konnte er sie zu Geld machen und davon die Arzttermine, den Haushalt und die Ausgaben für das College auf Monate hinaus bestreiten.

Er war im vergangenen Frühjahr schon einmal im Haus gewesen, als die Besitzer mit den Funkelschwestern über eine Grundreinigung gesprochen hatten. Sie hatten sie nicht engagiert, aber jetzt kannte er den Grundriss. Er kannte auch die Alarmanlage und konnte sie abstellen.

Und er wusste, dass die Jenkinsons zwei Tresore hatten – einen in ihrem Arbeitszimmer und einen im begehbaren Kleiderschrank an ihrem Schlafzimmer.

Darin befanden sich bestimmt die Uhren.

Er hatte investiert und sich den gleichen Tresor gekauft. Er hatte einen kleinen Lagerraum gemietet, in dem normalerweise Dinge zwischen zwei Umzügen gelagert wurden. Und darin hatte er wochenlang geübt, einen Safe zu knacken.

Sie hatten sich nicht für das Spitzenklassemodell entschieden, was wahrscheinlich ein Glück für ihn war, aber Harry fand, dass er ein Händchen zum Tresorknacken besaß. Mit seinen neuen Fähigkeiten, ein bisschen Glück – und dem Wetterbericht, der für die Nacht sechs bis zehn Zentimeter Neuschnee ankündigte, was er als Zeichen sah –, würde er im Herbst schuldenfrei oder wenigstens so gut wie das Studium angehen.

Er machte sich Sorgen, weil er seine Mutter allein lassen musste, wenn es auch nur für die zwei Stunden – drei höchstens – war, die der Job in Anspruch nehmen würde. Wenn sie nun krank würde und ihn anrufen würde?

Wenn, wenn?

Aber wenn er diesen Job durchzog – und das würde er verdammt noch mal machen –, konnte er es langsam angehen lassen, Dinge abbezahlen und ihr erzählen, er hätte zusätzliche Nachhilfestunden gegeben.

Ihm würde schon was einfallen.

Also nahm er den Zug, ein Halbwüchsiger, eingepackt bis zur Nasenspitze, wie jeder andere auch an einem windigen, verschneiten Abend in Chicago. Er stieg einen Halt vor seinem Ziel aus, steckte die Brille mit dem dicken Rahmen, die er während der Fahrt getragen hatte, in eine seiner Innentaschen. Dann tauschte er die Football-Winterkappe gegen die Hockeykappe und stapfte einen Kilometer durch die bittere Kälte.

Jeder, der auch nur einen Funken Verstand hatte oder zumindest nicht daran dachte, einen Diebstahl zu begehen, hatte sich nachts um eins ins Warme zurückgezogen. Harrys einzige Sorge war, dass eine Polizeistreife ihn auf dem Weg zum Haus anhalten würde, um zu erfahren, was er bei diesem Wetter draußen machte.

Er würde sagen, er sei bei seiner Freundin gewesen und wollte jetzt zur U-Bahn, um nach Hause zu fahren. Kein Problem, Officer.

Aber er sah keine Streifenwagen, und als er das Haus erreichte, ging er zielbewusst weiter.

Wenn man herumschleicht, erregt man nur Aufmerksamkeit.

Also ging er, ohne zu zögern, direkt zur Eingangstür. Die Schlösser stellten keine wirkliche Herausforderung dar, weil sich die Hausbesitzer mit dem einzelnen Zylinderschloss sowie dem unteren Riegel aus venezianischer Bronze für den schönen Schein und entgegen ernst zu nehmende Sicherheitseinrichtungen entschieden hatten.

Innerhalb einer Minute war sie offen.

Er schlüpfte aus seinen Stiefeln, zog seine dicken Socken über und stopfte die Stiefel in eine Plastiktüte, wobei er im Kopf die Sekunden zählte.

Dann schloss er die Tür, verriegelte sie und ging sofort zur Alarmanlage.

Auch da hatten sie nicht in die teuerste investiert. Er öffnete sie, klemmte sie ab, dann blieb er stehen und nahm die Stille um sich herum auf.

Diesen Teil hatte er am liebsten, musste er zugeben. Nach der Vorbereitung, dem Üben und dem Recherchieren kam der Moment, in dem er einfach nur in der Stille dastand und sein Herz schneller schlug.

Der Diebstahl anschließend, der Gewinn? Das war nur die Arbeit. Aber dieser Moment, diese Stille, das war seins. Also nahm er sie in sich auf, und dann bewegte er sich.

Die Treppe hinauf, Doppeltüren links und zum begehbaren Kleiderschrank auf der rechten Seite. Viele Klamotten – unglaublich viele Schuhe. Die beiden waren anscheinend verrückt nach Kleidung. Er bewunderte die Anzüge des Mannes – ganz edle Wolle – und die Hemden mit dem Monogramm auf den Manschetten. Das weiche Leder der Designerschuhe. Er bewunderte auch die Pulloverkollektion der Frau. Cashmere, Merinowolle. Beinahe war er versucht, einen – nur einen – für seine Mutter mitzunehmen. Sie waren so warm und weich.

Aber das würde Fragen mit sich bringen, und wegen eines Geschenks wollte er nicht lügen. Stattdessen ließ er den Strahl seiner Taschenlampe über den Safe gleiten. Und lächelte.

»Hallo. Ich habe jetzt eine ganze Weile mit deinem Bruder gearbeitet. Dann wollen wir uns mal bekanntmachen.« Kopfschüttelnd zog er sein Stethoskop heraus. »Ganz einfache Kombination. Sie hätten sich ein bisschen mehr anstrengen können.«

Im ersten Schritt musste er die Länge der Zahlenkombination herausfinden. Um sicherzugehen, dass alle Rädchen auf null standen, drehte er die Anzeige dreimal im Uhrzeigersinn.

Dann lauschte er mit dem Stethoskop neben der Anzeige und begann, sie gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Als er die ersten beiden Klicks hörte, stoppte er und notierte sich die Zahl auf der Anzeige.

Er stellte wieder auf null und wiederholte den Vorgang zwei weitere Male, um ganz sicher zu sein.

»Guter Anfang.«

Er bewegte den Anzeiger gegen den Uhrzeigersinn und stoppte gegenüber seiner ersten Zahl. Ging wieder zurück – langsam, vorsichtig – bis zu der Stelle, wo er die Rädchen geparkt hatte, lauschte auf Klicks, notierte die Zahl, bis er nichts mehr hörte.

Eine Kombination aus vier Zahlen, dachte er.

Und jetzt kamen seine Mathe-Fähigkeiten zum Zuge – wer sagte, dass man Algebra im wahren Leben nicht gebrauchen könne?

Er erstellte eine Tabelle, x-Achse für den Startpunkt, y-Achse für den rechten Kontaktpunkt.

Er setzte das Schloss wieder auf null.

Er arbeitete schweigend – lauschte nur auf die Klicks – und geduldig, notierte sich jeden Kontaktbereich, dann trug er die Punkte in der Tabelle ein, x-Wert, y-Wert.

Es kostete ihn dreiunddreißig Minuten absolut präziser Arbeit und angestrengten Lauschens, um die vier Zahlen zu identifizieren.

8-9-14-2.

Jetzt brauchte er die Reihenfolge. Er begann, die Nummern so auszuprobieren, wie er sie aufgeschrieben hatte, aber dann hielt er inne.

»Es ist ein Datum. Himmel, es ist der Valentinstag. Bestimmt hatten sie da ihr erstes Date oder so, wahrscheinlich 98. Kann es wirklich so einfach sein?«

Eine vierstellige Kombination konnte fast zweitausend Möglichkeiten bedeuten. Äußerst unwahrscheinlich, dass er sie gleich beim ersten Mal herausfand.

Aber er versuchte es. 2-14-9-8.

Und als er am Hebel zog, ging die Tür glatt wie Seide auf.

»Oh, Scheiße! Einfach so.«

Der Kick verschaffte ihm beinahe einen Orgasmus, wie damals beim ersten Einbruch mit zwölf.

Er holte seine Stoppuhr heraus und drückte auf den Knopf.

»Fünfunddreißig Minuten, zwölf Sekunden. Nicht schlecht, aber ich werde noch besser.«

Er nahm einen Kasten mit Glasdeckel heraus – ohne Schloss –, der normalerweise zwölf Damenuhren enthielt. Jetzt waren es sieben. Und eine war die Graff, über die er jetzt mit der Taschenlampe leuchtete.

Er hatte noch nie etwas so Teures in der Hand gehabt. Und sie war wunderschön, das konnte er sehen. Die Diamanten funkelten im Licht, und die Saphire schimmerten. Er würde noch mehr über Edelsteine lernen, schwor er sich. Sie hatten, na ja, irgendwie Leben in sich. Waren schöner als Briefmarken oder alte Münzen.

Er steckte die Uhr in den Beutel, den er mitgebracht hatte, stellte den Kasten zurück, nahm den nächsten heraus und musterte die Sammlung des Mannes. Er entschied sich für die Rolex – nicht ohne Grund ein Klassiker –, dann stellte er den Kasten zurück.

Er zog auch die anderen Kästen heraus – Manschettenknöpfe, Ohrringe, Armbänder, Ketten. Kleine Sammlungen, dachte er, aber beeindruckend.

Und verführerisch.

Ich muss nach Hause, rief er sich ins Gedächtnis, und er musste auch noch beim Lagerhaus vorbei, um die Beute zu verstauen.

Doch schließlich griffen seine Finger wie von selbst nach quadratisch geschliffenen Diamantohrringen. Klein, aber edel, und wahrscheinlich nicht leicht nachzuverfolgen.

Er schloss den Safe, drehte das Zahlenrad. Dann schaute er sich noch einmal prüfend um, ob er auch nichts liegen gelassen hatte.

Nach weniger als einer Stunde, nachdem er das Haus betreten hatte, ging er in seinen Fußspuren durch den mittlerweile in dicken Flocken fallenden Schnee.

In seinem Rucksack befanden sich Schmuckstücke im Wert von schätzungsweise zweihunderttausend Dollar.

Er würde zwanzig Prozent verlangen. Er hätte auch zehn genommen, aber er würde hoch ansetzen. Vielleicht bekam er dann fünfzehn. Und mit dreißigtausend konnte er eine Menge Arztrechnungen bezahlen.

Im Frühling würde es wärmer werden – und sie hätten nicht mehr so hohe Heizkostenrechnungen. Vielleicht konnte er ja seine Mutter zu einem Sommerurlaub überreden. Ihr altes Auto hatten sie vor langer Zeit verkauft, aber sie konnten ja eins leihen. Er hatte schon den Anfänger-Führerschein. Er hatte den Kurs in der Schule besucht, und Wills Vater war mit ihm in seinem Auto gefahren, damit er üben konnte. Er würde seinen Führerschein beantragen, sie würden ein Auto mieten und ans Meer fahren. Sie hatte ihm erzählt, wie gerne sie einmal das Meer sehen würde. Außerdem sollte Seeluft doch so gesund sein und alles. Sie könnten sich ein paar Tage lang in einem Motel am Strand einmieten. Allein schon die Fahrt dorthin wäre Urlaub. Sie waren nicht mehr in Urlaub gewesen seit …

Seit dem Krebs, dachte er, schob den Gedanken aber gleich wieder beiseite.

Er hatte eine tolle Nacht gehabt, warum sollte er sie sich verderben? Er sollte sich lieber aufs Frühjahr, auf den Sommer und auf das College im Herbst freuen.

Aber der Winter dauerte an, und der März ging so bitterkalt zu Ende, wie er angefangen hatte. Mitte April dachte er, Chicago wäre zum Eisplaneten Hoth geworden. Aber dann setzte ganz langsam der Frühling ein.

Sie öffneten die Fenster, ließen frische Luft herein. Klar, nachts mussten sie sie zumachen, weil sie sonst erfroren wären, aber es war zumindest schon einmal ein Anfang. In Harry begann die Hoffnung zu blühen wie die Krokusse, die seine Mutter gepflanzt hatte, als er noch ein kleiner Junge war.

Er traf sich auch mit einem neuen Mädchen. Alyson. Wissenschaftsnerd, aber total süß. Nichts Ernstes; vor dem College wollte er nichts Ernstes mehr. Aber er hatte zumindest jemanden, mit dem er zum Prom gehen konnte, und nur das zählte.

Er ging in der milden Luft nach Hause, wobei er im Kopf seinen abendlichen Zeitplan überschlug.

Hausaufgaben – er musste seine Noten oben halten – und ein bisschen Recherche über kostbare Edelsteine. Abendessen – vielleicht konnte er Mom überreden, Pizza zu bestellen. Und er hatte ein potenziell lukratives Objekt im Auge, das er sich näher anschauen wollte.

In bester Laune betrat er das Haus.

»Hey, Mom! Ich nehme mir was zu essen. Ich glaube, im Chemietest heute kriege ich ein A. Ich hab ziemlich viel Hausaufgaben auf, aber ich fange gleich an.«

Er hatte eine Tüte Doritos in der einen und eine Coladose in der anderen Hand, als sie aus ihrem Zimmer kam. »Früher wolltest du immer ein zusammengeklapptes Brot mit Erdnussbutter und Gelee nach der Schule.«

»Die Zeiten ändern sich. Ich brauche Kohlehydrate und Koffein für Mathe und für das Referat, das ich …« Ihr Blick durchdrang seine gute Laune. »Was ist los?«

»Komm, wir setzen uns hin, Harry.«

»Mom.«

»Bitte. Setz dich. Bringst du mir auch eine Coke?«

Er versuchte an nichts zu denken, mehr konnte er nicht tun. Er goss ihre Cola in ein Glas mit Eiswürfeln – so mochte sie sie am liebsten. Dann setzte er sich zu ihr an den Küchentisch.

»Ich war heute in der Röhre.«

»Was? Du hast mir gar nicht gesagt, dass du heute einen Termin hattest. Ich gehe doch immer mit dir.«

»Du hast Schule. Mags ist mit mir gekommen. Und ich habe es dir nicht gesagt, Baby, weil der Arzt mich sehen wollte. Er wollte ein CT machen … Schätzchen, die Chemo wirkt dieses Mal nicht.«

»Sie haben doch gesagt, dass sie wirkt. Das haben sie gesagt.«

»Kurze Zeit war das auch so, letzten Herbst bis in den Winter, aber dann nicht mehr, Harry.«

Er hatte es gewusst, oder nicht? Tief im Inneren hatte er es gewusst. Die Ringe unter ihren Augen waren tiefer gewesen, und ihre Energie war geschwunden wie das Fleisch auf ihren Knochen.

»Sie können es mit einer anderen Behandlung versuchen.«

»Harry.« Sie ergriff seine Hände. »Der Krebs hat sich ausgebreitet. Sie haben alles getan, was sie tun können.«

Ihre Hände fühlten sich an wie knochige Federn. So leicht, so dünn und scharfkantig. »Das glaube ich nicht. Du kannst es doch auch nicht glauben.«

»Ich möchte, dass du tapfer bist. Es ist nicht fair. Ich wünschte, ich bräuchte dich nicht darum zu bitten, tapfer zu sein. Nichts davon ist fair. Ich habe dir die Kindheit gestohlen, und ich hasse es, wirklich. Ich sage ja gar nicht, dass ich nicht kämpfen will, das sage ich ja gar nicht. Aber wir setzen die Chemo ab.«

»Mom, bitte …«

»Sie würde mir höchstens ein paar Monate mehr bringen, Monate, in denen es mir schlecht geht. Mehr nicht. Ich will die Zeit, die mir noch bleibt, mit dir verbringen als deine Mom, zumindest die meiste Zeit.« Sie drückte seine Hände fest. »Sechs Monate. Mit weiteren Behandlungen vielleicht acht oder neun. Ich würde die Chemo noch hundert Mal mehr machen, wenn sie bedeuten würde, dass ich zusehen kann, wie du ein Mann wirst, Harry. Wenn ich deinen Collegeabschluss miterleben könnte, wie du dich verliebst, eine Familie gründest. Aber es geht nicht. Mein Herz will all das – du bist mein Ein und Alles –, aber mein Körper lässt es nicht zu.«

»Du hast den Krebs früher schon besiegt.«

»Dieses Mal nicht mehr. Hilf mir, aus diesen sechs Monaten eine gute Zeit zu machen.«

»Du hast ihn vorher schon besiegt«, wiederholte er.

Als sie ihn in die Arme nahm, war er wieder ein Kind. Und das Kind drückte sein Gesicht an die Brust seiner Mutter und weinte.

3

Am letzten Schultag, in Harrys Vorstellung auf der letzten Seite eines zwölfjährigen Kapitels seines Lebens, drang hysterisches Gelächter aus den offenen Fenstern des Hauses. Neben der Haustür standen bemalte Töpfe mit blühenden Blumen.

Sie lachte jetzt mehr, seine Mutter, und sie sah so fröhlich und glücklich aus, dass er sich – beinahe – einreden konnte, sie hätten den Feind in ihr endlich besiegt. Sie pflanzte Blumen. Sie putzte Häuser, hörte laut Musik, ging einkaufen. Sie gönnte sich ein neues Kleid für seinen Abschluss.

Sie sagte, jeder Tag sei ein Geschenk, und er versuchte, es genauso zu sehen wie sie.

Aber manchmal in der Nacht, im Dunkeln, dachte er, dass jeder Tag, der verging, einer weniger war.

Heute hörte er sie lachen – kichern, dachte er, wie eine seiner Klassenkameradinnen. Ehemalige Klassenkameradinnen jetzt.

Als er hereinkam, saßen sie und Mags am Küchentisch und lachten sich schlapp.