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Überarbeitete Neuauflage, Januar 2019 Eine Sammlung von insgesamt 17 Kurzgeschichten in Anlehnung an meine Ostküsten-Reihe. Meine Charaktere werden sich von Geschichte zu Geschichte abwechseln. Es gibt dabei keinen genauen Plan oder gar eine feste Storyline.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Mathilda Grace
KLEINE MOMENTE
Kleine Momente
2. Auflage, Februar 2019
Impressum
© 2019 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2014/2015
Foto: Engin_Akyurt; Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Web: www.mathilda-grace.de
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Kurzgeschichtensammlung
Liebe Leserin, Lieber Leser,
ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.
Mit dem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.
Dankeschön.
Liebe Grüße
Mathilda Grace
Eine Sammlung von 17 Kurzgeschichten in Anlehnung an meine Ostküsten-Reihe. Die Charaktere werden sich von Geschichte zu Geschichte abwechseln. Es gibt dabei keinen genauen Plan oder gar eine feste Storyline.
Breathe Me
Wenn das eigene Kind leidet, ist es für einen liebenden Vater völlig unmöglich, tatenlos danebenzustehen und zuzusehen. Mikael kann ein Lied davon singen, denn sein Sohn Kilian und dessen Mann Dale haben Probleme, die auch mit einer Entschuldigung nicht aus der Welt zu schaffen sind.
Kapitel 1
»Kilian würde sich nie ohne Grund eine Woche lang nicht bei uns melden. Irgendwas ist da oberfaul.«
Colin spricht aus, was ich denke, denn Kilian geht seit mittlerweile sieben Tagen weder ans Haustelefon noch an sein Handy. Ich war gestern bei ihm, aber niemand hat auf mein Klingeln hin die Tür geöffnet und ich hatte unseren Ersatzschlüssel nicht dabei. Außerdem können wir Dale nicht erreichen und seine Firma ist wegen eines Notfalls geschlossen.
So steht es zumindest auf dem Zettel, der an der Tür seines Büros hängt. Samuel hat uns das vorhin erzählt, als er in der Werkstatt auftauchte, um Devin abzuholen. Langsam machen wir uns wirklich Sorgen. Mein Anruf in New York, bei Dales Familie, brachte uns nämlich leider auch kein Stückchen weiter. Die Turners sind aus allen Wolken gefallen und haben versprochen, sich sofort nach ihrem Sohn umzuhören. Bei ihnen ist er nicht und vor allem geht es ihnen gut. Kein Notfall irgendeiner Art in der Familie, was unsere erste Überlegung war.
»Ihr solltet hinfahren und nachsehen. Nehmt Sam mit oder holt vorher euren Ersatzschlüssel fürs Haus«, sagt Devin in unser nervöses Schweigen hinein, worauf Colin und ich einen Blick tauschen.
Den Schlüssel hat er heute Morgen rausgesucht, weil wir uns zwar nicht sicher waren, ob wir hinfahren sollen, aber wenigstens auf alles vorbereitet sein wollten. Es ist im Moment nicht ganz einfach für uns. Kilian und Dale haben Probleme und Colin und ich standen schon mehr als einmal zwischen den Fronten, weshalb wir uns in den letzten Wochen zurückgehalten haben, um abzuwarten. Wir wissen nicht, was los ist, weil Kilian nicht darüber sprechen wollte und Dale bei jeder Nachfrage den harten Ex-Bullen gespielt hat. Sie sind wirklich unmöglich, was das angeht, aber was sollten wir machen, wenn sie keine Hilfe wollen?
Also haben wir uns zurückgezogen, in der Hoffnung, dass Kilian oder Dale von selbst zu uns kommen. Was sie nicht getan haben. Sture Dickschädel. Aber das liegt bei uns leider in jedem Familienzweig, daher verwundert es mich nicht sehr, dass sie das mit sich allein ausmachen wollten und daran offenbar gescheitert sind.
»Ja, ich weiß, ihr wolltet euch nicht einmischen. Aber so geht es doch nicht weiter«, führt Devin aus und sieht Colin und mich auffordernd an. »Die zwei haben einen riesigen Haufen Probleme, das wissen wir alle, und ich vermute mal, dass es letzte Woche zum Knall kam. Das würde zumindest erklären, warum ihr keinen der beiden erreicht, Dales Büro dicht und er nicht aufzufinden ist. Und kommt mir jetzt nicht damit, dass sie sich irgendwo eine Hütte gemietet haben, um allein zu sein. Wenn es so wäre, hätte Kilian Bescheid gesagt, damit ihr euch um Cupcake kümmert.«
Colin seufzt und sieht mich an, als wäre es an mir, das zu entscheiden. Was Unsinn ist, denn da gibt es nichts zu entscheiden. Devin hat recht. Wir müssen hinfahren und mit Kilian reden. Nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Ob es unserem Jungen gut geht. Beiden. Seit einer Woche Funkstille, das ist nicht normal. Kilian vergisst gerne das Essen, das Schlafen und alles Mögliche, wenn er malt, aber darum kümmert sich Dale. Zumindest hat er das, bis es anfing zwischen ihnen zu kriseln.
Ich nicke. »Lass uns fahren. Könntet ihr …?«
»Wir fahren bei Dale vorbei«, unterbricht mich Devin, der versteht, was ich möchte, und ich nicke ihm dankbar zu. Samuel braucht keinen Schlüssel, um ungesehen in Dales Büro zu kommen, aber das werde ich nicht weiter kommentieren. Hauptsache, er findet etwas. Bevorzugt Dale selbst, ansonsten werden wir die Polizei einschalten müssen, um ihn aufzutreiben.
Zwanzig Minuten später ist die Werkstatt geschlossen und wir unterwegs. Ich fahre, weil Colin zu nervös ist. Er trommelt die ganze Zeit wild mit den Fingern auf seinem Oberschenkel herum. Normalerweise hätte ich ihn dafür längst angemeckert, weil seine Unruhe sich langsam aber sicher auf mich überträgt, aber dann würden wir streiten und das will ich vermeiden. Er macht sich große Sorgen um Kilian und Dale. Wir alle tun das.
Es hat vor etwa sechs Monaten angefangen. Vielleicht auch früher, aber an Colins Geburtstag im vergangenen Jahr ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Obwohl Kilian und Dale sich nach außen hin nichts anmerken ließen, war da eine gewisse Distanz zwischen ihnen. Die steigerte sich in der folgenden Zeit immer mehr, bis Kilian an Weihnachten ohne Dale zum Essen zu uns kam. Angeblich musste der arbeiten. Colin und ich haben ihm nicht geglaubt, aber nichts gesagt, da Kilians Enttäuschung und Wut nicht zu übersehen war.
Der Gipfel war dann sein Geburtstag letzten Monat. Er fand nämlich nicht statt. Dieses Mal haben beide die Arbeit vorgeschoben, was fast zu einem Familienkrach geführt hätte, weil sowohl Colin als auch Adrian, der seit Weihnachten Bescheid weiß, Kilian auf den Zahn gefühlt haben. Am Ende hat er sie dafür angebrüllt und aus dem Haus geworfen. Das war für mich der Moment, wo ich Colin bat, Kilian erst mal in Ruhe zu lassen. Ihm etwas Raum und Zeit zu geben.
Einen Monat ist das her und solange Kilian sich noch sporadisch bei uns meldete, war Colin wenigstens soweit beruhigt, dass er sicher gehen konnte, unser Junge liegt nicht tot in irgendeiner Gosse. Aber eine ganze Woche völlige Funkstille, das ist eindeutig zu viel und es ist auch nicht Kilians Art. Nicht einmal, wenn er wütend auf uns ist. Eben weil er weiß, wie schnell Colin nervös wird und wir uns Sorgen machen.
»Mik? Glaubst du, dass er …?«
»Nein«, unterbreche ich Colin ruhig, denn mir ist klar, was ihm im Kopf herumgeht. »Wir wären benachrichtigt worden, wenn er einen Unfall oder etwas anderes gehabt hätte.«
»Aber ...«
»Ich denke, dass Devin recht hat.« Ich schaue zu ihm, als ich an einer roten Ampel halten muss. »Sie haben seit Monaten Probleme, Colin. Ernsthafte Probleme. Früher oder später musste es zum Krach kommen.«
Colin verzieht das Gesicht. »Er war so unglücklich an Weihnachten, Mik. Ich will nicht, dass sie streiten, sich vielleicht scheiden lassen.«
Jetzt übertreibt er. »Hey, davon ist doch gar nicht die Rede. Wir wissen nicht, was wirklich los ist. Lass uns erst mal mit Kilian reden, bevor wir anfangen den Teufel an die Wand zu malen.«
»Zu viel Arbeit ist es jedenfalls nicht«, murmelt Colin und blickt nachdenklich aus dem Fenster, während ich wieder anfahre.
Ich bin ganz froh darüber, dass er keine Antwort will, denn was diese These angeht, bin ich mir nicht so sicher, ob es nicht doch daran liegt. Wenigstens zum Teil. Dales neue Firma läuft gut, er hatte viel zu tun im letzten Jahr, und das dürfte sich kaum geändert haben. Im Gegenzug hatte Kilian drei Ausstellungen, seit die zwei verheiratet sind. Er hat sich monatelang darauf vorbereitet, wodurch sie sich manchmal tagelang nur zwischen Tür und Angel gesehen haben. Dass das für eine Beziehung nicht gut ist, weiß jeder.
Colin und ich hatten in der ersten Zeit ebenfalls mit unseren Arbeitszeiten zu kämpfen. Vor allem, bis er sich mit der Werkstatt einen Namen gemacht hatte. Es ist nie einfach, zwei Leben unter einen Hut zu bekommen, ohne dass es deswegen Ärger gibt. Davon können wir genauso ein Lied singen, wie Millionen von Paaren überall auf der Welt, und möglicherweise haben Dale und Kilian es nicht geschafft.
Kapitel 2
»Heeey … Wollt ihr auch was?«
Kilian hebt eine halbleere Wodkaflasche an und hält sie uns entgegen, um dann, als wir geschockt den Kopf schütteln, mit einem Schulterzucken kehrtzumachen. Er schwankt beim Gehen und muss sich im Flur mehrmals an der Wand abstützen, um nicht umzufallen. Colin und ich sehen ihm fassungslos nach, bis er im Obergeschoss ankommt und aus unserem Blickfeld verschwindet.
»Mein Gott«, murmelt Colin entsetzt. »Er ist ...«
»Völlig betrunken«, beende ich seinen Satz, als er ihn abbricht und schweigt. Wobei betrunken wohl eher das falsche Wort ist, dem Alkoholdunst nach zu urteilen, der überall in der Luft hängt. Kilian hat sich abgeschossen, wie es immer so schön heißt, und offenbar tut er das seit Tagen, denn als ich in die Küche gehe, aus der er gerade kam, wird mein Verdacht zur Gewissheit. »Himmel«, ist alles, was mir zu dem Chaos einfällt, das hier herrscht.
Colin hatte die Tür noch nicht mal aufgeschlossen, da wusste ich schon, dass es schlimm werden würde, aber mir war nicht klar, wie schlimm. Im Flur war noch alles normal, aber das Wohnzimmer sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Wir waren fassungslos, angesichts des Mülls, der Kleiderberge, und der leeren Pizza- und sonstigen Essensschachteln. Von den fünf Flaschen verschiedenen Alkohols gar nicht zu reden, denn sie waren alle leer. Die Küche toppt das Wohnzimmer allerdings um Längen.
Die Spüle ist voll mit dreckigem Geschirr, der Geruch aus dem überquellenden Mülleimer ist mit Worten nicht zu beschreiben, und was immer in diesem Topf auf dem Herd gekocht worden ist, seine Reste haben mittlerweile ein grünliches, moosförmiges Eigenleben entwickelt. Es ist ekelhaft. Und damit meine ich nicht nur den Gestank und den Schimmel. Wie kann sich Kilian so gehenlassen? Was ist zwischen Dale und ihm vorgefallen, um so etwas, wie das hier, auszulösen?
»Ach du Scheiße.« Colin tritt neben mich und verzieht angewidert das Gesicht.
»So kann man es auch ausdrücken.«
Er stößt die Luft aus und geht kopfschüttelnd an mir vorbei zum Fenster, um es zu öffnen. Gute Idee. Ich halte mich allerdings lieber an die übrigen Räume, denn diese Küche kann Kilian allein aufräumen, sobald er wieder in der Lage dazu ist.
Colin kommt zu mir ins Wohnzimmer. »Schaust du bitte nach ihm? Ich räume hier unten das Nötigste weg.«
»Colin ...«
»Ja, ich weiß, aber wir können den Müll nicht einfach so liegenlassen, sonst zieht er Ungeziefer an.« Sein Blick wird fragend. »Mik? Wo ist Cupcake?«
Das ist eine gute Frage und wir erhalten leider keine Antwort, denn unsere Rufe bleiben unbeantwortet, ihre Hundehütte im Garten ist leer und die Leine hängt auch nicht am Haken bei der Haustür. Colin wirft einen Blick die Treppe hoch.
»Ich hoffe, Dale hat sie.«
»Mist«, fluche ich leise und Colin drückt meine Hand, bevor ich mich auf den Weg nach oben mache.
Kilian ist in seinem Atelier oder das, was davon übrig ist. Herrgott, was hat er hier bloß angestellt? Der Raum ist ein Schlachtfeld. Er hat seine Zeichnungen zerstört, auf dem Boden liegen kaputte Farbtöpfe und mitten im Zimmer steht ein angekokelter Papierkorb, in dem einige Überreste von angefangenen Zeichnungen liegen, die er offensichtlich verbrannt hat. Ein offenes Feuer in seinem Haus. Ist er noch ganz bei Trost? Nein, ist er nicht. Sein glasiger Blick spricht Bände und ich erspare uns beiden einen Kommentar dazu. Er würde bei Kilian in seinem derzeitigen Zustand ohnehin nicht ankommen. Seufzend gehe ich zu ihm und setze mich neben ihn auf den Boden. Er hält mir wortlos die Flasche hin.
»Nein, danke.«
»Schön. Bleibt mehr für mich«, lallt er und genehmigt sich einen Schluck. »Wo ist Dad?«
»Unten. Räumt deine Küche auf.«
»Da wächst was Grünes in dem einen Topf«, murmelt er und ich muss mir auf die Lippe beißen, um nicht das zu sagen, was ich wirklich denke. Ich bin bei Küchen ein wenig komisch, das weiß ich, und es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber mit Kilian zu diskutieren.
»Ich weiß«, sage ich deshalb unverbindlich, woraufhin er den Kopf an meine Schulter lehnt.
»Die Milch ist auch sauer.«
Wenn er jetzt anfängt, mir den vergammelten Inhalt seines Kühlschranks aufzuzählen, ertränke ich ihn in der Kloschüssel. »Gut zu wissen.«
»Ich glaub', die Kartoffeln sind schlecht.«
»Kilian!«
Er seufzt. »Die Pizza ist alle und der Alkohol auch.«
»Und was ist mit der Flasche in deiner Hand?«, frage ich, um ihn vom Thema Lebensmittel wegzubekommen, was funktioniert.
»Ist die letzte.« Kilian trinkt wieder einen Schluck und seufzt im Anschluss, bevor er hickst und mir die Flasche in die Hand drückt. »Dale ist weg.«
Ja, das haben Colin und ich uns gedacht. Was derzeit noch fehlt, ist ein Grund. »Warum?«
»Ich hab' ihn rausgeworfen.«
Kilian hat Dale rausgeworfen? Ihre Eheprobleme sind größer, als wir dachten. »Was ist passiert?«
»Wir haben gestritten. Er ist ein Arschloch.«
Darauf sage ich nichts, sondern schüttle den Kopf, als Kilian die Flasche zurückhaben will.
»Du gönnst mir auch nie was«, mault er mich an, aber das wird an meiner Meinung nichts ändern. Er hat soviel Alkohol in sich, dass es für die nächsten Monate reicht.
»Du hast genug, Kilian.«
»Pfft.«
»Warum ist Dale ein Arschloch?«
»Er hat mit einem anderen Kerl gefickt.«
Ich habe mit so Einigem gerechnet, aber nicht damit. Mein fassungsloser Blick lässt Kilian schnauben, bevor er sich umständlich auf die Füße kämpft und in Richtung Tür wankt.
»Kilian?«
»Mir ist schlecht.«
Das verwundert mich überhaupt nicht, bei der Fahne, die er hat. Statt ihm zu folgen, bleibe ich auf dem Boden sitzen und lehne den Kopf nach hinten gegen die Wand, um ein paar Minuten für mich zu haben. Ich will Kilian nicht glauben, aber ich weiß, dass er nicht lügen würde. Wenn er sagt, dass Dale ihn betrogen hat, dann war es so. Aber wieso? Ich verstehe es nicht. Wirklich nicht. Sie waren überglücklich, nachdem sie geheiratet hatten und auch danach, als das ganze Chaos mit Noah und Liam passierte, haben sie fest zusammengehalten. Wie konnte es zwischen ihnen nur dermaßen schieflaufen, dass es in einem Seitensprung endet?
»So schlimm?«, fragt Colin von der Tür her und mein schiefes Grinsen lässt ihn die Augen verdrehen. »Wo ist er? Im Bad?«
»Ja«, antworte ich nickend und stehe auf, um zu ihm zur Tür zu gehen. »Und du solltest dich lieber hinsetzen.«
Colin ist sofort alarmiert. »Hat er dir erzählt, was los war?«
»Dale hat ihn betrogen.«
Colin blinzelt, dann schüttelt er den Kopf. »Nein. Das würde er nie tun. Nicht Dale.«
»Offenbar doch.«
»Aber ...« Colin gehen die Worte aus.
»Kilian hat es herausgefunden oder Dale es ihm von selbst gestanden, das weiß ich nicht. Jedenfalls hat unser Sohn seinen Ehemann aus dem Haus geworfen und was du hier siehst, ist das Ergebnis ihrer Ehekrise.«
Würgende Geräusche aus dem Badezimmer lassen uns in den Flur sehen. Ich weiß nicht, was derzeit mehr Sorgen macht. Kilians Kotzerei oder die Tatsache, dass er allein im Haus ist. Ich kenne Dale zu gut, um zu wissen, dass Kilian ihm einiges an Beleidigungen und Gemeinheiten an den Kopf geworfen haben muss, um ihn aus dem Haus zu treiben. Ich denke, es wäre das Beste, Kilian mitzunehmen und in Erfahrung zu bringen, was in den letzten Wochen passiert ist.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragt Colin beunruhigt und sieht mich an. »Wenn er die ganze Woche getrunken hat … Mik, wir können ihn unmöglich hierlassen.«
»Wir nehmen ihn mit zu uns. Er muss ausnüchtern, damit er uns sagen kann, was genau vorgefallen ist.« Ich lasse meinen Blick erneut durch Kilians Atelier wandern. »Wir warten, bis er fertig gekotzt hat, dann setzen wir ihn ins Auto. Vielleicht haben Sam und Devin in Dales Büro irgendetwas gefunden. Ich werde sie anrufen.«
Colin nickt. »Ich packe ein paar Sachen für Kilian.«
»Nein, das mache ich.« Ich lege meine Hand an seine Wange, worauf er mich ansieht. Colin hat solche Angst um Kilian, dass er sich nicht mehr zu ihm traut. »Na geh' schon.«
»Mik, ich ...«
»Nimm ihn einfach in die Arme. Was er jetzt braucht, abgesehen von etwas zu essen, einer Runde Schlaf und einer langen Dusche vorher, ist eine starke Schulter, an die er sich lehnen kann. Und dafür bist du eindeutig der bessere Ansprechpartner.«
Colin schaut mich einen Moment forschend an, dann schmunzelt er, was mir verrät, dass er mich durchschaut hat. Keiner kann das so gut, wie er, und das ist ab und zu verdammt hinderlich. Besonders, wenn wir uns streiten. Aber jetzt gerade finde ich es praktisch, denn so muss ich ihm nicht erst erklären, dass ich sauer auf Kilian bin.
»Ist es wegen der Küche?«, fragt Colin nach, was mich seufzen lässt, bevor ich den Kopf schüttle. »Hey, du bist nun mal ein penibler Küchenchef.«
Seine Worte bringen mich zum Lachen und das wollte er damit erreichen. »Mistkerl.«
»Ja, ich liebe dich auch«, neckt Colin mich und deutet einmal quer durch das Atelier. »Ich kann dich verstehen. Das hier, die Küche, das Wohnzimmer, der Alkohol …«
Mein Blick fällt ungewollt auf den Papierkorb. Kilian hätte das Haus, mit sich darin, abfackeln können, doch das spreche ich jetzt besser nicht aus. Colin würde sich nur noch mehr verrückt machen. »Ich muss mich erst ein bisschen abregen.«
Colin umarmt mich. »Ich liebe dich. Und ich finde es sehr nett von dir, dass du den Papierkorb nicht erwähnt hast.« Ich zucke ertappt zusammen und er lacht. »Es ist nicht zu übersehen. Aber ich werde besser nicht darüber nachdenken, was alles hätte passieren können.«
»Guter Plan.«
Er schaut mich an, verdreht seufzend die Augen zur Decke und löst sich dann von mir. »Frag' Sam bitte nach Cupcake. Ich mache mir Sorgen um die Kleine.«
Kapitel 3
Samuel geht nach dem ersten Klingeln an sein Handy und er hat gute Nachrichten. Dale ist in seinem Büro. Er hat sich dort offenbar häuslich eingerichtet und Cupcake ist bei ihm. Wohlgenährt und putzmunter. Gott sei Dank. Eine Sorge weniger, auch wenn mir der Rest von seinem Bericht gar nicht gefällt. Dale ist genauso betrunken, wie mein Sohn, aber sonst geht es ihm körperlich ganz gut. Seelisch ist er, laut Samuel, völlig am Ende und da kann er sich mit Kilian die Hand reichen.
»Wie geht's Kilian?«, will Samuel wissen, nachdem er zu Ende gesprochen hat.
»Sturzbetrunken.«
»Mist. Und jetzt?«
»Wir nehmen ihn mit zu uns, damit er ausnüchtern kann. Hat Dale mit euch geredet?«, frage ich und Samuel zögert einen Moment zu lange mit seiner Antwort. »Also ja. Wie viel wisst ihr?«
»Ich schätze genauso viel wie ihr. Sie haben sich wohl gestritten. Mehrfach und heftig. Dale hat sich vor lauter Frust deswegen die Kante gegeben und ist am nächsten Morgen mit einem Kater im Bett eines anderen Mannes aufgewacht. Er hat Kilian den Fehltritt sofort gebeichtet, was mich bei ihm auch nicht verwundert, so anständig, wie Dale eigentlich ist … Na ja, jedenfalls hat Kilian ihn daraufhin rausgeworfen?«
»Ja, das hat er«, antworte ich ihm, denn das letzte war eine Frage. »Und danach ihr Haus in eine dreckige und stinkende Müllhalde verwandelt, inklusive verbranntem Papierkorb im Atelier.«
»Ach du Scheiße.«
»Wem sagst du das«, seufze ich und erzähle ihm, was Colin und ich hier vorgefunden haben. Samuel flucht, als ich fertig bin.
»Ach ja, Dales Eltern wissen Bescheid«, erzählt er im nächsten Moment. »Sie haben im Büro angerufen, als wir gerade durch die Tür kamen. Dale hat sich geweigert, mit ihnen zu reden und ich habe ihnen versprochen, dass wir gut auf ihn aufpassen. Sie wollen so schnell wie möglich kommen, aber das kann dauern.«
»Ja, ich weiß. Sie warten auf ihr nächstes Enkelkind«, sage ich und muss grinsen, als Samuel stöhnt. Bei Amber und Finnley steht zwar kein Nachwuchs ins Haus, aber das Thema macht ihn allgemein etwas nervös. »Gewöhn' dich dran. Irgendwann wird dich deine Kleine bestimmt zum Opa machen.«
»Und ich kann es kaum erwarten, aber der Gedanke macht mich trotzdem höllisch nervös.«
Ich kann ihn verstehen, denn mich macht er auch ein wenig unruhig. Kilian und Dale haben sich von Anfang an Kinder gewünscht. Was auch immer aus diesem Plan nun wird, oder auch nicht, die Vorstellung Großvater zu werden, ist erschreckend und aufregend zugleich.
»Sollen wir Dale mit zu uns nehmen?«
Das wäre wohl das Beste, aber ich kann das nicht aus der Ferne für Dale entscheiden. »Was denkst du? Ihr seid bei ihm, wie sieht er aus?«
»Scheiße, aber er hat sich unter Kontrolle.«
»Dann fragt ihn vorher. Wenn er will, nehmt ihn mit, wenn nicht, lasst ihn da. So wissen wir wenigstens, wo er zu finden ist. Wärst du bereit, die kommenden Tage nach ihm zu sehen?«
»Natürlich. Ich gebe euch Bescheid.«
»Dann habe ich mir eben die Kante gegeben, na und? Ich bin erwachsen und kann soviel saufen, wie ich will!«
»Ja, du bist erwachsen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich schweigend dabei zusehe, wie mein Sohn zum Alkoholiker wird!«
»Was willst du denn dagegen machen?«, fragt Kilian hämisch und ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht ins Badezimmer zu stürmen und ihm zu sagen, was ich von seinem Verhalten halte. »Mich einsperren? Oder lieber irgendwo anketten?«
»Kilian!«
»Hau' endlich ab, Dad! Ich kann alleine duschen und ich brauche auch keinen Babysitter. Wie ich Mik kenne, entsorgt er gerade sämtlichen Alkohol, damit ich ja nicht in Versuchung komme.«
Das habe ich tatsächlich getan und es verärgert mich unheimlich, wie abfällig Kilian die Tatsache ausspricht, da wir das nur tun, um ihm zu helfen, weil wir uns nun einmal Sorgen um unseren Sohn machen. Ich weiß, dass man mit Betrunkenen lieber nicht streiten soll, weil sie entweder die Wahrheit sagen oder zwischen boshaft und weinerlich hin und her schwanken. Erlebt habe ich alles schon, aber mit dieser Art von Gehässigkeit kann ich am wenigsten umgehen. Konnte ich noch nie.
»Ja, das tut er, und du solltest dich mal fragen, wieso er das macht. Aber dazu müsstest du das Ding auf deinen Schultern zum Denken benutzen, sofern du noch weißt, wie das geht«, hält Colin ihm vor und stürmt im nächsten Moment an mir vorbei und die Treppe runter. Ich warte kurz, bevor ich zur Badezimmertür und damit in Kilians Blickfeld trete, der, als er mich entdeckt, mir sofort den Rücken zuwendet.
»Du wirst dich bei ihm dafür entschuldigen, sobald du wieder nüchtern bist.«
Kilian gibt keine Widerworte. Er sagt gar nichts dazu, sondern beginnt schweigend sich auszuziehen, damit er duschen gehen kann. Ich will eben die Tür zuziehen und ihm ein wenig Privatsphäre gönnen, als mir die heilende Prellung auf seinem Rücken auffällt.
»Woher hast du die Verletzung?«
Er zuckt zusammen, sagt aber nichts.
»Antworte!«
»Dale.«
Ich atme tief durch, um Ruhe zu bewahren. »Kilian? Ich glaube dir, dass er dich betrogen hat, aber ich glaube nicht, dass Dale dich geschlagen hat.«
»Hat er auch nicht«, gibt Kilian leise zu. »Ich habe ihn angegriffen. Er hat sich nur verteidigt und dabei bin ich gegen den Türgriff vom Kühlschrank gestolpert.«
»Unser Sohn hat seinen eigenen Mann geschlagen?«
Colin sieht mich fassungslos an, während ich das Salz nehme, um die Suppe nachzuwürzen. Mein Nicken reicht ihm als Antwort und den folgenden Fluch ignoriere ich, weil es auch nichts daran ändert, was geschehen ist. Wir sind keine Freunde von Gewalt und dass es ausgerechnet Kilian ist, der dazu greift, schockiert uns beide.
Deswegen habe ich vor zwanzig Minuten mein Heil in der Flucht gesucht und Kilian im Bad alleingelassen, um zu kochen. Er wird etwas Vernünftiges zu essen brauchen und mich beruhigt es, Kartoffeln zu schälen, eine Brühe anzusetzen oder Gemüse kleinzuschneiden. Ich bin Koch aus Leidenschaft, auch wenn meine Familie mich heute noch mit Begeisterung neckt, sobald ich in ihren Küchen werkle und dabei jedes Mal einen gefühlten Herzinfarkt bekomme. Adrian und David lagern die Kartoffeln leider immer noch im Kühlschrank.
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.« Colin seufzt und lehnt sich gegen die Arbeitsfläche. »Mik? Ich mache mir Vorwürfe.«
»Colin ...«
»Ja, ich weiß, aber ich tue es trotzdem«, unterbricht er mich und lächelt verlegen. »Vielleicht hätten wir … keine Ahnung. Irgendetwas tun sollen.«
»Und was?«, will ich wissen, weil mir klar ist, welche Gedanken Colin jetzt wälzt, ich kenne ihn lange genug. »Er hat Adrian und dich aus dem Haus geworfen, schon vergessen?«
Colin verschränkt die Arme vor der Brust und runzelt grüblerisch die Stirn. »Ich verstehe nicht, wie es so weit kommen konnte. Ich begreife es einfach nicht.«
»Wir werden ihn fragen. Aber nicht heute. Das Essen ist gleich fertig. Willst du den Tisch decken oder …?«
Ich überlasse ihm die Entscheidung und Colin wählt, wie ich es mir erhofft habe, denn er verlässt die Küche, um Kilian zu holen. Ich decke derweil den Tisch für uns, doch als sie zehn Minuten später immer noch nicht hier sind, stelle ich seufzend den Topf in den Backofen, bevor ich Colin folge. Ich ahne, wo ich meine Männer finde und meine Vermutung erweist sich als richtig.
Colin sieht mich hilflos an, als ich angezogen zu ihm und Kilian in die Dusche steige und mich an die andere Seite unseres Sohnes setze, der beide Knie an den Körper gezogen hat und weint. Ich habe darauf gewartet, ehrlich gesagt. Kein Mensch kann dauerhaft wütend bleiben, da ist Kilian keine Ausnahme. Allerdings ist dieser Anblick für mich fast noch schlimmer, als seine Sauferei. Ich will nicht, dass er traurig und unglücklich ist. Genauso wenig will ich, dass er trinkt. Egal, was Dale getan hat oder was der Auslöser dafür war, ich kann es nicht ertragen, wenn mein Sohn weint.
»Los, hoch mit dir!«, fordere ich daher und stehe auf, um das Wasser abzudrehen. »Abtrocknen, anziehen und dann kommst du runter in die Küche.«
»Ich hab' keinen Hunger.«
»Ist mir egal. Wir backen jetzt.«
»Backen?« Kilian schaut mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, während Colin gegen sein aufsteigendes Lachen ankämpft. Er ahnt, was ich gerade vorhabe und hoffentlich funktioniert es.
»Ja, backen. Ein extra dicker Schokoladenkuchen mit Schokoladenglasur und dazu Kakao. Genau wie damals, als du dich in Catherine verknallt hattest.«
»Dad!«
Colin und ich sehen uns an und lachen los, was unser Sohn gar nicht lustig findet, so finster, wie er uns ansieht und dann auch noch empört schnaubt. Die Sache ist ihm heute noch peinlich, denn als Siebzehnjähriger, mit jeder Menge Hormonen und ständig frisch verliebt, war es ein harter Schlag für sein Ego, als Catherine ihm nach einer Woche, in der er hartnäckig versuchte, sie zu einem Date zu überreden, gestand, dass er zwar ganz niedlich wäre, aber leider keine Brüste habe.
»Wir könnten auch Pizza machen und Cola trinken, bis dir schlecht wird. So wie bei ...«
»Sag' es nicht«, fährt er mir über den Mund und sieht stöhnend zur Decke, als wir ihn angrinsen. »Na schön, ja, dann backen wir eben. Aber die Cola will ich trotzdem.«
»Zu Schokoladenkuchen?«
»Nein, nur so, weil ich Lust darauf habe. Und ich will die Teigschüssel für mich haben.«
»Wir könnten teilen«, schlägt Colin vor und steht auf, um dann Kilian die Hand zu reichen, der sie nimmt und sich hochziehen lässt.
»Nein, können wir nicht«, erklärt unser Sohn danach stoisch und geht zum Regal mit den großen Badetüchern, um sich in eins einzuwickeln. »Dad?«, fragt er, mit dem Rücken zu uns, und Colin stupst mich kurz an, damit ich weiter mit Kilian rede.
»Ja?«
»Hat er Cupcake mitgenommen?«
»Ja.«
»Geht's ihr gut?«
»Ja. Sam wird die nächsten Tage nach beiden sehen.«
Kilian zuckt merklich zusammen, als ich von Cupcake und auch von Dale rede, und verlässt danach fluchtartig das Bad. Ich blicke zu Colin, der ratlos mit den Schultern zuckt und zugleich den Kopf schüttelt, bevor er anfängt, sich aus den nassen Sachen zu schälen.
Das war es dann wohl mit dem Backplan.
Kapitel 4
»Ich will aber nicht mit dir reden!«
Ich atme tief durch, als die Tür lautstark hinter Kilian ins Schloss fällt. Drei Wochen. Einundzwanzig verfluchte Tage geht das jetzt schon so und ich bin es leid. Er ist fast einen Monat bei uns und wir wissen immer noch nicht, was eigentlich passiert ist. Kilian weigert sich, darüber zu reden und mit Dale ist es das Gleiche. Ich war sechsmal bei ihm, Colin fünfmal. Ohne Erfolg. Er sagt nur, dass es seine Schuld ist und dass Kilian ihn hasst.
Sie suhlen sich beide in ihrem Selbstmitleid und mich nervt dieses Verhalten mittlerweile unheimlich. Gestern habe ich mich dabei ertappt, wie ich den leeren Müllsack anstarrte und mich fragte, ob es etwas bringt, die zwei in einen Sack zu stopfen und draufzuhauen. Und Colin hielt letztens die Pfanne beim Abwasch etwas zu fest, als dass es Zufall gewesen wäre. Wir sind schlichtweg von Kilian und der ganzen Situation genervt.
Vielleicht wäre es leichter, wenn wir wüssten, was bei ihnen genau passiert ist. Dale betrügt Kilian doch nicht aus purer Langeweile. Ich will endlich wissen, warum er sich betrunken hat und anschließend mit einem fremden Typ in die Kiste gesprungen ist.
»Vielleicht sollten wir noch warten.«
»Auf was? Dass er erneut aus dem Haus schleicht, um sich zuzuschütten, so wie letzte Woche?«, blaffe ich Colin an und als er zusammenzuckt, tut mir mein Ausbruch sofort leid. »Entschuldige.«
Colin tritt neben mich und nimmt meine Hand. »Er geht mir genauso auf die Nerven, Mik. Aber wir können ihn doch nicht zwingen, mit uns zu reden.«
Bevor ich antworten kann, geht oben Musik an. Laute Rockmusik, die Kilian als Teenager gerne gehört hat, um uns nach einem Streit eins reinzuwürgen. Doch wenn er glaubt, dass ich mir das gefallen lasse, kennt mein Sohn mich nicht so gut, wie er denkt.
»Jetzt reicht es!«
Ich bin so schnell nach oben und in Kilians Zimmer gestürmt, dass er mich verdattert ansieht, als ich mich neben seinem Bett aufbaue, in dem er liegt, und nach der Fernbedienung für die Musikanlage greife, die hier noch steht. Wir haben es nicht über uns gebracht, seine alten Sachen wegzuräumen. Ein Klick und auf einmal herrscht Stille. Ich greife nach dem Buch, das er in der Hand hält. Kilian schnappt entsetzt nach Luft und versucht, es mir wieder wegzunehmen, aber da habe ich bereits erkannt, was er sich angesehen hat. Es ist das Fotoalbum von seiner zweiten Hochzeit mit Dale, die wir ganz familiär bei uns im Garten gefeiert haben.
»Willst du euch aufgeben, Kilian?«, frage ich eisig und deute auf ein Foto, das Dale und ihn zeigt, wie sie in die Kamera lächeln, sichtlich glücklich. »Ist es das? Willst du alles hinwerfen, nur weil es mal schwierig ist?«
»Schwierig?«, äfft Kilian mich nach und schnaubt, als ich ihn auffordernd ansehe, bevor er die Beine aus dem Bett schwingt und aufsteht. »Dale hat mit einem anderen Kerl gefickt!«
»Und warum?«, frage ich trocken, was ihn noch mehr auf die Palme treibt.
»Ach so, jetzt bin ich Schuld daran, oder was?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe dich gefragt, aus welchem Grund er es getan hat. Oder willst du mir etwa weismachen, dass dein Ehemann aus purer Langeweile fremdgegangen ist?«
»Das geht dich überhaupt nichts an!«, brüllt Kilian los und macht kehrt. Kurz darauf knallt die Badezimmertür so heftig zu, dass die Bilder an der Wand wackeln.
Mein Blick fällt auf Colin, der in der offenen Tür steht und zwischen Sorge auf Kilian und Empörung auf mich schwankt. Ich kann verstehen, dass er sauer ist, aber wir können Kilian nicht andauernd mit Samthandschuhen anfassen. Er muss sich endlich damit auseinandersetzen, dass an einer Trennung zwei Personen Anteil haben. Ich will damit nicht ausdrücken, dass ich ihm die Schuld an Dales Seitensprung gebe, doch ihn trifft eine Mitschuld, sonst wäre es nie dazu gekommen.
»Mik? Sag' mir, was du denkst«, bittet mich Colin und ich sehe auf das Album in meiner Hand.
»Ich glaube, dass der Alltag sie aufgefressen hat«, sage ich leise und runzle misstrauisch die Stirn, als Colin sich nach meinen Worten auf die Unterlippe beißt. »Was hast du?«
»Dale hat seinen Ehering geküsst, als ich letztes Mal ins Büro kam. Er hat mich nicht sofort bemerkt, weil er weinte, aber er hat Cupcake erzählt, dass er alles dafür tun würde, um die Zeit zurückdrehen zu können und es besser zu machen.«
Das ist ein eindeutiger Beweis für mich, dass ich recht haben könnte. Aber ich frage mich, warum Colin mir das nicht erzählt hat. »Wieso hast du nichts gesagt?«
»Damit du ihn noch mehr bedrängst, als jetzt schon?« Colin schüttelt resigniert den Kopf, als ich etwas sagen will. »Mik, unser Sohn reagiert genauso wie ich, wenn er in eine Ecke gedrängt wird, und wo das hinführt, wissen wir beide ja wohl am besten. Am Ende warst du weg und ich musste bis nach Australien fliegen, um dich zu finden und zurückzubekommen. Ich will aber nicht, dass Kilian oder Dale aus unserem Leben verschwinden, weil du sie nicht in Ruhe lässt. Kannst du das nicht verstehen?«
Colin wendet sich hastig ab und lässt mich allein. Ich bin zu überrascht von seinen Worten, um ihm zu folgen. Was ich tun müsste, um mich zu entschuldigen. Dass er Angst um unsere Jungs hat, wusste ich, aber mir war nicht klar, dass er glaubt, ich würde Kilian oder Dale zu heftig bedrängen. Verdammter Mist. Ich muss mit ihm reden. Sofort.
Ich komme allerdings nicht dazu, denn ausgerechnet jetzt fängt mein Handy an zu klingeln. Es ist Adrian, was meine erste Überlegung, den Anruf zu ignorieren, in Luft auflöst. Einen Anruf von ihm kann man nicht einfach auf später verschieben oder ganz ignorieren. Wenn ich eines in den vergangenen Jahren gelernt habe, dann das. Tief seufzend setze ich mich auf die oberste Treppenstufe und nehme ab.
»Wie sieht es aus?«, fragt Adrian umgehend.
»Meine Männer sind sauer auf mich.«
»Beide?«, hakt er irritiert nach und gluckst, als ich die Frage bejahe. »Was hast du angestellt?«
»Ich habe Kilian einige unangenehme Fragen gestellt und Colin hat es gehört.«
Adrian seufzt resigniert. »Das war nur eine Frage der Zeit, wie ich es dir bereits vor zwei Wochen gesagt habe. Deine Vermutung stimmt also?«
»Kilian hat sie zumindest nicht widerlegt. Dazu hat er auch gar keine Zeit, weil er nur noch damit beschäftigt ist, mich anzuschreien und mir zu erklären, dass es mich nichts angeht. Ich glaube, er wollte es nicht sehen. Keine Ahnung, ob Dale etwas bemerkt hat. Sie hätten auf jeden Fall früher miteinander reden müssen, dann wäre es nie so weit gekommen.«
»Vielleicht«, schränkt Adrian ein und ich muss ihm da leider Recht geben.
»Ja, schön. Vielleicht.« Ich reibe mir die Stirn, um das leichte Pochen hinter den Schläfen wieder loszuwerden, bevor es sich in richtige Kopfschmerzen verwandelt. »Bin ich zu hart zu ihm?«
Adrian schweigt einen Augenblick. »Möglicherweise, aber irgendwer muss es ihm sagen. Er kann nicht ewig im Selbstmitleid baden oder die ganze Schuld auf Dales Schultern abwälzen. Ja, der Seitensprung war das letzte, doch den Weg dahin sind sie gemeinsam gegangen, und das sollte Kilian eigentlich wissen.«
»Er will es nicht hören.«
»Und genau darum muss es ihm jemand sagen. Colin kann es nicht, das wissen wir doch beide.«
»Also werde ich weiter der Arsch vom Dienst sein.«
»Mik ...«
»Ja, ich weiß, aber es fühlt sich nicht gerade super an, okay? Du hast ihre Blicke nicht gesehen.«
»Das muss ich nicht, ich kann sie mir vorstellen. Rede mit Colin und lass Kilian heute in Ruhe. Es ist wichtiger, dass ihr beide nicht auch noch anfangt zu streiten. Kilian kann warten, Colin nicht.«
Ich werde Adrians Rat annehmen, da er nicht von der Hand zu weisen ist. Falls Colin und ich uns wegen Kilian in die Haare bekommen, wird die Situation hier im Haus noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist. »Ich ruf' dich wieder an.«
»Wehe, wenn nicht«, droht er und entlockt mir damit unwillkürlich ein Grinsen. Es fällt in sich zusammen, als ich Colin unten an der Treppe entdecke. »Gib ihn mir.«
»Woher …?«
»Dein tiefes Einatmen war nicht zu überhören«, sagt Adrian, worauf ich verdutzt blinzle, weil ich das gar nicht registriert habe. »Mik, lass mich mit ihm reden.«
Ich halte Colin mein Handy hin, der die Treppe hoch kommt und sich neben mich setzt, aber ich brauche jetzt ein paar Minuten für mich. Deshalb stehe ich auf, lächle ihm kurz zu, damit er sich keine Sorgen macht, und gehe runter in die Küche. Ich hätte jetzt wirklich nichts gegen einen Drink oder besser gleich einen Doppelten. Aber da das keine gute Idee ist, solange Kilian sich benimmt wie ein bockiger Teenager, wird Kaffee reichen müssen.
Ich sitze schon an der zweiten Tasse, als Colin sich zu mir gesellt. Er nimmt mir die Tasse aus der Hand, gönnt sich einen Schluck und sieht mich dann verlegen an.
»Ich bin nicht sauer auf dich, Mik. Ich bin einfach nur frustriert, weil … weil ...« Er seufzt und fährt sich dabei durch die Haare. »Die ganze Situation frustriert mich.«
»Mich auch. Mit jedem Tag mehr.«
Wir schweigen für eine Weile, bis Colin meine Hand nimmt und unsere Finger miteinander verschränkt. Ich liebe diese Geste und ich liebe es, wenn er mich berührt. Was in letzter Zeit viel zu selten vorkam. Die Streitereien zwischen Kilian und Dale sind auch an uns nicht spurlos vorübergezogen. Es fragt sich jetzt nur, wie lange das so weitergehen wird. Oder ehrlicher gesagt, wie lange wir es noch aushalten. Ich, für meinen Teil, habe gestrichen die Nase voll.
»Colin, wir müssen etwas tun.«
»Dale?«, fragt er und zeigt mir damit wieder einmal, wie gut er mich kennt.
»Ja«, antworte ich und schaue zu ihm. »Bei unserem Trottel von Sohn erreichen wir nichts, aber vielleicht bei Dale. Einer von ihnen muss endlich den Anfang machen und wir wissen beide, dass Kilian es nicht tun wird.«
»Er ist kein Trottel«, murmelt Colin und grinst, als ich die Augen verdrehe. »Na schön, ja, im Moment ist er ein Trottel. Ein sehr unglücklicher.«
»Und darum fahre ich jetzt zu Dale, um ihm den Kopf zu waschen. Er war schon immer der Vernünftigere von beiden, das kann ich bestimmt irgendwie nutzen.«
Kapitel 5
»Hallo Dale.«
Er wird blass, als er meine Stimme hört, aber er setzt sich auf und bietet mir mit einem Wink seiner Hand den Bürostuhl als Sitzplatz an. Ich ignoriere das Angebot und setze mich direkt neben Dale auf die Couch, während ich mich umsehe. Es sieht recht ordentlich aus, offenbar hat er vor Kurzem aufgeräumt.
»Wo ist Cupcake?«, frage ich, als mir aufgeht, was hier fehlt. »Und die wichtigste Frage, wie geht’s dir?«
»Hat Sam heute noch keinen Bericht erstattet?«
»Doch, ich frage aber dich, nicht ihn.«
»Es geht so«, murmelt er und klingt irgendwie nervös. »Sam hat Cupcake heute Morgen mitgenommen. Meinte, sie bräuchte mehr Auslauf und frische Luft.«
»Davon hat er mir gar nichts erzählt«, sage ich und als Reaktion darauf, weicht Dale meinem Blick aus, was ein Schuldeingeständnis für mich ist. »Hast du dich mit ihm angelegt?«
»Ein bisschen vielleicht«, gibt er leise zu und schaut mich zögernd von der Seite her an.
»Aha?«
Dale zuckt mit den Schultern und zieht die Decke um sich, während er ein Stück von mir abrückt. Ich sehe ihn unverwandt an, was Dale mit jeder Sekunde unruhiger macht und schließlich verliert er die Nerven.
»Na schön, wir haben gestritten, und am Ende hat er mir die Leviten gelesen.«
Was immer Samuel zu ihm gesagt hat, muss Eindruck hinterlassen haben, denn Dale ist nüchtern, wie mir erst in dem Moment auffällt. Er sieht nicht gut aus, hat wohl eine Weile nichts mehr gegessen. Und eine Dusche kann er auch vertragen, aber mein Schwiegersohn ist wirklich nüchtern. Das muss ich unbedingt nutzen. Wenn Kilian schon nicht aus dem Loch herauszubekommen ist, in das er sich nach der Trennung geflüchtet hat, schaffe ich es vielleicht, Dale wieder hochzuziehen.
»Erzähl' es mir.«
»Ich glaube nicht, dass ...«
»Dale!«
Er zuckt zusammen und räuspert sich. »Es war meine Schuld.«
»Mag schon sein, aber das ist es nicht, was ich von dir wissen will«, kontere ich, worauf Dale den Kopf hängen lässt und anfängt, mit einem Zipfel der Decke zu spielen. »Soll ich fragen und du antwortest?« Ein Nicken ist seine einzige Antwort. Gut, wenn er es so will, tue ich ihm den Gefallen. »Okay … Kilian war verletzt, als wir ihn holten. Er sagte, er hat dich geschlagen und du hast dich gegen ihn verteidigen müssen. Stimmt das?«
Dale nickt.
»Ging es dabei um deinen Seitensprung?«
Er nickt erneut und bestätigt damit Kilians Worte, an denen ich zwar nie gezweifelt habe, aber trotzdem hoffte, dass es ein Missverständnis war. Die Hoffnung hat Dale soeben zerschlagen und ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll. Einen Fehltritt dieser Art hätte ich von ihm niemals erwartet.
»Wie lange habt ihr euch schon gestritten? Wann fing es an, schiefzulaufen?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortet er nach einiger Zeit und zieht ein Bein auf die Couch, um seine Arme auf dem Knie abzulegen. »Ein paar Wochen.«
»Ihr habt schon im letzten Jahr Probleme gehabt, das ist uns allen aufgefallen.«
»Das war nicht so schlimm, wir waren eben gestresst und mussten beide viel arbeiten.«
»Und habt nicht darüber geredet, oder?«
»Nein«, murmelt Dale und sieht mich an. »Hat er euch gesagt, dass ich … also … ich ...«
»Ich weiß, dass du betrunken mit einem anderen Kerl in der Kiste gelandet bist, falls du darauf anspielst.«
Dale hat den Anstand rot zu werden. »Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ehrlich gesagt. Das soll keine Entschuldigung sein, aber ich weiß einfach nicht, wie ich in Millers Bett gelandet bin.«
Bei mir schrillen sämtliche Alarmglocken, was ich mir nicht erklären kann. Miller? Der Name kommt mir vage bekannt vor, aber ich weiß auf die Schnelle nicht, wo ich ihn einordnen soll. Kenne ich ihn? Sollte ich ihn kennen?
»Miller«, sage ich mehr zu mir selbst und Dale runzelt die Stirn. Doch bevor er etwas sagen kann, fällt bei mir der Groschen. »Moment mal, wir reden hier nicht gerade von Miller Jenkins, oder?«, will ich wissen und sehe Dale fassungslos an, der sichtlich schluckt, bevor er nickt.
»Bitte sag' mir jetzt nicht, dass du den Mann kennst, mit dem ich ...« Er bricht ab und stöhnt peinlich berührt auf, als ich schnaube. »Oh Gott, auch das noch.«
»Philadelphia ist ein Dorf, wusstest du das nicht? Und Miller Jenkins ist ein Arschloch!« Dale verzieht gequält das Gesicht und vergräbt es dann zwischen den Händen, worauf ich mit einem wüsten Fluch mein Handy aus der Tasche ziehe, um Adrian anzurufen. Jenkins, ich dachte, der sitzt im Knast. Da gehört er nämlich hin. »Kannst du rausfinden, seit wann Miller Jenkins nicht mehr in einer Zelle vermodert?«, falle ich mit der Tür ins Haus, als der Anwalt abhebt.
»Jenkins?« Adrian überlegt kurz, doch dann flucht er laut und reichlich vulgär. »Sag' mir nicht, er ist Schuld an der ganzen Scheiße zwischen Kilian und Dale.«
»Er ist der Kerl, mit dem Dale im Bett aufgewacht ist, und ich verwette mein letztes Hemd, dass Jenkins Dale irgendwelche Drogen untergejubelt hat. Genau wie er es bei Amber, Kilian und den Zwillingen versucht hat.«
Als ich auflege, hat Adrian mir versprochen, sofort bei ein paar alten Freunden nachzuhaken und sich wieder zu melden, sobald er mehr weiß. Mittlerweile hat auch Dale eins und eins zusammengezählt und verstanden, dass er reingelegt worden ist. Wahrscheinlich bei seiner letzten Sauftour von Jenkins unter Drogen gesetzt wurde, ohne es zu bemerken.
»Was mache ich denn jetzt?«, fragt er hilflos.
»Mitkommen«, antworte ich und stehe auf, um Dale eine Hand zu reichen. »Du musst mit Kilian reden.« Mich wundert nicht, dass er den Kopf schüttelt, aber ihn jetzt hierzulassen und nach Hause zu fahren, kommt für mich nicht infrage. »Hat man dir das bei der DEA beigebracht? Einfach aufgeben und alles hinwerfen, wenn es Probleme gibt? Ist das etwa dein Plan? Deine Vorstellung von, 'In guten wie in schlechten Zeiten'?«
»Kilian will mich nicht mehr.«
»Mein Sohn liebt dich!«
»Ich habe ihn betrogen, Mik. Das kann ich nie wieder rückgängig machen, geschweige denn durch irgendetwas entschuldigen. Ganz egal, ob ich besoffen oder high oder beides war. Selbst wenn Jenkins mich reingelegt hat, das ändert gar nichts.«
»Es ändert alles, Dale«, widerspreche ich ihm wütend. »An einem Betrug sind immer zwei Menschen schuld. Es ändert vielleicht nichts daran, dass du ihn betrogen hast, aber du solltest ja wohl am besten wissen, was Menschen unter Drogeneinfluss alles anstellen können. Noch dazu, wo du dich nicht mal erinnern kannst. Wenn mein Sohn das nicht zu deinen Gunsten auslegt, ist er ein Idiot.«
»Jetzt hör' aber auf. Du redest hier von Kilian.«
»Der im letzten Jahr mehrere Ausstellungen hatte. Er ist mit schuld an eurer Krise, und das weiß er auch.«
Dale schnaubt und schüttelt den Kopf. »Geh' einfach. Kümmere dich um ihn und lass mich in Ruhe.«
»Damit du hier weiter in deinem Selbstmitleid baden kannst? Träum' weiter.«
»Hau endlich ab!«
Dale sieht einen Moment lang aus, als würde er von der Couch aufspringen und mich niederschlagen wollen. Aber er beherrscht sich. Zumindest noch. Ich werde ihn schon dazu kriegen, die Fassung zu verlieren.
»Nein.«
»Scheiße, verdammt noch mal!«, flucht er und da setzt in mir etwas aus. Ich packe ihn so schnell am Kragen von seinem T-Shirt, dass Dale vor Überraschung der Mund offenstehen bleibt.
»Ich werde nicht abhauen, weil du genauso jemanden brauchst, wie Kilian. Um ihn kümmert sich Colin, daher bin ich hier. Bei dir. Und ich werde dableiben und dir so lange in dein schlechtes Gewissen reden, bis du endlich den Arsch hochkriegst. Deine Eltern sind nämlich beide der Meinung, dass du das ab und zu brauchst.«
»Das haben sie gesagt?«, fragt Dale kleinlaut.
»Das und noch einiges mehr, was du mit Sicherheit nicht hören willst.«
Dale zittert und setzt ein paar Mal an, etwas zu sagen, aber er schweigt. Dafür sprechen seine Augen eine recht deutliche Sprache.
»Na los. Schlag' mich. Ich sehe dir an, dass du genau das tun willst, aber das wird auch nichts ändern. Du und ich, Dale, wir sitzen im selben Boot. Nur das ich meines bereits vor Jahren in Australien verlassen habe, als Colin mir folgte und um mich kämpfte. Und jetzt bist du dran. Also schieb' deinen versoffenen Arsch unter die Dusche und danach kommst du mit zu uns, damit du um Kilian kämpfen kannst.«
»Ich will nicht«, trotzt er wie ein Kleinkind und bringt mich damit zum Lachen.
»Doch, du willst. Und wie du willst, Dale. Weil du ihn liebst und vermisst und weil dir sein Rauswurf das Herz gebrochen hat, deswegen.« Ich halte ihn fest, als er sich von mir zurückziehen will. »Nein, Dale! Du hast Scheiße gebaut, als du ihn betrogen hast. Ja, er hat das Recht auf dich sauer zu sein. Er hatte auch das Recht dich aus dem Haus zu werfen. Aber jetzt bist du dran, denn er ist nicht der einzige mit Rechten. Also rede mit Kilian. Zwing' ihn dazu, wenn nötig. Schafft diesen Mist aus der Welt.«
»Wieso kommt er nicht her und redet mit mir?«
»Weil er dazu im Moment nicht in der Lage ist. Weil er ein Sturkopf und Volltrottel ist. Weil du, im Gegensatz zu ihm, Argumenten noch zugänglich bist. Er liebt dich und du liebst ihn. Rette eure Ehe, Dale. Mach' den ersten Schritt, denn Kilian kann es nicht. Und er ist auch nicht derjenige, der seinen Schwanz nicht in der Hose lassen konnte.«
Dale zuckt getroffen zusammen. »Das wird er mir nie verzeihen.«
Bitte kein weiterer Ausflug ins Selbstmitleid, ich kann es wirklich nicht mehr hören. »Solange du hier rumliegst und heulst, vermutlich nicht. Und bevor du es sagst, nein, du kannst nicht hierbleiben und weiter heulen.«
»Wieso nicht?«, fragt er bockig und ich stöhne genervt auf, bevor ich ihn in die Polster der Couch drücke.
»Weil du Kilian liebst, Dale. Schlicht und ergreifend. Und darum kommst du jetzt mit. Ich weiß, dass du Angst hast, aber das ist mir egal. Oder willst du wirklich alles hinwerfen und lieber abwarten, bis du irgendwann eure Scheidungspapiere im Briefkasten findest?«
Kapitel 6
Vier Stunden später kommt er aus dem Badezimmer und sieht mich fragend an. Ich begutachte Dales Aufzug und bin zufrieden. Er hat sich in Schale geworfen, trägt ein schwarzes Hemd zur schwarzen Stoffhose, nachdem wir die letzten drei Stunden damit zubrachten, das Haus einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Und das war nicht einfach.
Dale musste sich wirklich beherrschen, als er sah, was Kilian in seinem Atelier angerichtet hat. Die Küche, das Wohnzimmer, der ganze Dreck, all das hat er mit einem eher beiläufigen Schulterzucken kommentiert, aber dass Kilian sogar seine Zeichnungen zerstört hat, das hat ihn seelisch schwer getroffen. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn soweit hatte, dass er sie wegwirft, denn zu retten war keine einzige. Aber er hat es geschafft und anschließend mit mir das Wohnzimmer aufgeräumt.
Die Küche bleibt allerdings, wie sie ist. Kilian soll nur nicht auf die Idee kommen, dass wir ihm alles hinterher räumen. Und dieses Schlachtfeld hat er zu verantworten, nicht Dale.
»Du siehst gut aus«, sage ich ehrlich und schmunzle, als er erleichtert seufzt. »Willst du noch was mitnehmen? Ein paar Sachen für dich? Du schläfst nämlich den Rest der Woche bei uns.«
»Äh ...«
Ich schüttle den Kopf und Dale verstummte. »Das ist mit Colin bereits abgesprochen. Ich habe ihn angerufen, als du duschen warst. Ob Kilian das gefällt oder nicht, du bleibst bei uns. Und jetzt Abmarsch.«
Wir sind eben aus der Haustür raus, als mein Handy zu klingeln anfängt. Adrian ruft an. Ich gehe ran, doch zu Wort komme ich nicht.
»Jenkins sitzt wieder in einer Zelle. Er hat zugegeben, dass er Dale mit Drogen betäubt und in sein Bett gepackt hat. Den angeblichen Seitensprung gab es gar nicht.«
Mir bleibt der Mund offenstehen und Adrian lacht.
»Ja, ich war auch völlig von den Socken, aber ehrlich gesagt, ich bin froh darüber. Es war übrigens genau, wie du vermutet hattest. Jenkins hatte ein Treffen mit einem seiner Kunden und ist rein zufällig über Kilian und Dale gestolpert. Sie haben sich offenbar auf dem Parkplatz eines Einkaufscenters gestritten und als Jenkins unseren Jungen erkannte, hat er beschlossen, ihm und Dale eins reinzuwürgen. Den Rest kannst du dir selbst denken.«
»Er ist Dale gefolgt, hat ihm die Drogen untergejubelt und das war's dann.«
»Bingo.«
»Oh Mann«, seufze ich und weiß nicht, ob ich lachen oder Dale lieber einen dicken Kuss geben soll, der mich sprachlos ansieht. »Danke, Adrian.«
»Nicht dafür«, wehrt er trocken ab. »Schaff' Dale nach Hause, damit dieses Drama endlich ein Ende hat.«
Adrian legt auf und ich verbringe die folgenden zehn Minuten damit, Dale zu erklären, was ich eben erfahren habe. Sein Gesichtsausdruck schwankt von Freude, über Angst, bis hin zu purer Erleichterung, und am Ende habe ich meinen lachenden Schwiegersohn im Arm, der mich festhält, als hinge sein Leben davon ab.
»Danke, danke, danke … Mik, ich ...«
Ich streiche ihm beruhigend über den Rücken, als er am ganzen Körper zu zittern anfängt. Ich schätze, seine Nerven sind gerade am Limit angelangt. »Ich weiß, Dale, ich weiß. Wir reden später. Das kann alles warten. Kilian ist jetzt wichtiger. Lass uns fahren, damit du ihm sagen kannst, dass du ihn nicht hintergangen hast und dass du ihn liebst.«
Im Auto fängt Dale an, nervös mit seinen Fingern zu spielen, so wie mein lieber Ehemann es auch macht, und als ich den Wagen schließlich in der Einfahrt abstelle, ist er ein nervliches Wrack. Ich habe ihn bisher nur ein Mal so gesehen, in der Nacht, als Kilian entführt worden war. Mich wundert auch nicht sonderlich, dass Dale im Auto sitzenbleibt, als ich aussteige, ins Haus gehe und Colin ins Bild setze. Er starrt mich zuerst völlig fassungslos an, aber dann lacht er und küsst mich, bevor er kehrtmacht und aus dem Haus stürmt. Grinsend sehe ich ihm nach, bis mir auffällt, dass es wieder mal an mir hängenbleibt, unseren sturen Sohn aus seinem Zimmer zu locken. Das zahle ich Colin irgendwann heim.
Allerdings ist Kilian schneller, denn bevor ich auch nur einen Fuß auf die Treppe setzen kann, kommt er von oben heruntergestürmt und rennt fast in mich hinein. Er hat sein Handy in der Hand, was mir alles verrät. Dieser Anwalt ist noch mal mein Tod.
»Wieso hast du ihn mitgebracht?«
»Wie viel hat Adrian dir erzählt?«
»Woher …?« Kilian bricht ab und sieht kurz auf sein Handy, bevor sein Blick erneut mich trifft. »Dann stimmt es wirklich?«
»Warum hätte er lügen sollen?«
»Keine Ahnung. Um mir eins reinzuwürgen?«
Ruhig bleiben, ermahne ich mich selbst. Das ist kein guter Zeitpunkt, um mit Kilian einen Streit darüber vom Zaun zu brechen, dass Adrian ihm nichts Böses, sondern einfach nur helfen wollte. »Dein Onkel liebt dich, Kilian, und wenn du mal aufhören würdest, mit Scheuklappen vor den Augen herumzulaufen, wüsstest du, dass wir uns Sorgen machen und helfen wollen. Dale hat nichts getan. Er hat dich nicht betrogen.«
»Als ob es nur darum ginge«, murrt er.
»Herrgott, Kilian!« Ich atme tief durch. »Ich weiß sehr wohl, dass es nicht nur darum geht, und genau deswegen habe ich ihn mitgebracht. Damit ihr endlich miteinander redet. Denn offensichtlich habt ihr das schon seit vielen Monaten nicht mehr getan, sonst wäre es vermutlich nie dazu gekommen, dass Dale lieber saufen geht, anstatt an deiner Seite zu bleiben. Korrigiere mich ruhig, wenn ich mich irre, mein Sohn. Deine Argumente sollten jedoch lieber stichhaltig sein, denn ich habe gestrichen die Nase voll davon, dass du dich seit Wochen aufführst wie ein bockiges Kleinkind!«
Das sitzt, denn Kilian starrt mich überrascht an, sagt aber nichts mehr. Colin räuspert sich hinter mir und weil mein Gefühl sagt, dass er nicht allein reingekommen ist, trete ich zur Seite, um alles im Blick zu haben. Dale steht neben ihm und hat für mich nicht mal einen Blick übrig. Er ist komplett auf Kilian fixiert, dem es ähnlich geht.
Ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Die beiden sind so verliebt ineinander, das es wunderschön anzusehen ist, trotz der Probleme, die sie derzeit haben. Ich schaue zu Colin, der lächelt und hinter Dales Rücken entlang zu mir kommt. Er will den Blickkontakt zwischen unseren Jungs genauso wenig stören, wie ich.
»Kilian, ich ...« Dale stockt und überlegt. »Ich will mit dir reden.«
»Wozu?«
»Weil wir dringend reden müssen, das weißt du.«
Ich kann Kilian ansehen, dass er nachgeben will, sich aber, aus mir unerfindlichen Gründen, nicht traut. »Und was dann? Ich habe keine Lust, mich wieder zu streiten.«
Dale schüttelt den Kopf. »Ich möchte nur reden, nicht streiten. Bitte, gib uns eine Chance.«
»Du hast uns doch schon längst aufgegeben, Dale. Du bist gegangen, falls dir das entgangen sein sollte.«
»Ja, weil du mich rausgeworfen hast, Kilian. Hätte ich dich mit Handschellen an einen Stuhl fesseln sollen, um dir klarzumachen, dass ich dich liebe?«
»Ja!«, schreit Kilian unerwartet und Dale zuckt heftig zusammen, denn damit er nicht gerechnet. Ich ebenfalls nicht, um ehrlich zu sein. »Genau das hättest du tun sollen. Aber du bist ja lieber abgehauen und hast mich alleingelassen. So wie damals, in dieser blöden Kiste, als ich fast verreckt wäre.«
Colin erstarrt neben mir und auch ich muss kämpfen, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich Kilians Worte schockieren. Er wirft gerade seine Entführung mit Dales und seinen Eheproblemen zusammen und ich bezweifle, dass er das mit Absicht getan hat. Dazu sieht er viel zu geschockt aus. Ich sehe zu Colin und er denkt dasselbe wie ich, sein Gesichtsausdruck ist deutlich zu lesen. Das war reiner Zufall, der nicht von ungefähr kam. Offenbar beschäftigt ihn diese Sache immer noch, und das weit mehr, als Dale und wir gedacht haben.
»Oh Gott«, flüstert Kilian plötzlich entsetzt und sieht Dale entschuldigend an. Er hat Tränen in den Augen und ich nehme instinktiv Colins Hand, um zu verhindern, dass er sich einmischt. »Das war nicht so gemeint. Es tut mir leid … ich … ich ...«
»Kilian ...«, murmelt Dale und streckt die Hand aus, doch bevor er ihn erreichen kann, bricht Kilian in Tränen aus und rennt durch den Flur ins Wohnzimmer und von dort in unseren Garten. Dale steht einen Augenblick wie erstarrt da, dann kommt Leben in ihn. »Kilian, warte!«
»Nicht.« Ich greife Colins Hand fester. »Lass Dale das machen.«
»Aber ...«
»Ich weiß, und wir werden darüber mit ihm sprechen, aber nicht jetzt.«
»Ich dachte, er hätte das verarbeitet«, murmelt Colin besorgt.
»Ich auch. Scheinbar haben wir uns geirrt. Und glaub' mir, Dale wird den Satz nicht so schnell vergessen. Wenn jemand unseren Sohn aus seinem Schneckenhaus holen kann, dann er.«
»Mik ...« Colin bricht ab und schluckt sichtlich. »Ich will doch nur helfen.«
»Das will ich auch, nur sind wir zwei derzeit nicht die richtigen dafür, und das weißt du.«
»Wieso bist du immer so vernünftig?«
»Weil du es gerade nicht sein kannst, Superdad.«
Colin grinst kurz und seufzt anschließend, während er seinen Kopf an meine Schulter lehnt. Ich streichle ihm durchs Haar, weil ihn das beruhigen wird. Und mir selbst hilft es auch, denn ich würde nichts lieber tun, als rausgehen und dabei sein, wenn Dale und Kilian reden. Was sie scheinbar tun, denn noch ist keiner von ihnen wieder zurück ins Haus gestürzt, also hoffe ich einfach auf das Beste.
»Wie wär's mit Kaffee, während wir warten?«, werde ich gefragt und nicke, als Colin den Kopf hebt und mich anschaut. Er kommt nicht ohne einen langen Kuss von mir weg und ich sehe ihm lächelnd nach, bis er in der Küche verschwindet.
Kaffee ist eine gute Idee. Ich schätze, unsere Jungs werden später auch einen brauchen. Mir wäre ja einer mit Schuss am liebsten, aber ich kann mir Colins Blick jetzt schon vorstellen, wenn ich ihm das vorschlage. Wie ich ihn kenne, wird er die nächsten Monate ganz genau hingucken, was Kilian, Dale und Alkohol betrifft.
Ich hoffe, sie schaffen es, denn ich will und kann mir einfach nicht vorstellen, dass die zwei aufgeben und sich scheiden lassen. Ganz besonders jetzt, wo feststeht, dass Dale nichts getan hat. Ich liebe ihn wie meinen eigenen Sohn und ich will, dass sie einen Weg finden, um ihre Eheprobleme in den Griff zu bekommen. Ich kann das nicht fordern, das weiß ich, aber ich wünsche es mir. Sie lieben sich und solange sie das tun, müssen sie kämpfen.
Ich würde Colin auch nicht aufgeben. Wahrscheinlich würde ich ihm eine reinhauen, sollte er auch nur auf die Idee kommen, einen Seitensprung in Betracht zu ziehen, aber ich würde ihn nicht kampflos aufgeben.
Wieso ist es draußen eigentlich so ruhig? Mein Blick wandert Richtung Wohnzimmer. Sie müssen im hinteren Teil vom Garten sein, weil ich sie nicht hören kann, was ich gern würde, ich gebe es zu. Wenn sie sich wenigstens streiten würden. Das wäre mit Sicherheit laut genug, um zu lauschen.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und schiebe dabei meine Hände in die Hosentaschen. Colin habe ich davon abgehalten mitzuhören, also ist es nur gerecht, wenn ich es ebenfalls nicht tue. Vor allem, damit er sich nicht über mich lustig machen kann. Ich schaue erneut in Richtung Küche. Von Colin ist nichts zu sehen, ich könnte doch wenigstens einen kleinen Blick riskieren.
Bevor ich mich zurückhalten kann, habe ich schon die offenstehende Terrassentür erreicht und schaue hinaus. Kilian und Dale stehen sich vor meinem Kräutergarten gegenüber. Beiden ist ihre Verunsicherung darüber, wie es jetzt weitergehen soll, deutlich anzusehen.
»Mik, hast du …?«
»Psst!«, zische ich, bevor ich Colin hektisch an meine Seite winke und in den Garten deute. Kilians Schultern heben sich sichtbar, als Dale nach seiner Hand greift und über seine Finger streichelt. Mehrmals. Doch mein Sohn zögert merklich und schüttelt den Kopf, als Dale etwas zu ihm sagt.