Köstliche Perlen finden sich reichlich - Volker Ebersbach - E-Book

Köstliche Perlen finden sich reichlich E-Book

Volker Ebersbach

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Beschreibung

Seine „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“ standen einst in jedem bildungsbürgerlichen Bücherschrank, erlebten bis heute fast 20 Auflagen und laden noch immer zu Streifzügen in die Frühromantik ein. So war der 1802 in St. Petersburg geborene und 1867 in Ballenstedt gestorbene Maler und Schriftsteller mit Caspar David Friedrich, Theodor Körner und Goethe bekannt. Aber nicht das interessiert hier, sondern kurze, pointierte Gedanken und Formulierungen – gemeinhin auch als Aphorismus bezeichnet, wie es in einer Vorbemerkung heißt: Der Aphorismus ist die kürzeste und dichteste Form der Prosa. Mit Aphorismen kann man kein Buch füllen, wohl aber nach und nach ein Büchlein. Zunehmend spitzt er aber seine Diktion, sich seines Talents als Erzähler wenig bewusst, in Tagebüchern und Briefen, besonders in denen an seinen Bruder Gerhard, die allmählich das Tagebuch ersetzen, schließlich in seinem autobiografischen Erzählwerk „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“ auf hervorstechende, zupackende, zitierbare Sätze zu, die das Gewicht von Sentenzen oder den Glanz von poetischen Streiflichtern annehmen. Zu Recht bezeichnet Ebersbach diese Texte als Perlen: „Köstliche Perlen finden sich reichlich.“ Mit diesem Satz preist Kügelgen 1854 seinem Bruder Gerhard im fernen Estland aus eigener Erfahrung die Lektüre Shakespeares an. Er ahnt noch kaum, mit welcher Berechtigung derselbe Satz auch über seinen eigenen literarischen Arbeiten stehen könnte. Wer sie liest, ist oft versucht, einen Zettel und einen Stift zur Hand zu nehmen. Gibt er dieser Versuchung nach, hat er über kurz oder lang einen Vorrat an „Lesefrüchten“ in der Hand, die er gern anderen mitteilen möchte. Einer gerunzelten Stirn, ob es denn angebracht sei, diese Sätze, Sentenzen, Schilderungen und Betrachtungen aus ihren Zusammenhängen zu reißen, sei erwidert: Ja. Solche Kostproben können bei anderen die Lust wecken, mehr von diesem Mann zu lesen. Darum beschränkt sich diese Auswahl auch nicht auf knappe Sentenzen, sondern sie nimmt Traktatartiges, Porträts und Panoramahaftes hinzu. Nichts davon soll in den Rang des Exemplarischen gehoben werden, und nicht allein das „Tiefsinnige“, „Tiefgründige“, der Philosophie und der Religion Nahestehende kommt hier zur Sprache; auch manches Simple, Details mit ihrer überrumpelnden Komik, witzige Urteile, selbst die Vorurteile, wenn sie etwas Originelles haben, bekommen ihren Platz, Ungerechtigkeiten und bissige bis gehässige Ausfälle werden nicht verschmäht.

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Impressum

Volker Ebersbach

Köstliche Perlen finden sich reichlich

Ein Kügelgen-Brevier

ISBN 978-3-96521-628-0 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Das Buch erschien 2002 im Verlag Janos Stekovics, Halle an der Saale.

Hinweis: Alle Texte wurden auf neue Rechtschreibung umgestellt.

© 2022 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

„Ich wünschte es gäbe gar kein Vergnügen in der Welt, außer dem das sich ungesucht findet.“

Wilhelm von Kügelgen 1841 (BG 58)

Wer also an jener von uns bestrittenen Ansicht einen Trost und Segen haben sollte, ohne sich irgendwie dadurch geirrt zu finden, der lege dieses Buch hier ans der Hand.

Wilhelm von Kügelgen 1850 (WZ 8)

Vorbemerkung

Der Aphorismus ist die kürzeste und dichteste Form der Prosa. Mit Aphorismen kann man kein Buch füllen, wohl aber nach und nach ein Büchlein. Der Hofmaler und Erzähler Wilhelm von Kügelgen hat keine Aphorismen geschrieben. Zunehmend spitzt er aber seine Diktion, sich seines Talents als Erzähler wenig bewusst, in Tagebüchern und Briefen, besonders in denen an seinen Bruder Gerhard, die allmählich das Tagebuch ersetzen, schließlich in seinem autobiografischen Erzählwerk „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“ auf hervorstechende, zupackende, zitierbare Sätze zu, die das Gewicht von Sentenzen oder den Glanz von poetischen Streiflichtern annehmen.

„Köstliche Perlen finden sich reichlich.“ (BG 541) Mit diesem Satz preist Kügelgen 1854 seinem Bruder Gerhard im fernen Estland aus eigener Erfahrung die Lektüre Shakespeares an. Er ahnt noch kaum, mit welcher Berechtigung derselbe Satz auch über seinen eigenen literarischen Arbeiten stehen könnte. Wer sie liest, ist oft versucht, einen Zettel und einen Stift zur Hand zu nehmen. Gibt er dieser Versuchung nach, hat er über kurz oder lang einen Vorrat an „Lesefrüchten“ in der Hand, die er gern anderen mitteilen möchte. Einer gerunzelten Stirn, ob es denn angebracht sei, diese Sätze, Sentenzen, Schilderungen und Betrachtungen aus ihren Zusammenhängen zu reißen, sei erwidert: Ja. Solche Kostproben können bei anderen die Lust wecken, mehr von diesem Mann zu lesen. Darum beschränkt sich diese Auswahl auch nicht auf knappe Sentenzen, sondern sie nimmt Traktatartiges, Porträts und Panoramahaftes hinzu. Nichts davon soll in den Rang des Exemplarischen gehoben werden, und nicht allein das „Tiefsinnige“, „Tiefgründige“, der Philosophie und der Religion Nahestehende kommt hier zur Sprache; auch manches Simple, Details mit ihrer überrumpelnden Komik, witzige Urteile, selbst die Vorurteile, wenn sie etwas Originelles haben, bekommen ihren Platz, Ungerechtigkeiten und bissige bis gehässige Ausfälle werden nicht verschmäht. Wilhelm von Kügelgen war eine nachdenkliche Natur und hatte den galligen Humor des Melancholikers, der auch der Sprache eines Heinrich Heine oder eines Karl Kraus Brillanz gab.

Wilhelm von Kügelgen wurde am 20. November 1802 in St. Petersburg geboren. Sein Vater Gerhard von Kügelgen (1772–1820) war ein bekannter Porträtmaler und arbeitete zu der Zeit am Zarenhof. Die Mutter entstammte livländischem Adel, in Estland ansässig, wo auch Kügelgen als Kind und später, 1822/23 und 1827-29, lebte. 1805 zog die Familie nach Dresden und wohnte die meiste Zeit im „Kügelgenhaus“, dem heutigen Museum zur Dresdner Frühromantik. Hauptstraße 13, das damals „Zum Gottessegen“ hieß. Die Wirren der napoleonischen Kriege sorgten dafür, dass Wilhelm, sein Bruder Gerhard (1806-1883) und seine Schwester Adelheid (1808 bis 1874) an ruhigere Orte gebracht wurden, nach Hermsdorf in der Umgebung Dresdens und an den Hof des Herzogs Alexius von Anhalt-Bernburg in Ballenstedt, den Gerhard von Kügelgen durch einen Porträtauftrag kannte. 1817/18 wohnte Wilhelm von Kügelgen in Bernburg, um dort das Gymnasium zu besuchen, bei dem Superintendenten und Dichter Friedrich Adolph Krummacher. dessen Tochter Julie 1827 seine Frau wurde. 1820 verlor der kaum Achtzehnjährige seinen Vater, dessen Beruf er gerade ergreifen wollte, durch die brutale Tat eines Raubmörders. Er setzte seine Studien an der Kunstakademie Dresden fort, reiste 1825/26 nach Italien, wo er mit Ludwig Richter Freundschaft schloss, und suchte 1828/29 vergeblich eine Anstellung in St. Petersburg. Danach arbeitete er in Hermsdorf an einem großen Altarbild für die Kirche St. Olai im estnischen Reval (Tallinn). 1833 bewarb er sich erfolgreich um die freigewordene Stelle als Hofmaler des Herzogs von Anhalt-Bernburg. Ab Oktober desselben Jahres lebte er mit seiner wachsenden Familie in der kleinen Residenz Ballenstedt und verließ sie nur zu längeren Reisen. In der richtigen Wahrnehmung von Farben beeinträchtigt, gab er das Malen auf. Als Adliger erlebte er die Revolution von 1848/49 ohne Sympathie. Die Neigung zum Liberalismus, gepaart mit heftigen Glaubenszweifeln, wich einer christlich-konservativen Haltung. 1853 wurde er zum Kammerherrn des geisteskranken Herzogs Alexander Carl ernannt. In dieser Zeit begann er die „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“. Sie erschienen 1870 zum ersten Mal und erlebten bis heute immer neue Auflagen. Nach schwerer Krankheit war Wilhelm von Kügelgen schon am 25. Mai 1867 in Ballenstedt gestorben.

Ein durchgehendes Prinzip, nach dem die Auswahl innerhalb der einzelnen thematischen Abschnitte hätte geordnet werden können, ließ sich nicht finden. So schien es angebracht, sie ein wenig ungeordnet zu lassen, damit sie dem Leser keine Zusammenhänge suggeriere, die Kügelgen nicht gemeint hat.

I. Selbsterfahrung

Mir frisst das Ätzwasser des Lebens gewaltige Wunden in die Seele, und ich falle mich an allen Ecken wund, weil ich ein kantiges und melancholisches Gemüt habe.

ZJR 245 (1832)

Von einer übeln Angewohnheit bekehrt man sich wohl, aber niemals von seinem Naturell. Deswegen kann man auch auf ein gutes Naturell Felsen bauen.

BG 197 (1814)

Zu schildern vermögen wir nur, was wir begreifen und verstehen, daher kein Mensch vom anderen ein getreues Bild zu entwerfen vermag, ja keiner von sich selbst. Es sind nur Bruchteile, die wir aneinander erkennen. umso geringere, als die uns entgegenstehende Natur die unsrige überragt, und solche Bruchstücke können es denn auch nur sein, die sich in meiner Erzählung von den Personen finden, die ich schildere.

JUG 248

Wenn ich als kleines Kind Garn wickeln musste, so wusste ich nicht warum und hatte weiter nichts davon, als dass ich nicht faul genannt wurde. Dann kam die Schulzeit mit allen ihren mannigfachen Lernobjekten, mit denen ich mich nur deshalb abmühte, um leidliche Zensuren heimzubringen.

JUG 339

Dennoch lobe ich mir jene alten rußigen Schulhäuser von damals, die viel besser waren, als sie aussahen. Hinter ihren grämlichen Gesichtern war nach deutscher Weise noch ein recht munterer Geist, und jugendlicher Frohsinn gedieh gewiss nicht schlechter als in der kalten Vornehmheit moderner Schulpaläste. Gearbeitet wurde auch nicht weniger als in diesen, wenn auch in anderer Fasson. Man hatte nicht so viele Lehrobjekte, zersplitterte sich weniger und gestattete dem Privatfleiß freieren Raum. Heutzutage wird ohne Frage mehr gelehrt, als gelernt werden kann – dazumal war's umgekehrt.

JUG 310

Die Schule und die Wildnis sind die einzigen Orte, wo der Mensch an sich was gilt, allein auf sich gesetzt ist und der Charakter sich entwickelt.

JUG 160

Für Knaben gibt es in der Welt nichts, was dem kleinen Lutherschen Katechismus an Langweiligkeit gleichkäme, wenn er nämlich an und für sich ohne weitere Zutat genossen wird; die Pfeife aber versüßte ihn mir dergestalt, dass jenes Morgenstündchen mir das liebste am ganzen Tage war.

JUG 262

Ich hätte den Frack darangegeben, wenn ich das Examen losgewesen wäre.

JUG 274

O, es ist unbeschreiblich, welcher Entzückungen und Seligkeiten eine Knabenseele fähig ist, wenn sie den Staub der Schule abgeschüttelt.

JUG 300

In der Tat, wenn die Mädchen nicht aggressiver wären als wir, so achte ich dafür, es sei unmöglich, dass jemals ein Paar zustande käme.

JUG 142

Knaben wissen noch mit Jungfrauen nichts anderes anzufangen, als dass sie ein heimliches Belieben zu ihnen tragen, und das war auch mein Fall.

JUG 300

Klug wird man in der Regel dann, wenn man‘s nicht mehr braucht, und dann ist‘s ein Schatz, der sich nicht vererben lässt.

BG 47(1840)

Als Jüngling strebt man nach Vollkommenheit und findet als Mann, dass die höchste Vollkommenheit, die wir erreichen können, in der Überzeugung ihres Mangels liege …

BG 95 (1842)

… wer in ein Gleis geraten ist, auf dem sein Wagen nicht spurt, der wird immer schlecht fahren.

BG 181 (1844)

Du weißt, dass ich dem Adel angehöre, dessen eigentümlicher Charakter von alters her dem der Kaufleute entgegengesetzt war, daher sie denn auch in beständiger Fehde miteinander gelegen haben, solange man in Deutschland noch einen Arm frei rühren konnte. Was dem einen Teil groß erschien, erschien dem anderen dumm, was der eine für die höchste männliche Tugend hielt, der persönliche Mut, war dem anderen etwas Unnützes und wurde verlacht. So waren und sind sie in ihrem Grundcharakter sehr verschieden, und noch jetzt betrachtet der eine Stand den anderen mit Vorurteilen. Unter solchen bin ich aufgewachsen und habe oft Widerwillen gegen Kaufleute gefühlt, wo ich mir selbst keinen anderen Grund angeben konnte, als dass sie eben Kaufleute waren; nur soviel fühlte ich immer, dass sie von meiner gewohnten Umgebung so ganz verschieden waren und mich fremdartig ansprachen. Jedoch bemühe ich mich ernstlich, solche Vorurteile in mir auszurotten.

ZJR 123 f. (An Julie, 24. September 1826)

Etwas interessanteres als das Weib scheint es doch überhaupt für den Mann auf Erden nicht zu geben. Auch ist das Weib die lieblichste Kreatur Gottes, wenn es nur wirklich ein Weib ist. Es ist köstlicher als Gold und Edelgestein.

BG 199 f. (1844)

Wie sind wir so oft schon per aspera ad astra gelangt und wenn eine dunkle Zeit vorüber ist im Leben, so gäbe man sie für keinen Preis wieder weg.

BG 85 (1842)

… wie ich denn überhaupt die Erfahrung gemacht habe, dass sogenannte Unfälle häufig weiter nichts sind als die Eintrittspreise zu großen Freuden.

JUG 76 f.

Hätte ich nicht eine so vorwaltende Sinnlichkeit, die mich früher oft abgehalten hat, recht entschieden Ernst zu machen, hätte ich namentlich in einer früheren Periode mehr sittliche Erfolge gehabt, so, glaube ich, hätte ich auch den Verstand verlieren können.

BG 157 (1843)

Man kann eben, je nachdem es die Gelegenheit gibt, abwechselnd fromm und ruchlos sein …

JUG 314

… und der Tod, diese größte der Lügen, blieb immer die alleinige und ausschließliche Wahrheit.

JUG 238

Schwärmereien ist indessen mit Vernunft nicht beizukommen.

JUG 325

In trüben Stunden ist mir die ganze Welt eine niederträchtige, unentlarvbare Lüge.

BA (V) 247 (1842)

… die Freude ist der beste Doctor für kranke Herzen.

BA (H) 260 (1862)

Ich werde ewig ein Fremdling in der Welt sein, in welcher ich an Einsamkeit fast sterbe. Ich bin entsetzlich einsam, und ich fühle das so schmerzlich, weil ich unter vielen Menschen lebe.

BG 170 (1811)

Wirklich froh werden könnte ich, wie ich meine, nur durch zwei Dinge, durch Glauben an die Schrift und durch Farbensinn, das heißt durch ein helles Auge des Geistes und des Leibes. Ohne Glauben und ohne Fähigkeit zu seinem Beruf taugt man nichts. Dennoch wenn ich bedenke wie Gott mich Taugenichts bis diese Stunde mit unendlicher Langmut getragen und wie er mir so sehr viel Güter des Lebens schenkt, auf die die meisten Menschen verzichten müssen, wie so viele kleine bunte Farben ganz unverdient und unverhofft hineinspielen, große Bitterkeiten und Entsagen versüßen, so finde ich in einem lebhaften warmen Gefühl des Dankes doch noch ein Glück.

BG 201 (1844)

So ganz bin ich mit mir noch nicht im Reinen, worin eigentlich für mich der Reiz einer Gegend besteht; nur soviel weiß ich, dass dieser für mich augenblicklich wegfällt, sowie sie von Chausseen, geraden Wegen, Kanälen durchschnitten wird. Ich glaube, es ist das unverfälscht Natürliche, was mich anzieht, dass die Menschen nichts dazu getan haben. Die Dresdner Gegend ist durchgehends Garten und gefällt mir als solcher außerordentlich – nur dass ich‘s nie lange im Garten aushalte, weil er mich ennyiert. Unser Ballenstedter Wald ist noch rein Natur, darum erquickt er meine Seele.