Lilith – oder: Wie kam die Untreue in die Welt? - Volker Ebersbach - E-Book

Lilith – oder: Wie kam die Untreue in die Welt? E-Book

Volker Ebersbach

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Beschreibung

Sie wollte oben liegen. Wer? Lilith. Wer ist Lilith? Vielleicht weiß nicht jeder (Mann/Mensch), dass Adam, der erste Mensch im Paradies, alten Überlieferungen nach zwei Frauen hatte – allerdings nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Soviel Ordnung muss sein. Die erste seiner Frauen war nicht Eva, wie man immer hört, sondern sie hieß Lilith. Zumindest in einer Variante, wie Ebersbach in seinem kenntnisreichen Essay (Essay ist das französische Wort für Versuch) zu berichten weiß: Es ist Lilith. Die mythische Überlieferung der Juden, aus der auch der unter christlichen Aspekten zusammengestellte Kanon der Bibel, des Alten Testaments, zusammengestellt worden ist, kennt sie in einer Variante der Schöpfungsgeschichte. Das „Alphabet des Ben Sira“ vermutlich zwischen 700 und 1100 n. Chr. für die Kabbala aufgezeichnet, erzählt ihre Geschichte. Lilith verdankt ihre Erschaffung wie Eva der Einsamkeit des ersten Mannes. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, sprach der HERR, nachdem er Adam erschaffen hatte. „Und er schuf“, so heißt es weiter in der Fassung von Micha Josef bin Gorion (der die Schreibweise „Lilit“ bevorzugt), „ein Weib aus der Erde, aus der Adam gebildet war, und hieß ihren Namen Lilit. Alsbald hatten die beiden Streit miteinander, und Lilit sprach: Bist doch nur meinesgleichen, beide sind wir von der Erde genommen! – Und eins hörte nicht auf das Wort des andern.“ In dieser Fassung ist der patriarchalische Gegenstand des Streites schon erkennbar: Lilith mahnt ihre Gleichrangigkeit an. Doch ohne dass es ausdrücklich erwähnt würde, sieht Adam seinen Vorrang darin, dass er zuerst geschaffen wurde. Die gleiche Herkunft ist für Adam kein Grund, seiner Gefährtin gleiche Rechte zu gewähren. Im Wortlaut der „Genesis“ wird die ersterschaffene Frau als „Gehilfin“ oder als „Hilfe“ deutlich patriarchalisch in die dienende Rolle verwiesen. „Wie nun Lilit sah, dass kein Friede war, sprach sie den wahrhaften Namen Gottes aus und flog davon in die Lüfte“. Die Küsse des schönen Weibes, die Adam aus seiner Einsamkeit erlösen, mischen sich also, wie man sich leicht vorstellen kann, bald mit Ohrfeigen. Der Streit lässt sich nicht schlichten, denn Wort steht gegen Wort, Aussage gegen Aussage. Im Buch Sohar, dem Hauptteil der Kabbala, findet sich jedoch eine Variante, die Lilith recht gibt: Den ersten, hermaphrodisischen oder noch ganz geschlechtslosen Mensch spaltet Gott auf in Mann und Weib. Für diesen Fall wäre die Rangfrage wirklich nicht zu entscheiden.

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Impressum

Volker Ebersbach

Lilith – oder: Wie kam die Untreue in die Welt?

Ein Essay

ISBN 978-3-96521-630-3 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Sonderdruck aus:

Frauen im Mythos

Herausgegeben von Georg Schuppener und Reiner Tetzner, Leipzig 2000

Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e.V.

© 2022 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

1. Geschlecht als Schicksal

Schöpfungsmythen verschiedener Kulturkreise erzählen von einem ersten Menschenpaar. Das bekannteste ist Adam und Eva. Der Mythos über die Sintflut, die alles Leben vernichtet bis auf die Einzelexemplare, die Gott selbst auswählt, gibt Noah bereits außer seiner Frau ihre Söhne Sem, Ham und Japhet, Stammväter für die Völkergruppen der Alten Welt, und deren Ehefrauen bei. In den griechischen Mythen, die gleichfalls eine Sintflut kennen, überleben allein Deukalion, der Sohn des Gottes Prometheus aus dem Geschlecht der Titanen, der die Menschen ähnlich dem biblischen Herrgott aus Erde geformt hatte, und seine Gemahlin Pyrrha, die Tochter des Prometheus-Bruders Epimetheus, sowie ihre Kinder, von denen Hellen zum Ahnherrn der Hellenen wurde. Deukalions schwimmender Kasten landet nicht wie die Arche am Ararat, sondern am Pamassos. Deukalion und Pyrrha lassen das Menschengeschlecht auf göttliches Geheiß wiedererstehen, indem sie Steine, die Gebeine der Erde, hinter sich werfen, so dass, wie Ovid im ersten Buch seiner Metamorphosen erzählt, aus den Händen des Mannes neue Männer, aus denen der Frau neue Frauen erwachsen. Dem ließen sich weitere, meist aber weit kompliziertere Beispiele aus anderen Mythenkreisen an die Seite stellen. Sogar eine präkolumbianische Kultur Amerikas, die der Inkas, weiß von einer Sintflut und ersten geschwisterlichen Menschenpaaren. Manco Capac und seine Schwester Mama Ocllo, Kinder der Sonne, gingen aus der Pakari-Tambu, der Höhle der Werdens, mit einem anderen Geschwisterpaar hervor an dem Tag, als die Sonne zum ersten Mal schien.

Die uns geläufigste Version jedoch schildert die biblische Schöpfungsgeschichte im ersten Kapitel des Ersten Buches Mose mit der Erschaffung des ersten Menschenpaares am sechsten Tag seines Werkes: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib“ (I. Mose 1, 27). Eine Bruchstelle fällt auf: Vor dem Semikolon ist es ein Mensch, danach sind es pötzlich zwei. Allerdings spaltet sich im Fortgang der Erzählung die Erschaffung von Adam und Eva tatsächlich auf. Gott hat längst an seinem siebten Schöpfungstag geruht, und Adam müsste eigentlich schon einige Zeit allein im Paradies umhergegangen sein, ja, der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, von dem Adam bei Strafe seines Todes nicht essen darf, wirft bereits Schatten (I. Mose 2, 17) - da besinnt sich HERR und spricht: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei“ (wörtlich: „ich will ihm eine Hilfe schaffen als sein Gegenüber, d.h. die zu ihm passt“ [I. Mose 2, 18]). Der Leser wird flüchtig noch einmal in den sechsten Schöpfungstag zurückgerufen, indem er abermals von der Erschaffung der Tiere und Vögel erfährt, als sollte hier der Satz mit der Bruchstelle am Semikolon präzisiert werden. Doch er kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihm die Erschaffung des Weibes zweimal vorgesetzt worden ist, dass er es entweder mit einem Widerspruch oder mit einer Lücke und einem recht auffällig und unordentlich eingefügten Nachtrag zu tun hat.

Wie dem auch sei: Der erste Mensch ist in dieser Erzählung einsam, einsam wie nur Gott selber vor seiner Schöpfung. Die Zweisamkeit des ersten Menschenpaares ist aber noch keine Aufhebung dieser Einsamkeit, sondern eine Zwei-Einsamkeit. Der Mann hat kein Gegenüber als die Frau, die Frau keins als den Mann. Sie sind einander Schicksal. Mit dem ersten Menschenpaar wird das Geschlecht eines Menschen sein Schicksal. Aber auch das andere Geschlecht wird sein Schicksal.

2. Lilith: Küsse mit Ohrfeigen

Im mythisch-mystisch ausgelassenen, sittlich lockeren Treiben der Walpurgisnacht zeigt Goethes Mephistopheles sie dem staunenden Faust:

„Adams erste Frau.

Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren,

Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.

Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,

So lässt sie ihn so bald nicht wieder fahren.“

Es ist Lilith. Die mythische Überlieferung der Juden, aus der auch der unter christlichen Aspekten zusammengestellte Kanon der Bibel, des Alten Testaments, zusammengestellt worden ist, kennt sie in einer Variante der Schöpfungsgeschichte. Das „Alphabet des Ben Sira“ vermutlich zwischen 700 und 1100 n. Chr. für die Kabbala aufgezeichnet, erzählt ihre Geschichte. Lilith verdankt ihre Erschaffung wie Eva der Einsamkeit des ersten Mannes.

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, sprach der HERR, nachdem er Adam erschaffen hatte. „Und er schuf“, so heißt es weiter in der Fassung von Micha Josef bin Gorion (der die Schreibweise „Lilit“ bevorzugt), „ein Weib aus der Erde, aus der Adam gebildet war, und hieß ihren Namen Lilit. Alsbald hatten die beiden Streit miteinander, und Lilit sprach: Bist doch nur meinesgleichen, beide sind wir von der Erde genommen! – Und eins hörte nicht auf das Wort des andern“. In dieser Fassung ist der patriarchalische Gegenstand des Streites schon erkennbar: Lilith mahnt ihre Gleichrangigkeit an. Doch ohne dass es ausdrücklich erwähnt würde, sieht Adam seinen Vorrang darin, dass er zuerst geschaffen wurde. Die gleiche Herkunft ist für Adam kein Grund, seiner Gefährtin gleiche Rechte zu gewähren. Im Wortlaut der „Genesis“ wird die ersterschaffene Frau als „Gehilfin“ oder als „Hilfe“ deutlich patriarchalisch in die dienende Rolle verwiesen. „Wie nun Lilit sah, dass kein Friede war, sprach sie den wahrhaften Namen Gottes aus und flog davon in die Lüfte“.

Die Küsse des schönen Weibes, die Adam aus seiner Einsamkeit erlösen, mischen sich also, wie man sich leicht vorstellen kann, bald mit Ohrfeigen. Der Streit lässt sich nicht schlichten, denn Wort steht gegen Wort, Aussage gegen Aussage. Im Buch Sohar, dem Hauptteil der Kabbala, findet sich jedoch eine Variante, die Lilith recht gibt: Den ersten, hermaphrodisischen oder noch ganz geschlechtslosen Mensch spaltet Gott auf in Mann und Weib. Für diesen Fall wäre die Rangfrage wirklich nicht zu entscheiden. Ist sie aber erst einmal strittig geworden, kann das erste Menschenpaar – wie alle Menschenpaare – keine Mehrheitsentscheidung finden. Eine Trennung, die Rückkehr in die Einsamkeit, ist unvermeidlich. Lilith verlässt Adam. Sie lässt ihn allein, geht eigene Wege. Aber solange es nur ein Mann und eine Frau miteinander zu tun haben, gibt es nur das Verlassen, noch keine Untreue.

Lilith kommt mit ihrer Einsamkeit nach der Trennung weit schlechter zurecht als Adam. Das verwundert nicht. Wo auch immer Relikte des Matriarchats in den Mythen zu finden sind – und nichts anderes ist die Geschichte von Adam und Lilith – sind sie uns nur über eine patriarchalische Propaganda überliefert worden, die mit einer Verunglimpfung der weiblichen Sexualität arbeitet: