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Seit der Kindheit ein Faible für Lavendel zu haben, ist nichts, was ich einem schwulen Jungen wünsche, aber ich habe es genauso überlebt wie mein Outing mit Ende Dreißig, nachdem meine Ex-Frau mir erst mal erklären musste, dass es einen Grund hat, warum ich gerne Männer anstarre und in unserem Ehebett nichts mehr läuft. Mittlerweile ist sie wieder verheiratet und wenn es nach ihr, unseren Söhnen und ihrem neuen Mann Dirk geht, sollte sein schwuler Bruder möglichst bald mein Lover werden. Blöd nur, dass Hannes gegen Lavendel allergisch ist und mit bärtigen Mittvierzigern leider so gar nichts anfangen kann.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Mathilda Grace
LAVENDELHERZ MIT KUSS
Lavendelherz mit Kuss
1. Auflage, April 2020
Impressum
© 2020 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2019
Foto: grafixart_photo; Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Korrektorat: Corina Ponta
Web: www.mathilda-grace.de
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Lavendelherz mit Kuss enthält homoerotische Szenen.
Mathilda Grace
Humorvoller Liebesroman
Liebe Leserin, Lieber Leser,
ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.
Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.
Dankeschön.
Liebe Grüße
Mathilda Grace
Vorwort
Dieser Roman enthält folgende Dinge: schrägen Humor, jede Menge Koch- und Backszenen, zu viel Lavendel, verschrobene Charaktere, einen unmöglichen Polizisten mit Faible für Handschellen und einiges an Schmuddelkram.
Absolut nicht ernst zu nehmen.
Könnte sogar einen Zuckerschock auslösen.
Ach ja, die Autorin übernimmt keine Haftung für nach dem Lesen zu eng gewordene Hosen. Die Rezepte der verschiedenen Gerichte im Buch können gerne bei mir nachgefragt werden.
Seit der Kindheit ein Faible für Lavendel zu haben, ist nichts, was ich einem schwulen Jungen wünsche, aber ich habe es genauso überlebt wie mein Outing mit Ende Dreißig, nachdem meine Ex-Frau mir erst mal erklären musste, dass es einen Grund hat, warum ich gerne Männer anstarre und in unserem Ehebett nichts mehr läuft. Mittlerweile ist sie wieder verheiratet und wenn es nach ihr, unseren Söhnen und ihrem neuen Mann Dirk geht, sollte sein schwuler Bruder möglichst bald mein Lover werden. Blöd nur, dass Hannes gegen Lavendel allergisch ist und mit bärtigen Mittvierzigern leider so gar nichts anfangen kann.
Prolog
Lavendel.
Ich liebe Lavendel.
In Seifen, Deos, Ölen, Kerzen oder als Gemälde an meiner Wand. Schon als kleiner Junge war ich verrückt nach Lavendel und habe mit Begeisterung meine Sommer im Garten meiner Großmutter verbracht, um dort an ihren Lavendelpflanzen zu schnuppern und danach stundenlang den Insekten zuzusehen, wie selbige, während ich mitten in Omas großem Blumenbeet lag, um mich herumschwirrten.
Einfach hat es mir diese Liebe allerdings nicht gemacht. Als schmächtiger Junge mit einem Faible für Blumen, hat man es in der Schule nicht leicht, aber das ist lange her.
Trotzdem genieße ich meine große Liebe immer noch lieber im Geheimen. Es reicht nämlich völlig aus, dass ich in meiner neuen Nachbarschaft bereits als falscher Schwuler verschrien bin. Käme jetzt noch mein Faible für die hübschen, lilafarbenen Blüten ans Licht – ich will mir besser nicht ausmalen, welchen Ruf ich dann bekäme.
Als ordnungsgemäßer Homosexueller habe ich auf meine Frisur zu achten, stylishe Klamotten zu tragen und mir jede Woche die Finger- und Fußnägel zu lackieren. Nachdem ich mir jedes einzelne Haar vom Körper entfernt habe. Mit Wachs, versteht sich. Ein richtiger Schwuler benutzt schließlich keinen profanen Rasierer.
So sehen das zumindest meine Nachbarn und können gar nicht verstehen, dass ich gerne Jeans und löchrige T-Shirts zu einem viel zu langen Bart trage. Dass ich außerdem verheiratet war und zwei aufgeweckte Söhne habe, die es nicht die Bohne stört, dass Papa lieber heiße Männer ansabbert – was für ein Skandal. Und dass ich nicht mit Modelmaßen aufwarten kann, war dann das i-Tüpfelchen auf der Sahnetorte meiner Schande, denn welcher ernsthaft schwule Mann, der etwas auf sich hält, trägt bitteschön einen Wohlstandsbauch vor sich her und trinkt mit Begeisterung kaltes Bier direkt aus der Flasche?
Zur Verteidigung meiner Nachbarschaft sei gesagt, dass sie vorrangig aus alten Leuten besteht und im Grunde alle richtig nette Menschen sind. Nun ja, sieht man mal von ihrem etwas sonderbaren Weltbild ab.
»Lass sie reden«, sagt Monika, meine Ex-Frau immer, wenn sie sich wieder unangemeldet zum Kaffeekränzchen einlädt, weil sie mich zwar nicht mehr in ihrem Bett haben kann, aber keinesfalls bereit ist, deshalb auch gleich auf meine grandiosen Koch- und Backkünste zu verzichten. O-Ton Monika übrigens, und unsere beiden minderjährigen Rotzlöffel, genannt Dennis und Mark, stimmen ihr da jedes Mal zu.
Besonders, wenn es Schokoladen- oder Käsekuchen gibt.
Wir waren eine Bilderbuchfamilie und wären es vielleicht heute noch, aber Monika war im Kopf schon immer schneller als ich, wenn es um das Begreifen unabänderlicher Tatsachen geht, und dass ich eines Tages begann, anstatt jüngerer Frauen, fremde Männer anzugucken hat sie zwar anfänglich ein wenig irritiert, ihr aber dann ziemlich schnell klar gemacht, dass das wahrscheinlich der Grund für meine Lustlosigkeit im ehelichen Schlafzimmer ist.
Mittlerweile hat sie dafür Dirk gefunden und geheiratet. Er liebt meine Kochkünste im Übrigen auch. Außerdem liebt Dirk seinen Bruder, der in demselben Strom schwimmt wie ich, wie Dirk es gern feixend nennt, und alle paar Wochen nicht gerade subtil versucht, uns miteinander zu verkuppeln.
Dumm nur, dass Hannes absolut nicht verkuppelt werden will, sondern lieber die Welt vor bösen Menschen – allen voran die Tierhasser, die seiner Meinung nach zur Strafe ebenfalls an Autobahngeländer gekettet oder in stinkende Müllcontainer geworfen werden sollten – retten würde.
Wahlweise tut es für ihn aber auch das nächste ausgesetzte Katzenbaby, die er ständig irgendwo in stachligen Hecken oder zugeklebten Kartons findet und dann mit zu sich nach Hause nimmt, denn Hannes ist Tierarzt aus Leidenschaft, der leider überhaupt nicht auf bärtige Mittvierziger abfährt und zudem auch noch allergisch auf Lavendel reagiert.
Tja, mein Pech, würde ich sagen.
1
»Auf gar keinen Fall.«
Jürgen, mein jüngerer Bruder, kichert am anderen Ende der Telefonleitung. »Matti, er ist echt nett.«
»Ist mir egal, ich gehe nicht mit einem Arbeitskollegen von dir aus«, murre ich mit finsterem Blick auf meine abkühlenden Blaubeermuffins, die ich nach dem Frühstück schnell gemacht habe, weil Monika mir eine Nachricht geschrieben hat, dass sie heute mit unseren Jungs und Dirk vorbeikommt.
Was mir eigentlich schon gestern hätte klar sein müssen, denn es ist Sonntag und an Sonntagen laden sie sich ständig selbst zu mir zum Kaffeekränzchen ein. Aber irgendwie bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, weil ich gestern im Café war und heute vorhatte, ein paar neue Ideen für leckere Pralinen auszuprobieren.
Das muss jetzt bis morgen warten, aber mich hetzt ja, Gott sei Dank, niemand mehr. Die Zeiten sind vorbei und ich werde alles tun, um dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Mit der Hand streiche ich mir gedankenverloren über die Brust, bis mir wieder einfällt, dass ich immer noch Jürgen am Telefon habe, der gerade heiter lacht.
»Was?«
»Dabei hatte Wilhelm sich schon so darauf gefreut, meinen muffeligen Bruder kennenzulernen.«
»Wilhelm?«, frage ich verdattert und Jürgen prustet los. Er ist so ein Kindskopf manchmal. »Idiot.«
»Komm schon, Matti. Tom steht auf Bärte.«
»Ist mir doch egal«, grolle ich und stelle die Teigschüssel in die Spüle. Ich muss unbedingt noch abwaschen und die Küche aufräumen, bevor sie hier einfallen. »Und ich dachte, er heißt Wilhelm.«
»Das ist sein Zweitname, nach seinem Opa. Wir ziehen ihn regelmäßig damit auf.«
Und das wundert mich nicht im Geringsten. Jürgen arbeitet im Bergbau, zumindest hat er das, bis sie die Steinkohlezechen nach und nach dicht gemacht haben. Mittlerweile gehört er zu den Übriggebliebenen, die sich auch in Zukunft um die Stollen kümmern und dafür sorgen sollen, dass das Ruhrgebiet nicht überflutet wird. Ich habe nicht viel Ahnung von seiner Arbeit, aber ich weiß, dass sie wichtig ist. Verdammt wichtig. Und ich weiß ebenfalls, dass die Kumpel da unten eine ganz eigene Art von Zusammenhalt und Humor entwickelt haben.
Wenn Jürgen mir also seinen Kollegen vorschlägt, kann ich davon ausgehen, dass selbiger ein wirklich netter Mann ist und ernsthaft daran interessiert, jemanden kennenzulernen. Ich bin aber nicht interessiert und ich werde garantiert nicht ausgehen und dadurch vielleicht Hoffnungen wecken, die ich überhaupt nicht erfüllen will. Mir gefällt mein Single-Status.
Okay, das ist gelogen, aber ich bin einfach nicht bereit, mich auf irgendetwas einzulassen.
Oder auf irgendwen.
»Sag Wilhelm, ich bin nicht sein Typ.«
Jürgen seufzt. »Du bist so eine Spaßbremse, seit du schwul bist, Matthias. Aber ich liebe dich trotzdem. Hey, hast du heute Nachmittag Zeit?«
»Monika kommt mit der Sippe zum Kaffee.«
»Perfekt. Ich schließe mich ihnen an und bringe Julian mit. Der Junge bekommt langsam viereckige Augen, so lange wie er jeden Tag am Laptop hockt. Manchmal kommt er mir vor, wie dieser Neo aus der Matrix.«
Ich muss lachen, denn so abwegig ist Jürgens Aussage gar nicht. Julian ist mein einziger Neffe und ein 15-jähriger Nerd, wie er im Buche steht. Zurückhaltend, höflich, schmal gebaut und er sitzt tatsächlich am liebsten vor dem Computer. Jürgen erzieht ihn allein, seit Mandy, Julians Mutter, den Jungen als Baby vor seiner Tür abgelegt hat, weil sie lieber in Hamburg Party machen wollte, anstatt im Ruhrgebiet sesshaft zu werden und Mutter zu sein.
»Dafür reichen die Muffins nicht.«
»Hallo?«, empört er sich. »Bist du Konditor oder nicht? Soll ich eine gekaufte Torte mitbringen?«
Mich schaudert es unwillkürlich, weil Jürgen genau weiß, wie ich zu Kuchen vom Fließband stehe. In dieser Hinsicht bin ich ein Snob, aber ich liebe meinen Beruf und ich liebe es, Chef meiner eigenen, kleinen Konditorei zu sein, auch wenn ich dort nur noch selten hinter der Verkaufstheke stehe.
Seit meinem schweren Herzinfarkt vor vier Jahren muss ich es ruhiger angehen, aber ich habe ein tolles Team in meinem Café, das wunderbar ohne mich klarkommt. In ein paar Jahren werde ich ihnen »Süße Häppchen« vielleicht vermachen und in den Ruhestand gehen. Doch noch kann ich mich mit diesem Gedanken nicht anfreunden, also beschränke ich mich derzeit darauf, zwei- bis dreimal in der Woche nach dem Rechten zu sehen, dabei regelmäßig kleine Überraschungen für mein Team mitzunehmen und mich sonst um den anfallenden Papierkram zu kümmern, damit Bianca, Corina, Sophie und Leon sich auf die seit Monaten wachsende Zahl von Kunden und das Backen all unserer Köstlichkeiten konzentrieren können, die ein Grund für meinen kleinen Wohlstandsbauch sind, wobei ich auch den Genuss mittlerweile lieber etwas eingeschränkt habe. Meiner Gesundheit zuliebe.
»Bring eine gekaufte Torte mit, Jürgen Peter Baum, und ich werde verleugnen, dass ich je einen Bruder hatte.«
Jürgen legt lachend auf und ich lege mein Telefon grinsend zur Seite. Wenn er und Julian auch kommen, sind wir zu siebt, das heißt, ich muss wenigstens noch einen Obstboden machen. Die gehen am schnellsten und ich habe noch Dosenpfirsiche in der Vorratskammer. Frisches Obst wäre mir zwar lieber, aber das ist im Januar nun mal nicht zu kriegen und ich kaufe kein Obst, das mit Schiffen durch die ganze Welt gekarrt wird, nur damit verwöhnte Kunden im Winter Kirschen für zwölf Euro das halbe Kilo essen können.
Ich bin da ein wenig eigen, aber das bringt mein Beruf wohl mit sich. Immerhin habe ich einen Ruf zu verlieren und ich will nicht, dass meine Kunden abfällig sagen, der Matti backt nicht mehr frisch, sondern setzt nur noch auf Importware.
Nein, danke. Ich verzichte gerne.
»Süße Häppchen« gilt als Geheimtipp, gerade weil ich nicht nur auf große Torten oder Kuchen für besondere Anlässe setze, sondern vor allem die alltäglichen Köstlichkeiten immer frisch anbiete. Wer will schon jeden Tag eine dicke Torte? Manchmal reichen eine Praline oder ein paar Kekse. Oder eben Muffins, die sind ein Verkaufsschlager im Café, vor allem da ich ständig neue Rezepturen ausprobiere und die Stammkundschaft längst genau darauf lauert.
Oder uns sogar Tipps gibt, wie die Frage, ob wir nicht mal Schokoladen-Chilli-Muffins machen könnten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die richtige Rezeptur gefunden hatte, aber das Ergebnis war ein Renner im Café. Sobald die Narrenzeit vorbei ist, werde ich mich wieder nach frischen Ideen umhören, aber als nächstes steht der Karneval auf dem Plan und in dieser Zeit wollen die Leute vor allem eines – Alkohol. Ob in Flaschen, im Glas oder im Gebäck ist dabei völlig egal, und ich freue mich schon darauf, Berliner, Muffins, Quarkbällchen, Spritzkuchen, Krapfen und und und mit Creme, Mus und vor allem Alkohol zu befüllen.
Aber jetzt erst mal der Obstboden.
Mit routinierten Bewegungen suche ich mir die benötigten Zutaten, wobei mir auffällt, dass ich Nachschub brauche. Vor allem Mehl, Zucker und Eier sind fast alle. Ich rühre den Teig zusammen und stelle ihn in den Backofen. Jetzt das Obst in ein Sieb, um den Saft in einer Schüssel darunter aufzufangen, denn ich brauche ihn später für den Tortenguss.
Der Boden backt schnell, aber ich fange trotzdem schon mit dem Aufräumen der Küche an, und als eine Stunde später alles fertig ist und ich unter der Dusche stehe, fällt mir ein, dass ich auch fast keinen Kaffee mehr habe. Ich werde morgen auf dem Weg ins Café einkaufen müssen, und ich darf auf keinen Fall vergessen, vier Muffins zu verstecken, die für die Mädels und Leon gedacht sind.
Mit drei gefräßigen Teenagern zum Kaffee im Haus kann ich froh sein, wenn heute Abend noch ein Krümel übrig bleibt. Wo die Jungs das immer hin essen, ist mir ein Rätsel. So einen Stoffwechsel möchte ich auch wieder haben, aber die Zeit liegt lange hinter mir und das verrät mir der kritische Blick in den Spiegel nach der Dusche deutlich.
Ich bin nicht fett, aber ich wiege für meine Größe eindeutig zu viel. Monika sagt immer, ich bin »gemütlich«, vor allem mit dem Bart, aber sie gehört ohnehin zu den seltenen Leuten, die sich nicht die Bohne ums Aussehen ihrer Mitmenschen schert. Für sie zählt der Charakter, ganz egal ob jemand groß, klein, dick, dünn, schwarz, weiß oder sonst etwas ist.
Darum ist Dirk auch so vollkommen anders als ich. Wo ich körperlich gemütlich bin, ist er hochgeschossen und schlank. Ich bin brünett, er ist blond. Er hat blaue Augen, meine sind braun. Ihm würde nie einfallen, sich einen langen Bart stehen zu lassen, meiner muss dringend wieder gestutzt werden, was ich auch in Angriff nehme, während ich weiter über Dirk und mich nachdenke, denn charakterlich gleichen wir uns ziemlich. Ich schätze, deshalb kommen wir auch so gut miteinander aus. Er liebt seine Arbeit im Finanzamt, genauso wie ich meine als Konditor, und er ist total verrückt nach Monika, was ich auch mal war, obwohl ich mittlerweile weiß, dass ich sie mehr liebe, wenn ich in ihr nur eine kleine Schwester sehe.
Dennoch, wir hatten eine gute Ehe und sind, dank Monika, heute die besten Freunde, obwohl sie schwer enttäuscht war, dass ich selbst als Homosexueller mit den Themen Schuhe und Shopping nichts anfangen kann.
Falscher Schwuler, wie schon gesagt.
Die Nachbarschaft kann man sich nicht immer aussuchen, die Familie hingegen schon. Zumindest in meinem Fall, denn alle in meinem engeren Umfeld leben nach dem Motto »Leben und leben lassen«, und das hat mir mein spätes Outing leicht gemacht. Besonders gegenüber meinen Kindern, denn ich hätte es nie ertragen, wenn Mark und Dennis mich abgelehnt hätten, nur weil ich Männer mehr mag als Frauen.
Eigentlich erstaunlich, dass ich so lange gebraucht habe, es zu kapieren. Aber früher gab es diese Dinge einfach nicht und man hat sich den üblichen Gegebenheiten angepasst. Ehe und Kinder gehörten für einen Mann nun mal dazu und da Monika mir den Hof gemacht hat und ich sie mochte, war der Weg vor den Traualtar nicht weit.
Wenn es doch nur genauso leicht wäre, einen guten Mann fürs Leben zu finden. Nichts gegen den unbekannten Wilhelm oder auch gegen Hannes, aber ich bin wahrlich nicht der Typ, der auf andere zugeht und Kontakt sucht. Das war ich nie und das macht es natürlich nicht einfacher, jemanden zu finden, der bereit ist, mit mir Tisch und Bett zu teilen und meine kleinen Besonderheiten zu akzeptieren.
Ich greife nach dem Deospray mit Lavendelduft und atme nach dem Sprühen genüsslich ein. Jürgen sagte mal belustigt, ich würde frisch geduscht wie eine Blumenwiese duften, und damit hat er wohl nicht ganz unrecht, aber ich liebe Lavendel nun mal, und wenn das heißt, dass ich Deodorants für Frauen benutzen muss, weil es diese Düfte für Männer schlicht nicht gibt, dann ist das eben so. Da ich alleine lebe und nicht mal ein Haustier habe, stört es ja keinen, wie ich rieche.
Wobei es vielleicht gar keine so üble Idee ist, mal über eine Katze oder einen Hund nachzudenken. Ein Hund könnte mein Haus bewachen und ich müsste regelmäßig mit ihm spazieren gehen. Eine Katze könnte im Haus bleiben oder auch raus und den Garten nutzen. Ich habe kaum Erfahrung mit Tieren, aber der Gedanke, dass da jemand wäre, der mich braucht, der hat durchaus was, und Dirk würde mit Sicherheit nicht allzu lange fackeln, wenn ich ihm sage, dass ich eine Katze will. Oder eben einen Hund. Mit einem Tierarzt in der Familie, der zu Hause einen halben Zoo hat, zumindest laut Dirk, wäre es bestimmt leicht, ein oder zwei Tiere zu bekommen.
Ich werde ein paar Nächte darüber schlafen, aber jetzt muss ich mich dringend in saubere Klamotten werfen und diesen Nachmittag überstehen, der lang und laut werden wird.
Jürgen hat eine prall gefüllte Tragetasche dabei, die er mir eine Stunde später, als ich ihm die Tür geöffnet habe, feixend in die Hand drückt. »Da. Nachschub für dich«, erklärt er, packt dann seinen Sohn am Arm und schiebt ihn ins Haus. Julian hat für mich nur ein schüchternes »Hallo.« übrig und kollidiert im nächsten Moment beinahe mit der Haustür, weil sein Blick auf seinem Handy klebt. Kopfschüttelnd sehe ich ihm nach, als er ins Wohnzimmer verschwindet, und tausche dann einen Blick mit Jürgen, der nur ratlos die Hände hebt.
Teenager, sagt sein resignierter Gesichtsausdruck deutlich.
Ich lache leise und werfe einen Blick in die Tasche. Zucker, Mehl, zwei Packungen frische Eier von meinem bevorzugten Markthändler und diverse Verzierungen für Muffins, Kuchen, Kekse und alles, was mein liebendes Konditorherz begehrt. Ich seufze glücklich und Jürgen gluckst.
»Wusste ich doch, dass dir das Zeug gefällt.« Er klopft mir brüderlich auf die Schultern und schiebt sich dann ebenfalls an mir vorbei. »Ich war extra auf dem Markt, wegen der Eier. Der Siegfried lässt dich grüßen und sagt, du sollst nächste Woche vorbeikommen, er legt dir neue Eier, frisches Huhn und Steak zurück. Sie haben auf dem Hof wieder geschlachtet.«
Frische Eier, Huhn und Steak – Siegfried kennt mich zu gut. Er ist Metzgermeister mit eigener Tierhaltung und auch einer Hofschlachtung, und damit einer meiner Lieblingshändler auf dem Wochenmarkt, denn was von ihm kommt, ist zwar teurer als im Supermarkt, allerdings auch von besserer Qualität und definitiv immer frisch. Ich fahre regelmäßig zu ihm, um dann den Kofferraum meines Volvos mit Köstlichkeiten vollzuladen, die, sofern es Fleisch und Wurst sind, erst mal im Gefrierfach landen, während Obst und Gemüse im Allgemeinen ruckzuck verkocht oder verbacken werden.
»Hast du noch keinen Kaffee aufgesetzt?«, ruft Jürgen aus der Küche. »Und wo sind meine Neffen?«
»Auf dem Weg«, antworte ich abgelenkt, da mein Blick auf einer Packung mit Kuvertüreschokolade liegt. Ich kenne diese Sorte, weil sie sich herrlich verarbeiten lässt, nutze sie aber nur selten, denn sie ist teuer. Verdammt teuer. Edelkakao bekommt man nun mal nicht für ein paar Cent. »Jürgen?«
»Sag einfach Danke und gut ist. Du nimmst ja kein Geld für das ganze Zeug, das du ständig für uns kochst oder backst.«
Ich schnaube empört. »Jürgen!«
Er lacht in der Küche, dann höre ich Wasser laufen. »Gern geschehen. Also? Wo bleibt der Kaffee?«
»Mach ihn dir selbst«, grummle ich mit roten Wagen, denn mein Bruder weiß genau, wie ich es hasse, wenn er mir etwas dafür geben will, dass ich gerne backe und herumprobiere.
Ich bin und bleibe eine wirklich furchtbare Naschkatze und ich verdonnere jedes Mitglied meiner Familie regelmäßig zum Probieren neuer Kreationen, bevor ich sie im Café zum Verkauf anbiete. Und ich will nicht, dass sie mir dafür etwas zahlen, ob in Form von Geld oder Naturalien. Aber da kann ich reden wie ich will, sie tun es trotzdem immer wieder.
Darum bin ich auch nicht sonderlich überrascht, dass Dirk mir wenig später, nachdem ich meine zwei Jungs und Monika umarmt habe, ebenfalls zwei Taschen in die Hand drückt, die nicht weniger prall gefüllt sind. Er grinst, klopft mir dabei auf die Schulter und geht in die Küche, um Jürgen zu begrüßen, während Mark und Dennis sich sofort Julian im Wohnzimmer anschließen, der mittlerweile den Fernseher eingeschaltet hat und über Prime irgendeinen Actionfilm guckt.
Monika lacht nur über meinen resignierten Blick, dann hilft sie mir unzählige, weitere Backzutaten und auch Dosenobst in die Vorratskammer zu räumen, die anschließend wieder richtig gut gefüllt ist. Ich liebe meine Familie über alles, auch wenn ich sie manchmal gern verhauen möchte.
So wie einige Zeit später, nachdem die Jungs vollgefressen wieder ins Wohnzimmer gewechselt sind, während wir weiter am Küchentisch sitzen, Kaffee trinken und ich mir ausgiebig den neuesten Klatsch aus Dirks Finanzamt, Jürgens Bergwelt und unserer ehemaligen Nachbarschaft erzählen lasse. Monika ist nach der Geburt unserer Jungs daheim geblieben und kennt daher Hinz und Kunz, mit denen sie vor allem im Sommer fast jedes Wochenende irgendwo ein Fest oder einen gemütlichen Grillabend organisiert, damit die älteren Nachbarn auch mal rauskommen und Spaß haben. Was mir an Geselligkeit fehlt, hat Monika dafür doppelt und dreifach abbekommen.
»Und mit Tom will er auch nicht ausgehen.«
Hm? Ich schrecke aus einer Träumerei über Bruschetta fürs Abendessen auf, da ich noch Weißbrot und Tomaten habe, die ich verbrauchen muss, aber mein Olivenöl alle ist. Dann muss halt das Sonnenblumenöl herhalten.
»Der schnucklige Blonde, den du letztens dabei hattest, als wir uns beim Netto getroffen haben?«, fragt Monika und fängt an zu grinsen, als Jürgen nickt. »Der ist sexy.« Sie sieht zu mir. »Warum willst du nicht mit ihm ausgehen?«
Waren wir nicht gerade noch beim Nachbarschaftsklatsch? Wie kommen sie jetzt auf Jürgens Bergbaukumpel? Und wieso ist schon wieder mein nicht existierendes Liebesleben Thema unserer Kaffeerunde? Vielleicht sollte ich mir einen Callboy auf Zeit mieten. Nicht dass ich mir das leisten kann, auch wenn die Einnahmen vom Café gut genug sind, um mir das Häuschen, vier Angestellte und allerlei sonstige Annehmlichkeiten – zum Beispiel regelmäßige Einkäufe bei meinem Lieblingsmetzger und auf dem Wochenmarkt – zu finanzieren.
Ein Callboy dürfte da jedoch aus dem Rahmen fallen, denn ich bezweifle sehr, dass er sich mit 11,50 Euro die Stunde, plus Wochenendzuschlägen und Weihnachtsgeld, zufrieden gibt.
»Kein Interesse«, murmle ich in meine Kaffeetasse, als mir auffällt, dass Monika immer noch auf eine Antwort wartet, die ihr dann wie erwartet gar nicht gefällt.
»Matthias Georg Baum!«
Ich ziehe instinktiv den Kopf zwischen die Schultern und setze ein harmloses Lächeln auf, ehe ich zu Monika gucke, die mich jetzt über meinen Küchentisch hinweg finster ansieht.
»Komm mir bloß nicht so«, grollt sie und seufzt leise, bevor sie resigniert die Arme hebt und ihre Augen verdreht. »Du bist ein furchtbarer Einsiedlerkrebs geworden, seit du damals den Herzinfarkt hattest.« Sie deutet mit dem Finger auf mich. »Du brauchst ein Date!«
Das fehlt mir noch. »Ich brauche kein Date. Ich bin auch so glücklich und zufrieden.«
»Sind wir Freunde oder nicht?«
Jetzt seufze ich. »Moni, ich brauche wirklich keinen Mann, um glücklich zu sein.«
»Und woher willst du das bitteschön wissen, solange du es noch nicht versucht hast?«
Da hat sie nicht unrecht, aber ich bin einfach nicht der Typ dafür, andere anzusprechen. Hätte sie mich damals nicht von sich aus zu einem Date eingeladen, wäre sie heute nicht meine Ex-Frau und Mutter meiner Kinder. Ich hätte mich nie getraut, ihr den Hof zu machen, genauso wenig wie ich mich traue, in die Welt hinauszugehen und Sex zu haben – oder wahlweise erst mal in einen entsprechenden Schwulenclub zu gehen, um überhaupt Männer kennenzulernen, mit denen ich dann, eines Tages vielleicht, sogar Sex haben könnte.
Ich kenne keinen einzigen Homosexuellen, jedenfalls nicht persönlich. Mag ja sein, dass Hannes und auch Jürgens Kollege Tom wirklich nette Männer sind, aber ich werde es ohnehin nie herausfinden, weil ich einfach zu gehemmt bin, um mich an sie heranzuwagen. Dabei würde ich mich total unwohl fühlen und das ist wohl kaum Sinn der Sache, wenn man jemanden näher kennenlernen will, oder?
Nein, ich bleibe lieber Single. Man kann auch ohne Partner oder Partnerin ein zufriedenes, ausgefülltes Leben haben, und sobald der Frühling kommt und ich wieder viel Zeit draußen im Garten verbringen kann, werde ich sowieso keine Zeit mehr dafür haben, mich nach Männern umzusehen.
Aber über diese Haustier-Idee werde ich definitiv genauer nachdenken. Und jetzt ist eigentlich die perfekte Gelegenheit, um meiner Familie davon zu erzählen. Dann sind sie vorerst abgelenkt und vergessen hoffentlich für eine Weile, mich mit Bergbaukumpeln und Brüdern verkuppeln zu wollen.
»Ich denke darüber nach, mir eine Katze zuzulegen.«
»Du? Ein Haustier?«, fragt Jürgen verdattert, während Dirk sofort anfängt zu grinsen.
»Prima. Ich rufe gleich nächste Woche Hannes an und frage ihn, ob er eine für dich hat.«
Moment. Nächste Woche? Ich wollte doch eigentlich …
»Wären zwei nicht besser?«, fragt Monika an Dirk gewandt, während mein Bruder jetzt sprachlos dasitzt. »Dann können sie miteinander spielen, wenn Matti backt oder kocht.«
»Stimmt. Hannes sagt immer, dass Katzen Gesellschaft gut brauchen können.«
»Was für Katzen?« Dennis kommt in die Küche, greift sich drei Muffins und guckt mich fragend an. Monika ist allerdings schneller mit dem Antworten.
»Dein Papa will sich ein Haustier zulegen.«
»Echt? Cool.« Er beißt in einen der Muffins und sieht dann über die Schulter. »Mark? Julian? Habt ihr gehört? Papa schafft sich 'ne Katze an.«
Soviel dazu, dass ich erst mal darüber schlafen wollte.
»Geil«, ruft Mark begeistert aus dem Wohnzimmer. »Kann ich dann endlich 'ne Schlange haben?«
»Nein!«, antworten Monika und Dirk gemeinsam und sehr entrüstet und schauen mich anschließend finster an, als könnte ich etwas dafür. Und seit wann will Mark denn eine Schlange haben? Die sind gefährlich, zum Teil hochgiftig und erwürgen ihn, wenn er nicht aufpasst.
»Dein Bruder will eine Schlange?«, frage ich schockiert und Dennis kichert albern, während er nickt.
»Oh ja. 'Ne große Boa.« Er wirft erneut einen Blick über die Schulter. »Hey, Mark? Ich glaube, Papa ist mit deiner Schlange nicht einverstanden.«
»Wieso nicht? Er kriegt schließlich auch 'ne Katze.«
»Vielleicht weil eine Katze harmlos ist?« Jürgen gluckst und gießt sich Kaffee nach. »Und vor allem keine Menschen frisst«, ruft er dann zum Wohnzimmer und ich höre Mark schnauben, bevor er zurück brüllt: »Das macht eine Boa auch nicht.«
»Darauf würde ich an deiner Stelle nicht wetten, sobald sie vier Meter lang ist und dich im Schlaf zerquetscht wie 'ne alte, vergammelte Pflaume.«
»Dennis!«, rufen Jürgen, Dirk und Monika synchron und unüberhörbar empört, während mein Sohn schallend loslacht und ich mich schweigend frage, in welchem falschen Film ich gerade gelandet bin.
Mir kommt definitiv keine Schlange ins Haus. Bei meinem Glück frisst die meine zukünftigen Katzen und das kommt ja mal so gar nicht infrage.
2
Am Mittwoch ist Markttag und ich stehe überpünktlich bei Siegfried auf der Matte, der mir lachend zwei Papiertüten voll Fleisch auf den Tresen legt, bevor er noch vier Packungen Eier für mich holt.
»Moin, Matti«, schnauft er dabei, denn Siegfrieds Bauch ist noch ein gewaltiges Stück größer als meiner. Außerdem ist er knappe zwanzig Jahre älter als ich und ein Urgestein aus dem hohen Norden, der seiner Frau zuliebe ins Ruhrgebiet gezogen ist. Er ist immer zu einem Schwatz aufgelegt und weil ich weiß, wie gern seine Frau Simone Süßes mag, lege ich ungefragt eine kleine Tüte mit Pralinen neben seine Tüten. Ich habe gestern wieder neue Kreationen, einmal mit Gewürzen und einmal mit Kräutern, versucht und ich bin sehr gespannt, wie Simone sie findet, denn sie wird mir genauso ehrlich sagen, falls ihr etwas nicht schmeckt, wie Monika das immer macht.
»Morgen, Siggi«, grüße ich zurück und lege das Fleisch in meinen Einkaufskorb. Die Eier kommen obendrauf, so passiert ihnen nichts.
Früher habe ich mir um derartige Kleinigkeiten wie Beutel, Einkaufstaschen und gute Transportkisten, in denen möglichst alles heil und unversehrt bleibt, keinerlei Gedanken gemacht. Typisch Mann halt. Aber nachdem ich einmal einen einfachen Pappkarton mit acht Packungen Eier, von denen mehr als die Hälfte nach einem ungeplanten Bremsmanöver an einer Ampel umgekippt, kaputt gegangen und dann natürlich ausgelaufen war, aus meinem Kofferraum holen und den hinterher mit der Hand sauber machen durfte, hat sich meine Einstellung dazu ziemlich gewandelt.
»Was hast du mir denn da mitgebracht?«
»Die sind für Simone«, halte ich ihn grinsend davon ab, in die Tüte zu gucken, und muss lachen, als er mir daraufhin, wie ich es erwartet habe, einen treuherzigen Blick schenkt. Für ihn habe ich natürlich auch eine Kleinigkeit dabei. Allerdings ohne Zucker, weil er da aufpassen muss. Ich ziehe eine weitere Tüte aus der Jackentasche, in der sich acht Quarkbällchen befinden. Komplett zuckerfrei. Extra für ihn.
Ich habe eine ganze Weile an dem Rezept getüftelt, bis ich damit zufrieden war, und mittlerweile gibt es sie auch im Café. Sie sind kein Renner, verkaufen sich aber gut genug, um sie alle paar Wochen für ein paar Tage wieder mit ins Sortiment zu nehmen, das bei mir ständig, mit vorherigen Ankündigungen, wechselt. So kann ich am besten auf spezielle Kundenwünsche eingehen und meine neuen Kreationen anbieten, um zu testen, wie diese bei den Kunden ankommen.
Siegfried seufzt genüsslich, während er zu Ende kaut, und ich bezweifle, dass es auch nur eins der Quarkbällchen bis zu ihm nach Hause schaffen wird.
»Du bist schuld, wenn ich dick und rund werde«, wirft er mir dann mit einem Zwinkern vor, kassiert das Fleisch und die Eier ab und in den nächsten zwanzig Minuten, zwischen vier Kunden und einem Abstecher meinerseits zu Werner Hansens Fischstand gegenüber, erfahre ich, dass Siegfrieds Nachbarin, die zänkische Cholerikerin, über die er sich seit Jahren aufregt, endlich das Zeitliche gesegnet hat, sein Sohn schon wieder eine neue Freundin hat und seine Tochter ihm im Herbst das dritte Enkelkind schenkt, worüber Siegfried überglücklich ist.
Dann wird es voll an seinem Stand und so überlasse ich ihn seinen Kunden, um zu Margerite zu gehen. Sie hat Grünkohl, Rosenkohl, Möhren und Basilikum für mich. Dazu kommen an weiteren Ständen Zwiebeln, Kartoffeln und ein paar Äpfel, die ich, sofern ich im Laufe des Jahres endlich dazu komme, mir einen Keller anzulegen, in Zukunft vielleicht selbst den Winter über lagern kann.
Ich spiele schon seit einer Weile mit dem Gedanken, mir ein bisschen Gemüse anzubauen – Tomaten, Erdbeeren, vielleicht auch Gurken und Rhabarber. Damit lassen sich unter Garantie so einige Kuchenkreationen zaubern, und vor allem Erdbeeren sind jeden Sommer ein Dauerbrenner im Café.
Am Ende bin ich mit einem vollen Einkaufskorb und zwei weiteren, ebenso prall gefüllten Tragetaschen auf dem Weg zu meinem Auto – im Kopf bereits mit der Planung für handliche, süße Apfeltörtchen beschäftigt, die ich so weit verfeinere, dass ich zu Hause schnell die Einkäufe wegräume und dann Mehl, Eier, Zucker und alles, was ich sonst noch brauche, bereitstelle. Statt Streusel obendrauf, werde ich Puderzucker nehmen, und in die Mitte jedes Törtchens kommen zerhackte Mandelstücke und ein Hauch Zimt.
Ich bin mit dem Schälen und Teilen der Äpfel beschäftigt, als mein Blick gedankenverloren aus dem Fenster gleitet und mich das, was ich draußen im Garten entdecke, völlig irritiert innehalten lässt.
In meinem Kirschbaum sitzt ein Junge.
Was im Sommer nicht ungewöhnlich wäre, denn seit sich herumgesprochen hat, dass ich mein Obst durchaus auch mal verschenke, klopfen im Sommer immer wieder Jugendliche aus der Nachbarschaft an meine Tür. Allerdings, wie schon gesagt, klopfen sie vorher an und stehlen sich nicht einfach so auf das Grundstück – und das ohne Jacke, wie mir bei genauerem Blick überrascht auffällt und mich umgehend die Stirn runzeln lässt, denn auch wenn heute endlich mal wieder die Sonne scheint, es ist Januar und die Temperaturen liegen aktuell bei knapp Null Grad.
Der Junge wird sich verkühlen, falls das nicht schon längst passiert ist. Er kann unmöglich da draußen sitzen bleiben. Ich lasse die Äpfel liegen und gehe zu dem Jungen raus. Kenne ich ihn? Nein, sein Gesicht sagt mir nichts, stelle ich fest, als ich nah genug bin, um ihn ansehen zu können.
»Hi.« Ich schaue nach oben. Er sieht kurz zu mir und guckt dann gleich wieder auf den Boden. »Ist das nicht zu unbequem da oben?«
Von der Kälte gar nicht zu reden, die ihn zittern lässt, aber ich werde mich hüten, das zu sagen. Immerhin habe ich selbst zwei Jungs in seinem Alter, obwohl ich glaube, dass er noch ein paar Jahre jünger ist als meine Söhne. Er sieht mir jedenfalls zu schmal und klein aus, um bereits im Teenageralter zu sein. Ich tippe auf zehn bis zwölf, aber auch das ist alt genug, um schon ein stolzes Ego zu haben, das man als Erwachsener besser nicht angreift, sonst endet es allgemein im Streit.
Es dauert eine Weile, bis mein überraschender Gast reagiert und blaue Augen mich sichtlich müde anblinzeln. »Mama und Papa streiten schon wieder.«
Ach je. Ich verkneife mir jeden Kommentar dazu, denn sie wären allesamt nicht nett, weil ich kein Verständnis für Eltern habe, die ihre Probleme vor den eigenen Kindern klären. Selbst wenn man sich scheiden lässt, sollten die Kinder dabei immer an erster Stelle stehen. Mir ist zwar bewusst, dass ich in dieser Hinsicht ein Glückspilz war und es leider viel zu oft nicht ganz so gut läuft, aber wenn sich das eigene Kind aus dem Haus stiehlt, weil es die Streitereien der Eltern nicht mehr aushält, läuft in meinen Augen eindeutig etwas falsch.
»Wie heißt du denn?«, frage ich neugierig und reibe mir die Hände, weil mir langsam kalt wird, da ich natürlich auch nicht daran gedacht habe, mir eine Jacke überzuziehen, ehe ich aus dem Haus bin. »Ich bin Matti.«
»Torben.«
»Hey, Torben. Hast du Hunger?« Er sieht mir zumindest so aus, außerdem habe ich zwei Kinder, die mehr essen können, als ich am Tag kochen, also würde mich wundern, wenn dieser Junge keinen Hunger hat. »Ich backe gerade Apfeltörtchen.«
»Hast du Schokolade?«
»Klar«, antworte ich und zwinkere ihm feixend zu. »Ich bin Konditor.« Damit kann er nichts anfangen, sein ratloser Blick verrät ihn. »Bäcker«, führe ich aus. »Ich mache Torten, Kuchen, Pralinen ...«
»Muffins?«
Ich nicke. »Willst du einen?« Ich habe von gestern noch ein paar übrig, mit Sauerkirschen und Puderzucker obendrauf, die sind nach der Kälte genau das Richtige für ihn. »Ich mache uns einen warmen Kakao dazu.«
»Okay«, willigt er ein, nachdem er eine Weile schweigend darüber nachgedacht hat, und klettert dann recht behände für seine Statur vom Baum.
Er ist ein richtiger Kletteraffe, schießt mir amüsiert durch den Kopf, dann gehe ich vor ins Haus. Torben folgt mir zwar etwas langsamer, aber zumindest flüchtet er nicht, und als wir ein paar Minuten später am Küchentisch sitzen, grinst er bereits zufrieden und kaut mit vollen Backen, während er neugierig zusieht, wie ich meine Apfeltörtchen fertig mache und in den Backofen schiebe.
Eine knappe Stunde später, die Törtchen kühlen bereits ab und Torben hat sich eben den dritten Muffin genommen, läutet es an der Tür.
»Ich schau mal nach, wer das ist. Iss ruhig weiter«, sage ich und erhebe mich. Da ich niemanden erwarte, hoffe ich, dass es vielleicht seine Eltern sind, die ihren Sprössling suchen, denn Torben wollte mir auf meine Fragen hin nicht mehr erzählen, und so haben wir die letzten dreißig Minuten zwar einträchtig, aber schweigend zugebracht, was ihn genauso wenig zu stören schien wie mich.
Zwei Polizisten stehen vor meiner Tür. Damit habe ich nun nicht gerechnet und ziehe daher auch nicht gleich die richtigen Schlüsse. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Wir suchen jemanden.«
»Bei mir?«, wundere ich mich verblüfft, was mir ein kurzes Grinsen von dem jüngeren Beamten einbringt, Marke: blonder Surferboy mit blauen Augen.
»Wir fragen überall in der Nachbarschaft. Es geht um ein vermisstes Kind«, antwortet sein Kollege, der einige Jahre älter ist, und da fällt bei mir dann der Groschen. Den Eltern ist wohl endlich mal aufgefallen, dass ihr Sprössling weg ist. Warum sie ihn nicht selbst suchen, ist mir allerdings ein Rätsel. So weit weg können sie nicht wohnen, wenn Torben ohne Jacke bei mir im Kirschbaum landet.
»Heißt dieser Jemand, den Sie suchen, zufällig Torben?«
Die Beamten tauschen einen knappen Blick, dann nickt der Jüngere. »Er ist bei Ihnen?«
Ich nicke. »Ich fand ihn vorhin ziemlich durchgefroren in meinem Kirschbaum. Er sagte, seine Eltern würden sich schon wieder streiten. Mehr als seinen Namen wollte er mir nicht verraten, also habe ich ihn auf Kakao und Muffins eingeladen, weil ich ihn nicht länger oben im Baum sitzen lassen wollte. Er hat weder Schal noch Jacke dabei.«
Der ältere Beamte wendet sich ab. »Ich besorge ihm eine Jacke, spreche mit den Eltern ein ernstes Wort und melde mich anschließend. Bleibst du so lange hier, Samuel?«
Der blonde Schönling nickt und folgt mir ins Haus, als ich die Tür freigebe. Ich seufze leise, als die Tür hinter ihm zufällt und die Kälte aussperrt. Nachdem ich schweigend auf meine Garderobe gezeigt habe, zieht er sich brav Handschuhe, Jacke, Mütze und Schuhe aus.
»Polizeikommissar Samuel Henning«, stellt er sich danach vor und reicht mir die Hand.
»Matthias Baum«, erwidere ich, schüttle ihm die Hand und deute dabei mit dem Kopf zur Küche. »Wie schlimm ist es?«
»Schlimm genug, um das Jugendamt zu informieren. Nicht zum ersten Mal, leider«, antwortet er mit einem Seufzen. »Die Eltern schlagen ihn nicht, das ist das einzig Gute, aber meiner Meinung nach gehört der Junge aus der Familie genommen.«
Aber natürlich hört niemand auf den Rat eines Polizisten. Der Kommissar muss es nicht laut aussprechen, sein Blick ist eindeutig und das ist scheiße. Sogar ziemlich scheiße. Ich frage mich, warum Torben nicht schon eher in meinem Kirschbaum gelandet ist, doch bevor ich das sagen kann, nickt er, als würde er mir ansehen, was ich wissen will.
»Torben streift seit Jahren durch die Nachbarschaft, sobald sie wieder streiten. Das war den Eltern irgendwann so peinlich, dass sie umgezogen sind. Seit letztem Sommer leben sie drei Straßen weiter und deshalb waren Sie heute dran.«
Okay, das erklärt alles. Ich seufze kopfschüttelnd. Der arme Junge. Meine Eltern haben sich zwar früher auch ab und zu gestritten, besonders nachdem Papa arbeitslos geworden war, aber Jürgen und mir hat es nie an irgendetwas gefehlt. Dafür haben sie immer gesorgt.
Ich vermisse sie.
»Muffin?«, frage ich und schiebe die Erinnerung an meine Eltern beiseite, aber ehe mir der Kommissar antworten kann, klingelt es erneut an der Tür. »Mein Haus ist heute offenbar der Hauptbahnhof«, murmle ich und muss ungewollt grinsen, als ich Kommissar Henning hinter mir lachen höre, während ich mich auf den Weg mache.
»Hi, Bruderherz, ich wollte nur ...« Jürgen bricht ab, als sein Blick auf den Polizisten in meinem Flur fällt. Er blinzelt, dann fängt er an zu grinsen und sieht mich an. »Matti ...«
Ich verkneife mir ein Stöhnen. »Nein, Kommissar Henning ist nicht mein Freund, ich habe nichts angestellt und bestimmt wartet zu Hause eine tolle Frau mit drei Kindern auf ihn. Hör auf, mir einen Ehemann zu suchen.«
Kommissar Henning prustet hinter mir los und Jürgen tritt feixend an mir vorbei, um sich vorzustellen, bevor wir dann zu dritt in die Küche gehen, wo Torben sich eben das letzte Stück eines meiner Apfeltörtchen in den Mund schiebt, die eigentlich für das Café bestimmt sind. Aber eins weniger fällt wohl kaum auf und langsam müsste er wirklich mal satt sein. Hauptsache, die Törtchen sind mir gelungen und das glückliche Grinsen in seinem Gesicht spricht eindeutig dafür.
»Apfeltörtchen?«, murmelt Kommissar Henning und seufzt genüsslich. »Ich liebe die Dinger.«
Er setzt sich kurzerhand an den Küchentisch, reicht Torben die Hand und erzählt ihm danach, warum er hier ist und wer mein Bruder ist. Ich kann gar nicht so schnell blinzeln, wie sie sich über die Apfeltörtchen hermachen, und stehe wie bestellt und nicht abgeholt an der Tür, bis Jürgen mich angrinst.
»Wenn du dich nicht beeilst, kriegst du keins der Törtchen mehr ab. Sie sind übrigens göttlich.« Er erhebt sich abrupt. »Ich setze Kaffee auf. Kommissar, trinken Sie einen mit?«
Soviel zu meinem ruhigen Nachmittag.
»Ich bin übrigens nicht verheiratet«, erklärt mir Kommissar Henning zwei Stunden später leise, nachdem Torben mir ein letztes Mal zugewunken hat, bevor er ins Polizeiauto gestiegen ist, das ihn nach Hause bringen wird, und Jürgen ebenfalls in seinen Wagen gestiegen und schon gefahren ist. Ich drehe mich zu dem schmunzelnden Kommissar um. »Und drei Kinder gibt es auch nicht.«
»Ach so?«, frage ich dümmlich, während mir gleichzeitig der Gedanke kommt, dass Jürgen möglicherweise gar nicht so verkehrt gelegen hat, als er mir auf den Weg nach draußen ins Ohr flüsterte, dass der nette Kommissar definitiv etwas zu oft in meine Richtung gesehen hätte, um hetero zu sein.
Samuel Henning tritt an mir vorbei, allerdings viel zu dicht, um noch unauffällig zu sein. »Wir sehen uns, Matthias Baum.«
»Äh ...«
Weg ist er. Jedoch nicht ohne mich noch mal anzugrinsen, ehe er mit langen Schritten zu seinem Kollegen aufschließt und wenig später auch noch das Polizeiauto aus meinem Blickfeld verschwindet, während ich frierend in der Haustür stehe und mich frage, was mir gerade entgangen ist. Bis mir dann einfällt, dass ich keine Törtchen mehr habe und dringend neue backen sollte, sonst bleibt eins der Regale im Café morgen früh leer.
Wie gut, dass ich noch Äpfel übrig habe.
Und wie gut, dass ich nicht auf Diät bin.
Ich brauche jetzt dringend was zum Naschen, um ausgiebig darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass Jürgen bemerkt, wenn mich ein Mann zu oft anguckt, während ich das nicht mitkriege, und warum besagter Mann gerade aussah, als hätte er mich zu gerne geküsst. Wobei letzteres mit Sicherheit reines Wunschdenken ist. Woher soll ich auch bitteschön wissen, wie ein Mann aussieht, der einen anderen küssen möchte? Ich habe davon keine Ahnung. Na gut, ich habe früher Monika geküsst, aber das ist etwas anderes. Außerdem küsst ein Mann, der wie ein Adonis aussieht, mit Sicherheit niemanden wie mich.
In Schwulenkreisen gelte ich vermutlich als Bär, auch wenn ich mit den ganzen Einteilungen nicht viel anfangen kann. Ich habe zwar ein bisschen darüber gelesen, Neugier lässt grüßen, aber mir ist es zu hoch, warum man junge, schmaler gebaute Männer gerne als Twink bezeichnet und die Älteren als Daddy. Es kann natürlich sein, dass ich das alles vollkommen falsch verstanden habe, da ich so ein Schubladendenken albern finde, aber vielleicht bin ich auch einfach schon zu alt dafür.
Meine Söhne sind die einzigen, die Papa zu mir sagen, und darüber bin ich heilfroh. Ich käme mir vor wie ein Pädophiler, hätte ich einen Partner, der mich Daddy nennt.
Ich würde Kommissar Henning freundlich meiner Haustür verweisen, käme er auf diese abstruse Idee. Allerdings müsste er sich dafür erst mal wieder in meinem Haus aufhalten. Noch ein Wunschdenken, das ich gar nicht habe. Ich will ihn nämlich nicht wiedersehen und in meinem Haus will ich ihn auch nicht haben. Jedenfalls nicht noch mal.
Ich bin und bleibe ein glücklicher Single – der gerade eine Tafel Schokolade gegessen und nebenbei die Äpfel gewürfelt hat, anstatt sie in schmale Streifen zu schneiden. Toll. Wie sieht das denn bitte auf meinen Törtchen aus? Mit gerunzelter Stirn stehe ich vor dem Desaster und hebe schlussendlich resigniert die Arme. Na schön, dann mache ich statt Törtchen eben einen gedeckten Apfelkuchen vom Blech.
Der mir übrigens ganz großartig gelingt, stelle ich fest, als der Kuchen am frühen Abend schließlich weit genug abgekühlt ist, um ihn zu kosten, und während ich das tue, klingelt es schon wieder an der Tür. Nach einem Blick auf die Uhr runzle ich irritiert die Stirn. Wer ist das denn um diese Zeit?
Nun, ich werde es nicht herausfinden, wenn ich hier weiter kauend in meiner Küche stehe. Das restliche Stück Kuchen in der Hand haltend, ziehe ich kurz darauf meine Haustür auf.
»Oh, richtiger Apfelkuchen?« Kommissar Samuel Henning grinst mich spitzbübisch an, klaut mir den Rest Kuchen aus der Hand und beißt ab, um dann mit einem genießerischen Laut zu kauen. »Mhm, der ist köstlich.«
Er isst seelenruhig zu Ende, während ich dastehe und ihn sprachlos anstarre. Danach leckt er sich in einer Art und Weise die Finger ab, dass ich plötzlich ein Platzproblem in der Hose bekomme, und zieht hinterher den Reißverschluss von seinem Wintermantel ein Stück herunter. Langsam. Sehr langsam. Er hat übrigens schöne Finger. Lang, kräftig, kurze Nägel. Es sieht aus, als könne er mit diesen Fingern gut zupacken, was er als Cop bestimmt oft tun muss. Ich schlucke schwer.
»Hallo, Matthias.«
Was? Ach so, eine Begrüßung. Ich hebe rasch den Kopf und sehe ihn an. »Äh ...«
»Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen.«
Er freut sich, mich zu sehen? Wieso? »Uhm ...«
»Habe ich das vorhin richtig verstanden, dass du derzeit keinen Ehemann suchst, obwohl dein Bruder wohl gerne einen an deiner Seite sehen würde?«, fragt er und sein Grinsen wird breiter, weil ich ihn weiter schweigend angaffe. »Gut, ich sehe das nämlich genau wie du und suche auch keinen. Was hältst du stattdessen von einer schönen, heißen Affäre? Wer aussieht wie du, sollte ständig heiße, wilde Affären haben.«
»Öhm ...«
»Es sei denn natürlich, du bist gerade glücklicher Single.«
»Bin ich«, quietsche ich und Kommissar Henning zwinkert mir frech zu.
»Prächtig. Unser Sex wird großartig sein, da wir beide sehr glückliche Singles sind.«
Oha. Ich sollte dringend ein paar Gehirnzellen in Schwung bringen und mich vernünftig ausdrücken, sonst wird das hier gleich richtig peinlich. Also noch peinlicher als ohnehin schon, denn mein Gegenüber ist ein Polizist, dem mit Sicherheit schon aufgefallen ist, dass ich einen Knüppel in der Hose habe, der sich mehr und mehr in seine Richtung reckt.
»Ich bin nicht … Ich meine, ich habe nicht … Ähm ...«
»Was hast du nicht? Kondome, Gleitgel, ein bequemes Bett? Keine Sorge, ich bin natürlich ein ordentlicher Pfadfinder und ausgiebig vorbereitet. Und ein Bett brauchen wir nicht. Deine Couch tut es auch.«
»Keine Ahnung«, presse ich hilflos hervor. »Ich habe keine Ahnung.«
»Das macht nichts«, winkt der Kommissar gelassen ab und tritt nah vor mich. »Ich habe genug Ahnung für uns beide und ich teile sie gerne mit dir«, flüstert er mir ins Ohr und beißt im nächsten Moment kurz in selbiges. Ich japse nach Luft. »Es sei denn, du hast keine Lust auf eine heiße, wilde Affäre.«
»Uhm ...«
Kommissar Henning sucht meinen Blick. »Nenn mich Sam und bitte mich ins Haus.«
»Komm rein, Sam«, sage ich automatisch und frage mich im nächsten Moment, ob ich verrückt geworden bin. Der Mann will Sex. Mit mir. Ein hübscher, blonder Polizeikommissar will mich. Oh. Mein. Gott. »Wir sollten vielleicht ...«
Was immer ich auch sagen wollte, es ist vergessen, als die Haustür hinter uns zufällt, ich mit dem Rücken an die Wand gepresst werde und zwei Hände sich an der Schnürung meiner alten Jogginghose zu schaffen machen.
»Wann hat man dir das letzte Mal einen geblasen?«, werde ich gefragt und dann ist meine Hose auch schon offen und eine warme Hand stiehlt sich in meine Shorts.
Ach du meine Güte. »Noch nie.«
Ein strahlendes Lächeln trifft mich. »Dann wird es aber mal Zeit, findest du nicht?«
Ich bekomme keine Gelegenheit für eine Antwort, denn auf einmal ist der sexy Kommissar vor mir auf den Knien, zerrt an meiner Hose und der Shorts, bis alles frei und in Reichweite vor ihm hängt, oder besser gesagt steht, was er erreichen will, und dann höre ich das leise Reißen einer Folie. Oh, er nutzt ein Kondom, erkenne ich verspätet, und im nächsten Augenblick verschwindet meine Erektion zwischen seinen Lippen und ich verliere endgültig jede Fähigkeit Wörter zu bilden, als er mich tief in seinen Mund saugt und gleichzeitig mit einer Hand an meinen empfindlichen Eiern spielt, während die andere sanft über meinen zitternden Oberschenkel streichelt.
Es dauert nicht lange. Es dauert sogar peinlich kurz, da das, was er mit seiner Zunge an meiner Eichel anstellt, viel zu gut ist, und weil ich schon eine Weile keinen Orgasmus mehr hatte, und so einen sowieso noch nie.
Himmel hilf.
Ich glaube, ich schreie seinen Namen, weil er selbst dann noch leckt und saugt, als ich komme, und auch danach, bis ich so empfindlich bin, dass es wieder schmerzt, doch diesmal auf die unangenehme Art, die mich dann dazu bringt, ihn von mir zu schieben. Kommissar Henning lacht und klingt dabei sehr mit sich selbst zufrieden, doch auf einmal steht er wieder vor mir und nimmt mein Gesicht in seine Hände, bevor er mich so hingebungsvoll küsst, dass mir Hören und Sehen vergeht.
Ich weiß nicht, wie wir es vom Flur in mein Schlafzimmer schaffen, genauso wenig ist mir deutlich in Erinnerung, wie er es schafft, mich aus meinen Klamotten zu bekommen, von ihm selbst ganz zu schweigen.
Aber ich spüre verdammt gut, wie toll es sich anfühlt, als er mich später reitet wie ein wild gewordener Cowboy und dabei mit einem heiseren Stöhnen über meine Brust kommt.
Und ich werde auch keine Sekunde von all dem vergessen, was er einige Zeit später erst mit seinem Mund und dann mit seinen Händen überall auf mir und danach mit seiner Zunge in meinem Arsch tut, bevor er mir zeigt, was es wirklich bedeutet, mit einem Mann eng verbunden zu sein.
Was mir im Übrigen so gut gefällt, dass ich ihn mitten in der Nacht wecke und förmlich über ihn herfalle, bevor ich ihn bitte, dasselbe noch einmal mit mir zu tun.
Natürlich ist Kommissar Henning ein anständiger Polizist und erfüllt mir meinen Wunsch. Sogar zweimal.
3
»Junge, Junge«, ist das erste, was ich am nächsten Morgen gemurmelt neben mir höre, noch bevor ich meine Augen öffne. »Dafür, dass du angeblich keine Erfahrung hast, hast du mich aber ordentlich durchgefickt.«
Hallo? Wer hat sich denn wie ein Cowboy aufgeführt? Das war definitiv nicht ich. Außerdem hat er gut reden. Mein armer Hintern brennt, als hätte mir jemand ein großes Stück Ingwer reingeschoben. Wobei, reingeschoben hat der sexy Kommissar mir letzte Nacht auch so einiges, immerhin habe ich ihn selbst darum gebeten. Teilweise sogar gebettelt. Und ich kann nicht behaupten, dass es mir nicht gefallen hätte. Ganz im Gegenteil. Obwohl ich auf meinen heute schmerzenden Arsch verzichten könnte, war es die Erfahrung wert, und daher finde ich es nur recht und billig, wenn Samuels Hintern genauso schmerzt.
»Lebst du noch?«, fragt er belustigt und legt mir eine Hand auf die Brust. »Aha, da ist dein Herzschlag. Sehr gut. Es würde sich nicht gut in meinem Lebenslauf machen, wenn ich dich zu Tode gefickt hätte.« Ich schnaube nur und werde dafür prompt ausgelacht. »Da ist er ja«, neckt er mich und dann spüre ich ein Paar weicher Lippen kurz auf meinen. »Einen wunderschönen Guten Morgen, Herr Baum.«
»Morgen«, nuschle ich in unseren zweiten Kuss, der etwas ausufert, was mir ausnahmslos gut gefällt, bis der heiße Herr Kommissar sich keuchend losreißt.
»Verdammt. So gern ich das fortführen möchte, mein Arsch ist heute genauso tabu wie deiner. Und ich muss zum Dienst.«
»Morgen?«, frage ich, ohne vorher erst mal in Ruhe darüber nachzudenken, und öffne ein Auge, als er mir nicht antwortet. »Oder war es das schon mit unserer Affäre?«
Blaue Augen sehen mich einen Moment prüfend an, dann gluckst er. »Morgen Abend geht. Ich habe das Wochenende frei und verbringe es mit Freuden in deinem kuscheligen Bett.« Er drückt mir einen nassen Schmatzer auf, dann schwingt er sich aus dem Bett. »Ich setze Kaffee auf. Du hast nicht zufällig noch einen Stück Apfelkuchen übrig? Ich verhungere.«
»Ich mache am Wochenende einen neuen für dich.«
»Du bist ein Gott«, stöhnt er, kratzt sich am nackten Bauch und lacht, als ich meinen Blick unwillkürlich eine Etage tiefer richte. »Nein, nein, nein, Herr Baum, seien Sie anständig, sonst komme ich zu spät zum Dienst.«
Weg ist er und kurz darauf springt meine Dusche an.
Und ich, tja, ich bleibe liegen und starre an die Decke, weil ich mir nicht ganz sicher bin, wie ich das finde. Letzte Nacht war toll, gar keine Frage, nur was jetzt? Aber habe ich mir das mit meiner spontanen Einladung für morgen im Grunde nicht längst beantwortet? Eben. Also kann ich genauso aufstehen und Samuel schnell ein paar Spiegeleier braten, denn er macht mir nicht den Eindruck, als würde er sich selbst um ein gutes Frühstück kümmern wollen. Dabei wäre das in seinem Job mit Sicherheit wichtig. Wahrscheinlich kann er nicht mal kochen. Heutzutage können das immer weniger Leute, vor allem die in seinem Alter. Wie alt ist er eigentlich? Ich schätze, ich sollte ihn einfach fragen. Doch dazu sollte ich jetzt endlich meinen faulen Hintern aus dem Bett bewegen.
Gesagt, getan, und als Samuel zwanzig Minuten später zu mir in die Küche tritt, habe ich ihm Spiegeleier mit Schinken gemacht, Marmelade, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank geholt und dazu ein paar Toastscheiben mit Butter geschmiert. Neben dem Teller steht zudem ein großer Pott Kaffee.
»Frühstück? … Willst du mich heiraten?«
Er lacht, als ich mich prompt an meinem eigenen Kaffee verschlucke und zwinkert mir frech zu, bevor er sich setzt und über seinen Teller hermacht. »Himmel, ist das gut«, nuschelt er mit vollem Mund, erinnert sich dann an seine Manieren und kaut runter, bevor er mich anlächelt. »Danke.«
Ich werde natürlich wieder rot, während ich abwinke, und das gefällt dem Herrn Kommissar außerordentlich, so wie er in meine Richtung grinst, bevor er sich Marmelade auf die erste Toastscheibe nimmt und diese dann genüsslich verspeist.
»Willst du gar nichts essen?«, fragt er schließlich und greift nach der nächsten Toastscheibe.
Ich schüttle den Kopf. »Nicht um die Uhrzeit. So früh reicht mir ein Kaffee.«
Samuel nickt und bedient sich an dem Stück Käse. So dick, wie er sich die Scheiben schneidet, sind sie vom Toast kaum zu unterscheiden, aber es schmeckt ihm und das ist für mich die Hauptsache. Und er muss auch nicht auf sein Gewicht achten. Mir fällt wieder ein, worüber ich nachgedacht habe, bevor ich aufgestanden bin.
»Sam?«
»Hm?«, fragt er mit vollem Mund.
»Wie alt bist du eigentlich?«
Kleine Fältchen legen sich um seine blauen Augen, als er zu Ende kaut und dabei anfängt zu schmunzeln. Habe ich etwas Falsches gesagt? Mein Blick muss ihm meine Irritation deutlich zeigen, denn er lacht leise, als er aufgegessen hat, bevor er sich kurzerhand über den Tisch beugt und mir neckend gegen die Nase tippt.
»Zu jung für dich, ich weiß, aber ich steh einfach auf Ältere. Stört es dich?«
»Das war keine Antwort auf meine Frage.«
»Fünfundzwanzig.«
»Himmel«, murmle ich überrascht, denn das ist verdammt jung. Er könnte mein Sohn sein. Ich bin vielleicht altmodisch, aber das sind zwanzig Jahre Altersunterschied. Selbst für eine Affäre finde ich das zu viel, muss ich mir eingestehen. »Das ist ganz schön jung.«
Samuel gluckst heiter. »Wir sehen uns morgen Abend. Und bis dahin … Wann immer du dich fragst, ob ich vielleicht zu jung für dich bin, denk an das, was ich letzte Nacht mit meiner Zunge in deinem .
---ENDE DER LESEPROBE---