Meine Welt: Mein Kuba - Kurt Lehmkuhl - E-Book

Meine Welt: Mein Kuba E-Book

Kurt Lehmkuhl

0,0

Beschreibung

"Mein Kuba" ist der dritte Band einer Reihe "Meine Welt". Wie schon bei "Mein Vietnam" und "Mein Kirgistan" geht es nicht darum, einen Reiseführer zu schreiben, sondern Geschichten zu erzählen über das, was ich bei einer Reise durch das Land erlebt habe. Ursprünglich sollte das Buch den Untertitel „Mit dem Fahrrad über eine fidele Insel“ haben. Aber dieser Titel wäre in zweifacher Hinsicht ein irreführender Etikettenschwindel gewesen. Zum einen hielten sich die Radtouren im begrenzten Rahmen, zum anderen hatte es nicht den Anschein, als seien die Menschen fidel. Vielmehr drängte sich das Gegenteil auf. Unter dem Mäntelchen des Lächelns und der gelegentlichen Höflichkeit zeigte sich eine Gleichgültigkeit, wobei zugleich die Hoffnung keimt, es könnte doch einmal anders – im Sinne von besser – werden. Ob im Sinne von Raul oder im Sinne von Fidel? Oder kommt es ganz anders? Auch dies wäre nicht überraschend auf einer Insel, die spanische Kolonialzeit, Sklaventum, Revolution und ein einschneidendes Wirtschaftsembargo überstanden hat. In Kuba gilt die negative Seite vom Spruch des Wasserglases: Das Glas ist halbleer, nicht halbvoll. So ist es, aber so muss es nicht bleiben. Und was tatsächlich aus diesem Land wird, ist spannend zu beobachten und ein Grund, in zehn bis 15 Jahren wieder dorthin zu fahren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 82

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kuba schwarz-weiß

Strahlend weiß und schwarz glänzend

Die tagtägliche Oldtimer-Rallye

Radeln mit glücklichen Schweinen

Grüne Kulturlandschaft der Menschheit

Der Geier wacht übers Federvieh

Gefangen in all in

Verloren in der Zeit

Weißer Kaffee und kubanische Medizin

Die im Dunkeln sieht man nicht

Die „Spanische“ Treppe

Massensterben in der Schweinebucht

Die Perle des Südens

Der einsame Wasserfall

Die Stunde der Gigolos

Allein im toten Tal

Mister Zehn Prozent

Nachwort

Vorwort

Hilfe, die Amis rücken an! Schnell nach Kuba, bevor die Invasion aus dem Norden richtig ins Rollen gekommen ist. Der Eindruck aus der Ferne, wonach es nach der Lockerung der wirtschaftlichen Sanktionen durch den potenten Nachbarn nur noch eine Frage von Monaten ist, ehe die Welle von Burgerbratern und Brauseproduzenten über die Insel und ihre armen Bewohner schwappt, lässt glauben, dass die Republik Kuba in nicht allzu ferner Zukunft zum 51. Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Amerika wird. Der American Way of Life macht sich breit und verdrängt den kubanischen Lebensstil. Die Originalität geht verloren. Die Natürlichkeit verschwindet. Der Kapitalismus feiert fröhliche Urstände.

Die Schreckensvisionen werden mehr und mehr.

Gemach, gemach. Ob diese Klischees Wirklichkeit werden, bleibt abzuwarten.

Es ist ja nicht so, als gebe es keine kubanisch-amerikanische Vergangenheit mit Glücksspiel und Alkohol, Al Capone und Hemingway. Es gibt auch eine kubanisch-amerikanische Gegenwart mit Guantanamo und Exilkubanern, und so wird es eine kubanisch-amerikanische Zukunft geben – wie immer sie auch aussehen wird. Was geschieht, wenn die noch lebenden „Väter der Revolution“ keinen Einfluss mehr haben, bleibt abzuwarten. Bekommt der Staat neue, alte Freunde oder neue, alte Feinde?

Der 89-jährige Fidel Castro sprach beim Parteitag der KP im April 2016 schon davon, dass er wohl seine letzte Rede halten werde. Sein sechs Jahre jüngerer Bruder ist dann der letzte „Vater“. Er hatte die ersten Schritte eingeleitet, um den Kalten Krieg mit den USA zu beenden; nicht immer im Einvernehmen mit seinem älteren Bruder, der den großen, übermächtigen Nachbarn nach wie vor mit großem Argwohn begegnen.

Folgen das Volk und die KP Raul oder bleibt der Einfluss von Fidel auch über seinen Tod hinaus groß und bestimmend?

Eine Tour über die Insel, teilweise mit dem Fahrrad, kann nur oberflächlich bleiben, Eindrücke liefern von Stadt und Land, von Natur und Strand, von Zuckerrohr und Rum, von Zigarren und Königspalmen. Es gibt einige Geschichten zu erzählen, die vielleicht die Lust wecken, sich selbst auf die Pirsch zu machen oder sich über die Insel zu informieren. Mit Sicherheit können die Erzählungen einen (oder besser sogar mehr als einen) Reiseführer niemals ersetzen. Sie beschreiben meinen subjektiven Eindruck von einer Insel, die vielfältig und bunt, abwechslungsreich und auf ihre Art faszinierend ist und die zugleich melancholisch wirkt. Ich kann es auch anders sagen: Es gibt viel zu tun auf dieser Insel mit einer maroden Infrastruktur, mit Menschen, die vor sich hin leben, und mit einer Zukunft, die ungewiss ist.

Ursprünglich sollte das Buch den Untertitel „Mit dem Fahrrad über eine fidele Insel“ haben. Aber dieser Titel wäre in zweifacher Hinsicht ein irreführender Etikettenschwindel gewesen. Zum einen hielten sich die Radtouren im begrenzten Rahmen, zum anderen hatte es nicht den Anschein, als seien die Menschen fidel. Vielmehr drängte sich das Gegenteil auf. Unter dem Mäntelchen des Lächelns und der gelegentlichen Höflichkeit zeigte sich eine Gleichgültigkeit, wobei zugleich die Hoffnung keimt, es könnte doch einmal anders – im Sinne von besser – werden.

Ob im Sinne von Raul oder im Sinne von Fidel? Oder kommt es ganz anders? Auch dies wäre nicht überraschend auf einer Insel, die spanische Kolonialzeit, Sklaventum, Revolution und ein einschneidendes Wirtschaftsembargo überstanden hat.

Hilfe, die Amis kommen! So dramatisch, wie die Drohung klingt, ist sie – hoffentlich – nicht. In Kuba gilt die negative Seite vom Spruch des Wasserglases: Das Glas ist halbleer, nicht halbvoll.

So ist es, aber so muss es nicht bleiben.

Und was tatsächlich aus diesem Land wird, ist spannend zu beobachten und ein Grund, in zehn bis 15 Jahren wieder dorthin zu fahren.

*

Mein Dank gilt selbstverständlich meiner Frau Petra, die immer den Fotoapparat zückt und die Motive entdeckt, die ich übersehen habe.

Nationalheld José Marti vor der kubanischen Fahne.

1. Kuba schwarz-weiß

Es gibt angenehmere Ankunftszeiten als 21 Uhr auf dem Flughafen Juan Gualberto Gomez in Varadero, zumal, wenn nach einem rund elfstündigen Flug mit fünfstündiger Zeitverschiebung von FRA nach VRA noch ein Transfer in die 150 Kilometer nördlich gelegene Hauptstadt der Republik Kuba, Havanna, bevorsteht. Es ist schwül und längst dunkel; stockfinster sogar bei der nächtlichen Fahrt über die Insel. Die chaotische Gepäckausgabe mit Koffern von drei Flügen gut durcheinandergewürfelt auf drei Bändern, braucht sich nicht hinter der umständlichen Einreisekontrolle zu verstecken. Geduld ist gefragt, das Warten in einer Schlange; insofern gibt es schon kurz nach der Landung eine erste Lektion in kubanischer Entschleunigung. Niemand ist von übermäßiger Eile gepackt: der Mann am Gepäckband ebenso nicht wie der Polizist, der seinen Drogenspürhund schnüffelnd über die Koffer laufen lässt. Die Zöllnerin nicht, die Buchstabe für Buchstabe die Namensübereinstimmung zwischen Reisepass und Visum zu überprüfen scheint und danach umständlich mit einer Polaroidkamera ein Porträtfoto des Einreisenden macht, das prompt einem intensiven Vergleich mit der Ablichtung in den Pass unterzogen wird. Und auch der Vertreter des Reiseveranstalters nicht, der trotz Lesebrille erhebliche Probleme hat, den Namen des Ankommenden auf einer Liste zu finden.

Das Procedere nach dem Verlassen des Kontrollbereichs ist das offenbar weltweit übliche. Die Suche nach dem Repräsentanten des Veranstalters endet mit dessen Verkündung einer Busnummer. Der Fahrer des Busses mit der Nummer 2192, irgendwo und irgendwie doch noch gefunden in dem vom Lärm der laufenden Dieselmotoren getränkten, lichterlosen Busbahnhof, wird das Vergnügen haben, uns nach Havanna zu bringen. Ob das Vergnügen tatsächlich oder gar beiderseits war und ist, bleibt eine der unbeantworteten Fragen nach der Fahrt, die weit nach 22.30 Uhr begann und weit nach 1 Uhr im Hotel endete.

Der Fahrer des Busses, der hierzulande wahrscheinlich nicht mehr für eine Personenbeförderung zugelassen worden wäre und in dem gerade einmal eine Handvoll Touristen Platz genommen hatte, gab sich alle Mühe, den ausländischen Gästen die Schönheit seiner Insel zu zeigen. Jedenfalls nutzte er jede Gelegenheit, um in irgendein Dorf abzubiegen statt auf gerade Strecke zu bleiben.

Das Problem – um es in der Sprache der allgemeingültigen Weisheiten auszudrücken: In der Nacht sind alle Katzen grau. Oder, um auf den Punkt zu kommen: Meistens war es stockfinster. Die weit geschwungene Lichterkette deutete in der Ferne auf eine Bucht mit einer dichten Bebauung hin. Urplötzlich tauchen im fahlen Schein einer einzelnen Straßenleuchte Menschen auf, wenige Tramper in der Nacht, einzelne junge Frauen oder auch kleinere Gruppen. Die Straßen sind fast leer. Autofahren um Mitternacht ist nicht die Regel auf Kuba.

Der Busfahrer steuert auf eine in der Dunkelheit liegende Hotelanlage hin. Sie wirkt zunächst ungenutzt, ehe ein spärlich beleuchteter Eingang das Gegenteil zu erkennen gibt. Der Chauffeur lässt zwei Touristen aussteigen und nach einem Gespräch in der Lobby mit einem Bediensteten wieder in den Bus zurück. Er hat sich geirrt.

Erste Zweifel an seinen Ortskenntnissen kommen auf.

Die übermüdeten Gäste aus Europa hängen in ihren Sitzen, lassen die rumpelnde Fahrt durch die Dunkelheit über sich ergehen.

Endlich, es ist nach Mitternacht, ist Havanna erreicht. Auch die zunächst fehlgeleiteten Fahrgäste sind noch an Bord, obwohl sie gar nicht nach Havanna wollten. Die weltberühmte Hauptstadt Kubas wirkt wie die bisherige Umgebung: meistens menschenleer und katzengrau. Autos sind fast keine unterwegs. Auf der vierspurigen Straße kann sich der Fahrer die ihm genehmste Fahrbahn aussuchen. Wie aus dem Nichts tauchen am Straßenrand Menschen auf. Sie sitzen im Dunkeln auf der Kaimauer, die entlang des Meeres die Straße säumt. Dass wir auf dem bekannten Malecon, unterwegs sind, der sieben Kilometer langen Promenadenstraße von Havanna, wird erst am nächsten Tag bei einer Stadtrundfahrt bewusst und auch erklärt. Die Fotos von dieser Kaimauer sind überall zu sehen, wenn über Kuba und Havanna berichtet wird; bunte Fotos mit zumeist fröhlichen Menschen.

Aber um diese Zeit, quasi zur Geisterstunde, ist es farblos, schwarz und weiß an dieser Bucht, am Malecon.

Es sind sehr viele junge Leute, die sich dort treffen. Sogar zu dieser späten Stunde gibt es noch kleine Verkaufsstände. Erst tagsüber ist später ein Grund zu verstehen, warum sich die Menschen dort aufhalten. Die Wohnungen sind klein und stickig in der Metropole, da ist der Aufenthalt im Freien und in der Kühle der Nacht allemal angenehmer.

Viel Zeit für neugierige Blicke auf die Menschen, die sich an manchen Stellen in großen Gruppen zusammengefunden haben, bleibt nicht, der Busfahrer biegt auf eine innerstädtische Schnellstraße ab. Auch diese Straße hat er fast für sich. Er findet ein Hotel, das tatsächlich zwei Mitreisenden als Herberge dienen soll. Danach beginnt eine abenteuerliche Stadtrundfahrt durch die 2,1-Millionen-Stadt. Der Fahrer kennt und findet den Weg zum nächsten Hotel nicht. Er kurvt durch die nahezu leeren Straßen, die nur spärlich beleuchtet sind. Er fährt rückwärts aus Einbahnstraßen wieder hinaus. Durchfährt einen Kreisverkehr mehrere Male, bis er sich für eine Ausfahrt entschieden hat, um wenig später zum Kreisverkehr zurückzukehren.

Havanna zeigt sich trist und grau, fast tot und leer. Nur ab und zu ist ein Auto meist nur schemenhaft zu erblicken. Ob es sich um die legendären Oldtimer handelt oder um moderne Modelle, lässt sich nur erahnen. Es wird noch Zeit und Gelegenheit sein, sich mit der besonderen Autowelt Kubas zu beschäftigen. In der Nacht sind auch die Fahrzeuge wie ihre Umgebung, einfach nur schwarz-weiß. Sollen dies die Farben oder Unfarben von Kuba sein. Schwarz und Weiß?

Allein, daran fehlt der Glaube, und es bleibt in dieser unwirtlichen, fast schon unwirklichen Nacht nur der Griff zum nächsten Allgemeinplatz: Am Ende wird alles gut.

Und so lange es nicht gut ist, so lange ist man noch nicht am Ende. Oder positiv ausgedrückt: Wir sind erst am Anfang einer Tour in eine unbekannte Welt.