Meine Welt: Mein Vietnam - Kurt Lehmkuhl - E-Book

Meine Welt: Mein Vietnam E-Book

Kurt Lehmkuhl

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Beschreibung

"Mein Vietnam" ist der erste Band einer Reihe "Meine Welt". Demnächst folgt "Mein Kirgistan". Ein Reiseführer ist etwas anderes. Den möchte ich gar nicht schreiben. Reiseführer gibt es zuhauf. Da braucht es nicht unbedingt noch einen weiteren. Außerdem war meine erste Reise nach Vietnam viel zu kurz, um dem Nutzer eines Reiseführers ausreichend sachlich und fachlich fundierte Informationen liefern zu können, die er von einem Reiseführer erwarten kann. Mir geht es um persönlich Erlebtes, das ich gerne weitergeben möchte. Dabei halte ich es mit Thai. Wer dieser Mann ist, wird später deutlich. Thai sagt: „Ich sage Dir die Wahrheit. Du siehst, was Du sehen willst. Du hörst, was Du hören willst. Und Du glaubt, was Du glauben willst.“ So ist das halt. Jeder hat seine Wahrheit, seinen Blick, sein Gehör, seinen Glauben. Was Du siehst, sehe ich vielleicht nicht, und was ich sehe, siehst Du vielleicht nicht. Was ist wahr, was ist vorgestellt? Was ist ein Urteil, was ein Vorurteil? Deshalb ist mein Eindruck von „meinem“ Vietnam nicht der Eindruck, den jemand anders hat, und sind meine Erkenntnisse andere als die anderer Reisender. Aber vielleicht geben meine Geschichten doch die Motivation, selbst einmal in dieses, uns so ferne und so fremde Land zu fahren und es zu erfahren.

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Inhaltsverzeichnis

Anstelle eines Vorworts

Tran und der Schattenmann

Hund oder Schwein

Mystisches Wasser

Klebereis macht fett

Halong-Bucht adé

Die Schwester

Thai und das runde Gesicht

Fäustlinge für die Füße

Onkel Ho und die verflixte 13

Good Morning, Vietnam

Der grüne Drachen liebt Rot und Grün

Alles etwas anders

Schlafend durchs Mekong-Delta

Die schwimmende Zukunft

Nachtrag

Anstelle eines Vorworts

Ein Reiseführer ist etwas anderes. Den möchte ich gar nicht schreiben. Reiseführer gibt es zuhauf. Da braucht es nicht unbedingt noch einen weiteren. Außerdem war meine erste Reise nach Vietnam viel zu kurz, um dem Nutzer eines Reiseführers ausreichend sachlich und fachlich fundierte Informationen liefern zu können, die er von einem Reiseführer erwarten kann.

Mir geht es um persönlich Erlebtes, das ich gerne weitergeben möchte. Nicht immer entsprechen die Geschichten den Tatsachen, manches war anders. Aber wie habe ich schon vom großen Egon-Erwin Kisch gelernt? Der Leser will nicht unbedingt wissen, wie es tatsächlich war. Er will das lesen, wovon er sich vorstellt, dass es tatsächlich gewesen sein könnte.

Dabei halte ich es mit Thai. Wer dieser Mann ist, wird später deutlich.

Thai sagt: „Ich sage Dir die Wahrheit. Du siehst, was Du sehen willst. Du hörst, was Du hören willst. Und Du glaubt, was Du glauben willst.“

So ist das halt. Jeder hat seine Wahrheit, seinen Blick, sein Gehör, seinen Glauben. Was Du siehst, sehe ich vielleicht nicht, und was ich sehe, siehst Du vielleicht nicht.

Was ist wahr, was ist vorgestellt? Was ist ein Urteil, was ein Vorurteil?

Deshalb ist mein Eindruck von „meinem“ Vietnam nicht der Eindruck, den jemand anders hat, und sind meine Erkenntnisse andere als die anderer Reisender. Aber vielleicht geben meine Geschichten doch die Motivation, selbst einmal in dieses, uns so ferne und so fremde Land zu fahren und es zu erfahren.

Mein Dank gilt selbstverständlich meinen beiden Mitreisenden Rita und Petra, die mit ihren Fotografien ihren Teil zu diesem Buch beigetragen haben.

Kurt Lehmkuhl

Die erste der Geschichten aus Vietnam: Tran und der Schattenmann

Grün ist die vorherrschende Farbe. Der Blick aus dem Flugzeug beim Anflug auf Hanoi bestätigt das in der Heimat gebildete Vorurteil: Die Landschaft ist vom Grün geprägt, unterbrochen von grauen oder lehmbraunen Flecken. Es sind die Reisfelder rundherum, auf dem die Pflanzen heranwachsen und die die Landschaft färben. Von der Hauptstadt Vietnams ist nicht viel zu sehen. Zunächst ist das Flugzeug noch zu hoch in der Luft, dann hat es beim Anflug eine Schneise erwischt, die keinen Blick auf eine großstädtische Bebauung ermöglicht.

Es ist eine Ankunft in einer großen Stadt auf einem internationalen Flughafen, wie sie überall auf der Welt möglich wäre.

Auch der Weg vom Flieger ins Gebäude und zur Gepäckausgabe lässt noch keinen Vorgeschmack zu auf das, was kommen wird. Das erste Wort bei der ersten Kontaktaufnahme mit einem Vietnamesen wird zum Dauerbrenner für den gesamten Aufenthalt: „Morning“.

„Morning“, so beginnt fast jedes Gespräch bei jeder Begegnung, ehe das eigentliche Thema zur Sprache kommt. Bei dem jungen Mann mit dem strengen Blick an der Passkontrollstelle bleibt es bei diesem „Morning“. Er ver(sch)wendet seine Zeit lieber mit einer ausgiebigen, intensiven Kontrolle des Reisepasses und des Visums statt mit einer Plauderei, um endlich nach gefühlten zehn Minuten mit einem knappen Kopfnicken den Weg frei zu geben in ein unbekanntes Land. Ist etwa jede Langnase ein potenzieller Spion in dieser Socialist Republic of Viet Nam? Was soll es überhaupt in der Sozialistischen Republik Vietnam zu spionieren geben? Oder liegt es allein daran, dass ausgerechnet auf der Seite davor im Reisepass ein Langzeitvisum für die USA eingeklebt ist, das einen Hinweis auf eine journalistische Tätigkeit des Besitzers gibt?

Das Empfangskomitee jenseits der Passkontrolle besteht aus einer Person, so hat es jedenfalls den Eindruck in der nur mit erstaunlich wenigen Menschen bevölkerten, lichtdurchfluteten Ankunftshalle. Das dem nicht so ist, wird erst später deutlich.

Tran, der sich „Cheng“ oder so ausspricht, lässt bei seiner Begrüßung erkennen, dass sein Wortschatz umfangreich genug ist, um mehr als nur ein „Morning“ zu einer Konversation beizutragen. In Deutsch fragt er nach dem Wohlbefinden nach der langen, fast 20-stündigen Anreise und äußert Verständnis für die Bitte, zunächst einmal eine Erholungspause im Hotel einlegen zu wollen.

Tran ist einer der Vietnamesen, wie sie häufig auf der Reise anzutreffen sind. Er gehört zu den 60 Prozent der rund 90 Millionen Einwohner, die unter 35 Jahre alt sind. Er ist knapp 1,70 Meter groß und hat kurzgeschnittenes, schwarzes Haar – wie fast alle jungen Männer, die knapp 1,70 Meter groß sind und kurzgeschnittenes, schwarzes Haar haben, so scheint es jedenfalls. Nur durch die Kleidung unterscheiden sie sich.

Beim Weg zum Bus, der Mensch und Koffer zum Hotel in Hanoi bringt, kommt der erste, wettermäßige Schock. Temperaturen weit über 30, fast schon 40 Grad lassen sich ja noch locker aushalten, wenn es eine trockene Hitze wäre. Aber damit kann Vietnam im April nicht dienen. Es herrscht eine enorme Schwüle mit einer wohl 80-prozentigen Luftfeuchtigkeit. Heiß und schwül, genau das ist das Richtige für einen übermüdeten, erschöpften Ankömmling aus Deutschland! Der Schweiß fließt schon aus den Poren, bevor man zu der Erkenntnis gelangt, dass es heiß und schwül ist.

Doch Tran hat vorgesorgt. Der Bus ist klimatisiert, Wasser steht bereit.

Tran ist stolz auf die Errungenschaften seines Vaterlandes und verweist auf den neu errichteten Internationalen Airport von Hanoi, auf dem der Besuch aus Deutschland angekommen ist. Daneben befindet sich der (jetzt) nationale Flughafen älterer Bauweise. Dass der erste Blick auf die andere Seite der autobahnähnlichen Straße, die fast nicht befahren ist, ausgerechnet auf einen Imbissstand fällt, der vermeintlich mit Döner und Kebab wirbt, lässt eine Internationalität vermuten, die sich dann doch nicht bewahrheitet. Aber vielleicht war der Döner-Kebab-Imbiss auch nur eine Fata Morgana.

Tran jedenfalls hat nur einen Blick für die moderne Schnellstraße, ebenfalls gerade erst fertig – und nach ein paar Kilometern schon gesperrt für den Verkehr. „Wir haben hier eine Konferenz von Politikern aus ganz Asien. Da ist die Zufahrt für den Zivilverkehr verboten.“

Aber keine Sorge, man käme in die Stadt.

Es fällt schwer, Trans Zuversicht zu teilen in Anbetracht des Verkehrs auf der Umleitungsstrecke. Dabei ist der Bus fast das einzige vierrädrige Fahrzeug. Dennoch kommt er einfach nicht schnell voran. Kein Wunder: „Wir haben in Hanoi acht Millionen Einwohner und sechs Millionen Mopeds“, erklärt Tran das Gewusel, Gehupe und Geknatter. Wobei er unter Mopeds alles versteht, was zwei Räder hat und fährt, also Fahrräder und Mofas ebenso wie Mopeds und Motorräder.

Die Fahrt geht nur langsam voran, man hupt sich vorwärts, aber in einer Gelassenheit und undurchsichtigen Organisation, bei der alles fließt und niemand staut. Selbst an einer Kreuzung mit drei Spuren in alle Richtungen oder einem Kreisverkehr geht es immer weiter, auch ohne Ampel und ohne Rechts-vorlinks-Gebot. Alle fädeln sich ein, der Verkehr ist ein unentwegter Reißverschluss, der nur dann zum Stand kommt, wenn es tatsächlich einmal eine Ampel gibt. Doch auch dort herrscht Ruhe und Gelassenheit, nicht zuletzt durch den Sekundenzeiger, der andeutet, wann die Ampel wieder auf Grün umspringt. Und kaum ist die Grünphase gekommen, knattern die in Fünfer-, Sechser- oder Siebenerreihen wartenden Mopedfahrer hupend los, um ihren Teil zum Reißverschluss beizutragen. Schneller ginge es auch in einer deutschen Millionenstadt nicht vorwärts.

Ist der Blick auf dieses Gewusel faszinierender als der Blick auf die Gebäude am Straßenrand oder die gebündelten Stromleitungen entlang des Weges? Es gibt nur Staunen über die schmalen, nicht stabil wirkenden, drei-, vier-oder fünfgeschossigen Häuser, die zwar farbenfroh gestrichen, aber wie alles staubbedeckt, angegraut geschlossene Reihen bilden. Irgendwo im Oberschoss führt eine Stromleitung aus dem dicken Kabelstrang in jedes Haus.

Die Eindrücke sind zu vielfältig, um überhaupt verarbeitet zu werden.

„Das kommt noch“, beruhigt Tran. Den Begriff „organisiertes Chaos“ würde er niemals verwenden. Für ihn ist das Leben in Hanoi so, wie es ist, total normal.

Mit dem Einchecken im Hotel ist für Tran die Arbeit zunächst beendet. Am Abend kommt er wieder, versichert er. Er empfiehlt beim Abschied noch einen Bummel durch die Gassen. Dann verschwindet er auf dem bevölkerten Bürgersteig, heftig palavernd mit einem jungen Mann, der vor dem Gebäude gewartet hat; selbstverständlich ebenfalls unter 35 Jahre alt, wahrscheinlich kurzgeschnittenes, schwarzes Haar. Aber um das bestätigen zu können, müsste er die schwarze Kappe abnehmen.

Er wirkt irgendwie bekannt. Die Erinnerung kommt wieder. Stimmt! Auf dem Flughafen hatte der Mann scheinbar gelangweilt herumgelungert, direkt hinter der Zollkontrolle und noch vor dem einköpfigen Begrüßungskomitee. Der Blick war auf ihn gefallen, weil die stumme Ausweisprüfung so lange gedauert hatte, und der Blick zwangsläufig durch die Halle schweifte.

Jetzt wirkt der Mann wie der Schatten von Tran.

Und er ist es auch.

Er ist der Schattenmann.

Nicht nur von Tran.

Die zweite der Geschichten aus Vietnam: Hund oder Schwein?

Das erste Lebewesen, das nach der kurzen Ruhephase beim Verlassen des Hotels zum Bummel über den Weg läuft, ist ein Huhn! Mitten in Hanoi, mitten im dicksten Mopedverkehr scharrt das Federvieh, das es wegen seiner Dürrheit in keinen deutschen Suppentopf schaffen würde, am Straßenrand im Dreck herum. Kaum ist es bei der Nahrungssuche fündig geworden, gackert das nächste dürre Huhn herbei, es scheint demnach nicht ausgebüxt zu sein, sondern zum innerstädtischen Alltag der Millionenstadt zu gehören. Wie die Tiere überleben können, ist ebenso fragwürdig wie das Schicksal der überraschend vielen Bäume am Straßenrand. In Deutschland würde derartiges Straßenbegleitgrün eine ausreichend dimensionierte Baumscheibe besitzen, damit genug Nährstoffe in den Boden fließen können. Mit einer solchen Baumphilosophie hat hier kein Straßenplaner oder Straßengestalter etwas im Sinn. Die stattlichen Bäume wachsen geradezu aus dem Asphalt, haben trotzdem eine dichtbelaubte Krone und erfüllen eine Funktion neben der Reinigung der Luft. Sie dienen als Strommasten, an denen armdicke Kabelstränge hängen.

Doch zurück zum scharrenden, gackernden Federvieh. Den beiden Hühnern, die auch noch die Gesellschaft eines weiteren bekommen, geht es besser als ihren Artgenossen. Die hängen nämlich gerupft und ausgenommen an vielen der Stände, die sich beiderseits der schmalen Straßen rund ums Hotel befinden. In der Altstadt von Hanoi ist an jedem Tag Wochenmarkt.

Auf die Frage: „Was wünschen Sie?“ würde es garantiert immer eine passende Antwort in den Gassen voller Menschen und Mopeds geben. „Das haben wir nicht“, ist dabei aus dem Katalog möglicher Antworten gestrichen. Es gibt schlichtweg alles auf diesem Markt. Selbstverständlich auch die Frisur am Straßenrand. Vertrauenserweckend sieht der klapprige alte Friseurstuhl zwar nicht aus. Aber wen stört’s, wenn man es nicht anders kennt?

Batterien, Handys, Mopedreifen, Lenkräder – alles kein Problem. CDs, Bilder, Tabletts, Fernseher – da lacht man nur drüber.

„Haben Sie keine anderen, ausgefallenen Wünsche?“ Es gibt schlichtweg alles.

Doch prägender für den Markt als ein neuer Haarschnitt oder ein neues technisches Gerät sind die immens vielen Stände für Lebensmittel aller Art und die vielen Garküchen, die den wegen seiner Größe alles