Nachtgeflüster 1. Der gefährliche Verehrer - Nora Roberts - E-Book

Nachtgeflüster 1. Der gefährliche Verehrer E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Die Erfolgsserie von Nora Roberts: Spannend, geheimnisvoll, aufregend wie ein Flüstern in der Nacht

Cilla O’Roarke arbeitet als Radio-DJ. Sie liebt ihren Job, bis sie furchteinflößende Telefonanrufe von einem Mann bekommt, der sie töten will. Zunächst nimmt sie ihn nicht ernst. Als die Anrufe immer bedrohlicher werden, weiß sie: Ihr Leben ist Gefahr. Detective Boyd Fletcher soll Cilla vor dem Stalker beschützen. Die junge Frau, die sich neben ihrem Job intensiv um ihre Schwester kümmert, hasst Cops, aus ihren ganz persönlichen Gründen. Boyd hingegen ist fasziniert von ihr. Eine explosive Mischung...

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Seitenzahl: 255

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Nora Roberts

Nachtgeflüster 1

Der gefährliche Verehrer

Roman

Aus dem Amerikanischen von M. R. Heinze

Wilhelm Heyne Verlag München

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Die Originalausgabe Night Shiftist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH & Co. KG, HamburgUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/Inga IvanovaSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-12074-0V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

1. KAPITEL

»Also, ihr Nachteulen, es geht auf Mitternacht zu, und ihr hört KHIP. Macht euch bereit für fünf Hits in Folge. Hier spricht Cilla O’Roarke, und, Darling, diesen Hit sende ich nur für dich.«

Ihre Stimme war wie ein guter Whisky, glatt und kraftvoll. Weich und gleichzeitig rau schien sie direkt wie für die Ätherwellen geschaffen zu sein. Jeder Mann in Denver, der sein Radio auf ihre Frequenz eingestellt hatte, musste glauben, dass sie nur zu ihm sprach.

Cilla zog den Regler am Mischpult auf und schickte den ersten der fünf versprochenen Hits zu ihren Hörern hinaus. Musik erfüllte die Sendekabine. Sie hätte die Kopfhörer abnehmen und sich drei Minuten und zweiundzwanzig Sekunden Stille gönnen können. Sie bevorzugte jedoch mitzuhören. Ihre Vorliebe für Musik war nur einer der Gründe für ihren Erfolg beim Radio.

Ihre Stimme war ein natürliches Attribut. Mit Sprechen hatte sie ihren ersten Job bekommen – bei einer kleinen, mit wenig Geld ausgestatteten Radiostation im ländlichen Georgia –, ohne Erfahrung, ohne Empfehlungsschreiben und mit einem brandneuen High-School-Diplom. Es war ihr vollkommen klar, dass sie diesen Posten ihrer Stimme wegen bekommen hatte. Wegen ihrer Stimme und wegen ihrer Bereitschaft, für so gut wie keine Bezahlung zu arbeiten, ständig Kaffee zu kochen und gleichzeitig als Empfangsdame des Senders zu fungieren. Zehn Jahre später bestand ihre Qualifikation ganz sicher nicht mehr nur aus ihrer Stimme, die allerdings noch immer oft genug die Dinge zu ihren Gunsten wendete.

Cilla hatte nie die Zeit gefunden, den Collegeabschluss in Kommunikation zu machen, den sie nach wie vor anstrebte. Aber sie konnte jetzt als Technikerin, Nachrichtensprecherin, Interviewerin und Programmdirektorin einspringen – und hatte es auch getan. Sie besaß ein enzyklopädisches Gedächtnis für Songs und Künstler und Respekt vor beiden. Das Radio war seit einem Jahrzehnt ihr Zuhause, und sie liebte es.

Cillas lässige, kokettierende Persönlichkeit in ihren Sendungen stand in einem krassen Gegensatz zu der tüchtigen, organisierten und ehrgeizigen Frau, die kaum mehr als sechs Stunden schlief und hauptsächlich im Gehen aß. Die öffentliche Cilla O’Roarke war eine sexy Radioprinzessin, die sich unter Berühmtheiten mischte und einen mit Glamour und Aufregung erfüllten Job hatte. Die private Frau verbrachte täglich durchschnittlich zehn Stunden im Sender oder mit Arbeit für den Sender, war wild entschlossen, ihre jüngere Schwester durch das College zu bringen, und hatte seit zwei Jahren samstagabends keine Verabredung mehr gehabt. Und wollte auch keine.

Sie legte die Kopfhörer beiseite und überprüfte noch einmal ihren täglichen Fahrplan für den nächsten Fünfzehn-Minuten-Block. Für den Zeitraum eines Top-Ten-Hits war es still in der Sendekabine. Es gab nur Cilla und die Lichter und Anzeigegeräte am Mischpult. So mochte sie es am liebsten.

Als sie vor sechs Monaten die Stelle bei KHIP in Denver annahm, hatte sie um die Sendezeit zwischen zehn Uhr abends und zwei Uhr nachts gerungen, die für gewöhnlich einem Anfänger-DJ vorbehalten war. Mit steigendem Erfolg und zehnjähriger Erfahrung im Rücken hätte sie gewiss einen der wichtigen Tagesblöcke haben können, zu denen die meisten Zuhörerzahlen erreicht wurden. Sie bevorzugte jedoch die Nacht, und in den letzten fünf Jahren hatte sie sich einen Namen für diese einsamen Stunden gemacht.

Sie war gern allein, und sie schickte gern ihre Stimme und Musik zu all denen hinaus, die nachts lebten.

Mit einem Blick auf die Uhr setzte Cilla wieder ihre Kopfhörer auf. Zwischen dem Ausblenden von Hit Nummer vier und der Einleitung zu Hit Nummer fünf gab sie mit sanfter Stimme die Senderkennung und die Frequenz durch. Nach einer kurzen Pause, in der sie eine Kassette mit vorab aufgezeichneten Nachrichten einlegte, wollte sie dann mit ihrem Lieblingsteil der Show beginnen, dem Hörerwunschtelefon.

Sie genoss es zu beobachten, wie die Lichter am Telefon aufleuchteten, genoss es, die Stimmen zu hören. Das entführte sie jede Nacht für fünfzig Minuten aus ihrer Sendekabine und bewies ihr, dass da draußen Menschen waren, echte Menschen mit einem echten Leben, die ihr zuhörten.

Sie zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich auf ihrem Drehstuhl zurück. Das war jetzt ihr letzter ruhiger Moment für die nächste Stunde.

Sie wirkte nicht wie eine in sich ruhende Frau. Auch sah sie nicht wie eine schillernde Femme fatale aus, trotz ihrer Stimme. Für beides zeigte sich zu viel Energie in ihrem Gesicht und in ihrem langen, nervösen Körper. Ihre Nägel waren nicht bemalt, genau wie ihr Mund. Bei dem straffen Zeitplan fand sie selten Gelegenheit, sich zu schminken. Ihre dunklen, brandy-braunen Augen waren fast geschlossen, während sie ihrem Körper erlaubte, neue Energie zu tanken. Die langen Wimpern, ein Erbe ihres verträumten Vaters, und die blasse, glatte Haut standen in einem reizvollen Gegensatz zu ihren scharfen, beinahe eckigen Zügen. Sie war mit einer Wolke dichter, welliger schwarzer Haare gesegnet, die sie achtlos zurückkämmte und zusammenband oder mit Rücksicht auf die Kopfhörer hochsteckte.

Mit einem Blick auf die Anzeige der abgelaufenen Zeit drückte Cilla die Zigarette aus, nahm einen Schluck Wasser und schaltete ihr Mikro ein. Das ON-AIR-Zeichen leuchtete grün.

»Das war für alle Liebenden da draußen, ob sie heute Nacht jemanden zum Kuscheln bei sich haben oder sich nur jemanden wünschen. Bleiben Sie an den Apparaten. Hier ist Cilla O’Roarke, Denver. Sie hören KHIP. Wir melden uns wieder mit unserem Hörerwunschtelefon.« Als sie das Band für eine Werbeeinschaltung anlaufen ließ, blickte sie auf. »Hey, Nick. Wie geht’s?«

Nick Peters, ein Collegestudent, der im Sender als Praktikant arbeitete, schob seine Brille mit der dunklen Fassung höher und grinste. »Ich habe den Literaturtest mit Auszeichnung bestanden.«

»Gut gemacht.« Dankbar nahm sie ihm die Henkeltasse mit dampfendem Kaffee ab, die er ihr anbot. »Schneit es noch?«

»Hat vor etwa einer Stunde aufgehört.«

Sie nickte und entspannte sich ein wenig. Sie hatte sich Sorgen um Deborah, ihre jüngere Schwester, gemacht.

»Die Straßen sind wahrscheinlich katastrophal.«

»Nicht so schlimm. Wollen Sie was zum Kaffee dazuhaben?«

Sie warf ihm ein flüchtiges Lächeln zu und war in Gedanken zu beschäftigt, um die Anbetung in seinen Augen zu bemerken. »Nein, danke. Nehmen Sie sich ein paar von den trockenen Doughnuts, bevor Sie Schluss machen.« Sie drückte eine Taste und sprach wieder ins Mikro.

Während sie die Sponsoren des Senders verlas, beobachtete er sie. Er wusste, dass es hoffnungslos war, sogar dumm, aber er war rasend in sie verliebt. Für ihn war sie die schönste Frau der Welt, und neben ihr wirkten die Frauen auf dem College wie ein müder Abklatsch dessen, was eine richtige Frau sein sollte. Sie war stark, erfolgreich, sexy. Und sie wusste kaum, dass es ihn gab. Wenn sie ihn überhaupt zur Kenntnis nahm, dann mit einem zerstreut freundlichen Lächeln oder einer Geste.

Seit mehr als drei Minuten kratzte er seinen Mut zusammen, um sie um eine Verabredung zu bitten. Und er malte sich aus, wie es wäre, wenn sie ihre Aufmerksamkeit einen ganzen Abend nur auf ihn richtete.

Sie merkte absolut nichts. Hätte sie gewusst, welchen Weg seine Gedanken einschlugen, wäre Cilla eher amüsiert als geschmeichelt gewesen. Nick war knapp einundzwanzig, rein rechnerisch gesehen sieben Jahre jünger als sie. Und Jahrzehnte jünger in jeder anderen Hinsicht. Sie mochte ihn. Er war bescheiden und tüchtig, und er scheute sich nicht vor langen Stunden harter Arbeit.

Während der letzten Monate hatte sie sich an den Kaffee gewöhnt, den er ihr brachte, bevor er den Sender verließ. Und an das Wissen, ganz allein zu sein, wenn sie ihn trank.

Nick sah auf die Uhr. »Ich … äh … wir sehen uns morgen.«

»Hmmm? Oh, na klar. Gute Nacht, Nick.« In dem Moment, in dem er durch die Tür war, hatte sie ihn bereits vergessen. Sie drückte einen der aufleuchtenden Knöpfe am Telefon. »KHIP. Sie sind auf Sendung.«

»Cilla?«

»Ja, wer spricht da?«

»Ich bin Kate.«

»Von wo rufen Sie an, Kate?«

»Von daheim – hier drüben in Lakewood. Mein Mann ist Taxifahrer. Er macht Spätschicht. Wir beide hören uns jede Nacht Ihre Sendung an. Könnten Sie ›Peaceful, Easy Feeling‹ für Kate und Ray spielen?«

»Wird gemacht, Kate. Halt das Feuer zu Hause am Brennen.« Sie drückte den nächsten Knopf. »KHIP. Sie sind auf Sendung.«

Alles lief glatt. Cilla nahm wie gewöhnlich Anrufe entgegen, notierte Titel und Widmungen. Die Wände des kleinen Studios waren voll mit Regalen, in denen LPs, Singles und CDs so geordnet und beschriftet waren, dass man sie leicht fand. Nach mehreren Anrufen machte sie stets eine Pause mit Werbeeinschaltungen und Ankündigungen, um Zeit zum Zusammenstellen des ersten Song-Blocks zu haben.

Einige der Anrufer meldeten sich öfters, und mit denen plauderte sie dann eine Weile. Einige waren nur einsam und riefen an, um den Klang einer anderen Stimme zu hören. Dazwischen gab es gelegentlich einen Verrückten, den sie mit einem Scherz aus der Leitung drängte oder den sie einfach unterbrach. In all den Jahren, in die sie mit Telefonanrufen zu tun hatte, konnte sie sich nicht an einen einzigen langweiligen Moment erinnern.

Sie genoss das Plaudern und Scherzen mit Anrufern ungemein. In der Sicherheit der Sendekabine war sie fähig, sich in einer Weise zu entspannen und eine lässige Beziehung zu Fremden herzustellen, wie sie das von Angesicht zu Angesicht nie könnte. Niemand, der ihre Stimme hörte, hätte geahnt, dass sie schüchtern und unsicher war.

»KHIP. Sie sind auf Sendung.«

»Cilla.«

»Ja. Sie müssen lauter sprechen, Partner. Wie heißen Sie?«

»Spielt keine Rolle.«

»Okay, Mr X.« Sie rieb ihre plötzlich feuchten Handflächen an ihrer Jeans. Ihr Instinkt warnte sie, dass es mit diesem Anrufer Ärger geben würde. Ihr Finger schwebte über dem Sieben-Sekunden-Verzögerungsschalter. »Haben Sie einen Wunsch?«

»Ich will, dass du bezahlst, du Schlampe! Ich werde dich bezahlen lassen. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du mir dafür danken, dass ich dich töte. Das wirst du nie vergessen!«

Cilla erstarrte, verwünschte sich dafür und unterbrach ihn mitten in einem Schwall von Obszönitäten. Durch äußerste Selbstkontrolle verhinderte sie, dass ihre Stimme zitterte. »Wow! Da scheint wohl jemand heute Nacht ein bisschen sauer zu sein. Hören Sie, wenn das Officer Marks war, ich schwöre, dass ich diese Strafzettel wegen Falschparkens bezahle. Und jetzt kommt der Song für Joyce und Larry.«

Sie ließ Springsteens letzte Hit-Single anlaufen, lehnte sich zurück und nahm die Kopfhörer mit zitternden Händen ab.

Albern. Sie stand auf, um den nächsten Block zusammenzustellen. Nach all den Jahren hätte sie nun wirklich nicht über einen obszönen Anruf erschrecken dürfen. Es gab nur selten eine Schicht, in der nicht wenigstens ein solcher Anruf kam. Sie hatte gelernt, mit Sonderlingen, Tobenden, mit Anträgen und Drohungen genauso geschickt umzugehen, wie sie gelernt hatte, das Mischpult zu bedienen.

Das alles gehört zum Job, ermahnte sie sich. Das gehört dazu, wenn man in der Öffentlichkeit steht, besonders während einer Nachtschicht, in der die Verrückten noch verrückter werden.

Doch sie ertappte sich dabei, wie sie über ihre Schulter blickte, durch das dunkle Glas des Studios zu dem trübe erleuchteten Korridor dahinter. Dort waren nur Schatten und Stille. Unter dem dicken Sweater fröstelte ihre Haut von kaltem Schweiß. Sie war allein. Völlig allein.

Aber der Sender ist abgeschlossen, erinnerte sie sich selbst, während sie den nächsten Titel ansagte. Der Alarm war eingeschaltet. Falls er losging, würden die feinsten Leute von Denver nach der Polizei schreien. Sie war hier so sicher wie in einem Banksafe.

Dennoch starrte sie auf die blinkenden Lichter am Telefon und hatte Angst.

Es hatte zu schneien aufgehört, aber der Geruch von Schnee hing noch in der kalten Märzluft. Während sie fuhr, hatte Cilla das Fenster zwei Zentimeter weit geöffnet und das Radio auf volle Lautstärke gestellt. Die Verbindung von Wind und Musik beruhigte sie.

Cilla war nicht überrascht, dass Deborah noch wach war und auf sie wartete. Sie bog in die Einfahrt des Hauses, das sie erst vor sechs Monaten gekauft hatte, und stellte zugleich verärgert und erleichtert fest, dass alle Lichter brannten.

Verärgert, weil es bedeutete, dass Deborah wach geblieben war und sich sorgte. Erleichtert, weil die stille Vorortstraße so leer wirkte und Cilla sich so verletzlich fühlte. Sie schaltete den Motor und zugleich Jim Jacksons sanfte Nachtsendung aus. Beim Einsetzen der totalen Stille schlug ihr das Herz bis zum Hals herauf.

Sich selbst verwünschend, machte sie die Wagentür zu, wickelte sich in ihren Mantel und jagte die Stufen hinauf. Deborah kam ihr an der Tür entgegen.

»Hey, hast du nicht morgen um neun einen Kurs?« Um Zeit zu gewinnen, schälte Cilla sich aus ihrem Mantel und hängte ihn in den Schrank. Sie roch heiße Schokolade und Möbelpolitur. Es brachte sie zum Seufzen. Deborah stürzte sich immer aufs Putzen, wenn sie angespannt war. »Wieso bist du so spät noch auf?«

»Ich habe es gehört! Cilla, dieser Mann …«

»Ach, komm schon, Baby.« Cilla drehte sich um und schlang die Arme um ihre Schwester. In ihrem schlichten weißen Hausmantel kam Deborah ihr noch immer wie zwölf vor. Es gab niemanden, den Cilla mehr liebte. »Bloß noch ein harmloser Verrückter in einer irren Welt.«

»Er klang nicht harmlos, Cilla.« Obwohl sie ein ganzes Stück kleiner war, hielt Deborah Cilla fest. Es gab eine Ähnlichkeit zwischen ihnen – um den Mund. Beide hatten einen vollen, leidenschaftlichen und störrischen Mund. Doch Deborahs Züge waren weicher, runder, nicht so eckig. Ihre Augen mit den dichten Wimpern waren von einem leuchtenden Blau. Jetzt waren sie von Sorge erfüllt. »Ich finde, du solltest die Polizei verständigen.«

»Die Polizei?« Weil ihr diese Möglichkeit überhaupt nicht in den Sinn gekommen war, konnte Cilla lachen. »Ein obszöner Anruf, und du willst mich zu den Cops jagen? Für was für eine Sorte Frau der neunziger Jahre hältst du mich eigentlich?«

Deborah rammte ihre Hände in ihre Taschen. »Das ist kein Scherz.«

»Okay, es ist kein Scherz. Aber, Deb, wir wissen doch beide, wie wenig die Polizei wegen eines hässlichen Anrufs bei einem Radiosender mitten in der Nacht unternehmen kann.«

Mit einem ungeduldigen Seufzer wandte Deborah sich ab. »Er hat wirklich gefährlich geklungen. Es hat mir Angst eingejagt.«

»Mir auch.«

Deborahs Lachen kam rasch und klang nur ein bisschen gepresst. »Du hast nie Angst.«

Ich habe immer Angst, dachte Cilla, lächelte jedoch. »Diesmal schon. Es ist mir so in die Knochen gefahren, dass ich den Verzögerungsschalter nicht rechtzeitig gedrückt habe, sodass der Anruf über den Sender ging.« Flüchtig überlegte sie, was für einen Anpfiff sie für diesen kleinen Fehler am nächsten Tag bekommen würde. »Aber er hat nicht noch einmal angerufen, was beweist, dass es eine einmalige Angelegenheit war. Geh ins Bett.« Sie strich über die dunklen, zerzausten Haare ihrer kleinen Schwester. »Du wirst nie die beste Anwältin von Colorado, wenn du die ganze Nacht wach bleibst.«

»Ich gehe, wenn du gehst.«

Obwohl sie genau wusste, dass es noch einige Stunden dauern würde, bis ihr Geist und ihr Körper sich beruhigt hatten, legte Cilla einen Arm um Deborahs Schultern. »Abgemacht.«

Er hielt den Raum dunkel, abgesehen von ein paar klecksenden Kerzen. Er mochte ihr mystisches, spirituelles Leuchten und ihren träumerisch religiösen Duft. Der Raum war klein, aber er war voll von Erinnerungsstücken – Trophäen aus seiner Vergangenheit. Briefe, Schnappschüsse, eine Sammlung von kleinen Porzellantieren, vergilbte Bänder. Ein Jagdmesser mit einer langen Klinge lag über seinen Knien, schimmerte matt in dem flackernden Licht. Eine gut geölte 45er Automatik lag neben seinem Ellbogen auf einem gestärkten Häkeldeckchen.

In seiner Hand hielt er ein Foto in einem Rosenholzrahmen. Er starrte darauf, sprach damit, weinte bittere Tränen. Das war der einzige Mensch, den er je geliebt hatte, und alles, was ihm geblieben war, war dieses Bild, das er an seine Brust drückte.

John. Unschuldiger, vertrauensseliger John. Betrogen von einer Frau. Benutzt von einer Frau. Verraten von einer Frau.

Liebe und Hass verschmolzen miteinander, während er sich vor und zurück wiegte. Sie würde bezahlen. Sie würde den höchsten Preis bezahlen. Aber zuerst wollte er sie leiden lassen.

Der Anruf – ein einzelner hässlicher Anruf – kam nun jede Nacht. Am Ende der Woche war Cilla vollkommen zermürbt. Sie konnte nicht mehr darüber scherzen, weder in der Sendung noch außerhalb. Sie war nur dankbar, dass sie inzwischen seine Stimme erkannte, diese raue, zum Zerreißen angespannte Stimme voller unterschwelliger Wut, und sie unterbrach die Verbindung schon nach den ersten Worten.

Dann saß sie da, gepeinigt von dem Wissen, dass er wieder anrufen würde, dass er da war, am anderen Ende der Leitung als eines dieser blinkenden Lichter, bereit, sie zu quälen.

Was hatte sie bloß getan?

Nachdem sie um zwei Uhr nachts die aufgezeichneten Nachrichten und die Werbespots eingelegt hatte, stützte Cilla ihre Ellbogen auf den Tisch und ließ den Kopf in ihre Hände sinken. Sie schlief selten gut und tief, und in der letzten Woche hatte sie kaum richtig geschlafen. Sie wusste, dass man es allmählich merkte, an ihren Nerven, ihrer Konzentration.

Was hatte sie bloß getan?

Die Frage verfolgte sie. Was konnte sie getan haben, dass jemand sie hasste? Sie hatte den Hass in seiner Stimme erkannt, einen tief sitzenden Hass. Sie wusste, dass sie manchmal kurz angebunden und ungeduldig mit Leuten sein konnte. Es gab auch Gelegenheiten, bei denen sie taktlos war. Aber sie hatte nie absichtlich jemanden verletzt. Wofür sollte sie bezahlen? Welches Verbrechen – real oder eingebildet – hatte sie begangen, dass jemand seine Rache gegen sie richtete?

Aus den Augenwinkeln heraus sah sie eine Bewegung. Einen Schatten zwischen den Schatten auf dem Korridor. Panik schoss in ihr hoch, und sie sprang auf und stieß sich die Hüfte an der Mischkonsole. Die Stimme, die sie vor knapp zehn Minuten abgeschnitten hatte, hallte noch in ihrem Kopf wider. Starr vor Angst beobachtete sie, wie sich der Knauf an der Studiotür drehte.

Es gab kein Entkommen. Mit trockenem Mund machte sie sich auf einen Kampf gefasst.

»Cilla?«

Mit hämmerndem Herzen sank sie langsam auf ihren Stuhl und verwünschte ihre Nerven. »Mark!«

»Tut mir leid, ich habe Sie wohl erschreckt.«

»Nur zu Tode.« Es kostete sie Anstrengung, den Manager des Senders anzulächeln. Er war Mitte dreißig, und er war schlichtweg sagenhaft. Seine dunklen Haare waren sorgfältig gestylt, ziemlich lang und ließen sein glattes, gebräuntes Gesicht jünger erscheinen. Wie stets gab er sich betont hip. »Was machen Sie hier um diese Zeit?«

»Wir müssen mehr tun, als nur über diese Anrufe zu sprechen.«

»Wir hatten erst vor zwei Tagen eine Besprechung. Ich sagte Ihnen …«

»Sie sagten mir«, stimmte er zu. »Es ist Ihre Art, mir und allen anderen etwas zu sagen.«

»Ich nehme keinen Urlaub.« Sie wirbelte mit ihrem Stuhl zu ihm herum. »Es gibt keinen Platz, wo ich hinfahren könnte.«

»Jeder hat einen Platz, wo er hinfahren kann.« Er hob eine Hand, bevor sie etwas einwenden konnte. »Ich diskutiere über diesen Punkt nicht mehr. Ich weiß, dass es für Sie schwer zu schlucken ist, aber ich bin der Boss.«

Sie zerrte an dem Saum ihres Sweatshirts. »Was werden Sie denn machen? Mich feuern?«

Er wusste nicht, dass sie bei dieser herausfordernden Frage den Atem anhielt. Obwohl er seit Monaten mit ihr zusammenarbeitete, hatte er ihre Oberfläche nie tief genug angekratzt, um herauszufinden, wie wackelig ihr Selbstwertgefühl war. Hätte er ihr jetzt gedroht, hätte sie kapituliert. Er wusste jedoch nur, dass ihre Sendung neues Leben in den Sender gepumpt hatte. Die Einschaltquoten schossen nach oben.

»Das würde doch keinem von uns nützen.« Während sie den angehaltenen Atem ausstieß, legte er eine Hand auf ihre Schulter. »Sehen Sie, ich mache mir Sorgen um Sie, Cilla. Wir alle tun das.«

Es rührte sie, und wie immer überraschte es sie. Der redet doch nur. Im Moment wenigstens. Sie rollte ihren Stuhl zu den Plattenspielern und bereitete den nächsten Musikblock vor.

»Ich sehe nicht tatenlos zu, wie einer meiner Leute bedroht wird. Ich habe die Polizei gerufen.«

Sie sprang von ihrem Stuhl hoch. »Verdammt, Mark! Ich sagte Ihnen …«

»Sie sagten mir.« Er lächelte. »Fangen wir doch nicht wieder so an. Sie sind wertvoll für den Sender. Und ich würde uns gern als Freunde betrachten.«

Sie setzte sich und streckte ihre in Stiefeln steckenden Füße von sich. »Sicher. Warten Sie.« Um Konzentration bemüht, ging sie mit einer Senderangabe und dem Intro für den nächsten Song auf Sendung. Sie deutete auf die Uhr. »Sie haben drei Minuten und fünfzehn Sekunden, um mich zu überzeugen.«

»Sehr einfach, Cilla. Was dieser Kerl macht, verstößt gegen das Gesetz. Ich hätte mich nie von Ihnen dazu überreden lassen dürfen, es so lange hinzunehmen.«

»Wenn wir ihn ignorieren, wird er aufhören.«

»Auf Ihre Art klappt das nicht.« Er legte erneut eine Hand auf ihre Schulter und massierte geduldig ihre verspannten Muskeln. »Also versuchen wir es auf meine Art. Entweder sprechen Sie mit den Cops, oder Sie nehmen außerplanmäßig Urlaub.«

Geschlagen blickte sie hoch und schaffte ein Lächeln. »Schubsen Sie Ihre Frau auch so herum?«

»Ständig.« Er grinste, beugte sich herunter und drückte Cilla einen Kuss auf die Stirn. »Sie liebt das.«

»Entschuldigung.«

Cilla zuckte zurück, als sie erkannte, dass man das leicht mit schlechtem Gewissen verwechseln konnte. Die beiden Personen in der Tür der Sendekabine betrachteten sie mit professioneller Distanziertheit.

Die Frau sah aus, als wäre sie einer Modezeitschrift entsprungen, mit einer Flut von dunkelroten Haaren, die ihr auf die Schultern flossen, und kleinen eleganten Saphiren in den Ohren, die farblich zu ihren Augen passten. Sie hatte die zarte Porzellanhaut einer echten Rothaarigen, besaß einen zierlichen Körper und trug ein gut geschnittenes Kleid in wilden Blau- und Grüntönen.

Der Mann neben ihr sah aus, als hätte er gerade einen Monat lang Vieh über die Prärie getrieben. In seinen zerzausten blonden Haaren leuchteten sonnengebleichte Strähnen auf; das Haar sie fiel ihm über den Kragen eines blauen Jeanshemdes. Seine Jeans war abgewetzt, saß tief auf den Hüften und schmiegte sich, an den Säumen ausgefranst, um lange Beine. Er lehnte schlaksig im Türrahmen, während die Frau Haltung angenommen hatte. Seine Stiefel waren verschrammt, aber er trug ein klassisch geschnittenes Tweedjackett über seinem zerknitterten Hemd.

Er lächelte nicht. Cilla ertappte sich dabei, wie sie ihn anstarrte und sein Gesicht länger als nötig betrachtete. Er hatte ausgeprägte Wangenknochen und ein ganz leichtes Grübchen am Kinn. Die gebräunte Haut spannte sich über den Knochen seines Gesichts, und der noch immer nicht lächelnde Mund war breit und fest. Seine Augen waren von einem klaren Smaragdgrün und so eindringlich auf Cillas Gesicht gerichtet, dass sie unruhig wurde.

»Mr Harrison.« Die Frau sprach zuerst. Cilla dachte, dass in ihren Augen Belustigung flackerte, als sie vortrat. »Ich hoffe, wir haben Ihnen genug Zeit gelassen.«

Cilla warf Mark einen mörderischen Blick zu. »Sie haben mir gesagt, Sie hätten sie gerufen. Sie haben mir nicht gesagt, dass sie schon draußen warten.«

»Jetzt wissen Sie es.« Er ließ seine Hand auf ihrer Schulter liegen, nun allerdings mehr zum Bändigen als zum Trösten. »Das ist Miss O’Roarke.«

»Ich bin Detective Grayson. Das ist mein Partner, Detective Fletcher.«

»Nochmals vielen Dank, dass Sie gewartet haben.« Mark winkte die beiden herein. Der Mann stieß sich träge vom Türrahmen ab.

»Oh, daran sind wir gewöhnt. Allerdings könnten wir etwas mehr Informationen gebrauchen.«

»Wie Sie wissen, hat Miss O’Roarke hier im Sender mehrere beunruhigende Anrufe erhalten.«

»Vulgäre Anrufe«, warf Cilla ein, verärgert, weil über ihren Kopf hinweg gesprochen wurde. »Mark hätte Sie damit nicht belästigen sollen.«

»Wir werden dafür bezahlt, belästigt zu werden.« Boyd Fletcher lehnte seine schmale Hüfte gegen den Tisch. »Hier arbeiten Sie also.«

In seinen Augen schimmerte gerade genug Anmaßung, dass sich ihre Nackenhaare aufstellten. »Ich wette, Sie sind ein verdammt guter Polizist.«

»Cilla.« Mark, der müde war und sich wünschte, zu Hause bei seiner Frau zu sein, sah sie finster an. »Wir wollen doch zusammenarbeiten.« Er ignorierte sie wieder und wandte sich an die Detectives. »Die Anrufe begannen während der Sendung am letzten Dienstag. Keiner von uns hat groß darauf geachtet, aber es ging weiter. Der letzte Anruf kam heute um null Uhr fünfunddreißig.«

»Haben Sie Aufnahmen?« Althea Grayson hatte bereits ihr Notizbuch hervorgezogen.

»Ich habe nach dem dritten Anruf begonnen mitzuschneiden.« Bei Cillas überraschtem Blick zuckte Mark bloß die Schultern. »Eine Vorsichtsmaßnahme. Ich habe die Bänder in meinem Büro.«

Boyd nickte Althea zu. »Geh mit. Ich nehme Miss O’Roarkes Aussage auf.«

»Zusammenarbeiten«, sagte Mark zu Cilla und führte Althea hinaus.

In der eintretenden Stille klopfte Cilla eine Zigarette aus ihrer schmaler werdenden Packung und steckte sie mit raschen, ruckartigen Bewegungen an. Boyd sog den Duft sehnsüchtig ein. Er hatte erst vor sechs Wochen, drei Tagen und zwölf Stunden aufgehört.

»Langsamer Tod«, bemerkte er.

Cilla betrachtete ihn durch den Rauch. »Sie wollten eine Aussage.«

»Ja.« Neugierig griff er nach einem der Regler, um damit zu spielen. Automatisch schlug sie seine Finger zur Seite.

»Finger weg!«

Boyd grinste. Er hatte das eindeutige Gefühl, dass sie nicht nur von den Geräten, sondern auch von sich selbst sprach.

Sie legte einen bekannten Hit auf. Nachdem sie ihr Mikro eingeschaltet hatte, sagte sie den gerade ausklingenden Song ab – den Titel, den Künstler, die Senderkennung und ihren Namen. In einem lässigen Rhythmus leitete sie zum nächsten Song über. »Bringen wir es schnell hinter uns«, sagte sie. »Ich habe nicht gern Gesellschaft während meiner Schicht.«

»Sie sind nicht ganz das, was ich erwartet habe.«

»Wie bitte?«

Nein, wirklich nicht, dachte er. Sie war verdammt viel mehr, als er erwartet hatte. »Ich habe Ihre Sendung gehört«, meinte er leichthin. »Ein paarmal.« Mehr als ein paarmal. Er hatte mehrere Stunden Schlaf verloren, indem er dieser Stimme zugehört hatte. Flüssiger Sex. »Ich habe mir ein Bild gemacht, wissen Sie. Einssiebzig.« Er ließ seinen Blick beiläufig von ihrem Scheitel bis zur Sohle ihrer Stiefel gleiten. »Das war ziemlich gut geschätzt. Aber ich habe Sie als Blondine gesehen, Haare bis zur Taille, blaue Augen, große … Persönlichkeit.« Er grinste wieder und genoss den Ärger in ihren Augen. Große braune Augen, wie er feststellte. Eindeutig anders und viel ansprechender als seine Fantasie.

»Tut mir leid, Sie zu enttäuschen.«

»Ich sagte nicht, dass ich enttäuscht bin.«

Sie nahm einen langen, bedächtigen Zug und blies den Rauch dann absichtlich in seine Richtung. Wenn sie etwas konnte, dann einen aufdringlichen Mann entmutigen.

»Wollen Sie nun eine Aussage oder nicht, Sie Schlaumeier?«

»Deshalb bin ich hier.« Er holte einen Block und einen Bleistiftstummel aus seiner Jackentasche. »Los.«

In knappen, leidenschaftslosen Worten ging sie jeden Anruf durch, nannte die Zeiten, beschrieb den Inhalt. Dabei arbeitete sie weiter, schob Kassetten mit Werbeeinschaltungen ein, sagte eine CD an, tauschte die Alben aus und suchte neue heraus.

Boyd hob die Augenbrauen, während er schrieb. Er würde sich natürlich die Bänder anhören, aber er hatte das Gefühl, dass sie ihm wortwörtlich alles wiedergab. In seinem Job hatte er Hochachtung vor einem guten Gedächtnis.

»Sie sind jetzt schon wie lange in der Stadt? Sechs Monate?«

»Mehr oder weniger.«

»Irgendwelche Feinde gemacht?«

»Einen Vertreter, der mir eine Enzyklopädie andrehen wollte. Ich habe ihm die Tür vor den Kopf geknallt.«

Boyd warf ihr einen Blick zu. Sie versuchte, unbekümmert zu klingen, aber sie hatte die Zigarette ausgedrückt und kaute jetzt an ihrem Daumennagel. »Irgendwelche Liebhaber abserviert?«

»Nein.«

»Haben Sie einen?«

Wieder blitzte Zorn in ihren Augen auf. »Sie sind der Detective. Finden Sie es doch heraus.«

»Würde ich auch – wenn meine Frage persönlich motiviert wäre.« Er richtete erneut einen so direkten, so intimen Blick auf sie, dass sie feuchte Hände bekam. »Im Moment mache ich nur meinen Job. Eifersucht und Zurückweisung sind starke Motive. Laut Ihrer Aussage hatten die meisten seiner Worte mit Ihren sexuellen Gewohnheiten zu tun.«

Unverblümtheit mochte ihre Stärke sein, aber sie wollte ihm nicht auf die Nase binden, dass ihre einzige sexuelle Gewohnheit die Enthaltsamkeit war. »Ich habe im Moment keine Beziehung«, erklärte sie ruhig.

»Gut.« Ohne aufzublicken machte er sich noch eine Notiz. »Das war eine persönliche Bemerkung.«

»Hören Sie, Detective …«

»Regen Sie sich ab, O’Roarke«, sagte er sanft. »Es war eine Bemerkung, kein Antrag.« Er sah sie aus dunklen, geduldigen Augen abschätzend an. »Ich bin im Dienst. Ich brauche eine Liste der Männer, mit denen Sie auf persönlicher Ebene Kontakt hatten. Halten wir uns vorerst an die letzten sechs Monate. Den Vertreter können Sie weglassen.«

»Ich habe keine Beziehung.« Sie ballte die Fäuste, als sie aufstand. »Ich hatte auch keine. Ich habe auch nicht das Verlangen nach einer Beziehung.«

»Niemand hat jemals behauptet, Verlangen könnte nicht auch einseitig sein.« In diesem Moment war er verdammt sicher, dass sein Verlangen sehr einseitig war.

Sie war plötzlich unbeschreiblich müde, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und rang um Geduld. »Jeder muss doch erkennen, dass dieser Kerl sich an eine Stimme aus dem Radio gehängt hat. Er kennt mich nicht einmal. Wahrscheinlich hat er mich auch nie gesehen. Er hat sich ein Bild von mir gemacht«, warf sie dem Detective seine eigenen Worte zurück an den Kopf. »Mehr bin ich nicht für ihn. In diesem Job passiert das ständig. Ich habe nichts getan.«

»Das habe ich auch nicht behauptet.«

In seiner Stimme schwang jetzt kein spöttischer Ton mit. Die plötzliche Sanftheit darin ließ Cilla herumwirbeln und heftig gegen die drohenden Tränen anblinzeln. Überarbeitet, sagte sie sich. Überdreht. Über… alles Mögliche. Mit dem Rücken zu ihm kämpfte sie um Selbstbeherrschung.

Tough, dachte er. Sie war eine toughe Lady. Die Art, wie sie ihre Hände an den Seiten ballte, während sie mit ihren Gefühlen kämpfte, war viel ansprechender, viel sexier, als eine brüchige Stimme und hilflose Gesten je hätten sein können.

Er wäre gern zu ihr gegangen, hätte gern ein tröstendes Wort gesagt oder mit der Hand über ihr Haar gestrichen. Aber wahrscheinlich hätte sie ihm glatt die Hand abgebissen.

»Ich möchte, dass Sie über die letzten paar Monate nachdenken. Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, auch wenn es klein und unbedeutend ist, das uns weiterbringt.« Sein Ton hatte sich wieder verändert, war jetzt knapp. Knapp und frei von Gefühlen. »Wir können nicht jeden Mann im Großraum Denver verhören. So klappt das nicht.«

»Ich weiß, wie Cops arbeiten.«

Er zog die Augenbrauen zusammen angesichts der Bitterkeit in ihrer Stimme. Da steckt noch mehr dahinter, dachte er. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt um nachzuhaken.

»Sie würden die Stimme wiedererkennen, wenn Sie sie hören?«

»Ja.«

»Irgendetwas Markantes daran?«

»Nichts.«

»Glauben Sie, die Stimme war verstellt?«

Sie bewegte unruhig die Schultern, hatte sich jedoch unter Kontrolle, als sie sich wieder ihm zuwandte. »Er spricht unterdrückt und leise. Es ist … äh … wie ein Zischen.«