Nachtgeflüster 3. Die tödliche Bedrohung - Nora Roberts - E-Book

Nachtgeflüster 3. Die tödliche Bedrohung E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Die Erfolgsserie von Nora Roberts: Spannend, geheimnisvoll, aufregend wie ein Flüstern in der Nacht

Ein Mädchen wurde entführt! Detective Althea Grayson soll das Schlimmste verhindern. Fatal, dass Altheas wichtigster Informant ausgerechnet der eigenwillige Colt Nightshade ist, der sich nur ungern an Regeln hält. Doch nur mit Regeln kann man zusammenarbeiten, denkt Althea, besonders wenn es um so atemberaubende Exemplare wie Colt geht. Da helfen Grenzen. Für Colt hingegen wird es zu größten Aufgabe seines Lebens, die wahnsinnig distanzierte, ungemein faszinierende und unter der harten Schale sensible Detektivin für sich zu gewinnen – um sie nie mehr loszulassen.

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Seitenzahl: 349

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Nora Roberts

Nachtgeflüster 3

Die tödliche Bedrohung

Roman

Aus dem Amerikanischen von Emma Luxx

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe Nightshadeist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/Yuriy ZhuravovSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-12076-4V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

PROLOG

Es war ein verflucht ungemütlicher Ort für eine Verabredung mit einem Spitzel. Eine kalte Nacht, eine dunkle Straße und der Geruch nach Whiskey und Schweiß, der durch die Ritzen der Kneipentür hinter ihm drang. Colt zog leicht an einer schlanken Zigarre, während er das Knochengestell musterte, das bereit war, ihm Informationen zu verkaufen. Nicht gerade hübsch anzusehen, der Kerl, überlegte Colt, während er den Mann, der klein, spindeldürr und hässlich war wie hausgemachte Sünde, musterte. Im Schein der Neonreklame wirkte er fast komisch.

Obwohl die Sache selbst alles andere als komisch war.

»Sie sind nicht leicht aufzutreiben, Billings.«

»Tja ...« Billings kaute sich ein Stückchen Nagelhaut von seinem Daumen ab, während sein Blick die Straße absuchte. »So bleibt man gesund. Hab gehört, dass Sie nach mir suchen.« Er taxierte Colt mit einem nervösen Blick von Kopf bis Fuß. »Jemand wie ich muss vorsichtig sein, klar? Die Art Informationen, die Sie kaufen wollen, sind kein Pappenstiel. Außerdem ist es gefährlich. Mir wäre es lieber, wenn mein Cop dabei wäre. Normalerweise läuft alles über sie, aber ich habe sie heute den ganzen Tag über nirgends auftreiben können.«

»Mir ist es aber ohne lieber. Und schließlich bin ich es, der zahlt.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog Colt zwei Fünfziger aus seiner Hemdtasche. Er beobachtete, wie Billings’ Blick zu den Scheinen glitt und sich daran festsaugte. Obwohl Colt ein risikofreudiger Mann war, war er doch nicht bereit, die Katze im Sack zu kaufen, deshalb hielt er das Geld außer Reichweite.

»Könnte ’n Drink brauchen, da lässt es sich leichter reden.« Billings wandte den Kopf und schaute auf die Kneipe in seinem Rücken. Das Auflachen einer Frau, hoch und schrill, barst wie ein Schuss durch das Glas.

»Sie reden doch schon sehr gut mit mir.« Colt registrierte, dass der Kerl so nervös war, dass er auf dem Zahnfleisch ging. Und als er sein Gewicht von dem einen Bein aufs andere verlagerte, konnte Colt fast seine Knochen klappern hören. Wenn er jetzt nicht ein bisschen Druck machte, würde der Bursche das Weite suchen wie ein verängstigter Hase. Und das durfte er unter keinen Umständen zulassen, dafür stand einfach zu viel auf dem Spiel.

»Sie sind nicht von hier.«

»Nein.« Colt zog fragend eine Augenbraue hoch. »Ist das ein Problem?«

»Würde ich nicht so sagen. Im Gegenteil. Aber wenn die Wind von Ihnen bekommen ...« Billings fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Obwohl, so wie Sie aussehen, wissen Sie sich schon zu helfen.«

»Dafür bin ich bekannt.« Colt nahm noch einen letzten langen Zug aus seiner Zigarre, bevor er sie in den Gully schnippte, wo sie wie ein rotes Auge weiterglühte. »Aber kommen wir jetzt zum Geschäft.« Als vertrauensbildende Maßnahme wedelte Colt mit einem Fünfziger unter Billings’ Nase herum. »Die Informationen, Billings.«

In dem Moment, in dem sich Billings’ gierige Finger nach dem Geldschein ausstreckten, wurde die kalte Nachtluft von einem durchdringenden Reifenquietschen zerrissen.

Colt brauchte die Panik in Billings’ Augen nicht zu lesen. Adrenalin und Instinkt übernahmen das Kommando, und noch bevor der erste Schuss aufpeitschte, sprang er in Deckung.

1. KAPITEL

Althea fand, dass nach einem schweren Arbeitstag gegen ein bisschen Langeweile eigentlich nichts einzuwenden war. Auf diese Weise konnten sich Geist und Körper regenerieren. Und es machte ihr auch nicht wirklich etwas aus, sich nach einer harten Zehnstundenschicht und einer noch härteren Sechzigstundenwoche in ein Cocktailkleid zu schmeißen oder ihre müden Füße in sieben Zentimeter hohe Stilettos zu zwängen. Sie hatte nicht einmal etwas dagegen, dass sie während des Essens im Ballsaal des Brownhauses eine todlangweilige Rede nach der anderen über sich ergehen lassen musste.

Wogegen sie allerdings wirklich etwas hatte, war, dass die Hand des Mannes, mit dem sie ausgegangen war, unter dem weißen Tischtuch an ihrem Oberschenkel unaufhaltsam weiter nach oben glitt.

Männer waren ja so furchtbar berechenbar.

Nach ihrem Weinglas greifend, wandte sie sich zu ihrem Begleiter um und flüsterte ihm zärtlich ins Ohr: »Jack?«

Seine Finger kletterten höher. »Hmm?«

»Wenn du deine Hand nicht – na, sagen wir, in zwei Sekunden – da wegnimmst, steche ich mit meiner Dessertgabel zu. Es wird nicht sehr angenehm sein, Jack, du solltest es dir also gut überlegen.« Nach diesen Worten lehnte sie sich zurück und trank einen Schluck von ihrem Wein. Als er erstaunt eine Augenbraue hochzog, lächelte sie ihn über den Rand ihres Glases hinweg an. »Du könntest dann nämlich einen ganzen Monat nicht Racketball spielen.«

Jack Holmsby, heiß begehrter Junggeselle, in Ganovenkreisen gefürchteter Staatsanwalt und Ehrengast beim Denver Bar Association Banquet, wusste sehr gut, was Frauen brauchen. Und er versuchte jetzt schon seit Monaten, dieser Frau hier zu geben, was sie brauchte.

»Thea ...« Er flüsterte ihren Namen, wobei er sein charmantestes Verführerlächeln zum Einsatz brachte. »Hier ist sowieso gleich Schluss. Warum gehen wir nicht zu mir? Wir könnten ...« Er selbst hielt den Vorschlag, den er ihr ins Ohr flüsterte, für bahnbrechend.

Althea blieb eine Antwort erspart – und Jack eine kleinere Operation – weil ihr Piepser sich meldete. Augenblicklich begannen sämtliche Leute in ihrem Umkreis in ihren Taschen zu kramen. Sie neigte den Kopf und erhob sich.

»Entschuldigen Sie. Ich glaube, das war bei mir.« Sie drehte sich um und ging mit einer leichten Drehung der Hüften davon, wobei sich der Seitenschlitz an ihrem Kleid öffnete und ein langes schlankes Bein aufblitzte. Der durchtrainierte muskulöse Körper in dem rückenfreien, mit winzigen Perlen bestickten purpurroten Kleid veranlasste mehr als einen Kopf, sich umzudrehen. Pulsfrequenzen erhöhten sich. Fantasien wurden gesponnen.

Althea schlenderte ungerührt aus dem Saal in die Lobby zu den Telefonen. Dort angelangt, öffnete sie ihre perlenbesetzte Abendhandtasche, die Puderdose, Lippenstift, Dienstausweis, ein bisschen Kleingeld und ihre Dienstwaffe enthielt, fischte einen Quarter heraus und machte ihren Anruf.

»Grayson.« Beim Zuhören schüttelte sie ihr schulterlanges leuchtend rotes Haar zurück und kniff die gelblich braunen Augen zusammen. »Alles klar, bin schon unterwegs.«

Nachdem sie aufgelegt und sich wieder umgedreht hatte, sah sie Jack Holmsby auf sich zukommen, der objektiv betrachtet ein attraktiver Mann war, wie sie jetzt dachte. Hübsch poliert an der Außenseite. Bloß schade, dass er innen drin so absolut gewöhnlich war.

»Entschuldige, Jack. Ich muss weg.«

Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. Zu Hause warteten eine Flasche Cognac Napoleon, ein Stapel Holz, mit dem man im Kamin ein schönes Feuer machen konnte, und ein mit weißer Satinbettwäsche frisch bezogenes Bett. »Herrgott, Thea, kann das nicht jemand anders übernehmen?«

»Nein.« Die Arbeit kam für sie an erster Stelle, das war noch nie anders gewesen. »Gut, dass ich mit dem eigenen Auto da bin. Du brauchst dich also nicht weiter stören zu lassen. Viel Spaß dann noch.«

Aber er dachte gar nicht daran, so schnell schon aufzugeben. Er folgte ihr durch die Lobby nach draußen in die kalte Herbstnacht. »Was hältst du davon, wenn du später noch bei mir vorbeikommst? Dann machen wir einfach dort weiter, wo wir aufgehört haben.«

»Wir haben noch gar nicht angefangen.« Sie reichte dem Parkwächter ihren Parkschein. »Aber du musst endlich anfangen aufzuhören, Jack, weil ich nicht die Absicht habe, irgendetwas mit dir anzufangen.«

Als er ungeachtet ihrer Worte seine Arme um sie legte, stieß sie nur einen Seufzer aus. »Also wirklich, Thea. Du kannst mir doch nicht weismachen, dass du heute Abend nur mitgekommen bist, um ein Steak zu essen und dir todlangweilige Reden anzuhören.« Er beugte sich zu ihr herunter und murmelte an ihren Lippen: »Außerdem hättest du ganz bestimmt nicht so ein Kleid an, wenn du mich auf Abstand halten wolltest. Du hast es doch nur angezogen, um mich scharf zu machen. Und das ist dir gelungen, dessen kannst du dir sicher sein.«

Ihre leise Verärgerung schlug in Gereiztheit um. »Hör zu, ich bin heute Abend hier, weil ich dich für einen guten Juristen halte.« Der fast beiläufige Rippenstoß, mit dem sie versuchte, ihn sich vom Leib zu halten, veranlasste ihn, vor Schmerz scharf die Luft einzuziehen, und gestattete es ihr, einen Schritt zurückzutreten. »Und weil ich geglaubt habe, wir könnten zusammen einen netten Abend verbringen. Was ich anziehe, ist meine Sache, Hornsby, aber ich habe dieses Kleid ganz bestimmt nicht angezogen, damit du mich unterm Tisch betatschst und mir hanebüchene Vorschläge ins Ohr flüsterst.«

Sie wurde nicht laut, aber sie gab sich auch keine Mühe, besonders leise zu sein. In ihrer Stimme schwang jetzt unüberhörbar Wut mit, wie Eis unter einer dünnen Schneedecke. Jack zerrte peinlich berührt an seinem Krawattenknoten und schaute sich nach links und nach rechts um.

»Um Himmels willen, Althea, wenn dich die Leute hören.«

»Dasselbe wollte ich eben auch zu dir sagen«, konterte sie in zuckersüßem Ton.

Obwohl der Parkwächter lange Ohren machte, räusperte er sich beim Herankommen höflich. Althea drehte sich um, um ihren Autoschlüssel in Empfang zu nehmen. »Danke.« Sie schenkte ihm ein Lächeln und ein großzügiges Trinkgeld. Als er das Lächeln sah, begann sein Herz sofort schneller zu schlagen. Er schaute den Geldschein nicht an, bevor er ihn in seine Tasche steckte, weil er zu viel damit zu tun hatte zu träumen.

»Äh ... fahren Sie vorsichtig, Miss. Und kommen Sie bald wieder. Sehr bald.«

»Danke.« Sie schüttelte sich das Haar zurück, dann glitt sie geschmeidig hinters Steuer ihres überholten Mustang Cabriolets. »Wir sehen uns im Gerichtssaal, Herr Staatsanwalt.« Damit startete Althea und fuhr aus der Parklücke.

Alle Tatorte, an denen ein Mord geschehen war, hatten, ganz egal in welcher Umgebung, eines gemeinsam: die Aura von Tod, die man dort spüren konnte. Mit ihren nahezu zehn Jahren Berufserfahrung als Polizistin hatte Althea gelernt, sie zu sichten, die Informationen aufzunehmen und nach Ablauf der präzisen und technischen Ermittlungen schließlich zu den Akten zu legen.

Als Althea eintraf, sah sie, dass man einen halben Häuserblock abgesperrt hatte. Die Polizeifotografen hatten ihre Arbeit gerade beendet und waren dabei, ihre Ausrüstung einzupacken. Die Leiche war bereits identifiziert worden. Das war der Grund, weshalb man sie, Althea, gerufen hatte.

Auf der Straße standen zwei schwarzweiße Streifenwagen mit kreisendem Blaulicht und eingeschaltetem Polizeifunk, obwohl man im Moment nur krachende Störungsgeräusche hörte. Zuschauer – der Tod schien die Leute geradezu magisch anzuziehen – drängten sich neugierig gegen das gelbe Absperrband, um einen Blick auf den Toten zu erhaschen, der ihnen bestätigen sollte, dass sie selbst noch am Leben waren.

Weil die Nacht kalt war, schnappte sie sich ihre Stola, die auf dem Rücksitz lag. Die smaragdgrüne Seide wärmte ihre Arme und ihren Rücken. Als sie an dem Neuling vorbeikam, der die Menge unter Kontrolle zu halten versuchte, zeigte sie ihren Polizeiausweis vor, dann schlüpfte sie unter der Absperrung durch. Sie war froh, als sie Sweeney entdeckte, einen hartgesottenen Polizisten, der zweimal so lange im Dienst war wie sie, es aber immer noch nicht eilig hatte, seine Uniform an den Nagel zu hängen.

»Lieutenant.« Er nickte ihr zu, bevor er ein Taschentuch aus der Tasche zog und sich lautstark die Nase schnaubte.

»Was ist denn passiert, Sweeney?«

»Im Vorbeifahren. Das Opfer stand da vor der Kneipe und unterhielt sich.« Der Polizist deutete auf die zersplitterte Glastür des Tick Tock. »Laut Augenzeugen fuhr das Auto mit hoher Geschwindigkeit heran, bremste scharf ab, dann fielen die Schüsse und gleich darauf raste der Wagen in Richtung Norden davon.«

Althea konnte immer noch das Blut riechen, obwohl es nicht mehr frisch war. »Sonst noch jemand verletzt?«

»Nichts Ernsthaftes. Ein paar Leute haben kleinere Schnitte von durch die Luft fliegenden Glassplittern abbekommen, das ist alles. Der oder die Täter haben ihr Ziel gleich getroffen.« Er schaute über seine Schulter auf den Boden, wo der Tote lag. »Tut mir leid, Lieutenant, aber er hatte keine Chance.«

»Ja, mir tut es auch leid.« Ihr Blick wanderte zu der Gestalt, die in einer großen Blutlache auf dem Gehsteig lag. Sie hatten nicht viel in der Hand, womit sie anfangen konnten. Er war fünfundfünfzig Jahre alt, ein Meter fünfundsechzig groß und klapperdürr, mit einem Gesicht, das zu lieben wahrscheinlich nicht mal seiner Mutter leicht gefallen war.

Wild Bill Billings, Schmalspurzuhälter, Schmalspurganove und Polizeispitzel.

Und zwar ihrer, verdammter Mist.

»Der Gerichtsmediziner?«

»Schon wieder weg«, erklärte Sweeney. »Können ihn auf Eis legen.«

»Dann macht es. Gibt es eine Liste mit Zeugen?«

»Ja. Aber die Aussagen kann man größtenteils knicken. Einmal war es ein schwarzes Auto, dann wieder ein blaues. Ein Besoffener behauptet steif und fest, eine von roten Teufeln gezogene Kutsche gesehen zu haben.« Da er Althea gut genug kannte, um zu wissen, dass sie keinen Anstoß daran nehmen würde, stieß er eine Reihe äußerst erfindungsreicher Flüche aus.

»Wir müssen uns mit dem, was wir bekommen, begnügen.« Sie ließ ihre Blicke über die neugierige Menge schweifen – Kneipengänger, erlebnishungrige Jugendliche, ein paar Obdachlose und ...

Als ihr Blick auf einem der Umstehenden liegen blieb, gerieten ihre Sensoren in Schwingungen. Im Gegensatz zu allen anderen wirkte er weder beunruhigt, noch abgestoßen oder aufgeregt. Er stand einfach nur ruhig da, mit offener Lederjacke, obwohl ein kalter Wind wehte. Unter der Lederjacke sah man ein Kambrikhemd, das am Hals, an dem eine Silberkette glitzerte, offen stand. An die langen Beine schmiegte sich eine enge, verwaschene Jeans, die über ramponierten Stiefeln endete. Seine Haare, eine Mischung zwischen Blond und Braun, waren leicht gewellt, windzerzaust und so lang, dass sie über den Kragen wuchsen.

Er zog ab und zu an einer schlanken Zigarre, während seine Augen unablässig über den Tatort wanderten, als ob sie versuchten, sich jede Einzelheit genau einzuprägen. Trotz des fahlen Lichts wirkte er braun gebrannt, was gut zu seinen scharf geschnittenen Gesichtszügen passte. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und die Nase war groß und kräftig. Seine Lippen waren voll, aber man konnte sich gut vorstellen, wie sie unversehens schmal wurden und sich zu einem höhnischen Grinsen verzogen.

Noch bevor sich ihre Blicke trafen und verhakten, sagte ihr Instinkt ihr aus irgendeinem Grund, dass sie es hier mit einem Profi zu tun hatte.

»Wer ist denn der Cowboy dort, Sweeney?«

»Der ... oh.« Sweeneys müdes Gesicht verzog sich zu etwas, das ganz knapp noch für ein Lächeln durchgehen konnte. »Ein Zeuge«, gab er zurück. »Er hat sich gerade mit dem Opfer unterhalten, als geschossen wurde.«

»Ach ja?« Sie hörte, wie die Leiche eingeladen wurde, aber sie drehte sich nicht um. Sie wusste auch so genau, was hinter ihrem Rücken vorging.

»Er ist der Einzige, der uns eine vernünftige Schilderung des Tathergangs geben konnte.« Sweeney zog sein Notizbuch heraus, leckte sich über den Daumen und blätterte die Seiten durch. »Sagt, dass es eine schwarze ’91er Buicklimousine war, mit Nummernschildern aus Colorado. Behauptet, dass er die Zahlen nicht erkennen konnte, weil die Nummernschildbeleuchtung aus war und er es ein bisschen eilig hatte, in Deckung zu gehen. Er hat ausgesagt, dass die Waffe wie eine AK-47 klang.«

»Ach ja?« Interessant. Diesen Zeugen sollte sie im Auge behalten. »Vielleicht ...« Sie unterbrach sich, als sie sah, dass ihr Chef die Straße überquerte. Captain Boyd Fletcher ging schnurstracks auf den Zeugen zu, schüttelte erst ungläubig den Kopf, dann grinste er und umarmte sein Gegenüber. Anschließend folgte ein beiderseitiges nicht enden wollendes Schulterklopfen.

»Sieht ganz danach aus, als ob sich der Captain fürs Erste um ihn kümmert.« Althea steckte ihre Neugier weg wie eine Belohnung, die man sich für später aufhebt. »Machen wir erst mal hier fertig, Sweeney.«

Colt hatte sie von dem Moment an nicht mehr aus den Augen gelassen, in dem sich das erste lange, glatte Bein aus der Tür des Mustang geschoben hatte. Eine Lady wie sie war es wert, dass man sie nicht mehr aus den Augen ließ – mehr als wert. Es war schön anzuschauen, wie sie sich bewegte – mit der Geschmeidigkeit eines Athleten und der sparsamen Grazie eines Menschen, der weder Zeit noch Energie zu verschwenden hat. Und noch schöner war sie selbst anzuschauen. Ihr schön gewachsener, sexy Körper hatte gerade ausreichend Kurven, um einem Mann den Mund wässrig zu machen, und mit all dieser grünen und purpurroten Seide, die sich im Wind bewegte ... Das flammend rote Haar, aus einem kühlen Kameengesicht gestrichen, veranlasste einen Mann, an wesentlich mehr zu denken als an die Familienerbstücke seiner Großmutter.

Es war eine kalte Nacht, aber ein einziger Blick auf diese wohlproportionierte Frau bewirkte, dass es Colt ganz heiß wurde.

Was ganz gewiss nicht die schlechteste Art war, sich während des Wartens warm zu halten. Vor allem, weil er normalerweise zu den Menschen gehörte, die selbst unter besten Umständen nicht gern warten.

Es hatte ihn nicht überrascht, als sie dem Babyface an der Absperrung ihren Dienstausweis unter die Nase gehalten hatte. Sie trug auf ihren muskulösen Schwimmerinnenschultern unübersehbar Autorität. Anfangs hatte er sie für die Stellvertretende Bezirksstaatsanwältin gehalten, doch als er gesehen hatte, wie sie mit Sweeney gesprochen hatte, war ihm klar geworden, dass er sich geirrt hatte.

Der Lady stand das Wort Cop quer über die Stirn geschrieben.

Ungefähr Ende zwanzig, überlegte er, und auch ohne diese Schwindel erregend hohen Absätze wahrscheinlich fast ein Meter siebzig groß.

Die Polizistinnen waren heutzutage wirklich ziemlich interessant verpackt, das musste sogar er zugeben.

Und so wartete er, während er das, was sich da vor seinen Augen abspielte, einzuschätzen versuchte. Wild Bill Billings’ sterblichen Überresten brachte er keine wie auch immer gearteten Gefühle entgegen. Der Mann nutzte ihm jetzt nichts mehr.

Doch trotz allem würde er etwas herausfinden. Colt Nightshade war kein Mann, der sich durch einen Mord von seinem Ziel abbringen ließ.

Als er spürte, dass sie ihn beobachtete, zog er ruhig an seiner Zigarre und stieß eine Rauchwolke aus. Dann suchte er ihren Blick. Der Stromstoß, der ihn durchzuckte, kam jäh – und war ursprünglich und rein sexuell bedingt. Dieser eine flüchtige Moment, in dem sein Gehirn so blank geputzt war wie eine Glasscheibe, kam mehr als unerwartet. Er war nicht vorherzusehen gewesen. Stärke prallte auf Stärke. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Er ließ den Atem heraus, den er unbewusst angehalten hatte.

Er war so in Anspruch genommen, dass er Boyd nicht herankommen sah.

»Colt! Du alter Mistkerl!«

Colt fuhr überrascht herum, doch dann verschwand die gespannte Aufmerksamkeit aus seinen Augen und machte einem Grinsen Platz, bei dem jede Frau sogar noch in zehn Schritt Entfernung dahingeschmolzen wäre.

»Fletch.« Mit der überströmenden Herzlichkeit, die er allein für seine Freunde reserviert hatte, erwiderte er Boyds Umarmung, dann trat er einen Schritt zurück, um Bestandsaufnahme zu machen. Er hatte Boyd seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen und stellte jetzt zu seiner Genugtuung fest, dass sich wenig verändert hatte. »Du hast ja immer noch dieses hübsche Gesicht.«

»Und du bist auch noch ganz der Alte. Gott, tut es gut, dich mal wieder zu sehen. Seit wann bist du hier?«

»Seit zwei Tagen. Ich wollte erst noch ein paar Dinge erledigen, bevor ich mich melde.«

Boyd schaute an ihm vorbei zu dem Wagen, in den eben der Tote eingeladen wurde. »Das da zum Beispiel?«

»Das war ein Teil davon. Ich wusste deine Direktheit schon immer zu schätzen, Boyd.«

»Hmm.« Boyd entdeckte Althea und begrüßte sie mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken. »Jetzt mal ehrlich, Colt, hast du die Polizei gerufen oder einen Freund?«

Colt schaute auf seinen Zigarrenstummel, schnippte ihn in den Rinnstein und trat ihn mit dem Absatz aus. »Gut zu wissen, dass du beides bist.«

»Hast du den Kerl umgebracht?«

Boyd stellte die Frage in so leidenschaftslosem Ton, dass Colt wieder grinsen musste. Er wusste, dass Boyd ihm kein Haar gekrümmt hätte, wenn er an Ort und Stelle ein Geständnis abgelegt hätte. »Nein.«

Boyd nickte wieder. »Gut. Wirst du mich ins Bild setzen?«

»Ja.«

»Setz dich in meinen Wagen. Ich bin in einer Minute da.«

»Captain Boyd Fletcher.« Colt schüttelte mit einem leisen Auflachen den Kopf. Obwohl es bereits weit nach Mitternacht war, saß er hellwach und entspannt mit einer Tasse schlechtem Kaffee in der Hand, die Beine mit den ramponierten Stiefeln lang auf der Tischplatte ausgestreckt, vor Boyds Schreibtisch. »Hört sich wirklich gut an.«

»Ich dachte, du züchtest in Wyoming Pferde und Rinder.«

»Das mache ich auch.« Colts Tonfall war schleppend, mit einem ganz leichten Näseln. »Ab und zu jedenfalls.«

»Und was ist mit deinem Juraabschluss passiert?«

»Der muss noch irgendwo in einer Schublade rumfliegen.«

»Und die Air Force?«

»Fliegen tue ich noch. Aber die Uniform habe ich an den Nagel gehängt. Was meinst du, wie lange das mit der Pizza noch dauert?«

»Gerade lange genug, dass sie kalt und nicht mehr essbar ist.« Boyd lehnte sich behaglich in seinem Stuhl zurück. Er fühlte sich in seinem Büro wohl. Und er dachte gern an seine gemeinsame Schulzeit mit Colt.

»Du hast den Schützen nicht erkennen können?«

»Himmel, Fletch, ich hatte gerade noch Zeit, mir das Auto anzuschauen, bevor ich in Deckung ging. Nicht, dass uns das besonders viel weiterhelfen würde. Die Chancen stehen gut, dass es gestohlen war.«

»Lieutenant Grayson wird versuchen es zu finden. Warum erzählst du mir nicht, was du mit Wild Bill zu besprechen hattest?«

»Ich hatte gehofft, dass er mir in einer bestimmten Sache weiterhelfen kann. Ich war ...« Er unterbrach sich, als Althea mit einem flachen Karton hereingeschlendert kam. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht anzuklopfen.

»Sind das eure Pizzen?« Sie stellte den Karton auf Boyds Schreibtisch ab und streckte die Hand aus. »Zehn Mäuse, Fletcher.«

»Althea Grayson, Colt Nightshade. Colt ist ein alter Freund von mir.« Boyd zog einen Zehner aus seiner Brieftasche. Nachdem Althea den Schein fein säuberlich gefaltet und in ihrem Portemonnaie verstaut hatte, legte sie ihre perlenbestickte Abendhandtasche auf einem Stapel Aktenordner ab.

»Mr Nightshade.«

»Mrs Grayson.«

»Lieutenant Grayson«, stellte sie richtig. Sie lüftete den Deckel des Pizzakartons, inspizierte den Inhalt, suchte sich ein Stück Pizza aus. »Ich glaube, Sie waren an meinem Tatort.«

»So sieht es aus.« Er nahm die Beine vom Schreibtisch, damit er sich vorbeugen und sich ebenfalls ein Stück Pizza nehmen konnte. Über den Geruch von abkühlender Salami hinweg erhaschte er ihren Duft. Der weitaus verführerischer war.

»Danke«, murmelte sie, als Boyd ihr eine Serviette reichte. »Mich würde interessieren, wie es kommt, dass Sie in die Schießerei mit meinem Informanten verwickelt wurden.«

Colt verengte die Augen. »Mit Ihrem Informanten?«

»Richtig.« Ähnlich wie bei seinen Haaren ließ sich auch bei seinen Augen nicht entscheiden, was für eine Farbe sie hatten. Sie changierten zwischen Blau und Grün. Und im Moment waren sie so kalt wie der Wind, der an die Fenster klopfte.

»Bill hat verlauten lassen, dass er den ganzen Tag über versucht hat, seinen Polizeikontakt zu erreichen.«

»Ich war an der Front.«

Colt zog eine Augenbraue hoch, während er seinen Blick über die wehende smaragdgrüne Seide gleiten ließ. »Schöne Front.«

»Lieutenant Grayson hat heute den ganzen Tag über versucht, Drogendealern das Handwerk zu legen«, mischte sich Boyd ein. »He, Leute, warum fangen wir nicht mit dem Anfang an?«

»Keine Einwände.« Althea deponierte ihr angebissenes Stück Pizza auf dem Deckel des Pizzakartons, dann legte sie ihre Stola ab.

Colt biss die Zähne zusammen, um zu verhindern, dass ihm die Kinnlade herunterfiel. Da sie von ihm abgewandt dastand, hatte er das quälende Vergnügen, ermessen zu können, wie sehr ein nackter Rücken entzücken konnte, wenn er schlank, gerade und von purpurroter Seide eingerahmt war.

Nachdem sie ihren Schal auf einem Aktenschrank abgelegt hatte, langte Althea wieder nach ihrem Stück Pizza und ließ sich auf der Kante von Boyds Schreibtisch nieder.

Sie ist sich ihrer Wirkung auf Männer sehr wohl bewusst, dachte Colt. Er konnte dieses süffisante, leicht belustigte Wissen in ihren Augen lesen. Er hatte schon immer den Verdacht gehegt, dass jede Frau ihr Waffenarsenal bis in die letzte Wimper hinein ganz genau kannte, aber es war schwer für einen Mann, wenn die Frau so bis an die Zähne bewaffnet war wie diese hier.

»Also, kommen wir zu Wild Bill, Mr Nightshade«, begann Althea. »Was haben Sie mit ihm gemacht?«

»Geredet.« Er wusste, dass seine Antwort wenig weiterführend war, aber im Moment war er zu sehr damit beschäftigt zu entscheiden, ob der sexy Lieutenant und sein alter Freund etwas miteinander hatten. Sein alter verheirateter Freund, setzte er in Gedanken hinzu. Doch als er zwischen den beiden nicht das leiseste erotische Knistern spürte, war er aus unerfindlichen Gründen erleichtert, aber auch überrascht.

»Worüber?« Althea klang immer noch geduldig, sogar freundlich. Als ob sie versucht, einen kleinen Jungen auszufragen, der einen leichten Dachschaden hat, überlegte Colt.

»Der Tote war Theas Informant«, erinnerte Boyd Colt. »Wenn sie den Fall will ...«

»Und ich will ihn.«

»Dann hat sie ihn.«

Um Zeit zu schinden, streckte Colt die Hand nach einem weiteren Stück Pizza aus. Ihm schwante, dass er nicht umhinkommen würde, etwas zu tun, das ihm ganz und gar nicht schmeckte, etwas, das ihm aller Voraussicht nach im Hals stecken bleiben würde wie verfaultes Hackfleisch. Er würde um Hilfe bitten müssen. Und um diese zu erhalten, würde er das, was er wusste, teilen müssen.

»Ich habe zwei geschlagene Tage damit verbracht, Billings aufzustöbern und ihn dazu zu bringen, mit mir zu reden.« Außerdem hatte es ihn zwei Hunderter Schmiergeld gekostet, den Weg freizumachen, aber er gehörte nicht zu den Leuten, die die Kosten schon vor Ende der Veranstaltung aufmachten. »Er war nervös und wollte ohne seinen Polizeikontakt eigentlich nicht mit der Sprache rausrücken. Also musste ich dafür sorgen, dass es sich für ihn lohnt.«

Er drehte sich zu Althea um. Die Lady war allem Anschein nach niedergeschlagen. Die Erschöpfung war nicht leicht auszumachen, aber sie war da – sie zeigte sich in den leicht hängenden Lidern, den Schatten unter den Augen.

»Tut mir leid, dass Sie ihn verloren haben, aber ich bezweifle, dass es etwas geändert hätte, wenn Sie dort gewesen wären.«

»Das werden wir nie erfahren.« Sie gestattete es sich nicht, ihr Bedauern in ihrer Stimme mitschwingen oder sich ihr Urteilsvermögen davon trüben zu lassen. »Warum war es Ihnen so wichtig, mit Wild Bill zu sprechen?«

»Er hatte ein Mädchen, das für ihn anschaffen ging. Jade. Wahrscheinlich ihr Straßenname.«

Althea versuchte sich zu erinnern, nickte. »Ja, richtig. Klein und blond, schrecklich jung. Soweit ich weiß, ist sie schon seit vier oder fünf Wochen nicht mehr auf dem Strich gewesen.«

»Kann gut sein.« Colt stand auf, um sich noch mehr von dem Klärschlamm aus der elektrischen Kaffeemaschine einzuschenken. »So lange ist es ungefähr her, seit Billings ihr einen Job verschafft hat. Beim Film.« Wenn er sich schon Gift zuführen musste, würde er es nehmen wie ein Mann, ohne Milch oder Zucker. Er trank einen Schluck, dann drehte er sich wieder um. »Wobei ich nicht von Hollywood rede, wie Sie sich wahrscheinlich denken können, sondern von Videofilmen für Privatkunden. Harte Pornos für Genießer sozusagen.« Er zuckte die Schultern und setzte sich wieder. »Ich könnte nicht behaupten, dass mich das besonders stören würde, sofern wir von freiwilligen Übereinkünften zwischen Erwachsenen reden. Obwohl mir persönlich Sex in natura wesentlich lieber ist.«

»Es geht jetzt nicht um Ihre persönlichen Vorlieben, Mr Nightshade.«

»Oh, Sie brauchen mich nicht Mister zu nennen, Lieutenant. Es hört sich so förmlich an, wo wir doch über so ein heißes Thema sprechen.« Er lehnte sich lächelnd zurück. Er hatte immer noch Lust, ihr das Federkleid zu zerrupfen, und zwar aus Gründen, die näher zu erforschen er sich nicht die Zeit nahm, aber er wollte es gut und angemessen tun. »Tja, und dann ist irgendetwas passiert, das Jade einen Schrecken eingejagt hat. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die dem Glauben anhängen, dass Huren ein Herz aus Gold hätten, aber diese hier hat zumindest ein Gewissen. Sie schrieb Mr und Mrs Frank Cook einen Brief.« Er schaute Boyd an. »Frank und Marleen Cook.«

»Marleen?« Boyd zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Marleen und Frank?«

»Genau die.« Colt lächelte schief. »Noch mehr alte Freunde, Lieutenant. Zufälligerweise hatte ich mit Mrs Cook vor einer halben Ewigkeit das, was man ein intimes Verhältnis nennt. Da sie aber eine gute Menschenkenntnis hat, hat sie Frank geheiratet. Die beiden sind nach Albuquerque gezogen und haben inzwischen ein paar bildhübsche Kinder.«

Althea setzte sich bequemer hin und schlug mit einem Rascheln von Seide ihre Beine übereinander. Der silberne Anhänger an seiner Kette war eine Sankt-Christophorus-Medaille, wie sie sah. Der Schutzheilige der Reisenden. Sie überlegte, ob Mr Nightshade glaubte, den Schutz eines Heiligen zu brauchen.

»Ich darf doch hoffentlich annehmen, dass das irgendwo hinführt und Sie nicht nur in alten Erinnerungen schwelgen, oder?«

»Oh, es führt direkt vor Ihre berufliche Haustür, Lieutenant. Ich nehme nur gern ab und zu ein paar Umwege.« Er nahm eine Zigarre heraus und ließ sie durch seine langen Finger gleiten, bevor er seine Taschen nach seinem Feuerzeug abklopfte. »Vor ungefähr einem Monat wurde Marleens älteste Tochter ... sie heißt Elizabeth ... kennst du Elizabeth, Boyd?«

Boyd schüttelte den Kopf. Ihm schwante, wohin das führen würde, und das gefiel ihm gar nicht. Kein bisschen. »Ich habe sie nur einmal gesehen, da war sie noch ein Baby. Wie alt ist sie jetzt, zwölf?«

»Dreizehn. Gerade geworden.« Colt zündete seine Zigarre an und zog, bis sie brannte. »Bildhübsch, ganz die Mama. Und Marleens hitziges Temperament hat sie auch geerbt. Eines Tages gab es irgendwelche Probleme zu Hause, so wie sie bei den meisten Familien ab und zu vorkommen, und da ist Liz abgedampft.«

»Sie ist einfach weggelaufen?« Das konnte Althea gut verstehen. Allzu gut.

»Ja, hat ihren Rucksack gepackt und ab durch die Mitte. Ich brauche wahrscheinlich nicht eigens zu betonen, dass Marleen und Frank seitdem in der Hölle leben. Sie haben Liz bei der Polizei als vermisst gemeldet, aber der offizielle Weg hat sie keinen Schritt weitergebracht.« Er stieß eine Rauchwolke aus. »Ich hoffe, dass sich hier niemand auf den Schlips getreten fühlt. Vor zehn Tagen haben sie mich angerufen.«

»Warum?« fragte Althea.

»Ich sagte es bereits. Wir sind befreundet.«

»Machen Sie so etwas öfter für Freunde? Zuhälter aufspüren und Kugeln ausweichen, meine ich.«

Ganz schön sarkastisch, die Frau, dachte Colt. Es war noch eine zusätzliche Waffe in ihrem Arsenal. »Man hilft, wo man kann.«

»Haben Sie eine Zulassung als Privatdetektiv?«

Colt studierte eingehend das brennende Ende seiner Zigarre. »Ich halte nicht besonders viel von Zulassungen. Ich habe ein bisschen meine Fühler ausgestreckt, und dabei ist es mir gelungen, ihre Spur nach Norden zu verfolgen. Dann bekamen die Cooks Jades Brief.« Er klemmte sich seine Zigarre zwischen die Zähne und zog aus der Innentasche seiner Jacke einen auf geblümtem Briefpapier geschriebenen zusammengefalteten Brief. »Hier, lies selbst«, sagte er zu Boyd, während er ihm den Brief reichte. Althea stand auf, stellte sich hinter Boyd und legte ihm eine Hand auf die Schulter, während sie ebenfalls las.

Es war eine seltsam intime und doch vollkommen asexuelle Geste. Eine, die Freundschaft und Vertrauen ausdrückt, entschied Colt.

Die Handschrift war ebenso kindlich wie das Briefpapier. Aber der Inhalt hatte absolut nichts mit Blumen, Schleifchen und Kinderträumen zu tun.

Lieber Mr und liebe Mrs Cook,

ich habe Liz in Denver getroffen. Sie ist ein liebes Mädchen. Ich weiß, dass es ihr echt leid tut, dass sie von zu Hause abgehauen ist, und dass sie auf der Stelle zurückkommen würde, wenn sie es könnte. Ich hätte ihr gern geholfen, aber ich musste untertauchen. Liz steckt schlimm in der Patsche. Ich würde ja zur Polizei gehen, aber ich glaube nicht, dass man dort jemand wie mir überhaupt zuhören würde. Liz ist für so ein Leben nicht gemacht, aber ich bin mir sicher, dass sie sie nicht mehr weglassen. Sie ist so jung und so hübsch, dass sie mit den Videos von ihr bestimmt einen Haufen Geld machen. Ich bin jetzt schon seit fünf Jahren im Geschäft, aber manche Sachen, die wir vor der Kamera machen müssen, fand ich immer ganz grässlich. Und jetzt glaube ich, dass sie eins von den Mädchen umgebracht haben, und weil ich Angst habe, dass sie mit mir dasselbe machen, bin ich abgehauen. Liz hat mir Ihre Adresse gegeben und mich gebeten, Ihnen diesen Brief zu schreiben und Ihnen zu sagen, dass es ihr ganz schrecklich leid tut. Sie hat so Angst, und ich hoffe, dass Sie sie finden und dass alles gut wird.

Jade

P.S. Sie haben ein Haus in den Bergen, wo sie die Filme drehen. Und auf der Second Avenue in Denver gibt es eine Wohnung.

Boyd gab den Brief nicht zurück, sondern legte ihn auf seinen Schreibtisch. Er hatte selbst eine Tochter. Als er an die süße sechsjährige Allison dachte, packte ihn eine ohnmächtige Wut.

»Du hättest dich gleich an mich wenden können. Du hättest es sogar tun müssen.«

»Ich bin es gewohnt, allein zu arbeiten.« Colt zog ein letztes Mal an seiner Zigarre, bevor er sie ausdrückte. »Aber ich hatte vor zu kommen. Ich wollte vorher nur noch ein paar Informationen zusammentragen. Ich hatte den Namen von Jades Zuhälter und wollte versuchen, etwas aus ihm herauszubekommen.«

»Und jetzt ist er tot«, sagte Althea mit ausdrucksloser Stimme, während sie sich umwandte, um aus dem Fenster zu schauen.

»Ja.« Colt studierte nachdenklich ihr Profil. Was er an ihr spürte, war nicht nur Wut, sondern noch viel mehr. »Irgendwie muss es sich herumgesprochen haben, dass ich ihn suche. Das deutet daraufhin, dass wir es hier mit einem gut organisierten Pack zu tun haben, das auch vor Mord nicht zurückschreckt.«

»Das ist ein Fall für die Polizei«, sagte Boyd ruhig.

»Kein Widerspruch.« Bereit, mit sich verhandeln zu lassen, breitete Colt die Hände aus. »Aber es ist auch eine persönliche Angelegenheit. Ich werde weitere Nachforschungen anstellen, Fletcher. Das ist nicht gegen das Gesetz. Ich bin von den Cooks beauftragt worden ... als ihr Anwalt, wenn das Kind unbedingt einen Namen braucht.«

»Aber sind Sie das denn?« Althea, die ihre Gefühle mittlerweile wieder unter Kontrolle hatte, drehte sich zu ihm um. »Sind Sie Anwalt?«

»Wenn es mir passt. Ich will euch nicht bei euren Ermittlungen in die Quere kommen«, sagte er zu Boyd. »Alles, was ich möchte, ist, dass die Kleine wohlbehalten zu Marleen und Frank zurückkommt. Ich bin bereit, mit euch zusammenzuarbeiten, und das bedeutet, dass ich alles, was ich in Erfahrung bringe, an euch weitergebe. Aber ich will eine Gegenleistung dafür. Gib mir einen Cop, der den Fall bearbeitet, Boyd.«

Er lächelte ganz leicht, und es hatte fast den Anschein, als ob er sich über sich selbst amüsiere. »Es gibt wahrscheinlich niemanden, der sich besser vorstellen kann als du, wie sehr es mir gegen den Strich geht, offizielle Hilfe anzufordern. Aber hier geht es um Liz und um nichts sonst.« Er beugte sich vor. »Du weißt, dass ich meine Arbeit gut mache und nicht lockerlasse. Gib mir deinen besten Mann, dann kaufen wir uns dieses Pack.«

Boyd presste sich den Daumen und den Zeigefinger gegen seine müden Augen. Er könnte Colt natürlich sagen, dass er die Finger von der Sache lassen sollte. Obwohl das nur Energieverschwendung wäre. Er könnte sich weigern, mit Colt zusammenzuarbeiten, er könnte sich weigern, seine Informationen mit ihm zu teilen. Aber der einzige Effekt wäre, dass Colt versuchen würde, ihn zu umgehen. Ja, er wusste, dass Colt seine Sache gut machen würde, weil er schon immer alles, was er angepackt hatte, gut gemacht hatte.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Boyd Fletcher sich nicht peinlich genau an die Spielregeln hielte. Nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte, deutete er auf Althea.

»Da. Sie ist mein bester Mann.«

2. KAPITEL

Wenn ein Mann schon unbedingt eine Partnerin haben musste, dann sollte sie wenigstens hübsch sein. Auf jeden Fall hatte Colt weniger die Absicht, mit Althea zusammenzuarbeiten, als vielmehr, sich ihrer zu bedienen. Sie würde sein Verbindungsstück zum offiziellen Teil der Ermittlung sein. Er würde sein Wort halten – das tat er immer, außer wenn es ihm nicht ratsam erschien – und sie mit Informationen füttern, mit welchen auch immer. Obwohl er nicht damit rechnete, dass sie viel damit machen würde.

Es gab nur eine Hand voll Polizisten, die Colt respektierte, und Boyd stand auf seiner Liste ganz oben. Was Lieutenant Grayson anbelangte, so nahm Colt an, dass sie dekorativ, nicht nennenswert hilfreich und wenig sonst sein würde.

Aber ihr Dienstausweis, ihr Aussehen und ihr Sarkasmus könnten sich unter Umständen als nützlich herausstellen, wenn sie mit Leuten reden mussten, die möglicherweise mit der Sache zu tun hatten.

Immerhin hatte er letzte Nacht ausreichend geschlafen ... sechs Stunden insgesamt. Er hatte keine Einwände erhoben, als Boyd darauf bestanden hatte, ihn für die Dauer seines Aufenthalts bei sich zu Hause unterzubringen. Colt mochte Familien – zumindest die von anderen – und auf Boyds Frau war er neugierig gewesen.

Er hatte ihre Hochzeit verpasst. Obwohl er kein Freund von zeremoniellen Feierlichkeiten war, wäre er gern gekommen. Aber von Beirut bis Denver war es ein weiter Weg, und er war damals mit Terroristen beschäftigt gewesen.

Von Cilla war er ausgesprochen angetan. Die Frau hatte keine Miene verzogen, als ihr Mann um zwei Uhr morgens einen Fremden angeschleppt hatte. In einen Bademantel gewickelt, hatte sie ihm das Gästezimmer gezeigt, wobei sie ihm geraten hatte, sich, falls er ausschlafen wollte, das Kopfkissen über den Kopf zu ziehen. Die Kinder standen offenbar um sieben auf, da sie zur Schule mussten.

Er hatte geschlafen wie ein Stein, und als er von Gebrüll und trampelnden Schritten aufgewacht war, hatte er sich an den Rat seiner Gastgeberin erinnert und noch eine Stunde mit dem Kissen überm Kopf geschlafen.

Und jetzt war er, gestärkt von einem hervorragenden Frühstück und drei Tassen erstklassigem Kaffee, den die Haushälterin der Fletchers zubereitet hatte, bereit zu neuen Taten.

Zuerst nahm er Boyds Angebot an und fuhr mit ihm aufs Revier. Er plante, kurz bei Althea reinzuschauen, um in Erfahrung zu bringen, ob sie etwas über irgendwelche Spießgesellen von Billings wusste, und dann seiner Wege zu gehen.

Allem Anschein nach führte sein alter Freund ein strenges Regiment. Es gab zwar das übliche ständige Telefonklingeln, das Geklapper von Computertastaturen und Stimmengewirr. Außerdem waren da die gewohnten Gerüche nach Kaffee, starken Reinigungsmitteln und Schweiß. Aber dies alles konnte nicht über eine Arbeitsatmosphäre hinwegtäuschen, die von Organisation und Zielstrebigkeit bestimmt war.

Der Beamte am Empfang notierte sich seinen Namen, dann händigte er Colt einen Besucherausweis aus und erklärte ihm den Weg zu Altheas Büro. Am Einsatzraum vorbei, gelangte er auf einen kleinen Flur, wo hinter der zweiten Tür links ihr Büro war. Weil die Tür geschlossen war, klopfte er vor dem Eintreten an. Er wusste, dass Althea da war, noch bevor er sie sah. Er witterte sie wie ein Wolf seine Gefährtin. Oder seine Beute.

Die kühne Seide war verschwunden, aber sie wirkte immer noch weitaus eleganter als eine Polizistin normalerweise. Der gut sitzende Hosenanzug in Rauchgrau wirkte nicht im Mindesten männlich. Und es war auch nicht davon auszugehen, dass sie ihn trug, um ihr Geschlecht zu verleugnen, weil sie ihn mit einer rosa Bluse kombiniert hatte und am Revers eine mit Brillanten besetzte sternförmige Anstecknadel trug. Ihre leuchtend rote Mähne hatte sie sich aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken zu einem komplizierten Zopf gebändigt. An ihren Ohrläppchen glänzten ineinander verflochtene goldene Ohrringe.

Das Ergebnis dieses sorgfältigen Prozesses wirkte so aus dem Ei gepellt, dass jede Gouvernante stolz darauf gewesen wäre, und hatte trotzdem die K.-o.-Wirkung von unterkühltem Sex.

Ein Geringerer hätte sich bestimmt die Lippen geleckt.

»Grayson.«

»Nightshade.« Sie deutete auf einen Stuhl. »Nehmen Sie Platz.«

Es gab nur einen einzigen Stuhl in dem Raum, mit gerader Lehne, die Sitzfläche aus Holz. Colt drehte ihn um und setzte sich mit gespreizten Beinen darauf. Während er es tat, registrierte er, dass ihr Büro noch weniger als halb so groß war wie das von Boyd und penibel aufgeräumt. Alle Aktenschränke waren geschlossen, die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch fein säuberlich gestapelt, Bleistifte so gespitzt, dass sie als Mordwerkzeuge hätten dienen können. In einer Ecke des Schreibtischs stand eine Topfpflanze, die garantiert regelmäßig gegossen wurde. Familienfotos oder Fotos von Freunden gab es keine. Der einzige Farbtupfer in dem kleinen fensterlosen Raum war ein abstraktes Gemälde in leuchtenden Blau- Grün- und Rottönen. Kühne bunte Pinselstriche, die sich farblich eher bekriegten, als dass sie sich mischten.

Irgendein Gefühl sagte ihm, dass das haargenau zu ihr passte.

»So.« Er verschränkte seine Arme auf der Rückenlehne und beugte sich vor.

»Haben Sie schon irgendetwas über das Auto, aus dem geschossen wurde, herausgefunden?«

»Kinderspiel. Es stand heute Morgen auf der Liste der gestohlenen Autos.« Sie langte nach ihrer Kopie und hielt sie ihm hin. »Es wurde letzte Nacht um elf als gestohlen gemeldet. Die Besitzer waren beim Essen, und als sie aus dem Restaurant kamen, war das Auto weg. Mr und Mrs Wilmer, beide Zahnärzte, die zur Feier ihres fünften Hochzeitstages ausgegangen waren. So wie es aussieht unbescholtene Leute.«

»Wahrscheinlich.« Er warf die Kopie wieder auf ihren Schreibtisch. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, durch das Auto auf eine Spur zu stoßen. »Und bis jetzt ist es noch nicht wieder aufgetaucht?«

»Bis jetzt noch nicht. Ich habe mir Jades Vorstrafenregister geholt, falls Sie Interesse haben.« Nachdem sie die Liste wieder an ihren Platz zurückgelegt hatte, griff sie nach einem Aktenordner. »Janice Willowby. Alter zweiundzwanzig. Einige Vorstrafen wegen Ansprechen potenzieller Kunden – ein paar davon schon als Jugendliche, und ein Arrest wegen Rauschgiftbesitz, auch als Jugendliche. Da hat man sie mit zwei Joints in der Handtasche erwischt. Nach ihrer Entlassung hat sich die Fürsorge ihrer angenommen; sie kam in eine Art Erziehungsheim mit therapeutischer Betreuung bis sie volljährig war; dann ging sie wieder anschaffen.«

Es war immer das alte Lied. »Hat sie Familie? Vielleicht ist sie ja nach Hause zurückgegangen.«

»Ihre Mutter lebt in Kansas – zumindest hat sie sich vor achtzehn Monaten in Kansas City aufgehalten. Ich versuche sie zu finden.«

»Sie haben schon genug Arbeit.«