Ostseeliebe: Die Trilogie in einem Band - Frida Luise Sommerkorn - E-Book
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Ostseeliebe: Die Trilogie in einem Band E-Book

Frida Luise Sommerkorn

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Beschreibung

Alle drei Teile der erfolgreichen Ostseeliebe-Reihe jetzt für Sie in einem Band:

Kaffeeduft und Meeresluft
Eigentlich sollte Stine die glücklichste Frau der Welt sein: Sie hat die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann. Sie besitzt ein kleines Büchercafé, in dem sie die leckersten Kreationen zaubert. Und sie wird bald den begehrtesten Junggesellen von Ahrenshoop heiraten. Wären da nicht Ben, ihre große Liebe, der vor acht Jahren von einen auf den anderen Tag verschwand und ausgerechnet jetzt wieder auftaucht, und Jennifer, wegen der es keine Versöhnung mit Ben geben kann. Und wären da nicht die Schmetterlinge im Bauch, die immer beim falschen Mann zu flattern beginnen ... Der erste Teil der Ostseetrilogie um die drei Freundinnen Stine, Caro und Anne, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die trotzdem nichts und niemand trennen kann.

Sanddornpunsch und Herzenswunsch
Dass sie von einem fremden Mann ein verlassenes Haus in der Nähe von Ahrenshoop erbt, findet Anne schon verwunderlich. Als sie kurz darauf einen sehr persönlichen Brief von dem Verstorbenen erhält, bringt das ihre heile Welt ins Wanken. Gibt es wirklich nur einen einzigen Menschen, der das Geheimnis um ihre Vergangenheit lüften kann? Und wie kann sie ihn finden? Dank ihrer Freundinnen Caro, deren Weltreise zu platzen droht, und Stine, deren Liebesglück zum ersten Mal auf die Probe gestellt wird, findet sie einen Weg, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Jedoch führt der direkt zu Bertram, dem scheinbar herzlosen Sohn des Verstorbenen. Der zweite Teil der Ostseetrilogie, bei dem sich wieder einmal zeigt: Freundinnen halten zusammen, egal wer kommt!

Himbeerschaum und Dünentraum
Obwohl Johannes ihr einen wunderschönen Heiratsantrag gemacht hat, kann Caro sich nicht auf die Hochzeit freuen. Da ist die Angst um ihren zukünftigen Mann, der das Leben mit all seinen Problemen auf die leichte Schulter zu nehmen scheint. Und da ist die eine verhängnisvolle Nacht, die Caro am liebsten ungeschehen machen würde. Als sie dann auch noch feststellt, dass sich ihr Leben in neun Monaten drastisch verändern wird, scheint das Chaos perfekt zu sein. Zum Glück kann sie sich auf ihre Freundinnen Stine, die um ihr Café bangen muss, und Anne, deren Familienidylle auf eine harte Probe gestellt wird, verlassen. Der dritte Teil der Ostseetrilogie mit den Freundinnen Stine, Anne und Caro. Und auch hier ist eines sicher: Mädelsabende können Wunder bewirken!

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Frida Luise Sommerkorn

Ostseeliebe: Die Trilogie in einem Band

Frida Luise Sommerkorn alias Jana Thiem schreibt Liebes-, Familien- und Kriminalromane. Dabei sind ihre Geschichten in jedem Genre mit Herz, Humor und Spannung gespickt. Da sie selbst viel in der Welt herumgekommen ist, kennt sie die Schauplätze ihrer Romane und lässt Geschichten entstehen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kaffeeduft und Meeresluft

Prolog

Stine

Arthur

Anne

Stine

Caro

Stine

Jennifer

Arthur

Stine

Anne

Jennifer

Stine

Arthur

Anne

Stine

Caro

Ben

Stine

Anne

Ben

Arthur

Stine

Caro

Arthur

Jennifer

Anne

Caro

Anne

Stine

Arthur

Stine

Epilog

Danksagung

Sanddornpunsch und Herzenswunsch

Prolog

Stine

Anne

Caro

Stine

Anne

Johannes

Stine

Anne

Ben

Caro

Anne

Stine

Bertram

Caro

Johannes

Bertram

Anne

Ben

Bertram

Stine

Caro

Bertram

Ben

Anne

Caro

Johannes

Bertram

Ben

Anne

Bertram

Epilog

Himbeerschaum und Dünentraum

Prolog

Stine

Anne

Johannes

Stine

Caro

Stine

Anne

Johannes

Stine

Caro

Johannes

Anne

Caro

Stine

Johannes

Caro

Anne

Johannes

Caro

Stine

Johannes

Caro

Anne

Caro

Stine

Johannes

Caro

Anne

Johannes

Stine

Caro

Anne

Johannes

Caro

Stine

Anne

Caro

Stine

Anne

Johannes

Epilog

Stina Jensen

Impressum

Vorwort

Liebe LeserInnen!

In diesem eBook-Bundle können Sie alle drei Teile der Ostseeliebe-Trilogie lesen:

Teil 1: Kaffeeduft und Meeresluft

Teil 2: Sanddornpunsch und Herzenswunsch

Teil 3: Himbeerschaum und Dünentraum

In allen Büchern dürfen Sie sich auf die drei Freundinnen Stine, Anne und Caro freuen. Während Stine in Kaffeeduft und Meeresluft nach der wahren Liebe sucht und Anne in Sanddornpunsch und Herzenswunsch um das Glück ihrer Familie bangen muss, sorgt sich Caro in Himbeerschaum und Dünentraum um die gemeinsame Zukunft mit ihrem Traummann.

Ich wünsche Ihnen romantische Stunden am Ostseestrand!

Ihre

Frida Luise Sommerkorn

Kaffeeduft und Meeresluft

Eigentlich sollte Stine die glücklichste Frau der Welt sein: Sie hat die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann. Sie besitzt ein kleines Büchercafé, in dem sie die leckersten Kreationen zaubert. Und sie wird bald den begehrtesten Junggesellen von Ahrenshoop heiraten.

Wären da nicht Ben, ihre große Liebe, der vor acht Jahren von einen auf den anderen Tag verschwand und ausgerechnet jetzt wieder auftaucht, und Jennifer, wegen der es keine Versöhnung mit Ben geben kann. Und wären da nicht die Schmetterlinge im Bauch, die immer beim falschen Mann zu flattern beginnen ... "Kaffeeduft und Meeresluft" ist der erste Teil der Ostseetrilogie um die drei Freundinnen Stine, Caro und Anne, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die trotzdem nichts und niemand trennen kann.

Prolog

Schon seit Stunden schwebten dicke Flocken vom eisgrauen Himmel. Wenn das so weiter ging, konnte sie ihr Café für heute schließen. Kein Mensch verirrte sich bei dem Wetter an den Rand des Ortes, um in ihren Büchern zu stöbern oder sich ein heißes Getränk aus ihrer reichlich bestückten Karte auszusuchen. Vielleicht konnte sie die Törtchen ihren beiden Freundinnen Anne und Caro vorbeibringen. Anne liebte die Kombination von Apfel und Zimt. Und bei Caro konnte sie zu jeder Zeit mit Nougattörtchen reinschneien.

Immer wieder wanderten ihre Gedanken durch den Flockenwirbel zum gestrigen Abend hin. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ja, der Schneefall passte hervorragend dazu. Weiß, soweit das Auge sah.

Es war nicht so, dass sie völlig überrascht war. Vielleicht ein bisschen über den Zeitpunkt. Warum hatte er mit der Frage aller Fragen nicht bis zum Heiligen Abend gewartet? Aber so war Arthur nun mal. Der Weihnachtsabend gehörte seiner Familie. Das hatte Tradition. In den fünf Jahren, seitdem sie nun schon ein Paar waren, hatten sie noch kein einziges Weihnachtsfest zusammen gefeiert. Und wenn sie ehrlich war, kam ihr diese Tradition gerade recht. Arthurs Familie wohnte in einem der schönsten und größten Häuser in Ahrenshoop. Viele der wichtigen Posten in ihrem Heimatort bekleidete ein Familienmitglied der Barmstedes. Sie stammten ursprünglich von einem alten Rittergeschlecht ab, aber das war Jahrhunderte her. Trotzdem fühlte sich Stine in den heiligen Hallen der Barmstedes jedes Mal wie in einem Schloss. Die Säulen vor dem Hauseingang ließen schon erahnen, was sie im Haus erwarten konnte. Eine prunkvolle Halle, wo andere einen Flur hatten. Ein Hausmädchen, ein Koch und ein Gärtner waren das Mindeste, was Familie Barmstede sich leisten wollte. Schließlich musste man sich ja auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren. Arbeit, Macht und die Erziehung der Kinder. Damit diese in die Fußstapfen der Eltern treten konnten. Die Barmstede Werft in Rostock war seit Jahrzehnten ein Familienbetrieb und das sollte auch so bleiben. Noch immer konnten sie gegen die großen Konzerne bestehen, aber nur mit viel Fleiß und Disziplin. Und das hatten schon die Kinder in jungen Jahren erlernen müssen. Matthias, der Älteste, war mittlerweile zum Juniorchef aufgestiegen. Arthur arbeitete als Prokurist in der Firma. Nach seinem Jurastudium war es ein langer Weg für ihn gewesen, seinen Vater davon zu überzeugen, dass er für diesen Posten geeignet war. Schließlich verließ der sich lieber auf seinen »alten« Prokuristen und Freund Karl. Aber als Karl im letzten Jahr so schwer an Rheuma erkrankt war, dass er lange Zeit ausfiel, war endlich die Stunde für den 33-jährigen Arthur gekommen.

Arthur gefiel der Job. Er war abwechslungsreich und verlieh ihm Macht. Er fühlte sich seinem Bruder überlegen, schließlich hatte der noch seinen Vater zum Chef. Arthur konnte gewisse Geschäfte allein vollziehen. Dafür hatte er sich auch durch das Jurastudium quälen müssen, wohingegen Matthias lediglich BWLer war.

Stine lächelte. So weltgewandt Arthur als Geschäftsmann auftreten konnte, so unbeholfen war er ihr am gestrigen Abend vorgekommen. Oder war es seine Unsicherheit? Schließlich war seine Familie noch nie glücklich über ihre Beziehung gewesen. Arthurs Mutter hatte immer etwas Besseres für ihn im Auge gehabt. Aber Arthur hatte all die Jahre zu ihr gestanden, wenn auch manchmal trotzig. Das mulmige Gefühl, was sie dann jedes Mal beschlichen hatte, wenn er bockig wie ein kleines Kind auf seine Familie schimpfte, hatte sie bisher erfolgreich beiseite schieben können. Sie war sich nicht sicher, ob die Beziehung zu ihr nicht nur Arthurs Rebellion gegen seine konventionelle Familie war. Seit gestern jedoch fühlte sich alles anders an.

Arthur hatte sie im Café abgeholt. Natürlich mit seinem neuen Mercedes SUV. Es war nicht so, dass sie in diesem Riesenschlitten nicht gut saß, aber diese protzigen Kisten waren ihr suspekt. Sie liebte es praktisch. Für sie war ein Auto ein Transportmittel, kein Prestigeobjekt.

Stine wandte sich vom Fenster ab und schlenderte langsam durch ihr kleines Café. Das war nicht der einzige Unterschied. In vielen Dinge waren sie einfach sehr verschieden. Wie oft waren sie in den letzten Jahren aneinandergeraten. Oft hatte sie nachgegeben, fühlte sich ihm unterlegen.

Sie seufzte. Selten konnte sie ihn von ihren Ansichten überzeugen. Er blieb einfach hartnäckig bei seiner Meinung. Aber streiten wollte sie sich deshalb nie mit ihm. Sicher spielte die Erziehung eine große Rolle. Benehmen nach Knigge, Privatschule, Bedienstete ... wer würde da nicht glauben, dass er etwas Besseres wäre. Arthur war trotz allem ein lieber Mensch. Wenn man wusste, wie man ihn nehmen musste. Nur ganz selten fragte sie sich, ob er auch wusste, wie er sie zu nehmen hatte? Ob er ahnte, welchen Träumen sie aus tiefstem Herzen nachhing? Hatte sich gestern ein Traum erfüllt? Warum war sie dann so ruhig geblieben und hatte nicht vor Freude auf dem Tisch getanzt?

Sie waren mit dem SUV nach Stralsund gefahren und hatten im teuersten Restaurant der Stadt zu Abend gegessen. Bis dahin war ihr noch alles normal erschienen. Lediglich Arthur hatte etwas unruhig gewirkt.

Erst als er der Bedienung ein Zeichen gab, das Licht im ganzen Saal gedämmt wurde und eine herzförmige Torte umhüllt von vielen leuchtenden Wunderkerzen an ihren Tisch geschoben wurde, hatte sie eine Vorahnung gehabt.

Dann ging alles schnell. Arthur fiel vor ihr auf die Knie, zückte einen Ring mit einem riesigen Stein und bat sie, seine Frau zu werden.

Stine hatte nur noch ihren trockenen Hals gespürt. Gern hätte sie einen Schluck Wasser getrunken, aber das gehörte sich wohl nicht in so einem Moment. Die anderen Gäste im Saal hatten gespannt auf das Schauspiel geschaut. Sie hatte mehrmals kräftig schlucken müssen und an Arthurs Gesichtsausdruck gesehen, dass sie jetzt endlich etwas sagen müsste. Aber was? Wollte sie das wirklich? Mit ihm verheiratet sein? Und wo würden sie dann wohnen? Konnte sie ihr Café behalten? Würde seine Mutter das alles überhaupt gutheißen?

Am leisen Gemurmel der Restaurantbesucher hatte sie erkannt, dass es Zeit war. Noch einmal hatte sie geräuschvoll geschluckt, Arthur ihre Hand entgegengestreckt und leise »Ja« gesagt.

Tosender Beifall war daraufhin ausgebrochen. Zitternd hatte ihr Arthur den Ring an den Finger gesteckt und sie schließlich vor allen Leuten geküsst.

Erschöpft setzte sich Stine auf den Hocker hinter der Theke. Selbst jetzt spürte sie noch die Anstrengung, die sie die Zustimmung gekostet hatte. War das normal? Hätte es sich nicht leicht anfühlen müssen, wegen der vielen Schmetterlinge im Bauch?

Sie knabberte gedankenverloren an ihrer Unterlippe, als ihr Handy ein Piepzeichen von sich gab. Mit einem Auge schielte sie auf das Display. Eine Nachricht von Anne. »19 Uhr bei mir. Du hast viel zu erzählen!!!«, stand dort eingebettet in eine Unmenge von Herzchen. Es hatte sich also schon rumgesprochen. Ob es Arthurs Mutter auch schon erfahren hatte? Oder hatte er sie vorab sogar um Erlaubnis gebeten? Sie hatte ihn nicht fragen wollen. Das würde sie noch früh genug erfahren.

Stine straffte ihren Rücken und ließ den Blick durch das Café gleiten. Okay, dann heute wieder Mädelsabend. Eigentlich wie jeden Montag. Wochenendauswertung, wie Caro es immer nannte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Vielleicht sollte sie heute einen ganz besonderen Mädelsabend daraus machen. Sie schnappte sich einen Korb und sammelte Leckereien aus der Kühltheke.

Als Raul ihr die Tür öffnete, staunte Stine nicht schlecht. Seit wann waren Männer in ihrer Montagsrunde zugegen?

»Keine Angst, beste Freundin, ich bringe die kleine Maus ins Bett und lege mich artig dazu, damit ihr ungestört klönen könnt«, grinste Raul. Beste Freundinnen nannte er sie und Caro schon immer. Was wohl daran lag, dass Anne unaufhörlich von ihren besten Freundinnen erzählt hatte, als sie sich kennengelernt hatten.

Stine fühlte sich ertappt. Oh Mann, hatte Raul so in ihrem Gesicht lesen können? Verlegen drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und schob sich leise kichernd an ihm vorbei in den Flur des kleinen Häuschens.

Raul war ein Bär von einem Mann und Annes Angetrauter. Sie war bisher die Einzige der drei Freundinnen, die es geschafft hatte, ihren Traummann zu heiraten. Was einerseits daran lag, dass Caro ihrem Prinzen noch nicht begegnet war und Stine ... nun ja, sie war ja nun quasi auf dem Weg dahin. Wobei ihr bei Arthur noch nie das Wort Traummann in den Sinn gekommen war. Sofort setzte wieder dieses undefinierbare Magengrummeln ein.

»Da ist ja unsere glückliche Braut!«, kreischte Anne ihr ins Ohr und umhalste sie so stürmisch, dass beide gegen die Flurgarderobe stießen und sämtliche Jacken und Mäntel den Abgang machten.

»Och Anne, immer mit der Ruhe. Sonst erlebe ich den Hochzeitstag nicht.« Stine rieb sich lachend mit der Hand über die schmerzende Stelle. Der Schirmständer war ihrem Rücken nicht gut bekommen.

»Wäre das denn so schlimm?«, hörte sie Caros dunkle Stimme in der Küche. Im nächsten Moment tauchte sie, drei Sektgläser balancierend, im Türrahmen auf und schaute Stine herausfordernd an.

Stine lächelte. Was würde sie nur ohne ihre Freundinnen tun! Die eine immer strahlend, optimistisch und ein wenig naiv. Die andere durchgestylt, skeptisch und kopfgesteuert. Trotzdem waren beide auf ihre Art herzensgut. Schließlich waren sie nicht umsonst schon seit der Schulzeit unzertrennlich. Im Städtchen wurden sie auch die »drei Seelchen« genannt. Was wohl noch auf ihre Grundschulzeit zurückging. Damals hatten sie jeden Nachmittag miteinander verbracht. Rollenspiele waren ihre Lieblingsbeschäftigung gewesen. Egal an welchem Ort. Und so kam es, dass manch ein Ahrenshooper ihnen am Strand oder vom Gartenzaun aus zugeschaut und so einiges über die drei Familien erfahren hatte. Zur Belustigung der Zuschauer, zum Ärger der Eltern, die ihr Privatleben lieber geschützt sahen. »Ach, die drei Seelchen«, hieß es dann immer, wenn sich mal wieder ein heimlicher Zuhörer nach dem schiefen Haussegen einer der drei Familien erkundigte. Schließlich ließen sich Streitereien besonders kreativ nachspielen.

»Caro, also wirklich«, gab Anne entsetzt von sich. Schnell bückte sie sich, um die Jacken wieder aufzuhängen und den Schirmständer zu richten. Kritisch beäugte sie ihn und strich vorsichtig über eine Delle am oberen Rand. Sie zuckte mit den Schultern.

»Warum sollte sich Stine denn nicht über den Antrag freuen? Schließlich sind sie und Arthur schon seit einer Ewigkeit zusammen. Da liegt es doch auf der Hand, oder?« Anne schaute erwartungsvoll zu Stine, die die Stirn kraus gezogen hatte.

Ja, das lag wohl auf der Hand. Warum nur blieb dann die überschwängliche Freude aus? Lag es vielleicht genau daran, dass sie schon so lange liiert waren? Waren fünf Jahre wirklich lang? Ach, was soll’s! Stine nahm Caro ein Sektglas aus der Hand und prostete ihren Freundinnen zu.

»Auf uns, Mädels! Und dass wir uns trotz der männlichen Bedrohung nie aus den Augen verlieren!«

Caro und Anne stimmten lachend ein.

»Jetzt erzähl mal«, sagte Caro, nachdem sie es sich mit der zweiten Flasche Sekt und den vielen Leckereien aus Stines Café auf der Couch gemütlich gemacht hatten. »Wie hat es denn der werte Herr Baron angestellt? Ich nehme an, er hat alle Kellner im besten Restaurant am Platz bestochen und eine große Zeremonie aus seinem Antrag gemacht?« Sie zwinkerte Anne zu, die schon wieder in vorwurfsvolle Pose ging.

Stine nickte seufzend. »Genau so!«

»Wusste ich es doch«, klatschte Caro lachend in die Hände. »Da lässt er sich natürlich nicht lumpen! Geld regiert die Welt!«

»Ach Caro, ist doch nicht schlimm, wenn er ihr den Antrag auf seine Weise gemacht hat. Immerhin hat er sich was dabei gedacht und nicht einfach plump gefragt!«, antwortet Anne.

Stine knabberte an ihrer Unterlippe. Anne hatte recht. Natürlich wäre Stine ein Antrag im kleineren Rahmen lieber gewesen, aber so war es eben ein Arthur-Antrag. Der konnte einfach nur so sein. Es gab Zeiten, da hatte sie genau diese Unterschiede zwischen ihnen beiden geliebt. Vielleicht sollte sie sich mal wieder darauf besinnen. Den Anfängergeist heraufbeschwören. Und wenn sie ehrlich war, hatte es ihr natürlich auch geschmeichelt, dass er sie zur Frau haben wollte. Sie wusste ganz genau, dass er damit auf keine Gegenliebe bei seiner Familie traf. Und er hatte es trotzdem gemacht. Nur das zählte doch. Ihre zweifelnden Gefühle waren sicher nur Panik vor dem neuen Leben.

»Anne hat recht. Es hätte schlimmer kommen können!« Stine grinste in Caros Richtung. »Wollt ihr nun hören, wie der Abend in Stralsund war? Oder wollen wir das Thema wechseln?«

Caro lehnte sich schmunzelnd zurück und schloss die Augen.

»Lässt sich ja wohl nicht vermeiden.«

Anne seufzte gleichzeitig. »Au ja, bitte erinnere dich ganz genau. Ich möchte jedes Detail wissen. Und du darfst es auch gerne ausschmücken. Ich schmelze jetzt schon dahin.«

Sie lehnte sich ebenfalls zurück und nippte genüsslich an ihrem Glas.

Stine lachte. »Also dann ...«

Nachdenklich fuhr Arthur durch das große Tor über die ausladende Einfahrt bis zu seinem Elternhaus. Immer wieder ging er in Gedanken den gestrigen Abend durch. Und jedes Mal blieb er bei Stines Zögern hängen, als er vor ihr auf die Knie gegangen war.

Er hatte nicht erwartet, dass sie laut kreischend in seine Arme fiel. So war Stine nicht. Aber über ein bisschen mehr Begeisterung in ihrem Gesicht hätte er sich gefreut.

Langsam stieg er aus dem Wagen. Hatte sie etwas anderes erwartet? Der Ring war vielleicht ein bisschen zu edel für sie. Eigentlich wusste er ja, dass Stine die schlichte Schönheit bevorzugte. Und sicher hätte ihr ein Antrag in trauter Zweisamkeit besser gefallen. Im Rampenlicht zu stehen, gehörte nicht zu ihrem Wesen. Überhaupt war sie eine Frau, die gerne im Hintergrund blieb. Und genau deshalb fand er ja, dass sie gut zueinander passten. Schließlich musste er in seinem Job ständig an vorderster Linie stehen und überhaupt, ein Barmstede war dazu geboren, Führungsaufgaben zu übernehmen.

Und genau aus diesem Grund konnte der Heiratsantrag nur so ablaufen. Am liebsten hätte er noch seine ganze Familie dabei gehabt. Seine Eltern, seinen Bruder, seine Schwägerin ... Er war sich allerdings nicht sicher, ob nicht gerade diese Menschen seinen Antrag vereitelt hätten. Stine war nicht standesgemäß. Mit ihrem kleinen Schmökercafé passte sie nicht zu ihrem Anwaltssohn. Ein zukünftiger Besitzer einer Werft und eine Büchertante, wie es seine Mutter immer so treffend ausdrückte. Dass er die Büchertante liebte, spielte dabei eine Nebenrolle. Er konnte sich ja noch ein bisschen austoben und dann endlich auf die Empfehlungen seiner Eltern eingehen. Sie hatten da schon einige Damen in die engere Wahl gezogen.

Bevor er auf den Klingelknopf drückte, kontrollierte er noch einmal seine Kleidung. Schuhe waren blitzblank, Hosen gebügelt, Hemd mit Krawatte. Er schluckte. Jetzt galt es, diplomatisch vorzugehen und vor allem, seine Mutter erst um den Finger zu wickeln. Dann würde er das Donnerwetter über sich ergehen lassen müssen und hoffen, dass seine Familie sich bald an den Hochzeitsgedanken gewöhnen würde.

Stine

»Das darf doch alles nicht wahr sein!«, zischte Stine und schnappte gleich darauf heftig nach Luft, um sie geräuschvoll in ihre Lungen zu ziehen.

»Wie kann er mir so etwas antun? Was macht das denn für einen Sinn?« Trotz des kalten Aprilwindes joggte Stine beharrlich weiter. Der Strand war menschenleer, was ihr gerade recht kam. So konnte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie blieb immer knapp an der Wellengrenze, dort wo der Sand hart genug war, um nicht zu tief zu versinken. Allerdings lief sie heute unkonzentriert, deshalb war sie oft nicht schnell genug und die Gischt schäumte fröhlich kringelnd um ihre Laufschuhe.

Stine liebte diese raue Gegend. Der Kontrast vom friedlichen Ahrenshoop zum wilden Weststrand entlang der Steilküste und weiter gen Norden bis zur Eisentreppe, die sie wieder nach oben brachte. Je weiter sie sich vom Ort entfernte, um so freier fühlte sie sich. Heute allerdings hatte sie das Gefühl, sie könnte die ganz Halbinsel umrunden und trotzdem würde die Enge in ihrer Brust bleiben.

Allmählich ging ihr die Puste aus. Jetzt schon! Ihr Zorn war noch lange nicht verflogen.

Sie spürte ein heftiges Ziehen in der Seite. Ärgerlich blieb sie stehen und drückte ihre Hand gegen die schmerzende Stelle. »Weiß doch jedes Kind, dass man beim Laufen die Klappe halten soll«, murrte sie weiter.

Eine Gruppe geführter Strandwanderer walkte an ihr vorbei. Grinsend hob die Wanderleiterin die Hand.

»Na, wieder zu schnell gerannt?«, fragte sie dabei und das Grinsen wurde noch breiter. »Ich hab dir schon so oft gesagt, in der Ruhe liegt die Kraft. Genießen ist das Stichwort.«

»Jennifer, hi«, konnte sich Stine hinreißen lassen. »Vielleicht hätte ich vor dem Laufen keinen Kaffee trinken sollen.« Sie versuchte es mit einem lockeren Strahlen, was ihr mit Sicherheit misslang. Jedenfalls fühlte sich ihr Gesicht völlig schief dabei an.

»Kaffee ... klar!«, antwortete Jennifer und winkte ihr noch einmal halbherzig zu. »Auf geht’s, meine Damen und Herren!«, spornte sie gleichzeitig ihre Schützlinge an. »Wir wollen doch zum Abendessen wieder zuhause sein.«

Die fröhlich schnatternde Gruppe entfernte sich zügig.

Ausgerechnet Jennifer! Die Erinnerung an damals nahm ihr noch immer die Luft. Egal, wie lange es nun schon her war, sie konnte dem Schmerz einfach nicht entkommen. Und Jennifer auch nicht. Schließlich wohnten sie beide in Ahrenshoop.

Stines Atmung ging immer schwerer. Bewegen! Sie musste sich bewegen, bevor sie platzte. Aber alles, was ihr Körper tat, war, auf der Stelle zu trippeln. Immer schneller. Hoffentlich war die Gruppe schon weit genug entfernt. Am Ende glaubten die noch, dass sie dringend auf Toilette musste. Sie wusste, dass der akute Anfall von Zappelei gleich vorbei sein würde. Konnte sie es jemals lernen, bei unangenehmer Aufregung ihre Gliedmaßen unter Kontrolle zu halten? Gegen den Willen ihres Körpers setzte sie sich an den Wegrand und ließ sich ins Gras fallen. Sie schloss die Augen und schüttelte ihre angewinkelten Beine aus. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie mit diesem Ritual begonnen hatte. Sie wusste nur, dass es genau das Richtige war, um aufgestauten Druck loszuwerden.

Als Stine die Augen wieder öffnete, fühlte sie sich befreit. Der Abendhimmel hüllte sie ein. Erst jetzt spürte sie, wie sehr sie fror. Schnell sprang sie auf und machte sich joggend auf den Heimweg.

Vielleicht war ja doch alles gar nicht so schlimm. Bestimmt konnte Arthur davon überzeugen, dass sie dem Wunsch seiner Mutter niemals entsprechen konnte. Er hatte doch Augen im Kopf. Er kannte sie besser als jeder andere Mensch. Und vor allem, er liebte sie. Sicher würde sich bald alles wieder zum Guten wenden.

Trotzdem wollte das mulmige Gefühl nicht weichen. Der hämische Blick ihrer zukünftigen Schwiegermutter, den sie ihr mit samt dem Brautkleid zugeworfen hatte, ließ sie nicht mehr los.

Arthur

Wütend drückte er auf den Knopf der Fernbedienung, damit die DVD aus dem Rekorder fuhr. Entweder waren die Batterien schon wieder leer, oder er musste sich einen neuen DVD-Rekorder zulegen. Von seiner Familie wurde er deswegen schon ausgelacht. Solche altmodischen Geräte gab es bei den Barmstedes nicht mehr. Aber was sollte er tun? Seine alten DVDs konnte er nicht entsorgen. Die waren ihm heilig.

Wenn er abends, nach einem anstrengenden Arbeitstag, den Fernseher anmachte, konnte er es oft kaum ertragen, was da so lief. Aktuelle Nachrichten hörte er schon im Büro genug und auf Krimis oder Kochshows hatte er keine Lust. Selten, dass ihn mal ein amerikanischer Film begeisterte.

Dann doch lieber seine eigenen Serien. Jede davon drehte sich um Anwälte und Gerichte in den USA. Und davon gab es viele. Law & Order, Boston Legal, Conviction und so fort. Wenn die flippigen Staranwälte mit ihren schwarzen Roben und den geistreichen Sprüchen über den riesigen Bildschirm in seinem Wohnzimmer flimmerten, dann konnte er endlich abtauchen. Die Erfolgswelt gegen den langweiligen Alltag zwischen Ahrenshoop und Rostock austauschen.

Natürlich war sein Job in der Firma seines Vaters wichtig und auch abwechslungsreich, aber es drehte sich eben alles um Schiffe. Kleine, große, teure oder gebrauchte, alles was das Seemannsherz begehrte. Dumm nur, dass er kein Seemann war. Und es auch nie werden würde.

Seine Familie besaß standesgemäß einige Jachten in diversen Größen, aber er nahm nur selten an den Ausflügen teil. Stine wäre da schon eher zu begeistern gewesen. Natürlich wieder im kleineren Stil. Eine Jolle würde es auch tun. Die besaß Familie Barmstede aber nicht. Und auch damit hätte Stine ihn nie dazu gebracht, selbst segeln zu gehen.

Seine Welt war die Gerechtigkeit. Oder besser, das Kämpfen darum. Sich für andere einsetzen, Zusammenhänge erkennen, Recherchen anstellen, Zeugen finden, Mandanten geschickt befragen und der Öffentlichkeit ein glänzendes Schlussplädoyer entgegenschmettern, das waren die Dinge, von denen er träumte. Am liebsten in Amerika. Wie oft hatte er mit seinen Eltern gesprochen, sie angefleht, ihn ein Auslandsjahr machen zu lassen, ihn Erfahrungen sammeln zu lassen. Keine Chance. Die Firma brauchte ihn. Und das hatte sich bis jetzt nicht geändert. Warum konnte er sich einfach nicht gegen seine Familie durchsetzen? Er war schließlich Anfang 30, da musste er nicht um Erlaubnis bitten. Aber aus unerfindlichen Gründen kam er aus den Fängen der Barmstedes nicht heraus, fühlte sich klein und unbedeutend, wenn sein Vater sprach. Und gegen seine Mutter hatte niemand eine Chance. Sie war die heimliche Chefin des Familienunternehmens. Auch wenn sie nie wirklich in der Firma gearbeitet hatte, alle wichtigen Entscheidungen gingen trotzdem über ihren Schreibtisch. Sein Vater würde nie einen Abschluss machen oder einen Auftrag annehmen, ohne es mit ihr besprochen zu haben. Und so handhabte es auch sein Bruder. Und so handhabte es auch er selbst.

Seufzend rappelte er sich endlich von der ausladenden Couchlandschaft auf und verstaute die DVD in der Hülle. Und dann jetzt auch noch die Geschichte mit dem Brautkleid. Er wusste ganz genau, warum seine Mutter darauf bestand. Sie meinte zwar, das hätte Familientradition, aber so recht konnte er nicht daran glauben. Seine Schwägerin konnte sich schließlich auch ihr Kleid selbst aussuchen. Was vielleicht aber auch daran lag, dass sie schon im sechsten Monat schwanger war, als sie geheiratet hatten.

Aber so ähnlich war es doch jetzt bei Stine auch. Wobei Stine der Vergleich natürlich gar nicht gefallen hatte. Arthur musste grinsen. War ja vielleicht auch ein bisschen zu viel des Guten gewesen. Eigentlich hatte er sich selbst so Luft machen können und Stine zeigen wollen, dass er nicht einer Meinung mit seiner Mutter war. Aber was bedeutete das? Wenn Stine diese Bedingung nicht erfüllte, dann würde seine Familie die Hochzeit boykottieren?

Arthur überlegte. Im Grunde könnte er damit leben, seiner Familie an seinem Hochzeitstag nicht in die pikierten Augen schauen zu müssen. Aber wer würde dann noch zu ihrer Hochzeit kommen? Stines Busenfreundinnen und sein Freund Klaas, der auch Trauzeuge sein sollte. Hm, auch ein bisschen ärmlich, dachte er.

Ach, was soll’s. Sie würden schon eine Lösung für das Problem finden. Auch wenn Stine ziemlich sauer war, als sie heute Nachmittag vom Anwesen der Barmstedes nach Hause aufgebrochen waren. Eigentlich hatten sie sich einen schönen Fernsehabend machen wollen. Gemeinsam. Aber daraus wurde dann nichts mehr. Nicht nach seiner Äußerung zu ihrer Figur. Dabei hatte er es doch nur gut gemeint, wollte signalisieren, dass er auf ihrer Seite war. Frauen war echt kompliziert.

Anne

Mit verträumten Augen saß Anne vor der Staffelei im kleinen Dachzimmer ihres Häuschens. Der Blick an der weißen Leinwand vorbei durch das winzige Fenster hinüber zum Deich löste in ihr jedes Mal unglaubliche Vorfreude aus. Ein warmes Kribbeln kroch über ihren Rücken bis in jede Haarwurzel. Zärtlich nahm sie einen Kohlestift in die Hand.

Sie versuchte, sich zu erinnern, was sie soeben bei ihrem Online-Malkurs gelernt hatte. Der attraktive José hatte sie zwar auf spanisch begrüßt und sein Wissen auch in dieser Sprache weitergegeben, aber dank der englischen Untertitel konnte sie ungefähr erahnen, was er ihr sagen wollte. Ja, bei jedem Blick in seine dunklen Augen schmolz sie dahin. Und sein Lächeln war einfach atemberaubend. An irgendjemand erinnerte er sie. Kurz zog sie die Stirn kraus, ließ es dann aber bleiben, weiter darüber nachzugrübeln. Lieber wollte sie noch dem Gefühl von Hingabe und Freiheit nachspüren, das sie während des ganzen Kurses überkommen hatte.

Zu dumm, dass sie nicht gleichzeitig schauen und zeichnen konnte, so wie es eigentlich vorgesehen war. Der Computer stand in Rauls Arbeitszimmer und ihre Staffelei hatte sie vorsorglich in ihrem Dachzimmer versteckt. Noch war die Zeit nicht gekommen, ihrem Mann davon zu erzählen.

Anne ließ die Zunge über ihre Lippen gleiten. Vorsichtig hob sie ihre Hand und legte den Kohlestift auf die Leinwand. Nur keine Angst, hatte José sie ermuntert. Das war leichter gesagt als getan. Ihre Hand begann zu zittern und hinterließ kleine schwarze Flecken auf der weißen Fläche. Behutsam wischte sie mit den Fingern darüber, nur um den Fleck noch größer werden zu lassen. Das fing ja gut an!

Mutlos ließ sie ihre Hand wieder sinken. Vielleicht war das ja doch nichts für sie. Enttäuscht schaute Anne zur Seite auf die große Auswahl an Stiften, Pinseln und Farben, die sie sich vor einiger Zeit Stück für Stück zugelegt hatte. Sollte das alles umsonst gewesen sein?

Wieder ließ sie ihre Gedanken zu José und seinen Zauberhänden gleiten. Bei ihm sah alles spielerisch leicht aus. Er setzte seinen Stift einfach an und schwungvoll glitt er über die Leinwand. Schon nach wenigen Strichen konnte man eine wunderschöne Form erahnen. Perfekte Rundungen, anmutige Haltung, zartes Gesicht. Anne seufzte. Wie anmaßend war es von ihr gewesen, zu glauben, dass sie es ihm einfach gleichtun konnte. Natürlich nicht so perfekt, aber doch wenigstens mit Gefühl.

Und jetzt saß sie hier und hatte keine Ahnung, wie sie den ersten Strich aufs Papier bringen sollte. Das war doch lächerlich. Sie spürte, wie eine Welle der Wut durch ihren Körper rollte. Da hatte sie sowieso schon so wenig Zeit und dann stellte sie sich einfach nur dämlich an. Gut, dass sie noch mit niemandem darüber gesprochen hatte. Gleich morgen würde sie den ganzen Kram entsorgen.

Sie sprang zornig von ihrem Hocker auf und trippelte unruhig vor der Leinwand herum. Von wegen Künstlerin! In Gedanken hatte sie schon hunderte solcher Bilder, Skizzen oder Zeichnungen gemacht. Und immer hatte es sich leicht angefühlt. Jedes Mal hatte sie sich mit einem Lächeln im Gesicht vor der Staffelei sitzen sehen. Und jetzt? Sie ballte die Fäuste und schaute mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die weiße Fläche. Ihr Puls beschleunigte sich. Und jetzt? Wie ein Mantra flüsterte sie die Frage rauf und runter. Ein Ruck ging durch ihren Körper. Aus dem grimmigen Blick wurde ein teuflisches Grinsen.

»Jetzt werde ich es euch zeigen!« Wobei ihr egal war, wen genau sie mit euch meinte. Sie nahm den Kohlestift wieder zur Hand und begann, wie wild Striche und Kreise auf die Leinwand zu ziehen. Ihre Hand flog von rechts nach links, die Finger wischten die Weichheit ins Bild. Sie zog nach und betonte, pustete sich die Haare aus dem Gesicht, tänzelte aufgeregt herum und blieb abrupt stehen.

Was war denn das? Ihr Atem war noch immer beschleunigt. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so ein tiefes Gefühl von Loslassen gehabt. Als würde der ganze Ärger durch ihre Hände über den Kohlestift auf das Bild fließen.

Erschöpft schaute sie sich ihr Kunstwerk an. Schön war es nicht gerade. Aber es hatte Symbolkraft. Es fühlte sich mächtig an, zog sie in ihren Bann. Wahrscheinlich würden alle anderen es als Gekritzel abtun, aber für sie hatte es etwas Befreiendes.

Anne begann zu lächeln. Das Grinsen wurde immer breiter, bis es in einem regelrechten Lachflash endete. Endlich hatte sie gefunden, wonach sie so lange gesucht hatte. Ob sie José schreiben sollte, was er ihr soeben geschenkt hatte? Tränen rannen ihr über die Wangen, so erleichtert fühlte sie sich.

Das Weckerklingeln holte sie in die Wirklichkeit zurück. Noch zwanzig Minuten Zeit, dann würden Raul und Linnea hier sein. Schnell machte sie sich daran, alle Utensilien wieder unauffindbar zu verstauen.

»Princesa, du weißt doch, dass ich heute Training habe!« Raul schaute Anne mit seinen großen dunklen Augen an.

Gott, wie sehr sie diesen Mann liebte. Anne schmolz jedes Mal dahin, wenn Raul sie mit Princesa anredete. Seine Eltern waren irgendwann aus Spanien nach Deutschland gekommen. Und obwohl Raul in Deutschland geboren war, hielt sein Wortschatz immer wieder süße spanische Liebkosungen für sie bereit.

»Ach, mein Liebster ...« Ob die deutschen Kosenamen für Spanier ähnlich zärtlich klangen? Wenn er sie mit seiner weichen, singenden Aussprache bezirzte, fühlte Anne sich immer richtig plump. Deutsch sei eine harte Sprache, hatte Raul immer gesagt. Deshalb hatte sie sich angewöhnt, ganz sanft mit ihm zu sprechen. In der Hoffnung, dass Raul die Härte der Sprache überhörte und ihre Liebe spürte. Auch jetzt schien es wieder zu wirken.

Für einen kurzen Moment schloss Anne die Augen und ließ noch einmal Stines Nachricht vorüberziehen. »Brauche dringend eure Hilfe! Weiß nicht weiter! Hochzeit in Gefahr! Treffen heute Abend bei mir?«

Nein! Ihre Freundin war eindeutig in Not! Und das musste auch ihr Raul verstehen!

»Schatz, wenn du einmal nicht ins Training gehst, passiert doch nichts, oder? Du wirst doch nicht gleich aus der Mannschaft geschmissen?«, hakte sie vorsichtig nach und spürte sofort, dass Raul nicht mit dieser Antwort gerechnet hatte.

Mann, war das denn so schwer zu verstehen? Stine brauchte sie. »Stine braucht mich! Es scheint irgendwas mit der Hochzeit zu sein. Und ich möchte für sie da sein«, legte Anne noch einmal nach.

So sehr ihr das eigentlich selbst missfiel. Schließlich hatten sie eine Abmachung. Raul konnte seinem Basketballtraining nachgehen und am Wochenende manchmal sogar auf ein paar Spiele fahren, dafür konnte sich Anne abends für ihre Mädelstreffen Zeit nehmen. Jeder einen Abend in der Woche. Den Rest verbrachten sie gemeinsam, mittlerweile auf dem Sofa. Seit Linnea da war, konnten sie keine spontanen Abendausflüge mehr machen. Und die Großeltern waren auch nicht immer greifbar, da alle noch berufstätig waren und somit ihren Feierabend verdient hatten. Ab und an stahlen sie sich an einem Wochenende für ein Abendessen oder Kinobesuch aus dem Haus. Wenn sie Glück hatten, sprangen dann ihre oder seine Eltern ein. Oder ein Babysitter musste herhalten.

»Ihr habt euch diese Woche schon getroffen! Ich bin dran«, antwortete Raul beleidigt.

»Nea Hunner!« Plappernd trippelte ihre Tochter in die Küche und hob ihrem Papa die Ärmchen entgegen. Damit war dann wohl die Entscheidung gefallen, dachte Anne innerlich grinsend. Seiner Tochter konnte Raul nie etwas abschlagen. Auch jetzt leuchteten seine Augen liebevoll. Er nahm Linnea auf den Arm und kitzelte ihren Bauch.

»Die kleine Maus hat schon wieder Hunger? Du wirst noch zu einem kleinen Möpschen werden.« Kreischend bog Linnea ihren Körper durch. Dabei schaute Raul Anne zärtlich an.

»Ich wünsch dir einen schönen Abend, Princesa!«, flüsterte er und hauchte ihr einen Luftkuss zu.

Eifrig beschäftigte er sich wieder mit seiner Tochter. Anne nutzte die Gelegenheit, um in den Flur zu entschwinden. So bekam Linnea gar nicht erst mit, dass ihre Mama noch mal wegwollte und sie heute nicht ins Bett bringen würde.

Stine

»Eier, Butter, Schafskäse ...«, murmelte Stine und kramte dabei in ihrem Kühlschrank herum.

Auch wenn ihr heute ganz gar nicht danach war, sich gemütlich den Bauch vollzuschlagen, sollten wenigstens ihre Mädels nicht drunter leiden müssen. Und die verließen sich darauf, dass es immer besondere Leckereien bei ihr gab.

Neben dem Lesen gehörten Kochen und Backen zu Stines Leidenschaft. Daher hatte sie auch vor sechs Jahren den Mut aufgebracht und ihr kleines Büchercafé eröffnet. Caro und Anne waren sofort begeistert gewesen und hatten ihr jede freie Minute mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Mit der Zeit hatte sich ihr Café Schmökergenuss in ein Paradies für Bücherfreunde und Kaffeetrinker verwandelt. Jeden Tag probierte sie delikate Besonderheiten aus. Kleine Törtchen, Desserts im Glas oder Petits Fours für ihre süßen Gäste. Süppchen, Käseplatten oder Sandwiches für die Herzhaften unter ihnen. Besonders lagen ihr die Cupcakes am Herzen. Verschiedene Füllungen mit diversen Häubchen, aus Schoko oder Marzipan, als Blümchen oder Schmetterling, mit Früchten oder Nüssen verziert, hier konnte sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Wenn sie mal wieder einer neuen Kreation auf der Spur war, verzückte es sie immer wieder, mit einem Törtchen in der einen Hand und einem Espresso in der anderen auf die kleine Terrasse vor das Café zu treten, sich die Sonne auf die Nase scheinen zu lassen, den Weitblick übers Meer zu genießen und sich voll und ganz dem Geschmackszauber hinzugeben. In solchen Momenten war die Welt in Ordnung.

Aber das war sie nun mal im Moment ganz und gar nicht. Deshalb gab es heute auch keine Cupcakes, sondern Rotkohlkuchen. Passte auch viel besser in den Abend und zum kaltgestellten Prosecco.

Drei Stunden, zwei Flaschen und ein fast geleertes Rotkohlkuchenblech später fühlte sich Stine schon wesentlich wohler. Diese Kombination aus Rotkohl, Schafskäse und dem herzhaften Boden vertrieb oft die miesesten Gedanken. Dazu prickelnder Secco, zwei quietschvergnügte Freundinnen an der Seite und die Stimmung stieg weiter und weiter.

»Boah Stine, das war wieder so was von lecker!«, grummelte Caro zufrieden ins Sofa gekuschelt und hielt sich ihren Bauch. »Kann ich mich nicht jeden Abend bei dir einladen?«

»Klar, und dann wieder jammern, woher plötzlich diese Speckrollen kommen. Du bist doch unsere Ernährungsexpertin. Kein Öl in die Pfanne, abends keine Kohlenhydrate und am besten nie wieder Alkohol.« Anne grinste schief aus der anderen Sofaecke und prostete ihrer Freundin zu.

»Das war in meiner Sturm- und Drangphase ... letzte Woche. Jetzt ist Genuss angesagt! Stimmt’s, Stine? Wir müssen das Leben noch genießen, bevor du in den Hafen der Ehe schipperst und keine Zeit mehr für uns hast.« Caro schmiss dramatisch die Hände in die Höhe und verzog entschuldigend das Gesicht, als dabei reichlich Secco aus ihrem Glas schwappte.

»Apropos ... warum hast du uns denn so eilig heute zusammengerufen?«, hakte jetzt Anne bei Stine nach und versuchte, eine aufrechtere Position auf dem weichen Sofa zu finden.

Stine hatte es sich in einem ausladenden Sessel gegenüber gemütlich gemacht. Erstens war der Weg in die Küche kürzer und zweitens hatte sie so ihre Freundinnen besser im Blick. Die beiden kabbelten sich gern, manchmal auch nicht nur verbal. Je nach Stimmung flogen schon mal ein paar Kissen. Was Stine sich dann amüsiert aus einiger Entfernung ansehen konnte.

Jetzt allerdings schauten beide Freundinnen gespannt in ihre Richtung. Stine wurde ganz mulmig. Schon den ganzen Abend hatte sie überlegt, wie sie ihren Freundinnen erklären sollte, dass entweder die Hochzeit nicht stattfinden konnte, sie ab jetzt nur noch hungern musste oder, was noch besser war, sie ihrer zukünftigen Schwiegermutter jeden Tag ein präpariertes Häppchen vorbeibringen musste, damit sie die Hochzeit auf der Toilette statt an der Seite ihres geliebten Sohnes verbringen würde. Letzteres war zwar verlockend, aber natürlich absurd.

Sie hatte noch mehr als drei Monate Zeit, sich entweder in das verhasste Brautkleid reinzuhungern oder ... Ja, was oder? Was war die Alternative? Arthur hatte nicht den Eindruck gemacht, als würde er wirklich zu ihr stehen können, wenn sie das Brautkleid ablehnen würde. Aber was war das denn für eine Basis für ihre Beziehung? Sollten sie nicht bedingungslos zueinanderhalten? Andererseits arbeitete Arthur im Familienunternehmen der Barmstedes und musste dort natürlich auch für gutes Klima sorgen. Durfte sie wirklich so egoistisch sein und ihn vor die Wahl stellen? Oder hatte sie einfach nur Angst davor, dass er sich für seine Familie und nicht für sie entscheiden würde?

Stine seufzte und wischte sich mit der flachen Hand über die Stirn. Ach, was waren denn das für Gedanken? Vielleicht sollte sie diese ganze Brautkleidgeschichte einfach zum Anlass nehmen und ein bisschen an ihrem Gewicht arbeiten. Sie hatte doch sowieso vor, bis zur Hochzeit noch ein paar Rundungen loszuwerden. Warum dann nicht gleich richtig? Da gab es bestimmt irgendwelche Mittel, die sie zur Unterstützung nehmen konnte. Und nach der Hochzeit würde sie wieder schlemmen können. Da machten dann sicher ein paar Pfunde mehr nichts aus.

Die innere Kampfansage an ihre zukünftige Schwiegermutter bereitete Stine zwar Bauchschmerzen, aber so kam sie wenigstens darum herum, ihren Freundinnen von der ganzen Sache erzählen zu müssen. Nicht, dass sie es ihnen nicht gern anvertraut hätte, aber sie wollte nicht, dass sie wieder über Arthur herziehen konnten. Sie wusste ja selbst, dass bei ihnen die Schmetterlinge fehlten und sie irgendwie grundverschieden waren. Aber Stine kannte auch den warmen und weichen Arthur. Der, der liebevoll und zärtlich sein konnte. Der Ideen und Träume hatte. Das waren die Eigenschaften, die sie an ihm liebte. Wer brauchte da schon Schmetterlinge! Eine solide Basis machte sicher längerfristig glücklich als himmelhochjauchzende Liebesgefühle. Sie hatte schon einmal ihr Herz an einen Mann verloren, der es plötzlich nicht mehr wollte. Das würde ihr nicht noch einmal passieren. Also: Arthur und das Brautkleid.

Stine spürte, dass sie zwei Augenpaare eindringlich betrachteten. Braune, sehr besorgte Augen und blaue, skeptisch dreinschauende. Nein, es war besser, wenn sie Anne und Caro nichts von alledem erzählte. Das würde sie schon alleine hinbekommen. Also schnell eine andere Geschichte aus dem Ärmel zaubern ...

Caro

»Hm, findest du nicht auch, dass Stine sich irgendwie komisch verhalten hat?«, fragte Anne nachdenklich, als sie neben Caro den schmalen Sandweg entlanglief.

Nachdem Stine alles losgeworden war, hatten sie noch ein Glas Sekt zusammen getrunken, aber die fröhliche Stimmung war nicht wieder aufgekommen.

»Da stimmt doch was nicht, oder?« Anne schaute Caro jetzt von der Seite an. Sie wusste, dass Caro die Dinge oft pragmatischer sah, als sie selbst. Umso erstaunlicher war es, dass Caro jetzt nickte.

»Das Gefühl hatte ich auch. Erst ruft sie uns panisch zusammen und dann erzählt sie, dass sie es unmöglich findet, dass sich Frau Barmstede in die Planung zur Hochzeit einmischt? Was hatte sie denn erwartet? Das lag doch wohl auf der Hand, dass Stine bei den Vorbereitungen nicht viel zu sagen haben würde.«

Caro hakte Anne unter und gemeinsam schlenderten sie weiter. Die Nächte waren noch recht kühl, aber es lag schon ein facettenreicher Frühlingsduft in der Luft. Die Forsythien und Mandelbäumchen blühten und die Kirschbäume erstrahlten in weißer Blütenpracht.

»Ja und jetzt? Wollen wir sie noch mal darauf ansprechen?« Anne zog mit der freien Hand ihre Jacke fester um ihren Körper.

»Du kennst doch Stine! Sie sagt uns sowieso nur das, was sie will und auch nur dann, wann sie will. Da werden wir nicht viel rauskitzeln«, antwortete Caro nachdenklich. »Lass uns einfach abwarten, wie es ihr in nächster Zeit geht. Vielleicht passiert ja doch noch ein Wunder und ...«

Anne knuffte Caro in die Seite. »Sprich es nicht aus! Wenn Stine ihren Arthur heiraten will, dann werden wir sie unterstützen. Du hast ja selbst gerade gesagt, dass sie sowieso das tut, was sie für richtig hält. Also ...«

Sie zog ihre Freundin zur Abschiedsumarmung ein Stück nach unten. Mit ihren 1,58m war sie es gewohnt, sich die großen Leute zurechtzubiegen, wenn sie sie drücken wollte.

Die große Weltkarte nahm fast den ganzen Platz zwischen ihrem Kleiderschrank und dem Fenster ein. Überall verteilt steckten kunterbunte Fähnchen mit kleinen Notizen daran.

Caro saß gemütlich an ihrem ausladenden Schreibtisch aus Holz. Sie hatte die Beine auf der Tischplatte abgelegt und las in einem Reiseführer. Jeden Abend zog sie wahllos ein Buch aus dem Bücherregal und blätterte darin. Da es ausnahmslos Reiseführer waren, die unsortiert im Regal standen, war sie immer wieder aufs Neue gespannt, wohin sie die Zeilen tragen würden.

Heute hatte sie eines ihrer Lieblingsreiseziele erwischt. Australien! Wie sie die Hochglanzbilder des Outbacks jedes Mal faszinierten! Sehnsuchtsvoll strich sie über Abbildungen von meterhohen Wellen, rotem Sand, dem Uluru oder dem imposanten Opernhaus von Sydney. Die Beschreibungen zu den Bildern konnte sie auswendig. Wenn sie jemals dorthin kommen sollte, brauchte sie keine Erklärung mehr zu den Sehenswürdigkeiten dieses wunderschönen Landes. Aber wann würde das sein?

Caro rappelte sich mühsam auf und streckte ihre Glieder. Ihr Allerwertester fühlte sich an, als ob er schon schlafen würde. Stocksteif schlurfte sie zum Regal und verstaute das Buch wieder in einer freien Lücke. Das war die Idee dahinter. Keine Lektüre hatte einen festen Platz. Nur so konnte sie jeden Abend am Regal entlangschlendern und mit geschlossenen Augen einen Reiseführer oder Bildband herausziehen.

Caro spürte noch immer den Sekt, den sie im Laufe des Abends bei Stine genossen hatte. Oh Mann, der Rotkohlkuchen war wirklich lecker gewesen und dazu der trockene Sekt, einfach genial. Manchmal hatte Caro das Gefühl, dass Stine mit ihren Schmankerln die Menschen verzaubern konnte. Jedenfalls wirkte es bei ihr immer wieder. Ob es Stine wohl auch helfen konnte? Caro machte sich Sorgen. Irgendetwas war heute Abend anders an ihrer Freundin gewesen. Erst der Hilferuf, dann der grübelnde Blick und zu guter Letzt die fadenscheinige Erläuterung, dass ihre zukünftige Schwiegermutter eher ein Schwiegermonster war. Aber das wussten sie doch schon lange. Auch wenn Anne ständig versuchte, die Barmstedes in Schutz zu nehmen und Stine gut zuredete, sie ließ sich nicht täuschen. Schon nach dem Heiratsantrag hatte ihr Stine nicht gefallen. Viel wusste Caro ja nicht von langwährenden Beziehungen, aber sie glaubte schon, dass bei der Idee, für immer zusammenbleiben zu wollen, mehr Gefühl, mehr Vorfreude dabei sein sollte.

Sie selbst zog es vor, sich nicht so fest zu binden. Mit Arne konnte sie wunderbar plaudern. Er dachte sowieso wie eine Frau. Vielleicht war da was dran, dass Frauen mit schwulen Männern die tollsten Gespräche führen konnten. Na jedenfalls war er ihr Lieblingskumpel.

Jens war anders. Der brauchte Action. Laufen, schwimmen, radeln, surfen oder inlinern, das waren ihre gemeinsamen Aktivitäten.

Und dann gab es noch Torsten. Der kam ihrem Idealbild von einem Mann schon ziemlich nahe, war aber viel zu ängstlich. Immer wieder fragte sie sich, wie so ein Bär von einem Mann Schiss bei hoher Geschwindigkeit oder großer Höhe haben konnte. Aber Torsten liebte das Theater, teilte ihre Leidenschaft für fremde Länder und Kulturen und konnte göttlich vorlesen. Mit ihm an einem Sommertag auf der Picknickdecke an einem ruhigen Plätzchen zu liegen und seinen Lesungen zu lauschen, das kam für Caro schon einem Hundert-Punkte-Tag gleich. Aber sobald sie sich danach ins Meer stürzen wollte, schaute er sicherheitshalber erst mal nach der Anzahl der Quallen, die er innerhalb einer Minute entdecken konnte. Meist lief es darauf hinaus, dass Torsten mit nackten Füßen am Strand auf und ab tigerte, während Caro schon längst badete.

Aber sie liebte alle ihre Männer, auf freundschaftlicher Basis. Vielleicht war sie einfach nicht beziehungsfähig. Bisher hatte ihr das nichts ausgemacht. Erst, als auch Stine mit dem Hochzeitstermin winkte und sie, wie schon Anne, zur Trauzeugin machte, begann sie zu grübeln. Aber noch konnte sie nichts Verwerfliches an ihrem Lebensstil finden. Offensichtlich war der Richtige, falls es den überhaupt gab, noch nicht in Ahrenshoop vorbeigekommen. Und viel weiter weg hatte sie es bisher nicht geschafft. Natürlich Rostock und Stralsund. Und sie war auch schon einmal in Berlin gewesen, aber sonst liebte sie ihre kleine Wohnung, ihren Job als Grundschullehrerin und natürlich ihre beiden Freundinnen. Herz, was willst du mehr?

Caro schluckte. Natürlich wollte sie mehr. Schnell löschte sie das Licht in ihrem Arbeitszimmer und schlüpfte unter die Bettdecke ihres Boxspringbettes. Wenn diese Gedanken auftauchten, konnte sie die buntbebilderten Fernwehbücher nicht ertragen. Eines Tages würde sie es schaffen und endlich auf Weltreise gehen. Nur jetzt musste sie schlafen. Und zwar schnell, bevor das Gedankenkarussell sie nicht mehr in Ruhe ließ.

Stine

»Schon wieder so eine bescheuerte Einladung«, murmelte Stine leise vor sich hin. Sie drehte die klassisch gestaltete Postkarte hin und her. Seitdem ihr Hochzeitstermin am 22. Juli näher rückte, meldeten sich immer mehr Freunde und Bekannte bei ihr, um noch einen schönen Abend, einen Ausflug oder Kinobesuch mit ihr zu verbringen. Als ob sie bald sterben würde. Und dann auch noch so hochoffizielle Einladungen. Hatten die sich alle abgesprochen? Oder wussten sie, dass Stine sich im letzten Monat sehr rar gemacht hatte? Jede der Nachrichten hatte sie versucht zu ignorieren. Es war ja nicht so, dass sie sich nicht darüber gefreut hätte, aber es ging nun mal nicht. Wenn sie ihr Ziel noch erreichen wollte, musste sie eisern sein. Und ständig erklären zu müssen, warum sie keinen Hunger hatte, war mit der Zeit auch anstrengend. Selbst Anne und Caro hatten sich anstecken lassen und beschatteten sie quasi auf Schritt und Tritt. Nein, sie war nicht schwanger. Nein, sie hatte keine schwere Krankheit. Nein, sie war auch nicht wegen der Hochzeit verzweifelt. Stine seufzte! Warum konnte sie nicht einfach in Ruhe ihr Leben leben? Von genießen konnte im Moment tatsächlich nicht die Rede sein. Aber da musste sie jetzt durch.

Das Glöckchen an der Eingangstür ihres Cafés holte sie in die Wirklichkeit zurück. Frau Schmadtke kam zu ihrem täglichen Nachmittagskaffee. Schnell beeilte sich Stine, ihr die Tür aufzuhalten.

Die ältere Dame konnte ohne ihren Stock nicht mehr gut laufen, unternahm dafür mit ihm noch ziemlich ausgedehnte Spaziergänge. Und kam dabei fast jeden Nachmittag bei Stine vorbei.

»Frau Schmadtke, wie geht’s Ihnen heute?«, fragte Stine lächelnd. Frau Schmadtke ließ sich ächzend an ihrem Lieblingstisch in der Ecke am Fenster nieder.

»Ach Kindchen, wie soll’s mir schon gehen. In der Ruhe liegt die Kraft. Und Ruhe habe ich genug.« Dabei zwinkerte Frau Schmadtke Stine verschwörerisch an.

»Cappuccino, wie immer?«, fragte Stine, die das Zwinkern nicht mehr wahrgenommen hatte. Eine andere Person hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. War das nicht eben Anne gewesen, die mit der Kleinen im Wagen vorbeigelaufen war? Das machte sie doch sonst nicht. Hier ging man nicht eben mal vorbei. Hier kam man hin zum Kaffeetrinken oder Bücherlesen. Beschatteten ihre Freundinnen sie jetzt schon bei der Arbeit?

»Meine Kleene? Ist alles in Ordnung?« Frau Schmadtke sah Stine besorgt an. »Ist draußen gerade der Heilige Geist vorbeigeflogen?«

Schnell drehte sich Stine weg und machte sich am Kaffeeautomaten zu schaffen. »Nein, nein, Frau Schmadtke, alles gut. Ich habe nur gerade über was nachdenken müssen.«

»Das müssen Sie in letzter Zeit öfter«, hakte die ältere Dame nach.

Stine zuckte mit den Schultern.

»Und wenn ich ehrlich sein darf, gefallen Sie mir seit einiger Zeit überhaupt nicht mehr. Was ist denn aus der schmucken und fröhlichen Cafébesitzerin geworden, die mir jeden Tag trällernd die Tür geöffnet hat?« Frau Schmadtke schaute Stine jetzt geradewegs an. »Und Sie haben mir schon lange keine neue Kreation Ihrer Backkunst mehr serviert! Haben Sie Sorgen, Kindchen?«

Stine schluckte. Gut, dass sie immer noch mit dem Cappuccino beschäftigt war. Was sollte sie darauf antworten? Ja, sie hatte Sorgen! Wie konnte sie in den nächsten Wochen in dieses dämliche Brautkleid passen? Aber das wollte sie niemandem erzählen. Nie im Leben hatte sie sich vorgestellt, dass abnehmen so schlechte Laune machte. Und nicht nur das, sie hatte auch zu nichts mehr Lust. Warum sollte sie neue Backideen ausprobieren, wenn sie sie selbst nicht kosten durfte? Letzte Woche hatte sie sogar einen einheimischen Autor, der ihr sein neues Buch zur Leseprobe vorbeibringen wollte, am Telefon vergrault. Bloß gut, dass sie das wieder gerade biegen konnte. Und das Buch war eigentlich genau ihr Geschmack. Sie würde es sehr gern hier in ihrem Café ausstellen, aber selbst der Lesegenuss hielt sich zur Zeit in Grenzen. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zur Hochzeit und deren Vorbereitung ab. Dieses Riesenevent musste sie irgendwie überstehen, dann konnte das Leben wieder normal weiterlaufen. Na ja, nicht ganz. Schließlich war sie dann eine Barmstede und das alleine bereitete ihr schon Bauchschmerzen.

Stine straffte den Rücken. Sie schob sämtliche Zweifel beiseite und versuchte, ihr schönstes Lächeln für Frau Schmadtke aufzusetzen.

»Ach, das bilden Sie sich nur ein, Frau Schmadtke! Bei mir ist alles in Ordnung!« Sie stellte das heiße Getränk vor die ältere Dame auf den Tisch.

»So, ich habe da ein kleines Schmankerl für Sie. Gerade druckfrisch von einem jungen Autor hereingeschneit. Und dazu passt sicher ein Espressotörtchen. Was meinen Sie?«

Frau Schmadtke schaute leicht irritiert ob der plötzlichen Wandlung in Stines Verhalten, aber gegen neue Lektüre und leckeren Kuchen hatte sie natürlich nichts einzuwenden. Den letzten Roman hatte sie gestern erst zu Ende gelesen. Normalerweise legte Stine ihr dann ein paar Bücher vor, die sie in Ruhe durchschauen konnte und von denen sie eines dann jeden Nachmittag las. Stine hatte extra dafür kleine Lesezeichen anfertigen lassen, auf die sie fein säuberlich den Namen des jeweiligen Gastes schrieb und die dann einfach in den Büchern bleiben konnten, bis das Werk ausgeschmökert war. Oft lasen die Gäste auch nur rein und kauften sich die Bücher dann für zuhause. Aber manche ihrer Stammkunden kamen häufig ins Café, um die Zeilen bei Kaffee und Kuchen zu genießen.

Als Stine sah, dass Frau Schmadtke zufrieden ihrer Nachmittagsbeschäftigung nachging, legte sie im Hinterzimmer eine kurze Pause ein. Gierig trank sie ein Glas stilles Wasser und hoffte, dass das Hungergefühl nachließ. Immerhin hatte sie es mit nur einem Obstsalat und einem Naturjoghurt bis in den Nachmittag geschafft. Aber sie wusste, dass die Abende am schlimmsten waren. Dann kam der Hunger mit geballter Kraft. Zwar herrschte in ihrem Kühlschrank gähnende Leere, aber irgendwas zu essen fand sich immer in ihrem Haushalt. Anschließend ärgerte sie sich dann schwarz. Sie hatte sogar schon ausprobiert, nach so einer Fressattacke alles wieder loszuwerden. Würgend hatte sie minutenlang über die Kloschüssel gebeugt gestanden und war später erschöpft zusammengebrochen. Das funktionierte zwar, aber hinterher fühlte sie sich noch erbärmlicher. Meistens schaffte sie es noch, die Zähne zu putzen und ins Bett zu kriechen. Kein Fernseher, kein Buch, kein Telefonat mehr.

Sie vermisste Anne und Caro schrecklich. Die letzten Mädelstreffen konnte sie unter einem Vorwand absagen, aber lange glaubten sie ihr die Ausreden nicht mehr. Und Arthur? Der behandelte sie wie ein rohes Ei. Hatte er etwa Angst, dass sie die Hochzeit platzen lassen würde? Aber wie sollte er sich denn auch verhalten? Schließlich war sie es ja, die sich verändert hatte. Heute Abend musste sie sich unbedingt mal wieder mit ihm treffen. Schon lange wollte sie sich den amerikanischen Film anschauen, der gerade in die Kinos gekommen war. Stine wusste, wie sehr Arthur für die amerikanische Filmkunst schwärmte. Sie selbst mochte lieber deutsche oder französische Filme. Egal, im Kino konnte ihr nichts passieren. Sie musste nichts essen, musste sich nicht erklären, warum sie so schlecht aussah und danach konnte sie akute Müdigkeit vortäuschen.

Wieder erklang die Glocke der Caféhaustür. Stine benetzte kurz ihr Gesicht mit kaltem Wasser und klopfte sich auf die Wangen. Sie brauchte Farbe im Gesicht, dann wirkte sie fit und munter. Noch einmal atmete sie tief durch, zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht und begrüßte die Gäste.

Jennifer

Auf den Künstlermarkt, der einmal im Jahr in Ahrenshoop stattfand, freute sich Jennifer jedes Mal aufs Neue. Schon Wochen vorher fuhr sie nach Rostock oder Stralsund zum Shoppen. Oder sie bestellte Unmengen Klamotten zur Auswahl im Internet. Riesige Kartons stapelten sich dann in ihrem Gästezimmer und warteten darauf, mit den meisten der gelieferten Sachen wieder zurückgeschickt zu werden.

Auch in diesem Jahr hatte sie eine stattliche Auswahl erhalten. In Stralsund war sie schon auf ein Paar sündhaft teure Ballerinas gestoßen. Leider konnte man zum Künstlermarkt keine hochhackigen Schuhe tragen, da er sich teilweise auf sandigem Boden befand. Ansonsten trug sie liebend gern Absatzschuhe in allen Variationen. Konnte sie sich auch leisten, da ihr Mann Heiner sie um 20 cm überragte. Mit seinen 1,92m fiel er überall sofort auf. Und nicht nur deswegen. Seitdem er begonnen hatte, fast täglich ins Fitnessstudio zu gehen und sich bei den Highland Games Freunden Darß angemeldet hatte, kam es Jennifer so vor, als sei er doppelt so groß geworden. Einige ihrer Freundinnen rümpften die Nase bei so viel Muskelmasse, aber sie liebte es, in diesen starken Armen zu liegen. Außerdem war Heiner ein feiner Kerl. Er hatte sie damals trotz Schwangerschaft einfach bei sich aufgenommen, als dieser Typ sie sitzen gelassen hatte.

Bei diesem Gedanken zuckte Jennifer innerlich zusammen. Glaubte sie jetzt schon selbst an ihre erfundene Geschichte? Vielleicht war es ja tatsächlich so, dass man sich manche Dinge nur lange genug einreden musste, und schon wurden sie zur Wirklichkeit.

Verächtlich stieß sie die Luft zur Nase heraus. An diese Zeit wollte sie jetzt nicht denken. Heute Nachmittag trafen sie sich schließlich mit Freunden auf dem Künstlermarkt. Noch einmal stolzierte sie an den verschiedenen Outfits vorbei. Die knallblaue Chinohose mit dem weißen ärmellosen und sehr eng anliegenden Top passten hervorragend zu den neuen Schuhen. Allerdings kamen ihre Beine noch besser zur Geltung, wenn sie einen kurzen Rock trug. Aber Rock und Ballerinas? Das wiederum gefiel ihr nicht. Zu Röcken musste sie einfach Absatzschuhe tragen. Genauso zu den weißen Hotpants, die es ihr angetan hatten. Also doch wieder zurück zu den langen Hosen. War vielleicht auch besser so. Abends sollte es sich abkühlen und als zweifache Mutter konnte sie besser in ihrer Freizeit mit kurzen Hosen reizen.

Ein letztes Mal kontrollierte sie, ob auch ja keine Knitter oder Flecke ihr Outfit zerstörten, dann verließ sie schnell den Raum, bevor sie es sich noch anders überlegte. Schließlich war noch viel zu tun. Sie musste die Kinder salonfähig machen und die Sachen raussuchen, die Heiner heute anziehen sollte. Alles musste zusammen passen. Erst dann konnte die kleine Vorzeigefamilie das Haus verlassen.

Rund um die Kurverwaltung Ahrenshoop hatten sich jede Menge Künstler aufgereiht. Aber auch kulinarische Köstlichkeiten dufteten überall. Natürlich gab es Fisch in allen Variationen. Jennifer zog es allerdings jährlich zu ihrem Lieblingsstand, was das Essen anging. Hier roch es noch ein bisschen kräftiger. Es gab Langos mit allem darauf, was das Herz begehrte. Am liebsten blieb sie aber bei der klassischen Variante: Langos mit Knoblauchcreme und Käse. Schon allein dafür lohnte es sich, hierherzukommen.

Auch heute steuerten sie als erstes den ungarischen Stand an. Der Rest von Jennifers Familie meuterte allerdings. Die Kinder wollten lieber Waffeln und Heiner ein Fischbrötchen. Natürlich!

Jennifer fühlte sich großartig. Ihre Outfits passten perfekt zueinander, die Kinder sahen zuckersüß aus und sie hatte wieder das Gefühl, dass sich alle Leute nach ihnen umdrehten. Einmal meinte sie sogar gehört zu haben, dass sich zwei ältere Damen wohlwollend zugeraunt hatten, dass der Heiner doch ein toller Kerl war. Hatte ohne zu murren die Tochter von »unserer« Jennifer angenommen. Was für eine schöne Familie.

Mit diesem zufriedenen Gefühl, doch irgendwie alles in ihrem Leben richtig gemacht zu haben, schlenderten Jennifer, mit ihrer großen Tochter Lilo an der Hand, und Heiner, der den Sportwagen mit Sarah schob, ihren Freunden entgegen.

Es wurde ein fröhlicher Nachmittag. Lilo spielte mit den anderen Kindern und Sarah war friedlich in ihrem Wagen eingeschlafen. Mit einem Glas Rosé in der Hand ließen sie die Atmosphäre auf sich wirken. Kunst gab es hier natürlich in allen Formen: Bilder, Schnitzkunst, Kunst mit Wolle, Kunstwerke aus Metall oder auch Abfall, Schmuck, Töpferkunst und vieles mehr. An fast jedem Stand verweilten sie eine Weile, fachsimpelten und begutachteten die entsprechenden Werke. Ach, wie sie diese handgemachten Dinge liebte. Was vielleicht auch daran lag, dass sie selbst überhaupt kein Talent dafür hatte. Allenfalls Sport konnte sie noch ganz passabel. Deshalb gab sie für einige der hiesigen Hotels Nordic-Working-Kurse. So etwas stand seit einiger Zeit hoch im Kurs. Aktive Erholung war das Stichwort und damit kannte sich Jennifer aus. Schließlich konnte sie sich auch nur aktiv erholen - mit ihren beiden Kindern.

Gerade als sich die Sonne langsam dem Horizont zuneigte und die befreundete Gruppe sich in einer Art Biergarten niedergelassen hatte, streifte ihr Blick für einen kurzen Moment ein Profil eines Mannes, von dem sie gedacht hatte, dass sie ihn nie wieder sehen würde.

Erschrocken schaute sich Jennifer noch einmal um, aber der Mann schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht. Manchmal ging ihre Fantasie mit ihr durch. Warum hatte sie heute auch so oft an ihn denken müssen? Am Ende beschwor sie ihn mit ihren Gedanken noch herauf. Sie ignorierte das mulmige Bauchgefühl und fiel in die lachende Runde ihrer Freunde mit ein.

Arthur

Der Blick aus seinem Bürofenster ließ sein Herz noch immer höher schlagen. Allerdings weniger wegen der Romantik, als dass ihn das Fernweh plagte. Wenn am Horizont die großen Schiffe vorbeiglitten oder das eine oder andere in den Hafen einfuhr, dann wünschte sich Arthur nichts sehnlicher, als mit auf Reisen zu gehen. Ziel Amerika! Na ja, eigentlich würde er dann natürlich fliegen, da die Fahrt mit dem Schiff viel zu lange dauern würde. Aber sinnbildlich gesehen, signalisierten ihm diese riesigen Dampfer und das weite Meer, dass er seine Träume verwirklichen musste. Aber wie? Zwar ging der erste Traum jetzt in Erfüllung, er würde Stine heiraten. Aber genau deswegen konnte er seinem wahren großen Traum nicht nachgehen. Schließlich würde er Stine nie dazu bringen, dass sie mit ihm in die USA ging. Sie hatte hier ihr kleines Café, ihre Familie und ihre Freundinnen, er konnte sie hier nicht herausreißen. Außerdem liebte Stine die Stille, das Rauschen des Waldes oder der Wellen, Natur eben. Wie konnte er ihr da mit Großstadt kommen? Für sie kam es ja noch nicht mal in Frage, nach Rostock oder Stralsund zu ziehen. Zu viele Menschen auf einen Haufen. Eigentlich musste er bisher immer über sein Landei lächeln. Aber das Lächeln wurde von Jahr zu Jahr wehmütiger. Schließlich wurde er nicht jünger. Und um in einer amerikanischen Anwaltskanzlei Fuß zu fassen, war es sicher von Vorteil, nicht allzu alt zu sein. Arthur seufzte. Spätestens an dieser Stelle biss sich die Katze in den Schwanz und er musste sich eingestehen, dass er mit der Hochzeit seinen Traum begraben konnte. Aber was soll’s, er liebte Stine nun mal. Ihre fröhliche und optimistische Art, ihren verträumten Blick oder ihr ansteckendes Lachen. Alles stand im Kontrast zum kontrollierten Leben seiner Familie. Nie würde er Stine im Stich lassen können.

Im Moment machte er sich sowieso schon genug Sorgen um sie. Seit einigen Wochen wirkte sie verändert. Sie lachte nicht mehr so viel wie früher, wirkte fahrig und sagte viele ihrer Verabredungen ab. Erst dachte er, dass sie vielleicht Bammel vor der Hochzeit hätte, aber sie beteuerte immer wieder, dass alles in Ordnung sei. Am schlimmsten fand er jedoch, dass sie anscheinend kaum noch etwas zu sich nahm. Sie sah blass aus und ihre Wangen waren eingefallen. Er hatte ja gehört, dass Frauen vor der Hochzeit noch mal alles gaben, um perfekt auszusehen. Aber Stines Verwandlung gefiel ihm nicht mehr. Das hatte doch hoffentlich nichts mit diesem bescheuerten Brautkleid seiner Mutter zu tun? Hätte er Stine mehr beistehen sollen? Aber er fand die Idee, dass sie das traditionelle Brautkleid der Familie Barmstede tragen würde, sehr romantisch. Schließlich würde sie auch bald eine Barmstede sein. Bei dem Gedanken fing Arthurs Bauch direkt an zu grummeln. Freude auf der einen Seite, Anspannung auf der anderen. Wie würde Stine wohl mit seiner Familie auskommen, wenn sie sich fast täglich sahen?