Pardon, sagen wir du? - Wolfgang Eckert - E-Book
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Pardon, sagen wir du? E-Book

Wolfgang Eckert

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Beschreibung

Wo spielen diese Geschichten eigentlich? Es sind jedenfalls keine Gegenwartsgeschichten, keiner gegenwärtigen Gegenwart, sondern die einer vergangenen Gegenwart – gewissermaßen gegenwärtige Vergangenheitsgeschichten. Sie spielen zu einer Zeit in einem Land, in dem ihr Verfasser offenbar gern gelebt und gut beobachtet hat, wie andere Leute in diesem Lande lebten. Und einige seiner Beobachtungen hat er mit meist heiter-ironischem Blick aufgeschrieben. So dass wir uns heute noch einen kleinen Eindruck von den Leuten und ihrem Leben in dem damaligen Land machen können. Insgesamt 6 solcher Heiteren Erzählungen präsentiert der Autor hier seinen Leserinnen und Lesern. Und sie können sich dann überlegen, ob sie den Schriftsteller anschließend duzen wollen. Diese Eisenbahn-Passagiere in „Mit Ehrwürden fing alles an“ sind besondere Leute: Das einzige, was uns allmählich sicher machte, waren die Klopfzeichen des Schienenstranges. Wir spürten jede Schraube, jede Schwelle und konnten sogar das Alter des Gleises schätzen, wenn einer 'ne Wette mit uns darüber abgeschlossen hätte. Plötzlich grölte die Lok und drosselte scharf das Tempo. Wie klug, dass wir immer unsere Flaschen schließen. Denn nichts in der Welt können wir schwerer verwinden als vergossenes Bier. Es handelt sich um eine verschworene Truppe, Gleisarbeiter. Zu ihnen war eines Tages ein Neuer gekommen, ein Tischler, ein Sargtischler, den sie Ehrwürden nannten. Und der krempelt die ganze Brigade um. Und nicht nur das. „Kistentruschka“ ist ein Spitzname für einen, der etwas von seiner Arbeit versteht. Allerdings bekommt er trotzdem Probleme mit Frau und Sohn. Und auch in der Unterwelt gibt es Schwierigkeiten. In „Ganzfoto erwünscht“ geht es um die Vorliebe, gern zum Friseur zu gehen, und um die Erwiderung auf eine Zeitungsannonce sowie um eine Münzsammlung. In „Ein Ereignis namens Elsbeth“ taucht auf einmal eine Ausreißerin auf, eine tierische Ausreißerin. Und zudem geht es um Liebe – zu Büchern und zu einem Mädchen sowie um die Wahrheit in Geschichten. „Als sie wieder einmal Wüstlinge waren“ erzählt von Damenjägern, auch Chasseurs genannt. „Die Entdeckung Transustaniens“ hat für zwei junge Kfz-Schlosser ungeahnte Folgen. Ein Wolga spielt dabei auch eine Rolle. Und wissen Sie, was Offert-Ingenieure sind? „Pardon- sagen wir du?“ ist keine Geschichte, sondern eine Art Nachwort seines Lektors Klaus Walther, der über den Autor noch einiges Wissenswertes mitzuteilen hat. Pardon, sagen wir du? Warum nicht?

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Seitenzahl: 211

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Impressum

Wolfgang Eckert

Pardon – sagen wir du?

Heitere Erzählungen

ISBN 978-3-96521-806-2 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Das Buch erschien 1973 im Mitteldeutschen Verlag Halle (Saale).

© 2022 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Mit Ehrwürden fing alles an

Der D-Zug donnerte über eine Stahlbrücke. Unten wässerte irgendein Fluss vorbei, in Geografie hatte ich immer Grippe. Nichts in der Welt hätten wir jetzt lieber getan, als durchs Fenster hinabzuhechten. Aber wir saßen auf piekfeinen Polstern, wie sie meine Oma verehrte, und wir wussten auch nicht, wie wir unsere Schädel zwischen den hohen Kopflehnen bewegen sollten. Das Abteil war ein dunstiger Käfig. Sonst schnüffelten wir nur Frischluft, und jetzt hatten wir das blöde Gefühl, in Kleiderschränken zu stecken. Wir witterten alle erschrocken und waren sehr schön durcheinander. Das einzige, was uns allmählich sicher machte, waren die Klopfzeichen des Schienenstranges. Wir spürten jede Schraube, jede Schwelle und konnten sogar das Alter des Gleises schätzen, wenn einer 'ne Wette mit uns darüber abgeschlossen hätte. Plötzlich grölte die Lok und drosselte scharf das Tempo. Wie klug, dass wir immer unsere Flaschen schließen. Denn nichts in der Welt können wir schwerer verwinden als vergossenes Bier.

Die anderen sitzen in den Nachbarabteilen, aber wir sind sechs Mann und eine ganz verschworene Truppe. Na, Gott doch!, wir sind keine Einsiedler. Aber mit zwanzig Mann dicke zusammenhalten, das strengt 'n bisschen an, und sechs solche Fälle wie wir reichen auch.

Knickebein stieß seinen trockenen Finger gegen die Scheibe und sagte: „Glatt wie ein Abortdeckel.“

Damit meinte er das Land, aber der ältere Herr mit dem weißen Papiergesicht – einziger Fremdling in unserem Käfig – verzog den Mund. Vielleicht war er ein Naturkundemann oder 'n Dichter und hatte ganz andere Begriffe für die Gegend, oder er war von hier. Er fixierte uns reihum, drückte sich in die Ecke und seufzte.

Der Zug kroch jetzt langsam dahin, und plötzlich hörten wir ein Geräusch, das jeder von uns unter Tausenden herausgefunden hätte: So schlugen Spitzhacken in Schotter. Knickebein sprang auf, leierte wie irrsinnig die Fensterscheibe herunter und zwängte sich zur Hälfte über die Kante.

„He, ihr Streckenhengste!“, kreischte er, „hobelt mir ja die Schienen blank.“

Draußen machten die Gleisbauer ihre braunen Rücken steif. Sie brüllten etwas, was ich nicht verstehen konnte, und zeigten sich gegenseitig den seltsamen Vogel, der seine Adlernase und den Geierblick zu ihnen hinabstieß. Auch wir wollten etwas sehen, denn zum zweiten Mal hätten wir nichts lieber in der Welt getan, als kopfüber hinabzuhechten, diesmal um die Jacken abzuwerfen und die Spitzhacken zu ergreifen. Denn dort war unser Platz und nicht hier, in einer mit Schutzdeckchen belegten Wohnstube Erster Klasse, die uns nach Berlin trug. Aber unter dem wollte uns ja Päßler nicht fahren lassen.

Vor uns zappelte Knickebeins breiter Hintern. Er war in einen schrecklich schwarz-weißen Fischgrätenstoff gepackt. Ehemals altes Baujahr, jetzt umgearbeitet.

„Die haben's leicht“, schrie er zu uns herein, „keinen Berg, keine engen Kurven, da flutscht die Arbeit. Glatt ist die Strecke, so glatt –“

„Wie ein Abortdeckel“, sagte Rampe und sah den älteren Herrn an. „Schließen Sie bitte das Fenster“, sagte der ältere Herr, „es zieht!“

Dann ließen wir die Flaschenverschlüsse knallen, eine erfrischende Prise nieselte unter unseren Nasen. Wir waren alle furchtbar aufgebracht, und als ich uns so der Reihe nach ansah, wurde mir ganz feierlich in den Knien.

Du liebes bisschen! Was hatten sie aus uns gemacht!

Rampe zum Beispiel. Sonst einsfünfzig im Quadrat, Augen wie Hans Albers, Schuhgröße wie ein Nilpferd und Schultern, Schultern eben wie Rampe. Da gibt es keinen Vergleich. Hinter keiner Litfaßsäule konnte er sich verstecken. Er war ganz dusslig auf seine Schultermuskeln. Abends mussten wir ihm mit Gewalt ein Hemd überstreifen, wenn wir wieder einmal in irgendeinem Nest nicht vor Mädchenaugen sicher waren. Und jetzt! Jetzt kam mir Rampe wie ein ausgedienter Catcher vor, den sie fürs Operettengeschäft veredelt hatten. Er trug eine knallbunte Krawatte, ein giftgrünes Oberhemd, und was da aus der Brusttasche seiner Staatskutte herausragte, sah aus wie ein weißes Wischtuch.

Und Knickebein! In Fischgrätenschale – aber ich glaube, von dem habe ich schon erzählt. Das ist auch so ein Ding von uns: Wir sind sechs Mann im Wohnwagen, und folglich erzählen wir alles, was uns passiert, sechsmal. Jeder ist so zahm und hört sich das an, besonders abends, wenn wir lang auf unseren Matratzen liegen.

Doch jetzt sitzen wir da, als führen wir zu einer entfernten Urgroßtante, um ihr die letzten zwei Meter hinabzuhelfen, und keiner weiß eine richtige handfeste Geschichte. Mille bewacht seine Bügelfalten, bei Flint habe ich Angst, dass er schon wieder mit seinen Pfannkuchenpranken das umhäkelte Zimpertuch herauszerrt und sein schwitzendes Genick abtupft.

Übrigens heißt keiner so. Rampe heißt Rampe, weil er 'ne Rangierlok glatt aus dem Stand wegschiebt, und Knickebein heißt einer, wenn er viel verträgt. Doch der ist auch nicht mehr bei Kondition. Wir werden eben alt. Und 'ne Geschichte erzählen wir uns höchstens noch dreimal. Aber was sie jetzt aus uns machen, ist der Rest. Wir verweichlichen. Was kann es anders sein, wenn ich mir ernsthaft Gedanken mache, dass wir vielleicht noch nicht die beste Art haben, uns in gute Klamotten einzuschalen? So weit haben sie uns. Was waren wir doch früher für Kerle! Unser Wagen stand noch nicht ganz auf dem Abstellgleis, da knobelten wir die ersten Runden aus. Eine Mitropagaststätte rochen wir schon vor dem ersten Einfahrtssignal. Der schmale Pfad von unserer Wagentür dorthin war noch zu sehen, wenn wir längst wieder woandershin rollten. In ganz Sachsen waren wir der Schrecken aller Mitropakellner. Wer viel arbeitet, hat viel Durst, und wer viel Durst hat, muss viel Geld verdienen, und wer viel Geld verdienen will, muss viel arbeiten. Das war unser Kreislauf, und nichts in der Welt fürchteten wir mehr als eine Kreislaufstörung. Aber nun ist sie da. Der letzte Gleisbau auf Radeberg zu hat uns kein bisschen unruhig gemacht. Kein gutes Zeichen. Wenn ich's mir genau überlege, so hat die ganze Zersetzung schon Jahre vorher angefangen, als Ehrwürden zu uns kam. Jawohl, Ehrwürden, der vorn an der Tür sitzt, beide Hände auf den Knien, und der es als einziger von uns fertigbringt, draußen auf dem Gang im sanften Ton „Gestatten Sie bütte“ zu sagen. Jawohl, mit Ehrwürden fing es an. Er hat sich in unsere Truppe gebohrt wie ein Wurm in einen Holzblock. Und nun rieselt überall das Mehl heraus.

Wenn man Ehrwürden ansieht, muss es stimmen, dass Gott ein Schotte ist. Er kam damals im Frühnebel zu uns. Um seine Beine flatterten die Hosen, die Jacke erinnerte mich an eine abgeschossene Krähe, die irgendwo zwischen den Zweigen hing. Wir starrten ihm entgegen. Er schritt, ja, er schritt auf dem neuen Gleis. Er nahm immer zwei Schwellen, und dabei sah das noch zögernd aus, so lang und feierlich war er. Er hatte eine geizige Nase und so einen winzigen Mund, dass er nicht einmal richtig gähnen konnte. Er wurde uns zugeteilt. Wir sind in unserer Kolonne so was wie ein Abräumkommando. Erst kommen wir und dann die anderen.

„Da ist der Neue“, sagte Mille.

„Der reicht für zwei“, knurrte Flint. „Dann wären wir demnach sieben. Das bringt nichts Gutes, Leute!“

„Quatsch“, sagte Rampe, „wenigstens ist er ohne.“

„Ohne Frau, und wie es scheint, auch ohne Muskeln“, sagte ich.

Wir hatten da eine Klausel. Ehemänner wollten wir nicht. Die hielten wir für angeknackt. Kostgeld und großen Bogen ums Rundenausgeben und so.

Knickebein schob seine Elbeschiffermütze in die Stirn und sang mit näselnder Stimme: „Seht an, da nahet Ehrwürden.“

Damit hatte Ehrwürden seinen Titel weg. Er war aufgenommen. Am Abend konnte keiner einschlafen.

„Du bist hier von dem Nest?“, fragte Flint von seiner Koje aus.

„Ja“, sagte Ehrwürden.

„Und du willst bei uns arbeiten?“

„Es scheint so“, sagte Ehrwürden.

In den anderen Wagen droschen sie beim Skat bald die Tische durch. Hohngelächter flatterte zu uns herüber. Eine feindliche Stille hing im Dunkeln.

Aber da sagte Ehrwürden: „Ich wollte mal 'raus hier. Mir ist es zu eng.“

„Wohl Krach mit deinem Alten?“, fragte Rampe.

„Hab' keinen“, sagte Ehrwürden.

„Mhmm“, machte Rampe, „dann eben mit deiner Alten?“

„Hab' keine“, wiederholte Ehrwürden. Er war nicht aufs Reden eingestellt. Aber irgendwie summte ein Ton in seinen Worten, als läge er mit Frack, Zylinder und weißen Handschuhen auf der Pritsche.

„Mhmm“, machte Rampe ein zweites Mal, und ich wunderte mich, wie gesprächig er heute war. „Was hast'n hier gemacht?“

„Tischler“, sagte Ehrwürden.

„Tischler!“, rief Knickebein. „Von Holz wollen wir nichts wissen. Wir reißen die alten Holzschwellen raus. Vor zwei Jahren hätten wir dich gebraucht. Da hat Rampe die ganze Bude hier zerdeppert. Weinbrand Spezial, verstehst du? Hättest sämtliche Teile wieder zusammenkleistern können!“

Wir grölten alle. Die Spannfedern knarrten im Takt. „Solche Sachen bau' ich nicht“, sagte Ehrwürden.

„Na, was denn sonst?“, fragte Mille.

„Särge“, sagte Ehrwürden.

Die Spannfedern verstummten. Knickebein sprang herab und machte Licht.

Ehrwürden lag nicht mit Frack und Zylinder da. Er trug einen groben Schlafanzug und lächelte im rechten Mundwinkel.

„Aber du kannst doch nicht einfach –“, stotterte Knickebein.

„Wieso?“, fragte Ehrwürden ruhig.

„Und wieso hast du Licht gemacht?“, fragte Rampe Knickebein. Er lächelte im linken Mundwinkel. Knickebein sah sich ratsuchend um. Sein Geierblick flackerte.

„Na, aber er kann doch nicht einfach“, stammelte er wieder, „ – so unter uns! – Hast du dich gewaschen?“

Und von da ab nahm unser Zusammenleben eine seltsame Richtung.

Es begann gleich ein paar Abende später in der Mitropakneipe. Wir legten damals Gleise für eine neue Elektrostrecke in irgendeinem Kaff, das zu klein für 'ne Großstadt und zu groß für ein Dorf war. Der Bahnhof stand außerhalb. Kein Reisender stieg ab, um auf einen Anschlusszug zu warten. Immer dieselben saßen da, die im Geiste mit den Zügen weiterfuhren oder im Geiste auf irgendjemand warteten. Wir schrien und fluchten, denn wir knobelten. Neun Holz waren die Spitze. Flint fauchte: „Zwei!“ Ich entschied mich für eins, und Ehrwürden sagte ohne Zögern: „Null.“

Wir streckten die Hände vor, sie waren blank wie Kuchenteller. Die Biergläser froren von innen und schwitzten von außen.

„Sag mal, Ehrwürden“, quasselte Mille, der schon wieder im ersten Gang raus war und Langeweile hatte, „wie viel kostet denn so ein – Sarg?“

Ehrwürden schlug die Beine übereinander. Wir sahen damals erstaunt, wie furchtbar edel das bei ihm wirkte. Es hält gar nicht wieder auf, dieses Übereinanderschlagen, so lang sind seine Knochen. Dann starrte er Mille abschätzend an und sagte freundlich: „Na ja, – du bist Mittelmaß. Nehmen wir einmal an, du liegst drin, schön bequem ausgestreckt, da kommen gut und gern zweihundert Mark zusammen. Die billigen tun's mit hundert, aber die anspruchsvollen liegen bei dreihundert herum.“

Milles braunes Gesicht wurde grau. Nicht etwa, weil er geizig war. Ich dachte eher, dass er sich mit diesem „schön bequem ausgestreckt“ nicht anfreunden konnte.

„Ach was, soviel?“, sagte Rampe, und er drehte uns den Rücken zu.

„Die teuren lassen nach“, fuhr Ehrwürden geschäftlich fort, „irgendwie haben die Leute eingesehen, dass sie nichts mehr davon haben. Und wenn du drin bist, kannst du sowieso nicht mehr an die goldenen Henkel fassen.“

„Wenn du drin bist“, flüsterte Knickebein. Auf seinen Unterarmen standen die stecknadelgroßen Punkte einer Gänsehaut.

„Verdammt noch mal!“, schrie Flint, er hatte verloren, „jetzt haltet bloß mit eurer blöden Sarggeschichte auf! Los, die nächste Runde. Achtzehn Holz stehen an. Rampe gibt vor.“

Eine Weile knobelten wir schweigend. Dann sagte Knickebein zu Ehrwürden: „Und was liegt drunter?“ Ehrwürden schaute etwas begriffsstutzig drein. „Wo?“

„Na, unten.“

„Ah, so. Sägespäne. Aber wie viel, das kommt ganz auf die Leiche drauf an.“

„Warst du manchmal dabei?“

„Nur wenn's 'ne enge Treppe runterging und es wurde ein dritter gebraucht.“

Mille griff zum Bierglas. Seine Hand zuckte zurück. „Ganz schön eisig kalt“, sagte er.

Uns fielen die Streichhölzer aus der Hand.

„Noch eine Lage, meine Herren?“, rief der Kellner.

„Ach, scher dich zum Teufel“, sagte Flint.

Ich will nicht behaupten, dass wir seitdem kein Bier tranken. Aber wir soffen es nicht mehr, und wir hatten plötzlich 'ne Menge Zeit übrig, und was noch viel schlimmer war, 'ne Menge Geld. Wohin mit dem Zeug? Ich bin schon immer der Ansicht gewesen, viel Geld verdirbt den Charakter. Und wenn ich mich jetzt so umsehe, weiß ich, dass der Satz stimmt.

Sie sitzen da in ihrer Feiertagskluft wie geborene Grübler, die Stirn geschrumpft und das Maul offen.

Bei Knickebein fing es damals an. Er war der erste, der von innen aufweichte.

„Wenn man bedenkt, wie viel Leute so sterben“, sagte er, die Annoncen der Zeitung vor seiner Adlernase. Wir hoben die Köpfe wie Leute, die eine ferne Lawine hören und die Richtung bestimmen wollen, und komischerweise sahen alle Ehrwürden an.

„Denk lieber dran, wie viel geboren werden!“, mahnte Rampe.

Knickebein warf einen misstrauischen Blick in die Runde. „Jaja“, sagte er seltsam versunken, „wenn man's tut, braucht man nicht dran zu denken, weil die anderen ja dann da sind, wenn wir nicht mehr da sind und an uns denken, später.“

Wir rissen die Augen auf und tippten uns an die Stirnen.

„Na, ich meine –“ Er ließ die Zeitung sinken und stockte. Wir mussten entsetzt aussehen, und er brauchte viel Mut, um weiterzuerzählen. „Ich meine, wenn wir mal nicht mehr hier sind, dann – dann könnte vielleicht keiner wissen, dass wir überhaupt da waren.“

„An dich werden sich alle Gastwirte erinnern“, sagte Mille ruhig. „Ach, wissen Sie noch, als damals die Truppe hier am Ecktisch saß, und die hatten so einen Kleinen mit – wie hieß er doch gleich? –, richtig, Knickebein hieß er. (Doch, konnte der vertragen! Ein Bierglas voll Weißen, und dabei zuckte ihm nicht mal das Kinn! Ja, so einer kommt nicht wieder.)“

„Und was für ein lieber, netter Kerl war er in Volltrunkenheit!“, sagte Rampe. „Die Reisenden freuten sich immer riesig, wenn er im Wartesaal über ihre Koffer segelte.“

„Und ein Stimmchen hatte der süße Kleine!“, rief Mille. „Die es auf Bahnhofsvorhallen hörten, werden das nie vergessen. Gott hab ihn selig.“

Wir grinsten über unsere Butterbrote hinweg, gleich musste die größte Frühstücksschau steigen, denn Knickebein ließ sich zu solchen Anlässen nie die Chance entgehen, King zu sein. Entweder würde er sich zwischen die Gleise legen, Hände auf dem Bauch gefaltet, oder er würde in ein jammervolles Wehklagen ausbrechen. Er konnte so wunderbar falsch schluchzen, dass sogar uralte Streckenwärter zu zittern begannen. Aber Knickebein schlug langsam seine Zeitung zusammen und starrte uns an, als hätten wir sein ganzes Leben vermasselt.

„Jaa“, fauchte er, „und sie werden sagen, es waren da so dämliche Fratzen um ihn herum, die wussten auch nichts Bessres anzufangen! Ihr Idioten. Irgendwie kann doch das nicht alles sein. Da muss es mehr geben. Saufen und arbeiten und saufen, irgendwie fehlt doch da was.“

„Irgendwie haben wir jetzt einen Parteisekretär“, spöttelte Flint. Knickebein schien das zu überhören. „Abends liegen wir in unserer stinkigen Kiste“, sagte er, „und keiner kommt auf die Idee, dass wir mal ins Kino gehen könnten.“

„Einen Kulturminister haben wir auch“, erklärte Mille, „passt auf, gleich wird er noch was Gewerkschaftliches von sich lassen.“

Aber Knickebein presste die Lippen aufeinander. Er war am Ende seiner Weisheiten. Er hatte sich in höhere Gebiete wie die des Filmes gewagt, und ich sah es seinem Gesicht an, dass er noch ganz andere Dinge im Kopf hatte, die er nicht ausdrücken konnte.

Wir saßen am Rande eines Streckenabschnittes, der zwei kleine Städte miteinander verband. Fern heulte eine Lokomotive, und diese vertraute Stimme weckte die alte Ungeduld in mir, morgen da und übermorgen dort zu sein. So war es gut und in Ordnung, aber ich hatte plötzlich eine Ahnung, dass wir hier und dort nie richtig da waren. Ich wusste nicht genau, was mit mir ist, ich hab bisher zu wenig über mich nachgedacht, aber ich wusste, dass mir Knickebein jetzt viel näher saß als die lumpigen fünf Meter Abstand.

„Na, lasst ihn doch“, sagte ich versöhnlich, „vielleicht hat er die Nacht schlecht geträumt.“

Knickebein sah mich ärgerlich an. „Ist auch so“, erwiderte er, „ich hab' die ganze Nacht von so 'nem Sarg 'rumfantasiert.“

Vier Blicke wanderten zu Ehrwürden, obwohl Ehrwürden kein Wörtchen dazugegeben hatte. Als er sich aber so gemustert sah, schlug er seine verflucht vornehmen Beine übereinander, zwinkerte versteckt zu uns und fragte: „War der Sarg leer?“

Knickebeins Adlernase begann zu wackeln. Ich sah ihm deutlich an, dass er irgendjemand aus seinen Albträumen verschwinden ließ.

„Na, was denn sonst“, sagte er allzu hastig.

Ehrwürden zog eine schmerzliche Grimasse und richtete seine bedauernden Augen auf Knickebein.

„Oje“, sagte er, „das bedeutet unverschämtes Pech für dich, mein Lieber.“

Knickebein schniefte trocken. Sein Adamsapfel rutschte mehrmals rauf und runter. Ehrwürdens seltsame Theorien hatten ihn völlig überrumpelt.

„Wenn das so ist“, stammelte er, „natürlich, dann – also ja, ich war drin.“

„Gott sei's gelobt“, rief Ehrwürden, „wunderbar, wenn du drin lagst! Dann ist das ja ganz großes Glück. Volle Särge bringen immer Glück!“

Knickebein saß wie erstarrt. Und während wir einmal die Luft ausstießen, war er über Ehrwürden. Sie rollten die Böschung hinab. Ehrwürden schlug mit den langen Armen in die Luft und röchelte, Knickebein fauchte wie ein brünstiger Kater. Dann hatte Rampe die beiden auseinandergehängt.

Ehrwürden erhob sich langsam aus seiner peinlichen Lage und stäubte seine alten Klamotten ab, Knickebein blieb unten sitzen.

„Soweit kommt's noch“, sagte ich, „prügeln um nichts, aber auch um gar nichts!“

Da sagte Knickebein drohend zu uns herauf: „Ich heirate – ich muss. – Das heißt“, fügte er schnell hinzu, „ich heirate auch gern, dass ihr's wisst.“

In der Stille war das leise Schnappen von fünf Kinnbacken zu hören. „Was denn!“, schrie Flint, „du willst sesshaft werden?“

Keine Frage, dass wir damals dabei waren. Die Hochzeit wurde in einem Dorf gefeiert, dessen Bahnstrecke wir vor einiger Zeit ausgebessert hatten. Es lag von Feldern und Mischwald umringt und hatte in den Fachwerkgiebeln der Häuser nette, kleine Kammerfenster. Spätestens zur Hochzeit begriffen wir, dass Knickebeins damaliges abendliches Interesse an der Kälberaufzucht des Dorfes mit diesen Kammerfenstern zusammenhing. Soweit ich mich erinnern kann, überlebte das gesamte Dorf die Hochzeit. Bis in die frühen Morgenstunden krähten alle Hähne, im Glauben, es sei Tag, und die Hämmer in der Schmiede würden wie toll auf dem Amboss donnern. Ich hatte auch noch nie solch laute Musik gehört; und Wochen danach erzählte mir Knickebein, dass im Dorf tatsächlich der Schmied Schlagzeuger ist.

Zur Hochzeit brachte der Bürgermeister einen Trinkspruch auf uns an: „Die Bahnlinie Wacholdsgrün ist ein weiterer Meilenstein zum schönen Dorf!“, rief er und schüttelte uns einem nach dem anderen die Hand. Ehrwürden sah so weihevoll aus, als hätte er schon die Strecke Nürnberg–Fürth mit ausgelegt. Ansonsten tranken wir Wacholder. Was sollte denn anderes in Wacholdsgrün wachsen? Wir tranken in Maßen aus Rücksicht auf Knickebein, und wir hatten ja damals schon eine rückläufige Entwicklung. Wir mussten mit einer Unmenge Opas und Onkel auf Du anstoßen, wir mussten eine Unmenge wetterfester Tanten in ihre Jugendzeit walzern. Keiner kam zu Schaden. Nur Rampe ging schnell mal mit dem Apotheker in die Apotheke, um eine Flasche Einreibung zu holen. Er hatte sich abseits vom Trubel auf der Tenne mit einem Trupp Traktoristen im Weizensackstemmen gemessen und sich die Schulter gezerrt. Es war alles wunderbar und gemütlich, und wir freuten uns riesig, denn es stand ja bald die Geburt eines Kindes bevor und damit neuer Wacholder, und sie war eigentlich auch in Ordnung. Sie war Friseuse im Dorf. Ihre erste eheliche Handlung bestand darin, dass sie noch in der Nacht Knickebeins herrlich wallendes Nackenhaar auf die Borstenlänge eines Ebers herabschnipselte.

Wir hatten gut zwanzig Brücken und zehn Bahnunterführungen zwischen uns und das Dorf gebracht, als die kleine Manuela Knickebein erste Wetten betreffs Ähnlichkeit mit den Eltern über sich ergehen lassen musste.

Da standen wir also wieder und stocherten mit unseren dämlichen Zeigefingern dem Säugling in die Seiten, dass es der Mutter angst wurde, und brüllten Gigiga und Dadadi wie eine Horde ausgemachter Trottel. Und Flint schrie dauernd Hahaha in der Nähe der hübschen Freundin von Knickebeins Frau, und heute wissen wir, dass er sich mit diesem albernen Gehabe einen goldenen Ehering an seine Pfannkuchenpranke lachte …

Die ganze Einheiraterei sog uns wie herrenloses Gehölz in einen Wasserstrudel. Und dieser Wasserstrudel hieß Wacholdsgrün. Sinnigerweise hatte mich Knickebein zum Patenonkel ausgewählt, und Flint erkundigte sich in letzter Zeit so merkwürdig hintenherum, was eigentlich Mille mit seinem ganzen Geld mache.

Wacholdsgrün, dieser herrliche Fleck zwischen Wäldern, fraß uns mit Haut und Haaren. Es verging kaum ein Tag, wo wir nicht den Namen über unsre Zähne gekaut hätten. Und da wir mit allen Fahrplänen ziemlich gut vertraut waren, wussten wir immer wieder eine günstige Verknüpfung der Schienenstränge ausfindig zu machen, um unseren selbst gebastelten Bahnsteig zu betreten. Das geschah an den Wochenenden. Mit aufgeblasenen Luftballons, Klappern und allerhand quäkenden Teddys für Manuela fielen wir in das Dorf ein, und die Kühe blockierten vor Schreck ihre Milchabgabe. Die Hunde jaulten aus Freude, und die Dorfältesten nickten uns freundlich zu, wobei sie mit gewisser väterlicher Achtung Ehrwürdens gardeähnliche Figur ins Auge fassten.

Es war überhaupt beispiellos, wie sich Ehrwürden in die gemeinderätliche Spitzengruppe hineingeschlängelt hatte. Sein städtisches Äußeres belebte das gesamte Dorfbild. Ehe wir uns versahen, war er mit dem Apotheker, dem Tierarzt, dem Agronom, dem Bürgermeister, dem Gemeinderatsbriefträger und dem Wirt aus dem Kulturheim „Zum Zarten Pfirsich“ per Du, und nicht selten geschah es, dass die Hirschgeweihe und Wildschweinköpfe über dem Stammtisch durch das aufsteigende Gelächter wackelten, wenn Ehrwürden seine Pointen in die Runde knallte.

An solch einem Abend erzählte Knickebein – nunmehr neben Flint ein ordentliches Dorfmitglied – von Ehrwürdens Talent, Särge zu zimmern.

Nun, sagte der Bürgermeister, er mache ihm da keine Hoffnung, denn seit vier Jahren fiele es keinem Wacholdsgrüner auch nur im Traume ein, die Hände auf den Bauch zu legen. In der Tat ähnelte der Wacholdsgrüner Friedhof im flüchtigen Vorbeigehen eher einer umzäunten Gemüseplantage, und die wenigen Gräber darin glichen verstreuten Maulwurfshügeln auf einer Wiese.

Aber, fuhr der Bürgermeister fort, Ehrwürdens Talent, Holz für die Menschheit nutzbar zu formen, könnte doch anderweitig verwendet werden. Sie bauten da für Wacholdsgrün eine Kindertagesstätte, gewissermaßen in Eigeninitiative. Sämtliche Tischler der Wacholdsgrüner Flur ständen bis über die Ohren in Arbeit für die LPGs. Da wäre es wunderbar, wenn ein Experte als Freizeitbeschäftigung alle Holzarbeiten übernehmen würde. Es seien da viele Kinderbettchen zu zimmern.

Ehrwürden soll sich mit zwei Fingern Luft zwischen Hals und Kragen verschafft und etwas von oben herab gesagt haben, dass er dazu eine ganze Kompanie von Handlangern brauchte.

Nanu, hätte der Bürgermeister ebenso hartnäckig erwidert, ob er denn am Ende die Kraft seiner fünf Kameraden unterschätzen wollte?

Darauf hätte uns Ehrwürden zu wahren Musterknaben gemacht, die geradezu darauf brennen, in das Joch der Gesellschaft zu stürzen.

Rampe, Mille und ich waren damals nicht anwesend. Wir erfuhren das schändliche Abkommen erst einen Abend später, als sich die Teilnehmer von der Gründungsfeier des Kindergartens etwas erholt hatten. Knickebein und Flint trifft keine Schuld, da sie, als Dorfmitglieder schon längst lokalem Denken verhaftet, nicht den Mut fanden, gegen ihr Oberhaupt aufzutreten.

Ehrwürden aber lockte uns durch sein blödes, vornehmes Getue wie der Rattenfänger von Hameln als dritter tiefer in die Mauern Wacholdsgrüns hinein.

Wir brauchten damals nach der Arbeit eine halbe Stunde Bahnfahrt bis ins Dorf. Während dieser Fahrt beschimpften wir Ehrwürden auf die übelste Weise. Wenn aber das gutmütige Gesicht des Wacholdsgrüner Bahnwärters auftauchte, verstummten wir. Die Tage waren lang, und auf den Dorfstraßen dorrten die Kuhfladen im Handumdrehen. Am Rande des Dorfes stand ein helles flaches Gebäude. Rotes Ziegeldach, braungebeizte Türen, breite Fenster und lustige kleine Laternen vor dem Eingang.

Der ganze Bau roch nach Neuheit, und die Mauerschwalben waren gerade dabei, geeignete Winkel für ihr Liebesleben zu suchen.

Ehrwürden begann sofort, den großen Mann zu spielen. Ich merkte ihm an, dass er hier der Brigadier sein wollte. Und er kopierte mich ganz schön. Er sah mich an und sagte haargenau in meiner Tonart: „Degenbrodt, also mal ein Transparent mit der Aufschrift UNSEREN KINDERN GEHÖRT DIE ZUKUNFT! Nun, mach keine Umstände, die Zeit wird dir's danken.“

Bis ins Wort ahmte er mich nach. Das hatte er sich fein ausgedacht, wusste er doch, dass ich vorübergehend als einfaches Brigademitglied Aufforderungen gegenüber kein schlechtes Beispiel liefern durfte. Also malte ich auf ein blaugestrichenes Brett: Unseren Kindern gehört die Zukunft, hängte es über den Eingang und war von da ab, ob ich wollte oder nicht, der gute Onkel im Dorf. Mehrfache Mütter erröteten glücklich, wenn sie mir begegneten.

Als erstes durften wir dank Ehrwürdens Umsicht den riesigen Küchenkessel in das Wirtschaftsgebäude des Kindergartens schleppen. Das geschah mit viel Gebrüll und Vorsicht-Rufen, als sei der Kessel gestrichen voll Grießbrei. Dann konnten wir die Eisengeländer streichen und Gehwegplatten legen. Schließlich ließ uns Ehrwürden ans Holz. Es gab da eine Menge zu hacken und in den Schuppen zu schichten. Während dieser Arbeit gesellten sich immer mehr Dorfväter ohne viel Worte dazu, und nachdem die von uns gestrichenen Fensterrahmen getrocknet waren, kamen auch Frauen zum Fensterputzen. Über Nacht wurde Ehrwürden zum Leiter und Arbeitskräftelenker eines stattlichen Baubetriebes. Wenn abends vom Teich die Frösche zu uns herüberquakten, sammelte sich eine Wand Schaulustiger. Ich weiß heute noch nicht, ob sie wegen des Kindergartens oder wegen Ehrwürden kamen. Scheinbar unbeeindruckt, stelzte er von einem Brennpunkt zum anderen, maß mit verkniffenen Augen die eben erst abgeladenen Dielenbretter für den Schlafsaal und hatte den von der Menge gewünschten handwerklich-schöpferischen Blick.

Was uns betraf, so fluchten wir mächtig, denn die breiten Fenster ließen auch nicht für drei Minuten ein Nickerchen zu, wenn draußen Leute hereinsahen, und außerdem jagte uns Ehrwürden von einer Arbeit zur nächsten.

Aber wir fügten uns murrend seinen fachlichen Ratschlägen. Nur einmal wollte Mille auf eigene Faust zum Gelingen des Kindergartens beitragen. Er hatte beim Sommerball eine Maid kennengelernt, die bequem zwei Spanferkel mit einer Hand umfassen konnte. Auf dem Heimweg hatte er sie nebenbei und augenzwinkernd gefragt, wie viel denn schon Kleinkinder im Dorf herumliefen. Danach lief seine rechte Gesichtshälfte vom Druck der Spanferkelhand knallrot an.

Natürlich wusste der Bürgermeister, wie viele Kinder Bettchen brauchten, und Ehrwürden wusste es von ihm. Als nur noch diese Arbeit zu erledigen war, entließ Ehrwürden die übrige Belegschaft und hielt nur noch uns fünf Mann zurück. Mit uns zog er in das abseits gelegene Holzlager des Wacholdsgrüner Kreises, und wir folgten ihm wie Schüler auf einer Naturkundewanderung. Es war schon reichlich verrückt: In den Wiesen zirpten die Grillen brünstig, alle zehn Meter fuhren verstörte Liebespärchen aus ihrer Tätigkeit hoch, während wir auf der Suche nach geeignetem Holz für Kinderbettchen vorbeistampften.

Es wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben, warum wir nicht damals Säge und Zollstock zum Teufel warfen. Irgendwelche geheime Macht zog uns Abend für Abend nach Wacholdsgrün. Wir waren mitten zwischen die Dielen und die Balkenwände des Kindergartens hineingewachsen.

Rampe, der auf Zementböden wie ein Uhu schnarchen konnte, mahnte dauernd, dass ja auch die weichsten Unterlagen für die Betten gekauft würden.

„Weiche Matratzen sind nicht gut für Rücken und Kopfform der Kinder“, erklärte der erfahrene Flint.

„Die Kinder, die hier nach dem Mittagessen schlafen, brauchen nichts mehr für ihre Kopfform“, verbesserte der noch erfahrenere Knickebein. Das Herz konnte einem verbluten, wenn man sah, wie sich Männer ernsthaft über Probleme unterhielten, die in den Bereich von Müttern und Säuglingsschwestern gehörten.

Aber selbst Ehrwürden fuhr mit seinen langen Fingern über die Bettwände und sagte seltsam: „In so einem Bett möcht' man schon liegen.“

„Auf alle Fälle besser als in deinen Särgen“, sagte Mille. Womit er wohl Recht hatte.