Rote Lilien - Nora Roberts - E-Book
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Rote Lilien E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Der dritte Roman der Garten-Eden-Trilogie

In der Hoffnung auf einen Neuanfang kommt die junge Hayley Phillips zu ihrer Cousine Rosalind Harper nach Memphis, wo sie nicht nur ein Heim, sondern bald auch neue Freunde findet. Sie lebt sich mit ihrer neugeborenen Tochter Lily auf dem Anwesen der Harpers ein und fühlt sich mehr und mehr zu Rosalinds ältestem Sohn hingezogen. Da scheint eine dunkle Macht von Hayley Besitz zu ergreifen.

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Seitenzahl: 574

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Das Buch

Hayley Phillips kann ihr Glück kaum fassen, als ihre Cousine Rosalind Harper sie bei sich aufnimmt und ihr neben einem Dach über dem Kopf auch einen Job anbietet. Sie nimmt an und erlernt von Roz das Gewerbe der Gärtnerei und Gartenkunst. Zu Rosalinds ältestem Sohn Harper fühlt sich nicht nur sie selbst, sondern vor allem auch ihre neugeborene Tochter Lily hingezogen. Hayley zögert, mit dem jungen Mann eine Beziehung einzugehen – zu schmerzlich wäre der Verlust für die Kleine, wenn die Freundschaft in die Brüche ginge. Ehe sich Hayley ernsthaft über ihre Zukunft den Kopf zerbrechen kann, beginnt sie sich seltsam zu benehmen – es ist, als würde sie zusehends die Macht über ihre Gedanken und Gefühle verlieren.

Die Autorin

Durch einen Blizzard entdeckte Nora Roberts ihre Leidenschaft fürs Schreiben: Tagelang fesselte 1979 ein eisiger Schneesturm sie in ihrer Heimat Maryland ans Haus. Um sich zu beschäftigen, schrieb sie ihren ersten Roman. Zum Glück – denn inzwischen zählt Nora Roberts zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J.D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane. Auch in Deutschland sind ihre Bücher von den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDie AutorinWidmungPrologErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEpilogCopyright

Für Kayla, Kind meines Kindes,und die Lichter, die noch nicht angezündet waren,als dies hier geschrieben wurde.

Beim Pfropfen und Okulieren kombiniert man zwei verschiedene Pflanzen miteinander, damit eine starke, gesunde Pflanze entsteht, die jeweils die besten Eigenschaften der Elternpflanzen in sich trägt.

AMERICAN HORTICULTURE SOCIETY PFLANZENVERMEHRUNG

Jugend schwindet, Liebe welkt, Freundschaften vergehen, einer Mutter stille Hoffnung aber bleibt bestehen.

OLIVER WENDELL HOLMES

Prolog

Memphis, TennesseeJanuar 1893

Sie war verzweifelt, verarmt und verwirrt.

Früher einmal war sie eine schöne Frau gewesen, eine kluge Frau mit einem ehrgeizigen Ziel: Luxus. Und sie hatte ihn bekommen, weil sie ihren Körper zum Verführen und ihren Kopf zum Rechnen benutzt hatte. Sie war die Geliebte eines Mannes geworden, der zu den Reichsten und Mächtigsten in Tennessee gehörte.

Ihr Haus war ein Schmuckstück gewesen, eingerichtet nach ihrem Geschmack und mit Reginalds Geld. Ihre Bediensteten hatten jeden ihrer Wünsche erfüllt, ihre Kleider hatten jedem Vergleich mit der Garderobe der gefragtesten Kurtisane in Paris standgehalten. Schmuck, amüsante Freunde, eine eigene Kutsche.

Sie hatte fröhliche Gesellschaften gegeben. Man hatte sie beneidet und begehrt.

Sie, die Tochter eines gefügigen Hausmädchen, hatte alles gehabt, was ihr habsüchtiges Herz begehrt hatte.

Auch einen Sohn.

Das neue Leben in ihr, das sie zuerst gar nicht haben wollte, hatte sie verändert. Es war zum Zentrum ihrer Welt geworden, zum Einzigen, das sie mehr liebte als sich selbst. Sie hatte Pläne für ihren Sohn gemacht, hatte von ihm geträumt. Hatte ihm vorgesungen, während er in ihrem Leib schlummerte.

Sie hatte ihn unter Schmerzen, großen Schmerzen, aber auch mit Freude in die Welt geboren. Freude darüber, dass sie, wenn die quälenden Schmerzen vorbei waren, ihren Sohn in den Armen halten würde.

Doch sie hatten ihr gesagt, es sei ein Mädchen.

Und es sei tot geboren worden.

Sie hatten gelogen.

Sie hatte es damals schon gewusst, als sie vor Gram rasend geworden und immer tiefer in ihrer Verzweiflung versunken war. Damals, als sie verrückt geworden war, hatte sie gewusst, dass es eine Lüge gewesen war. Dass ihr Sohn lebte.

Sie hatten ihr das Kind genommen. Sie hielten ihren Sohn gefangen. Wie konnte es anders sein, wenn sie seinen Herzschlag so deutlich spürte wie ihren eigenen?

Aber nicht die Hebamme und der Arzt hatten ihr das Kind genommen. Reginald hatte sich geholt, was ihr gehörte. Er hatte sein Geld benutzt, um sich das Schweigen derer zu erkaufen, die ihm zu Diensten waren.

Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie er in ihrem Salon gestanden hatte, bei seinem ersten Besuch nach Monaten voller Gram und Kummer. Er war fertig mit ihr, dachte sie, während sie mit zitternden Fingern das graue Kleid zuknöpfte. Es war zu Ende, jetzt, nachdem er hatte, was er wollte. Einen Sohn, einen Erben. Das Einzige, das ihm seine prüde Frau nicht hatte geben können.

Er hatte sie benutzt und ihr dann ihren einzigen Schatz genommen, so selbstverständlich, als hätte er das Recht dazu. Und als Gegenleistung hatte er ihr Geld und eine Passage nach England geboten.

Er wird bezahlen, bezahlen, bezahlen, dröhnte es in ihrem Kopf, während sie ihre Frisur richtete. Aber nicht mit Geld. O nein. Nicht mit Geld.

Sie war jetzt so gut wie mittellos, doch sie würde schon einen Weg finden. Natürlich würde sie einen Weg finden, wenn sie ihren kleinen James erst wieder in den Armen hielt.

Ihre Bediensteten – Ratten, die das sinkende Schiff verließen  – hatten einen Teil ihres Schmucks gestohlen. Da war sie sich ganz sicher. Von dem, was übrig geblieben war, hatte sie fast alles verkaufen müssen, und dabei hatte man sie auch noch betrogen. Aber etwas anderes hatte sie von dem schmallippigen, hageren Juwelier gar nicht erwartet. Schließlich war er ein Mann.

Lügner, Betrüger, Diebe. Jeder Einzelne von ihnen.

Sie würden bezahlen. Alle.

Sie konnte die Rubine nicht finden – das Armband mit Rubinen und Diamanten, herzförmige Steine, wie Blut und Eis. Reginald hatte es ihr geschenkt, als sie ihm gesagt hatte, dass sie schwanger sei.

Gefallen hatte es ihr eigentlich nie. Es war zu feingliedrig, zu klein für ihren Geschmack. Doch jetzt wollte sie es unbedingt haben, und sie suchte wie eine Wilde in dem unaufgeräumten Chaos ihres Schlafzimmers und Ankleidezimmers danach.

Als sie stattdessen eine Saphirbrosche fand, weinte sie wie ein Kind. Während sie ihre Tränen trocknete und die Brosche umklammert hielt, vergaß sie das Armband und das unbändige Verlangen danach. Sie vergaß, dass sie danach gesucht hatte, und lächelte die funkelnden blauen Steine an. Das Geld, das sie für die Brosche bekam, würde reichen, um ihr und James einen neuen Anfang zu ermöglichen. Sie wollte ihn fortbringen, aufs Land vielleicht. Bis sie wieder gesund, wieder bei Kräften war.

Eigentlich war es ja ganz einfach, stellte sie mit einem gespenstischen Lächeln auf den Lippen fest, während sie sich im Spiegel ansah. Das graue Kleid wirkte dezent und würdevoll  – genau das Richtige für eine Mutter. Dass es wie ein nasser Sack an ihr herunterhing, dass die Taille nicht richtig saß, daran konnte sie nichts ändern. Sie hatte keine Bediensteten mehr, keine Schneiderin, die es ändern konnte. Wenn sie für sich und James erst einmal ein nettes kleines Häuschen auf dem Land gefunden hatte, würde sie mit Sicherheit ihre schöne Figur zurückbekommen.

Sie hatte ihr lockiges blondes Haar aufgesteckt und mit einigem Bedauern auf Rouge verzichtet. Ein zurückhaltendes Äußeres war besser, fand sie. Ein zurückhaltendes Äußeres wirkte beruhigend auf ein Kind.

Sie würde ihn jetzt holen. Sie würde nach Harper House fahren und sich holen, was ihr gehörte.

Die Fahrt von der Stadt zum Herrenhaus der Harpers war lang, kalt und teuer. Sie hatte keine eigene Kutsche mehr, und bald, sehr bald, würden Reginalds Handlanger wiederkommen und sie aus dem Haus werfen, wie sie es ihr beim letzten Mal angedroht hatten.

Aber die Privatkutsche war ihren Preis wert. Wie sollte sie den kleinen James sonst nach Memphis zurückbringen, wo sie ihn die Treppe zum Kinderzimmer hochtragen, zärtlich in sein Bettchen legen und in den Schlaf singen würde?

»Lavendel ist blau, Lalilu«, sang sie leise, während sie ihre dünnen Finger ineinander flocht und nach draußen auf die winterlichen Bäume starrte, die die Straße säumten.

Sie hatte die Decke mitgebracht, die sie für ihn aus Paris hatte kommen lassen, und das süße kleine Mützchen mit den dazu passenden Schühchen. Für sie war er immer noch ein Neugeborenes. In ihrem verwirrten Geist existierten die sechs Monate nicht, die seit seiner Geburt vergangen waren.

Die Kutsche rollte langsam über die lange Auffahrt. Vor ihr tauchte Harper House in all seiner Pracht auf.

Vor dem wolkenverhangenen grauen Himmel wirkten der gelbe Stein und die weißen Zierelemente warm und elegant. Stolz und stark ragte das zweistöckige Gebäude vor ihr auf, umgeben von Bäumen und Sträuchern und weiten, gepflegten Rasenflächen.

Früher einmal, so hatte sie gehört, seien Pfauen auf dem Anwesen gehalten worden, die ihre bunt schillernden Schwanzfedern zu einem Rad ausgebreitet hätten. Doch Reginald sei ihr durchdringendes Kreischen auf die Nerven gegangen, und nachdem er der Herr von Harper House geworden sei, habe er die Vögel wegschaffen lassen.

Er herrschte wie ein König. Und sie hatte ihm seinen Prinzen geschenkt. Eines Tages würde der Sohn den Vater vom Thron stoßen. Dann würde sie zusammen mit James über Harper House herrschen. Zusammen mit ihrem süßen James.

In den leeren Fensterhöhlen des großen Hauses, die wie kalte Augen auf sie herabstarrten, spiegelte sich die Sonne, doch sie stellte sich vor, wie sie dort mit James lebte. Wie sie ihn umsorgte, mit ihm im Garten spazieren ging, wie sein Lachen durch die hohen Räume schallte.

Eines Tages würde es so weit sein. Das Haus war sein Eigentum, und daher gehörte es auch ihr. Sie würden glücklich und zufrieden dort leben, nur sie beide. So, wie es sein sollte.

Sie stieg aus der Kutsche – eine blasse, dünne Frau in einem schlecht sitzenden grauen Kleid – und ging langsam auf den Haupteingang zu.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. James wartete auf sie.

Sie klopfte an die Tür, und da ihre Hände nicht stillhalten wollten, faltete sie sie energisch vor der Brust.

Der Mann, der ihr öffnete, trug einen gediegenen schwarzen Anzug, und obwohl er sie von Kopf bis Fuß musterte, verriet sein Gesichtsausdruck nichts.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Madam?«

»Ich komme, um James zu holen.«

Seine linke Augenbraue ging fast unmerklich in die Höhe. »Es tut mir Leid, Madam, aber hier wohnt kein James. Wenn Sie sich nach einem Bediensteten erkundigen möchten, der Dienstboteneingang befindet sich hinter dem Haus.«

»James ist kein Diener.« Wie konnte er es wagen? »Er ist mein Sohn. Er ist Ihr Herr. Ich will ihn holen.« Trotzig trat sie über die Schwelle.

»Ich glaube, Sie haben sich in der Adresse geirrt, Madam. Vielleicht …«

»Sie werden ihn nicht vor mir verstecken können. James! James! Mama ist hier.« Sie stürzte auf die Treppe zu und kratzte und biss, als der Butler sie am Arm packte.

»Danby, was ist hier los?« Eine Frau, die ebenfalls in das Schwarz der Dienstboten gekleidet war, kam durch die große Eingangshalle auf sie zu geeilt.

»Diese Frau, sie ist etwas … überreizt.«

»Das ist wohl noch untertrieben. Miss? Miss, ich bin Havers, die Haushälterin. Bitte beruhigen Sie sich, und sagen Sie mir, um was es geht.«

»Ich will James holen.« Ihre Hände zitterten, als sie ihre Frisur glatt strich. »Sie müssen ihn mir sofort bringen. Es ist Zeit für sein Schläfchen.«

Havers hatte ein gütiges Gesicht und lächelte sie freundlich an. »Ich verstehe. Bitte setzen Sie sich doch einen Moment, und beruhigen Sie sich.«

»Aber dann bringen Sie mir James, nicht wahr? Sie geben mir meinen Sohn.«

»Vielleicht im Salon? Dort brennt ein schönes Feuer im Kamin. Es ist ja so kalt heute, finden Sie nicht auch?« Der Blick, den sie Danby zuwarf, veranlasste ihn, Amelia loszulassen. »Ich zeige Ihnen den Weg.«

»Das ist ein Trick von euch. Noch ein Trick.« Amelia rannte auf die Treppe zu und schrie im Laufen nach James. Sie schaffte es bis in den ersten Stock, doch dann gaben ihre Beine nach, und sie stürzte zu Boden.

Eine Tür öffnete sich, und heraus trat die Herrin von Harper House. Sie wusste, dass dies Reginalds Frau war. Beatrice. Sie hatte sie einmal im Theater gesehen und in einigen Geschäften.

Sie war schön, obwohl sie etwas streng wirkte, mit Augen wie Splitter aus blauem Eis, einer schmalen Nase und vollen Lippen, die sich jetzt angewidert verzogen. Sie trug ein Morgenkleid aus dunkelrosa Seide mit einem hohen Kragen und einer eng geschnürten Taille.

»Wer ist diese Kreatur?«

»Entschuldigen Sie, Ma’am.« Havers, die schneller zu Fuß war als der Butler, erreichte die Tür des Wohnzimmers zuerst. »Sie hat ihren Namen nicht genannt.« Instinktiv kniete sie nieder und legte Amelia den Arm um die Schultern. »Sie scheint in einer Notlage zu sein – und bis auf die Knochen durchgefroren.«

»James.« Amelia hob die Hand, und Beatrice schwenkte rasch ihre Röcke zur Seite. »Ich will James holen. Meinen Sohn.«

Über Beatrice’ Gesicht huschte ein Ausdruck des Verstehens, und ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich. »Bringen Sie sie hier herein.« Sie drehte sich um und ging ins Wohnzimmer zurück. »Und warten Sie draußen.«

»Miss.« Havers sprach leise, während sie der zitternden Frau beim Aufstehen half. »Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Niemand wird Ihnen etwas tun.«

»Bitte holen Sie mein Baby.« Ein flehentlicher Ausdruck stand in ihren Augen, als sie Havers Hand ergriff. »Bitte bringen Sie mir meinen Sohn.«

»Jetzt gehen Sie erst einmal hinein und sprechen mit Mrs Harper. Ma’am, soll ich Tee servieren?«

»Ganz gewiss nicht«, fuhr Beatrice sie an. »Und machen Sie die Tür zu.«

Sie ging zu einem hübschen Kamin aus Granit und drehte sich um, sodass das Feuer hinter ihr loderte. Ihre Augen blieben kalt, als die Tür leise geschlossen wurde.

»Sie sind … waren«, korrigierte sie mit einem verächtlichen Zug um den Mund, »eine der Huren meines Mannes.«

»Mein Name ist Amelia Connor. Ich will …«

»Ich habe Sie nicht nach Ihrem Namen gefragt. Er interessiert mich genauso wenig wie Ihre Person. Eigentlich hatte ich angenommen, dass Frauen wie Sie, die sich nicht als gewöhnliche Flittchen, sondern als Mätressen betrachten, genug Verstand und Manieren besitzen, um das Haus des Mannes, den sie Ihren Beschützer nennen, zu meiden.«

»Reginald … Ist Reginald hier?« Wie benommen sah sie sich in dem schönen Raum mit seinen bemalten Lampenschirmen und Samtkissen um. Sie konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie sie hierher gekommen war. Wahnsinn und Wut hatten sich verflüchtigt. Ihr war kalt, und sie wusste nicht, wo sie war.

»Er ist nicht zu Hause, und Sie sollten sich glücklich schätzen, dass dem so ist. Ich weiß von Ihrer … Beziehung, und ich weiß auch, dass er diese Beziehung beendet und Sie großzügig entschädigt hat.«

»Reginald?« Ihr verwirrter Geist sah ihn vor sich, wie er an einem Kamin stand, nicht diesem, nein, nicht diesem. An ihrem Kamin, in ihrem Salon.

Hast du etwa geglaubt, ich würde meinen Sohn von so einer wie dir großziehen lassen?

Sohn. Ihr Sohn. James. »James. Mein Sohn. Ich will James holen. Draußen in der Kutsche liegt seine Decke. Ich werde ihn jetzt mit nach Hause nehmen.«

»Wenn Sie glauben, dass ich Ihnen Geld gebe, um Ihr Schweigen in dieser unziemlichen Angelegenheit zu erkaufen, haben Sie sich geirrt.«

»Ich … ich will James holen.« Ein zitterndes Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie mit ausgestreckten Armen vortrat. »Er braucht doch seine Mutter.«

»Der Bankert, der von Ihnen geboren und mir aufgezwungen wurde, heißt Reginald, nach seinem Vater.«

»Nein, ich habe ihn James genannt. Sie haben gesagt, er wäre tot, aber ich höre ihn doch weinen.« Ein besorgter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, als sie sich im Zimmer umsah. »Hören Sie ihn denn nicht weinen? Ich muss ihn finden, ich muss ihn in den Schlaf singen.«

»Sie gehören in eine Irrenanstalt. Fast könnte ich Mitleid mit Ihnen haben.« Das Feuer im Kamin hinter Beatrice loderte auf. »Sie haben in dieser Angelegenheit genauso wenig eine Wahl wie ich. Aber ich habe wenigstens keine Schuld. Ich bin seine Frau. Ich habe ihm Kinder geboren, eheliche Kinder. Ich habe den Tod einiger meiner Kinder zu beklagen, und mein Verhalten ist über jeden Zweifel erhaben. Was die Affären meines Mannes angeht, so habe ich mich taub und blind gestellt und ihm keinen einzigen Grund zur Klage gegeben. Aber ich habe ihm keinen Sohn geschenkt, und das ist meine Todsünde.«

Beatrice wurde wütend, und ihre Wangen röteten sich. »Glauben Sie, ich hätte gewollt, dass man mir Ihren Bankert unterschiebt? Diesen Bankert einer Hure, der mich Mutter nennen wird? Der das alles einmal erben wird?« Sie breitete die Arme aus. »Das alles hier … Ich wünschte, er wäre in Ihrem Leib gestorben und Sie mit ihm.«

»Geben Sie ihn mir, geben Sie ihn mir zurück. Ich habe doch seine Decke.« Amelia sah auf ihre leeren Hände herab. »Ich habe doch seine Decke. Ich werde ihn mitnehmen.«

»Es ist nicht mehr zu ändern. Wir sind in der gleichen Falle gefangen, aber Sie haben Ihre Strafe wenigstens verdient. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.«

»Sie können ihn doch nicht behalten, wenn Sie ihn nicht wollen. Sie können ihn nicht haben.« Mit weit aufgerissenen Augen rannte sie auf Beatrice zu. Der harte Schlag auf ihre Wange ließ sie das Gleichgewicht verlieren und zu Boden stürzen.

»Sie verlassen jetzt sofort dieses Haus.« Beatrice sprach leise und beherrscht, als würde sie einem Bediensteten einen unwichtigen Auftrag geben. »Sie werden kein Wort mehr über diese Angelegenheit verlieren, oder ich werde dafür sorgen, dass Sie in einer Irrenanstalt landen. Ich werde nicht zulassen, dass mein guter Ruf durch Ihre Hirngespinste ruiniert wird. Sie werden nie wieder hierher kommen, nie wieder einen Fuß in Harper House oder auf den Besitz der Harpers setzen. Sie werden das Kind nie wieder sehen – das wird Ihre Strafe sein, obwohl das meiner Meinung nach bei Weitem nicht genug ist.«

»James. Ich werde hier mit James leben.«

»Sie sind verrückt«, erwiderte Beatrice leicht belustigt. »Treiben Sie nur weiter Ihre Hurerei. Ich bin sicher, dass Sie einen Mann finden werden, der Ihnen noch einen Bankert macht.«

Beatrice ging zur Tür und riss sie auf. »Havers!« Sie wartete und ignorierte das verzweifelte Schluchzen hinter sich. »Danby soll diese Kreatur aus dem Haus werfen.«

Sie kam trotzdem zurück. Man trug sie hinaus und befahl dem Fahrer, sie wegzubringen. Doch sie kam wieder, mitten in der kalten Nacht. Ihr Geist war verwirrt, doch noch einmal gelang es ihr, zu Harper House zu fahren, dieses Mal mit einer gestohlenen Pferdekarre. Der Regen hatte ihr Haar durchweicht, und das weiße Nachthemd klebte ihr am Leib.

Sie wollte alle töten. Sie in Streifen schneiden, in Stücke hacken. Dann konnte sie James mitnehmen, ihn in ihren blutigen Händen wegtragen.

Aber das würden sie nie zulassen. Sie würden nie zulassen, dass sie ihr Kind in die Arme nahm. Dass sie sein Gesicht sah.

Es gab nur eine Möglichkeit.

Sie stieg vom Karren, während Mondlicht und Schatten über Harper House huschten, die schwarzen Fensterhöhlen schimmerten und die Menschen hinter seinen Mauern schliefen.

Der Regen hatte aufgehört; der Himmel war wieder klar. Nebelschwaden krochen über den Boden, graue Schlangen, die sich unter ihren nackten, frierenden Füßen teilten. Der Saum ihres Nachthemds schleifte über die feuchte Erde, während sie ein Schlaflied summend weiterging.

Sie würden bezahlen. Teuer bezahlen.

Sie war bei der Voodoo-Priesterin gewesen und wusste, was getan werden musste. Sie wusste, wie sie das, was sie wollte, für immer bekommen würde. Für immer.

Sie ging durch den winterlichen Garten bis zum Kutscherhaus, wo sie finden würde, was sie brauchte.

Sie sang, während sie es mit sich trug und in der feuchten Luft auf das Herrenhaus zuging, auf dessen gelbem Stein das Mondlicht schimmerte.

Lavendel ist blau, sang sie. Lavendel ist grün.

Erstes Kapitel

Harper HouseJuli 2005

Hayley war müde bis auf die Knochen und gähnte, bis ihr Kiefer knackte. Lilys Kopf lag schwer an ihrer Schulter, doch jedes Mal, wenn sie aufhörte zu schaukeln, zuckte das Baby wimmernd zusammen und grub seine kleinen Finger in das knappe Baumwoll-T-Shirt, in dem Hayley schlief.

Versuchte zu schlafen, korrigierte Hayley sich, während sie ihre Tochter leise murmelnd beruhigte und den Schaukelstuhl wieder in Bewegung setzte.

Es war fast vier Uhr morgens, und sie war jetzt schon zweimal aufgestanden, um die unruhige Lily wieder in den Schlaf zu schaukeln.

Gegen zwei Uhr morgens hatte sie versucht, sich mit dem Baby zusammen ins Bett zu legen, um wenigstens etwas Schlaf zu bekommen. Doch Lily gab sich mit nichts zufrieden. Sie wollte in den Schaukelstuhl.

Und so schaukelte und döste Hayley vor sich hin. Gähnend fragte sie sich, ob sie jemals wieder acht Stunden am Stück schlafen würde.

Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie andere Mütter zurechtkamen. Vor allem allein erziehende. Wie wurden sie damit fertig? Wie schafften sie es, den Ansprüchen gerecht zu werden, die ein Kind emotional, geistig, körperlich und finanziell an sie stellte?

Wie wäre sie zurechtgekommen, wenn sie mit Lily ganz allein gewesen wäre? Welches Leben würden sie jetzt führen, wenn es niemanden geben würde, der all die Sorgen, Mühen und Freuden des Mutterseins mit ihr teilte? Allein schon der Gedanke daran machte ihr Angst.

Sie war so hoffnungslos optimistisch und zuversichtlich gewesen – und dumm, dachte sie.

Hayley rief sich in Erinnerung, wie sie, im fünften Monat schwanger, ihre Stelle gekündigt, die meisten ihrer Sachen verkauft, den Rest in ihre alte Klapperkiste gepackt und die Stadt verlassen hatte.

Wenn sie gewusst hätte, was danach alles kommen würde, hätte sie es nie getan. Und so hatte es vielleicht auch sein Gutes, dass sie es nicht gewusst hatte. Denn sie war nicht allein. Sie schloss die Augen und legte ihre Wange auf Lilys weiches, dunkles Haar. Sie hatte Freunde – nein, eine Familie. Menschen, die sich um sie und Lily kümmerten.

Und sie und ihre Tochter hatten nicht nur einfach ein Dach über dem Kopf, sondern das wunderschöne Dach von Harper House. Hayley hatte Roz, eine entfernte Cousine – noch dazu angeheiratet –, die ihr ein Zuhause, einen Job und eine Chance gegeben hatte. Sie hatte Stella, ihre beste Freundin, mit der sie reden und lästern konnte.

Roz und Stella waren beide allein erziehend – und wurden damit fertig, sagte sich Hayley. Sogar sehr gut. Stella war Mutter von zwei kleinen Jungen, die sie allein großzog. Roz hatte drei Kinder, die schon erwachsen waren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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