SchachMatt - Mathilda Grace - E-Book

SchachMatt E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

»Mein Name ist Simon Ford und ich liebe zwei Mörder.« Es ist nicht leicht, das auszusprechen, und zu meiner Rechtfertigung kann ich nur sagen, dass ich nicht wusste, mit wem ich diesen heißen Dreier hatte, bis mein Leben plötzlich von Schlägertypen im Armani-Anzug bedroht war. Ich hatte keine Ahnung, dass Darryl und Mace Ford Auftragskiller sind. Ich wusste nicht, dass sie mit Messern und Waffen besser umgehen können, als so mancher Arzt oder Polizist. Und ich wusste ebenfalls nicht, dass Auftragskiller ein Gewissen haben, denn sie töteten nur Verbrecher. Vergewaltiger, Mörder, Kinderschänder und anderen Abschaum. Doch das ist Vergangenheit. Heute töten sie niemanden mehr. Heute leben wir ein Leben, wie ich es mir nie erträumt hätte. Heute bin ich glücklich, denn ich trage den Namen zweier Männer, die die Welt aus den Angeln heben würden, um mein Leben zu retten. So wie sie es schon einmal getan haben.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Mathilda Grace

SCHACHMATT

SchachMatt

1. Auflage, Januar 2019

Impressum

© 2019 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2017

Foto: weinstock; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Corina Ponta

Web: www.mathilda-grace.de

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

SchachMatt enthält homoerotische Handlungen.

Drama/Thriller

»Mein Name ist Simon Ford und ich liebe zwei Mörder.«

Es ist nicht leicht, das auszusprechen, und zu meiner Rechtfertigung kann ich nur sagen, dass ich nicht wusste, mit wem ich diesen heißen Dreier hatte, bis mein Leben plötzlich von Schlägertypen im Armani-Anzug bedroht war. Ich hatte keine Ahnung, dass Darryl und Mace Ford Auftragskiller sind. Ich wusste nicht, dass sie mit Messern und Waffen besser umgehen können, als so mancher Arzt oder Polizist. Und ich wusste ebenfalls nicht, dass Auftragskiller ein Gewissen haben, denn sie töteten nur Verbrecher. Vergewaltiger, Mörder, Kinderschänder und anderen Abschaum.

Doch das ist Vergangenheit. Heute töten sie niemanden mehr. Heute leben wir ein Leben, wie ich es mir nie erträumt hätte. Heute bin ich glücklich, denn ich trage den Namen zweier Männer, die die Welt aus den Angeln heben würden, um mein Leben zu retten. So wie sie es schon einmal getan haben.

Prolog

- Kanada, außerhalb Calgarys, Montag, 16. Januar 2017 -

Es gibt Tage, da hasse ich meinen Körper.

Besser gesagt, ich hasse diese dürre, narbenübersäte Ruine, zu der er geworden ist, obwohl Mace und Darryl nicht müde werden mir zu versichern, dass sie meine Narben nicht das Geringste stören, und dass ich vor allem aufhören soll, meinem Körper ständig zu viel zuzumuten. Ich kann von Glück reden noch am Leben zu sein und sie würden mich notfalls sogar ans Bett fesseln, wenn ich nicht auf meinen Physiotherapeuten höre, der regelmäßig mit mir trainiert.

Einmal hat Darryl das tatsächlich schon getan, nachdem er mich dabei erwischte, die wirklich schmerzhaften Übungen für mein zerschmettertes Knie ohne Hilfe zu machen. Mir klingeln heute noch die Ohren von dem Gebrüll, das ich mir daraufhin anhören durfte. Dicht gefolgt von weiterem Gebrüll, als Mace mich am Abend mit Krawatten ans Bett gebunden vorfand und darüber nicht sonderlich amüsiert war.

Mace kommt in unser gemeinsames Schlafzimmer. Er trägt nur ein Handtuch um die Hüften und rubbelt sich mit einem zweiten die schwarzen Haare trocken, die er mittlerweile fast bis zur Schulter hat wachsen lassen. Ich liebe seine schwarzen Locken und Mace weiß es. Auf dem Weg zum Kleiderschrank wirft er aus Gewohnheit einen Blick aus dem Fenster auf die große Terrasse. Im nächsten Moment hält er abrupt inne und schüttelt den Kopf, bevor er knurrt und das Fenster aufreißt.

»Zieh dir was an, du Idiot! Draußen sind Minus 12 Grad.«

»Mir ist aber warm«, schallt trotzig vom Holzplatz zurück und ich muss ungewollt grinsen, weil ich sehr genau weiß, was Darryl gerade treibt und vor allem, was als Nächstes passieren wird.

So läuft es immer, wenn er oben ohne im Schnee steht und Holz für unseren Kamin hackt. Das macht er nämlich nur, weil Mace ihm jedes Mal ungeniert die Leviten liest, was allgemein darin endet, dass entweder Beleidigungen oder Schneebälle oder beides fliegen, bis Mace sich etwas überzieht und Darryl eine Abreibung verpasst. Die zwei sind manchmal wie kleine Kinder und ich liebe es, sie dabei zu beobachten, wie sie sich kabbeln, weil sie es völlig ungeniert vor mir tun.

Etwas, das vor einem Jahr noch völlig undenkbar war.

Die beiden haben mir das Leben gerettet und ich liebe sie heute über alles, aber als das zwischen uns begann, war es eine Zweckgemeinschaft, entstanden aus reiner Not heraus, weil sie nicht wollten, dass ich ihretwegen umgebracht werde.

Mein Blick fällt auf mein Bein.

Tja, beinahe wäre es damals doch dazu gekommen, und in der zugigen, widerlich stinkenden Halle habe ich mir den Tod am Ende auch gewünscht.

»Simon?«

Ich sehe auf, als Mace das Fenster schließt und mich dabei milde tadelnd ansieht. Mit einem schiefen Grinsen zucke ich die Schultern. Er weiß, woran ich momentan denke und er mag es nicht, weil es immer zu neuen Albträumen führt, die uns in den letzten Monaten ohnehin nächtelang wach gehalten haben, bis ich endlich dazu bereit war, eine Therapie anzufangen und Medikamente gegen meine schweren Schlafstörungen und die immer stärker werdenden Angstzustände zu nehmen.

»Wie schlimm ist es heute?«, fragt er, wirft das Handtuch für seine Haare ans Bettende und setzt sich neben mich.

»Sieben bis acht«, gebe ich zu, denn ich habe letzte Nacht kaum geschlafen und außerdem Schmerzen. Seit Tagen schon, aber bisher kamen sie immer nur schubweise und waren ganz erträglich. Weit von der gefährlichen zehn entfernt, die wir als Ende der Skala benutzen, sobald meine Männer wissen wollen, wie es mir geht.

Mace' Lächeln weicht einem besorgten Gesichtsausdruck, bevor er zum Telefon greift. Ich schüttle entsetzt den Kopf, was völlig sinnlos ist. Wenn es um meine Gesundheit geht, lassen die zwei nicht mit sich reden.

»Guten Morgen, hier ist Mace Ford … Wir brauchen einen Termin bei Doktor … Ja, genau. Er hat Schmerzen. Vermutlich schon seit Tagen, Sie kennen ihn ja … Das passt perfekt, danke. Wir sind in zwei Stunden da.«

»Muss das sein?«, frage ich launisch, nachdem er aufgelegt hat und Mace schnaubt nur, bevor er zur Tür deutet. Ich folge seinem Blick und zucke ertappt zusammen, denn Darryl steht dort und sieht mich verärgert an. Wie ist er so schnell ins Haus gekommen? Und woher hat er gewusst …?

»Ich weiß es immer, du Dickschädel«, grollt Darryl und tritt an den Kleiderschrank. »Hilfst du ihm beim Duschen? Ich lege euch Sachen raus und mache uns Frühstück. Wir sollten spätestens in einer Stunde los, für den frühen Nachmittag ist wieder Schneefall angesagt und wir müssen noch einkaufen.«

Ich könnte protestieren und einen Streit vom Zaun brechen, weil die letzten Arztbesuche immer darauf hinausliefen, dass ich erneut operiert werden musste. Mein Bein wird nie mehr so werden, wie es einmal war. Ich weiß nicht mal, warum sie sich noch solche Mühe dabei geben, es retten zu wollen. »Sie sollten es einfach abschneiden, dann wäre wenigstens Ruhe.«

»Kein Arzt schneidet seinem Patienten einfach ein Bein ab.« Darryl packt mich abrupt am Kragen meines Schlafshirts und der stinkwütende Blick seiner hellbraunen Augen bohrt sich in meine. »Du wirst das Bein nicht verlieren, klar? Und ich werde dir, verdammt noch mal, in den Arsch treten, wenn du diesen bescheuerten Vorschlag noch einmal machst.«

»Darryl ...«

»Nein!«, unterbricht er Mace herrisch, ohne dabei den Blick von mir zu nehmen. »Ich weiß, dass es wehtut. Dass du einfach nur die Schnauze voll hast. Dass du dich nach deinem früheren Leben sehnst, wo alles leicht und unkompliziert war, aber das gibt es nicht mehr. Du bist fast gestorben und das ist und bleibt unsere Schuld, aber das heißt noch lange nicht, dass ich neben diesem Bett stehe und zulasse, dass du aufgibst. Du gehörst zu uns, hast du verstanden?«

»Ich bin ein Krüppel«, platzt weinerlich aus mir heraus und ich würde mich am liebsten wie ein kleines Kind unter der Bettdecke verstecken.

Ich hasse es, wenn ich so bin. Jammernd, schwach, ein Abziehbild des vorlauten Kerls, der ich war, bevor ich Dimitri Romanov in die Hände fiel.

Darryl nickt und lächelt gleichzeitig. »Ja, das bist du, Simon Ford, aber das ist mir egal. Ich liebe dich. Wir lieben dich. Wir haben dir einen Ring an den Finger gesteckt, du trägst unseren Namen und du wirst hier in diesem Bett schlafen, bis wir drei alt und grau sind. Und ob du das mit zwei Beinen oder einem tust, ist uns scheißegal. Hauptsache, du tust es.«

Kapitel 1

- USA, Boston, Samstag, 17. Oktober 2015 -

»Eines Tages bringen dich die Dinger um.«

Die brennende Kippe zwischen den Zähnen zeigt Will mir den Stinkefinger, als ich leise lachend an ihm vorbeigehe, um die Müllsäcke in meinen Händen in den stinkenden Container direkt hinter der Bar zu werfen. Das »Deep Soul« hat zwar eine eigene Putztruppe, aber die ist nicht sehr zuverlässig, was im Umkehrschluss für mich und die anderen Barkeeper bedeutet, dass wir ihren Job übernehmen müssen, wenn sie mal wieder nicht auftauchen.

Als Rausschmeißer bleibt Will von derart niederen Arbeiten wie diesen, wie er sie gerne nennt, natürlich verschont. Gott sei Dank, sollte ich besser dazusagen, denn seit einem One-Night-Stand weiß ich, wie es bei ihm zu Hause aussieht.

Ein Hygieneinspektor würde entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und schreiend das Weite suchen. Das habe ich zwar nicht getan, aber nachdem ich aus seiner Bude raus war, führte mich mein erster Weg daheim unter die heiße Dusche, während meine muffeligen Klamotten sofort in der Waschmaschine landeten, wo sie drei Tage vor sich hinstanken, bis sich mein damaliger Mitbewohner schließlich erbarmte und die Maschine anstellte. Mittlerweile ist Marcus ausgezogen und ich muss jede Schicht übernehmen, die ich kriegen kann, um mir weiter die Miete für das Loch leisten zu können, denn mehr ist es nicht mit seinen zugigen Fenstern, der ständig gluckernden Heizung und dem uralten Heißwasserboiler, der nur heißes Wasser liefert, wenn es ihm in den Kram passt.

Die City von Boston ist nicht billig und ich kann mir nichts anderes erlauben, falls ich nicht wieder in einer WG leben oder so weit ab von der Innenstadt wohnen will, dass ich jeden Tag stundenlang mit Bus und Bahn zur Arbeit bräuchte.

Dabei verdiene ich grundsätzlich gar nicht so schlecht. Die Trinkgelder machen eine Menge aus und hätte ich nicht einen Haufen Schulden am Arsch, sähe mein Leben vermutlich ganz anders aus. Mein Fehler war meine eigene Blödheit. Man leiht sich eben kein Geld von einem Kredithai, um es dann in einem Casino zu verlieren.

Als ich meinen Eltern meine Spielsucht gestand, war schon alles zu spät und ich lag mit drei gebrochenen Knochen, die als Warnung gedacht waren, im Krankenhaus.

Die Spielsucht bin ich längst losgeworden, den Kredit auf ihr Haus, den meine Eltern für mich aufnahmen, um mich von dem Berg Schulden loszueisen, werde ich noch mehrere Jahre abbezahlen. Aber lieber zahle ich jeden Monat fast ein Drittel meines Gehalts an eine gierige Bank, als irgendwann tot im Charles River zu landen. Auch wenn das bedeutet, dass ich mit 40 Jahren vermutlich immer noch hinter einer Bar stehe und Drinks mixe.

Was soll´s, ich hätte es schlechter treffen können. Außerdem gefällt mir mein Job und eine eigene Familie zu versorgen habe ich auch nicht. Obwohl Grandpa das garantiert gefallen würde, denke ich belustigt, als plötzlich mein Handy klingelt und sein Name auf dem Display erscheint.

»Hi, Grandpa.«

»Ah, da ist ja mein Junge. Wo treibst du dich rum? Daheim habe ich dich nicht erreicht.«

»Arbeiten.«

»Es ist Samstagnachmittag. Ein Mann in deinem Alter sollte nicht immer nur arbeiten. Gönn dir auch mal was.«

»Ich habe Rechnungen zu bezahlen.«

»Papperlapapp«, wischt Grandpa meinen Einwand einfach bei Seite, wie er es immer tut. »Wir erwarten dich morgen zum Essen, denk dran, mein Junge.«

»Als würde ich je Grandmas Mittagessen verpassen.«

Er lacht. »Ein Feinschmecker warst du schon immer, Simon Wilcox. Barney freut sich schon auf dich.«

»Und du nicht?«

»Natürlich nicht. Du bekommst jedes Mal die besten Stücke vom Braten, während ich zusehen muss, wo ich bleibe.«

Ich muss lachen.

»Ja, ja«, grollt Grandpa gespielt. »Deine Grandma lässt dich übrigens fragen, ob sie dir etwas Besonderes zum Nachtisch zaubern soll.«

Essenswünsche darf man in unserer Familie eigentlich nur zu besonderen Anlässen wie Weihnachten oder Geburtstagen äußern. Deswegen macht mich seine Frage sofort misstrauisch. »Ist irgendwas los?«

»Nicht dass ich wüsste«, antwortet er und klingt dabei so schuldig, dass ich umgehend die Augen verdrehe. »Dürfen wir unseren einzigen Enkel jetzt nicht mehr verwöhnen?«

»Grandpa ...«

»Na schön, aber reg dich nicht auf.«

Jetzt kommt es ganz dick. »Oh je.«

»Wir haben überlegt, eine Lebensversicherung aufzulösen, um damit ...«

»Nein!«, unterbreche ich ihn scharf, was mir gleich wieder leidtut, als Grandpa verstummt. Aber ich kann nicht anders. Es ist nicht so, dass ich ihre regelmäßigen Angebote nicht auf eine gewisse Weise zu schätzen wüsste, immerhin sind sie alles an Familie, was mir nach dem Tod meiner Eltern geblieben ist. Ich kann in der Beziehung nur einfach nicht aus meiner Haut. »Ich will euer Geld nicht, das weißt du genau.«

»Simon ...«

»Es war mein Fehler und ich stehe auch dafür gerade.«

Grandpa flucht unterdrückt. »Du rackerst dich seit Jahren für deine Schulden ab und wir wissen doch sowieso nicht, was wir mit dem Geld machen sollen. Simon, wir haben das Haus und den Wagen längst abbezahlt, und außer dir ist von unserer Familie niemand mehr hier, dem wir etwas vererben können. Wir haben uns das sehr genau überlegt. Wir bezahlen deine Schulden und haben trotzdem noch genug übrig, um das Haus zu streichen, uns ein paar neue Möbel anzuschaffen und sogar noch irgendwelchen albernen Firlefanz zu kaufen, bevor wir in die Grube fahren.«

Ich hasse es, wenn er so redet. Nur weil sie schon über 80 sind, bedeutet das noch lange nicht, dass sie nächste Woche tot umfallen. Meine Großeltern sind gesund und putzmunter und dafür danke ich dem lieben Gott, oder wer auch immer dafür verantwortlich ist, jeden Tag aufs Neue.

»Grandpa!«

»Wir reden morgen darüber, einverstanden? Sei pünktlich, sonst wird das Essen kalt. Hab dich lieb, mein Junge.«

Er legt auf, ohne mir die Chance zu geben, noch etwas dazu zu sagen. Und das hasse ich genauso, weil er so jeden Streit um das Geld abwürgt und mich daran hindert, ihm die Leviten zu lesen. Es ist ihr Geld, verdammt noch mal. Sie haben es sich in den Jahren harter Arbeit redlich verdient.

Nur leider heißt das ebenfalls, dass sie damit tun können, was sie wollen, was immer wieder das Standardargument von meinen Großeltern ist, sobald wir uns deswegen ein weiteres Mal in die Haare kriegen.

»Ärger?«

Will tritt neben mich und sieht mich fragend und auch ein bisschen besorgt an. Er mag eine Schlampe sein, sowohl in der Höhle, die er Apartment nennt, als auch was seine ständigen Fickgeschichten angeht, aber sonst ist er ein netter Kerl, Marke Daddy, und irgendwie sogar so etwas wie ein Freund.

»Meine Großeltern mal wieder.«

»Oh je.« Er zieht eine Grimasse. »Was wollen sie denn jetzt verscherbeln, um dich freizukaufen?«

Irgendwann, in einem redseligen, alkoholbedingten Anfall von Jämmerlichkeit habe ich ihm die Geschichte mit meinen Schulden erzählt. Er hat sich nie auf eine Seite geschlagen, was ich ihm verdammt hoch anrechne, obwohl er mir oft sagt, dass er an meiner Stelle das Geld längst genommen hätte.

»Ihre Lebensversicherung.«

»Hm«, macht er und überlegt eine Weile, bevor er sich eine neue Zigarette anmacht und sie mir anbietet.

Ich nehme einige Züge und reiche sie ihm zurück. Rauchen ist nicht mein Ding, ebenso wenig wie Alkohol, aber abstinent lebe ich deswegen noch lange nicht. Das wäre in einem Club wie dem »Deep Soul« auch Utopie. Wir sind zwar keine völlig von Drogen und schnellem Sex verseuchte Lasterhöhle, aber es vergeht keine Woche, in der ich nicht irgendwo einen Kerl oder eine Tussi erwische, wie sie mit bunten Pillen oder den kleinen Tütchen mit weißem Inhalt dealen. An guten Tagen rufen wir bei so einem Vorfall die Bullen, aber an den meisten übersehen wir die Dealer. Vor allem wenn sie gerade Sam, unserem Boss, ihr Zeug unter die Nase halten.

»Ganz ehrlich ...« Will sieht mich plötzlich ernst an. »Nimm es an und sieh zu, dass du hier die Biege machst.«

»Warum das denn?«, frage ich verblüfft und als er mich am Arm nimmt und ein paar Meter vom Hinterausgang wegführt, ist das ziemlich verdächtig und irgendwie unheimlich. Was hat er nur? »Was ist denn los?«

»Das weißt du nicht von mir.«

»Okay«, antworte ich langgezogen, während er einen Blick zur Tür wirft, so als wolle er sichergehen, dass niemand in der Nähe ist.

»Ich habe einen Kumpel bei der Polizei. Wir ficken ab und zu und … Egal. Jedenfalls hat er mir vorletzte Woche gesteckt, dass die DEA hinter Sam her ist. Sieht schwer danach aus, als hätte er aufgehört, sich das Zeug nur selbst durch die Nase zu ziehen oder einzuwerfen. Stattdessen verkauft er es jetzt an die kleinen Jungs, die er immer zu den Mottopartys reinlässt.«

Sam hat angefangen zu dealen? »Ach du Scheiße.«

Will nickt. »Sie überwachen ihn und ich denke, in ein, zwei Wochen werden sie ihn hochnehmen und den Laden fürs Erste dichtmachen. Ich hab mir deswegen schon was Neues gesucht. Fange nächstes Wochenende an und … na ja ...« Will zuckt die Schultern. »Ich mag dich, Si, aber der Laden hier ist schon bald Geschichte und du wirst in drei Jahren 40. Sam war okay, bis er angefangen hat zu koksen, nachdem dieser Arsch ihn für einen Jüngeren sitzengelassen hat, und keiner von den neuen Clubs in der City stellt alternde Barkeeper ein, verstehst du?«

Und wie ich das verstehe. Ich gehöre zum alten Eisen. Gut, das ist nicht wirklich neu, wenn ich mir den Altersdurchschnitt meiner Kollegen hinter der Bar ansehe, aber das auf einmal so schonungslos um die Ohren gehauen zu kriegen, lässt mich dann doch schlucken. Vor allem, weil ich nichts anderes kann außer Drinks mixen und mit den Gästen flirten.

Mein Grandpa hat einmal scherzhaft gemeint, ich wäre nie richtig erwachsen geworden und damit hat er auch recht. Doch bis eben war mir nicht klar, dass ich mich dadurch eines Tages selbst aufs Abstellgleis schießen würde.

»Ich brauch den Job, Will.«

Er schüttelt den Kopf. »Deswegen sag ich doch, nimm das Geld und kauf dich frei. Du findest was anderes, wenn du erst mal die verdammten Schulden los bist.«

Das sagt sich so leicht, dabei weiß Will ganz genau, dass ich damals zu faul für eine vernünftige Ausbildung war. Ich habe lieber in Spielcasinos rumgehangen und Geld verspielt, das ich gar nicht hatte. »Ich hab nie was anderes gelernt.«

»Dann lern es jetzt. Alles ist besser als mit 40 aufzuwachen und zu merken, dass man in seinem Leben nichts auf die Reihe gekriegt hat.« Er lächelt traurig. »Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich hole schon seit einem Jahr meinen Abschluss auf der Abendschule nach.«

Also damit habe ich niemals gerechnet. Will hat eine miese Kindheit, mit Knast und ohne Schulabschluss hinter sich. Ganz anders als ich mit einem guten Elternhaus, einer guten Schule und allen Chancen, die man als netter Junge mit einem Faible für Bücher haben kann. Und was habe ich daraus gemacht? So gut wie nichts, genauso wie Will. Ich kenne zwar keine Details, aber ich war mit ihm im Bett und die insgesamt sechs Narben von Kugeln und Messerstichen an seinem Körper waren mehr als aussagekräftig. Und jetzt erzählt er mir so nebenbei, dass er wieder die Schulbank drückt?

»Wow.« Mehr fällt mir zu seiner überraschenden Eröffnung nicht ein und Will grinst schief.

»Ja, wow. Und das kannst du auch, Si. Ich sag ja nicht, dass du gleich studieren sollst, aber du hast Sam so oft geholfen … Mach doch was in Richtung Betriebswirtschaft. Dafür hast du ein Händchen, das habe ich oft genug gesehen. Du magst ja als Bengel keine Ahnung von Geld gehabt haben, aber jetzt kannst du damit umgehen.« Will sieht auf die Uhr. »Scheiße, ich muss los. Meine Schicht fängt an. Denk drüber nach, okay?«

»Mache ich«, verspreche ich Will, obwohl mir gerade völlig der Kopf schwirrt. »Danke, dass du ...«

Er winkt ab und setzt sich in Bewegung. »Kein Thema. Wir sehen uns.«

»Geht das denn?«, fragt meine Grandma besorgt, während sie mir die dampfenden Kartoffeln reicht. »Ich meine, können die einfach so euren Arbeitsplatz schließen?«

Ich zucke mit den Schultern, denn mit Gesetzen kenne ich mich nicht aus. Allerdings bezweifle ich, dass es die Cops groß kümmern wird, was aus mir und meinen Kollegen wird, wenn Sam im »Deep Soul« Drogen an Minderjährige verkauft. Wie heißt es immer so schön? Mitgehangen, mitgefangen … oder so ähnlich.

»Wenn Sam auf seinen Wochenend-Mottopartys Drogen an junge Leute unter 21 verkauft, dürfte es der Polizei völlig egal sein, was aus den Angestellten wird. Ich bin schließlich nur ein kleiner Barkeeper. Will hat schon recht, ich sollte machen, dass ich von da wegkomme.«

»Also nimmst du unser Geld?«, fragt Grandpa prompt und grinst, als ich ihn böse ansehe. »Du bist genau wie dein Vater. Stur bis zuletzt.«

»Grandpa ...«

»Dein Großvater hat recht«, mischt sich Grandma amüsiert ein und reicht mir die Soße. »Dein Dad war genauso. Von wem hat er das wohl gehabt?«

»Melanie!«

»Ja, ja«, winkt Grandma glucksend ab und zwinkert mir zu, als ich leise lache. »Aber um mal beim Thema zu bleiben. Dein Will ist ein kluger Mann, dass er den Club verlässt, bevor man ihn in die Sache hineinzieht. Das solltest du auch tun.«

»Er ist nicht mein Will.«

»Könnte er es denn werden?«

Ich sehe meine Großmutter verblüfft an. »Grandma!«

»Was? Ich bin alt, nicht senil. Dass du Männern den Vorzug gibst, wissen wir schon ewig.«

Woher bitteschön, will ich sie fragen, denn war das nie ein Thema bei uns. Ich verleugne mich nicht oder führe meine Affären im Schrank, aber das sind meine Großeltern. Das ist in meinen Augen fast noch schlimmer, als seine eigenen Eltern im Bett zu erwischen, und das habe ich mehr als einmal getan. Du lieber Himmel. Erstaunlich, dass ich ihr einziges Kind war, so verrückt wie sie nacheinander waren, bevor sie das Blitzeis aus meinem Leben gerissen hat.

Ich grinse schief. »Nein.« Grandma zieht einen Flunsch, der mich erneut lachen lässt. »Grandma, er ist nett, ja, aber absolut nicht mein Typ.«

»Was ist denn dein Typ?«

»Schatz, das Essen wird kalt«, mischt sich Grandpa ein und ich atme sichtlich erleichtert aus, was nun ihn lachen lässt.

Ich liebe die beiden wirklich sehr und auch wenn ich beim Tod meiner Eltern schon 22 Jahre alt und damit erwachsen war, sind sie für mich längst zu einem Elternersatz geworden. Das wird sich auch nicht mehr ändern, schätze ich. Ich mag ja fast 40 sein, aber ich vermisse Mum und Dad trotzdem. Wer würde das auch nicht an meiner Stelle? Aber Grandpa und Dad waren sich so ähnlich, da fiel es mir nicht sonderlich schwer, meinen Vater in Grandpa zu sehen. Und weil Mum auch schon lange keine Familie mehr hat, gibt es nun mal nur noch uns drei und Bernhardiner Barney, der laut schnarchend auf der Couch im Wohnzimmer liegt.

»Hast du dich schon nach anderen Jobs umgehört?«, fragt Grandpa weiter und nimmt sich ein Stück Braten.

»Nein«, antworte ich, denn das Gespräch mit Will lag mir den ganzen gestrigen Abend schwer im Magen, da halfen auch das gute Trinkgeld und der schnelle Blowjob auf der Toilette nicht, den ich mir nach Feierabend, neben drei Bier und einer Reihe Kurzer gönnte.

Wenigstens war der Kerl gut im Blasen und das Geld werde ich für ein paar neue Klamotten ausgeben, die ich für den bald startenden Winter dringend brauche.

Boston ist schließlich nicht Hawaii, wo man den lieben Tag lang in Shorts rumlaufen kann. Für Mitte Oktober ist es derzeit zwar noch überraschend warm, aber ich weiß aus Erfahrung, dass das nicht so bleiben wird. Spätestens in zwei Wochen ist Schluss mit der dünnen Sommerjacke, die eh kein weiteres Jahr durchhalten wird. Genauso wie mein sich verflüchtigender Job im »Deep Soul«.

»Das wird auch nicht ganz einfach werden.«

»Wieso?«, fragt Grandma verständnislos. »Du bist ein sehr guter Barkeeper.«

Nicht dass sie das beurteilen könnte, schließlich war meine Großmutter noch nie in einem Club wie dem »Deep Soul«, und das soll auch bitte so bleiben. Ich grinse schief. »Ich bin zu alt.«

»Quatsch.« Grandpa vergisst das Bratenstück samt seiner Gabel und sieht mich empört an. »Du bist erst 37, seit wann ist das zu alt für einen Job?«

»Für einen Barkeeper ist 37 gleichbedeutend mit – auf dem Weg in die Gruft.«

Grandma schnappt nach Luft. »Simon!«

»Das ist Diskriminierung«, entrüstet sich Grandpa und die Gabel mit dem Bratenstück fällt zurück auf seinen Teller. »Das dürfen die doch nicht, oder? … Oder?«

»In dem Job geht es nicht darum, was die dürfen oder was nicht, es ist einfach so. Das »Deep Soul« ist keine typische Bar für Jedermann, sondern ein moderner Tanzclub, der vor allem von Frischflei... äh, von Leuten bis höchstens Mitte 30 besucht wird. Die bringen Sam nun mal das meiste Geld ein und die bestimmen damit auch, wer für ihn arbeitet. Ich bin der Älteste in seiner Truppe und er hat mich vermutlich nur noch nicht auf die Straße gesetzt, weil ...«

Weil ich seit Jahren allgemein wegsehe, wenn es in seinem Laden nicht mit rechten Dingen zugeht. Weil ich keinen Ärger will. Weil ich nichts gegen das zusätzliche Geld habe, das ich ab und an in meinen Jackentaschen finde, wenn ich mich nach Feierabend auf den Heimweg mache. Weil ich käuflich bin und Sam weiß das. Scheiße.

»Weil?«, hakt Grandpa nach und sieht mich so eindringlich an, dass ich automatisch eine Grimasse ziehe und mich damit verrate. »Simon! Wie konntest du nur?«

»Was denn?«, fragt Grandma verblüfft und sieht zwischen uns umher. »Charles? Was ist?«

»Er weiß, was sein Boss treibt und hat geschwiegen, statt es richtig zu machen und zur Polizei zu gehen.«

Grandma sieht mich entsetzt an. »Simon … Ist das wahr?«

Mist. Jetzt sitze ich ernsthaft in der Tinte. »Ja«, gebe ich zu und das beendet unser Gespräch ziemlich abrupt. Es wird für den Rest des Mittagessens auch nicht mehr aufgenommen, und als Grandpa schließlich schweigend den Tisch verlässt, so wie er das nach dem Essen immer macht, um auf der Veranda eine Zigarre zu rauchen, halte ich die Stille nicht mehr aus.

»Es tut mir leid, Grandma.«

Meine Großmutter seufzt leise und beginnt dann den Tisch abzuräumen. Als ich ihr helfen will, drückt sie mich sanft, aber doch bestimmt zurück auf den Stuhl, der bereits seit vielen Jahren mein Stuhl ist. Zumindest war er das bis heute. Was morgen ist, wer weiß. Ich habe echt Scheiße gebaut.

»Weißt du, dein Dad hat mal, da war er fast noch ein Junge, gesehen wie einer seiner Klassenkameraden verprügelt wurde. Er hat sich nicht getraut, uns davon zu erzählen. Erst als dieser Junge an seinen Verletzungen gestorben ist, kam er zu uns.«

Ich sehe Grandma sprachlos an. Davon weiß ich gar nichts. »Das hat er mir nie erzählt.«

»Ich weiß«, sagt sie und lächelt mich traurig an. »Er hat es nicht einmal deiner Mutter erzählt, weil er sich dafür geschämt hat. Weil er glaubte, ein Feigling zu sein. Aber das war er nicht und das bist du auch nicht. Was ich dir damit sagen will, ist, es ist manchmal nicht ganz leicht, das Richtige zu tun. Und das weiß auch dein Großvater. Wie ich ihn kenne, erinnert er sich gerade wieder an diesen Vorfall und fragt sich, was er verkehrt gemacht hat, dass sein Enkel sich auch nie getraut hat, mit ihm darüber zu reden.«

»Aber er hat doch gar nichts verkehrt gemacht.«

Grandma gibt mir einen spielerischen Klaps auf die Wange. »Eben. Darum gehst du jetzt auch raus und sagst ihm das. Wir lieben dich nämlich und wir hören nicht damit auf, nur weil du einen Fehler gemacht hast, verstanden?«

»Ja, Mam.«

»Ich gebe dir gleich Mam«, grollt Grandma und droht mir mit der Soßenkelle, als ich aufstehe und ihr einen Kuss gebe.

»Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch, mein Schatz.«

Ich lasse sie allein und finde meinen Großvater draußen vor dem Haus. Er sitzt auf der alten Schaukel, die schon auf dieser Veranda steht, seit ich alt genug war, mich an ihr festzuhalten, und schaukelt gemütlich vor sich hin, während er mit einem nachdenklichem Blick an seiner Zigarre zieht. Was er an diesen stinkenden Dingern findet, ist mir seit jeher ein Rätsel, dabei gönne ich mir selbst gelegentlich eine schnelle Zigarette. Aber die stinken wenigstens nicht so penetrant.

»Sei nicht sauer«, bitte ich ihn leise, als die Fliegengittertür hinter mir zugeschlagen ist.

Grandpa schüttelt den Kopf und klopft neben sich auf die freie Seite der Schaukel. »Ich bin nicht sauer«, sagt er, nachdem ich mich zu ihm gesetzt habe. »Ich bin enttäuscht, Simon, denn so haben Marie und John dich nicht erzogen.«

Muss er ausgerechnet Mum und Dad ins Spiel bringen? Ich lasse deprimiert den Kopf hängen. »Ich weiß.«

»Warum hast du es dann getan?«

Ich zucke die Schultern. Es war leicht. Den Mund zu halten und nichts zu sehen ist meist einfacher als sich einzumischen. Ich wollte mein unkompliziertes, bequemes Leben nicht damit durcheinanderbringen, dass ich Sam verpfeife, danach meinen Job verliere und wahrscheinlich sogar noch vor Gericht gegen ihn aussagen muss. Ich wollte schon immer einfach nur meine Ruhe haben. Außerdem war es leicht verdientes Geld, mit dem ich mir ab und zu etwas gegönnt habe. Wenigstens manchmal wollte ich nicht jeden Cent zweimal umdrehen müssen, um bis zum Monatsende etwas zu essen zu haben, auch wenn ich sehr wohl weiß, dass es falsch war, Sams Drogensucht einfach unter den Teppich zu kehren.

»Oh, Simon«, murmelt Grandpa mit einem Seufzen, als ich ihm das alles gesagt habe.

»Es tut mir leid«, entschuldige ich mich, worauf er mir eine Hand auf die Schulter legt und sie aufmunternd drückt.

»Tust du mir einen Gefallen, mein Junge?«

»Jeden.«

»Kündige. Gleich morgen.« Er lächelt liebevoll, als ich ihn überrascht ansehe. »Und dann nimmst du unser Geld, bezahlst deine Schulden, ziehst aus dieser Bruchbude, die du Wohnung nennst, vorübergehend in unser Gästezimmer und fängst ganz von vorne an.«

»Aber ...« Sein Kopfschütteln lässt mich verstummen.

»Du hast so viele Möglichkeiten, Simon. Du könntest einen neuen Beruf lernen, noch mal zur Schule gehen oder du suchst dir meinetwegen wieder einen Job in einer normalen Bar, wo es egal ist, wie alt du bist. Ich will dir das nicht vorschreiben, das kann ich gar nicht, du bist schließlich erwachsen. Aber mit dem Geld von uns kannst du erst mal in aller Ruhe nachdenken, was du wirklich tun willst.«

»Ich mag meinen Job.«

Grandpa zuckt die Schultern. »Dann such dir wieder einen als Barkeeper. Aber vorher machst du ein paar Wochen Urlaub bei uns und lässt es dir gut gehen, einverstanden? Außerdem brauche ich jemanden, den ich im Winter zum Schneeschippen verdonnern kann.«

Ich lache los und lehne mich an meinen Großvater, der sich mir daraufhin anschließt und einen Arm um mich legt.

»Wir machen alle mal Fehler, Simon. Der Trick ist, sich am Ende für den richtigen Weg zu entscheiden.«

Er hat ja recht, das weiß ich, und deshalb nicke ich, als sich unsere Blicke schließlich wieder treffen. »Okay, ich kündige.«

»Du bist ein guter Junge.«

Kapitel 2

- Kanada, Calgary, Montag, 16. Januar 2017 -

»Sie wären glücklich, wenn sie dich jetzt sehen könnten.«

Ich muss unwillkürlich lächeln. Mace hat mich vom ersten Tag an durchschaut und daran hat sich nichts geändert. Dabei habe ich meine Großeltern auf der Fahrt hierher in die Praxis von Doktor Scott mit keinem Wort erwähnt. Aber das ist auch gar nicht nötig. Jedenfalls nicht bei Mace, und anfangs fand ich es verdammt unheimlich, dass er mir meine Stimmungen oder auch Gedanken förmlich an der Nasenspitze ablesen kann.

Irgendwann hat Darryl mir gesagt, daran müsse ich mich gewöhnen, denn er, also Mace, könne einfach nicht anders. Also habe ich mich daran gewöhnt.

»Ja, ich weiß … Sie fehlen mir.«

Mace sagt nichts, aber er nimmt meine Hand und so warten wir schweigend, während Darryl uns bei der Schwester an der Information anmeldet. Ich schwitze leicht. Nicht, weil es in der gemütlich und in hellen Farben eingerichteten Praxis zu warm wäre. Nein, ich habe Angst vor dem, was mein Arzt mir wegen des kaputten Beins sagen wird. Außerdem sind die Schmerzen heftiger geworden. Die wenigen Schritte vom Parkplatz bis ins Wartezimmer, wo ich erleichtert auf den erstbesten freien Stuhl gesunken bin, haben meinem Bein nicht gerade gutgetan.

Und mir auch nicht, wenn ich ehrlich bin. Ich will das Bein nicht verlieren, ganz egal, wie oft ich darüber nachdenke, dass es einfacher ohne das verdammte Ding wäre. Keine Schmerzen mehr. Kein ständiges um Hilfe bitten, wenn ich an schlechten Tagen nicht allein vom Bett zum Klo komme. Dabei ist es nicht mal die schlimmste Verletzung gewesen. Dafür allerdings die schmerzhafteste. Man sagt immer, Menschen vergessen schlimme Erlebnisse, um zu verhindern, dass sie vollkommen ihren Verstand verlieren.

Bei mir hat das leider bis heute nicht funktioniert. Ich weiß noch genau, wie es sich anhörte, als der Vorschlaghammer auf mein Knie traf. Das Splittern der Knochen, meine gellenden Schreie, das Blut, als Teile meiner Knochen an den Seiten und hinten durch die Haut brachen.

Ich höre immer noch das hämische Lachen von Yuri und sehe sein Grinsen vor mir, als wäre es erst gestern gewesen.

Dank des plastischen Chirurgen im Krankenhaus sind die Narben in meinem Gesicht, als Romanov überlegte, ob er mich einfach nur in Streifen schneidet oder mir vorher meine Augen herausschält, weil ihm die grüne Farbe gefiel, kaum mehr zu sehen. Was ich von denen auf dem Rücken zwar nicht gerade behaupten kann, aber die sehe ich wenigstens nicht ständig.

Ich habe nichts vergessen. Gar nichts. Und ich wünschte, es wäre anders, denn manchmal kann das Vergessen ein wahrer Segen sein. Andererseits hätten sie mir wirklich beide Augen ausstechen müssen, damit ich diese elendig langen Stunden in Romanovs Folterkammer vielleicht vergessen kann, denn die langen und wulstigen Brandnarben, die auf meiner linken Seite vom Ohr, über den Hals, bis hinunter zur Schulter führen, sehe ich jeden Tag im Spiegel.

Benzin.

Als Romanov kurzerhand beschloss, dass er lange genug auf meine Entscheidung gewartet hat. Er wollte mich lieber bei lebendigem Leib abfackeln, als das Risiko einzugehen, dass ich seine Folter vielleicht doch überlebe.

Meine Männer kamen gerade rechtzeitig, um das Feuer zu löschen, meinen halb toten Arsch in die nächste Notaufnahme zu schaffen und sich dann um Romanov zu kümmern.

Ich weiß bis heute nicht, was sie ihm alles angetan haben. Ich weiß nur, dass er tot ist. Und das man ihn nur anhand von Zahnabdrücken identifizieren konnte, nachdem ein oder auch mehrere Unbekannte eine bis zur Unkenntlichkeit zugerichtete Leiche vor einem Polizeirevier an der Tür aufknüpften. Als man mich schließlich aus dem künstlichen Koma holte, wurde über den brutalen Mord an Romanov gerade aufs Heftigste in allen Nachrichten spekuliert.

Und während ich mich langsam erholte und den Polizisten, die sich bei mir die Klinke in die Hand gaben, immer wieder erzählte, dass ich mich an gar nichts erinnern könne, habe ich gehofft, dass meine Männer noch leben.

Wobei sie es zu dem Zeitpunkt noch nicht waren. Nicht mal ansatzweise. Es hat eine Weile gedauert, bis ich aufhörte, ihnen am Tod meiner Großeltern die Schuld zu geben und noch viel länger, bis ich damit aufhörte, mich selbst zu belügen, weil ich mich in die Männer verliebt hatte, die der Grund dafür waren, dass ich beinahe zu Tode gefoltert worden war.

Meinem Herzen war das nämlich scheißegal, obwohl ich es oft genug dafür gehasst habe. Manchmal gibt es eben nicht nur schwarz oder weiß. Manchmal gibt es viele feine Abstufungen von Grau und ich war ohnehin schon Schachmatt, als ich ihnen in jener ersten und eisigen Dezembernacht in ihr Hotelzimmer folgte. Aber heute kann ich das mir gegenüber auch zugeben, ohne mich dabei wiederholt zu fragen, ob ich noch ganz richtig im Kopf bin, zwei gefühllose Auftragskiller zu lieben.

Mittlerweile ist mir ebenfalls klar, dass es mit dem gefühllos bei den beiden nicht allzu weit her ist. Zumindest, wenn es um mich geht. Das beweist Darryls Blick mir im nächsten Moment deutlich, als er sich zu mir setzt und vorsichtig mein verletztes Bein auf seinen Schoß zieht. Er fängt an, es ganz behutsam zu massieren und eine Mutter, die uns mit ihrem etwa 5-jährigen Sohn direkt gegenüber sitzt, grinst mich daraufhin an. Sie lacht leise, als ich nur die Schultern zucke.

»Er flirtet schon wieder«, murmelt Mace zu meiner Rechten und als ich ihm dafür in die Seite boxe, kichert die junge Frau belustigt. Ihr Sohn guckt neugierig zu ihr hoch, weiter zu uns und dann wieder zu seiner Mutter.

»Mama?«

»Ja, Patrick?«

Was immer er fragen will, geht im Öffnen einer Tür unter, als Doktor Scott aus einem der drei Behandlungsräume tritt. Er teilt sich die Praxis mit zwei Kollegen und ist spezialisiert auf schwere Verletzungen an den Extremitäten. Was er alles kann, habe ich schon wieder vergessen, ich weiß nur, dass ihm meine Männer vertrauen, also kann ich das auch tun.

»Ah, Mister Ford. Stur wie eh und je. Kommen Sie rein. Ich sehe mir Ihr Bein gleich mal an.« Er macht kehrt und hält im nächsten Moment schon wieder inne. »Wenn es geht, kommen Sie bitte allein.«

»Aber ...«, erheben Mace und Darryl gleichzeitig Einspruch und verstummen ebenso schnell wieder, als sie ein warnender Blick trifft. Was immer die zwei mit meinem Arzt verbindet, er hat offensichtlich Narrenfreiheit bei ihnen und kann sich damit weit mehr erlauben als jeder andere.

Ich verkneife mir ein breites Grinsen, was mir wohl mehr schlecht als recht gelingt, ihren bösen Mienen nach zu urteilen, als ich aufstehe und umgehend wegknicke, weil mich das Bein absolut nicht mehr tragen will.

Verfluchter Mist.

»Was zum …?«

Der Arzt ist sofort bei mir und tastet vor der jungen Frau, die jetzt ebenso erschrocken dreinblickt wie ihr kleiner Sohn, mein lädiertes Knie ab. Und er ist dabei nicht sehr feinfühlig. Ich muss einen gequälten Aufschrei unterdrücken, als er eine empfindliche Stelle erwischt und mich mit seiner Berührung beinahe in die Ohnmacht treibt, da ich den Jungen gegenüber nicht zu Tode ängstigen will. Mace und Darryl greifen prompt nach meinen Armen und halten mich aufrecht.

Doktor Scott sieht stirnrunzelnd zu mir auf und erhebt sich. »Darryl, trag ihn auf die Liege in mein Behandlungszimmer, hilf ihm beim Ausziehen der Hose und danach raus mit dir. Ich muss telefonieren und einen Termin für ein CT machen. Falls ihr heute noch irgendetwas vorhabt, erledigt das besser gleich, denn Simon wird so bald nirgendwo hingehen.«

Eines muss ich meinem Arzt lassen. Er hält sein Wort.

Das hat er schon immer getan, seit er mich behandelt, aber normalerweise ist er dabei nicht so wütend wie jetzt, während er am Telefon mit dem Kollegen spricht, der ihm vor wenigen Minuten die Ergebnisse des CT geschickt hat, zu dem er mich vor zwei Stunden verdonnert hatte. Scott gefällt offensichtlich gar nicht, was er auf den Bildern sieht und ich schätze, meine Schonfrist der netten Worte dürfte gleich vorbei sein.

»... Wenn er das machen würde, säße er nicht schon wieder hier und hätte Dauerschmerzen«, grollt mein Arzt gerade und wirft mir einen verärgerten Blick zu. Ich senke lieber den Kopf, was mir ein Schnauben einbringt. »Das weiß ich … Ja, Brandon … Nein, das mache ich nicht … Ich weiß, dass es leichter wäre, vermutlich sogar das Klügste bei der Schwere der Verletzung, aber erst mal will ich die beiden neuen Entzündungsherde mit Medikamenten behandeln. Ich schneide keinem 38-jährigen ein Bein ab, das ich vielleicht noch retten kann.«

Mein Kopf ruckt entsetzt nach oben und dieses Mal weiche ich Scotts Blick nicht wieder aus, auch wenn er dadurch mit Sicherheit den perfekten Einblick auf meine gerade beginnende Panikattacke hat.

- Ende der Buchvorschau -

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