So hell wie der Mond - Nora Roberts - E-Book
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So hell wie der Mond E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Die große Templeton-Trilogie

Kate Powell erwacht eines Tages aus der trügerischen Unbeschwertheit ihres Lebens und entdeckt, dass ihre Vergangenheit ein dunkles Geheimnis birgt. Dieses Wissen verändert ihre Einstellung zu den geliebten Menschen in ihrer Umgebung und stachelt ihren Ehrgeiz an: Sie will beweisen, dass sie etwas Besonderes ist und setzt ab sofort all ihr Streben, all ihre Träume, all ihr Können in die beruflichen Erfolge – bis die Liebe einen dramatischen Tribut fordert …

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Buch

Nach dem Tod ihrer Eltern kam die lebhafte Kate Powell als kleines Mädchen zu ihren Verwandten – den Templetons –, die sich ihrer annahmen und sie wie eine zweite Tochter großzogen. Um ihnen diese Großzügigkeit zurückzahlen zu können, gilt als Erwachsene all ihr Streben dem beruflichen Erfolg. Schon fast am Ziel ihrer Träume angekommen, fällt die junge Frau einer Intrige zum Opfer und verliert alles. Doch Margo und Laura, die Freundinnen ihrer Kindheit, stehen zu ihr. Ihre grenzenlose Zuneigung hilft Kate, sich ein neues Leben aufzubauen. Und auch die Liebe lässt trotz der schweren Zeit nicht lange auf sich warten …

Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 500 Millionen Exemplaren überschritten. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

Unter dem Namen J.D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet und www.twitter.com/BlanvaletVerlag

Nora Roberts

So hell wie der Mond

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Holding the Dream« bei Jove Books, The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Putnam Inc., New York. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 1997 by Nora Roberts Published by Arrangement with Eleanor Wilder Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover. Copyright © 1999 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (webnique; Gordan; agsandrew)LH ∙ Herstellung: wag Satz und E-Book: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-09923-7V003 www.blanvalet.de

Liebe Leserinnen und Leser!

Einer der schönsten Aspekte der Arbeit als Schriftstellerin ist der, dass man – während man das Buch schreibt – jemand anderer wird. Um gut zu schreiben, muss man in den Körper und die Persönlichkeit eines anderen Menschen schlüpfen. In So hoch wie der Himmel verwandelte ich mich in die prachtvolle, schillernde und zugleich mutige Margo Sullivan. Kein schlechtes Geschäft.

In So hell wie der Mond, dem zweiten Buch meiner Traumtrilogie, wurde ich Kate Powell, die, im Alter von acht Jahren verwaist, von den Templetons aufgenommen worden war und geschworen hatte, niemals eine Enttäuschung für sie zu sein. Sie ist eine scharfsinnige, intelligente, knabenhafte Frau mit einem Sinn für Mathematik. Da ich selbst auf der Highschool in Algebra eine vollkommene Niete war, sah ich dies als eine besondere Herausforderung an.

Es hat mir Spaß gemacht, mich in dieser Geschichte in Kate hineinzuversetzen, ihr Herz und ihren Verstand zu erforschen, dafür zu sorgen, dass sich ihre enge und liebevolle Beziehung zu Margo und Laura weiterentwickelte. Ich fand es spannend zu beobachten, wie sie im Schönen Schein, dem einzigartigen kleinen Laden, den sie und ihre Seelenschwestern gegründet haben, eine aktivere Rolle übernahm. Und natürlich hat es mir besondere Freude gemacht, mit anzusehen, wie sich ihre Romanze mit dem gut aussehenden Hotelier Byron de Witt Schritt für Schritt entwickelte. Ich hielt ihn für einen Mann, der selbst unsere praktisch veranlagte Kate dazu bewegen konnte, zu vergessen, dass zwei und zwei stets vier ergibt.

Hoffentlich wird es Ihnen ein ebensolches Vergnügen bereiten wie mir, mitzuverfolgen, wie sich Kates Leben und Bedürfnisse verändern, während sie mit dem Verlust eines Traumes kämpft und die Entstehung eines anderen erlebt.

Nora Roberts

Für meine Familie

1

Ihre Kindheit war eine Lüge gewesen.

Ihr Vater ein gemeiner Dieb.

Innerlich kämpfte sie mit diesen beiden Tatsachen, die zu absorbieren, zu analysieren und zu akzeptieren ihr beinahe unmöglich war. Kate Powell hatte sich selbst zu einer beherzten Frau erzogen, die sich die Erreichung ihrer Ziele hartnäckig Schritt für Schritt erarbeitete. Schwanken kam nicht infrage. Abkürzungen nahm man nicht hin. Erfolg gab es erst nach Planung, Schweiß und Anstrengung.

Das, hatte sie stets geglaubt, war sie, ein Produkt ihres Erbes, ihrer Erziehung und der strengen Maßstäbe, nach denen sie sich selbst beurteilte.

Wenn ein Kind in jungen Jahren beide Eltern verlor, also der Verlust von Vater und Mutter sein Leben regierte – dann schien es, als würde es durch nichts mehr so leicht aus dem Gleichgewicht gebracht.

Aber das stimmte nicht, erkannte Kate, als sie – immer noch wie gelähmt vor Schreck – hinter ihrem aufgeräumten Schreibtisch in ihrem aufgeräumten Büro bei Bittle und Partnern saß.

Auf die frühe Tragödie waren wunderbare Segnungen gefolgt. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte eine andere Familie sie aufgenommen. Die ziemlich entfernte Verwandtschaft hielt Thomas und Susan Templeton nicht davon ab, sie liebevoll zu integrieren, ihr Heim und Liebe zu schenken. Sie hatten ihr alles gegeben, ohne Vorbehalt.

Dabei mussten sie es sicherlich gewusst haben, erkannte sie, ganz sicherlich, und zwar immer schon.

Auch schon, als sie sie nach dem Unfall aus dem Krankenhaus holten, trösteten und mit der Versicherung der Dazugehörigkeit in ihr Haus brachten.

Sie hatten sie ans andere Ende des Kontinents nach Kalifornien geholt. Auf die geschwungenen Klippen von Big Sur. Nach Templeton-House.

Dort, in dem prachtvollen Heim, das ebenso elegant und einladend war wie die Templeton-Hotels, durfte sie Teil ihrer Familie sein.

Sie hatten ihr Laura und Josh, ihre Kinder, als Geschwister geschenkt – nicht zu vergessen Margo Sullivan, die Tochter der Wirtschafterin, die bereits vor Kate mit den eigenen Sprösslingen heranwuchs.

Dann kamen Kleider und Essen, eine Erziehung und zahlreiche Privilegien hinzu. Sie hatten sie Regeln und Disziplin gelehrt und sie ermutigt, ihre Träume zu verwirklichen. Obendrein brachte man ihr Liebe und Stolz auf die Familie bei.

Doch von Anfang an hatten sie gewusst, was ihr über zwanzig Jahre hinweg unbekannt geblieben war.

Ihren Vater hatte man des Diebstahls bezichtigt, angeklagt wegen Veruntreuung. Damals vergriff er sich an den Geldern seiner Kunden, und einzig der Tod bewahrte ihn vor Schande, Ruin und Verurteilung.

Vielleicht hätte sie es niemals erfahren, wäre nicht aufgrund einer Grille des Schicksals ein alter Freund von Lincoln Powell an diesem Morgen in ihrem Büro aufgetaucht.

Er freute sich unglaublich über die Begegnung mit ihr, erinnerte sich noch lebhaft an die kleine Katie. Es hatte ihr das Herz gewärmt, dass jemand sie noch von früher kannte und deshalb mit seinen Angelegenheiten zu ihr kam, weil es alte Bande zwischen ihm und ihren Eltern gab. Sie hatte sich die Zeit genommen und mit ihm geschwatzt, auch wenn sie während der letzten Wochen vor dem fünfzehnten April, dem Abgabetermin sämtlicher Steuererklärungen, vor lauter Arbeit kaum noch Luft bekam.

Dort auf dem Besucherstuhl hatte er gesessen und in Erinnerungen geschwelgt. Seinerzeit habe er sie auf seinen Knien geschaukelt, dieser ehemalige Kollege, der in derselben Werbefirma arbeitete wie ihr Dad. Und deshalb hatte er erklärt, er hoffe, da er nun eine eigene Firma in Kalifornien besaß, sie als Steuerberaterin für das Unternehmen zu gewinnen. Sie hatte ihm gedankt und in ihre Erkundigungen nach seinem Geschäft und seinen finanziellen Verhältnissen Fragen nach ihren Eltern eingestreut.

Dann war sie verstummt, hatte einfach kein Wort mehr herausgebracht, als er wie beiläufig die gegen ihren Vater erhobenen Vorwürfe erwähnte: wie schrecklich, dass ihr Dad gestorben sei, ehe er eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung erhielt.

»Er hatte die Gelder nicht wirklich gestohlen, sondern sie lediglich ausgeborgt. Natürlich war das falsch. Ich habe mich immer ein wenig verantwortlich gefühlt, weil ich derjenige war, der ihm von dem Immobiliengeschäft erzählte und ihn überredete, sich daran zu beteiligen. Ich wusste nicht, dass er sein Kapital bereits vorher durch Fehlspekulationen verloren hatte. Bestimmt hätte er das Geld zurückgezahlt. Linc war eigentlich recht raffiniert. Trotzdem störte es ihn immer ein wenig, dass sein Cousin auf so großem Fuß leben konnte, während er kaum über die Runden kam.«

Und der Mann – jemine, nicht einmal seinen Namen wusste sie mehr, denn einzig seine schrecklichen Worte hatten sich ihr eingebrannt – grinste dabei auch noch unbekümmert.

Die ganze Zeit, während sich dieser Fremde lang und breit über ihren Dad ausließ, hatte sie wortlos dagesessen und dazu genickt, wie er den Boden unter ihren Füßen beseitigte.

»Der Name Tommy Templeton stieß ihm immer sauer auf. Seltsam, wenn man bedenkt, dass am Ende er derjenige war, der dich großzog. Aber Linc hat es nie böse gemeint, Katie, bloß zu draufgängerisch. Er hatte nie eine Chance, sich zu beweisen, und wenn du mich fragst, ist das das wahre Unglück gewesen.«

Das wahre Unglück, dachte Kate, wobei sich ihr Magen schmerzlich zusammenzog. Er hatte gestohlen, weil er Geld überbewertete und den einfachsten Weg zum vermeintlichen Reichtum gegangen war. So wurde er also zum Dieb, dachte sie jetzt. Zum Betrüger, der am Ende sogar die Justiz austrickste, indem er mit seinem Wagen auf eisiger Fahrbahn Vollgas gab. Seine Frau hatte er mit sich in den Tod gerissen und seine Tochter zur Waise gemacht.

Daraufhin hatte das Schicksal ausgerechnet den Mann zu ihrem zweiten Vater erwählt, der von ihrem leiblichen Vater stets beneidet worden war. Durch seinen Tod wurde sie gleichsam eine Templeton.

War es vielleicht Absicht gewesen?, überlegte sie. Stand es so verzweifelt um ihn, dass er vorsätzlich sein Ende herbeigeführt hatte? Sie konnte sich kaum noch an ihn erinnern, einen dünnen, bleichen, nervösen, leicht reizbaren Menschen.

Ein Mann mit großen Plänen, dachte sie jetzt. Nicht zuletzt wegen seiner farbenfrohen Fantasien haftete er noch in ihrem Gedächtnis – seine Träume von großen Häusern, schönen Autos, lustigen Reisen nach Disney World.

Und die ganze Zeit über hatten sie in einer winzigen Unterkunft gelebt, die sich nicht unterschied von all den anderen Häuschen in ihrer Siedlung, hatten eine alte Limousine gefahren, die klapperte und ratterte, ohne dass sie sie auch nur ein einziges Mal tatsächlich auf große Fahrt trug.

Also entschloss er sich zu stehlen und wurde erwischt, ehe er zugrunde ging.

Was hatte ihre Mutter wohl getan, überlegte Kate. Was hatte sie gefühlt? War dies der Grund, weshalb sich Kate an sie vor allem als an eine Frau mit besorgtem Blick und irgendwie gezwungenem Lächeln erinnerte?

Hatte er vorher auch schon krumme Dinger gedreht? Bei diesem Gedanken wurde ihr eiskalt. Bloß, dass es nicht aufgefallen war? Ein wenig hier, ein wenig dort, bis die Pferde mit ihm durchgingen.

Sie erinnerte sich an Streit, meistens wegen Geld. Und, schlimmer noch, an die Stille im Anschluss an jede Auseinandersetzung. An die Stille in jener Nacht, eine schwere, schmerzliche Stille, die den Wagen erfüllte, ehe er plötzlich ins Schleudern geriet, ehe die Luft von Schreien widerhallte.

Es fröstelte sie, Kate schloss die Augen, ballte die Fäuste und kämpfte gegen einen dröhnenden Kopfschmerz an.

Nur der Himmel wusste, wie teuer ihr die Erinnerung an die Eltern war. Sie ertrug es nicht, dass diese Erinnerung nun befleckt wurde. Voll entsetzter Scham wies sie es von sich, die Tochter eines Betrügers zu sein.

Vielleicht lagen die Dinge ja auch anders, zumindest nicht so banal. Sie atmete langsam ein und wandte sich ihrem Computer zu. Mit mechanischer Effizienz klinkte sie sich in die Bibliothek von New Hampshire ein, wo sie auf die Welt gekommen war und die ersten acht Jahre ihres Lebens verbracht hatte.

Es kostete sie Zeit und Entschlossenheit, aber sie bestellte Kopien von Zeitungen aus dem Unfalljahr und erbat Auskunft über jeden Artikel, der Lincoln Powell erwähnte. Während sie wartete, kontaktierte sie den Anwalt im Osten, der damals den Verkauf des elterlichen Hauses tätigte.

Kate war ein echter Computer-Freak. Innerhalb einer Stunde hatte sie alles, was sie brauchte, schwarz auf weiß ausgedruckt. Sämtliche Einzelheiten standen dort, Einzelheiten, die ihr die von dem Anwalt übermittelten Fakten bestätigten.

Die Anschuldigungen, die Vorladung, der Skandal. Ein Skandal, so erkannte sie, den die Medien nur deshalb aufgriffen, weil Lincoln Powell mit den Templetons verwandtschaftlich zusammenhing. Die fehlenden Gelder hatten nach der Beerdigung genau die Menschen stillschweigend ersetzt – Kate war davon überzeugt –, die auch die Tochter im Kreis der Familie willkommen hießen.

Die Templetons, dachte sie, hatten wortlos die Verpflichtungen übernommen – und das Kind. Boten ihr über Jahre hinweg echte Geborgenheit.

Allein in ihrem stillen Büro legte sie den Kopf auf die Schreibtischplatte und brach in Tränen aus. Weinte und weinte, bis sie vollkommen ermattet war. Nachdem der Strom endlich versiegte, nahm sie Pillen gegen den Kopfschmerz und Tabletten gegen das Brennen in ihrem Magen. Als sie ihre Aktentasche ergriff, sagte sie sich, dass sie die Vergangenheit am besten auf sich beruhen ließ. Einfach begrub. Ebenso wie man ihren Vater und ihre Mutter begraben hatte.

Diese Geschichte konnte sie nicht mehr bereinigen. Sie war immer noch dieselbe Frau, versicherte sie sich, wie heute Vormittag. Aber sie merkte, dass sie die Tür ihres Büros nicht zu öffnen wagte, dass ihr die Vorstellung, auf dem Korridor einem Kollegen zu begegnen, unerträglich war. Also setzte sie sich wieder hin, machte die Augen zu und suchte Trost in positiven Erinnerungen. In einer Vision von Familie und Tradition. In ihrer eigenen Stärke, den persönlichen Fähigkeiten und dem Vertrauen, zu dem man sie erzogen hatte.

Mit sechzehn hatte sie neben dem normalen Unterrichtspensum eine Reihe zusätzlicher Kurse belegt, wodurch sie ein Jahr vor ihren Klassenkameraden die Schule abschloss. Da das jedoch als Herausforderung noch nicht genügte, hatte sie obendrein cum laude graduiert. Ihre Dankesrede legte sie sich bereits Monate vorher im Geiste zurecht.

Ihre Aktivitäten außerhalb der regulären Unterrichtsfächer hatten das Amt der Verwalterin der Klassenkasse, die Präsidentschaft des Matheclubs und einen festen Platz in der Baseballmannschaft umfasst. Sie hatte die Hoffnung gehegt, auch in der folgenden Saison dabei zu sein; aber seinerzeit wollte sie sich ganz auf die Vorbereitung der Mathematikprüfung konzentrieren.

Schnell hatte sie erkannt, dass der Umgang mit Zahlen ihre besondere Stärke war. Und die logische Kate fasste bereits damals den Entschluss, eine Karriere anzustreben, bei der dieses Talent zur Geltung kam. Hätte sie erst einmal ihren MBA in der Tasche – höchstwahrscheinlich schriebe sie sich zu diesem Zweck ebenso wie Josh in Harvard ein –, dann machte sie Karriere als Buchhalterin, und zwar auf höchster Ebene!

Es war ihr egal, wenn Margo ihre Ziele als langweilig bezeichnete. Kate kannte ihre Begabung. Sie würde sich und allen, die ihr wichtig waren, beweisen, dass sie alles, was ihr zuteil geworden war, bestmöglich zu nutzen verstand.

Da ihre Augen brannten, hatte sie ihre Brille abgesetzt und sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurückgelehnt. Es war wichtig, so hatte sie bereits als Sechzehnjährige gewusst, dass man dem Verstand hin und wieder eine Pause gönnen musste, wenn man auf der Höhe bleiben wollte. Und da es Zeit für eine dieser Pausen gewesen war, hatte sie sich gemütlich in ihrem Zimmer umgesehen.

Die Veränderungen, die sie auf Drängen der Templetons anlässlich ihres sechzehnten Geburtstags in dem Raum vornehmen sollte, hatten zu ihr gepasst. In den schlichten Pinienregalen über ihrem Schreibtisch arrangierte sie ihre Bücher und Arbeitsmaterialien. Der Schreibtisch selbst war ein Prunkstück, ein echter Chippendale mit tiefen Schubladen und hübschen Verzierungen. Man hatte bereits das Gefühl von Erfolg, wenn man nur daran arbeitete.

Sie wollte weder kitschige Tapeten noch Rüschenvorhänge. Dezente Streifen an den Wänden und einfache Jalousien hatten ihr genügt. Da sie jedoch das Bedürfnis ihrer Tante, jeden zu verwöhnen, der ihr nahestand, sehr wohl begriff, hatte sie neben den praktischen Accessoires ein verschnörkeltes, dunkelgrünes Sofa ausgewählt. Hin und wieder hatte sie sich sogar darauf ausgestreckt, wenn sie zu ihrem Vergnügen ein Buch in die Hände nahm.

Ansonsten war der Raum so funktional eingerichtet, wie es ihrem Wesen entsprach.

Gerade als sie die Nase wieder in die Bücher hatte stecken wollen, hatte es an der Tür geklopft. Ihre Reaktion war lediglich unwirsches Knurren.

»Kate!« Die Hände in die Seiten ihres eleganten Twinsets gestützt hatte sich Susan Templeton neben ihr aufgebaut. »Was soll ich bloß mit dir machen?«

»Ich bin gleich fertig«, hatte Kate geantwortet. Der Duft des Parfüms ihrer Tante war ihr in die Nase gestiegen, und sie hatte aufgeblickt. »Halbjahreszeugnisse. Mathe. Morgen.«

»Als ob du nicht genug darauf vorbereitet wärst.« Susan hatte sich auf das Bett gesetzt und ihre Nichte gemustert. Die riesigen, seltsam exotischen braunen Augen waren hinter der dick umrandeten Lesebrille versteckt. Das dunkle, glatte Haar hing ihr in kurzen Strähnen in die Stirn. Das Mädchen schnitt es jedes Jahr kürzer, hatte Susan seufzend festgestellt. Ein schlichter, grauer Jogginganzug bedeckte den langen, dünnen Körper. Während Susans Beobachtung hatte Kate die vollen Lippen halb schmollend, halb wütend zusammengepresst und die Stirn konzentriert in Falten gelegt.

»Falls es dir noch nicht aufgefallen ist«, hatte Susan angesetzt. »In zehn Tagen ist Weihnachten.«

»Hmm. Aber bald gibt es Halbjahreszeugnisse. Ich habe es gleich geschafft.«

»Es ist fast sechs.«

»Wartet nicht mit dem Essen auf mich. Ich möchte das hier erst noch fertig machen.«

»Kate.« Susan war aufgestanden und hatte Kate die Brille von der Nase gezerrt. »Josh ist aus dem College gekommen. Die ganze Familie wartet auf dich. Wir wollen endlich den Weihnachtsbaum schmücken, falls du nichts dagegen hast.«

»Oh.« Kate hatte blinzelnd versucht, sich von den Formeln zu lösen, mit denen sie sich gerade beschäftigte. Ihre Tante hatte sie reglos angesehen. »Tut mir leid. Das habe ich total vergessen. Wenn ich diese Arbeit in den Sand setze …«

»Dann wird die Welt, wie wir sie kennen, untergehen! Ich weiß.«

Kate hatte ihre Schultern kreisen lassen und gegrinst. »Ich schätze, dass ich ein paar Stunden erübrigen kann. Wenn auch nur dieses eine Mal.«

»Wir fühlen uns geehrt.« Susan hatte Kates Brille auf den Tisch gelegt. »Und zieh dir etwas an die Füße, Kate.«

»Okay. Ich bin sofort unten!«

»Ich kann es kaum glauben, dass ich so etwas zu einem meiner Kinder sage …« Susan hatte sich bereits zum Gehen gewandt. »Aber wenn du auch nur eins dieser Bücher wieder aufschlägst, kriegst du es mit mir zu tun.«

»Sehr wohl, Ma’am.« Kate war an ihren Schrank getreten und hatte sich ein Paar Socken von einem ordentlichen Stapel genommen, unter dem ihr heimlicher Vorrat an Appetitanregern lag; trotz deren regelmäßiger Einnahme blieb sie leider Haut und Knochen. Nachdem sie die Socken angezogen hatte, schluckte sie noch ein paar Aspirin gegen den heraufziehenden Kopfschmerz und öffnete eilig die Tür ihres Zimmers.

»Wurde auch langsam Zeit«, hatte Margo am oberen Ende der Treppe geflötet. »Josh und Mr T. hängen bereits die Lichterketten auf.«

»Was sicher wieder Stunden dauern wird. Du weißt doch, wie gerne sie darüber streiten, ob man im Uhrzeigersinn oder andersherum anfangen soll.« Sie hatte den Kopf auf die Seite gelegt und Margo prüfend angesehen. »Warum, zum Teufel, hast du dich bloß so aufgedonnert, wenn ich fragen darf?«

»Ich habe mich nicht aufgedonnert, sondern lediglich festliche Garderobe angelegt.« Margo hatte den Rock des roten Kleides glatt gestrichen und selbstzufrieden auf den tiefen Ausschnitt des Oberteils geblickt, unter dem der Ansatz ihres vollen Busens vorteilhaft zur Geltung kam. Außerdem hatte sie sich in hochhackige Pumps gezwängt, da Josh unbedingt ihre wohlgeformten Beine sehen und erkennen sollte, dass sie zur Frau herangewachsen war. »Im Gegensatz zu dir ziehe ich zum Schmücken des Weihnachtsbaums eben nicht meine ältesten Lumpen an.«

»Zumindest ist mein Jogginganzug bequem«, hatte Kate verächtlich festgestellt. »Außerdem hast du schon wieder was von Tante Susies Parfüm stibitzt.«

»Habe ich nicht.« Margo hatte das Kinn gereckt und mit tastenden Händen ihre Frisur geprüft. »Sie hat mir einen Spritzer davon angeboten.«

»He«, hatte Laura vom Fuß der Treppe zu ihnen hinaufgebrüllt. »Wollt ihr beide den ganzen Abend da oben stehen bleiben und streiten?«

»Wir streiten nicht. Wir gratulieren einander zu unserem Aussehen.« Kichernd hatte sich Kate den Stufen zugewandt.

»Dad und Josh haben ihre Diskussion über die Lichterketten fast beendet.« Mittlerweile spähte Laura durch die geräumige Eingangshalle in Richtung des Wohnzimmers. »Jetzt sitzen sie zusammen und haben sich jeder eine Zigarre angesteckt.«

»Josh raucht eine Zigarre?« Bei der Vorstellung hatte Kate verächtlich geschnaubt.

»Schließlich ist er inzwischen ein Harvard-Mann«, hatte Laura in übertrieben affektiertem Neuengland-Akzent erklärt. »Du hast Ringe unter den Augen.«

»Und deine Augen strahlen wie der Sternenhimmel«, hatte Kate geantwortet. »Außerdem hast du dich genau wie Margo total herausgeputzt.« Verärgert betrachtete sie ihr eigenes Sweatshirt. »Was ist bloß mit euch los?«

»Peter kommt nachher noch vorbei.« Laura hatte in den Flurspiegel gesehen, um zu überprüfen, wie ihr elfenbeinfarbenes Wollkleid saß. Ihr war verborgen geblieben, dass sowohl Margo als auch Kate bei der Nennung des Namens zusammenfuhren. »Nur für eine Stunde oder so. Ich kann es kaum erwarten, dass endlich die Winterferien anfangen. Dann noch die zweite Hälfte des Schuljahres, und ich bin frei!« Selig hatte sie die Freundinnen angestrahlt. »Ich sage euch, diese Winterferien werden schöner als je zuvor. Ich habe es im Gefühl, dass Peter mich bitten wird, ihn zu heiraten.«

»Was?«, hatte Kate entsetzt gequietscht.

»Leise.« Eilig hatte Laura den blau-weiß gefliesten Boden in Richtung der Freundinnen überquert. »Ich möchte nicht, dass Mom und Dad etwas davon erfahren. Zumindest jetzt noch nicht.«

»Laura, du kannst unmöglich ernsthaft in Erwägung ziehen, Peter Ridgeway zu heiraten! Du kennst ihn kaum, und außerdem bist du gerade mal siebzehn Jahre alt.« Margo hatte gleich eine Million Gründe gegen Lauras Heirat mit Peter vorgebracht.

»In ein paar Wochen werde ich achtzehn. Außerdem ist es bisher ja nur so ein Gefühl. Versprecht mir, dass ihr dichthalten werdet, ja?«

»Aber sicher.« Kate hatte den Fuß der geschwungenen Treppe erreicht. »Aber du wirst doch wohl nichts Unüberlegtes tun?«

»Sieht mir das ähnlich?« Lächelnd hatte Laura Kate die Hand getätschelt und gesagt: »Aber jetzt gehen wir besser endlich rein.«

»Was findet sie bloß an dem Kerl?« , hatte Kate gemurmelt, als Margo neben sie getreten war. »Er ist uralt.«

»Er ist siebenundzwanzig«, hatte Margo ihr voller Sorge zugestimmt. »Aber er ist ein Bild von einem Mann, behandelt sie wie eine Prinzessin und hat …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Stil.«

»Ja, aber …«

»Pst.« Margo entdeckte ihre Mutter, die mit einem Servierwagen voller heißer Schokolade den Flur herunterkam. »Wir wollen den anderen doch nicht den Abend verderben. Also unterhalten wir uns später darüber, ja?«

Ann Sullivan hatte ihre Tochter stirnrunzelnd angesehen. »Margo, ich dachte, das Kleid wäre für Weihnachten.«

»Ich bin bereits in Weihnachtsstimmung«, hatte Margo fröhlich geantwortet. »Lass mich den Wagen nehmen, Mum.«

Alles andere als zufrieden hatte Ann beobachtet, wie ihre Tochter mit dem Servierwagen im Wohnzimmer verschwand. »Miss Kate«, hatte sie dann gemahnt. »Du arbeitest schon wieder zu viel. Deine Augen sind ganz rot. Ich möchte, dass du nachher ein paar Gurkenscheiben drauflegst. Und wo sind deine Pantoffeln, wenn ich fragen darf?«

»In meinem Schrank.« Kate wusste, dass die Schelte der Wirtschafterin nur ihrer Sorge um die Mädchen entsprang, und hakte sich bei ihr unter. »Jetzt kommen Sie, Annie, und regen sich nicht mehr auf! Schließlich schmücken wir gleich alle zusammen den Weihnachtsbaum. Erinnern Sie sich noch an die Engel, die Sie früher mit uns zusammen gebastelt haben?«

»Wie soll ich das je vergessen, nachdem von euch dreien dabei ein derartiges Durcheinander veranstaltet worden ist? Und Mr Josh hat euch gemeinerweise ausgelacht und dann noch die Köpfe von Mrs Williamsons Ingwermännern abgebissen.« Sie hatte Kate eine Hand an die Wange gelegt. »Und inzwischen seid ihr alle groß. In Zeiten wie diesen vermisse ich meine kleinen Mädchen, mit denen es immer so viel zu unternehmen gab.«

»Wir werden immer Ihre kleinen Mädchen sein, Annie.« In der Tür zum Wohnzimmer machten sie halt, um sich die Szene anzusehen.

Allein der Anblick hatte ausgereicht, dass Kate den Mund zu einem Lächeln verzog. Vor den großen Fenstern an der Vorderfront hatte der bereits mit Lichtern geschmückte, gut drei Meter hohe Baum geprangt, und auf dem Boden lagen zahlreiche geöffnete Schachteln mit Christbaumschmuck verstreut. In dem mit Kerzen und frischem Grün dekorierten marmornen Kamin hatte ein gemütliches Feuer geprasselt und den Duft von Apfelholz und Pinienaroma verströmt.

Wie liebte sie doch dieses Haus, hatte sie gedacht. Wenn sie mit dem Schmücken fertig wären, hätte jedes Zimmer genau den richtigen Hauch von festlicher Vorfreude. Eine mit Pinienzapfen gefüllte georgianische Silberschale würde von Kerzen flankiert. Die Fensterbänke wären mit leuchtend roten Weihnachtssternen in goldumrandeten Töpfen ausgestattet. Die schimmernden Mahagonitische in der Eingangshalle wären mit zarten Porzellanengeln verziert, und auf dem Stutzflügel bekäme wie immer der alte viktorianische Weihnachtsmann seinen Ehrenplatz.

Sie konnte sich noch genau an ihr erstes Weihnachten auf Templeton erinnern. Wie ihr ob all der Pracht regelrecht schwindlig, wie ihr, eingehüllt in all die Wärme, langsam leichter ums Herz geworden war.

Inzwischen hatte sie mehr als die Hälfte ihres Lebens hier verbracht und war längst integriert.

Am liebsten hätte sie diesen Augenblick für immer in ihr Herz gebrannt, dafür gesorgt, dass sich niemals etwas änderte. Die Art, wie das Licht des Feuers in Tante Susies Augen schimmerte, als sie lachend zu Onkel Tommy sah – die Art, in der er ihre Hände nahm und hielt. Was für ein perfektes Paar, hatte sie damals schon gedacht, diese schöne, zarte Frau und dieser große, elegante Mann.

Im Hintergrund erklang leise Weihnachtsmusik. Laura hatte vor einer der Schachteln gekniet, eine rote Glaskugel herausgenommen, sie sich angesehen und zurückgelegt. Margo hatte dampfende Schokolade aus einer Silberkanne eingeschenkt und gegenüber Josh ihre Flirttechnik zu vervollkommnen versucht. Er wiederum hatte auf einer Leiter gestanden und grinsend auf sie herabgesehen.

Sie hatten hervorragend in diesen von schimmerndem Silber, blitzendem Glas, poliertem altem Holz und weichen Stoffen angefüllten Raum gepasst. Und sie hatten alle zusammengehört.

»Sind sie nicht alle wunderschön, Annie?«, hatte sie gerührt gefragt.

»Allerdings. Genau wie du.«

Nein, nicht wie ich, hatte Kate gedacht, ehe sie ebenfalls eintrat.

»Da ist ja endlich mein Katie-Schatz!« Thomas hatte sie angestrahlt. »Hast du also endlich mal die Bücher aus der Hand gelegt?«

»Wenn du es schaffst, einen Abend lang nicht ans Telefon zu gehen, kann ich auch einen Abend lang das Lernen unterbrechen.«

»Wenn der Baum geschmückt wird, muss die Arbeit eben ruhen«, hatte er zwinkernd geantwortet. »Und ich denke, dass ich die Führung der Hotels wenigstens für heute ruhig anderen überlassen kann.«

»Obwohl sie dann sicher schlechter geführt werden als von Tante Susie und dir.«

Margo hatte Kate mit hochgezogenen Brauen eine Tasse heißen Kakaos gereicht. »Scheint ganz so, als hätte es da jemand auf ein zusätzliches Weihnachtsgeschenk abgesehen. Ich hoffe nur, dass du nicht tatsächlich diesen blödsinnigen Computer haben willst.«

»Ohne Computer kommt man inzwischen nirgendwo mehr aus. Stimmt’s nicht, Onkel Tommy?«

»Man kann kaum noch ohne sie leben. Obwohl ich froh bin, dass bald eure Generation das Ruder übernimmt, denn ich muss gestehen, dass mir diese verdammten Dinger einfach zuwider sind.«

»Trotzdem wirst du auf Dauer nicht darum herumkommen, das System im Verkaufsbereich aufzurüsten«, hatte sich Josh in die Unterhaltung eingemischt, während er von der Leiter kletterte. »Schließlich besteht kein Grund, all die Arbeit selbst zu machen, wenn es dafür eine Maschine gibt.«

»Da spricht der wahre Hedonist«, hatte Margo grinsend festgestellt. »Aber, Josh, sei lieber vorsichtig. Nicht, dass du dann tatsächlich irgendwann tippen lernen musst. Kaum auszudenken: Joshua Conway Templeton, zukünftiger Erbe des Templeton-Imperiums, erwirbt tatsächlich eine nützliche Fähigkeit.«

»Hör zu, Herzogin.«

»Schluss damit«, hatte Susan die sauertöpfische Antwort ihres Sohnes abgewehrt. »Denkt bitte daran, dass heute niemand mehr die Arbeit erwähnen soll. Margo, sei bitte so nett und reich Josh den Baumschmuck hoch. Kate, du übernimmst zusammen mit Annie diese Seite des Baums. Laura, du und ich, wir fangen hier drüben an.«

»Und was ist mit mir?«, hatte Thomas gekränkt gefragt.

»Du tust, was du am besten kannst, mein Schatz. Du passt auf, dass alles klappt.«

Wie in jedem Jahr hatte ihnen das bloße Aufhängen des Schmuckes nicht gereicht. Jedes der Teile hatten sie sich einzeln angesehen, zu jedem der Teile hatte jemand etwas erzählt. Der Kopf der hölzernen Elfe, die Margo Josh in einem Jahr an den Kopf geworfen hatte, war mit Klebstoff befestigt. Von dem gläsernen Stern hatte Laura jahrelang geglaubt, dass er von ihrem Vater extra für sie vom Himmel gepflückt worden war. Die gehäkelten Schneeflocken hatte Annie für die Mitglieder der Familie einzeln angefertigt. Den Filzkranz mit der Silberschleife hatte Kate unter großen Mühen selbst genäht.

Zweig um Zweig hängten sie also das Einfache und Gemütliche neben den unbezahlbaren, alten Schmuck, den Susan in aller Welt zu sammeln pflegte, und am Ende warteten sie mit angehaltenem Atem darauf, dass Thomas die Lampen löschte und der Zauber des Baumes seine Wirkung tat.

»Er ist wunderschön – immer ist er das«, hatte Kate gemurmelt und ergriffen Lauras Hand gepackt.

Spät in jener Nacht war Kate, da sie nicht schlafen konnte, lautlos in den Salon zurückgekehrt, hatte es sich auf dem Teppich unter dem Baum bequem gemacht und den Tanz der Lichter beobachtet.

Sie hatte schon immer gern den Geräuschen aus dem Haus gelauscht, dem Ticken der alten Standuhren, dem Seufzen und Murmeln des hölzernen Parketts, dem Knistern der Zweige im Kamin. Leiser Regen hatte gegen die Fenster gepocht, und der Wind summte dazu im Flüsterton.

Hier zu liegen hatte ihr einfach gutgetan. Die Aufregung über die bevorstehende Prüfung hatte sich gelegt. Und die ganze Familie befand sich warm und sicher zu Hause. Laura war von ihrer Ausfahrt mit Peter zurückgekehrt, und kurze Zeit später schlich auch Josh nach einer Verabredung leise in sein Zimmer.

Jeder war an seinem Platz.

»Falls du hoffst, dass du den Weihnachtsmann zu sehen bekommst, machst du dich besser auf eine längere Wartezeit gefasst.« Margo war auf nackten Füßen in den Raum gekommen und hatte sich neben Kate gelegt. »Du denkst hoffentlich nicht immer noch an die dämliche Mathearbeit?«

»Bald gibt es Halbjahreszeugnisse. Und wenn du ein bisschen mehr über deine eigenen Arbeiten nachdenken würdest, stündest du bestimmt überall ein bisschen besser da.«

»Schule ist etwas, das man über sich ergehen lassen muss.« Margo hatte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche ihres Morgenrocks geholt. Da alle anderen sicher in ihren Betten lagen, wollte sie sich heimlich ein paar Züge genehmigen. »Kannst du dir vorstellen, dass Josh mit dieser schielenden Leah McNee ausgeht?«

»Sie schielt nicht, Margo. Und außerdem hat sie keine schlechte Figur.«

Margo hatte eine Rauchwolke ausgestoßen und verächtlich geschnaubt. Jeder, der nicht mit völliger Blindheit geschlagen war, konnte erkennen, dass Leah, verglichen mit Margo Sullivan, kaum als Frau zu bezeichnen war. »Er geht nur deshalb mit ihr aus, weil sie leicht zu haben ist.«

»Und warum interessiert dich das?«

»Es interessiert mich ja gar nicht.« Sie hatte einen erneuten Zug von ihrer Zigarette genommen und beleidigt das Gesicht verzogen. »Es ist nur so furchtbar … gewöhnlich, finde ich. So werde ich ganz bestimmt niemals.«

Lächelnd hatte sich Kate der Freundin zugewandt. In ihrem blauen Morgenmantel, mit dem offenen, wallenden, blonden Haar hatte Margo hinreißend, verführerisch und äußerst elegant gewirkt. »Niemand würde je auf den Gedanken kommen, dir vorzuwerfen, dass du gewöhnlich bist. Starrsinnig, eingebildet, unhöflich und eine Nervensäge, wie sie im Buche steht – aber gewöhnlich entschieden nicht.«

Margo hatte die Brauen hochgezogen und gegrinst. »Auf dich ist einfach immer Verlass. Tja, aber da wir gerade von gewöhnlich sprechen, was meinst du, wie versessen Laura wirklich auf diesen Peter Ridgeway ist?«

»Ich weiß es einfach nicht.« Kate hatte an ihrer Unterlippe genagt. »Seit Onkel Tommy ihn hier beschäftigt, läuft sie die ganze Zeit seltsam verträumt durch die Gegend. Ich wünschte, er wäre immer noch für das Templeton Chicago zuständig.« Dann jedoch hatte sie mit den Schultern gezuckt. »Aber offenbar macht er seine Arbeit wirklich gut, sonst hätten Onkel Tommy und Tante Susie ihn sicher nicht hergeholt.«

»Dass er weiß, wie man ein Hotel führt, spielt keine Rolle. Mr und Mrs T. haben Dutzende von Hotelmanagern in der ganzen Welt. Er ist der Einzige, dessentwegen Laura bisher den Kopf verloren hat. Kate, wenn sie den heiratet …«

»Ja«, hatte Kate geseufzt. »Aber am Ende ist es ihre Entscheidung. Ihr Leben. Himmel, ich kann mir nicht vorstellen, weshalb sich irgendjemand derart an einen anderen Menschen binden will.«

»Das verstehe ich auch nicht.« Margo hatte ihre Zigarette ausgedrückt und sich genüsslich ausgestreckt. »Ich heirate niemals. Furore machen kann man auch ohne einen Ehemann.«

»Genau wie ich.«

Margo hatte Kate mit einem schiefen Blick bedacht. »Indem du als Zahlenmamsell arbeitest? Das ist ja wohl eher langweilig.«

»Du machst Furore auf deine Art, und ich mache Furore, wie ich es will. Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich bereits auf dem College sein.«

Margo hatte getan, als liefe ihr ein eisiger Schauder den Rücken hinab. »Was für eine grauenhafte Vorstellung!«

»Du wirst ebenfalls dort sein«, hatte Kate gnadenlos prophezeit. »Das heißt, wenn du nicht noch deine Abschlussprüfung versaubeutelst.«

»Wir werden sehen.« Margo hegte bereits damals keineswegs die Absicht, aufs College zu gehen. »Ich sage dir, wir finden Seraphinas Schatz, und dann machen wir endlich die Weltreise, von der wir immer geträumt haben. Ich will nach Rom und Athen, Paris, Mailand, London.«

»Wirklich beeindruckende Städte.« Kate war dort überall schon gewesen. Die Templetons hatten sie mitgenommen – und hätten auch Margo gern dabeigehabt, nur dass Ann es nicht erlaubte. »Eines Tages heiratest du sicher irgendeinen reichen Kerl, blutest ihn aus und reist dann mit seiner Kohle um die ganze Welt.«

»Keine schlechte Idee!« Amüsiert hatte Margo die Arme ausgestreckt. »Aber ich wäre lieber selbst reich und hätte statt eines Ehemanns eine Unzahl feuriger Liebhaber.« Als sie auf dem Flur ein Geräusch vernahmen, hatte sie den Aschenbecher eilig zwischen den Falten ihres Morgenmantels versteckt. »Laura.« Aufatmend hatte sie sich erhoben. »Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«

»Tut mir leid, ich konnte einfach nicht schlafen.«

»Gesell dich doch zu uns«, hatte Kate gesagt. »Wir planen gerade unsere Zukunft.«

»Oh!« Mit einem weichen, verstohlenen Lächeln hatte sich Laura auf den Teppich gekniet. »Das ist schön.«

»Einen Moment.« Margo hatte Lauras Kinn in die Hand genommen, sie prüfend angesehen und nach einem Augenblick gründlicher Musterung erleichtert festgestellt: »Okay, du hast es nicht mit ihm getan.«

Errötend hatte Laura Margo auf die Hand geklopft. »Natürlich nicht. Peter würde mich niemals bedrängen.«

»Woher weißt du, dass sie es nicht getan hat?«, fragte Kate Margo damals verblüfft.

»So etwas sieht man Frauen einfach an. Ich denke nicht, dass du mit ihm schlafen solltest, Laura – aber wenn du ernsthaft in Erwägung ziehst, ihn zu heiraten, dann probierst du es besser vorher aus.«

»Sex ist doch kein Schuh, den man erst mal anprobiert«, hatte Laura gemurmelt.

»Aber auf alle Fälle sollte man sicher sein, dass er einem passt.«

»Diese Erfahrung hebe ich mir auf für meine Hochzeitsnacht.«

»Oha, jetzt hat sie wieder diesen entschiedenen Templeton-Ton.« Grinsend hatte Kate an einer von Lauras Locken gezupft. »Da ist wohl nichts zu machen. Aber hör einfach nicht auf Margo, Laura. Ihrer Meinung nach kommt Sex der endgültigen Erlösung gleich.«

Margo hatte sich eine weitere Zigarette angezündet und die Freundinnen angesehen. »Ich möchte wissen, was es geben soll, das besser ist.«

»Liebe«, hatte Laura verkündet.

»Erfolg«, gab Kate gleichzeitig von sich. »Tja, das ist mal wieder typisch für uns drei.« Sie hatte ihre Arme um die Knie geschlungen und zusammengefasst: »Margo wird eine Sexgöttin; du wirst ewig auf der Suche nach der wahren Liebe sein, und ich werde mir den Arsch aufreißen nach Erfolg. Was sind wir doch für ein trauriger Verein.«

»Ich bin bereits unsterblich verliebt«, präzisierte Laura ruhig. »Und ich möchte jemanden, der mich auch liebt, und Kinder. Ich möchte jeden Morgen aufwachen und wissen, dass ich meiner Familie ein Heim biete und sie glücklich mache. Und ich möchte jeden Abend neben einem Menschen einschlafen, dem ich vertrauen und auf den ich mich verlassen kann.«

»Und ich würde lieber abends neben jemandem liegen, der mich heiß macht.« Margo hatte gekichert, als Kate ihr unsanft zwischen die Rippen stieß. »War nur ein Scherz. Halbwegs. Ich will reisen und tausend Dinge tun. Jemand sein. Ich möchte wissen, dass es, wenn ich morgens aufwache, etwas Aufregendes zu erleben gibt. Und was auch immer es sein wird, will ich es in die Tat umsetzen.«

Kate hatte ihr Kinn auf ihre Knie gelegt. »Ich möchte das Gefühl haben, etwas geleistet zu haben«, ließ sie verlauten. »Die Dinge sollen so laufen, wie sie meiner Meinung nach richtig sind. Ich möchte morgens aufwachen und genau wissen, was ich als Nächstes tun werde und auch, wie es am besten zu bewerkstelligen ist. Als die Beste auf meinem Gebiet möchte ich gewährleisten, dass nichts vermasselt wird. Denn wenn das der Fall wäre, hätte ich das Gefühl, eine Versagerin zu sein.«

Ihre Stimme war heiser geworden, was sie peinlich berührte. »Herrje, ich scheine wirklich übermüdet zu sein.« Sie hatte sich die brennenden Augen gerieben, ohne die anderen anzusehen. »Ich muss ins Bett. Schließlich schreiben wir morgen gleich die erste Stunde die Mathearbeit.«

»… die du mit Leichtigkeit schaffen wirst.« Laura hatte sich ebenfalls erhoben und zum Gehen gewandt. »Also mach dir keine Gedanken, ja?«

»Du bist einfach unser Sorgenkind.« Aber gleichzeitig hatte Margo Kate begütigend den Arm getätschelt, nachdem auch sie wieder auf die Beine gekommen war. »Tja, lasst uns schlafen gehen.«

In der Tür war Kate noch einmal stehen geblieben, um in Richtung des Baums zurückzublicken. Schockiert hatte sie erkannt, dass ein Teil von ihr sich wünschte, sie könnte für alle Zeit in diesem Haus bleiben. Müsste sich niemals Gedanken machen über den nächsten Tag. Müsste niemals irgendwelchen Erfolgen nachjagen. Alles könnte so bleiben, wie es war.

Aber ihnen allen standen Veränderungen bevor, das lag damals in der Luft. Lauras verträumter Blick und Margos wilde Reden hatten es gezeigt. Entschieden löschte sie dann die Lichter. Die Zeit ließ sich nicht aufhalten. Also machte sie sich besser ebenfalls bereit.

2

Irgendwie überstand sie die Tage und die Nächte und den Job. Sie hatte keine andere Wahl, als mit dem neuen Wissen zurechtzukommen. Und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, dass es für sie niemanden zum Reden gab. Jedes Mal, wenn sie merkte, dass sie ins Wanken geriet und nach dem Telefonhörer greifen oder in ihr Auto steigen wollte, um hinauszufahren nach Templeton House, zwang sie sich, es nicht zu tun.

Kate konnte und würde mit ihrem Elend und ihren Ängsten nicht die Menschen belasten, deren liebevolle Zuneigung sie genoss. Sie würden ihr beistehen, das wusste sie genau. Aber dies war eine Last, die sie allein zu tragen hatte. Eine Last, die sich hoffentlich früher oder später in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins drängen ließ. Und schließlich würde sie in der Lage sein, die Sache ruhen zu lassen, sich nicht mehr genötigt fühlen, sie ans Tageslicht zu zerren, sie wieder und wieder von allen Seiten anzusehen.

Sie hielt sich für eine praktische, intelligente, starke Frau. In der Tat verstand sie nicht, wie ein Mensch stark sein sollte, wenn er nicht auch die ersten beiden Eigenschaften besaß.

Bisher hatte sie ihr Leben genau ihren Vorstellungen entsprechend geführt. Ihre Karriere nahm einen sicheren und, ja, auch intelligenten Verlauf. Bei Bittle und Partnern stand sie in dem Ruf, eine klar denkende, hart arbeitende Steuerberaterin zu sein, die komplexe Jahresabschlüsse anfertigte, ohne dass je ein Wort der Klage über ihre Lippen kam. Irgendwann bekäme sie als Lohn für ihre Mühe sicher die volle Partnerschaft. Das wäre die Bestätigung ihres erfolgreichen Werdegangs.

Kate hatte eine Familie, die sie liebte und die diese Liebe erwiderte. Und Freunde … nun, ihre besten Freunde waren die Mitglieder ihrer Familie. Und was könnte praktischer sein?

Sie betete sie an, hatte Kindheit und Jugend oberhalb der wilden, geschwungenen Klippen von Big Sur in Templeton House verbracht. Es gab nichts, was sie nicht tun würde für Tante Susie und Onkel Tommy, von denen sie als Tochter aufgenommen worden war. Niemals fiele sie ihnen, egal auf welche Art, zur Last. Was bedeutete, dass sie das, was ihr seit Wochen auf dem Herzen lag, auch weiterhin für sich behielt.

Nein, sie würde ihnen keine Fragen stellen, obgleich sie voll davon war. Auch Laura und Margo gegenüber spräche sie den Schmerz, das Problem niemals an, obgleich es bisher zwischen ihnen keine Heimlichkeiten gab.

Man müsste verdrängen, ignorieren, tun, als wäre nichts geschehen … das, so glaubte sie, würde für alle am besten sein.

Ihr Leben lang hatte sie sich stets darum bemüht, ihr Bestes zu tun, die Beste zu sein, ihre Familie stolz zu machen auf ihre Unternehmungen. Nun aber hatte sie das Gefühl, dass es noch mehr zu beweisen, noch mehr zu erreichen galt. Jeder Erfolg, der ihr bisher zuteil geworden war, ließ sich zurückführen auf den Augenblick, in dem sie sie in ihr Heim und ihre Herzen aufgenommen hatten. Also gelobte sie, nach vorn und nicht zurück zu sehen. Die Routine fortzuführen, die ihr Leben geworden war.

Unter normalen Umständen hätte man eine Schatzsuche sicher nicht als Routine angesehen. Aber wenn es um die Jagd nach Seraphinas Mitgift ging, wenn sie zusammen mit Laura und Margo und Lauras beiden Töchtern auf die Klippen kletterte, war es geradezu eine Mission.

Die Legende von Seraphina, dem unglückseligen jungen Mädchen, das vom Rand der Klippen gesprungen war, statt sich einem Leben ohne ihre große Liebe zu stellen, hatte sie alle drei schon immer fasziniert. Die schöne Spanierin hatte Felipe geliebt, ihn heimlich getroffen, war mit ihm bei Wind und Wetter über die Klippen spaziert. Dann war er in den Krieg gegen die Amerikaner gezogen, um sich ihrer würdig zu erweisen, hatte versprochen, er käme zurück, um sie zu heiraten und für alle Zeit mit ihr zusammen zu sein. Aber er war nie zurückgekehrt. Als Seraphina die Nachricht erhielt, dass er im Kampf gefallen war, hatte sie abermals die Klippen aufgesucht, am Rand ihrer Welt angekommen, und stürzte sich, von Trauer überwältigt, in die Tiefe.

Die Romantik, das Geheimnisvolle der Geschichte, übte schon immer einen Zauber auf die drei Frauen aus. Und natürlich hatte die Vorstellung, eines Tages die Mitgift zu finden, die Seraphina versteckte, ehe sie von den Klippen sprang, den Reiz des Ganzen noch erhöht.

Fast an jedem Sonntag trieb sich Kate mit einem Metalldetektor oder einem Spaten bewaffnet auf den Klippen herum. Seit Monaten, seit dem Morgen, an dem Margo an einem Wendepunkt in ihrem Leben eine einzelne Golddublone in die Hände gefallen war, hatten die Freundinnen ihre gemeinsame Suche aus Kindertagen fortgesetzt.

Oder vielleicht trafen sie sich weniger in der Hoffnung auf eine Truhe voller Gold als vielmehr aus dem schlichten Vergnügen am Zusammensein.

Es war beinahe Mai, und nach den nervenaufreibenden Wochen bis zum fünfzehnten April, dem genannten Abgabetermin, genoss Kate es besonders, endlich einmal wieder draußen in der Sonne zu sein. Genau das brauchte sie. Es half ebenso wie die Arbeit, die Akte zu vergessen, die in ihrer Wohnung verborgen war. Die Akte über ihren Vater, die sie sorgsam zusammengetragen hatte.

Es half, die Sorgen zu vergessen, den Schmerz und den Stress – den ihr die Überlegung verursachte, ob es richtig gewesen war, einen Detektiv mit Nachforschungen über einen einundzwanzig Jahre zurückliegenden Fall zu beauftragen.

Ihre Muskeln protestierten und sie schwitzte, als sie den Metalldetektor über ein paar Büsche schwang.

Sie dächte nicht darüber nach, versprach sie sich. Nicht heute, nicht an diesem Ort. Erst dann dächte sie wieder darüber nach, wenn sie den Bericht des Detektivs bekam. Dieser Tag gehörte ihr und der Familie.

Die angenehme Brise zerzauste ihr das kurze, schwarze Haar. Ihre Haut war leicht gebräunt, das Erbe des italienischen Zweigs der Familie ihrer Mutter, auch wenn die darunterliegende, von Margo als »Schreibstubenblässe« bezeichnete Kreidigkeit nicht zu übersehen war. Ein paar Tage in der Sonne, dachte sie, und schon wäre sie wieder fit.

Während der letzten Wochen hatte sie aufgrund der Hektik im Büro – und ja, wegen des Schocks der Entdeckung über das Sündenregister ihres Vaters – ein paar Pfund abgenommen, aber die legte sie sicher wieder zu. Bisher hatte sie noch stets die Hoffnung gehegt, dass sie eines Tages ein wenig Fleisch auf die dürren Knochen bekam.

Sie besaß weder Margos Größe oder femininen Körperbau noch Lauras anmutige Zerbrechlichkeit. Sie war, hatte Kate schon immer gedacht, durchschnittlich hübsch, zu dünn, mit einem kantigen Gesicht, das zu ihrem störrischen Körper passte.

Früher hätte sie gern Grübchen, ein paar charmante Sommersprossen oder dunkelgrüne statt so allgemein braune Augen gehabt. Aber bereits damals war sie zu praktisch gewesen, um lange über etwas nachzudenken, was sich ohnehin nicht ändern ließ.

Sie war intelligent und besaß einen ausgeprägten Sinn für Zahlen – alles, was sie brauchte, um erfolgreich zu sein.

Nun griff sie nach dem Krug Limonade, den Ann Sullivan ihnen mitgegeben hatte, nahm einen langen Schluck und sah stirnrunzelnd zu Margo hinüber.

»Willst du eigentlich den ganzen Nachmittag bloß herumsitzen, während wir anderen schuften wie die Maulesel?«

Den wohlgeformten Körper in die Freizeitkleidung von roten Leggins und einem passenden Hemd gehüllt streckte sich Margo Sullivan Templeton genüsslich auf ihrem Felsen aus. »Wir sind heute ein bisschen müde«, sagte sie und tätschelte sich den Bauch.

Kate stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Seit du herausgefunden hast, dass du schwanger bist, findest du ständig eine Entschuldigung, um zu faulenzen.«

Margo warf ihre langen blonden Haare über die Schulter zurück und sah die Freundin lächelnd an. »Josh möchte nicht, dass ich mich überanstrenge.«

»Da sehe ich auch keine Gefahr«, knurrte Kate erbost.

»Er findet eben einfach, ich sollte auf Nummer sicher gehen.« Zufrieden mit dem Leben im Allgemeinen und besonderen streckte Margo ihre langen, kerzengeraden Beine aus. »Er ist so süß und so aufmerksam und vollkommen außer sich vor Begeisterung. Himmel, Kate, wir haben tatsächlich ein Baby gemacht.«

Auch wenn der Gedanke, dass zwei der ihr liebsten Menschen einander in blinder Liebe verfallen waren und jetzt obendrein ihre eigene Familie gründeten, Kate durchaus gefiel, war sie traditionsgemäß dazu verpflichtet, Margo einen Dämpfer zu verpassen, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab. »Du könntest wenigstens ein bisschen elend aussehen, jeden Morgen brechen oder hin und wieder in Ohnmacht fallen, finde ich.«

»Mir ist es in meinem ganzen Leben noch nie bessergegangen.« Weil es stimmte, stand Margo endlich auf und nahm den Metalldetektor in die Hand. »Selbst mit dem Rauchen aufzuhören war das reinste Kinderspiel. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich eines Tages darauf freuen würde, Mutter zu werden. Und jetzt denke ich an nichts anderes mehr.«

»Du wirst sicher eine fantastische Mutter«, murmelte Kate.

»Und ob.« Margo sah in Richtung von Laura, die zusammen mit ihren beiden kleinen Mädchen kichernd in der Erde buddelte. »Schließlich habe ich hier einen Menschen, von dem ich einiges abgucken kann. Das letzte Jahr war die Hölle für sie, aber trotzdem hat sie nicht einen Augenblick geschwankt.«

»Vernachlässigung, Ehebruch, Scheidung«, zählte Kate leise auf, da sie nicht wollte, dass die unstete Brise ihre Worte zu den Kindern hinübertrug. »Nicht gerade das, was man als Amüsement bezeichnen würde. Aber die Mädchen haben ihr dabei geholfen, ihr Gleichgewicht zu bewahren. Und natürlich das Geschäft.«

»Ja. Apropos Geschäft …« Margo stellte den Detektor aus und stützte sich darauf. »Falls man von den letzten Wochen auf die Zukunft schließen kann, brauchen wir vielleicht bald eine zusätzliche Verkäuferin. Wenn das Baby erst mal da ist, kann ich unmöglich weiter zehn bis zwölf Stunden am Tag arbeiten.«

Hinsichtlich des Ladenbudgets runzelte Kate die Stirn. Mit der eleganten Secondhand-Boutique, die sie in der Cannery Row eröffnet hatten, hatten vor allem Margo und Laura zu tun. Aber als dritte Partnerin in dem unwägbaren Geschäft kümmerte sich Kate, wann immer es ihre Zeit erlaubte, um die Buchhaltung.

»Bis dahin sind es noch über sechs Monate. Also bis kurz vor Beginn des Weihnachtsgeschäfts. Am besten denken wir über die Einstellung einer Hilfskraft nach, wenn es so weit ist.«

Seufzend gab Margo Kate den Metalldetektor zurück. »Der Laden läuft besser, als auch nur eine von uns erwartet hätte. Meinst du nicht, es wäre langsam an der Zeit, ein bisschen weniger streng mit uns zu sein?«

»Nein.« Kate schaltete den Detektor wieder ein. »Wir haben vor weniger als zwölf Monaten aufgemacht. Wenn du anfängst, Leute einzustellen, geht jede Menge Geld für Sozialversicherung, Lohnsteuer und Arbeitslosenversicherung drauf.«

»Tja, gut, aber …«

»Ich könnte anfangen, an Samstagen auszuhelfen, wenn es nötig ist, und außerdem springe ich gern während meines Urlaubs ein.« Arbeit, dachte sie erneut. Arbeit half, damit man nicht nachdachte. »Dann könnte ich ein paar Wochen lang Vollzeit bei euch mitmachen.«

»Kate, Urlaub bedeutet weiße Sandstrände, Europa, eine unartige Affäre – nicht, dass man als Verkäuferin in einem Laden malocht.«

Statt einer Antwort zog Kate matt die Brauen hoch.

»Ich habe vergessen, mit wem ich rede«, murmelte Margo halbwegs betrübt. »Statt dich auch nur einmal im Leben zu amüsieren, schuftest du dich lieber tot.«

»Das habe ich immer nur getan, um ein Gegengewicht zu dir herzustellen, mein Schatz. Nun denn, da ich zu einem Drittel am Schönen Schein beteiligt bin, sollte ich natürlich zusehen, dass meine Investition auch Früchte trägt.« Mit gerunzelter Stirn blickte sie unter sich. »Verdammt, hier liegt nicht mal irgendwo ein Kronkorken oder so herum, der den verdammten Metalldetektor piepsen lässt und uns alle wenigstens für eine Sekunde in Aufregung versetzt.«

»Geht es dir gut?« Margo schaute die Freundin mit zusammengekniffenen Augen an. »Du siehst hundemüde aus.« Kaputt, erkannte sie. Kaputt und ungemein gereizt. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist hier die Schwangere.«

»Das wäre wirklich erstaunlich, da ich seit ungefähr tausend Jahren nicht mehr mit einem Mann im Bett gewesen bin.«

»Was der Grund dafür sein könnte, dass du so gereizt und müde wirkst.« Doch statt Spott drückte Margos Miene ernste Besorgnis aus. »Wirklich, Kate, was ist mit dir los?«

Am liebsten hätte sie es gesagt, am liebsten hätte sie sich der Freundin anvertraut. Selbstverständlich bekäme sie Trost, Unterstützung, Loyalität – was auch immer erforderlich war. Nein, es ist allein mein Problem, erinnerte sie sich.

»Nichts.« Kate zwang sich zu einem herablassenden Blick. »Außer dass ich diejenige bin, die hier die ganze Arbeit macht und der jeden Augenblick die Arme abfallen, während du gemütlich auf einem Felsen sitzt, als hättest du einen Fototermin als Schwangere des Jahres oder so.« Sie legte den Metalldetektor beiseite. »Ich brauche eine Pause.«

Margo sah die Freundin einen Augenblick länger an, wobei sie mit ihren Fingern auf ihr Knie trommelte. »Also gut. Ich habe sowieso Hunger. Lass uns sehen, was Mum uns mitgegeben hat.« Sie öffnete den in der Nähe stehenden Picknickkorb und stieß einen wohligen Seufzer aus. »Himmlisch, Hühnerschenkel!«

Kate spähte ebenfalls in den Korb. Noch fünf Minuten, dachte sie, und dann nähme sie gemütlich Platz. Mrs Williamsons Hühnchen würde sicher das nagende Hungergefühl vertreiben, das sie empfand. »Ist Josh schon aus London zurück?«

»Hmm«, antwortete Margo mit vollem Mund. »Morgen. Im Templeton London haben sie ein bisschen umgeräumt, sodass er ein paar Sachen für den Laden mitbringen wird. Außerdem habe ich ihn gebeten, ein paar meiner Kontaktleute dort aufzusuchen, sodass er sicher noch ein paar andere hübsche Dinge im Gepäck hat. Auf diese Weise bleibt mir eine Einkaufsreise erspart.«

»Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, in denen du es nicht abwarten konntest, endlich wieder irgendwohin unterwegs zu sein.«

»Das war damals«, sagte Margo in selbstzufriedenem Ton. »Aber jetzt ist es anders.« Sie biss erneut in ihre Keule, ehe ihr etwas einfiel und sie das Hühnchen sinken ließ. »Hmm. Das habe ich ganz vergessen. Nächsten Samstag Abend findet eine Party bei uns statt. Cocktails, Büfett, alles, was dazugehört. Natürlich kommst du auch.«

Kate fuhr zusammen, als hätte ihr jemand einen Schlag versetzt. »Muss ich mich dann etwa schick machen?«

»Aber sicher doch. Schließlich erwarten wir jede Menge Kunden.« Sie schluckte und sah die Freundin an. »Und ein paar von den höheren Chargen der Hotels. Wie Byron de Witt.«

Kate stellte das Suchgerät endgültig aus, ehe sie sich auch aus dem Korb bediente. »Ich mag ihn nicht.«

»Natürlich nicht«, kam Margos trockene Erwiderung. »Schließlich sieht er fantastisch aus, ist charmant, intelligent und obendrein weit gereist. Also wirklich widerlich.«

»Er weiß, wie schön er ist.«

»Was niemanden wundert. Es ist mir vollkommen egal, ob du ihn nett findest oder nicht. Er hat Josh hier in den kalifornischen Hotels jede Menge Arbeit abgenommen und obendrein einen Großteil des Terrains zurückgewonnen, das uns durch Peter Ridgeway verloren gegangen ist.«

Sie hielt inne und blickte dorthin, wo Laura stand. Peter war Lauras früherer Ehemann, der Vater der Mädchen; nun, was auch immer sie von ihm hielt, sie wollte ihn nicht kritisieren, wenn Ali oder Kayla in der Nähe waren.

»Sei einfach höflich, ja?«

»Das bin ich immer. He, Leute«, rief Kate und beobachtete, wie Ali und Kayla ihre hübschen, blonden Schöpfe hoben. »Wir haben Mrs Williamsons Picknickkorb aufgemacht, und Margo ißt bereits das ganze Hühnchen auf.«

Schreiend rannten die beiden Mädchen herbei. Laura kam ein Stück hinter ihnen und nahm mit gekreuzten Beinen zu Margos Füßen Platz. Sie beobachtete, wie ihre Töchter über ein bestimmtes Stück Fleisch stritten, ehe, natürlich wie immer, Ali die Oberhand behielt. Als die Ältere der beiden wurde sie immer anstrengender.

Eine Scheidung, erinnerte sich Laura, als Ali selbstzufrieden an ihrem Hühnerbein zu nagen begann, war für ein zehnjähriges Mädchen alles andere als leicht. »Ali, schenk Kayla bitte auch ein Glas Limonade ein.«

Ali zögerte und überlegte offenbar, wie sie sich weigern konnte. Es schien, dachte Laura, während sie dem rebellischen Blick ihrer Tochter mit kühler Ruhe begegnete, als ob Ali in letzter Zeit einfach alles verweigerte. Am Ende der stummen Auseinandersetzung jedoch schenkte sie schulterzuckend ein Glas für ihre Schwester ein.

»Wir haben nichts gefunden«, beschwerte sie sich jetzt, als hätte sie beim Buddeln im Dreck nicht jede Menge Spaß gehabt. »Es ist langweilig.«

»Ach ja?« Margo nahm ein Stück Käse aus einer Plastikdose. »Ich amüsiere mich allein schon, wenn ich hier sitze und euch zugucke.«

»Tja …« Was auch immer Margo sagte, betrachtete Ali als Gesetz. Die elegante Margo war mit achtzehn von zu Hause fortgelaufen und nach Hollywood gegangen, hatte in Europa gelebt und war in wunderbare, aufregende Skandale verwickelt gewesen. Sie hatte nichts so Gewöhnliches und Schreckliches wie eine Ehe und eine Scheidung durchgemacht. »Vielleicht ist es nicht wirklich doof. Aber ich möchte, dass wir endlich ein paar Münzen finden.«

»Ausdauer«, Kate stupste Ali an, »macht sich bezahlt. Was wäre passiert, wenn Alexander Graham Bell aufgegeben hätte, bevor ihm schließlich sein erstes Telefongespräch gelungen ist? Wenn Indiana Jones nicht die letzte Expedition unternommen hätte?«

»Wenn Armani nicht seinen ersten Saum genäht hätte?«, warf Margo ein, worauf sie ein erneutes Kichern der beiden Mädchen erntete.

»Wenn Star Trek nicht an Orte gereist wäre, an denen zuvor nie ein Mensch gewesen war?«, beendete Laura die Aufzählung und hatte die Freude, ihre Töchter lächeln zu sehen.

»Tja, vielleicht. Dürfen wir noch mal die Münze sehen, Tante Margo?«

Margo griff in ihre Hemdtasche. Sie hatte das alte spanische Goldstück immer dabei. Ali nahm es begierig in die Hand und hielt es bewundernd so, dass Kayla es ebenfalls bestaunen konnte.

»Wie sie blitzt«, sagte Kayla, während sie ehrfürchtig mit einem Finger über die Dublone strich. »Darf ich ein paar Blumen für Seraphina pflücken gehen?«

»Aber sicher doch.« Laura beugte sich vor und küsste sie zärtlich auf den Kopf. »Aber geh nicht alleine an den Rand der Klippe, um sie ins Meer zu werfen, ja?«

»Ich warte auf dich. Schließlich werfen wir die Blumen doch immer zusammen runter.«

»Na ja, ich helfe ihr.« Ali gab Margo die Münze zurück, aber als sie aufstand, verzog sie ihren hübschen Mund zu einem missmutigen, dünnen Strich. »Es war dumm von Seraphina, dass sie gesprungen ist, nur weil sie Felipe nicht heiraten konnte. Heiraten ist sowieso blöd.« Dann erinnerte sie sich daran, dass auch Margo verheiratet war, und errötete.

»Manchmal«, sagte Laura in ruhigem Ton, »ist eine Ehe wunderbar und warm und stark. Und manchmal ist eine Ehe einfach nicht wunderbar oder warm oder stark genug. Aber du hast recht, Ali, Seraphina hätte nicht springen sollen. Als sie es getan hat, hat sie alles verhindert, was sonst vielleicht noch gekommen wäre, alle Möglichkeiten fortgeworfen, die sich hätten ergeben können. Sie tut mir wirklich leid.« Sie beobachtete, wie ihre Tochter mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern von dannen trottete. »Sie ist so verletzt – und so wütend. Ich weiß einfach nicht, wie ich ihr helfen soll.«

»Sie wird darüber hinwegkommen.« Kate drückte Laura ermutigend die Hand. »Du gehst wunderbar mit den beiden Mädchen um.«

»Seit drei Monaten haben sie Peter nicht mehr gesehen. Er hält es nicht mal für nötig, sie zwischendurch gelegentlich anzurufen.«

»Das ist nicht deine Schuld«, wiederholte Kate. »Du bist für das Verhalten dieses Arschlochs nicht verantwortlich. Sie weiß, dass du nichts dafür kannst – ich bin sicher, in ihrem Innersten weiß sie es.«

»Das hoffe ich.« Laura zuckte mit den Schultern und nahm einen gebratenen Flügel in die Hand. »Kayla macht einfach weiter, als wäre nichts geschehen, während Ali in immer tiefere Grübelei versinkt. Tja, ich schätze, wir sind ein gutes Beispiel dafür, dass Kinder in demselben Haus aufwachsen, von denselben Menschen erzogen werden können – und es trotzdem riesige Unterschiede zwischen ihnen gibt.«

Kate hatte immer noch Magenschmerzen.

»Das stimmt.« Margo kämpfte erfolgreich gegen das Bedürfnis nach einer Zigarette an. »Aber wir sind alle wirklich gut geraten, finde ich. Tja …« Sie sah Kate mit einem zuckersüßen Lächeln an. »Oder fast alle.«

»Nur, weil du das gesagt hast, verspeise ich jetzt das letzte Stück!« Zuerst jedoch wickelte Kate eine Magentablette aus dem Papier. Medikamente halfen ihr zu essen, wenn sie nicht im geringsten hungrig war. Sodbrennen, dachte sie, als sie das leichte Brennen unterhalb ihres Brustbeins bemerkte. Was sollte es sonst sein? »Ich habe zu Margo gesagt, dass ich samstags in unserem Laden aushelfen werde.«

»Wir könnten Hilfe brauchen.« Laura setzte sich so, dass sie während der Unterhaltung ihre Töchter im Auge behielt. »Letzten Samstag war wirklich der Teufel los, und ich hatte nur vier Stunden Zeit.«

»Dann komme ich den ganzen Tag.«

»Wunderbar.« Margo zupfte ein paar schimmernde Trauben von einem Bund. »Obwohl du dann sicher die ganze Zeit vor dem Computer hocken wirst, um festzustellen, ob uns nicht schon wieder irgendein Fehler unterlaufen ist.«

»Wenn ihr keine Fehler machen würdet, wäre das nicht erforderlich. Aber …« Sie hob die Hand. »Nächsten Samstag übernehme ich die Kasse, und ich wette mit dir um einen Zwanziger, dass ich bis Ladenschluss mehr drin haben werde als du.«

»Und wovon träumst du nachts, Powell?«

Montag Morgen dachte Kate weder an Träume noch an die sonntägliche Schatzsuche. Um Punkt neun saß sie mit ihrer dritten Tasse Kaffee vor ihrem Computer an ihrem Schreibtisch im Büro. Wie an jedem Tag um diese Zeit hatte sie bereits den marineblauen Nadelstreifen-Blazer über die Stuhllehne gehängt und die Ärmel ihrer gestärkten, weißen Bluse aufgerollt.

Die Ärmel würden wieder heruntergerollt und die Jacke korrekt angezogen und zugeknöpft, wenn um elf einer ihrer Kunden kam; aber im Augenblick war sie mit ihren Zahlenreihen allein.

Wie es ihr am besten gefiel.

Die Herausforderung, dafür zu sorgen, dass die Zahlen tanzten und sich verschoben, bis am Ende jede ordentlich an der richtigen Stelle saß, hatte sie schon immer fasziniert. Das Abebben und Anschwellen von Zinssätzen, Schatzwechseln und offenen Investmentfonds wies eine ganz eigene Schönheit auf. Und außerdem verliehen ihr, so gestand sie sich selbst offen ein, das Verständnis, ja die Bewunderung für die Kapriolen der Finanzwelt und die Fähigkeit, Klienten raten zu können, wie sie ihr schwer verdientes Geld am besten anlegten, eine gewisse Macht.

Nicht, dass das Geld immer schwer verdient gewesen wäre, dachte sie mit einem verächtlichen Schnauben, als sie den Jahresabschluss auf ihrem Bildschirm sah. Ein Großteil ihrer Klienten hatte sein Geld auf eher altmodische Art verdient.

Sie hatten es geerbt.

Noch während sie diesen Gedanken hegte, fuhr sie zusammen, als hätte ihr jemand einen Schlag versetzt. War das der Vater in ihr, der die Nase rümpfte über Menschen, denen ihr Reichtum aufgrund eines Erbes zugefallen war? Sie rieb sich den steifen Nacken und atmete tief durch. Sie müsste damit aufhören, überall Gespenster zu wittern.

Es war ihr Job, jeden Kunden von Bittle, den sie übernahm, bestmöglich zu beraten. Nein, sie beneidete ihre Klienten – Anwälte, Finanziers, Börsen- und Immobilienmakler – nicht um ihre Reichtümer, sondern arbeitete mit ihnen Hand in Hand, damit jeder die für ihn persönlich besten kurz- und auch langfristigen Anlagetipps bekam.

Das, so erinnerte sie sich, war sie.

Eindeutig genoss sie die Tatsache, dass der Umgang mit Zahlen verlässlich war. Für sie ergäbe zwei und zwei bis ans Ende ihrer Tage vier.