Sonnenblüte - Nora Roberts - E-Book

Sonnenblüte E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Band 3 der brandneuen Trilogie erstmals auf Deutsch: Nur mit der Liebe ihrer Familie kann die junge Breen Kelly ihr Schicksal annehmen …

Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate waren nicht gerade einfach für Breen Kelly. Doch nun scheint es etwas Ruhe für sie zu geben, und so versucht sie, sich nicht nur in ihrer neuen Heimat Talamh einzuleben, sondern die Tage dort auch zu genießen. Endlich findet sie zu sich selbst, kann ihre lange vermisste Familie kennenlernen – und mit jedem Tag wird das Band zu Keegan, dem Mann an ihrer Seite, stärker und liebevoller. Nie zuvor war sie so glücklich.
Aber nur allzu bald müssen Breen und Keegan sich gegen Neid und hinterhältige Intrigen wehren. Als Breen erkennt, wie ernst es ihre Gegner meinen, findet sie den Mut, sich ihrer Bestimmung zu stellen ...

Eine Geschichte über Abenteuer, Familie und das Finden der eigenen Heimat, von Weltbestsellerautorin Nora Roberts.

Der Zauber der grünen Insel
Band 1: Mondblüte
Band 2: Himmelsblüte
Band 3: Sonnenblüte

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Seitenzahl: 831

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Buch

Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate waren nicht gerade einfach für Breen Kelly. Doch nun scheint es etwas Ruhe für sie zu geben, und so versucht sie, sich nicht nur in ihrer neuen Heimat Talamh einzuleben, sondern die Tage dort auch zu genießen. Endlich findet sie zu sich selbst, kann ihre lange vermisste Familie kennenlernen – und mit jedem Tag wird das Band zu Keegan, dem Mann an ihrer Seite, stärker und liebevoller. Nie zuvor war sie so glücklich.

Aber nur allzu bald müssen Breen und Keegan sich gegen Neid und hinterhältige Intrigen wehren. Als Breen erkennt, wie ernst es ihre Gegner meinen, findet sie den Mut, sich ihrer Bestimmung zu stellen …

Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.

Von Nora Roberts bereits erschienen (Auswahl)

Himmelsblüte · Mondblüte · Im Schutz der Nacht · Nach dem Sturm · Zeit der Träume · Zeit der Hoffnung · Zeit des Glücks

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlagund www.facebook.com/blanvalet.

Nora Roberts

Sonnenblüte

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »The Choice« bei St. Martin’s Press, New York.Das Zitat von William Shakespeare stammt aus »Macbeth«, übersetzt von Dorothea Tieck, das Zitat von John Milton stammt aus »Paradise Lost«, übersetzt von Adolf Böttger, Leipzig, Verlag Philipp Reclam jun.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2022 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: René Stein

Covergestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Le Do; DJTaylor; Johannes Rigg; Jason Wilde)

BSt · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27579-2V002

www.blanvalet.de

Für Griffin,unser magisches Kind

Teil 1 VERLUST

Gib Worte deinem Schmerz. Gram, der nicht spricht,

presst das beladne Herz, bis dass es bricht.

WILLIAM SHAKESPEARE

Die Erde wie beängstet, die Natur erdröhnte seufzend,

trübe war der Himmel und weinte donnernd Tränen seiner Trauer

ob der Vollbringung dieser ersten Sünde.

JOHN MILTON

Prolog

Die Menschen gehen im Verlauf der Zeiten immer wieder davon aus, dass ihre Welten einzigartig sind, und die, die glauben und die verstanden haben, dass sie nicht allein existieren, denken, dass sie anderen, mit denen sie die unendliche Weite teilen, überlegen sind.

Natürlich ist das falsch, weil ihre Welten weder einzigartig noch was Besseres als die anderen Welten sind.

Und immer wieder gibt es in den Welten Wesen, die von Frieden sprechen, aber sich nicht scheuen, zur gleichen Zeit im Namen ihrer aktuellen Lieblingsgottheit und in ihrer unstillbaren Gier nach Macht, nach Land, nach Ressourcen oder fremden Reichtümern die Kriegstrommeln zu rühren.

So ist es, und so war es immer schon.

Für manche ist nun mal der Krieg die Gottheit, der mit Blut und wilder Leidenschaft gehuldigt wird.

Egal, ob wir in einer Welt der prachtvollen, auf goldenem Sand erbauten Städte, glitzernder Paläste auf dem Grund des Meeres oder irgendwo auf einem kleinen Flecken, der im besten Fall als Funke in der Dunkelheit zu sehen ist, unser Heim errichtet haben, und ganz gleich, ob wir am Wasser oder in den Bergen, irgendwo in einer Großstadt oder einer tief im Wald verborgenen Hütte unsere Trommeln schlagen oder unsere Kinder wiegen, wollen wir alle leben. Darin sind wir alle gleich.

Vor langer Zeit gab es mal eine Welt mit Städten und Palästen, Seen und Wäldern, tiefen Meeren und hohen Bergen, in der die Menschen, Fey und Götter gleichberechtigt und noch jede Menge wunderbarer Magie möglich waren.

Natürlich fanden dort auch Kriege statt, aus Gier und aus dem Durst nach Macht, der sich auch mit dem Blut der Unterworfenen nicht völlig stillen lässt. So trank ein dunkler Gott das Blut von Mensch und Fey und anderen und wurde deswegen aus ihrer Welt verbannt.

Was aber nicht das Ende war.

Und als das Rad der Zeit sich weiterdrehte, trübten Angst und Argwohn das Zusammenleben zwischen Menschen, Göttern, Fey. Statt um Magie ging es nur noch um Fortschritt, und statt ihren alten Göttern huldigten die Menschen nur noch ihrer Gier.

Statt sich aber ebenfalls von ihren alten Göttern abzuwenden und den Zauber aufzugeben, zogen sich die Fey nach all den Hexenjagden und den Scheiterhaufen in der Welt der Menschen nach Talamh zurück.

Dort schufen sie Portale für den Übergang in andere Welten, weil ein jeder per Gesetz entscheiden konnte, ob er bleiben oder gehen wollte, um sich anderswo ein neues Leben aufzubauen. Und dort, in einem Land der grünen Hügel, hohen Berge, blauen Seen und tiefen Wälder, lebten sie in Frieden und gingen weiter ihrem alten Zauber nach.

Was jedoch nicht das Ende war.

Der dunkle Gott in seiner dunklen Welt schmiedete Rachepläne, scharte die Dämonen und Verdammten um sich und erlangte abermals durch Blut genügend Kraft, um das gesicherte Portal von seiner in die Welt der Fey zu öffnen und dort eine junge Hexe zu hofieren, die zur Taoiseach auserkoren war. Er blendete die junge Frau mit Liebe und mit Lügen, bis er einen Sohn von ihr geschenkt bekam, versetzte sie in einen Zauberschlaf und saugte dann dem Säugling Nacht für Nacht die Kräfte aus.

Die Liebe einer Mutter aber ist ein eigener großer Zauber, und als sie aus dem erzwungenen Schlaf erwachte, drängte sie den dunklen Gott mit einem Heer der Fey zurück in seine Welt, versiegelte den Übergang und warf das Schwert der Taoiseach wieder in den Lough na Fírinne, damit ein anderer danach tauchte und von ihr dazu den Stab des auserwählten Anführers des Volkes überreicht bekam.

Dann kehrte wieder Frieden ein, und eingebettet in den Frieden und das Grün der Hügel und der Wälder ihres Landes wuchs ihr Sohn heran. Und eines Tages sah sie voller Stolz und Trauer, wie er mit dem Schwert in einer Hand dem See entstieg und sich den Stab des Taoiseach überreichen ließ.

Der Frieden hielt auch unter seiner weisen, teilnahmsvollen Führung an, sie fuhren reiche Ernten ein und übten sich begeistert in der Kunst der Zauberei.

Dann wollte es das Schicksal, dass er sich in eine Menschenfrau verliebte, die mit ihm in seine Heimat kam und dort ein Kind der Liebe und des Glücks gebar.

Der Zauber dieses Mädchens strahlte hell, und die drei ersten Jahre ihres Lebens waren mit Liebe angefüllt.

Der Durst des dunklen Gottes aber war noch immer nicht gestillt, und angesichts des Glücks der Kleinen nahm sein Zorn noch zu. Wieder steigerte er seine Kraft durch Blutopfer und dunkle Zauber, wobei ihm eine Hexe nach dem Wechsel aus dem Licht ins Dunkle behilflich war.

Er stahl das Kind und sperrte es unweit des Übergangs aus seiner in die andere Welt in einen Glaskäfig im Fluss. Und während Vater, Großmutter und alle Krieger von Talamh sich auf den Weg zu ihrer Rettung machten, spürte es zum ersten Mal in seinem Leben statt der warmen Liebe seiner Freunde und Familie die nackte Angst.

Doch aus der Angst entwickelte sich Zorn, der wilder als der Zorn des dunklen Gottes war. Und aus dem Zorn erwuchsen solche Kräfte, dass sie den von einem Gott von ihrem Blut erschaffenen Käfig sprengte, während ihr das Heer der Fey zu Hilfe kam. Auch diesmal schlugen sie den dunklen Gott und ließen ihn dann unter den Ruinen seiner schwarzen Burg zurück.

In ihrer Angst verlangte ihre Mutter, mit der Tochter in die Welt, aus der sie einst gekommen war, zurückzukehren und die Erinnerung des Kindes an Talamh, den Zauber und die Wesen, die dort lebten, auszulöschen, weil es nicht auf den Gedanken kommen sollte, dass es auch noch etwas anderes als die Welt der Menschen gab. Aus Liebe kam der Vater dieser Bitte nach. Er führte sie zurück durch das Portal, und wenn er selbst aus Pflichtgefühl und Liebe in die Heimat reiste, ließ er Frau und Tochter in der Menschenwelt zurück.

Er hörte niemals auf, sein Kind zu lieben, doch die Liebe zwischen Menschenfrau und Fey verebbte mit der Zeit, und sein Bemühen, in zwei Welten parallel zu leben, brach ihm fast das Herz.

Und dann bedrohte abermals der dunkle Gott Talamh und andere Welten, und als Taoiseach führte er die Fey noch einmal in die Schlacht. Auch diesmal schlugen sie den dunklen Gott zurück, doch vorher brachte der den eigenen Sohn mit seinem schwarzen Schwert und seinem dunklen Zauber um.

So brach die nächste Zeit der Trauer und Entscheidungen an.

Und diesmal zog ein Junge, beinah noch ein Kind, das Schwert des Taoiseach aus dem See. Er hatte um den Taoiseach so getrauert wie um seinen eigenen Vater, der schon in der ersten Schlacht gefallen war, und während dieser Junge im Verlauf der Zeit zum Mann heranwuchs, der seinem Bruder und der Schwester auf dem Hof im Tal half, in der Hauptstadt Recht sprach, auf dem Rücken seines Drachen durch das Land flog oder für die unausweichliche Schlacht trainierte, wuchs das Mädchen in der Welt der Menschen auf.

Aus Furcht und aus Verbitterung erzog die Mutter sie dazu, sich stets zurückzunehmen und niemals voranzugehen, stets den Blick gesenkt zu halten, statt sich umzuschauen, und ihre Hände in den Schoß zu legen, statt die Chancen zu ergreifen, die das Leben einem bot. Deshalb führte sie ein ruhiges Leben ohne jeden Zauber oder Glanz und stützte sich dabei auf einen Freund, der ihr im Grunde eher ein Bruder, und auf einen Mann, der ihr in seinem Herzen eine bessere Mutter als die Frau war, die sie geboren hatte.

Mitunter träumte sie von einem anderen Leben, aber allzu häufig wurden ihre Träume von verschwommenen Bildern und von Dunkelheit beherrscht. Und tief in ihrem Innern trauerte sie immer noch um einen Vater, von dem sie als Kind von einem auf den anderen Tag verlassen worden war.

Doch eines Tages öffnete sich eine Tür, und sie entschied hindurchzugehen. Sie flog nach Irland, denn womöglich fände sie in diesem Land ja ihren Vater und sich selbst. Vor allem aber stellte sich auf dieser Reise eine grenzenlose Liebe für das viele Grün, den Nebel und die sanft wogenden Hügel bei ihr ein.

In einem kleinen Haus in einer Bucht begab sie sich an die Erforschung ihrer Träume und vor allem auf die Suche nach sich selbst. Und eines Tages kam sie während einer Wanderung zu einem Baum im Wald, der aus dem Fels zu wachsen schien. Sie kletterte auf einen langen, dicken Ast, und plötzlich stürzte sie kopfüber in die Welt, in die sie einst hineingeboren war.

Mithilfe ihrer Großmutter, die sie von ganzem Herzen liebte, einer Feenfreundin aus der Kindheit und des Jungen, der jetzt ein Mann und obendrein der Taoiseach war, kamen die Erinnerungen und ihre ganz besondere Kraft zurück.

Sie hörte, dass ihr Vater in der Schlacht gefallen war, und trauerte um ihn. Sie hörte auch vom Opfer ihrer Großmutter und liebte sie dafür. Entdeckte ihre eigenen Fähigkeiten und die Freude, die sie daran hatte, überwand die ihr von ihrer Mutter anerzogene Furcht, nahm den ihr zugedachten Platz in ihrer alten Heimat ein und übte mit den Fäusten, mit dem Schwert und Zauberei für ein Gefecht mit einem dunklen Gott von ihrem Blut.

Sie lebte in zwei Welten und verfolgte in der Welt der Mutter weiter ihre Menschenträume und trainierte in der Welt des Vaters für den Kampf der Fey.

Dann merkte sie, dass sie den Taoiseach liebte, fand den Mut, den sie als Tätowierung an der Innenseite ihres Handgelenkes trug, und gab sich ganz dem Wunder dieser neuen Welt mit ihren Feen, Elfen, Weren und anderen Zauberwesen hin.

Und als das Böse nach Talamh kam, um sie alle zu vernichten, lehnte sie sich mit den Fäusten, mit dem Schwert und allen Zauberkräften, die ihr zur Verfügung standen, gegen die Bedrohung auf. Sie schaffte es, das Licht zu schützen und zu nutzen, um das Dunkel abzuwehren.

Auf diese Weise wurde sie zu der, die sie schon immer hätte werden sollen.

Was aber längst noch nicht das Ende war.

1

Nach der Schlacht beim finsteren Portal hielt Breen sich noch drei Wochen in der Hauptstadt auf. Die ersten Tage waren so schmerzlich, sie war selbst überrascht, dass sie nicht einfach zusammenbrach. Sie half bei der Behandlung der Verwundeten und sammelte zusammen mit den anderen die Toten auf dem blutgetränkten und mit Asche übersäten Schlachtfeld ein.

Sie nahm Morena, ihre älteste und beste Freundin, in den Arm, wenn sie um den gefallenen Bruder weinte, und sie tat ihr Möglichstes, um Phelins Eltern, seiner schwangeren Witwe, seinem Bruder, dessen Frau und Kindern und den Großeltern des Toten beizustehen, obwohl die Trauer auch ihr selbst das Herz zerriss. Kaum dass sie sich zum ersten Mal nach all den Jahren begegnet waren, war er bei der Verteidigung Talamhs gegen die Mächte gefallen, die von ihrem Großvater entfesselt worden waren.

Sie stand beim Abschied an der Seite der Familie, und sie und Harken hielten Morenas Hände. Als die Asche ihres Bruders übers Meer flog und sie neben sich die vielen anderen sah, die das gleiche Ritual vollführen mussten, stieg Morenas grenzenlose Trauer auch in Breens eigenen Innerem auf.

Sie nahm die Freundin noch mal in den Arm und sah ihr hinterher, als sie mit Harken aufbrach, um zurück ins Tal zu fliegen, und als Seamus und Finola ihnen mit verschränkten Händen folgten, nahm sie auch die Trauer der verwaisten Großeltern des toten Phelin in sich auf.

Da Keegan ständig Ratssitzungen hatte oder an den Grenzen ihres Landes patrouillierte, suchte sie die Hinterbliebenen auf und fragte sich, warum sie in dem Meer der Tränen, die dabei vergossen wurden, nicht ertrank.

Nach einer Woche bat sie Marco, in ihr Häuschen auf der anderen Seite heimzukehren.

Er sah sie grimmig an. »Ich lasse dich ganz sicher nicht allein.«

Sie hatte mit dieser Antwort gerechnet und sich ihre Argumente bereits sorgfältig zurechtgelegt. Sie standen auf der Brücke unterhalb der Burg, sahen Faxe, ihrem Hund, beim Schwimmen und beim Planschen zu, und lächelnd hakte sie sich bei dem Freund ein, der ihr sogar in eine fremde Welt gefolgt war.

»Es geht mir gut.«

»Ganz sicher nicht. Du lädst dir so viel auf, dass du total erledigt bist.«

»Wir alle laden uns so viel wie möglich auf. Du selbst …«

»Ich habe auch etwas getan, ja klar.« Er blickte auf den Platz, auf dem die Leute Schwert- und Faustkampf sowie Bogenschießen trainierten, und erinnerte sich an die unzähligen Toten, die vor Kurzem dort gelegen hatten, und das viele Blut, das dort vergossen worden war.

Die grauenhaften Bilder hatten sich ihm unauslöschlich eingeprägt.

»Ich habe meinen Teil geleistet, aber du lädst dir viel mehr als alle anderen auf, und zwar hier drinnen«, fügte er hinzu und zeigte auf sein Herz.

»All das hat Odran meinetwegen inszeniert. Das ist nicht meine Schuld«, kam sie dem Einwand ihres Freunds zuvor. »Ich selbst, mein Vater, meine Mutter, meine Nan können nichts dafür. Das ist allein seine Schuld. Das aber ändert nichts daran, dass alle diese Leute nicht mehr leben, weil er es auf mich und meine Fähigkeiten abgesehen hat. Wenn ich also den Schmerz der anderen in mich aufnehmen und dadurch ein wenig lindern kann, muss ich es tun.«

Kopfschüttelnd machte er sich von ihr los, zog sie an seine Brust und wiederholte nachdrücklich: »Und deshalb lasse ich dich sicher nicht allein.«

»Deshalb bitte ich dich ja zu gehen.« Sie legte eine Hand an seine Wange und begegnete dem warmen, doch besorgten Blick aus einem braunen Augenpaar. »Ich würde selbst gern zurück in unser Häuschen, habe aber das Gefühl, dass ich noch etwas bleiben muss. Doch das bedeutet, dass ich dann nicht für Morena, Seamus und Finola da sein kann. Sie sind für mich Familie, Marco, und ich bin nicht für sie da.«

»Aber du warst es, und jetzt bist du hier für Phelins Mom und Dad, für seine Frau und seinen Bruder da.«

»Genau. Auch deshalb muss ich hierbleiben. Und wissen, dass du für Morena und die anderen da bist, bis ich selbst nach Hause kommen kann. Kehr du bitte mit Brian heim, okay?«

»Das dürfte etwas schwierig werden, denn er bricht bei Tagesanbruch morgen Richtung Westen auf. Und zwar auf seinem Drachen, und ich selbst werde nie im Leben noch einmal auf einen Drachen steigen, das verspreche ich.«

»Ich könnte dir ja ein Beruhigungsmittel brauen«, schlug Breen ihm lächelnd vor.

»Genau!«, stimmte er augenrollend zu. »Dann fliege ich auf einem Drachen, aber bin schon vorher high. Auf keinen Fall!«

»Und warum reitest du dann nicht auf einem Pferd? Ein Teil der Truppen, die nach Westen sollen, nehmen Pferde. Du reitest schließlich gern. Verdammt, ich reite nicht mal halb so gut wie du, was wirklich ätzend ist. Und wenn du dein Talent jetzt nutzen würdest, um ins Tal zu reiten, wäre ich dadurch zumindest eine Sorge los, Marco. Ich schwöre dir, dass das die Wahrheit ist.«

»Zeig her.« Er legte eine Hand unter ihr Kinn, zwang sie, ihn anzusehen, und räumte seufzend ein: »Verdammt, du denkst tatsächlich, dass es so am besten ist. Aber ich lasse dich nicht gern allein hier zurück.«

»Ich weiß, aber ich habe ja noch Keegan und vor allem meinen wilden Hund.«

Bei diesen Worten sprang Faxe auf die Brücke, schüttelte sein nasses Fell und stieß ein gut gelauntes Bellen aus. Er wirkte völlig harmlos, doch er hatte sich mit einem kämpferischen Blitzen in den Augen todesmutig mit ihr in die Schlacht gestürzt und einen Gegner nach dem anderen in der Luft zerfetzt.

»Vor allem weiß ich zwischenzeitlich, dass ich selbst eine ziemlich gute Hexe bin.«

»Was deutlich untertrieben ist. Okay, ich werde gehen, aber nur, wenn du versprichst, dass du mir täglich eine Nachricht schickst. Wenn ich nichts von dir höre, komme ich zurück. Also schick mir täglich einen Falken oder so.«

»Ich war gestern bei Ninia Colconnan im Geschäft und habe einen Kristallspiegel für dich gekauft.«

»Was ist denn das?«

»Ein Spiegel, über den ich mit dir reden kann. Und dazu ist er auch noch wirklich hübsch. Betrachte es als eine andere Form von Zoom. Ich werde dir noch zeigen, wie es geht.« Sie fuhr sich mit den Händen durch ihr wild gelocktes rotes Haar. »Es ist mir wirklich eine riesige Erleichterung, wenn du wieder in unserem Häuschen bist. Vor allem wird es Sal und Derrick unglaublich beruhigen, wenn sie endlich wieder etwas von dir hören.«

Das war ein gutes Druckmittel, weil Sally schließlich ihrer beider Herzensmutter war.

»Da hast du recht.« Er stopfte seine Hände in die Hosentaschen und gab zu: »Sie machen sich bestimmt schon Sorgen, weil wir jetzt schon ewig nicht mehr zu erreichen waren.«

»Dann ruf am besten gleich in Philadelphia an, wenn du in unserem Häuschen bist. Und fang vor allem endlich wieder an, für mich zu arbeiten«, verlangte Breen und bohrte ihm den Zeigefinger in den Bauch.

Dann ging sie in die Hocke, glitt mit ihren Händen über Faxes Fell und strich ihm über die wilde, schwärzlich violette Lockenpracht.

»Was ist mit dir? Ich glaube kaum, dass du in letzter Zeit besonders viel geschrieben hast.«

Sie zupfte leicht an Faxes Bart und richtete sich wieder auf. »Ich schaffe es jetzt gerade nicht, was Fröhliches zu schreiben, also habe ich mich statt mit Faxes nächstem Abenteuer erst einmal mit meinem Erwachsenenroman befasst. Ich weiß jetzt schließlich aus Erfahrung, wie es ist, in eine Schlacht zu ziehen.«

»Ach, Breen.«

Sie lehnte sich wie schon ihr Leben lang an Marcos breite Schulter an.

»Schon gut, Marco. Wir haben gekämpft und böse Wesen umgebracht.« Sie straffte ihre Schultern und sah ihn aus harten grauen Augen an. »Das werde ich auch wieder tun, und zwar so oft, bis dieser Krieg gewonnen ist.« Dann wurde ihre Miene wieder weich, und sie nahm seine Hand. »Na komm, ich helfe dir beim Packen und erkläre dir, wie dieser Spiegel funktioniert.«

Am nächsten Tag stand sie im Morgennebel und sah Marco hinterher. Er war ein echter Stadtmensch, doch man hätte meinen können, dass er im Sattel groß geworden war. Die Stute tänzelte vor Ungeduld, und lachend brach er mit den Kriegern Richtung Westen auf.

Über ihren Köpfen segelten drei Drachenreiter auf den Rücken ihrer leuchtend bunten Tiere am Novemberhimmel, und zwei Feen flatterten den Reitern hinterher. Es würde wieder Krieg und Blutvergießen geben, auf Betreiben des gefallenen Gottes Odran, dessen Enkelin sie war.

Doch Marco würde sicher sein, so sicher wie es ging in einem friedliebenden Land, von dem ein dunkler Gott beschlossen hatte, es mit Krieg zu überziehen.

Und er, der beste Mensch, der je geboren war, würde mit dem Mann, der seine große Liebe war, zusammen sein.

»Es wird ihm gut gehen«, stellte Keegan fest. Er stand an ihrer Seite und sah ebenfalls den Reitern und den Drachenfliegern hinterher. »Du hattest recht, ihn dazu zu bewegen heimzukehren.«

»Ich weiß. Und ich weiß auch, dass er den Leuten dort im Tal Trost spenden wird und dass das wichtig ist.«

»Oh, ja, das ist es«, stimmte ihr der Taoiseach zu. »Du könntest sie vielleicht noch besser trösten, und ich weiß, dass du dort nützlich wärst und es dich vielleicht selbst trösten würde, dort zu sein, doch es gibt … Gründe, weshalb ich dich noch ein bisschen hierbehalten will.«

»Ich bin noch nicht bereit für Trost.« Sie betrachtete den starken, muskulösen Mann, den Hexer und den Kämpfer, den sie liebte, wollte und so dringend brauchte, dass es fast nicht zu ertragen war. Die dunklen Haare mit dem Zopf des Kriegers waren zerzaust, und der Blick aus seinen grünen Augen war im selben Maße zornig wie erschöpft.

»Und du anscheinend auch nicht«, stellte sie mit ruhiger Stimme fest.

»Oh, nein, ganz sicher nicht.«

»Und nachdem Odrans Welt jetzt abermals versiegelt ist, gibt’s augenblicklich niemanden mehr hier, den du bekämpfen kannst.«

Er sah sie reglos an. »Wer sich den Krieg wünscht, will den Tod. So gehen wir die Dinge hier nicht an.«

»Das habe ich damit nicht sagen wollen«, verteidigte sie sich. »Ihr trainiert hier für den Krieg, damit ihr eure und auch alle anderen Welten dauerhaft beschützen könnt. Das habe auch ich selbst auf die harte Tour gelernt, denn schließlich hast du mir beim Training immer wieder ordentlich den Arsch versohlt.«

Achselzuckend sah er dorthin, wo ein Trupp Soldaten sich im Schwertkampf übte, und gab gleichmütig zurück: »So einfach ist das gar nicht mehr.«

»Weil du nicht alles gibst. Ich gebe es nur ungern zu, doch während unseres Trainings hältst du dich die meiste Zeit zurück. Ich werde niemals wirklich gut mit einem Schwert umgehen können und werde auch mit Pfeil und Bogen nie so gut wie Robin Hood.«

»Ich mag diese Geschichten. Die von Robin Hood. Und nein, das wirst du nicht.«

»Wenn’s um Kritik geht, hältst du dich ganz sicher nicht zurück.«

Er wickelte sich eine ihrer roten Locken um den Finger, und ein sanftes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Weswegen sollte ich auch lügen, wenn die Wahrheit offensichtlich ist? Zumindest bist du besser, als du es am Anfang warst.«

»Was nicht viel zu bedeuten hat.«

»Du hast, nachdem du dich verbessert hast, weitere Fortschritte gemacht. Und deine unglaublichen Zauberkräfte werden immer deine schärfste Waffe sein. Und das hier?« Er nahm ihre Hand und glitt mit einem Finger über das Tattoo an ihrem Handgelenk. »Du trägst diese Tätowierung nicht umsonst. Misneach. Dein Mut ist ebenso erstaunlich wie die Zauberkräfte, die du hast.«

»So war es nicht immer.«

»Aber oft genug. Das hast du gerade abermals bewiesen, als du Marco hast gehen lassen, damit er andere trösten kann. Du hättest auch mit ihm nach Hause reiten können, aber weil ich dich hier brauche, hast du ihn allein losgeschickt.«

»Denn schließlich hast du … Gründe dafür, dass du mich noch hierbehalten willst.«

»Genau.«

Jetzt gingen die Jungen auf den Übungsplatz. Ein paar von ihnen gähnten, aber ein paar Feen flogen, und die Elfen rannten ihnen schnell wie Pfeile hinterher.

Nachdem man in Talamh die Ausbildung der Kinder durchaus ernst nahm, war anscheinend heute keine Schule, dachte Breen. Faxe folgte ihrem Blick und sah dann flehend zu ihr auf.

»Na lauf.«

Vor Freude bellend rannte er davon, und Keegan stellte fest: »Du fragst mich gar nicht, was das denn für Gründe sind.«

»Du denkst, dass ich hier sicherer bin, denn schließlich wollte Shana mich schon zweimal töten, und wir wissen, dass sie jetzt auf Odrans Seite steht.«

»Um dich zu töten, müsste sie hier rüberkommen, aber sämtliche Portale werden streng bewacht, das heißt, dass sie dir erst mal nicht gefährlich werden kann.«

»Ich weiß, dass Shana mich nicht töten wird.«

Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Hast du gesehen, wie es mit ihr weitergehen wird?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde niemals zulassen, dass dieses Weibsbild mich besiegt. Doch außer ihr hat es auch noch Isolde auf mich abgesehen. Auch sie hat schon zweimal versucht, mich zu erwischen, auch wenn sie nicht so verrückt wie Shana ist und mich deshalb nicht hätte töten wollen. Sie wollte mich zu Odran bringen, und wenn du nicht beim ersten Mal im letzten Augenblick erschienen wärst, hätte sie das sicher auch geschafft. Und dann, beim zweiten Mal, bin ich allein mit ihr klargekommen, aber statt sie gleich zu töten, habe ich mich in dem Augenblick von meinen Emotionen, meinem Zorn und dem Verlangen, ihr Schmerzen zuzufügen und sie zu bestrafen, leiten lassen, was ein großer Fehler war. Das wird mir nicht noch mal passieren, das verspreche ich.«

»Du hast eine enorme Leidenschaft entwickelt, mo bandia.«

Ach ja? Sie selbst hätte eher gesagt, dass sie Entschlossenheit entwickelt hätte. Ja genau, Entschlossenheit.

»Ich hielt mich jahrelang für durchschnittlich oder noch weniger. Inzwischen aber weiß ich, was ich bin und was ich kann, und werde alle Fähigkeiten nutzen, die mir zur Verfügung stehen. Und deine Angst um mich lenkt dich von anderen Dingen ab. Du solltest also endlich aufhören, um mich besorgt zu sein.«

Inzwischen stellten sich die Kleinen für das Training auf. Wie jung sie waren, dachte er, und ein Gemisch aus Stolz und aus Bedauern wogte in ihm auf. Dann glitt er mit der Hand über die Scheide seines Schwerts, und ihm fiel ein, dass auch er selbst bereits in diesem Alter für den Kampf ausgebildet worden war.

»Glaubst du, ich würde dich nur deshalb hierbehalten wollen?«

»Wahrscheinlich auch, weil ich hier durchaus nützlich bin.«

»Das stimmt. Du hast bei der Versorgung der Verwundeten geholfen und den Leuten Trost gespendet, und das tust du immer noch, wenn du die Trauernden besuchst. Doch dabei lädst du dir viel zu viel auf. Das sehe ich dir an.«

»Na, vielen Dank. Am besten schminke ich mich bald, wenn dir mein Aussehen so nicht mehr gefällt.«

»Du bist die schönste Frau, die mir in meinem Leben je begegnet ist«, bemerkte er in beiläufigem Ton und rief mit diesen Worten eine geradezu absurde Freude in ihr wach.

»Selbst wenn du hundemüde, kreidebleich und voll mit ihrer Trauer bist.«

»Du nimmst doch selbst die Trauer dieser Leute in dich auf. Okay, du bist der Taoiseach, deshalb ist das deine Pflicht, doch es ist mehr als das. Du trauerst selbst um jeden einzelnen Gefallenen, stimmt’s?« Sie hob die Hand, um sie an seine Brust zu pressen, aber er schob sie zurück.

»Nimm mir die Last der Trauer ja nicht ab. Die brauche ich genau wie meinen Zorn und die Kaltblütigkeit, um gegen unsere Feinde vorzugehen. Ich weiß, dass du zusammen mit den anderen die Toten auf dem Schlachtfeld eingesammelt hast. Das hättest du ganz sicher nicht gesollt.«

»Es sind auch meine Leute, denn ich bin zur Hälfte selbst eine Fey. Vielleicht sogar noch mehr, als ich jemals ein Mensch gewesen bin.«

»Ich finde trotzdem, dass du das nicht hättest machen sollen. Und dazu hast du auch noch Marco heimgeschickt, obwohl ich dir an diesem Ort, an dem du nicht im selben Maß daheim bist wie in Irland oder wie im Tal, nicht die Art von Gesellschaft bieten kann, die dir durch ihn zuteilgeworden ist. Ich hatte in den letzten Tagen keine Zeit, um mehr als nur das Bett mit dir zu teilen, und so erledigt, wie wir beide immer waren, hat uns selbst die Energie für mehr gefehlt … Ich habe das Gefühl, als hätten du und ich seit Wochen keine Unterhaltung mehr gehabt, die länger war als diese hier.«

»Du bist der Taoiseach und du hattest Ratsversammlungen, Gerichtsverhandlungen und hast sämtliche Verwundeten und obendrein noch alle Hinterbliebenen persönlich aufgesucht. Das weiß ich, weil sie es mir erzählen. Dazu müsst ihr Wiederaufbauarbeit leisten und trainieren und tausend andere Dinge tun. Da ist es doch wohl logisch, dass du keine Zeit mit mir verbringen kannst, wenn’s so viel anderes zu tun und zu bedenken gibt.«

Er blickte sie durchdringend an und sah dann wieder auf den Trainingsplatz und auf das Dorf.

»Ich weiß, dass du das nicht erwartest, und wahrscheinlich tut mir gerade deshalb leid, dass ich so wenig Zeit mit dir verbringen kann. Du bist mir immer noch ein Rätsel, Breen Siobhan. Wobei mir das, was ich für dich empfinde, ebenfalls ein Rätsel ist und manchmal ziemlich ungelegen kommt.«

Bei diesen Worten huschte abermals ein Lächeln über ihr Gesicht. »Was du mir schon des Öfteren überdeutlich zu verstehen gegeben hast.«

»Ich brauche dich aus all den Gründen, die du selbst genannt hast, weiter hier. Aus allen diesen Gründen, doch vor allem meinetwegen, auch wenn mir das ebenfalls eher ungelegen kommt. Besser kann ich es dir nicht erklären.«

Sie fand es rührend, dass er sich zumindest Mühe gab.

»Ich finde, dass du immer besser wirst. Im Erklären, meine ich. Brillant wirst du wahrscheinlich niemals, doch mit genügend Übung kriegst du es auf Dauer sicher halbwegs hin.«

Das Zucken seiner Mundwinkel verriet, dass ihm ihr Spott in diesem Fall durchaus nicht ungelegen kam. »Das habe ich verdient.«

»Auf jeden Fall. Ich werde gern gebraucht.« Sie glitt mit ihren Fingern über seinen Kriegerzopf. »Ich wurde früher nie gebraucht. Okay, von Marco und von Sally und von Derrick, aber das war etwas anderes, denn im Grunde kamen sie auch immer ohne meine Hilfe klar. Also reichen mir erst mal der Schlaf, das bisschen Sex und die paar kurzen Treffen, was wir zwischen all die anderen Dinge quetschen können, die es abzuhaken gilt.«

»Wobei es auch jetzt bei einem kurzen Treffen bleiben müssen wird. Gleich steht nämlich die nächste gottverdammte Sitzung mit dem Rat an.«

»Das macht mir nichts, weil ich gleich selbst zum gottverdammten Bogentraining muss.«

»Ich habe dir doch schon gesagt, dass du nicht mehr so jämmerlich wie ganz am Anfang schießt.«

»Ach, halt den Mund und regier einfach weiter deine Welt.«

Er zog sie auf die Zehenspitzen, und als er sie küsste, löste sich der morgendliche Nebel endlich auf.

»Behalt den Hund bei dir, okay? Und wenn du in den Ort willst oder jemanden besuchen möchtest, nimm Kiara oder Brigid oder wen auch immer mit.«

»Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen.«

»Meine Angst wird abnehmen, wenn du auf mich hörst.«

»Okay. Dann hole ich jetzt meinen Bogen und versuche, nicht mehr ganz so jämmerlich zu zielen. Wobei ich mich bestimmt mehr amüsieren werde als du dich bei deiner Sitzung mit dem Rat.«

»Auf jeden Fall. Und behalt Faxe bei dir«, wiederholte er und lief zurück zur Burg, auf deren Turm die Fahne immer noch auf halbmast hing.

Sie hatte weiter alle Hände voll zu tun, indem sie praktisch und mit Zauberei beim Wiederaufbau half, und brachte jeden freien Augenblick mit der Familie des gefallenen Phelin zu.

Sie konnte sich an immer mehr Details aus ihrer Kindheit in Talamh erinnern, und sie wusste, dass sie damals von den Eltern des verstorbenen Freundes wie ein viertes Kind behandelt worden war. Flynn hatte sie mit seinen großen Händen schwungvoll in die Luft geworfen, bis sie vor Vergnügen kreischte, Sinead hatte sie mit hübsch mit buntem Zuckerguss verzierten Plätzchen und mit anderen Leckereien verwöhnt, Morena war mit ihr über die Felder hinter ihrem Haus gerannt, und Seamus hatte sich mit Phelin ständig irgendwelche neuen Abenteuer für sie ausgedacht.

Sie hatte sich bei ihnen ebenso zu Hause gefühlt wie auf dem Hof, auf dem sie auf die Welt gekommen war.

Doch es war Flynn, das Ratsmitglied, der Krieger und der Vater, der am Schluss die Ketten sprengte, mit denen sie die eigene Trauer hatte tief in ihrem Innern fesseln wollen.

Sie hatte in den frühen Morgenstunden erst zwei Stunden lang an ihrem Buch geschrieben und war dann mit ihrem Hund zu einem Spaziergang aufgebrochen, denn sie hatte sich nach Ruhe und nach frischer Luft gesehnt.

Sie stähle sich ein wenig Zeit, um einfach nichts zu tun, und danach würde sie mit Rowan – Ratsmitglied und Weiser – und mit ein paar jungen Hexen ein paar Zaubertränke brauen, um die nach der Schlacht geleerten Flaschen wieder aufzufüllen. Inzwischen wusste sie, dass sogar für den allerkleinsten Zauber Übung, Mühe, Fähigkeiten und vor allem gute Absicht nötig waren. Im Anschluss würde sie noch bei der Gartenarbeit helfen, um die in der Schlacht zerstörten Felder wiederherzustellen, und hoffte, dass sie Sinead und Noreen dazu bewegen könnte mitzukommen, denn die frische Luft und Sonne täten ihnen sicher gut. Dann musste sie zum Training, auch wenn Schwert- und Nahkampf immer noch die reinste Folter für sie waren.

Es war erstaunlich, wie voll ihre Tage in der Hauptstadt waren und wie die Zeit verflog. Doch auch wenn die Burg sie faszinierte und sie auch die wilde Brandung liebte, die sich an den Klippen brach, fehlten ihr ihr hübsches Häuschen auf der anderen Seite, ihre Großmutter und ihre Freunde auf dem Hof im Westen von Talamh, und die Routine, die sie im Verlauf der Zeit entwickelt hatte, nachdem sie in Irland und in ihrer alten Heimat angekommen war.

Doch erst mal wurde sie noch hier gebraucht, und ihr war klar, dass es den Menschen Hoffnung gab, wenn sie Breen bei der Arbeit sahen.

Sie spürte, dass auch Faxe seine Bucht in Irland, Aislings Jungen und vor allem Mab, die liebe Wolfshündin und Hüterin der Kinder, fehlten, auch wenn er das Bad im Wasser unterhalb der Brücke ebenfalls genoss.

Dann kehrte er zu ihr zurück, und da ein eisiger Novemberwind aus Richtung See herüberwehte, trocknete sie ihn mit einem Zauber ab. Es roch nach Meer und umgepflügter Erde, und sie sah die Leute in den Gärten auf den Hügeln, die die Winterernte einfuhren.

Sie hatte mitgeholfen, die verkohlte, blutgetränkte Erde nach der Schlacht zu heilen, und den Kürbissen, dem Grün- und anderem Kohl zufolge, die dort jetzt geerntet wurden, hatte ihre Arbeit sich auf jeden Fall gelohnt.

Auch Blumen und Kräuter wuchsen und gediehen abermals, die Dächer einiger der Häuser waren mit frischem Stroh gedeckt, aus Schornsteinen quoll dichter Rauch, die Kinder spielten vor den Türen, und die Erwachsenen gingen auf dem Markt und in den Läden ihrer Arbeit nach.

Das Leben und das Licht waren zäh, ging es ihr durch den Kopf. Das mussten sie auch sein, um gegenüber Tod und Schwärze zu bestehen. Sie ließen sich nicht mühelos wie eine Kerze auslöschen, sondern brannten immer weiter, ganz egal, was auch geschah. Sie hatte teil an diesem Licht und Leben, und sie würde tun, was nötig wäre, damit dieses Feuer nie erlosch.

Der junge Faxe tänzelte ein Stück voraus und tauchte unter einem tief hängenden Weidenast hindurch. Sie folgte ihm und sah, dass Flynn, den Kopf des Hundes auf dem Knie, auf einer Steinbank saß.

Sie brauchte seine Trauer nicht zu sehen, wenn sie wie ein Stein auf ihrem Herzen lag.

Und trotzdem tätschelte er sanft den Lockenkopf des Tiers und stellte lächelnd fest: »Was für ein lieber Kerl.«

»Das ist er.«

»Und jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis man seinen Heldenmut im ganzen Land besingen wird. Von diesem Fleck aus kann man sehr viel sehen. Den Ort und all das Treiben, das dort herrscht, die Felder und die Hügel und die Schatten, die die Berge werfen, während man im Hintergrund den Trommelschlag des Meeres hören kann. Ich war noch nicht geboren, als deine Nan die Bank hier hat aufstellen lassen. Ich habe oft mit deinem Vater hier gesessen, um in Ruhe nachzudenken, und da drüben?«

Er wies mit dem Finger auf ein Haus.

»In das Mädchen, das dort lebte, war ich während meiner wilden Jugendjahre hemmungslos verliebt. Das war vor Sinead, denn sie hat mein Herz mit einem Schloss versehen, das niemand knacken kann. Aber damals war ich trotzdem hoffnungslos verliebt und denke auch nach all den Jahren noch gern daran zurück, denn schließlich war das alles völlig unschuldig und hat niemandem wehgetan.«

»Und wo ist dieses Mädchen jetzt?«

»Sie ist verheiratet mit einem Bauern, mit dem sie drei Kinder hat. Das heißt, ich glaube, es sind vier. Sie leben in den Midlands und kommen nur zum Handeln und für Tauschgeschäfte in die Stadt. Ich habe mich nach frischer Luft gesehnt und wollte etwas Ruhe haben, aber bitte setz dich doch.«

Sie spürte, dass er neben frischer Luft jetzt auch Gesellschaft brauchte, und kam seiner Bitte nach. Und als er ihre Hand berührte, fühlte sie sein Herz und wusste, dass sie ihn hier hatte treffen sollen.

»Als Jungen im Tal haben dein Dad und ich uns nach dem Treiben in der Stadt gesehnt. Im Gegensatz zu Eian und zu meinem eigenen Dad war ich kein Bauer und auch handwerklich nicht sonderlich geschickt. Natürlich gab es die Musik, die mich und Eian damals schon verbunden hat. Ich habe unsere Auftritte in all den Pubs hier in Talamh und drüben auf der anderen Seite mehr als alles andere geliebt. Ich, Eian, Kavan, Brian – wir waren wie Brüder, doch ich hatte immer schon ein Krieger werden wollen. Mit Sinead unsere Kinder großzuziehen war trotzdem wunderbar. Es war eine Zeit der Freude und des Friedens, auch wenn dieser Frieden leider nicht von Dauer war.« Er wandte sich ihr zu und sah ihr ins Gesicht. »Dein Vater war mit deiner Mutter ebenfalls sehr glücklich. Hoffentlich ist dir das klar.«

Breen nickte, auch wenn dieses Glück so wie der Frieden in Talamh dann irgendwann vorbei gewesen war.

»Aber du, mein kleiner roter Hase, warst sein Herzschlag und das Licht in seiner Seele, und als Odran dich entführt hat, haben wir befürchtet, dass er den Verstand verlieren und sich von seinem Wahn und seiner Angst beherrschen lassen würde, aber er hat seine Angst um dich in seinem Herzen eingeschlossen und stattdessen seine Stärke, seine Macht und seinen Verstand benutzt. Genau wie du, obwohl du praktisch noch ein Baby warst. Genau wie du«, murmelte Flynn.

»Deine Mutter hat mich wieder heimgeflogen, und dann hat mich Sinead sanft im Arm gewiegt und mir was vorgesungen. Ich kann mich wieder ganz genau erinnern, und ich weiß noch, was für ein Gefühl von Sicherheit sie mir gegeben haben und dass all die Ängste, die ich ausgestanden hatte, einfach von mir abgefallen sind. Und als ich jetzt zurückkam, hat mich Nan im Feuer sehen lassen, wie mein Vater und sie selbst in der Nacht gekämpft haben. Genau wie du mit deinen großen Flügeln und mit deinem Schwert. Du hast für mich gekämpft, für ihn und für Talamh.«

»Es war eine schreckliche, brutale Nacht, aber ich habe mich danach gesehnt zu kämpfen, und ich wäre in den Tod gegangen für dich, für ihn und für Talamh. Ich hatte mich entschieden, doch ich habe überlebt. Wogegen Kavan in der Nacht gestorben ist.«

»Ich weiß.«

»Auch er war für mich wie ein Bruder, und als dann auch Brian und Eian fielen, haben die Tode meiner Brüder ihren Tribut von mir verlangt, wie es nun mal üblich ist. Ich habe trotzdem überlebt, als Krieger, Ehemann, als Vater und als Großvater. Ich habe ohne diese Teile, die mir durch das Ableben dieser drei entrissen worden waren, überlebt, weil man geliebte Wesen, die man durch den Tod verliert, am besten dadurch ehrt, dass man mit seinem eigenen Leben weitermacht und sich dem Tod auch weiterhin entgegenstemmt, so gut es geht.«

»Ich weiß, dass du das tust.« Sie folgte seinem Blick und sah den Hasen – grau wie ihre Augen –, der sich an dem Kohl auf dem Feld gütlich tat.

»Ich habe bisher niemanden verloren, der mir wirklich nahestand. Ich dachte jahrelang, mein Vater hätte einfach nichts mehr von mir wissen wollen.«

»Er hätte dich niemals verlassen. Nie.«

»Inzwischen weiß ich das, und ich weiß auch, dass man Verstorbene, die man geliebt hat, so ehrt, wie du es gerade gesagt hast.«

»Ich bin im Rat, und ich versuche, möglichst klug und ehrlich dort zu sein. Ich kämpfe gegen unsere Feinde an. Ich bin verantwortlich für meine Frau, die Witwe meines Jungen, seinen Bruder, seine Schwester, meine Ma und meinen Da. Für diese Leute muss ich stark sein, weil auch ihnen durch den Tod von meinem Sohn etwas entrissen worden ist. Aber mein Sohn, mein Kind, das seinen ersten Atemzug in meinen Armen tat, ist nicht mehr da. Und das Kind, das jetzt geboren werden wird, wird seinen Vater niemals kennen. Seine Frau wird niemals mehr in seinen Armen liegen, und ich selbst und seine Mutter werden niemals wieder seine Stimme hören. All diese Dinge wurden uns genommen, und ich weiß nicht, wie ich jetzt noch weiterleben soll.«

Breen nahm ihn wortlos in den Arm. Sie hatte keine Worte und auch nicht die Macht, ihm seine Trauer abzunehmen, doch sie konnte seinen Schmerz zumindest teilen und ihm zeigen, dass er nicht allein war.

»Du bist ein Krieger«, stellte sie am Ende fest. »Ein Ehemann, ein Vater und ein Großvater. Das heißt, dass du dich abermals dem Tod entgegenstemmen wirst. Das Licht der Toten wird die leeren Stellen füllen, die dir durch den Tod entrissen wurden, und Phelins Licht wird in dir weiterbrennen und immer bei dir sein.«

Sie unterdrückte die in ihren Augen aufsteigenden Tränen, legte eine Hand an seine Brust und sah ihm ins Gesicht. »Ich kann sein Licht in deinem Herzen spüren. Und das von meinem Vater auch. Es ist so hell, dass nicht einmal der Tod es trüben kann.«

Flynn legte seinen Kopf auf ihrer Schulter ab und stellte leise seufzend fest: »Er wäre furchtbar stolz auf dich gewesen.«

»Sein Licht leuchtet auch in mir.«

Er hob den Kopf und streichelte ihr Haar. »Ich sehe ihn in dir, und das ist mir ein Trost. Und auch du selbst bist mir ein Trost.« Er küsste ihre Stirn. »Ich danke welcher Macht auch immer, die dich zu der Bank geführt hat, während ich hier saß. Mein kleiner roter Hase«, murmelte er rau. Dann küsste er sie abermals, stand auf und ging.

Am liebsten wäre Breen in Tränen ausgebrochen, ganz allein mit der Last der Trauer unter diesem Weidenbaum.

Nicht hier, sagte sie sich, denn vielleicht käme irgendwer vorbei und sähe ihren Schmerz. Entschlossen stand sie auf und rief nach ihrem Drachen, denn, bei Gott, sie brauchte Luft und Abstand zu der ganzen Trauer, die sie hier umgab.

Als Lonrach landete, erklomm sie seinen roten Rücken mit den goldenen Spitzen, doch als Faxe es ihr gleichtun wollte, meinte sie: »Du wartest hier, okay?«

Dann ließ sie Lonrach in den Himmel schießen, hoch und schnell, damit die Luft an ihr vorüberzog und ihre Haare und den Umhang wehen ließ. Der Wind war schneidend, als es immer höher durch die klammen Wolken ging. Und als Talamh nur noch wie eine Spielzeuglandschaft wirkte, fing sie an zu schreien.

Sie schrie die ganze Trauer und den ganzen Zorn, der eng damit verbunden war, heraus. Die Luft um sie herum erbebte, Blitze zuckten, Donner grollten, aber das war ihr egal.

Sie hatte es verdient zu schreien, nach all dem Blut und all den Tränen, die vergossen worden waren. Licht und Dunkel prallten aufeinander, und die Wolken brachen auf und ließen ihre Tränen ungehindert auf die Erde fallen.

Breen hieß den Sturm willkommen und reckte ihre Fäuste in die Luft.

»Ich werde dich verdammen!«, brüllte sie. »Ich schwöre dir bei allen Göttern, für den Tod von meinem Vater, für den Tod von Phelin und die Tode all der anderen bringe ich dich um.«

Dann ließ sie Lonrach wieder tiefer fliegen zu dem Ort, an dem sie seit dem Tag der Schlacht nicht mehr gewesen war.

Er landete im Wald, und während Wind und Regen durch die Bäume peitschten, sprang sie ab und trat entschlossen vor den Schlangenbaum. Ihr Blut hatte den Übergang geöffnet und die Hölle nach Talamh gebracht, bevor er dann mit ihrem Blut und dem von ihrer Nan und Tarryn abermals geschlossen worden war.

Sie bündelte all ihre Kräfte, reckte ihr Gesicht dem Sturm entgegen und verschmolz mit ihm. Dann stand sie in und neben sich und hell wie eine Feuersäule vor dem Baum.

»Odran, du Verdammter, höre meine Stimme und erzittere vor Furcht. Ich bin Breen Siobhan O’Ceallaigh, Kind der Fey, der Menschen und der Götter, Licht und Dunkel, Hoffnung und Verzweiflung, Frieden und Zerstörung. Bin der Schlüssel und die Brücke und die Antwort, und ich werde dich, mit allem, was ich bin, vernichten. Werde dafür sorgen, dass das Blut in deinen Adern kocht, das Fleisch an deinen Knochen brennt und alle Welten deine Angst- und Schmerzensschreie hören. Höre meine Stimme, Odran, den die Götter einst aus ihrem Kreis verstoßen haben, und erschaudere. Nicht mal die Hölle wird am Ende deine Asche haben wollen. Es ist mein Schicksal, dich vollständig zu vernichten. Und ich werde es erfüllen, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.«

Aus ihren ausgestreckten Händen strömte Licht, und ihre Augen waren so wild und dunkel wie der Sturm.

»Du musst da weg!«

Sie fuhr herum, und Keegan schaffte es mit Müh und Not, nicht umzufallen, als ihm ihre grenzenlose Energie entgegenschlug.

»Du musst da weg!«, schrie er noch mal und funkelte sie wütend an. »Willst du riskieren, den Übergang mit deinem Zorn zu öffnen?«

»Keine Angst, die Tür bleibt zu. Aber ich wollte, dass mich Odran sicher hört.«

»Du hast ihm deins gesagt, und jetzt tritt einen Schritt zurück.« Sie stand, verdammt noch mal, zu dicht am Baum, und sandte Wellen glühend heißen Zorns in seine Richtung aus, deshalb marschierte Keegan auf sie zu und packte sie am Arm.

Der Schlag, den er verpasst bekam, erschütterte ihn bis ins Mark, doch es gelang ihm wenigstens, sie einen Schritt zurückzuziehen.

Der Hund stand nass und jaulend neben ihm, und Breen bedachte ihn mit einem bitterbösen Blick.

»Glaubst du, du kannst mich aufhalten?«

»Wenn’s sein muss.« Keegan schob sich zwischen sie und das Portal, und plötzlich drückte ihre Miene neben Zorn Verwirrung aus. »Du musst jetzt aufhören.«

»Womit? Was ist denn los?«

»Du hast den Sturm heraufbeschworen und musst jetzt dafür sorgen, dass er sich auch wieder legt.«

»O Gott.« Erschaudernd schlug sie sich die Hände vors Gesicht. »Es tut mir leid. Es tut mir leid.« Zitternd sank sie auf den Boden und erklärte abermals. »Es tut mir leid.«

Der Wind erstarb, der Regen ebbte ab, und auch die Spannung, die die Luft hatte erbeben lassen, legte sich.

»Du hättest nicht allein herkommen sollen«, fing Keegan an, sie aber rollte sich zu einem Ball zusammen und brach in hemmungsloses Schluchzen aus.

Nachdem die Wut verraucht war, brachen sich die allzu lang zurückgehaltenen Tränen der Verzweiflung und der Trauer Bahn.

Der Hund lief leise wimmernd zu ihr, und auch Keegan beugte sich zu ihr herab und strich mit seinen Händen über ihre Haare, ihre Schultern und den Rücken, bis sie warm und trocken war. Dann zog er sie an seine Brust und überlegte, wie er sie am besten trösten könnte, doch am Schluss fiel ihm nichts anderes ein als ein banales: »Schschsch …«

»Es tut mir leid.«

»Das sagtest du bereits. Jetzt ist es ja vorbei. Heul meinetwegen noch ein bisschen weiter, wenn’s nicht anders geht.«

»Ich habe Flynn getroffen und … ich habe seine Trauer neben all der anderen Trauer einfach nicht mehr ausgehalten, deshalb habe ich …«

»Die Götter angeschrien.«

Sie blickte auf, und er sah sie mit einem schiefen Lächeln an. »Ich nehme an, dass deine Schreie selbst im fernen Westen noch zu hören waren.«

»Oje, wie dumm von mir.« Noch einmal schlug sie sich die Hände vors Gesicht. »Das hätte ich nicht machen sollen. Ich habe sicher allen einen Riesenschrecken eingejagt.«

»Ich bitte dich, wir sind hier schließlich in Talamh. Wir kriegen nicht gleich weiche Knie, wenn sich eine von uns Luft macht, und im Grunde waren die Leute eher begeistert, als sie mitbekommen haben, was für Riesenkräfte du inzwischen hast. Wobei der Sturm vielleicht ein bisschen übertrieben war, weil er die Wäsche von den Leuten von den Leinen hat fliegen lassen und so.«

»Es tut mir …«

»Langsam kann ich’s wirklich nicht mehr hören. Du hattest mir versprochen, nicht allein hierherzukommen«, hielt er ihr grimmig vor.

»Das wollte ich auch nicht.« Sie schüttelte den Kopf und brach in neuerliches Schluchzen aus. »Das heißt, so hatte ich es nicht geplant. Wahrscheinlich bin ich einfach kurz ein bisschen durchgedreht.«

»Ich finde, eine Stunde ist nicht wirklich kurz. Ich wusste nicht sofort, wo ich dich finde, aber dann hat mich der kleine Kerl hier abgeholt.« Er streichelte Faxe. »Ich habe dich gesucht, um dir zu sagen, dass es losgehen kann. Wobei du nach der ganzen Energie und all den Tränen jetzt wahrscheinlich zu erledigt für die Reise bist. Am besten warten wir also bis morgen früh.«

»Wo soll’s denn hingehen?«

»Ins Tal.« Er richtete sich wieder auf und zog sie hoch.

»O nein. Ich musste meinem Herzen Luft machen und Odran wissen lassen, dass ich ihn vernichten werde, denn sonst wäre ich geplatzt. Aber du kannst mich nicht einfach nach Hause schicken, nur weil ich kurzfristig … nicht ganz bei mir war.«

»Nicht ganz bei dir? Du hast einen solchen Sturm entfacht, dass selbst die Schafe durch die Luft geflogen sind.«

»O Gott.«

»Sie sind am Ende wieder gut gelandet, und auch wenn ich als der Taoiseach dich mit Fug und Recht nach Hause schicken könnte, werde ich statt in der Hauptstadt erst mal anderswo gebraucht. Und du wirst mich begleiten, weil ich die Gesellschaft brauche und mir klar ist, dass du auch nicht länger in der Hauptstadt bleiben kannst.«

»Das stimmt.« Jetzt trat sie auf ihn zu und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Ich muss hier weg. Am besten heute noch.«

»Dann reisen wir noch heute ab. Wir machen uns ein bisschen sauber, und dann kannst du packen und dich von den anderen verabschieden. Und vielleicht könntest du ja Marco sagen, dass ich nichts dagegen habe, falls er heute Abend seine tollen Spaghetti Bolognese für uns macht.«

»Okay.« Sie atmete erleichtert auf. »Am besten richte ich mich etwas her, denn so verheult sollen mich die anderen nicht sehen.«

»Nein.« Er packte ihre Hand. »Sie haben dich schreien hören, also können sie auch deine Tränen sehen. Sie sollen dich so sehen, wie du bist. Und eins kann ich dir sagen – Odran hat nicht mal den Hauch von einer Chance gegen diese Furie, die eben hier gestanden hat.«

»Das weiß ich selbst. Und jetzt komm mit. Wir wollen schließlich heute noch zurück ins Tal.«

2

Breen verabschiedete sich noch und nahm für Aisling und Morena Briefe ihrer Mütter mit. Und als sie hinter Faxe auf dem breiten Rücken ihres Drachen Lonrach Platz nahm, dachte sie an ihren wilden Flug in Richtung Hauptstadt vor der großen Schlacht zurück. Erfüllt von nackter Angst, war sie in aller Eile Richtung Osten aufgebrochen, und jetzt kehrte sie als eine andere ins Tal und in ihr Häuschen in der Bucht zurück.

Sie kannte dieses Land, die fruchtbaren Täler und die grünen Hügel, den Geruch der dichten Wälder und die Berge, deren Gipfel majestätisch in den Himmel ragten, all die Dörfer, Häuser, Höhlen und all die, die dort zu Hause waren.

Durch die Wolken sah sie einen Reiter, der den Weg hinuntergaloppierte, eine Frau mit einem Umhang und mit einem Wäschekorb unter dem Arm, da vorn einen Hirsch, der wie ein König aus dem Wald geschritten kam, und dort am Ufer eines Baches eine Frau mit einer Angel, neben der auf einer Decke ein dick eingepacktes Baby lag.

In den Minen in den Bergen gingen die Trolle ihrer Arbeit nach, und in den Klassenzimmern hingen Kinder, statt dem Unterricht zu folgen, abenteuerlichen Träumen nach. Bauern wetzten ihre Pflüge und fuhren die Winterernte von den Feldern ein, und Mütter brachten ihre Kinder für den Mittagsschlaf zu Bett.

Und überall trainierten Krieger für den Kampf, um diese Hügel und die Täler, Berge, Flussläufe und alle, die hier lebten, vor dem Zorn eines gefallenen Gottes zu bewahren.

Und jetzt, nachdem sie selbst für Talamh gekämpft und Blut vergossen hatte, war auch sie ein Teil von alledem.

Sie sah dorthin, wo Keegan auf dem Rücken seines Drachen saß. Die unduldsamste und zugleich geduldigste Person, der sie in ihrem Leben je begegnet war. Ein harter, doch in seinem tiefsten Innern sanftmütiger Kerl. Ein Mann der Widersprüche, der bereit war, in den Kampf zu ziehen, zu töten und sein eigenes Leben hinzugeben, um der Welt der Fey und anderen Welten dauerhaften Frieden zu bescheren.

Sie lenkte Lonrach etwas dichter neben Cróga, weil sie sonst über den laut pfeifenden Wind hinweg nicht zu verstehen war.

»Und was passiert als Nächstes?«

Er sah sie kurz an und blickte dann erneut über das Land und durch die Luft bis hin zur fernen See.

»Du machst mit dem Kampf- und Zaubertraining weiter wie zuvor.«

»Ich meine, jetzt.«

»Das machst du jetzt und morgen und am Tag danach. Wir haben noch Zeit, aber wir können es uns nicht leisten, auch nur eine Stunde zu vergeuden. Odran hat bei dieser Schlacht viel mehr verloren als wir. Er trauert zwar nicht so wie wir, weil die Dämonen und die dunklen Kräfte, die er gegen uns ins Feld geschickt hat, ihn nicht wirklich interessieren. Aber er hat Kraft verloren.«

»Das heißt, dass er jetzt neue Kräfte sammeln muss. Was Wochen, Monate oder vielleicht auch Jahre dauern kann.«

»Ganz sicher keine Jahre. Diesmal nicht.«

»Weil ich hier bin.«

»Und weil er denkt, er wäre kurz davor, dich zu erwischen. Dich und alles, was du bist. Du bist der Schlüssel und die Brücke und als Menschen-, Fey- und Göttertochter alles, was er will. Und jetzt glaubt er, es würde nicht mehr lange dauern, bis er sich dich schnappen und an allen Welten rächen kann.« Er wandte sich ihr wieder zu. »Aber da liegt er falsch. Er ist von seinem Ziel weiter entfernt als je zuvor.«

»Warum denn das?«

»Wegen allem, was du bist. Also, willst du in dein Häuschen oder erst einmal ins Tal? Ich bringe dich, wohin du willst, bevor ich selbst noch einen Abstecher nach Süden machen muss.«

»Du fliegst nach Süden?«

»Ja. Solange sie mich in der Hauptstadt brauchten, konnte ich die Pflichten, die ich auch dort unten habe, nicht erfüllen. Mahon kümmert sich um den Wiederaufbau, um den Klosterabriss und den Bau des Denkmals, aber ich muss zeigen, dass auch der Süden vom Taoiseach nicht vergessen worden ist.«

»Dann will ich auch nach Süden fliegen.«

»Aber es ist jetzt schon Wochen her, seit du zum letzten Mal zu Hause warst.«

»So geht es dir doch auch. Und nein, ich bin kein Taoiseach«, kam sie ihm zuvor. »Aber du hast gesagt, dass ich die Leute meine Trauer sehen lassen soll. Das werde ich jetzt auch im Süden machen, oder hätte ich mich etwa nur den Leuten in der Hauptstadt zeigen sollen?«

Er sah sie an, doch schließlich nickte er und bog nach Süden ab.

»Die Wärme wird wahrscheinlich eine nette Abwechslung«, bemerkte er im Plauderton.

»Bestimmt. Aber die Kälte macht mir eigentlich nichts aus. Ich mag zum Beispiel, was sie mit den Bäumen macht. Das Grün der Pinien wirkt dann dunkler, und ich mag es, wenn das Laub der Eichen und Kastanien und der Ahornbäume explodiert. Das Licht verändert sich, die Nächte werden länger und das Rotwild kriegt sein Winterfell. Ich hätte nie erwartet, hier auch einen Herbst und einen Winter zu erleben. Nicht, als ich nach Irland kam, und auch nicht, als ich plötzlich in Talamh gelandet bin.« Sie zeigte Richtung Norden, wo zwei Drachenreiter auf Patrouille waren.

»Die zwei gehören zu uns«, erklärte Keegan ihr.

»Natürlich tun sie das, weil Odran schließlich keine Drachen hat«, ging es ihr plötzlich auf.

»Genau. Sie sind so rein, dass er es nicht schafft, sie umzudrehen oder zu versklaven, so wie einige der Fey.«

»Und wenn er ihre Reiter umdreht?«

»Drehen sie sich nicht mal ihrer Reiter wegen mit. Dann trauern sie, und manchmal gehen sie vor lauter Trauer ein. Und wenn die Reiter nicht freiwillig auf die dunkle Seite wechseln, sondern Odran sie versklavt, dann warten sie auf sie.«

Er glitt mit einer Hand über die glatten Schuppen seines eigenen Drachen und fuhr fort. »Wenn Odran könnte, würde er sie alle töten, weil er sie niemals auf seine Seite ziehen können wird. Da vorn.« Er wies mit seiner freien Hand nach vorn. »Da sind der Süden und sein Meer.«

Breen sah das endlos weite, leuchtend blaue Wasser, goldene Strände, sanft wogende, grüne Hügel und den dichten Wald.

Auf einem Hügel oberhalb der Strände und des ausgedehnten Dorfs ragte ein kreideweißer, riesengroßer Dolmen in die Luft.

»Ist das das Denkmal?«

Keegan flog im Kreis und sah es sich von allen Seiten an. Und ja, er wusste noch zu gut, was an dem Ort geschehen war.

»Genau dort stand das Kloster, das den Frommen überlassen worden war. Wobei das Wort nicht passt, weil diese angeblichen Frommen Folterer und Mörder waren. Das Kloster wurde ihnen überlassen, nachdem sie geschworen hatten, nur noch gute Taten zu vollbringen, aber dann haben Toric und die anderen Schufte das Geschenk missbraucht, um weiter ihre grauenvollen Taten zu begehen. Das war unverzeihlich, deshalb haben wir das Haus, in dem sie ganz Talamh verraten haben, abgerissen, und den Grund, auf dem es stand, gereinigt und dann unserem Land sowie der Freiheit aller Fey geweiht. Der Dolmen steht als Sinnbild für das Opfer derer, die gefallen sind, um unsere Freiheit und den Frieden zu bewahren.«

»Er ist wunderschön.« Und traurig, dachte Breen. Wie Trauer, die in Stein gemeißelt war. »Das alles hier ist wunderschön. Das Meer, die Strände und das Dorf. Das Feuer an Samhain hat uns Brutalität und grenzenlosen Mut gezeigt. Ich habe dich, Mahon und Sedric und die anderen kämpfen sehen, aber jetzt ist es hier wieder wunderschön.«

»Wir haben uns gewehrt und werden uns auch weiter wehren, denn schließlich bleibt uns keine andere Wahl.«

Er lenkte Cróga zu dem Hügel und sprang ab, und während Faxe es ihm gleichtat, gab er Breen die Hand.

Sie atmete tief durch, bevor auch sie sich aus dem Sattel schwang, und als sie vor ihm auf der Erde stand, erklärte er: »Wir werden sie ein bisschen fliegen lassen, und wenn wir sie brauchen, kommen sie zurück.«

»Na lauf«, wandte sich Breen an ihren Hund, der gehorchte und eilig in Richtung Strand lief, wo er sich ins Wasser stürzte, um dort mit den Meerjungfrauen zu spielen.

»Er hat immer seinen Spaß.« Sie selbst wandte sich dem mindestens drei Meter hohen Dolmen zu. »Das ist ein mächtiges Symbol.«

Dann trat sie wieder einen Schritt zurück, als Mahon angeflogen kam und zwischen ihr und seinem Schwager landete. »Ihr kommt genau zur rechten Zeit. Den Schlussstein haben wir erst heute früh gesetzt.«

»Und offensichtlich passgenau. Ich hoffe, ihr kommt mit dem Wiederaufbau ebenfalls voran.«