SPQR - Neue Aufgaben - Norbert Wibben - E-Book

SPQR - Neue Aufgaben E-Book

Norbert Wibben

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Beschreibung

Zwei Mädchen, ein Junge und ein Kolkrabe bestehen mit Mut, Kombinationsgabe und Geschick Abenteuer. In der Dunkelheit fragt sich ein Gestrandeter, wo er sich befindet. Er hat bis soeben in den aufgewühlten Fluten um sein Überleben gekämpft. Er weiß nicht, wer er ist oder wo er sein könnte. Woher stammen die Bilder in seinem Kopf, die von einer Flucht übers Meer erzählen? Britta, Emma und Luke feiern den erfolgreichen Abschluss ihrer Ausarbeitung und den Beginn der Herbstferien in ihrem Stamm-Café mit heißer Schokolade. Sie werden von Ilse, der jungen Bedienung, um Hilfe gebeten. Sie besteht darauf, bei der Suche nach ihrem Freund auf keinen Fall die zuständige Polizei einzubeziehen. Die Suche nach den fehlenden Artefakten des Wikingerschatzes wurde bei der Kriminalpolizei auf Eis gelegt. Die Freunde wollen nicht so schnell klein beigeben, auch wenn der Aufruf in der Zeitung erfolglos geblieben ist. Sie grübeln, wie sie auf die Spur der Schmuckstücke kommen und gleichzeitig Ilse helfen können. SPQR hat damit zwei wichtige Aufgaben: die restlichen Artefakte und den Freund von Ilse zu finden! Spricht etwas dafür, dass die zweite in eine Falle führt? Sie könnte nur zu diesem Zweck von einem rachsüchtigen Gegner ausgedacht worden sein! Es geht schließlich um Jens, der ihnen Prügel angedroht hatte.

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Seitenzahl: 329

Veröffentlichungsjahr: 2020

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SPQR

Neue Aufgaben

Roman

Norbert Wibben

SPQR

Neue Aufgaben

SPQR, Band 3

Für meine Tochter Maraike,

heute wärest du vermutlich Tierärztin!

In Erinnerung an viele schöne Vorleseabende mit meinen Kindern verpacke ich auch diese Geschichte in den bekannten Dreizeiler:

Ein Huhn und ein Hahn – …

Seenot!

Im Café

Neue Aufgaben

Notizen des Gärtners

Gutsangehörige

Ilses Bericht

Überlegungen

Miras Bericht

Suche nach Portos‘ Freundin

Ein Versuch

Spuren

Wo ist Britta?

Verschwunden!

Gestrandet

Überraschung

Erklärung

Bei der Kripo

Erleichterung

Bombenterror!

Der Walfisch

Lagebesprechung

Spurensuche

Weitere Recherchen

Ein neuer Fund

Zweifel

Ergebnisse

Gedächtnisrückkehr

Datenauswertung

Hilfe der Kripo

Ein Déjà-vu?

Die Suche geht weiter

Auf dem Frachtschiff

Die Erinnerung ist zurück!

Nachricht von Clas Hinnerk

Ergebnisse im Archiv

Thorshammer oder Jens

Erfolg und Nachricht aus Tallinn

Gefunden!

Rückfahrt von Poel

SPQR – Detektive

Wichtige Hinweise

Danksagung

Seenot!

Ein Huhn und ein Hahn – die Geschichte fängt an

Es ist dunkel! Er friert fürchterlich! Seine Zähne schlagen klappernd aufeinander. Was ist passiert? Wo befindet er sich? Er kann weder etwas sehen noch sich erinnern. Gedankenfetzen ziehen durch seinen Kopf. Hat er nicht bis soeben gegen entfesselte Wassermassen angekämpft? Sein Blick klärt sich. Die weißen Schaumkronen und die auf ihn einstürzenden Wellenberge sind genauso verschwunden, wie die vielen Blitze und das sofort folgende ohrenbetäubende Krachen des Donners. Seine Finger sind in feinen Sand gekrallt, werden von hin und her fließendem Wasser umspült. Erneut beginnt er gierig nach Luft zu schnappen. Er will nicht sterben und muss weiterschwimmen, immer auf die weit entfernten Lichter zu! Seine Schwimmbewegungen wirken müde und unbeholfen. Wird er gleich von riesigen Wellen überspült, oder liegt er irgendwo auf einem Strand? Müsste er sonst nicht langsam versinken? Sein Blick verschleiert sich, dann umfängt ihn tiefe Bewusstlosigkeit.

Als Nächstes dringt Vogelgeschrei in sein Bewusstsein. Um ihn herum sind die schrillen Schreie kreischender Möwen und weiterer Seevögel zu hören. Was hat das zu bedeuten? Sehen kann er sie nicht. Das liegt nicht daran, dass ihn auch dieses Mal Dunkelheit umgibt. Nein. Der Tag beginnt zu dämmern, doch seine Augen betrachten lediglich fasziniert die halb von feuchtem Sand bedeckten Finger. Nichts anderes scheint ihn zu interessieren. Gehören die zu ihm? Er versucht sie zu bewegen. Befiehlt ihnen per Gedanken, sich weiter zu krümmen, tiefer in den Sand hinein. Aber sie bleiben starr in ihrer bisherigen Position. Sollte er gestorben sein und jetzt auf Teile seines leblosen Körpers blicken? Dann müsste sein Geist doch die Blickrichtung ändern können, während er sich langsam von der halb im Wasser liegenden Gestalt löst! Aber nichts dergleichen geschieht.

Seine Gedanken driften zu einem Bericht, den er vor Wochen im Fernsehen gesehen hat. Der handelte doch von Ertrinkenden! Er stellt sich nicht die Frage, woher er das weiß, sondern spult unbewusst die Bilder im Geist zurück.

Ein Reporter macht auf die verzweifelte Lage unzähliger Flüchtlinge aufmerksam, die ihr Leben beim Überqueren des Mittelmeeres aufs Spiel setzten.

»Eigentlich kann man die Nussschale nicht »Schiff« nennen, in der sich viele Menschen dicht an dicht drängen. Es ist ein völlig verrostetes und marodes Boot, das nicht einmal über eine Kabine verfügt, in der es eine Möglichkeit zur Verrichtung der Notdurft gibt. Dafür nutzen alle Insassen einen von vier Blecheimern, egal ob Mann, Frau oder Kind, deren Inhalt anschließend über Bord gekippt wird. Nahrungsmittel gibt es kaum. Diese sind nicht im Fahrpreis enthalten, sondern müssen vor Antritt der Reise zu überteuerten Preisen gekauft und mitgebracht werden. Wenige trockene Fladenbrote und einige Flaschen Wasser wurden von manchen der Reisenden organisiert, die besonders für deren Kinder gedacht sind.

Für die vage Aussicht, das große Meer in diesem unzureichenden Fahrzeug überqueren zu können, hat jeder der Flüchtlinge Geld gezahlt. Viel Geld sogar! Das waren oft die letzten Mittel der aus Krisengebieten Geflüchteten. Es wird für sie schwierig bis unmöglich werden, in dem Land jenseits des Wassers zu überleben. Alle hoffen, dass es dort mitfühlende Menschen und so etwas wie Gastfreundschaft gibt.«

Der Reporter steht vor einem Küstenstreifen am Mittelmeer, im Nirgendwo an der türkischen oder auch nordafrikanischen Küste, wie er sagt. Die Kamera erfasst Bilder von Flüchtlingen, die dort unter unwürdigen Verhältnissen leben. Es sind hauptsächlich junge Männer, aber es gibt auch Frauen und vor allem Kinder. Sehr viele Kinder sogar. Die Stimme fährt fort.

»Terror und Gewalt führen die Menschen aus Äthiopien, Afghanistan, dem Sudan und auch Syrien auf gefahrvollen Wegen an Orte wie diesen. Sie ergreifen dankbar die scheinbar einzige Möglichkeit zum Fortkommen. Der Besitzer des Schrottbootes kennt kein Mitleid. Er bleibt hart. Wie zu erfahren war, muss das Fahrzeug von denen gekauft werden, die darin reisen wollen, da er nicht mitfahren wird. Deshalb besetzen derart viele Flüchtlinge auch den letzten freien Quadratzentimeter. Nur gemeinsam können sie die verlangte Summe aufbringen. Dessen ungeachtet sind die zusammengedrängten Menschen zuversichtlich, da sie mehr Vertrauen in das Fahrzeug aus Blech, als in die sonst üblichen Schlauchboote aus Gummi haben.«

Die Bildaufnahme der Kamera ändert sich. Es herrscht Dunkelheit und ist offenbar lange nach der Abenddämmerung. Die Lichter der Patrouillenboote verlassen den Aufnahmebereich. Der Mann am Mikrofon deutet aufs Meer hinaus.

»Die Flüchtlinge bekommen das Signal zum Aufbruch, sobald die Boote der Küstenwache außer Sichtweite sind.«

Er überlegt, ob er einer derjenigen ist, über die der Reporter berichtet. Sein Blick verschleiert sich, dann versinkt er erneut in Dunkelheit.

Im Café

Der letzte Schultag ist zu Ende und die Herbstferien sind da! Britta, Emma und Luke sitzen vor dem Café, das bis zu den Sommerferien ihr Treffpunkt gewesen ist. Seitdem haben sie ungeahnte Dinge erlebt und auch ihren zentralen Punkt in Remus’ Prätorium verlegt. Das ist ein kleines Häuschen, das etwas versteckt auf dem ehemaligen Gutsgelände steht, das Rufus und Cloe Quint, Lukes Eltern, vor über einem Jahr gekauft haben. Die drei Fünfzehnjährigen haben die Erlaubnis bekommen, sich das Gebäude für ihre Zwecke herzurichten. Luke erblickte es zum ersten Mal, nachdem er einem großen schwarzen Vogel folgte. Der Kolkrabe überraschte ihn damit, dass er: »Hallo Junge!«, rief. Das hatte das kluge Tier vermutlich aufgeschnappt, als Rufus’ Freunde und der Jugendliche bei der Renovierung des ehemaligen Inspektorenhauses der Gutsanlage halfen.

Der Junge kann es rückblickend kaum fassen, was die Mädchen und er, aber auch der Rabenvogel inzwischen alles erlebt haben. Er entdeckte ein altes Notizbuch, das mit Emmas Hilfe übersetzt werden konnte. Sie kamen dem vor Jahren unterschlagenen Fund eines Wikingerschatzes auf die Spur und halfen der Kriminalpolizei tatkräftig bei dessen Wiederbeschaffung. Der Vogel und Emma wurden Darsteller in einem Film, der von dem bekannten Regisseur Edgar Poh in der Stadt gedreht worden war. Dank Brittas Ideen gelang es, die Gefahr abzuwenden, Remus an einen Tierpark abgeben zu müssen, aber auch, dem verschwundenen silbernen Schlangenarmreif auf die Spur zu kommen. Die Schüler wurden für ihre Hilfe zur feierlichen Präsentation des Schatzfundes in das Stadtmuseum eingeladen.

Obwohl es den Freunden lieber gewesen wäre, nicht derart in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden, kam ein Bild von ihnen in die Zeitung. Den Bericht hatte Rufus verfasst. Lukes Vater arbeitet als Reporter, konnte aber das Foto von den in dem Artikel erwähnten Personen nicht weglassen. Er hatte eine dreiteilige Abhandlung aus der Reportage gemacht, und in jedem Teil auch einen Aufruf zur Mithilfe bei der Wiederbeschaffung der restlichen, fehlenden Artefakte integriert.

Den vollen Umfang des Fundes kannte die Kriminalpolizei aus der Übersetzung der Kladde, die Emma gelungen war. Die vier Jungen Septimus, Portos, Quentin und Robin hatten vor vielen Jahrzehnten den Schatz gefunden, ihn aber behalten wollen. Sie nannten sich SPQR, nach den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen. Diese Bezeichnung haben die Jugendlichen ebenso für sich gewählt. In ihrem Fall resultiert sie aus den Anfängen ihrer Familiennamen, die sie sonst auch gerne als Abkürzung nutzen. S folgt aus Britta Schmitt, die auch scherzhaft ständig hungrig genannt wird. P steht für Emma Peter, die wegen ihres umfangreichen Wissens auch Professor gerufen wird. Q wiederum ergibt sich aus Luke Quint. Da er ein Fan des römischen Imperiums ist, passt der Buchstabe bei ihm auch für Quaestio, was Frage, Überprüfung und Test bedeutet, da der Junge oft sachlich bleibt und Dinge hinterfragt. Das fehlende R wird durch den Kolkraben Remus geliefert, der unzertrennlich an ihnen hängt.

Wegen der beginnenden Ferien ist bereits nach der siebten Stunde kurz nach vierzehn Uhr Schulschluss. Die Jugendlichen treffen sich an diesem Tag direkt im Anschluss im Café. Da heute frühherbstliches, schönes Wetter herrscht, setzen sie sich draußen an einen der auf dem Gehweg platzierten Tische. Sie bestellen sich jeder eine heiße Schokolade mit Zimt. Ihre Blicke richten sich über die Straße auf das Stadtmuseum und sie denken an die ereignisreichen letzten Wochen.

Welche Gelegenheit werden sie in den kommenden Tagen wohl bekommen, ihre sich ergänzenden Talente anzuwenden? Das sie gemeinsam Großartiges leisten, haben sie erneut in ihrer Ausarbeitung »York, eine Aufgabe« über die Studienfahrt nach England bewiesen. Die Bekanntgabe, welches die am besten gelungene Abhandlung sei, war von den Lehrern Alanis Coregan und Erwin Hallmark spannend gestaltet worden. Die Schüler der drei auszuzeichnenden Arbeiten wurden in der Aula zu ihnen gerufen. Unerwarteterweise waren Albert Schramm und Ferdinand Krum mit »Das Münzwesen zu unterschiedlichen Zeiten« dabei. Doch sie kamen nur auf den zweiten Platz hinter Britta, Emma und Luke. Seltsamerweise fühlen sich die Freunde trotz des hervorragenden Ergebnisses zwar zufrieden, aber auch wie leergepumpt. Vermutlich braucht die Freude nach den Anspannungen der letzten Tage einige Zeit, bis sie wahrgenommen wird.

Die drei sitzen sinnierend auf den Stühlen und pusten über die heißen Getränke. Britta sprudelt wie so oft nur so vor Ideen, die sie dessen ungeachtet vorher gründlich überlegt. Im Moment grübelt sie darüber, ob sie sich Visitenkarten anfertigen sollten, auf der »SPQR – Lösung kniffliger Aufgaben« zu lesen ist. Dadurch würden sie neben der Schule hoffentlich an spannenden Aufträgen arbeiten. Mit Emmas Hilfe könnten sie für Reklamezwecke eine Homepage und auch Seiten in den verschiedenen sozialen Medien erstellen, auf denen sie ihre bisherigen detektivischen Erfolge darstellen würden. Falls die Domain noch nicht vergeben ist, würde sie »SPQR – Vier Freunde« als deren Namen bevorzugen, und das ebenso in den Netzwerken nutzen wollen. Ob das funktionieren kann oder zu großen Aktualisierungsaufwand bedeuten wird?

In diese Gedanken dringen Lukes Worte.

»Der Thorshammer und ein kupferner Armreif fehlen noch, dann ist der ursprüngliche Fund komplett.«

»Wir wissen aus den Aufzeichnungen, dass diese Fundstücke von einem der vier Freunde gestohlen worden waren, woran ihre Freundschaft zerbrach.« Emma zitiert damit, was sie übersetzt hatte. »Uns ist sogar bekannt, wie die Artefakte aussehen, da Robin sie, wie alle anderen Stücke auch, skizziert hatte.«

Jetzt schaltet sich Britta ein. Sie schiebt ihre bisherigen Überlegungen vorerst in den Hintergrund und blickt Luke an.

»Hat der Aufruf in dem Artikel deines Vaters bisher nichts erbracht?« Das Mädchen hat den dreiteiligen Bericht von Rufus Quint in der Zeitung gelesen und, wie seine Freunde oder auch die Kripo, gehofft, die Einbindung der Bevölkerung könne zu einem positiven Durchbruch bei der Suche verhelfen. Die Kriminalpolizei hat den Fall »Wikingerschatz« bis zur Erlangung neuer Erkenntnisse vorläufig »auf Eis gelegt«, da sie sich um wichtigere Aufgaben kümmern muss. Deshalb grübeln die Jugendlichen, wie sie auf die Spur der letzten Artefakte kommen könnten. Klein beigeben wollen sie so schnell nicht!

Luke schüttelt den Kopf.

»Bis heute Morgen jedenfalls nicht. – Es ist schon erstaunlich, dass die Kripo zwar herausbekommen hat, dass die Familie des Jungen Portos Fuller etwa zwanzig Jahre vor dem Krieg nach Usedom gezogen ist. Zumal viele Archive und Unterlagen der Meldeämter zerstört worden sind. Dieser hatte, inzwischen erwachsen, dort ab 1940 als Hilfsarbeiter beim Errichten des Kraftwerks in Peenemünde geholfen, zog aber bereits 1941 zurück an seinen Geburtsort. Er blieb unverheiratet und starb wenige Jahre nach dem Ende des Krieges. Clas Hinnerk und Inge Husmann haben versucht, in der Grünlandstraße Erkundigungen einzuziehen. In dem Haus mit der Nummer fünf wohnte Portos, doch ehemalige Nachbarn gibt es dort nicht mehr.«

»Du hast Recht. Wir sollten uns auf die fehlenden Schmuckstücke konzentrieren, obwohl ich nicht wüsste, wo wir ansetzen können.« Emma blickt ratlos, aber Britta hat plötzlich eine Eingebung.

»Die Kommissare sagten doch, die Familie von Robin, dem Großvater Heribert Jettins, ist noch vor dem Krieg verzogen. Er wohnt jetzt in der Nähe des Vogelparks Paltow. Von ihm wissen sie, dass die vier ehemaligen SPQR bis dahin zusammen in dem kleinen Ort lebten, der sich um den Gutshof gebildet hatte. Inge Husmann sagte, die Dalkows bewohnten sogar das Haus des Aufsehers, das Inspektorenhaus. Das erklärt auch, warum du, Luke, die Kladde mit den Notizen in Remus' Prätorium finden konntest.«

»WAS?« Der Junge mit der sportlichen Figur und den rot-blonden, kurz geschnittenen Haaren, springt entgegen seiner ruhigen Art auf und stößt dabei fast den Tisch um. Das freundliche Gesicht zeigt sein Erstaunen und die dunklen Augen sind auf Britta gerichtet. »Wann hat sie das gesagt, davon habe ich nichts mitbekommen.«

»Das? Hm, – genau. An dem Tag, als sie uns aufs Kommissariat geladen hatten. Das war, als der Museumsleiter und die Stadtvertreter sich mit dir, Emma und deinem Vater unterhielten. – Warum? Weshalb bist du so aufgeregt?«

Luke setzt sich und beginnt, nachdem er einen Schluck der inzwischen abgekühlten Schokolade genommen hat:

»Es sind nur wenige der alten Unterlagen des Gutshauses erhalten geblieben. Es ist im Krieg zerstört worden, doch einiges konnte gerettet werden. Darunter befindet sich auch der Plan der Gutsanlage, den ich euch einmal zeigte. Er wurde in dem Inspektorenhaus gefunden. – Es mag sein, dass dort wichtige Aufzeichnungen von dem Gutsinspektor verwahrt wurden, ob als Kopien oder Originale, ist letztlich egal. Ich meine, den Namen Dalkow in einem der Bücher gelesen zu haben – vielleicht gibt es darin Hinweise zu den anderen Familien.«

»Eigentlich hätten wir doch sofort darauf kommen müssen, dass die vier Jungen damals in der Nähe des Gutshauses wohnten. Wieso sollten sie sich sonst in dem Haus treffen und die Kladde dort deponieren?« Britta streicht in Gedanken einen Zusatz für ihre Visitenkarte durch. Nach dem Lob der Kommissare, sie hätten kriminalistisches Gespür bewiesen, wollte sie als Ergänzung »Detektive« darauf schreiben. In diesem Moment kommt ihr das wie eine nicht so passende Idee vor.

»Das war zwar naheliegend, aber bisher kannten wir ihre Familiennamen nicht. Dadurch ergibt sich ein möglicher neuer Ansatz!« Luke ist aufgeregt. »Hat die Kommissarin auch die Namen der anderen genannt?« Er und Emma blicken ihre Freundin abwartend an. Die überlegt nicht lange.

»Das hat sie. Augenblick, ich habe mir das im Handy notiert.« Sie entsperrt es mit dem Daumenabdruck, tippt kurz auf das Display und liest vor. »Die Kommissare bekamen die ehemaligen Adressen von Heribert Jettin.

Septimus Dalkow, Gutshof 4

Portos Fuller, Grünlandstraße 5

Quentin Spaht, Neuländer Hof 3.

Jetzt fällt mir auf, dass die Adresse der Jettins nicht genannt wurde. Doch das dürfte für unsere Nachforschungen unerheblich sein, da Portos und nicht Robin die fehlenden Stücke an sich genommen hatte.«

»Entschuldigt bitte, wenn ich störe.« Ilse Lemkul, die seit dem Sommer als neue Bedienung im Café arbeitet, hat den Nebentisch abgeräumt und steht jetzt neben den Freunden. »Ihr habt doch geholfen, den Wikingerschatz wiederzufinden.«

»Ähem, ja?« Den Jugendlichen ist es unangenehm, darauf angesprochen zu werden. Die plötzliche Berühmtheit führte in der Schule dazu, dass sich manche Kinder mit ihnen auf Selfies ablichten wollten. Das hatten sie durch eine entsprechende Information am schwarzen Brett zwar erfolgreich unterbunden, doch einige Fünftklässler fotografierten sich gegenseitig, wobei sie kichernd darauf achteten, mindestens einen der drei Freunde im Hintergrund mit einzufangen.

»Ja nun«, beginnt die junge Frau. Sie wringt ihre Hände und überlegt offenbar, wie sie anfangen soll. »Ich brauche eure Hilfe!«, sprudelt es dann aus ihr heraus.

Neue Aufgaben

Britta, Emma und Luke wissen nicht, was sie erwidern sollen. Wobei könnten sie der Bedienung des Cafés helfen? Wenn sie weitersprechen würde, hätten sie wenigstens einen Ansatz, auf den zu reagieren möglich wäre, egal ob zustimmend oder nicht. Doch die junge Frau mit den schulterlangen, mittelblonden Haaren, blickt nur abwechselnd in die Gesichter der Schüler.

»Wobei sollen wir ihnen helfen?« Britta durchbricht als erste die Stille. Es scheint ihr unmöglich, länger sprachlos dazusitzen. Welchen Grund mag es für die Frau geben, zu vermuten, sie könnten ihr behilflich sein?

»Ich heiße Ilse Lemkul. Ho… Hoffentlich nehmt ihr mir meine Frage nicht krumm. Aber ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden könnte.« Sie schluckt heftig.

»Haben sie den Aufruf in der Zeitung gelesen, worin die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach den noch verschwundenen Schmuckstücken gebeten wurde?« Luke blickt sie fragend an. Vermutet er richtig? »Haben sie irgendwelche Informationen darüber?«

»Nein, das ist es nicht. – Ich bin vor drei Monaten in diese schöne Stadt gezogen und kenne hier außer meinem Freund und der Chefin kaum jemanden.« Erneut herrscht Stille.

Emma schaut sie erstaunt an.

»Und weshalb meinen sie, wir könnten ihnen behilflich sein, und vor allem, wobei? Das haben sie bisher nicht gesagt.«

In diesem Moment wird im Café innen an das Schaufenster geklopft. Die junge Frau wird hinein gewunken. Sie macht auf dem Absatz kehrt, nimmt das auf dem Nebentisch abgestellte Geschirr auf und geht damit zum Eingang. Sie dreht sich vor dem Öffnen der Tür kurz zu den Freunden zurück.

»Bitte helft mir!« Nach diesem verzweifelt klingenden Satz verschwindet sie im Café.

Die Mädchen und der Junge wissen nicht, was sie davon halten sollen. Sie sind zwar in der Zeitung als durchaus erfolgreiche Helfer der Polizei bei der Ermittlung und Wiederbeschaffung einiger Stücke des ehemaligen Schatzfundes genannt worden, doch darum geht es nach Ilses Aussage nicht. Emma und Luke schauen eher verwirrt. Britta wirkt abwesend, sie versinkt in Gedanken. Sollte das ein Fingerzeig sein, der zu ihren Überlegungen mit Visitenkarte und Homepage passt? Sie hat dichte, lange, rote, gelockte Haare, die über die Schulter herabhängen. Ihr Gesicht ist übersät mit unzähligen Sommersprossen. Ihre grünlichen Augen beginnen zu leuchten.

»Sie hat uns um Hilfe gebeten und erwähnt, wir hätten beim Fund des Wikingerschatzes geholfen«, beginnt sie langsam.

»Doch damit hat ihre Bitte nichts zu tun«, erwidert der Junge.

»Könnte es sein, dass sie einfach nach neuen Freunden sucht?«

Der von Emma laut geäußerte Gedanke führt bei den anderen zu heftigem Kopfschütteln.

»Auch wenn wir nicht viel jünger als sie sind, würde das altersmäßig kaum passen.« Diese Einschätzung Brittas wird mit nachdenklichem Kopfnicken beantwortet. »Ich schätze sie auf siebzehn oder eher achtzehn Jahre. Unsere Interessen liegen vermutlich auf unterschiedlichen Gebieten.«

Sie trinken den Rest aus ihren Tassen und überlegen, was sie tun sollen. Einerseits verlangt es sie, weiter nach den fehlenden Artefakten zu forschen. Sie wurden aber andererseits dringend um Hilfe gebeten. Darüber können sie nicht einfach hinweggehen! Zumindest so lange nicht, wie unklar ist, worum es überhaupt geht.

Wie so oft hat Britta eine Idee. Sie weiß, wie sie das herausbekommen kann.

»Ich gehe hinein und bestelle uns das Gleiche noch einmal. Einverstanden?« Bevor die anderen etwas sagen, oder sie womöglich aufzuhalten versuchen könnten, springt sie auf und eilt in das Café. Die Freunde drehen sich um, so dass sie durch das Schaufenster nach innen schauen können. Ilse Lemkul ist nirgends zu bemerken. Dafür sehen sie, wie die Freundin mit der Besitzerin spricht. Sie dreht Ihren Kopf dabei so, dass sie auch in den hinteren Teil des Geschäfts blicken kann. Dann kommt sie zurück.

»Ich habe für jeden von uns zusätzlich zur heißen Schokolade einen Apple crumble bestellt. Damit will ich nicht nur eine Erinnerung an England heraufbeschwören. Ich möchte vielmehr sichergehen, dass uns Ilse Lemkul bedient. Sonst wäre an ihrer Stelle womöglich die Inhaberin herausgekommen, doch so sind zwei zur Bedienung erforderlich.«

Dass eine Person auch zweimal laufen und die bestellten Dinge nacheinander bringen könnte, hat sie nicht bedacht. Und wirklich, wenige Minuten später balanciert die Café-Betreiberin die Teller mit der lecker duftenden Nachspeise auf einem großen Tablett nach draußen. Doch bevor die Freunde Brittas Ansinnen als fehlgeschlagen bewerten, folgt kurz darauf Ilse Lemkul. Die benötigt bei der Bedienung etwas mehr Zeit. Die neuen Trinkbecher stellt sie zuerst auf dem Nebentisch ab und sammelt die gebrauchten ein. Erst danach platziert sie die dampfenden Tassen vor die Schüler. Wie vorhin bezahlen sie ihre Rechnung sofort. Das ist immer dann gerne gesehen, wenn die Kunden ihre Bestellung draußen genießen. Dadurch gewinnen sie aber auch Zeit, die die junge Frau offenbar braucht, um ihre Bitte um Hilfe zu erläutern. Da das erneut länger dauert, versucht Luke abzukürzen.

»Wir können ihnen nur dann helfen, wenn sie uns sagen, worum es geht.«

»Habe ich das denn noch nicht?« Die junge Frau blickt überrascht in die Runde. »Ich suche meinen Freund.«

»Wenn sie ihn vermissen, sollten sie sich an die Polizei wenden«, beginnt Emma. »Die haben dafür nicht nur geeignete Fahndungsmöglichkeiten, sondern auch mehr Erfahrung als wir.«

»Das ist unmöglich!«, entgegnet Ilse Lemkul mit flackerndem Blick. »Ich …«, sie schluckt heftig, »darf oder kann die Behörden nicht einschalten.«

»Aber, falls ihr Freund verschwunden ist, wie können wir da helfen?« Die drei wissen nicht, was sie davon halten sollen. Die Bedienung wirft einen Blick ins Innere des Cafés. Wird ihre Chefin gleich wieder nach ihr verlangen?

»Ich möchte die Stelle hier nicht verlieren und muss hinein. Könntet ihr mich treffen, sobald meine Arbeitszeit vorbei ist? Geht es um kurz nach neunzehn Uhr, an der Schweinebrücke?« Sie nimmt das Geschirr auf und wendet sich zum Gehen. »Es kann aber auch etwas später werden, wenn letzte Gäste da sein sollten.«

»Wir werden auf sie warten, versprochen!« Britta will der jungen Frau zumindest zu helfen versuchen. »Wer ist denn ihr Freund?«

»Jens Meier«, antwortet Ilse und verschwindet im Café. Sie bekommt dadurch nicht mit, wie verblüfft die Schüler auf diese Antwort reagieren.

»Von dem haben wir aber lange nichts gehört«, beginnt Luke.

»Stimmt. Das war vor über einem Jahr, als er den viel jüngeren Ben Schmey drangsalierte und du dem Fünftklässler halfst. Wenn ich mich nicht täusche, drohte er dir, dass du dich vor ihm in Acht nehmen solltest.« Emma erinnert sich gut, denn sie und Britta hatten sich damals an Lukes Seite gestellt, da Hubert Averbeck Jens unterstützte. Sie glaubten, ihm helfen zu müssen. Das war der Beginn ihrer Freundschaft gewesen.

»Aber dafür werdet ihr mir büßen. Falls nicht heute, dann eines Tages, wenn ihr nicht damit rechnet!«, zitiert Britta den letzten Satz des damaligen Zehntklässlers. »Seine Warnung galt genau genommen uns allen«, stellt sie richtig. Nach Abschluss der zehnten Klasse verließ Jens das Gymnasium. Von da an dachten sie nicht mehr an die geflüsterte Drohung. Bis jetzt.

»Habt ihr mitbekommen, was er seit seinem Abgang von der Schule gemacht hat? Hubert habe ich immer wieder mal getroffen.« Luke grinst. »Er mich einmal sogar mit der Faust. Aber wo sein Freund abgeblieben ist, kann ich nicht sagen. Wisst ihr etwas?« Er schaut die Freundinnen an, doch die schütteln verneinend ihre Köpfe.

Der Apple crumble schmeckt ihnen vorzüglich. Die noch warmen Apfelstücke, die mit einem Hauch Zimt und einer dicken Schicht von Streuseln bedeckt sind, werden schnell aufgegessen. Den letzten Schluck Kakao genießen sie versonnen, wobei sie überlegen, wie sie an Informationen über Jens kommen können.

»Ich könnte Hubert fragen.« Diese leise Äußerung des Jungen sorgt für Aufregung.

»Das ist nicht dein Ernst«, beginnt Britta mit schreckgeweiteten Augen. Sie denkt an das letzte Zusammentreffen zwischen den beiden, von dem Luke einen riesigen, blauen Fleck im Gesicht und ein zugeschwollenes Auge davongetragen hatte.

»Warum nicht? Zuletzt haben wir uns fast wie Freunde getrennt!«

»Kommt nicht infrage«, springt Emma der Freundin bei. Das Mädchen mit einigen Sommersprossen auf und um die gerade, schmale Nase herum, streicht gewohnheitsmäßig die schulterlangen, blonden Haare rechts und links hinter die Ohren. In ihrer grauen Iris befinden sich hellblaue Pünktchen, die so wie jetzt bei Aufregung zu leuchten scheinen und wie kleine Sterne wirken. »Nach eurem letzten Zusammenprall haben wir versprochen, dich zu ihm zu begleiten. Auch wenn auf Remus sonst Verlass ist, hatte er bei diesem Mal versagt.«

Luke erinnert sich noch gut daran, wie erschrocken Britta auf seinen Anblick reagierte. Ihre Mutter hatte ihn sofort untersucht und mit einem Kühlpack versorgt. Als kurz danach sein Blutdruck absackte, weil er zu schnell von einem Stuhl aufstehen wollte, bestand sie darauf, dass sich der Junge aufs Sofa legen musste. Erst nachdem er einen Kaffee getrunken hatte, durfte er sich langsam aufrichten und dann auch aufstehen. Nicht nur Emma war dabei aufgefallen, dass Britta mehr als besorgt um ihn gewesen ist. Deshalb erwidert er dazu nichts. Er hebt einen Finger und versucht von dem Thema abzulenken, das ihm unangenehmen ist.

»Wir haben also jetzt gleich eine Reihe von neuen Aufgaben. Erstens: die Ermittlung und Wiederbeschaffung des fehlenden Thorshammers und des Kupferarmreifs. Damit sind etliche Recherchen verbunden.« Er streckt zusätzlich zum Zeige- den Mittelfinger hoch. Bevor er fortfahren kann, ergänzt Emma.

»Zweitens: Hilfe für Ilse Lemkul zu leisten, die offenbar auf der Suche nach Jens Meier ist.«

»Das trifft sich gut. Heute beginnen die Herbstferien! – Was hätten wir sonst nur mit der freien Zeit angefangen?« Brittas Feststellung lässt alle grinsen. Vor wenigen Minuten fühlten sie sich völlig erschöpft, ausgelaugt von der Ausarbeitung über die Studienfahrt. Und jetzt sprühen sie vor Tatendrang.

Notizen des Gärtners

Da die Freunde nur wissen, dass Ilse Lemkul Jens Meier zwar vermisst, damit aber offenbar nicht zur Polizei gehen will, können sie in der Richtung vorläufig keine sinnvollen Schritte unternehmen. Es ist ihnen ja nicht einmal bekannt, wo und wann die junge Frau ihn zuletzt gesehen oder gesprochen hat. Deshalb konzentrieren sie sich auf die fehlenden Teile des Wikingerschatzes. Emma und Britta begleiten Luke nach Hause. Sie wollen in den noch vorhandenen Unterlagen der ehemaligen Gutsanlage nachschauen. Vielleicht bekommen sie dadurch einen Hinweis, mit dessen Hilfe sie Portos und der Spur der vermissten Schmuckstücke folgen können. Der kleine Umweg durch die Speicherstraße ist notwendig, damit Britta ihren Rucksack mit den Schulsachen zu Hause abstellen, der Mutter Bescheid sagen und ihr Fahrrad holen kann. Danach geht es aus gleichen Gründen in die Wasserstraße, nur dass Emma dort keinen der Eltern antrifft. Die sind wie stets um die Zeit, in der Universität und werden erst spät abends heimkehren.

Die drei benötigen etwa eine Stunde, um zum ehemaligen Inspektorenhaus der Gutsanlage zu kommen, in dem jetzt die Quints leben. Anders als sonst stellen die Freunde ihre Zweiräder nicht bei Remus’ Prätorium ab. Sie nutzen den Seiteneingang des renovierten Hauses und werden von Cloe, Lukes Mutter begrüßt, die aus dem Wohnzimmer in die Küche kommt.

»Hallo ihr Lieben. Habt ihr endlich Ferien? Zur Feier des Tages, denn ihr habt sicher eine gute Bewertung für eure Ausarbeitung bekommen, habe ich einen Apfelstrudel gebacken. Der ist zwar noch im Backofen, wird aber bald fertig sein. Vielleicht habt ihr ihn bereits gerochen? – Doch bevor es den gibt, muss ich euch dringend etwas zeigen.« Der Junge meint, seine Mutter nicht zu kennen, so aufgeregt wirkt sie. Das hatte er zuletzt erlebt, als sie gemeinsam mit ihm und Rufus, seinem Vater, die Gutsanlage besichtigten. Er erinnert sich gut an ihre leuchtenden Augen, als sie beim Gang über das Gelände vorauseilte, um immer wieder bewundernd stehenzubleiben und sich um die eigene Achse zu drehen, damit sie alle Eindrücke aufnehmen konnte. Genauso wirkt sie jetzt.

»Was gibt es denn, Mom?« Der Junge folgt ihr in das Wohnzimmer. Die Mädchen sind unsicher, ob sie sich anschließen sollen. Cloe fällt das sofort auf, weil sie nur die Schritte ihres Sohnes hört. Sie dreht sich um und fordert Britta und Emma auf, ebenfalls zu kommen.

»Kommt doch mit und schaut euch an, was ich entdeckt habe.« Sie deutet auf den großen alten Eichentisch, den sie vor wenigen Wochen bei einem Antiquitätenhändler erstanden hat. Darauf liegen mehrere Folianten und auch einzelne Papiere. Luke erkennt darunter sofort den Lageplan, auf dem er nach Hinweisen zum Zweck von Remus’ Prätorium gesucht hatte. Oben auf zwei dicken Wälzern befinden sich Notizbücher, die vom Äußeren an die Kladde von SPQR erinnern. Das oberste Heft liegt aufgeschlagen vor dem Jungen, der einen schnellen Blick hineinwirft. Die Schrift erinnert ihn an die alten Notizen. Er fragt sich sofort, ob auch diese Einträge verschlüsselt sind. Doch bevor er genauer nachsehen kann, beginnt seine Mutter mit ihrer Erklärung.

»Luke, du weißt, dass ich bereits am ersten Tag davon schwärmte, hier nicht nur einen Gutspark, sondern nach und nach ebenso den ehemaligen Garten wiederherstellen zu können. Möglichst so, wie er ursprünglich einmal ausgesehen hat. – Jetzt habe ich die dafür benötigten Aufzeichnungen gefunden. Es sind Notizen des damaligen Gärtners. Er hat akribisch alles festgehalten. Angefangen bei den Pflanzen und wo er sie einsetzte, aber auch, falls er deren Standorte korrigieren musste. Die Kosten der Setzlinge sind ebenso aufgeführt wie die Maßnahmen, mit denen er dafür sorgte, dass sie ideale Anwachsbedingungen hatten. Er dokumentierte neben den täglichen Temperaturen und Niederschlägen, wie viel Wasser er den einzelnen Exemplaren zusätzlich verabreichte.

Er hat den Gemüsegarten sogar noch penibler geplant und beschrieben. Er experimentierte mit der Fruchtfolge und hat die so erzielten Ergebnisse festgehalten.

Diese Aufzeichnungen übergab er seinem Nachfolger, der hier bis zum Krieg zuständig gewesen ist. So konnte auf den Erfahrungen des ersten Gärtners aufbauend die Eigenversorgung der Gutsangehörigen mit Lebensmitteln bis in die Wirren der letzten Kriegsjahre hinein sichergestellt werden.

In dem Notizbuch gibt es Zeichnungen von der ursprünglichen Parkgestaltung. Aber auch von dem Gartenbereich, in dem verschiedene Blumen und Stauden wuchsen.«

»Das freut mich«, beginnt Luke. »Ich weiß, dass es von Beginn an dein Traum gewesen ist, Park und Garten, besonders aber den Blumengarten wiederherzustellen. Wenn du möchtest, helfe ich dir bei der Suche nach den Pflanzen.«

»Die Schrift von damals ist gewöhnungsbedürftig, doch mit Übung lassen sich die Aufzeichnungen recht gut lesen. Mir ist aufgefallen, dass besonders der erste Gärtner dazu neigte, persönliche Notizen neben die Einträge zu setzen. Sie wirken dadurch stellenweise wie Vermerke in einem Tagebuch. Er bezog sich dabei auf familiäre Ereignisse, wie die Freundschaft des Sohnes zu einer der Küchenhilfen. An anderer Stelle schreibt er, dass er seinen Lebensabend in der Nähe seines Bruders verbringen möchte, der einen Schlaganfall hatte und deshalb Hilfe benötige. Er beschreibt mit ergreifenden Worten, wie schwer ihm der Abschied von der Familie des Gutsherren, vor allem aber von Park und Garten fiel. Lediglich die Aussicht, dem Bruder dadurch einen Aufenthalt in einem Armenhaus ersparen zu können, half ihm dabei. Der Mann schreibt weiter, Frau und Sohn würden ihn begleiten. Der letzte Eintrag bezieht sich darauf, dass er seinem Nachfolger die Betreuung der Gartenanlage ans Herz legt. Dafür hat er ihm seine Aufzeichnungen als notwendige Arbeitsunterlage übergeben. Der Umzug nach Usedom fiel ihm sehr schwer. Er musste gewusst haben, seinen geliebten Park nicht mehr wiederzusehen.«

»WAS?« Luke starrt seine Mutter an. Sollte sie durch Zufall den sogenannten Missing Link gefunden haben, der den Freunden bei der Suche nach den fehlenden Teilen des Schatzfundes helfen würde? »Hat der Mann seinen Namen in das Notizbuch eingetragen? – Halt, lass mich raten. Hieß er Fuller und wohnte … hm, wo war das noch?« Er wendet sich an Britta. Die bereits ihr Handy entsperrt hat und aus ihren Notizen vorliest.

»… in der Grünlandstraße 5. Ist das richtig?« Auch Emma wartet gespannt auf die Antwort. Cloe nimmt das Notizbuch und blättert zur ersten Seite. Auf der Innenseite des Deckblattes stehen der Name und die Adresse des Gärtners notiert. Er wollte vermutlich vorsorgen, dass ihm sein wertvolles Arbeitsbuch im Falle eines Verlustes zurückgegeben werden konnte.

»Das stimmt. Aber woher wisst ihr das?«

Die Freunde berichten ihr abwechselnd, weshalb sie zu dieser Schlussfolgerung gelangten. Luke ist gespannt, ob seine Mutter ihnen eine weitere Suche ersparen kann.

»Hast du noch andere Aufzeichnungen gefunden, die sich auf die Leute des Gutes beziehen?«

»Meinst du, wer für welche Aufgaben zuständig war und Ähnliches?«

»Genau.«

»Hm. Es gibt mehrere Kontobücher, in denen der Inspektor der Gutsanlage die jeweiligen Bediensteten festgehalten hat. Darin werden Gärtner, Kutscher, Pferdeknecht, Küchenhilfen, Mägde und die Köchin und so weiter aufgeführt. Sie sind nicht so interessant wie die Aufzeichnungen über Park oder Garten. Trotzdem habe ich auch da kurz hineingesehen. Daher weiß ich, dass in der Rubrik Einnahmen und Ausgaben des Gutes die Beschäftigten mit den zugeordneten Löhnen notiert wurden. Aus den Rechnungen für Pflanzen sind deren lateinische Bezeichnungen zu entnehmen, die bei der Suche nach ihnen helfen können. Der Gärtner hat in seinen Notizen manchmal die volkstümlichen Namen festgehalten, die uns heute vermutlich wenig weiterhelfen. In dem Fall können wir mit Hilfe des Datums den Querverweis zum Eintrag im Kontobuch finden. – Es trifft sich gut, dass der erste Inspektor seine Aufzeichnungen sehr präzise datiert hat. Sein Nachfolger arbeitete nicht so genau. Aber zum Glück existierten Park und Gartenbereich da bereits viele Jahre, so dass das für die Rekonstruktion nicht nachteilig ist.«

Diesmal ist es Britta, die nachfragt.

»Lautete der Name des Inspektors Dalkow? Das Inspektorenhaus hatte doch die Postadresse Gutshof 4, richtig?«

Cloe staunt.

»Hey, das stimmt. Sein Vorname war Hektor. Er wurde durch Victor von Platen abgelöst.«

»Dann wissen wir inzwischen schon eine Menge über die Gegebenheiten auf dem Gut. Trotzdem müssen wir nach Verbindungen zum Hier und Jetzt suchen.« Emma blickt die Freunde an.

»Auch wenn das nicht zu vermuten ist, sind die Aufzeichnungen des Gärtners Fuller dafür wahrscheinlich am ehesten geeignet.« Luke macht eine Pause. »Mom, hättest du nicht bereits hineingelesen, wäre mir sicher nie die Idee gekommen, darin nach Informationen über zwischenmenschliche Beziehungen zu suchen. – Erinnerst du dich, ob er den Namen des Mädchens nennt, mit dem sein Sohn befreundet war? Das ist genau das, was uns interessiert.«

Cloe Quint schüttelt den Kopf.

»Daran erinnere ich mich nicht. Aber du kannst ja selbst nachsehen.« In diesem Moment klingelt ein Wecker. »Wenn ihr mögt, können wir jetzt den Apfelstrudel genießen. Er ist soeben fertig geworden. Mit einer Kugel Vanilleeis, Sahne und Vanillesauce schmeckt er heiß am besten. Na, was sagt ihr?«

Obwohl die Jugendlichen vor knapp zwei Stunden eine üppige Portion Apple crumble gegessen haben, verspüren sie schon wieder Appetit. Britta meint sogar, ihren Magen rumoren zu hören, weil der Duft derart verführerisch von der Küche ins Wohnzimmer herüberzieht.

Die drei brennen darauf, die Kladde nach dem Namen von Portos Freundin zu durchsuchen, trotzdem folgen sie Cloe, um ihr beim Decken des Tisches zu helfen. Kurz danach steht der Strudel auf dem Küchentisch. Lukes Mutter schneidet ihn in große Stücke und verteilt die ersten. Der Junge stellt eine Schale mit frisch geschlagener Sahne dazu, die wie die Vanillesauce vorbereitet im Kühlschrank steht. Das Eis holt er aus dem Keller, wo es in einer Kühltruhe gelagert wird.

Lukes Mutter bemerkt mit Freude, dass die Stücke mit Appetit gegessen werden. Sie beruhigt die Jugendlichen damit, dass sie einen weiteren Apfelstrudel vorbereitet hat, der in ein Geschirrtuch gewickelt, im Kühlen steht. Deshalb sollen sie gerne ein zweites Mal zulangen. Sobald Rufus nach Hause kommt, wird sie diesen Strudel in den Ofen schieben. Es wundert Emma und Luke nicht, dass Britta daraufhin das größte der letzten Stücke nimmt. Cloe lächelt sie an.

»Es freut mich, dass es euch schmeckt. Die Äpfel habe ich heute Morgen aufgesucht, sie beginnen bereits von den Bäumen zu fallen. Es ist eine offenbar alte Sorte, die sich ausgezeichnet für Kuchen oder Apfelmus eignet.«

Gutsangehörige

Nachdem abgeräumt ist, gehen die Freunde zusammen mit Cloe zurück ins Wohnzimmer. Sie setzen sich an den Tisch und suchen in den Büchern nach möglichen Hinweisen.

Lukes Mutter beschäftigt sich mit den Außenanlagen des ehemaligen Gutes. Sie hat den ersten Plan der Parkanlage von Gärtner Fuller gescannt und darin auf ihrem Laptop die Standorte der Bäume markiert, die noch vorhanden sind. Bis auf wenige Nachpflanzungen sind keine Korrekturen notwendig. Die kleineren Ziergehölze sind dagegen durchweg verschwunden oder an anderen Stellen aufgetaucht. Die hat sie in einer zweiten Kopie eingetragen. Deren Namen sind in einer eigenen Aufstellung gelistet. Sie will versuchen, davon Ableger zu gewinnen, um diese umzusetzen. Parallel dazu hat Cloe begonnen, in einer Liste die Pflanzen festzuhalten, die sie unbedingt noch im Herbst in die Erde setzen möchte. Sie freut sich schon jetzt, auf die mögliche Blütenpracht, die sie für das kommende Frühjahr erhofft. Bisher stehen darin drei Ziergehölze vermerkt, rosa Schmetterlingsflieder, Zaubernuss und Kornelkirsche. Zwiebel- und Knollenpflanzen wie Winterlinge, Schneeglöckchen, Märzenbecher und Blausternchen hat sie in einer separaten Blumenaufstellung festgehalten. Dazu gehören Wildtulpen, Narzissen und blaue Krokusse. Schwieriger wird es mit der Beschaffung von speziellen Frühjahrsblühern werden, die als Stauden besonders gefragt, aber nicht überall zu bekommen sind. Darunter befinden sich Aurikeln und Akeleien. Rittersporn und Stockrosen werden im Sommer zur Geltung kommen. Falls sie keine Jungpflanzen bekommt, muss sie sich Samen besorgen, auch wenn die Blüten dann erst im übernächsten Jahr zu sehen sein werden. Das zur Verfügung stehende Geld wurde durch die Renovierungsarbeiten nicht vollständig aufgebraucht, trotzdem will Cloe versuchen, ob sie auf Gartenmärkten günstig an Ableger und Samen kommen kann. Unabhängig davon sucht sie ebenso im Internet auf entsprechenden Seiten mit privaten Angeboten. Bisher ist sie zwar noch nicht fündig geworden, aber so leicht gibt sie nicht auf.

Luke hat sich das Notizbuch des Gärtners geschnappt und versucht darin zu lesen. Die Schrift an sich ist deutlich und gut zu erkennen, doch die alten Zeichen sind äußerst ungewohnt. Die Mischung aus Kurrent- und Frakturschrift verlangt höchste Konzentration. Der Junge gibt sonst nicht schnell auf, aber in diesem Fall reicht er die Kladde schon bald zu Emma hinüber.

»P, du hast doch Übung mit dieser komisch anmutenden Schrift. Kannst du darin nach Einträgen suchen, die sich auf Portos und seine mögliche Freundin beziehen? Ich habe es jetzt zehn Minuten lang versucht und noch nicht einmal die erste Seite geschafft.« Das Mädchen blickt ihn erstaunt an.

»So schwer ist das doch gar nicht. Wenn du weitermachst,

wirst du feststellen, dass das allmählich einfacher zu lesen ist.« Emma hat bisher in eines der Kontobücher geschaut, das 1935 begonnen wurde und lässt es jetzt sinken. Sie lächelt den Freund einlenkend an. »Nun gib schon her. Meine Übung ist durch die Lektüre der Kladde von SPQR recht groß, trotzdem werde ich auch längere Zeit als sonst beim Lesen benötigen.« Luke reicht ihr erleichtert das Notizbuch.

»Danke. – Steht in deinem Buch etwas Interessantes?«

»Dieser Inspektor, Victor von Platen, gibt sich darin Mühe, besonders deutlich mit Druckbuchstaben zu schreiben. Doch auch die sind aus einer alten Schriftart, ich glaube, es ist Frakturschrift. Mit Bezug auf den Wikingerschatz konnte ich auf den ersten Seiten nichts entdecken. Das ist jedoch kaum zu erwarten, da in dem Zeitraum, auf den sich diese Einträge beziehen, unsere vier SPQR-Freunde bereits erwachsen waren. Zumindest die Familien Fuller und Jettin, aber auch die Dalkows waren zu der Zeit lange weggezogen, wie wir wissen. Ob Quentin Spaht, der auf dem Neuländer Hof wohnte, ebenfalls verzogen war, ist dabei kaum relevant.«

Sie tauschen die Unterlagen und Emma sitzt schon bald mit roten Ohren über das Notizbuch gebeugt. Luke schaut in das Buch und legt es nach längerer Zeit ohne Erfolg auf den Tisch. Sein Blick schweift zu Britta hinüber, die in ein weiteres Kontobuch vertieft ist. Täuscht er sich, oder scheinen die grünen Augen der Freundin zu leuchten? Dann müsste sie Wichtiges entdeckt haben! Fasziniert bemerkt er, wie sich ihre Lippen bewegen, so, als ob sie sprechen würde. Aber zu hören ist nichts!

»Hast du etwas, S?« Er hat diese Frage nur leise an sie gerichtet, doch sie blickt sofort zu ihm herüber.

»Ich bin nicht sicher. Das hier sind Aufzeichnungen des Inspektors Hektor Dalkow, dem Vater von Septimus. Er führt darin die Gutsangehörigen auf. Damit meine ich nicht die Familie des Gutsherren, sondern die Angestellten. Ich habe soeben Einträge über die verschiedenen Bediensteten durchgesehen. Es gab neben dem Hauslehrer und einer zumindest zeitweise beschäftigten Gouvernante einen Stallmeister, der gleichzeitig als Kutscher tätig war, den Stallburschen, einen Hausburschen und einen Diener sowie eine Mamsell, die als leitende Hausgehilfin oder Wirtschafterin auch als Köchin arbeitete. Zusätzlich kamen noch einige weibliche Hilfen hinzu, die altersmäßig als Freundin zu Portos passen könnten.«

»Hey, das hört sich gut an.«