Anna Q und die Suche nach Saphira - Norbert Wibben - E-Book

Anna Q und die Suche nach Saphira E-Book

Norbert Wibben

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Beschreibung

Das elfjährige Mädchen Anna rettet einen Raben, der in Wahrheit die Elfe Ainoa aus einer anderen Welt ist. Dort leben nicht nur freundliche Elfen, sondern auch gefährliche Wesen, wie Baumtrolle, Wölfe und sogar Eisdrachen! Hier werden Zauber gewoben und Besucher aus der Realwelt nutzen zu ihrem Schutz Geheimnamen. Seit langem lauern tödliche Kreaturen darauf, die Übergänge von der Anderswelt in die reale Welt zu überwinden. Als die Tochter der Elfenkönigin vermisst wird, könnten sie dahinterstecken. Soll mit Saphiras Entführung der Zugang zu den Übergängen zwischen den Welten freigepresst werden? Anna und Ainoa helfen bei der aussichtslos scheinenden Suche. Dafür wagen sich die Elfe und das Mädchen sogar in den gefährlichen Nebelwald! Werden sie dort nicht nur Saphira, sondern ebenso den Weg hinausfinden? Nicht nur das allgegenwärtige Weiß behindert ihre Orientierung, auch eine bösartige Bestie stellt sich ihnen in den Weg. Ein Roman über Treue, Mut und Freundschaft.

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Seitenzahl: 356

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Anna Q

und die Suche nach Saphira

Fantasy-Roman

Norbert Wibben

Anna Q

und die Suche nach Saphira

Anna Q, Band 1

Für Nils, Malte und Maraike

Ich liebe euch!

In Erinnerung an viele schöne Vorleseabende mit meinen Kindern verpacke ich auch diese Geschichte in den bekannten Dreizeiler:

Ein Huhn und ein Hahn – …

Schnee und Eis

Im Internat

Eine Schachpartie

In der Nacht

Ein seltsamer Traum

Herausforderung

Anderswelt

Saphira

Dragon-tan

M hoch Zwei

Informationssuche

Kreaturen der Anderswelt

Gefährliche Wesen

Unterwegs

Ein Plan

Zurück im Internat

Träume

Ein internes Turnier

Auguste de Enaid

Feuerdrachen

Flugübungen

Im Nebelwald

Troylinge

Gefangen!

Drachen greifen an

Minerva

Ein neuer Plan

Waldelfen

Im Käfig

Entkommen

Die Jagd beginnt

Auf zum Gipfel

Der Nebelwald erscheint

Der mittlere Berg

Im Moor

Flucht aus dem Sumpf

Eisdrachen

Beratung

Zurück im Elfenwald

Nachts im Park

Überraschung am Morgen

Zaubersprüche

Danksagung

Schnee und Eis

Ein Huhn und ein Hahn – die Geschichte fängt an

Wolfsgeheul lässt das Mädchen aufschrecken. Es klingt näher als je zuvor! Werden die grauen Räuber gleich zum Höhleneingang hereinkommen? Dort prasselt zur Abschreckung ein lustiges Feuer, doch die Nacht ist noch lang und der Brennvorrat besteht nur aus wenigen Holzstücken. Irgendwann schläft es trotz der großen Angst vor diesen Tieren ein.

Beim Öffnen der Augen ist ein verschwindender Schatten zu erkennen. Offenbar stand soeben noch jemand vor dem Eingang, vermutlich eines der Raubtiere! Warum ist es nicht hereingekommen? Das Feuer kann es nicht davon abgehalten haben, denn das ist ganz herabgebrannt. Das Mädchen ergreift schnell die letzten, dürren Äste und legt sie auf die kaum noch vorhandene, restliche Glut. Hoffentlich ist es jetzt nicht zu spät. Ängstlich blicken die Augen immer wieder zur Höhlenöffnung, während mit kräftigem Pusten das Feuer erneut entfacht werden soll. Kehrt der Schatten zurück, um sich dann in einen zähnefletschenden Wolf zu wandeln? Aufatmend bemerkt das Mädchen die ersten, zögernden Flammen. Qualm steigt auf und brennt in seinen Augen, dann flammt das Holz hell auf.

Erst jetzt wird dem Mädchen klar, was ihm, seit dem Aufwachen, seltsam vorkommt. Ein Schatten bedeutet, dass es draußen heller als bisher ist, der Morgen muss endlich angebrochen sein! Ein ausgiebiges Frühstück wäre nicht schlecht, mit heißem Kakao zum Aufwärmen. Doch Nahrungsvorräte sind nirgends zu sehen. Also erhebt es sich, stampft heftig mit den Füßen auf und schlägt mehrfach die Arme um den Oberkörper. Zusammen mit dem kleinen Feuer sorgt das für Wärme und gleich kehren die Gedanken an die Bedrohungen der letzten Nacht zurück. Hoffentlich lassen die Wölfe im hellen Tageslicht von ihm ab! Falls nicht, wird sich das Mädchen, anders als im Dunkeln, gegen sie wehren können. Sein Blick fällt auf einen verzierten Bogen und einen Köcher mit Pfeilen. Mit dem Elfenbogen in der Hand und einem aufgelegten Geschoss tritt es vorsichtig durch den Ausgang. Es will einen kurzen Rundumblick wagen.

Sofort kneift das Mädchen die Augen zusammen. Die Sonne ist im Osten hinter den Bergkuppen erschienen. Ihre Strahlen werden von den vielen Kristallen hoher Schneewehen gleißend hell zurückgeworfen. Erleichtert registriert es, dass keine Wölfe zu sehen sind. Der Blick schweift über die schroffe Landschaft. Große Bäume gibt es hier nicht, lediglich verkümmerte Exemplare sind als Windflüchter bergab in der Ferne zu sehen. Einige zerzauste Büsche schauen halb verborgen unter hohen Wehen hervor. Komischerweise wirken sie auf das Mädchen ermutigend, etwa so, als wollten sie sagen: Schau her, wenn die Schneelast schwer wird, geben wir nach, um nicht zu brechen. Sobald die Sonne kräftiger wird und die Schmelze einsetzt, richten wir uns aber wieder auf.

Das Mädchen schüttelt den Kopf. Was sollen diese Gedanken und warum ist es überhaupt hier oben in den Bergen?

Im nächsten Moment schrickt es zusammen. Ein hoher, schriller Ton zerreißt die morgendliche Stille. Die Augen werden zu schmalen Schlitzen und suchen trotz Gegenlicht nach den Kreaturen, die voller Selbstvertrauen ihre Herausforderung laut brüllend kundtun. Das Mädchen blickt hastig umher. Wie soll es sich gegen diese Ungeheuer schützen? Es sind bisher nur die Schreie zu hören, aber allein die verursachen ein Kribbeln der Kopfhaut. Der Bogen wird in die Höhle geworfen, dann das Feuer ausgetreten und die letzte Glut mit Schnee erstickt, den Hände flink darauf schaufeln. Reicht das als Schutzmaßnahme? Schnell schnappt es den Bogen und den Köcher, hebt den Umhang vom Boden auf und wickelt ihn um sich. Als das Mädchen vor die nächtliche Zuflucht tritt, sind drei Punkte am Himmel zu erkennen, die scheinbar direkt aus der Sonne kommend, heranrasen. Die Schnelligkeit der Kreaturen ist gewaltig. Macht es da überhaupt Sinn, vor ihnen in dem tiefen Schnee davonzulaufen? Abgesehen von dem Geschwindigkeitsunterschied, wird das Mädchen eine weithin sichtbare Spur hinterlassen! Sein Blick fällt auf einen der halb verwehten Büsche. Mit grimmigem Gesichtsausdruck stolpert es mehr, als dass es rennt, seine Spur vom gestrigen Abend zurück. Vielleicht gibt es dort unten eine besser geeignete Zuflucht, obwohl es sich an Gestern nicht erinnert.

Die Fährte führt im Zickzack den steilen Berggipfel wieder hinab. Erneut schrillen Schreie durch die kalte Winterluft. Sie klingen so laut, dass die Wesen, die sie ausstoßen, direkt über dem Mädchen sein müssten. Sein Herz klopft heftig, und eisige Schauer rieseln über seinen Rücken. Am Himmel nach den Kreaturen zu suchen, traut es sich nicht, wichtiger ist jetzt schnelle Flucht und ein besser verborgenes Versteck. Wie konnte es nur so töricht sein, fast auf einer Bergkuppe ein Feuer zu entzünden. Das musste doch in der Nacht weithin sichtbar gewesen sein und die Feinde herbeigelockt haben! Unwillkürlich zuckt das Mädchen bei den lauten Schreien zusammen, duckt sich und zieht die Schultern hoch. Das ist eine unbedachte Bewegung beim Laufen, weshalb es prompt auf der vereisten Spur ausrutscht. Das Mädchen rudert mit den Armen, doch es kann seinen Sturz nicht aufhalten. Es schlittert liegend und mit den Füßen voraus über den festgetrampelten Schnee, um in der nächsten Kurve wie ein Geschoss geradeaus in die etwa kniehohe Schneewand zu schießen. Die Rutschpartie dauert nicht lange, dann wird sie durch ein Gebüsch gestoppt. Prustend richtet sich das Mädchen auf und bekommt ein kleines Schneebrett von den Zweigen des Busches auf den Kopf und in den Nacken. Der Himmel verdunkelt sich, und ein weiterer Schauer läuft über seinen Rücken. Das Rauschen großer Flughäute und erneutes Kreischen ziehen den Blick unweigerlich nach oben. Drei riesige Eisdrachen umzingeln die Bergkuppe und den Höhleneingang. Im nächsten Augenblick zischen Eisspeere in den Eingang. Eines dieser Wurfgeschosse, das eine besonders widerwärtig aussehende, gezackte Spitze hat, wird zielsicher dorthin gejagt, wo noch letzte Wärmespuren vom gelöschten Feuer zu ahnen sein müssen. Eisdrachen können sie besser wahrnehmen, als Hunde die Witterung eines Kaninchens. Einer der Lindwürmer dreht seinen weißen Kopf in die Richtung, in die das Mädchen geflüchtet ist. Sein schriller Schrei durchschneidet die Morgenluft. Er klingt wie zerberstendes Eis. Er stößt seinen weißen Atem aus, der sogar den Schnee noch erstarren und zu durchsichtigem Eis gefrieren lässt. Die Köpfe der beiden anderen rucken herum. Eisblaue Augen, mit darin loderndem, silbernem Feuer, blicken starr. Plötzlich meint das Mädchen, von ihnen gesehen zu werden. Es will aufspringen und fortlaufen, doch irgendetwas lähmt es. Die Drachen kreischen erneut und schwingen sich in die Luft. Sie breiten ihre Flughäute aus und segeln schnell heran.

Anna öffnet mit Anstrengung ihre Augen. Das Herz klopft wild und ein gieriger Atemzug beweist, dass sie soeben unwillkürlich die Luft angehalten hat. Sie wollte von den Eisdrachen nicht entdeckt werden, wozu das Ausatmen unweigerlich geführt hätte. Aber wieso eigentlich?

»Das war doch nur ein Traum!«, versucht sich das Mädchen, zu beruhigen. »Drachen spucken normalerweise Feuer, wenn sie in Geschichten auftauchen, aber keine Eisspeere!« Das hat sie noch nie gehört oder gelesen, aber warum träumt sie ein derartiges Durcheinander? Ob es damit zu tun hat, dass sie vor dem Einschlafen an ihren Vater dachte, der jetzt in der Antarktis unterwegs ist? Anna lässt sich wieder aufs Bett sinken. »Schnee und Eis gibt es am Südpol jede Menge, Berge und sicher auch Höhlen. Wölfe gibt es dort jedoch nicht! Und wie komme ich dazu, von einem Elfenbogen zu fantasieren? Derartige Dinge in einem Traum zusammenzufassen, ist komisch, zumal ich weder von den Tieren, noch von Elfen gelesen habe.« Annas Blick wandert zu ihrem Schreibtisch, doch im Dunkeln der Nacht kann sie dort fast nichts erkennen. Lediglich ein feines, bläuliches Leuchten scheint von der Stelle auszugehen, wo die Bilder von Vater und Mutter an der Wand hängen. Annas Blick wandert zum Fenster. Wird ein derartiges Licht von draußen hereingeworfen? Am Nachthimmel sind einige Sterne hinter schnell ziehenden Wolken zu erkennen, sonst nichts. Nicht einmal der Mond ist zu sehen. Dann huscht ein dunkler Schatten am Fenster vorbei und ein lautes Krächzen schallt herein. Anna versucht, ihre aufflackernde Angst durch Logik einzudämmen und zwingt sich, langsam zu atmen. »Der Schrei stammt vermutlich von einer Eule, die auf der Jagd nach einer Maus ist. Das ist im Traum zu hören gewesen und wurde von meinem Gehirn in eine abenteuerliche Geschichte verwoben.« Dass eine Eule sich bei der Jagd nicht durch ein Geräusch verrät, fällt ihr nicht auf. Genauso wenig, dass der Schrei nicht zu einer Eule passt. Das Krächzen klang eher nach einem Rabenvogel! Trotz dieser Widersprüchlichkeiten schlummert Anna wieder ein. Den Rest der Nacht träumt sie nicht.

Im Internat

Eine Schwarzdrossel klappt die Augendeckel mehrfach auf und zu. Den Kopf dreht sie wachsam nach links und rechts, und den hell leuchtenden, gelben Schnabel streckt sie nach vorne. Der Vogel sitzt auf einer von vielen Spitzen eines alten Eisentors und trillert mehrmals. Das gelb umrandete Augenpaar hat etwas entdeckt. Das Tier flattert mit kurzen Flügelschlägen von seinem Hochsitz. Es wirkt fast wie ein schneller Sprung und die Drossel landet entfernt zum Weg unter einem Gebüsch. Sie legt den Kopf schräg, hüpft zweimal vorwärts, wartet kurz und pickt mit der Schnabelspitze in den weichen Untergrund. Der Kopf wird zurückgezogen, um dann erneut den Schnabel in den Boden zu stoßen. Erdbrocken fliegen zur Seite. Dieser Versuch ist erfolgreich. Ein Regenwurm wird langsam aus dem Erdreich gezogen. Jetzt ist es geschafft. Ein kurzer frohlockender Ruf des Vogels, dann fliegt er mit seiner Beute im Schnabel davon. Er sucht das Junge, das in der Nähe auf dem Boden herumhüpft.

Vom Tor führt ein mit kleinen Kieseln bestreuter Weg zu einem imposanten Gebäude. Es ist ein ehemaliges Schloss, das mit vielen Spitzen und Türmchen verziert ist. Die drei Etagen bieten mit den vielen Fenstern einen beeindruckenden Anblick. Das Haupthaus und seine Nebengebäude werden seit Jahrzehnten als Internat genutzt. Landesweit ist das »CC«, wie es oft abgekürzt anstatt »Cinnt caisteal« genannt wird, eine angesehene Einrichtung. Anders als in vielen sonstigen Schulen, liegt dessen Schwerpunkt nicht nur im Sport, was sich auch in ihrem Leitspruch ausdrückt: »Scientia potestas est.« Das bedeutet: »Wissen ist Macht.«

Am Spätnachmittag findet an manchen Tagen kein Unterricht in den Klassenräumen statt. Trotzdem gibt es keinen Müßiggang, da diese Zeit für vielfältige Aktivitäten genutzt wird. Die Schüler und Schülerinnen üben entsprechend ihren Neigungen Fähigkeiten, die sehr unterschiedlich sind.

Auf dem weitläufigen Gelände, das mit Mauern von der Umwelt abgegrenzt ist, werden Leichtathletik und Mannschaftssportarten trainiert. Auf den Rasenflächen hinter dem Haupthaus finden verschiedene Ballsportarten statt. Die Mannschaften werden von denen angefeuert, die gerade pausieren. Meistens tragen sie kleine Turniere untereinander aus, was die Fähigkeiten der einzelnen Spieler besonders fordert. Sie bereiten sich auf Vergleichswettkämpfe mit anderen Schulen vor, die im Herbst stattfinden sollen.

Im spätsommerlichen, warmen Wetter halten sich die meisten Schüler jedoch am nahegelegenen Fluss auf. Der Sport auf und im Wasser findet regen Zuspruch. Es wird geschwommen und in verschiedenen Booten gerudert, teilweise auch hier als Vorbereitung für die Herbstwettkämpfe.

Aber auch im Internatsgebäude halten sich Schüler auf. Manche haben sich in den Schatten der Gänge im Inneren zurückgezogen und diskutieren in kleinen Gruppen über Themen aus dem Philosophie- oder Rechtskunde-Unterricht. Einige rätseln über gestellte Mathematikaufgaben oder unterhalten sich auch einfach über private Dinge. Die großformatigen Bilder an den Wänden werden kaum beachtet. Manche von ihnen stellen Szenen dar, die zu Diskussionen über Themen zur Weltanschauung passen, oder sie zeigen Geschehnisse der Geschichte.

Im Lesesaal der Bibliothek sind viele Tische besetzt. Dort studieren Jungen und Mädchen in alten Wälzern. Die darin enthaltenen Informationen werden für Ausarbeitungen und andere Hausaufgaben genutzt.

Im Mittelbereich des Hauptgebäudes befindet sich im Erdgeschoss ein großer Speisesaal, in dem fast schon alle Plätze der langen Tischreihen für das Abendessen gedeckt sind. Viele Helfer sind hier tätig, wobei auch Schüler der oberen Klassen eingesetzt werden. Auf einem Servierwagen transportieren drei von ihnen Geschirr und Besteck. Sie bleiben am Ende einer der Tischreihen stehen und hüsteln demonstrativ. Sie wollen eine Gruppe von Schülern vertreiben, die zwei Jungen umstehen. Die sitzen sich gegenüber und sind mit Schachspielen beschäftigt.

»Jetzt ist es genug. Warum spielt ihr nicht woanders? Wir müssen die Tische vorbereiten und benötigen den Platz!« Nur widerstrebend heben die Spieler ihre Köpfe.

»Wir sind in wenigen Minuten fertig«, antwortet der ältere der beiden. »In vier Zügen ist mein Gegner schachmatt.« Der Jüngere nickt nach kurzem Überlegen und murmelt:

»Stimmt.« Er legt seinen König hin, was sofort ein Grinsen in das Gesicht des anderen zaubert. Die Jungen erheben sich.

»Ihr könnt weitermachen«, wendet sich der Ältere herablassend an die drei Schüler und richtet sich zu voller Größe auf. Der Unterlegene verstaut die Figuren in dem zusammenklappbaren Schachspiel.

»Ich wollte doch auch noch gegen Alexander spielen!«, protestiert die elfjährige Anna, die eine der umstehenden Zuschauer ist. »Ich warte seit Wochen auf die Gelegenheit dazu. Immer wieder drängen sich andere vor, so wie heute. Ich bestehe auf einem Spiel, auch wenn ich mich körperlich in diesem Gewusel nicht gegen ältere Schüler durchsetzen kann.« Das Mädchen verhindert mit Mühe, wütend mit einem Fuß aufzustampfen. Die grauen Augen blitzen zornerfüllt erst den jüngeren, dann den älteren Spieler an, wobei sie einen leicht bläulichen Schimmer annehmen.

»Was kann ich dafür?« Der gutaussehende, fünfzehnjährige Alexander schüttelt seine schwarze Lockenpracht und blickt mit einem überheblichen Gesichtsausdruck in die Runde. Er ist der unumstrittene Schach-Champion der Schule und sucht nach dem Herausforderer. Unter den Zuschauern schließt er sofort drei als Sprecher aus. Die Mädchen kommen aus seiner Klasse und spielen kein Strategiespiel, wie er weiß. Sie sind vermutlich nur hier, weil sie für ihn schwärmen. Sein Blick schweift über vier Jungen, die er bereits in der Vergangenheit mehrfach in dem Spiel geschlagen hat. Nein, die sind es auch nicht! Dann fixieren seine Augen die zierliche Anna. Sollte sie ihn gefordert haben? Aber sie ist doch eine von den Kleinen und wird erst seit Schuljahresbeginn im Internat sein. »Ich trete nicht gegen Babys an! Wenn ich auf deine Forderung eingehe, ist das Spiel schneller beendet, als es dauert, die Figuren aufzustellen. Ich will vom Gegner wenigstens etwas lernen, wenn ich schon Zeit opfere. Wenn du verlierst, und das steht für mich unumstößlich fest, wirst du vermutlich zu flennen beginnen. Wie kann das wohl meine Fähigkeiten weiterbringen?« Das laute, überhebliche Lachen wird sofort von seinen Bewunderern aufgenommen und schallt dem Mädchen ins Gesicht. Es fühlt sich an, als ob sie geschlagen worden wäre, trotzdem schaut sie den älteren Jungen trotzig an! Sie will nicht klein beigeben! Lediglich dem dreizehnjährigen Robin, dem zweiten der beiden Schachspieler, ist unbehaglich zu Mute. Er bittet Anna mit Blicken stumm um Verzeihung, da er sich tatsächlich vorgedrängt hatte. Der Junge nickt Alexander knapp zu und drängt sich aus der Mitte des Knäuels heraus. Im Weggehen wendet er sich an Anna.

»Wenn du gegen Alexander antreten möchtest, solltest du sicher sein, eine Chance zu haben. Er wirkt überheblich und von sich eingenommen, spielt aber überragend gut. Und er gilt als Champion der Schule, obwohl wir keine Wettkämpfe im Schach austragen. Falls er dich in wenigen Zügen besiegt, wirst du für lange Zeit, möglicherweise sogar das ganze Schuljahr zum Gespött aller.« Anna glaubt, ihren Ohren nicht trauen zu können. Soll das eine Warnung oder ein gutgemeinter Rat sein? Sie ruft dem Jungen hinterher. Dass die anderen, besonders aber Alexander, das hören, ist ihr völlig gleichgültig. Die arrogante Reaktion des Älteren brennt wie eine wild lodernde Flamme in ihren Gedanken.

»Das mag sein, aber ich kann und werde gegen ihn gewinnen!« Das Mädchen folgt dem Jungen, der nun stehenbleibt und sie lange betrachtet. Schließlich fordert er sie auf, mitzukommen.

»Du erinnerst mich an … Aber egal. Zu sehr von den eigenen Fähigkeiten überzeugt zu sein, ist manchmal ein Fehler. Selbst wenn du in deiner Altersklasse gut spielen solltest … Jetzt schau mich nicht so an, als ob du mir den Kopf abreißen willst. Ich weise dich nur darauf hin, dass Alexander bestimmt vier Jahre älter ist als du und über eine dementsprechend längere Spielpraxis verfügt. Das ist auf jeden Fall ein gewichtiger Vorteil. – Bis zum Essen haben wir noch etwas Zeit. Lass uns in Richtung Lesesaal gehen.« Das Mädchen mit der jungenhaften Figur und einigen Sommersprossen auf und um die gerade, schmale Nase, streicht die schulterlangen, blonden Haare rechts und links hinter die Ohren. Sie schaut Robin forschend an. Will er sich möglicherweise auf ihre Kosten über sie lustig machen? Er besitzt eine sportliche Figur und rot-blonde, kurz geschnittene Haare und ein freundliches Gesicht. Seine dunklen Augen blicken sie auffordernd an. Sie weiß, er befindet sich zwei Klassen über ihr und ist der Schwarm aller jüngeren Mädchen. Ein Treffen mit ihm wird die anderen mit Neid erfüllen. Doch das ist ihr egal!

»Was sollen wir dort? Mir ist gerade nicht nach Lesen!«

»Jetzt schau mich nicht so an, als ob ich dich ärgern will. Wenn wir uns leise verhalten, können wir dort eine Partie gegeneinander spielen. – Als kleine Wiedergutmachung für mein Vordrängen!« Er zeigt ihr das zusammengeklappte Schachspiel und langsam breitet sich ein lausbubenhaftes Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Falls ich als Gegner gut genug für dich bin!«

Anna mag es nicht glauben. Sie befindet sich seit dem Schuljahresbeginn vor vier Wochen in diesem Internat und hat bisher niemanden aus den höheren Jahrgängen gefunden, der mit ihr eine Partie spielen wollte. In ihrer Klasse haben die meisten nur Interesse an Fußball oder an Rudern. Zu älteren Schülern hat sie bisher keinen Kontakt und weiß also nicht, wer von ihnen in Frage käme. Deshalb war sie froh, durch Zufall das nachmittägliche Treffen einiger Schachspieler im Speisesaal mitbekommen zu haben. Seitdem versuchte sie, gegen Alexander zum Zug zu kommen. Erfreut lächelt Anna Zustimmung.

»Sagst du mir zuerst deinen Namen, bitte?«

»Ich bin Robin Jury.«

»Ich freue mich, dich kennenzulernen!«, antwortet das Mädchen mit ernstem Gesicht. »Ich werde Anna Q genannt.«

»Einfach nur Q?« Der Junge schaut sie ungläubig an.

»Ja!«, ist die kurze und energische Antwort. Obwohl ihr Name Anna Qwentiz ist, kürzt sie den Nachnamen immer ab. Früher wurde sie wegen ihres Namens von Mitschülern gehänselt und musste darüber oft weinen. Auch wenn sie sich heute besser als in der Grundschule unter Kontrolle hat, will sie das möglichst vermeiden. Außerdem wirkt das »Q« geheimnisvoller, wie sie findet. Und die Praxis gibt ihr recht, da das durchaus zu einem positiven Interesse der Mitschüler führt. Robin verkneift sich eine Nachfrage, da er ihr nicht glaubt, unterlässt es dann aber doch. Ein leises Schmunzeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.

»Dann bin ich Robin J. oder einfach Robin, einverstanden?«

Das Mädchen zweifelt einen Moment, ob er sich über sie lustig machen will, entscheidet sich dann aber dagegen.

»Nenn mich Anna, das Q ist nicht so wichtig! – Ich habe gesehen, dass du nicht schlechter als Alexander spielst. Meiner Meinung nach zögerst du manchmal zu lange. Das wirkt so, als ob du davor zurückschrecken würdest, den Champion zu stürzen.«

Sie haben mittlerweile den Eingang zur Bibliothek erreicht und öffnen die schwere Eichentür. Galant überlässt der Junge dem Mädchen den Vortritt.

»Das trifft es nicht. Ich habe nur keine so große Spielpraxis und bin deshalb oft unsicher.«

Robin und Anna verschaffen sich einen schnellen Überblick in dem Raum. An vielen Tischen sitzen Schüler, die unterschiedlich hohe Bücherstapel angehäuft haben. Sie lesen und notieren sich hin und wieder etwas in mitgebrachte Kladden. Sie heben nicht einmal die Köpfe, als die schwere Eichentür mit einem leisen Geräusch geschlossen wird.

Im hinteren Bereich sind viele Regalreihen zu sehen, die bis zur Decke reichen. In ihnen steht wohlgeordnet der große Bücherbestand der Schule. Dieses Gebiet wird durch ein davor befindliches Geländer vom Lesesaal abgegrenzt. Dort entdecken die beiden vier freie Tische. Robin gibt Anna das Schachspiel. Er fordert sie auf, sich einen Platz auszusuchen und dort schon einmal die Figuren aufzustellen. Er steuert währenddessen auf den Tresen in der Mitte des Geländers zu, von wo ihnen die Bibliothekarin entgegenschaut. Er informiert die streng blickende Frau über ihre Absicht und bekommt sofort die Genehmigung.

Eine Schachpartie

Der große Gong erklingt zum zweiten Mal. Alle Schüler und Professoren werden damit dringend zur Abendmahlzeit gerufen, doch Anna und Robin überhören ihn. Alle anderen Besucher des Lesesaals haben diesen bereits beim ersten Ton verlassen. Die Bibliothekarin kommt hinter der Abgrenzung hervor und geht zum letzten noch benutzten Tisch. Helle Augen schauen durch große Brillengläser auf das Schachbrett. Sofort heben sich ihre Augenbrauen in die Höhe. Sie hüstelt kurz, aber auch das holt die beiden Spieler nicht in die Gegenwart.

»Der Gong hat bereits zweimal gerufen. Wer beim dritten Mal nicht im Speisesaal sitzt, bekommt heute nichts mehr!« Nur widerwillig blicken die Schüler auf. Sollen sie für eine derartige Nebensächlichkeit wie Essen ihr spannendes Spiel unterbrechen? Derzeit ist es ausgeglichen! »Wie lauten eure Namen, und in welchem Jahrgang seid ihr?«, fordert die Frau mit gewohnter Autorität in der Stimme. Bekommen sie jetzt gleich einen Verweis? Robin will es nicht glauben und Anna versteht nicht, weshalb die hellgrauen Augen sie durch die Brille derart seltsam anblicken.

»Aber, Frau Professor«, beginnt der Junge, »sie kennen mich doch. Wir sind wirklich leise gewesen und haben niemanden gestört.«

»Name und Klasse. Ich frage nicht noch einmal!« Die Aufforderung klingt verdächtig danach, dass gleich eine Strafe folgen wird, wenn sie nicht gehorchen. Der Gesichtsausdruck ist streng und wird von dem Knoten am Hinterkopf, mit dem das schiefergraue Haar zusammengehalten wird, zusätzlich unterstrichen.

»Robin Jury, dritter Jahrgang.« Das Gesicht blickt abwartend zum Mädchen. Die hagere Gestalt der Professorin wird kerzengerade gehalten und bewegt sich bis auf den Kopf nicht.

»Nun du!«, fordert sie. Der Gong erklingt zum dritten Mal und übertönt das Schluckgeräusch, mit dem die Schülerin einen Kloß hinunterwürgt. Was wird jetzt folgen?

»Anna Q, erster Jahrgang«, flüstert sie fast. Doch die Bibliothekarin hat sie gut verstanden.

»Auch wenn Jugendliche im Wachstum nicht auf ein Abendessen verzichten sollten, gibt es offenbar Wichtigeres für euch!« Diese Feststellung wird mit nachdenklicher Stimme gesprochen. Ist das jetzt alles gewesen? Die Schüler blicken sich verwundert an. Warum klang die Frage nach Namen und Jahrgang dann so barsch? Professor Morwenna Mulham wirkt kurzzeitig abwesend. Überlegt sie, welche Strafe angebracht ist, obwohl sich Robin keines Vergehens bewusst ist? Annas Augen ruhen fragend auf dem Jungen. Sie ist erst seit wenigen Wochen hier und nicht sicher, mit dem Fernbleiben vom Abendessen möglicherweise eine ihr unbekannte Schulregel gebrochen zu haben.

»Ihr solltet weiterspielen. Ich schließe nur schnell die Tür ab, da die Bibliothek jetzt offiziell geschlossen ist.« Sie kehrt um, geht zum Eingang und dreht den großen Schlüssel. Danach kommt sie zurück und zieht sich einen Stuhl heran. »Wenn ihr erlaubt, werde ich mir euer Spiel ansehen!« Die Bibliothekarin macht es sich bequem. Nach kurzem Zögern konzentrieren sich die Schüler erneut und versuchen, zu ihrer ursprünglichen Strategie zurückzufinden. Nicht lange, und sie haben ihre Beobachterin völlig vergessen. Morwenna verfolgt aufmerksam die Spielzüge. »Erster und dritter Jahrgang! Das ist gut, sehr gut! – Ob sie aber auch geeignet sind? – Hm. Das war jetzt raffiniert, dabei wirkt diese Anna so, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. – Der Gegenzug war gut gekontert. Ich bin fast sicher, hier sitzen fähige Talente vor mir.« Ihre Gedanken äußert sie nicht.

Nach langem Überlegen setzt Anna einen Läufer, der einen gegnerischen Bauern schlägt. Robin zieht einen Springer, der diesen Stein bedroht. Schnell wird der aus dem Gefahrenbereich gebracht, da schlägt das gegnerische Pferd ihre Dame. Das Mädchen zieht eine Augenbraue hoch und ärgert sich, weil es die Falle nicht vorhergesehen hat. Es dauert noch mehrere Spielzüge, dann endet die Partie schließlich unentschieden. Die Professorin kommentiert das lediglich mit einem: »Gut!« Sie schiebt ihren Stuhl unter den Tisch zurück, von wo sie ihn vor zwei Stunden herangezogen hat. Anna bedankt sich mit geröteten Wangen für die Partie bei ihrem Gegner, dann legen beide die Figuren in das klappbare Schachspiel. Anstatt es zu schließen, verharrt der Junge. Anna bemerkt, dass er in Gedanken versunken ist.

»Robin, was ist los?« Das Mädchen erhebt sich und wartet auf Antwort. Sie widersteht der plötzlichen Regung, ihm die Schulter zu klopfen. Das würde er vermutlich als herablassenden Aufmunterungsversuch missverstehen.

»Du spielst wirklich gut!«, beginnt er langsam. »Ich habe das Match zuerst zu leicht genommen. Ich bin unbewusst davon ausgegangen, dass ich dich mit Leichtigkeit schlagen würde. Vermutlich hat mich Alexanders Ausspruch dazu verleitet. Entschuldige bitte meine Überheblichkeit. Ich hatte echt Mühe, mich in ein Remis zu retten.« Robins dunkle Augen blicken sie ernst an. »Ich würde gern eine neue Partie gegen dich spielen. – Wer ist dein Lehrer gewesen?«

»Mein Vater. Du musst dich nicht entschuldigen. Ich bin es gewohnt, unterschätzt zu werden. Das ist oft ein großer Vorteil für mich. Ich freute mich schon, dich besiegt zu haben, als du dann doch wieder ins Spiel zurückkamst. – Ich trete gern erneut gegen dich an. Können wir das hier machen? Ich möchte dabei nicht von vielen Mitschülern begafft werden. Das irritiert mich etwas.« Robin schaut sie ungläubig an.

»Trotzdem wolltest du im Speisesaal gegen Alexander antreten? Da hätten seine Bewunderer doch sicher nicht das Feld geräumt!«

»Ich hatte gehofft, dass sie wie Alexander davon ausgehen, dass ich schnell unterliegen würde, weshalb sie schon vorausgehen könnten. Notfalls hätte ich ein paar Figuren geopfert, um das zu untermauern. Spätestens dann wären sie abgezogen!«

»Du bist unglaublich!«, stellt der Junge bewundernd fest. So viel Hinterlist hätte er ihr nicht zugetraut. Sie wirkt so unschuldig und zurückhaltend, dass er Derartiges nicht von ihr denken würde, wenn sie es nicht gerade gesagt hätte.

»Trotzdem rechnetest du dir noch eine Chance gegen ihn aus?«

»Darauf habe ich zumindest gehofft. Damit er gewinnen könnte, müsste er sich schon gewaltig anstrengen. Und dann wäre er mir eine Revanche schuldig, die wir zu meinen Bedingungen austragen würden, also ohne Zuschauer. Ich kann mir gut vorstellen, dass er das auch fordert, um nicht vor großem Publikum Gefahr zu laufen, von »einem Baby« besiegt zu werden.« Die Röte ihrer Wangen ist mittlerweile verblasst, trotzdem, oder gerade deswegen, wirkt sie vollkommen harmlos. Robin zieht in Gedanken seinen Hut vor ihr.

»Was Alexander betrifft, bin ich nicht sicher, ob du ihn richtig einschätzt. Wir sind hier in einem Internat für hochbegabte Schüler. Dein Schachspiel beweist, dass du hierhin gehörst! Du besitzt eine große Begabung für Strategie, aber Alexander ebenfalls. Ich bin mir absolut nicht sicher, ob er so ist, wie er sich in der Öffentlichkeit gibt. – Aber genug davon. Ich möchte gern regelmäßig gegen dich spielen, das würde unserer Spielpraxis guttun. Ich werde Professor Mulham fragen, ob wir uns dazu täglich hier treffen dürfen.«

»Du sagst Professor zu ihr, dann ist sie auch eine unserer Lehrerinnen? Ich dachte, sie wäre die Bibliotheksleiterin. Wie passt das zusammen?«

Robin schaut sich kurz um und zieht Anna wieder auf einen Stuhl herab, als er die Frau nirgends bemerkt. Wohin ist sie denn jetzt verschwunden? Die Eingangstür haben sie nicht gehört, aber umso besser. Dann muss er nicht flüstern.

»Sie heißt Professor Morwenna Mulham und ist schon über dreißig Jahren am CC. Sie übt beide Funktionen aus«, erklärt er. »Wie sie das schafft, ist mir ein Rätsel. Vermutlich liegt das daran, dass ihr Lehrgebiet Strategie und Logik ist, und erst ab dem vierten Jahrgang unterrichtet wird. Ich habe gehört, dass sich kaum Schüler dafür melden. Außerdem kommt ihr entgegen, dass die Bibliothek erst nach dem Regelunterricht, also Fächern wie Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften, am Nachmittag geöffnet wird. Sport, Kunst und andere Neigungsfächer finden dann zwar parallel statt, doch das stört nicht. Geschlossen wird die Bibliothek mit dem ersten Gong fürs Abendessen.«

»Dann war das eine Ausnahme und ein Entgegenkommen von ihr, dass wir hier zu Ende spielen durften? Sie hat dadurch ebenfalls das Abendessen verpasst.« Anna schaut suchend umher. »Warum sie das wohl gemacht hat?«

»Das ist mir auch ein Rätsel. Sie gilt als besonders streng und nimmt es einem sehr krumm, wenn man ihre Anweisungen missachtet. Du hast ja gesehen, wie gebieterisch uns »M hoch Zwei« angesehen hat.«

»Wen meinst du … ach so. Ist das ihr Spitzname?« Bevor Robin sich dazu äußern kann, vernehmen beide ein empörtes Schnauben.

»Du nennst mich »gebieterisch« und sprichst im gleichen Atemzug meinen Geheimnamen aus? Was fällt dir ein und woher kennst du ihn? Weißt du nicht, wie gefährlich …?« Morwenna unterbricht sich plötzlich. Graue Augen schleudern Blitze und die hagere Gestalt wirkt kurzzeitig bedrohlich, bevor sie wieder ihr vorheriges Aussehen annimmt. »Jetzt verschwindet besser schleunigst, bevor ich es mir überlege und ihr eine angemessene Strafe bekommt!« Woher die Professorin so plötzlich gekommen sein mag, ist den Schülern ein Rätsel.

Sie brummen verdattert: »Danke«, erheben sich und stürmen zum Ausgang. Die Tür lässt sich sofort öffnen, obwohl sie nicht gehört haben, wie der Schlüssel erneut gedreht worden ist. Sobald sie ins Schloss fällt, atmen beide erleichtert auf.

»Wow, das war knapp!« Anna ist immer noch über das plötzliche Erscheinen der Professorin erschrocken. Robin fasst sie am Arm.

»Ich habe mein Schachspiel liegenlassen. Was machen wir jetzt?«

»Ich geh da nicht wieder rein!« Der Gesichtsausdruck des Mädchens ist eindeutig. Es weiß zwar nicht, welche mögliche Strafen angedroht wurden, doch sie will es auch lieber nicht wissen. Der Junge grübelt. Soll er es riskieren? Professor Mulham schien reichlich aufgebracht. Warum nannte sie »M hoch Zwei« ihren Geheimnamen? Robin hatte diesen Ausdruck wie Anna für einen Spitznamen gehalten, abgeleitet von den zwei Anfangsbuchstaben ihres Namens.

MM könnte mathematisch ausgedrückt zu M mal M, also M zum Quadrat, oder M hoch Zwei werden! Wofür benötigt man überhaupt einen speziellen Namen und weshalb ist es gefährlich, ihn auszusprechen?

»Ich trau mich auch nicht«, gesteht Robin. »Da Professor Mulham gesehen hat, dass das mein Schachspiel ist, werde ich es morgen Mittag abholen. Ich hoffe nur, dass sie uns trotz dieses Zwischenfalls erneut im Lesesaal spielen lässt!« Beide gehen den langen Flur entlang, in dem ihnen lachende oder diskutierende Mitschüler entgegenkommen. Sie verabreden sich schließlich für den morgigen Nachmittag um Drei, nicken kurz und trennen sich.

Draußen herrscht schon Dämmerung. Anna möchte noch etwas die Nachtluft genießen und wandert durch den Park. Sie muss ihre Gedanken ordnen, bevor sie sich zu dem Nebengebäude begibt, in dem sich die Schlafräume der Schülerinnen befinden.

In der Nacht

In dem Nebengebäude geht sie durch mehrere Gänge und über steile Treppen bis ganz nach oben. Die Schülerinnen des ersten Jahrgangs schlafen in Zimmern mit vier Betten unter dem Dach. Auf dem Weg dorthin denkt Anna kurz an ihre Ankunft im Internat.

Alle Schüler mussten am Vorabend des ersten Tages zum Abendessen im Speisesaal eintreffen, wo der Schulleiter Iain Raven die neuen Kinder mit einer kurzen Ansprache empfing. Er wies auf die Schulregeln hin, die unbedingt zu beachten seien und deshalb in jedem Schlafraum ausliegen würden.

»Verstöße führen im Wiederholungsfall zum sofortigen Schulverweis!« Diesen Satz unterstrich er mit einem ausgestreckten Arm in Richtung Tür. Anna weiß noch, dass sie meinte, die Augen unter den buschigen, weißen Augenbrauen würden speziell sie betrachten. Unwillkürlich versuchte sie, sich kleiner zu machen, als sie ohnehin schon ist, um sich hinter ihrem Nachbarn zu verstecken.

Nach dem Essen, von dem sie wegen des Knotens im Bauch fast nichts zu sich nahm, wurden die Kinder einzeln aufgerufen und der Obhut älterer Schüler übergeben. Diese Vertrauensschüler führten die Neuankömmlinge zu ihren Schlafräumen in den rechts und links vom Haupthaus liegenden Nebengebäude. Die Mädchen hatten mehr Glück als die Jungen, da die eigentlich für vier Kinder gedachten Zimmer mehr Schlafplätze boten, als benötigt wurden. Nur wenige Schülerinnen kannten sich untereinander, die deshalb gemeinsam einen Raum belegten. Die schmächtige Anna wurde von den kräftigeren Mädchen an die Seite gedrängt, so dass sie schließlich mit ihrem Koffer allein im Flur stand. »Du hast aber Glück«, wurde sie von der Vertrauensschülerin angesprochen. »Das Zimmer neben dem Treppenaufgang wurde offenbar von den anderen übersehen, dabei ist es das mit dem schönsten Blick in den Park.« Anna blickte fragend in ein freundlich lächelndes, mit Sommersprossen übersätes Gesicht. Die langen und dichten, roten Locken reichen weit über die Schultern hinab. »Ich bin Caitlin Neville«, stellte sie sich vor. Erst da raffte sich die Angesprochene zusammen.

»Entschuldigung. Ich war in Gedanken … Ich bin Anna Q. Warum meinst du, dass ich Glück habe, nur wegen der Aussicht?«

»Nein, obwohl sie wirklich schön ist. Aber es gibt einen weiteren Grund. Die anderen belegen zu dritt ein Zimmer. Na ja, manche auch nur zu zweit, aber du hast ein Einzelzimmer.« Anna erinnert sich, dass sie nicht sicher war, ob das ein Vorteil ist, doch inzwischen stimmt sie Caitlin zu. Der Raum ist kleiner als die Viererzimmer und eigentlich für zwei Bewohner ausgelegt. Es erinnert das Mädchen mittlerweile an sein Zimmer zuhause. Die Fotografien ihrer Mutter und Großmutter, aber besonders die ihres Vaters, tragen erheblich dazu bei. Sie hängen über ihrem Schreibtisch, so dass ihr Blick oft darauf haften bleibt.

Anna hat sich mittlerweile an die vielen Treppenstufen gewöhnt und ist kaum merklich außer Atem, als sie in ihr kleines Reich tritt. Das verpasste Abendessen lässt ihren Magen vernehmlich knurren. Ihr Blick schweift sofort zum Bild des Vaters und von dort zu einer Schale auf dem Schreibtisch. Darin liegen zwei Äpfel und eine Banane. Beim Frühstück ist es den Schülern erlaubt, sich Obst für den Tag mitzunehmen, was Anna gerne nutzt. Zu den Hauptessenszeiten verspürt sie noch oft einen Knoten im Magen, der vermutlich von der Trennung vom Vater herrührt. Doch es wird langsam und von Tag zu Tag besser. Sie fühlt sich manchmal wie beim letzten Ausflug ihrer Grundschulzeit, als sie für fünf Tage in einer Jugendherberge einquartiert waren.

Anna schnappt sich die gelbe Frucht, öffnet die Schale und beißt hungrig ein Stück ab. Kauend wirft sie einen Blick nach draußen in den Park. Ein Schauer läuft über ihren Rücken, als sie ein lautes Kreischen vernimmt. Was ist das? Sie legt die angebissene Banane auf die Schreibunterlage, öffnet einen Fensterflügel und beugt sich etwas hinaus. Sie horcht angestrengt. Von wo mag das gekommen sein, und vor allem, was war die Ursache?

Lauert innerhalb des mit Mauern und Toren umgrenzten Gebiet des Internats eine Gefahr auf die Schüler? Anna verspürt einen stechenden Schmerz im Kopf. Es fühlt sich an, als ob ein glühendes Messer zu einem Auge hinein, quer durch ihren Schädel stoßen würde.

»Hoffentlich bekomme ich keine Migräne!« Anna schwankt etwas und kneift die Augen zu. Eine derart heftige Attacke hatte sie noch nie. Plötzlich ist der Schmerz wieder vorbei. Sie atmet erleichtert auf. Als erneut ein schrilles Kreischen erklingt, richten sich ihre Nackenhärchen auf. Sie holt mehrmals kontrolliert Luft, um nicht in Panik zu fallen. Obwohl das Schreien lauter als bei geschlossenem Fenster gewesen ist, kann Anna das Geräusch nicht zuordnen. Trotzdem ist sie sicher, das klingt nach einem verängstigten Tier. Sollte ein nächtlicher Greifvogel eine Maus gefangen haben? Doch für eine Maus war das Kreischen zu laut, zumal eine Eule ein Opfer schnell tötet. Das Mädchen versucht, mit weit geöffneten Augen draußen etwas zu erkennen. Die Dämmerung ist mittlerweile in eine stockfinstere Nacht übergegangen, auch Sterne sind nicht mehr am Himmel zu sehen. Nach der Hitze des Tages zogen am Nachmittag erste Wolken auf. Auf ihrem Weg durch den Park bemerkte Anna die Schwüle, die ein heraufziehendes Gewitter ankündigt. Aber das Geräusch eben war kein entfernter Donner, es klang wie ein Schrei in höchster Not. Soll sie ihre Taschenlampe aus dem Schreibtisch nehmen und draußen nach der Ursache forschen? Etwas in ihr drängt sie, also gibt sie nach kurzem Zögern nach. Sie will zumindest in der näheren Umgebung um das Gebäude nach der Ursache suchen. Den gesamten Park wird sie nicht durchstöbern können, der ist zu weitläufig.

Auf dem Weg die Treppenstufen hinab, beruhigt sich das Mädchen. Gefährliche Raubtiere gibt es in der Region nicht. In den Nachrichten wird zwar von einer wachsenden Zahl von Wolfsrudeln im Land berichtet, aber so weit im Westen sind bisher keine gesehen worden. Außerdem müssten diese Räuber erst Mauern und Tore überwinden, was ihnen sicher unmöglich ist.

Einige Schülerinnen wundern sich, wohin Anna so spät am Abend will. In einer Viertelstunde müssen besonders die Erstklässler im Gebäude sein, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, eine Strafarbeit aufgebrummt zu bekommen. Anna lässt sich nicht beirren, lächelt und nickt ihnen zu. Dann schließt sie die Außentür hinter sich. Mit klopfendem Herzen steht Anna lauschend davor. Sie orientiert sich kurz und begibt sich dann zu der Giebelseite, in der sich ihr Zimmerfenster befindet. Erneut erklingt ein Kreischen. Es kommt von der Seite, ist sie sicher. Sie lässt die Taschenlampe aufleuchten und sucht mit dem hellen Lichtkegel nach der Ursache. Das Geräusch klang so, als ob es aus der Nähe, aber irgendwie gleichzeitig von unten, fast wie aus der Tiefe kam. Erneut läuft ein Schauer über ihren Rücken. Am Rande des Lichtkegels bemerkt sie eine plötzliche Bewegung. Sie erschrickt derart, dass ihr die Taschenlampe aus der Hand fällt. Sie landet auf dem Weg und sendet den Lichtstrahl in ein Gebüsch. Anna atmet aufgeregt. Was ist das dort? Nach wenigen Augenblicken meint sie, zu träumen. Unter einem Haselbusch wurde eine Durchlauffalle aufgestellt. Das können der Gärtner oder der Hausmeister gewesen sein. Aber anders als beabsichtigt, wurde darin keine Ratte oder ähnliches Getier gefangen, sondern ein großer, schwarzer Vogel. Das Mädchen hält den Atem an, greift sich die Taschenlampe und leuchtet mit ihr nicht direkt auf das verängstigte Tier. Das kreischt laut und versucht mit den Flügeln zu schlagen, was wegen der Enge der Falle jedoch unmöglich ist.

»Schsch!« Anna will mit leiser Stimme den aufgeregten Vogel beruhigen. »Ich lasse dich sofort frei, du musst nur ruhig sein.« Sie bückt sich und kriecht vorsichtig in das Gebüsch. »Hoffentlich wurde das arme Tier nicht verletzt, möglicherweise an einem Flügel«, denkt sie bekümmert. Sie schirmt den Lichtkegel etwas mit der Hand ab, um den Mechanismus der Falle zu erkunden, ohne den darin Gefangenen zu blenden. Sie versucht dabei immer wieder, den Vogel mit »Schsch« zu beruhigen, was offenbar erfolgreich ist. Er hat aufgehört mit den Flügeln zu schlagen, kollert mit tiefer Stimme und klappert mit den Augendeckeln. Sollte er verstehen, was Anna versucht? Endlich gelingt es ihr, die Sicherung der Eingangsklappe zu entriegeln. Sie schiebt das Gitter nach oben. »Komm heraus, mein Freund. Aber sei mit den Flügeln vorsichtig, der Ausgang in die Freiheit ist reichlich eng.«

Das Tier legt den Kopf schräg, klappert zweimal mit den Augendeckeln und kommt langsam auf Anna zu. Sie versucht nicht, ihm durch die schmale Öffnung zu helfen. Das könnte ihn ängstigen oder zurückscheuchen. Außerdem weiß sie nicht, wo sie das Tier anfassen sollte, also wartet sie ab und redet ihm gut zu. Tatsächlich schafft es der große Vogel allein, hinauszukommen. Er krächzt einmal leise, fast so, als ob er sich bedanken wolle. Dann huscht er tiefer unters Gebüsch und Anna lässt die Falle wieder zufallen. Sie will verhindern, dass erneut ein Tier darin gefangen wird. Seufzend richtet sie sich auf und fährt erschrocken zusammen. Ein heftiger Donnerschlag zeugt von dem beginnenden Gewitter. Die ersten, dicken Regentropfen fallen, ein Blitz zuckt grell über den Himmel und erneut droht ein tiefes Grollen. Anna hastet zurück ins Haus. Sie ist froh, den Vogel aus seinem Gefängnis befreit zu haben. Bei dem Gewitter wäre er in der engen Falle vermutlich vor Schreck gestorben. Dass Kolkraben einerseits, dieser aber im Besonderen, keineswegs so zart besaitet sind, weiß sie nicht. Trotzdem ist eine Nacht in Freiheit einer in Gefangenschaft immer vorzuziehen, egal von welcher Kreatur!

Ein seltsamer Traum

Anna liegt noch längere Zeit wach in ihrem Bett. Das ängstliche Kreischen des Vogels taucht immer wieder in ihrem Kopf auf, während die Regentropfen gegen das Fenster trommeln und Blitze in unregelmäßigen Abständen den Raum erhellen. Bei jedem einzelnen Donner zuckt das Mädchen zusammen. Sein Vater Aedan hat ihm einmal erklärt, was bei einem Gewitter passiert. Besonders im Sommer, wenn die Hitze warme Luft aufsteigen lässt, wird auch Feuchtigkeit aus dem Boden oder Gewässern mitgerissen. Diese kühlt ab, je höher sie steigt. Es entstehen Wolken, die sich zu hohen Gebilden auftürmen. Im Inneren und gegenüber zum Erdboden bilden sich dadurch elektrische Spannungen, die schließlich über die Blitze entladen werden. Diese Lichterscheinungen entstehen durch den Ladungskurzschluss, bei dem ein riesiger elektrischer Strom fließt, der dabei die Luft explosionsartig erhitzt. Die dehnt sich aus und zieht sich beim Abkühlen wieder zusammen, was zu einer Druckwelle führt, die als lautes Grollen und Knallen zu hören ist. Anna erinnert sich, dass ihr Vater ihr einschärfte, dass das Gefährliche beim Gewitter also nicht der Donner, sondern die vorher auftretenden Blitze seien. Sie weiß von ihm, dass diese von hohen Punkten im Gelände angezogen werden. Das können Gebäude oder Bäume sein, aber auch Tiere und Menschen, wenn sie auf einer freien Ebene von einem Gewitter überrascht werden. In dem Fall hilft nur, sich so klein wie möglich hinzuhocken und die Füße eng nebeneinanderzustellen. Am besten hält man sich bei dieser Naturerscheinung in einem Gebäude auf, dass mit einem Blitzableiter versehen ist. Strom wird von vielen Metallen sehr gut geleitet. Deshalb wird das für die Erstellung dieser Schutzeinrichtungen genutzt, um die gefahrbringenden Blitze sozusagen einzufangen und unschädlich in den Boden zu leiten. Derartige Blitzableiter gibt es auf allen Gebäuden des Internats. Das hatte ein Professor in einer der ersten Physikstunden erläutert. Obwohl Anna dies gerne glauben will, fürchtet sie bei jedem neuen Blitz um die Wirksamkeit dieser technischen Einrichtung. Die lauten Donnerschläge lassen sie ängstlich zusammenfahren.

Herausforderung

Der Vormittag geht schneller vorbei, als Anna zuerst vermutet. In Geschichte handelt der Unterricht von den Wikingern und ihren Überfällen. Bei den Berichten über die Eroberung von fast allen bisherigen Königreichen in England und der Bildung eigener, fiebert sie mit, wobei sie nicht sagen kann, auf welcher Seite sie dabei steht. Der kühle Mathematikunterricht zieht sich dagegen schon mehr, trotzdem verfliegt auch diese Doppelstunde, da die Hälfte des Unterrichts mit freiwilligen Knobelaufgaben gefüllt wird, die das neu Erlernte festigen sollen. Anna ist stets eine der Ersten, die die Aufgaben löst und dazu noch fehlerfrei. Die Professorin schaut sie lächelnd an.

»Anna, du bist ein richtiges Mathe-Ass!« Das sagt sie so leise, dass die weiteren Schüler nichts davon mitbekommen, um das Mädchen nicht als Streberin aus der Masse herauszuheben. Die anderen sind jedoch nicht wesentlich langsamer als sie, obwohl deren Lösungen manchmal kleinere Fehler aufweisen.