SPQR - Töversche und Malefica - Norbert Wibben - E-Book

SPQR - Töversche und Malefica E-Book

Norbert Wibben

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Beschreibung

Britta wird seit dem letzten Erfolg der drei Freunde immer stiller. Sollte sie eifersüchtig auf Emma sein, die den Hauptteil der Recherchen zu Anwars Alptraum geleistet hat? Das Wegbleiben des Kolkraben zu klären, löste wiederum hauptsächlich Luke. Was ist dann ihre Aufgabe bei den drei Detektiven? Britta sondert sich von den Freunden ab. Lediglich Remus kann ihr ein Lächeln entlocken. Die Jugendlichen verfolgen eigene Wege. Bricht ihre Freundschaft auseinander? Eine wachsende Zahl von Brandstiftungen verbreitet Angst in den umliegenden Ortschaften. Es ist vermutlich eine Frage der Zeit, bis außer Sachschäden auch Menschen verletzt oder gar getötet werden. Die Kriminalpolizei bildet eine Sonderkommission. Wird sie den geforderten, schnellen Erfolg liefern können? Noch sichten sie Spuren und versuchen, Gemeinsamkeiten zwischen den Fällen herauszufiltern. Britta sucht nach einer Aufgabe, in der sie ihre detektivischen Fähigkeiten einsetzen kann. Ehe sie sich versieht, wird es für sie gefährlich. Die Jugendliche gerät in einen Fall, der anders als alle bisherigen Abenteuer ist. Mit einem derart hinterhältigen Feind hat sie nicht gerechnet! Können die Freunde sie retten?

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Seitenzahl: 327

Veröffentlichungsjahr: 2022

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SPQR

Töversche und Malefica

Roman

Norbert Wibben

SPQR

Töversche und Malefica

SPQR, Band 5

Für Monika, meine wunderbare Frau,

in ewiger Liebe!

In Erinnerung an viele schöne Vorleseabende mit meinen Kindern verpacke ich auch diese Geschichte in den bekannten Dreizeiler:

Ein Huhn und ein Hahn – …

Besprechung

Ende einer Freundschaft?

»Brennen sollst du!«

Zeitungsartikel

Nächtliche Suche

»Wir haben ihn!«

Brittas Suche

Verabredung

Treffen mit Luke

Eine geheimnisvolle Frau

Erneute Brandstiftung

Soko-Treffen

Britta als Assistentin

Ein Urenkel

Emma in Ägypten

Eine Entdeckung

Neue Ansätze

Überlegungen

Erkenntnisse?

Logische Folgerungen?

Gespräch

Unerwartete Begegnung

Nächtliche Flucht

Grübeleien

Nachrichten

Brandanschlag?

Überlegung

Lagereinbruch

Ein Auftrag

Planänderung

Zwei Brandanschläge

Spurensuche

Ein misslungenes Treffen

Neue Erkenntnisse

»Wir bringen dich heim«

Ein irritierendes Video

Suche nach Britta

Verhöre

Zweifel

Die Gelegenheit

Auf dem ehemaligen Gutshof

Die Befreiung

Wichtige Hinweise

Danksagung

Besprechung

Ein Huhn und ein Hahn – die Geschichte fängt an

Janus terBeek ist Kommissariatsleiter in Wismar. Er blickt in die Gesichter der versammelten Kriminalbeamten, die er kurzfristig zusammengerufen hat. Er ist ein altgedienter Kriminalkommissar und ihnen ein fairer Vorgesetzter. Warum er heute derart geladen und grimmig ausschaut, ahnen sie alle. Die Bestätigung erhalten sie, als er das aktuelle Exemplar der Ostseezeitung entfaltet und in die Höhe hält. Die Schlagzeile der heutigen Ausgabe haben die meisten gelesen, genauso wie den entsprechenden Artikel.

»Meine lieben Kolleginnen und Kollegen.« Er hat noch zwei Dienstjahre vor sich, bevor er in Pension geht. Dass er ein Kind alter Schule ist, zeigt sich auch in Ansprachen wie dieser, weil er stets darauf achtet, nach dem Prinzip »Ladys first« zu agieren. »Unser Polizeidirektor hat mich heute Morgen auf Weisung des Innenministeriums angerufen und um etwas gebeten.« Er hüstelt mehrfach. Die Kripobeamten schlussfolgern sofort, dass der für sein cholerisches Temperament bekannte Referatsleiter wohl eher eine unerfüllbare Forderung ins Telefon gebrüllt hat, die der Leiter der Polizeiinspektion Wismar vermutlich entschärft hat. Sie bekommen von ihrem Chef somit eine geschönte Version zu hören. »Ja nun. Ihm ist bewusst, dass unsere Personalstärke zu wünschen übriglässt. Doch das, so stellt er fest, ist keine Entschuldigung dafür, dass die Urheber für die Brandstiftungen der letzten Monate noch immer nicht ermittelt und aus dem Verkehr gezogen wurden. Allein in Wismars nächster Umgebung sind es inzwischen drei Fälle. Und in dem gesamten Gebiet, für das wir zuständig sind, ergeben es mit dem Großfeuer von vergangener Nacht bereits sieben. Das sind fast doppelt so viele, wie in allen anderen Dienststellen. Ein Referatsleiter der Abteilung vier des Ministeriums für Inneres fordert, alle Kräfte auf die Ergreifung der Täter zu konzentrieren, natürlich abgesehen von den Beamten, die mit Mord- und Tötungsdelikten beauftragt sind. Er kündigt ernste Konsequenzen an, sollten die in der Zeitung verharmlosend als Feuerteufel bezeichneten Kriminellen nicht innerhalb der nächsten vier Wochen dingfest gemacht werden.«

Ein lauter werdendes Murmeln erklingt.

»Fordern kann er viel!«

»Das spricht dafür, dass er keine Ahnung hat, wie überlastet wir sind.«

»Hat dieser Sesselpu…, ich meine damit den Referatsleiter, nur eine kleine Vorstellung davon, wie schwierig und langwierig derartige Ermittlungen sein können?«

»Ihm ist nur wichtig, in der Öffentlichkeit gut dazustehen.«

»Eine ultimative Drohung an Untergebene ist kein wirksames Mittel, um schneller voranzukommen.«

Das zustimmende Gemurmel beweist, dass viele der Anwesenden den geäußerten Meinungen beipflichten.

Clas Hinnerk macht ein Handzeichen und fügt in die sofort einkehrenden Stille seine Bewertung hinzu.

»Das verschafft seinem Chef, dem Minister, kurzfristig Luft, um dem Kreuzfeuer aus verschiedenen Richtungen mit Forderungen nach seinem Rücktritt zu entkommen. Damit zeigt er jedoch gleichzeitig, dass seine Führungsqualitäten nicht so sind, wie sie sein müssten.«

Diese Äußerungen hätte keiner dem Hauptkommissar zugetraut. Er ist dafür bekannt, nicht nur in Kriminalfällen zuerst alle Fakten zu sammeln, um sie nach längerem Überlegen zu bewerten. Dass er derart heftig reagiert, kann nur bedeuten, dass er über Hintergrundwissen zu dem genannten Telefonat verfügt. Sollte der Chef ihm mitgeteilt haben, wie die angedrohten Konsequenzen aussehen könnten? Doch weder Janus terBeek noch Clas Hinnerk reagieren auf entsprechende Nachfragen.

»Ich bitte um Ruhe«, beginnt der Kommissariatsleiter. »Auch wenn ich dem Referatsleiter nicht zustimme, müssen wir versuchen, die Verantwortlichen schnellstens zu fassen. Deshalb …« Er macht eine kleine Pause und blickt die Versammelten nacheinander an. »… ernenne ich Hauptkommissar Clas Hinnerk zum Leiter der »Sonderkommission Feuer«. Da er besonders gut mit Inge Husmann zusammenarbeitet, wird sie zu seinem Team gehören und seine Stellvertreterin sein. Die anderen Teammitglieder werden von ihnen ausgewählt. Ich hoffe, nein, bin überzeugt, dass ihr alle euer Bestes geben werdet, die Übeltäter zu fassen. Je schneller, desto besser, natürlich. Also, an die Arbeit!« Janus hüstelt kurz und legt dem Kommissar eine Hand auf die Schulter. »Ich verlasse mich auf dich und Kollegin Husmann«, sagt er bedeutungsvoll. Das ist nur für diesen hörbar. Sofort darauf verlässt der Chef den Konferenzraum.

»Es geht um seinen Kopf!«, stellt Inge mit leisen Worten fest. Sie schaut Clas an, neben den sie getreten ist. »Soll er womöglich vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden, falls er die Forderung des Ministeriums nicht erfüllen kann? – Aha, das ist es also! –Wenn du mich fragst, ist das unterste Schublade! Der Chef hat es nicht verdient, aus Publicitygründen frühzeitig in Pension geschickt zu werden. Zumal das nichts daran ändern würde, dass die Brandstiftungen fortdauern könnten. Und das sollen wir doch verhindern!«

»Du sagst es«, stellt Clas fest. »Trotzdem ist dieser Politiker kraft seines Amtes der Vorgesetzte von uns allen. Obwohl sich sein Referatsleiter als inkompetent zeigt, würde das nichts an den Auswirkungen ändern. – Wir müssen jetzt überlegen, wer in unser Team gehören soll. Komm mit in mein Büro, da herrscht mehr Ruhe.«

Auch wenn die kurzfristig anberaumte Versammlung ohne Beamer und weiteres technisches Gerät ausgekommen ist, waren einige der zur freien Verfügung bereitstehenden Flaschen mit Saft, Wasser und anderen alkoholfreien Getränken geöffnet und geleert worden. Diese werden bereits von dem dafür zuständigen Personal ausgetauscht, damit der Raum für die nächste Besprechung vorbereitet ist. Das hat den Vorteil, den Raum innerhalb kürzester Zeit auch für ungeplante Konferenzen in größerem Rahmen nutzen zu können.

Auf dem Weg in das Büro von Clas Hinnerk überlegen die Kommissare, wen von den Kollegen sie im Team haben möchten. Für Inge steht fest, dass mehrere der Streifenpolizisten eingebunden werden müssen. Die sorgen mit ihrer Präsenz vor Ort hoffentlich dafür, dass keine weiteren Brände gelegt werden.

Inge schwebt besonders Polizeimeister Otto Krauski und sein Kollege vor Augen, die sich bei einem vermeintlichen Handtaschenraub vor einigen Wochen als sachliche Beamte mit detektivischen Fähigkeiten gezeigt hatten. Bei dem Gedanken an die damalige Situation wirft sie einen prüfenden Blick auf den kleinen Finger ihrer rechten Hand. Sie war auf dem Weg zu dem Tatort mit ihrem Rennrad gestürzt und hatte sich diesen ausgerenkt. Als Folge davon hatte sie über zwanzig Tage zu dessen Schutz eine Schiene getragen, die das Fingergelenk ruhigstellte. In der Zeit durfte sie lediglich Innendienst verrichten. Obwohl sie die Gründe akzeptieren musste, möchte sie das nicht noch einmal durchmachen müssen. Sie liebt ihren Beruf, bei dem auch Schreibtischarbeit erforderlich ist. Doch dauernd dazu verdonnert zu sein, liegt ihr nicht.

In Clas‘ Büro benennt sie Otto Krauski und seinen Kollegen zu Teammitgliedern. Der Kommissar stimmt sofort zu.

»Wenn du von ihren Qualitäten überzeugt bist, spricht nichts dagegen. Die beiden sollen vorsichtshalber an abseits liegenden Gehöften patrouillieren. Da die Größe des Gebietes, für das wir zuständig sind, mindestens sechs oder mehr Streifenwagen erfordert, müssen wir uns mit dem Leiter der Schutzpolizei abstimmen. Dessen Mitarbeiter werden, abgesehen von einer Abordnung zu unserer Sonderkommission, noch für weitere Aufgaben eingesetzt. Daran ändert auch eine Anweisung aus dem Ministerium nichts.« Er grinst. »Ich möchte auf jeden Fall zusätzlich Polizeimeister Emil Krausow und seinen Kollegen ins Team nehmen. Die beiden habe ich kennengelernt, als Annegret Heil dann tatsächlich ihre Handtasche im alten Hafen geraubt wurde.«

Die Beamten denken kurz an die keifende, ältere Frau, die kein gutes Wort für die Polizei kannte, obwohl sie die Tasche durch deren Überlegungen und Tatkraft noch am gleichen Tag zurückbekommen hatte.

Weitere Kriminalbeamte werden die Kommissare je nach Bedarf hinzuziehen. Zuerst wollen sie die bisher bekannten Fakten sichten, mit der Spurensicherung sprechen und alle Informationen bewerten. Dazu ziehen sie auch die Zeitungsberichte heran. Die kennen die meisten Sachverhalte zwar nur aus zweiter Hand, doch die Reporter nutzen oftmals Quellen, die den Beamten gegenüber keine Angaben machen.

Inge und Clas rufen im Polizei-Intranet die Fallakten auf und tragen diese in einer neuen Akte mit der Bezeichnung »Soko Feuer« zusammen. Die Artikel der Ostseezeitung gehören natürlich auch dazu. Niemand kann sagen, ob darin nicht wichtige Details enthalten sind, die nur dem jeweiligen Reporter bekannt geworden sind. Die Kommissare wissen, dass Journalisten nützliche Helfer der Polizei sein können. Ihre Recherchen sind oftmals gründlicher, als die der mit knappen zeitlichen Mitteln ausgestatteten Polizisten. Wenn die Streifenpolizisten vor Ort Fragen stellen, können sie diese mit den erhaltenen Antworten manchmal kaum für den späteren Bericht notieren, weil sie bereits zu einem nächsten Geschehen gerufen werden. Abhängig von der Dringlichkeit des neuen Falls müssen sie dann sofort aufbrechen. Es liegt auf der Hand, dass dadurch ungewollt wichtige Informationen verloren gehen können.

Clas‘ Blick fällt auf den Namen des Reporters, von dem der aktuelle Zeitungsbericht stammt.

»So, so. Mit Herrn Quint sollten wir zuerst ein paar Worte wechseln. Ich versuche, einen Termin mit ihm zu vereinbaren. Mit etwas Glück befindet er sich zu Hause und wir können sofort nach Dreveskirchen hinausfahren.« Er zückt sein Smartphone und wählt Rufus‘ Nummer, die er gespeichert hat.

Inge richtet ihre Augen auf die Titelseite der Zeitung, die sie bisher noch nicht gelesen hatte. Von Clas‘ Einschätzung neugierig geworden, beginnt sie nun damit. Die Schlagzeile sieht auf den ersten Blick reißerisch aus. Doch schon in der folgenden Zeile wird klar, dass ein sachlicher Bericht wiedergegeben wird.

»Wann wird der Feuerteufel gefasst?

Eine Reihe von Brandstiftungen der letzten Zeit versetzt die Besitzer von alleinstehenden Gehöften im Raum Wismar in große Sorge.

Ein Bericht von unserem freien Mitarbeiter Rufus Quint.«

Die Kommissarin blickt fragend auf.

»Sollten die jungen Detektive bei seiner Recherche mitgeholfen haben? Von denen haben wir in den letzten Wochen kaum etwas gehört.«

Da Clas telefoniert, denkt sie das nur. Sie schaut auf die Visitenkarte, die sie von den drei Freunden bekommen hat. Nach einem Blick auf ihre Armbanduhr kraust sie die Stirn. Um diese Zeit werden sie noch in der Schule sitzen. Dabei hätte sie sich bei ihnen gerne danach erkundigt, wie es um aktuelle Aufträge der Jugendlichen als Detektive bestellt ist.

Clas beendet das Telefonat und berichtet das Ergebnis.

»Wir können in Kürze mit Rufus Quint sprechen. Er ist derzeit in einer Konferenz und kommt anschließend zu uns.«

»Dann sollten wir die Zeit nutzen und das Ermittlerteam um wenigstens zwei Kommissare erweitern. Wir benötigen deren Zuarbeit.«

»Stimmt«, erwidert Clas und berät sich mit ihr. »Mit uns sind wir also … – Hm. Um uns schnell austauschen zu können, sollten wir einen gemeinsamen Raum für unsere Soko zur Verfügung haben. Mein Büro ist dafür eindeutig zu klein. Ich spreche mit dem Chef. Wir werden mindestens vier Wochen lang den Konferenzraum mit Beschlag belegen und nur für unsere Soko nutzen.«

Während er mit Janus terBeek erfolgreich verhandelt, ruft Inge die Kollegen an, die zur Sondereinheit gehören werden.

Nur fünfzehn Minuten später sitzen sie gemeinsam in dem umfunktionierten Sitzungszimmer und besprechen die anstehenden Aufgaben. Sie werden die Brandorte auf einer Karte markieren, feststehende Fakten auf einem Whiteboard festhalten und auf einem oder auch weiteren davon, stichpunktartig Überlegungen und die daraus resultierenden offene Ansätze und Möglichkeiten notieren. Sie wollen auch alle für derartige Taten einschlägig Bekannten durchgehen und prüfen, wer von ihnen derzeit einsitzt oder zu den jeweiligen Tatzeitpunkten wo gewesen ist. 

Ende einer Freundschaft?

Der Kolkrabe Remus hat zu Beginn des Jahres eine Partnerin gefunden und eine kleine Familie gegründet. Inzwischen haben die zwei von ihnen ausgebrüteten Jungen längst das Nest verlassen. Obwohl sich diese bereits selbst versorgen können, taucht der Rabenvogel nicht auf dem Gelände des ehemaligen Gutshofes auf. Das ist noch vor wenigen Monaten anders gewesen. Seine beständige Abwesenheit scheint darauf hinzudeuten, dass er lieber mit seiner erwählten Partnerin zusammen sein möchte, als mit den drei Jugendlichen. Wegen des täglichen Schulbesuchs stehen diese frühestens am späten Nachmittag oder an den Wochenenden als Spielpartner zur Verfügung. Diese kurzen Zeiträume fesseln Remus offenbar nicht mehr an das Gutsgelände.

Wenn man mal vom Verteidigen seines ehemaligen Reviers gegen Krähen und Dohlen absieht, verspürt er dort offensichtlich große Langeweile. Und diese Auseinandersetzungen bieten sich ebenso um seinen Horst herum. Der Rabenvogel verbringt seine Zeit lieber in Gesellschaft eines anderen Kolkraben. Das nimmt ihm keiner der drei Freunde krumm, auch wenn das Luke in besonderem Maße schmerzt.

Der Junge wird wegen der ständigen Abwesenheit des Vogelfreundes seit der Entdeckung des Kolkrabennestes in dessen Nähe gezogen. Er nutzt jede freie Minute dafür, diesen zu beobachten und hin und wieder mit Leckereien zu versorgen. Er hofft, Remus dadurch zurück zum ehemaligen Gutshof locken zu können. Dort ist der Kolkrabe schon über Wochen nicht mehr gewesen. Auch die gelegentliche Gabe eines der von ihm besonders geliebten Müsliriegel kann ihn nicht umstimmen. Sollte die damit verbundene Erinnerung inzwischen verflogen sein?

Und der schwarze Vogel scheint zudem sein Sprachtalent eingebüßt zu haben. Oder will er die menschliche Sprache nicht in Gegenwart seiner Partnerin nachahmen? Dafür müsste es dann einen Grund geben, überlegt der Junge.

Anders als von Luke gehofft, kehrt der Kolkrabe selbst dann nicht zurück, nachdem die Küken ausgeflogen sind. Er macht sich in Vogelbüchern und im Internet schlau. Dadurch weiß er, dass die im Volksmund verwendete Bezeichnung »Rabeneltern« auf diese Vögel nicht zutrifft. Deren Pflichten existieren auch nach dem Verlassen des Nestes weiter und werden durchaus ernst genommen, wie der Junge herausgefunden hat. Deshalb wird mit Remus‘ Rückkehr zum Gutshof kaum vor dem Herbst zu rechnen sein, wenn überhaupt. Bei dem Gedanken daran wird es Luke schwer ums Herz.

Emma beschäftigt sich nach Abschluss des Auftrags, die Gründe für Anwars Alptraum zu finden und diesen dadurch aufzulösen, vornehmlich mit ägyptischer Geschichte. Sie arbeitet mehrere Bücher von ihrer Mutter Aurelia durch und schläft manchmal spätabends darüber ein. Es gibt eine einfache Erklärung für ihren Eifer. Bereits eine Woche nach ihrer Rückkehr aus Kairo nach Wismar war sie von den Kollegen der Mutter eingeladen worden, in den Sommerferien Mitte Juli das Tal der Könige erneut zu besuchen. Die beiden Forscher haben dem Mädchen vorgeschlagen, dass es bei einer kleineren aber wichtigen Grabung mitmachen soll. Das wäre quasi eine Art Gegenleistung dafür, dass die ägyptischen Wissenschaftler sie bei der Detektivarbeit unterstützen durften, hatten diese argumentiert.

Emma verwies darauf, dass nur durch die Hilfe der Doktoren der Auftrag Anwars hatte erfüllt werden können und somit eher sie belohnt werden müssten. Deshalb formulierten Aurelias Kollegen ihre Einladung um. Sie schrieben, dass sie auf den unerschrockenen Mut Emmas und ihre Kombinationsgabe angewiesen seien, wenn sie in einer besonders kniffligen Angelegenheit erfolgreich sein wollen. Bei der seit Monaten laufenden Ausgrabung waren scheinbar nicht zusammengehörende Artefakte entdeckt worden, die römischen Ursprungs zu sein scheinen. Obwohl die Archäologen das sicher auch ohne ihre Hilfe schaffen würden, fühlt sie sich dennoch etwas geschmeichelt. Sie weiß, Nuri Muback und Nafi Selam wollen ihr im Grunde eine Freude machen und nimmt die Einladung voller Dankbarkeit an. Wobei Emma im Hinterkopf vermutet, dass womöglich ihre Mutter die Anstifterin dazu ist. Da diese sie nicht begleiten wird, hofft das Mädchen, durch die auf der Reise erworbenen Erfahrungen leichter eine Entscheidung für oder gegen ein Archäologiestudium treffen zu können.

Bis zum Sommer sind nur noch wenige Wochen, weshalb Emma inzwischen mehrfach am Tag mit den Wissenschaftlern korrespondiert. Ein Interesse, zusammen mit Britta und Luke zur Beobachtung des Kolkraben zu fahren, verspürt sie nicht. Die lobenden Berichte des Jungen über die erfolgreiche Erziehung der Kolkrabenkinder durch ihren gefiederten Freund plätschern ohne Reaktion an ihr vorbei. Sie wandelt gedanklich bereits durch die Ausgrabungsstellen im Tal der Könige.

Britta ist seit dem letzten Erfolg der Detektive ungewöhnlich still geworden. Sie verfolgt gebannt die Erzählungen Lukes, die sich auf die Vogelfamilie beziehen. Und anders als dieser, hat sie die Erwähnung der Einladung für Emma nach Ägypten registriert. Sollte sie eifersüchtig auf sie sein? Es ist nicht so, dass sie überhaupt daran denkt, dorthin zu reisen. Abgesehen davon, dass das Einkommen ihrer Mutter nicht reichen würde, um eine Reise dorthin zu finanzieren, verspürt sie kein Interesse, nach dem Abitur Archäologie zu studieren. Liegt ihre Reaktion womöglich darin begründet, dass die Freundin, zusammen mit ihrer Mutter und deren ägyptischen Kollegen, den Hauptteil der Recherchen zur Ursachenermittlung von Anwars Alptraum beigetragen hat?

Zudem war der selbstgestellte Auftrag, das tagelange Wegbleiben des Kolkraben zu klären, hauptsächlich von Luke gelöst worden!

Bei diesen Gedanken fragt sich Britta, was überhaupt ihre Aufgabe bei den drei Detektiven ist. Nun gut, sie hatte die Idee zur Gründung einer Detektei gehabt. Die Vorschläge, Visitenkarten zu drucken und auch einen Internetauftritt zu nutzen, stammen ebenso von ihr. Aber was bringen die schon? Die Jugendlichen wollten durch mögliche Aufträge und Rätsel mehr Abwechslung neben der Schule haben. Seit Tagen warten sie jedoch vergeblich darauf, dass eine neue Anfrage eintrifft.

Ach ja, sie hatte gespürt, dass Anwar beim ersten Treffen nicht alles berichtet hatte, was wichtig sein könnte. Deshalb hatte sie ihn aufgesucht und erneut befragt. Dadurch hatte sie herausbekommen, dass dessen Vater einen anderen Namen als er trug. Das gab einen unerwarteten, aber bedeutsamen Ansatz für ihre weitere Arbeit. Die notwendige Klärung erfolgte letztendlich aber durch Emma in Ägypten, wohin sie nun für den Sommer eingeladen worden ist. Es sieht so aus, dass sich durch die Detektivarbeit für Brittas Freunde neue Betätigungsfelder ergeben hätten, nur für sie nicht.

Das Mädchen sondert sich allmählich immer mehr von ihnen ab. Was könnte sie auch schon zu Emmas Gedankenaustausch mit den ägyptischen Wissenschaftlern beitragen? Schließlich kennt sie diese nur aus den Erzählungen der Freundin.

An manchen Tagen, wenn sie besonders niedergeschlagen ist, begleitet sie Luke zu Remus. Der bemerkt dann verwundert, wie sich das Gesicht der Freundin entspannt. Der Kolkrabe kann ihr sogar gelegentlich ein Lächeln entlocken, das fast wie früher wirkt. Doch sobald der Junge nach der Ursache für Brittas Verschlossenheit forschen will, verweigert sie ein Gespräch, springt auf ihr Fahrrad und fährt davon.

Auf dem Nachhauseweg stellt sich das Mädchen die Frage, ob alles zusammengenommen ein Anzeichen dafür ist, dass die Freundschaft der vier SPQR in die Brüche zu gehen droht? Im tiefsten Inneren wünscht sie, dass es nicht so kommt. Doch was kann sie dagegen unternehmen, wenn jeder seine eigenen Ziele verfolgt?

Für Außenstehende scheinen die drei wie eh und je zusammenzugehören. Besonders morgens, während der Schulzeit, wirkt das so. Sie sondern sich in den Pausen von den anderen Schülern ab, so wie sie es früher oft gemacht haben. Damals hatten sie den aktuellen Stand einer Aufgabe zu diskutieren, durch welchen Lösungsansatz sie weiter vorankommen oder einfach, was sie am Nachmittag gemeinsam unternehmen könnten. Doch Derartiges zu bereden gibt es derzeit wegen der auseinanderdriftenden Interessen nicht mehr.

Ein Rätsel, also ein neuer Auftrag für die Detektive, würde daran hoffentlich etwas ändern, schießt es Britta zum wiederholten Mal durch den Kopf. Ihre Gedanken richten sich auf die Vergangenheit.

Seit der erfolgreichen Aufklärung, woher Anwars Alpträume stammten, hat es keine neue Anfrage auf Hilfe für die jungen Spürnasen gegeben. Sie schlossen den Fall auf ihrer Internetseite mit einer spärlichen Erklärung. Der ägyptische Student wollte verständlicherweise nicht, dass Details im Internet veröffentlicht würden. Dadurch wirkte sich die gelöste Aufgabe nicht werbewirksam für die drei Detektive aus. Es gab nicht einmal Einträge im Gästebuch. Stattdessen erschienen dort immer mehr Hämeeinträge. Sogar unsinnige Texte füllten die Seiten, die offensichtlich nur dazu dienten, andere Besucher zum Klick auf einen angefügten Link zu verführen.

In den vergangenen Wochen sprachen sich die Jugendlichen in den Pausen ab, ob sie die aktuellen Gästebucheinträge löschen sollten. Das erledigte dann meistens Emma. Da es jedoch immer wieder Textpassagen gab, die nichts mit dem Internetauftritt der Detektive zu tun hatten, sahen sie sich schließlich genötigt, das Gästebuch zu schließen.

Seit diesem Tag gibt es kaum noch ein gemeinsames Thema, über das sich die Freunde unterhalten. Luke weilt in Gedanken bereits unter der Buche, in deren Krone sich der Horst von Remus und seiner Partnerin befindet.

Derweil sinnt Emma darüber nach, ob sie möglicherweise Anwar in Ägypten besuchen soll. Was ist dagegen einzuwenden, wenn sie sich einen freien Tag von den Grabungsarbeiten nimmt, um den jungen Mann in einem Vorort von Kairo aufzusuchen? Seine Adresse hat sie sich vorsorglich geben lassen. Sie bekäme dadurch die Möglichkeit, mit einem sympathischen Menschen Worte in Deutsch zu wechseln. Der Student spricht diese Sprache ausgezeichnet. Dass dieser Gedanke von dem guten Aussehen Anwars beeinflusst wird, würde das Mädchen auf eine diesbezügliche Frage vehement abstreiten. Trotzdem stielt sich ein feines Lächeln der Vorfreude auf das Treffen in ihre Miene.

Ein Lächeln ist dagegen in Brittas Gesicht immer seltener zu sehen. Früher sprudelte sie nur so über von Ideen, was die Freunde zusammen unternehmen oder wie sie ihren Internetauftritt verbessern könnten. Sie wirkt mittlerweile verschlossen, um nicht grimmig zu sagen. Im Mai hatten sie gemeinsam Lukes und Emmas sechzehnten Geburtstag gefeiert. Doch inzwischen wird Britta das Gefühl nicht los, dass ihre Freundschaft zu zerbrechen droht.

Das rothaarige Mädchen hatte bereits Anfang des Jahres eine entsprechende Befürchtung gehabt. Der Grund dafür resultierte aus eigenen Emotionen. Britta war überzeugt, sich in den Jungen verliebt zu haben. Sie meinte, Anzeichen zu erkennen, dass das umgekehrt für ihn auch zutraf. Das wäre für ihre Dreierfreundschaft vermutlich der Todesstoß gewesen, weshalb sie ihre Gefühle zu unterdrücken suchte. Sie wollte Emma nicht hinausdrängen, was nach ihrer Meinung ein mögliches Resultat sein konnte. Sie stellt sich inzwischen die Frage, ob das klug war. Luke wird ihr widersprüchliches Verhalten zwar mitbekommen, aber fehlinterpretiert haben. Als Folge scheint er mittlerweile jedes Interesse an ihr verloren zu haben. War ihr Empfinden also reines Wunschdenken oder könnte er von ihrem Benehmen, nicht darauf einzugehen, enttäuscht sein? Warum hat er dann kein klärendes Gespräch mit ihr gesucht? Sie waren doch täglich zusammen, oftmals sogar ohne Emma, was eine gute Voraussetzung gewesen wäre. Hätte sie stattdessen darüber reden sollen? Gerade in Herzensangelegenheiten stehen sich Jungen manchmal selbst im Weg, sinniert Britta. Hat sie ihre Chance somit leichtfertig vertan? Im Gegenzug richtet Luke seine volle Aufmerksamkeit auf Remus, ist sie inzwischen überzeugt.

Sie wartet an den meisten Nachmittagen vergeblich auf Messenger Nachrichten der Freunde. Nach Erledigung anstehender Hausaufgaben sitzt sie niedergeschlagen in ihrem Zimmer. Sie ertappt sich an manchen Tagen dabei, dass sie versucht, ihren Bruder Volker zu bemuttern, was jedes Mal unausweichlich zu einem fürchterlichen Krach führt. Sie versteht seine Reaktion durchaus und entschuldigt sich dann stets, bevor sie die Wohnung verlässt und ziellos durch Wismar wandert.

Wo gibt es nur eine angemessene Aufgabe für ihren wachen Geist? Sollte sie im Kommissariat um ein Gespräch mit Inge Husmann bitten? Aber welchen Grund sollte sie dafür nennen? Die Kriminalpolizei hat sicher andere Aufgaben zu erledigen, als jungen Mädchen eine sinnvolle Freizeitgestaltung zu ermöglichen.

»Brennen sollst du!«

Zwei Lichtbündel durchschneiden die Dunkelheit der windigen Nacht. Dadurch erzeugte helle Flecken huschen über die einsame Straße. Ihnen folgen Schatten, die nur undeutlich erkennbar sind und vorsichtig vorwärts schleichen. Der Mond ist hinter einer großen Wolke verschwunden, so dass nur das Licht der Taschenlampen zeigen kann, ob ein Hindernis im Weg liegt. Die Schemen bleiben von Zeit zu Zeit stehen. Das künstliche Licht erlischt vorsichtshalber, während sie horchen, ob Geräusche näherkommender Fahrzeuge auszumachen sind. Doch es gibt außer ihnen keine Menschen in der näheren Umgebung. Es sieht so aus, dass der Plan aufgeht! Erleichtert knipsen sie ihre Lampen wieder an und schleichen weiter, erneut den Lichtflecken auf der Straße folgend.

Der Erdtrabant lugt kurz hinter einem drohend aufgetürmten, dunklen Wolkengebilde hervor. Im kühlen Mondlicht ist nun erkennbar, dass zwei Vermummte, mit über die Köpfe gezogenen Kapuzen, den Straßenverlauf verlassen. Sie überklettern einen Stacheldrahtzaun.

»Alles klar?«, fragt eine leise Stimme.

»Sicher das«, antwortet eine andere.

Die Schritte der beiden sind nicht mehr so schnell wie auf der ebenen Straße. Sie überqueren eine Wiese, die mit ungleichmäßig hohem Gras bewachsen ist, das zudem Unebenheiten des Bodens verdeckt. Der Mond verzieht sich erneut hinter die Wolken und nur die Taschenlampen zeigen ihnen den Weg. Die Vermummten richten die Lichtstrahlen in unregelmäßigen Abständen prüfend in ihre Laufrichtung. Doch lange Zeit ist trotz der huschenden Lichtkegel außer den Grasbüscheln nichts zu erkennen. Wann werden die gestapelten Strohrollen erscheinen, so wie sie es erwarten?

»Da ist es!«, flüstert die erste Stimme. »Wir sind gleich am Ziel.«

»Und du bist sicher, dass sich hier keine Menschen aufhalten? Außer uns, meine ich.«

»Na klar. Was sollten die wohl in stockfinsterer Nacht hier machen? Außerdem hätten sie dann Licht gemacht. Siehst du etwas davon?«

Die zittrig klingende Stimme antwortet dieses Mal nicht. Beide Taschenlampen sind ausgeschaltet und die Vermummten horchen längere Zeit in alle Richtungen, ob sie ein verdächtiges Geräusch vernehmen. Doch nichts lässt auf die Anwesenheit anderer schließen.

»Das ist der Beweis, dass wir hier alleine sind. Einen Personenschaden müssen wir auf jeden Fall vermeiden, sonst würden wir unerbittlich gejagt! Bis auf Mäuse und womöglich Ratten gibt es hier außer uns keine Lebewesen. Und um die ist es nicht schade, oder? – Wir sollten anfangen, der Heimweg ist lang.«

Ein tiefer Atemzug kündet davon, dass sich der Vermummte mit der zittrigen Stimme zusammenreißt.

»Einverstanden.«

Sie hasten auf die gestapelten Rollen zu, die sie im Schein der Taschenlampen umkreisen.

»Alles ok«, stellt die erste Gestalt fest. »Das Lager ist größer, als ich es erwartet habe. – Aber das ist egal.« Sie trennen sich und hocken kurz darauf an den gegenüberliegenden Enden der gestapelten Strohrollen. Ein leises Gluckern deutet daraufhin, dass Flüssigkeit aus Kanistern läuft. »Nimm etwas Sicherheitsabstand und setze den getränkten Stofflappen in Brand. Los, jetzt!«

Kleine Funken sind in der Nacht zu erkennen und sofort danach kleine Flammen von Feuerzeugen.

»Brennen sollst du!«, murmelt die erste Stimme. Die Worte werden trotzdem von dem anderen Schemen vernommen. Dessen zittrige Antwort klingt in der Dunkelheit gespenstisch.

»Hell und rein!«

Flammen lecken an Stofffetzen hinauf, die an beide Fußenden des Stapels geworfen werden. Dort lodern sie sofort hoch auf und fressen sich gierig voran. Die vermummten Gestalten spüren die Wärme des sich ausbreitenden Feuers. Mit glänzenden Augen treten sie langsam immer weiter zurück. Die Hitze ist unerträglich und sie drehen sich um.

»Lass uns verschwinden!«

»Hörst du bereits Alarmsignale?«

»Nein, die gibt es nur in deiner lebhaften Fantasie. Wir haben noch reichlich Zeit …« Doch nun stockt auch der erste Vermummte. »Verdammt, das ging schneller als befürchtet.«

Beide hasten vorwärts und überklettern den Stacheldraht.

»Werden sie uns zu fassen bekommen?« Die zittrige Stimme ist kaum zu hören. Die Zähne klappern vor Furcht zusammen.

»Wenn du mir schnellstens folgst, wird das nicht geschehen. Vertrau mir.«

»Welchen Grund es gibt, dass wir das Motorrad einen Kilometer entfernt im Wald versteckt haben, verstehe ich immer noch nicht. Dass der Motorenlärm auf dem Reiterhof hätte gehört werden können, leuchtet mir nur zum Teil ein. Du befürchtetest sicher auch nicht, dass das Scheinwerferlicht dort Aufmerksamkeit erregen könnte. Was sprach also dagegen, bis nahe zum Strohlager zu fahren? Dann würde unsere Flucht jetzt einfacher sein.«

Trotz der Unterhaltung rennen beide so schnell sie es vermögen. Die Lichtflecken springen hin und her. Mehrere Martinshörner sind in der Ferne zu hören. Sie werden erkennbar lauter. Sollten die Vermummten es womöglich nicht bis zum Versteck schaffen?

»Du hast mit deinen Überlegungen nur zum Teil Recht. Denn die Gefahr, dass das abgestellte Fahrzeug einem zufällig vorbeikommenden Passanten auffallen würde, war wesentlich größer. Wir hätten uns vor neugierigen Augen verbergen können, doch das Motorrad würde jeden stutzig gemacht haben. Und wenn das nicht die Folge gewesen wäre, würde sich ein aufmerksamer Beobachter zumindest das Kennzeichen merken, um es morgen der Polizei zu melden.«

»Das stimmt vermutlich«, brummt der andere.

»So wartet es, vor unerwünschten Blicken geschützt, sicher versteckt in dem Wäldchen auf uns. Zu Fuß ist es überhaupt nicht so weit, das kommt dir nur so vor. – Und hier sind wir auch schon.«

Die Gestalten verlassen die Straße und dringen auf einem schmalen, kaum erkennbaren Pfad in ein dichtes Gebüsch ein. Sie arbeiten sich tief hinein, bis im Schein der Taschenlampen das schwarze Motorrad zu erkennen ist. Es lehnt an einem Haselbusch, so wie sie es verlassen haben. Die Vermummten atmen heftig und halten sich die Seiten. Die Unterhaltung während des schnellen Laufs hat ihnen Seitenstechen beschert. Trotzdem sind sie froh, das Versteck erreicht zu haben. Aus der Ferne ist aufgeregtes Wiehern von Pferden zu hören, das bis zu ihnen dringt. Sollten die Tiere die Gefahr des Feuers spüren, obwohl der Reiterhof und die Ställe weitab von dem Strohlager liegen?

Nur wenige Minuten später erscheint ein geisterhaft wirkender Lichtschein, der über die Straße huscht und sich als Blaulicht entpuppt. Das wird im gleichen Maße heller, wie die Lautstärke eines Martinshorns zunimmt. Und dann rauscht das erste Fahrzeug vorbei. Danach bricht Chaos aus. Weitere Löschfahrzeuge der Feuerwehr folgen dem vorausfahrenden Kommandowagen, wobei sich sämtliche Signalhörner zu einem lauten Mix vermischen.

»Woher sind die so fix gekommen? – Ob uns jemand beobachtet hat?«

»Das hältst du für möglich? Aber so schnell, wie die hier sind, wird der Alarm bereits vor über einer Viertelstunde ausgelöst worden sein.«

»Genau. Und zu dem Zeitpunkt hatten wir das Strohlager doch gerade erst erreicht. – Wir müssen herausbekommen, wer von unserem Plan gewusst haben könnte und ihn verraten hat!«

Die Feuerwehrfahrzeuge sind inzwischen am Brandort angekommen und die Martinshörner verstummen. Stattdessen schallen laute Stimmen herüber. Im hellen Schein des Feuers ist von dem Versteck aus zu erkennen, dass sich viele Personen verteilen. Löschschläuche werden ausgerollt und verbunden. In kürzester Zeit wird Löschwasser aus mehreren Spritzen auf die Strohrollen gerichtet. Jetzt erscheinen sogar noch einige Traktoren, die durch ein geöffnetes Gatter bis zum Brandherd fahren. Bauern der Nachbarschaft sind offenbar zu Hilfe gerufen worden, um zu versuchen, mit ihren Frontladern das gestapelte Stroh auseinanderzuziehen. Sollte das gelingen, wird der Schaden für den Besitzer nicht so groß ausfallen. Das ist den Beobachtern in dem Wäldchen nicht wichtig. Sie haben ein Feuer legen wollen, und das ist gelungen.

Jetzt fährt ein Streifenwagen mit Blaulicht an dem Versteck vorbei. Den Vermummten wird es allmählich zu brenzlich. Womöglich schwirrt es hier gleich von Polizisten, da ist es besser, schnellstens zu verschwinden. Sie schieben das Motorrad gemeinsam über den engen Weg. Die Richtung führt von der Straße fort. Der Wald bildet an dieser Stelle lediglich eine schmale Zunge. Nachdem die gequert ist, startet der Motor mit lautem Gedröhn. Hoffentlich geht das im Lärm des prasselnden Feuers unter! Könnte das Motorengeräusch bis zu den Feuerwehrmännern und Polizeibeamten dringen und deren Aufmerksamkeit auf sich lenken? Das warten die beiden lieber nicht ab. Sie ziehen die Kapuzen herunter und stülpen Helme über die Köpfe. Sie sitzen auf und brausen im nächsten Augenblick davon. Inzwischen geht es langsam auf Mitternacht zu und sie sollten schnellstens eine Mütze Schlaf bekommen, wenn sie am kommenden Morgen nicht durch Müdigkeit auffallen wollen. Die Klamotten müssen sie auch noch wechseln, die riechen bestimmt nach Feuer.

Zeitungsartikel

Clas Hinnerk und Inge Husmann sind mit ihrem Team seit drei Tagen damit beschäftigt, die Fakten der bisherigen Brände zu sichten. Die Einträge auf dem Whiteboard nehmen beständig zu, doch nur wenige davon sind durchgestrichen. Einen Hinweis auf die Täter konnte die Soko bisher nicht herausarbeiten. Die markierten Stellen auf der Übersichtskarte, wo es in den letzten Monaten zu Brandstiftungen kam, ergeben keinen erkennbaren Sinn oder Zusammenhang. Aber sie verdeutlichen etwas: Die meisten Feuer traten nicht im Gebiet des Polizeihauptreviers auf. Das ist nicht verwunderlich, weil Kriminelle in dem dicht bebauten Stadtbereich kaum davon ausgehen können, unbeobachtet zu agieren. Brände gab es in den zur Polizeiinspektion Wismar gehörenden Bereichen der Reviere Gägelow, Dorf Mecklenburg und Neuburg-Steinhausen. In das letzte Gebiet waren die Leiter der Sonderkommission in der vergangenen Nacht von Kollegen der Schutzpolizei gerufen worden.

Clas erinnert sich noch gut daran, wie der von ihm ins Team berufene Polizeimeister Emil Krausow um Entschuldigung bat, dass er den Chef, wie er sich ausdrückte, um die wohlverdiente Nachtruhe bringen müsse. Erst im Anschluss erklärte er den Grund für die Störung.

»Wir haben einen neuen Fall von Brandstiftung, bei dem es eine seltsame Komponente gibt. Könnten sie herkommen?«

Die Frage erübrigte sich von selbst. Clas ließ sich die Koordinaten auf sein Smartphone schicken. Anschließend weckte er Inge per Telefon und teilte ihr mit, in fünf Minuten bei ihr zu sein.

»Es hat erneut gebrannt!«, ist seine kurze Erklärung zum Grund des nächtlichen Einsatzes.

Inzwischen, es ist sieben Uhr morgens, stehen sie mit leicht zerzausten Haaren in ihrer Einsatzzentrale, dem umfunktionierten Konferenzzimmer. Sie wollen die Kollegen über die bisher bekannten Fakten informieren. Sie reiben sich erstaunt die müden Augen, als diese angeben, bereits Bescheid zu wissen. Sie deuten auf eine aufgeschlagene Zeitung, in der auf Seite fünf von dem Geschehen der Nacht berichtet wird. Clas und Inge lassen sich erschöpft auf zwei Stühle fallen und beugen sich über den Artikel, um ihn gleichzeitig zu lesen.

»Brand in einem Strohlager

Hoher Schaden im mittleren fünfstelligen Bereich.

Ein Bericht von unserem freien Mitarbeiter Rufus Quint.

Die Feuerwehr Wismar wurde in der vergangenen Nacht erneut wegen eines Brandes alarmiert. Sie rückte mit mehreren Löschfahrzeugen zu dem Einsatz aus, an dem sich auch freiwillige Wehren der Nachbargemeinden beteiligten. Betroffen war ein einsam gelegener Hof in Krusenhagen. Das weit abseits von Stallungen und Wohngebäude auf einer Wiese errichtete Strohlager war nach Erkenntnissen der Sachverständigen mit Absicht in Brand gesetzt worden. Zum Glück für den Besitzer konnte über die Hälfte des Strohvorrats durch den beispiellosen Einsatz mehrerer Nachbarn gerettet werden. Sie nutzten ihre Frontlader und zogen, in der Mitte beginnend, die gestapelten Strohrollen auseinander, während sich das Feuer von den Seiten kommend vorwärts fraß. Trotzdem hat der Brand des restlichen Strohs die Feuerwehrmänner stundenlang in Atem gehalten. Obwohl ausreichend Löschwassers zur Verfügung stand, flammten immer wieder Glutnester auf. Erst gegen Morgen war das Feuer endgültig gelöscht.

Die hinzugezogene Kriminalpolizei nahm noch in der Nacht ihre Ermittlungen auf. Nach Angaben eines Sprechers der Feuerwehr war es für sie vorteilhaft, dass der Notruf zeitig erfolgte. Beim Eintreffen vor Ort sah es so aus, als ob der Brand höchstens eine Viertelstunde zuvor gelegt worden sein konnte, trotzdem breitete es sich in Windeseile in dem trockenen Stroh aus.

Die Kripo hat noch in der Nacht den Besitzer vernommen, ihn aber als Verursacher ausgeschlossen.

Die Polizei wollte sich nicht weiter zu diesem erneuten Fall einer unsinnigen Brandstiftung äußern. Sie wird die Ergebnisse der Spurensicherung abwarten und die neuen Informationen mit denen der vorangegangenen Brände vergleichen. Das betrifft in erster Linie die Überprüfung auf Gemeinsamkeiten. Unabhängig davon erfolgen Untersuchungen in alle Richtungen, teilte uns Hauptkommissar Clas Hinnerk mit, der die vor wenigen Tagen eingesetzte »Sonderkommission Feuer« leitet.«

»Woher hat Rufus Quint so schnell all diese Fakten? Ich habe jedenfalls nicht darüber mit ihm gesprochen!« Der Kommissar runzelt die Stirn.

»Er muss einen Bekannten unter den Feuerwehrleuten haben, der ihm die Sachverhalte zugespielt hat«, ist Inge überzeugt. »Dass er sie von unseren Kollegen der Schutzpolizei haben könnte, ist auszuschließen! Er kann es kaum geschafft haben, den Bericht vor Druckbeginn in die Zeitung zu geben.«

»Das werden wir mit ihm klären«, stellt Clas mit grimmigem Gesichtsausdruck fest. Dann erhebt er sich und richtet sich an die Teamkollegen.

»Obwohl ihr durch die Zeitung schon viele Fakten wisst, hier noch eine kleine Zusammenfassung.

Die Feuerwehr war um 22 Uhr 30 alarmiert worden. Ihr zufolge waren rund achtzig Feuerwehrleute und Rettungskräfte im Einsatz. Sie konnten sich den Flammen nicht mit ihren schweren Fahrzeugen nähern, da sie befürchten mussten, in der vom Regen der letzten Wochen aufgeweichten Wiese einzusinken und stecken zu bleiben. Deshalb war es unmöglich, Drehleitern einzusetzen, um den Brand von oben zu bekämpfen. Das verkomplizierte den Löschvorgang. Ob das von den oder dem Täter so geplant war, wissen wir nicht. Die Feuerwehren nutzten viele Meter Schläuche und zapften Wasser aus ihren Tanks, aber auch aus einem nahegelegenen Löschteich. Erst um 5 Uhr 30 ist der Einsatz beendet gewesen. Im Anschluss an die eigentlichen Löscharbeiten musste nach Glutnestern gesucht werden, um ein Wiederaufflammen zu verhindern.«

Er macht eine kurze Pause und fordert Inge auf, fortzufahren. Die nickt und beginnt.

»Unser Chef, ich meine damit Clas«, fügt sie verdeutlichend hinzu.

»Du kannst mich entsprechend meiner Position oder lieber beim Vornamen nennen«, erklärt dieser schnell. »Die Anwesenden werden im ersten Fall schon wissen, dass du mich und nicht unser aller Vorgesetzten meinst.«

In das zustimmende Murmeln setzt Inge die Erläuterungen schnell fort, um ihre kurze Verlegenheit zu verbergen.

»Polizeimeister Emil Krausow hatte über die Leitzentrale von dem Einsatz der Feuerwehr erfahren und fuhr ebenfalls zum Brandort. Dort recherchierte er, dass der Alarm zu einem Zeitpunkt erfolgt sein muss, bevor das Feuer gelegt worden war. Er rief daraufhin gegen 0 Uhr 15 Clas an, der mich informierte. Wir waren zwanzig Minuten später vor Ort. Weitere Fakten gibt es bisher nicht. – Halt, noch etwas. In der Zeitung steht, dass der Besitzer des Reithofes von uns als Täter ausgeschlossen wird. Das stimmt nur vorläufig und bedarf der Überprüfung. Der Betrieb schreibt dessen Angaben zufolge keine roten Zahlen, obwohl er oftmals knapp davor stünde. Aus diesem Grund war der Strohvorrat auch nicht versichert, da sich der Besitzer die hohen Versicherungsprämien nicht leisten könne. Dadurch scheidet ein mögliches Motiv wegen Versicherungsbetrugs aus. –Bitte beginnt mit der Klärung, ob das Strohlager tatsächlich unversichert gewesen ist. Sprecht alle infrage kommenden Versicherungen an. Der Besitzer könnte durchaus eine andere Gesellschaft als die genutzt haben, die seinen Stall und das Wohngebäude absichert. Er wird nicht so blöd sein, uns die Wohngebäudeversicherung zu nennen, falls er doch einen Betrug beabsichtigt.

Versucht außerdem herauszubekommen, woher der Anruf stammt, mit dem die Feuerwehr alarmiert worden ist. Von dem Reitstallbesitzer kam er nicht. Der ist erst durch den Lärm der anrückenden Löschfahrzeuge auf den Brand aufmerksam geworden. Das hat Polizeimeister Emil Krausow herausbekommen und uns aus dem Grund auch angerufen. – Ich denke, Clas und ich trinken erstmal einen starken Kaffee, damit wir anschließend für ein Gespräch mit Rufus Quint wach genug sind.«

Sie blickt in Richtung ihres Kollegen, der zwischenzeitlich ein kurzes Telefonat geführt hat. Sollte sie richtig kombiniert haben?

»Genau, in der Reihenfolge!«, lautet dessen Antwort. Dadurch bestätigt er gleichzeitig die Richtigkeit der Kombination seiner Kollegin.

Nächtliche Suche

Britta wundert sich darüber, wie sehr sich Volker in den letzten Wochen verändert hat. Anders als früher, scheint er sein frohes Gemüt verloren zu haben. Auch die kurz bevorstehenden Sommerferien scheinen daran nichts zu ändern. Je näher sie rücken, desto finsterer wird seine Miene sogar. Auf Nachfragen seiner älteren Schwester reagiert er zunehmend aggressiver.

»Lass mich in Ruhe!«

»Das geht dich nichts an.«

»Du bist nicht meine Mutter, was kümmert es dich?«

Das sind noch die harmlosesten seiner Äußerungen. Heute erhebt er sogar drohend seine Fäuste. Er erschrickt augenscheinlich selbst darüber, flüchtet aus der Wohnung und knallt die Tür hinter sich zu.

Das Mädchen weiß, dass es keinen Zweck hat, ihm zu folgen. Seine Wut, worüber auch immer, muss sich vorher abkühlen. Nur dann gibt es eine Chance, ein hoffentlich normales Gespräch mit ihm führen zu können. Vermutlich verkriecht er sich jetzt bei seinem Freund Kevin Belkow in der Bliedenstraße und wird erst zum Abendessen heimkommen. Innerhalb von zwei Stunden sollte er sich beruhigt haben, überlegt sie. Der Mutter will Britta nichts von dem störrischen Verhalten des Bruders erzählen. Sie käme sich dann wie eine Petze vor.