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Als Leiter mehrerer Edelrestaurants in Philadelphia ist Niko Corvin es gewohnt, dass alles nach seinen Wünschen verläuft. Detective Tyler Johnson, Ermittler im Bereich Bandenkriminalität in New York City, hält das ebenso und versucht alles, um den Schützen zu finden, der Noah Kendall, Nikos jüngeren Bruder im Geiste, beinahe ermordet hat. Tylers rüde Art treibt Niko immer wieder zur Weißglut, dabei hat er auch so schon genug Probleme am Hals.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Mathilda Grace
STILLE SEHNSUCHT
Stille Sehnsucht
2. Auflage, Dezember 2018
Impressum
© 2018 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2013
Foto: LwcyDesign; Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Web: www.mathilda-grace.de
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Drama & Romance
Liebe Leserin, Lieber Leser,
ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.
Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.
Dankeschön.
Liebe Grüße
Mathilda Grace
Als Leiter mehrerer Edelrestaurants in Philadelphia ist Niko Corvin es gewohnt, dass alles nach seinen Wünschen verläuft. Detective Tyler Johnson, Ermittler im Bereich Bandenkriminalität in New York City, hält das ebenso und versucht alles, um den Schützen zu finden, der Noah Kendall, Nikos jüngeren Bruder im Geiste, beinahe ermordet hat. Tylers rüde Art treibt Niko immer wieder zur Weißglut, dabei hat er auch so schon genug Probleme am Hals.
Für Doris und Walter.
Wo immer ihr jetzt seid,
ich hoffe, es geht euch dort gut.
Prolog
»Ich war schon immer stur, das weißt du doch.«
»Du musstest ja nicht gleich sterben, um es mir wieder einmal zu beweisen.«
Alex seufzte leise und traurig. »Das konnte ich mir leider nicht aussuchen, kleiner Bruder.«
Niko schnaubte. »Hör mit diesem kleiner Bruder Mist auf, du weißt genau, dass ich das nicht ausstehen kann.«
»Na und? Es ändert nichts daran, dass du zwei Jahre jünger bist als ich, also beschwer dich nicht. Außerdem streitest du dich gerade mit einem Geist herum, falls dir das entgangen sein sollte. Wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen.«
»Ich würde nicht mit dir streiten, wenn du mir nicht auf die Nerven gehen würdest«, konterte Niko trotzig, erreichte damit bei Alex aber gar nichts. Im Gegenteil, denn sein Bruder lächelte und setzte sich neben ihn in den Sand.
»Du meinst, wie dieser Cop aus dem Krankenhaus?«
Niko blinzelte überrascht. »Detective Johnson? Was weißt du denn von dem?«
»Abgesehen davon, dass du ihn heiß findest?«, neckte Alex ihn und fing an zu lachen, als Niko sich grollend gegen die Stirn tippte.
»Tue ich nicht«, empörte er sich deshalb, obwohl Alex recht hatte, was er allerdings nie zugeben würde. Im nächsten Moment wunderte er sich darüber, dass sie an einem Strand saßen. Hatte er vorhin nicht zurück ins Hotel gewollt, um ein paar Stunden zu schlafen, da er seine Augen nach knappen zwölf Stunden Dauerwache an Noahs Krankenbett kaum noch aufhalten konnte? »Wo sind wir eigentlich?«
»Es ist dein Traum, Niko. Ich bin nur der Gast.«
Niko verdrehte die Augen. »Was willst du von mir? Ich meine, du bist tot, herrje.«
»Ohhhh, was für eine bahnbrechende Erkenntnis. Ich dachte, das wäre dir in den letzten sechs Monaten schon aufgefallen.«
»Sarkasmus steht dir nicht.«
Alex lachte erneut und sah ihn danach ernst an. »Rede mit Mik. Und zwar bevor dir die ganze Sache um die Ohren fliegt.«
»Nein«, konterte er entschieden und verschränkte die Arme vor der Brust. »Kommt nicht infrage.«
»Du brauchst Hilfe, Niko. Ich hatte keine Zeit mehr, das Problem für uns zu lösen, also wird er es weiter bei dir versuchen. Lass nicht zu, dass er dir wehtut.«
»Ich schaff das schon.«
Alex fluchte unflätig und stand auf, um wütend auf ihn hinunterzusehen. »Nein, das tust du nicht. Und jetzt wach auf!«
Niko schreckte aus dem Schlaf, als der Wecker seines Handys losging. War er nicht gerade erst ins Bett gegangen?
Gähnend schaltete er die kleine Lampe auf dem Nachttisch ein und warf einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr morgens und er fühlte sich kein bisschen wacher, obwohl er sieben Stunden am Stück geschlafen hatte. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass er im Traum mit seinem verstorbenen Bruder gesprochen hatte. Niko wusste nicht mehr, wann das mit Alex angefangen hatte, aber sein Bruder tauchte mittlerweile seit Monaten regelmäßig in seinen Träumen auf, was jede Nacht zu einem Abenteuer machte, denn nach so einem Gespräch fühlte er sich im Allgemeinen wie gerädert. Dabei hatte er auch so bereits jede Menge Ärger am Hals und der Großteil dieses Ärgers hörte auf den Namen Tyler Johnson.
Niko seufzte leise, schlug die Bettdecke zurück und setzte sich auf. Dieser sture Bulle war das Letzte, was er momentan in seinem Leben brauchte. Was hatte der Kerl nur an sich, dass er nicht seine Finger von ihm lassen konnte? Wahrscheinlich fragte Johnson sich das ebenfalls, denn der Cop, der für Noahs und Liams Sicherheit sorgte, war über ihre Affäre, oder wie immer man das nennen sollte, was sich im Augenblick zwischen ihnen abspielte, genauso wenig begeistert wie Niko.
Detective Tyler Johnson.
Unhöflich, älter, raubeinig und eigentlich überhaupt nicht sein Typ. Trotzdem stiegen sie bereits seit Wochen miteinander ins Bett, trieben es auf der Herrentoilette vom Krankenhaus, im Treppenhaus und sogar in der Tiefgarage. Was eben gerade zur Verfügung stand. Himmel, das war nicht normal. Sie konnten sich überhaupt nicht ausstehen. Johnson und er stritten sich bei jeder Gelegenheit, was bereits zu mehr als einem verblüfften Blick seitens seiner Familie geführt hatte. Beim Sex passten sie allerdings gut zusammen, musste Niko eingestehen und stand auf, um sich zu strecken. Er würde duschen, sich einen Kaffee besorgen und dann ins Krankenhaus zurückfahren. Vielleicht gab es bei Noah in der Zwischenzeit etwas Neues.
Es klopfte an der Tür.
»Ich bin nicht da«, knurrte Niko mürrisch und wandte sich dem Bad zu. Er hatte keine Lust auf Gesellschaft.
»Mach die Tür auf oder ich trete sie ein!«
»Fuck!«, fluchte Niko, als er die Stimme erkannte, und war prompt auf hundertachtzig, während er kehrtmachte und die Tür des Hotelzimmers aufriss. »Fick dich, Bulle!«
Johnson sah überheblich auf ihn hinunter. »Wer von uns wen fickt, hatten wir doch gestern geklärt, oder?«
Niko schnappte erbost nach Luft, dann schnupperte er und sein Blick fiel auf die Tüte in Johnsons Hand. »Ist das Kaffee?«
Johnson nickte. »Für danach«, erklärte er und schob ihn ins Zimmer, um reinzukommen und die Tür hinter sich zuzuwerfen. »Wenn du lieb bist, kriegst du einen von den Muffins.«
Niko wäre diesem arroganten Kerl am liebsten ins Gesicht gesprungen. »Leck mich!«, knurrte er, was sein Gegenüber leider nicht im Mindesten beeindruckte, denn Johnson stellte die Tüte auf die Couch und zog seine Jacke aus, bevor er ihn packte und rückwärts zum Bett drängte.
»Genau das habe ich gleich vor, Corvin. Wie praktisch für mich, dass du nackt schläfst.«
1. Kapitel
Johnson war weg, als Niko zum zweiten Mal an diesem Tag die Augen aufschlug. Wie immer, dachte er und ärgerte sich trotzdem darüber. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und sah zur Couch. Auf dem kleinen Couchtisch stand ein Kaffeebecher, daneben lagen zwei Muffins. Toll. Wie sollte er auf diesen Arsch von Cop sauer sein, wenn der solche Dinge tat? Vor allem, weil es nicht das erste Mal war, dass Johnson ihn mit frischem Kaffee oder etwas zu essen versorgte.
»Mistkerl«, grummelte Niko und setzte sich auf, was ihn zischend einatmen ließ.
Oh ja, Tyler Johnson war definitiv ein Mistkerl. Aber ein fairer, und er wusste wirklich verdammt gut, wie man jemanden ins Nirwana vögelte. Für die kommenden Tage war Sex gestrichen. Am besten wäre es, wenn er gleich den ganzen Kerl von der Tagesordnung strich, aber Niko war zu alt, um an Wunschträume zu glauben. Außerdem hätte er lügen müssen, wenn er behauptet hätte, dass ihm der Sex mit dem Bullen nicht gefiel. Über den Mann dahinter konnte man streiten, was Tyler und er ohnehin ständig taten, aber irgendwie war Johnson eine Herausforderung, die Niko einfach nicht aufgeben wollte. Was immer zwischen ihm und Tyler war, Niko würde es herausfinden, sofern sie sich nicht vorher die Köpfe einschlugen.
Nach einer Dusche, bei der er den Kaffee trank und sich über die Muffins hermachte, fuhr Niko zurück ins Krankenhaus. Es war kurz nach sieben Uhr morgens, die Station schlief noch. Na ja, nicht alle, korrigierte er sich stumm, als sein Blick auf Nick und David fiel, die am anderen Ende des Gangs in ein Gespräch vertieft waren und ihn beim Eintreffen nicht bemerkten. Niko beließ es dabei und klopft leise an Noahs Zimmertür, bevor er eintrat. Dort erwartete ihn ein bekanntes Bild. Tristan lag mit dem Oberkörper auf dem Bett und schlief, während Kilian und Dale mit Liam Karten spielten. Adrian und Colin, die am Fenster standen, nickten ihm zu.
Niko gesellte sich zu Colin. »Wo ist Mik?«
»Vertritt sich die Beine.« Colin betrachte ihn prüfend. »Hast du was?«
Dieser Ire hatte einen unvergleichlichen Instinkt, bemerkte Niko nicht zum ersten Mal, und er wusste, dass er sofort ablenken musste, sonst würde sich Colin auf ihn einschießen und dann hatte er die nächste Zeit keine ruhige Minute mehr.
Er grinste. »Meinst du etwa die für mich ungemein erleichternde Tatsache, dass ich keinen Ring am Finger trage?«
Adrian lachte, während Colins Blick unwillkürlich zu Kilian und Dale wanderte, die ihn sofort angrinsten. Das funktionierte einfach immer und vor allem sorgte es für Aufheiterung, die sie gut brauchen konnten. Es gab einfach nichts für sie zu tun. Noah war letzte Woche von der Intensivstation in ein Einzelzimmer verlegt worden, seither wechselten sie sich an seinem Bett ab oder waren als Familie hier und hofften dabei auf eine Veränderung, die vielleicht nie kommen würde.
Auch wenn Tristan, Nick und vor allem Liam es nicht hören wollten, kein Arzt konnte sagen, ob Noah je aus dem Koma erwachen würde. Dass er am Leben war, grenzte für seine Ärzte an ein Wunder. Eine Kugel in den Kopf zu bekommen, überlebten nur sehr wenige Menschen und ob Noah wirklich dazugehörte, würde sich erst noch zeigen müssen.
Doch solange Noahs Herz schlug und sein Verstand arbeitete, gab es Hoffnung. Vor allem für die Polizei, die bislang keinen der Schützen hatten einbuchten können, was Niko wieder zu Johnson zurückbrachte. Der gehörte zur Abteilung Bandenkriminalität und es war jetzt sein Job dafür zu sorgen, dass den Zwillingen nichts passierte.
Liam und Noah waren die einzigen Zeugen dieser Schießerei und standen deshalb rund um die Uhr unter Polizeischutz. Mit Hilfe der Verbrecherkartei hatte Liam mehrere Gangmitglieder identifizieren können und laut dem Getuschel der Polizisten im Flur, waren das Typen, die als hochgradig gefährlich eingestuft waren und über Leichen gingen, um ihren eigenen Arsch zu retten. Aus diesem Grund ermittelte Johnson in dem Fall, weil er als der Beste seiner Abteilung galt.
Trotzdem hatte Niko ein mieses Gefühl bei der Sache, denn die Cops dachten offenbar darüber nach, Liam aus der Stadt zu schaffen, um sein Überleben und vor allem, um seine Zeugenaussage zu sichern. Zumindest hatte Niko das gestern Abend aus einem Gespräch zweier Polizisten herausgehört, die er auf der Toilette belauscht hatte.
Dabei war ein Name gefallen. Grace Maguire.
Vielleicht eine Polizistin und vielleicht sollte sie sich speziell um Liam kümmern. Niko würde Johnson bei passender Gelegenheit danach fragen und bis dahin schön seinen Mund halten. Das fehlte noch, dass Tristan und Nick erfuhren, dass die Polizei Liam wegschaffen wollte. Von Liam selbst gar nicht zu reden. Die ganze Situation war auch so schon schlimm genug und Niko bezweifelte, dass Liam freiwillig einen Fuß aus dieser Stadt heraus setzen würde. Nicht ohne Noah.
Niko hatte die zwei anfangs belächelt, weil sie sich oft wie siamesische Zwillinge verhalten hatten. Seit Alex tot war dachte er darüber anders und beneidete sie im Stillen darum, dass sie einander hatten. Zumindest im Moment noch. Niko seufzte innerlich. Hoffentlich hielt Noah durch und wachte wieder auf. Alex' Tod und Kilians Entführung waren noch immer äußerst präsent in seinem Kopf und seiner Familie dürfte es nicht anders gehen. Dazu kam bei ihm Johnson hinzu, der ein nerviges Ärgernis war, und ein Anrufer, der sein Handy bereits seit Monaten mit Nachrichten belegte.
Niko ignorierte ihn bislang, aber eine Dauerlösung war das leider nicht.
Nach einer Weile verzog er sich aufs Dach, um frische Luft zu schnappen. Das tat er regelmäßig, da hier oben der einzige Ort im ganzen Krankenhaus war, an dem man wirklich Ruhe haben konnte. Niko machte ein paar Anrufe nach Philadelphia, aber in den Restaurants war alles in Ordnung. Danach war er eine Weile damit beschäftigt, Devin und Samuel zu erzählen, dass es leider nichts Neues gab und wo er schon dabei war, rief er gleich noch alle anderen Familienteile an, die nicht mehr in New York waren, was ebenfalls einige Zeit dauerte.
Anfangs waren alle hier gewesen. Sogar Dominic und Cameron waren von ihren Klippen heruntergekommen, um da zu sein. Aber auf Dauer ging das nicht. Sie hatten Jobs, Unternehmen, Familien, Haustiere. Soweit Niko wusste, dachte Dale im Moment darüber nach, eine Sicherheitsfirma zu gründen und sich selbstständig zu machen. Er fand die Idee super und wäre Dale damit schon weiter, hätte er auch nicht hierbleiben können, um an Noahs Bett Wache zu halten.
So war ein Großteil der Familie nach und nach wieder nach Hause gefahren und wurde seither übers Telefon auf dem Laufenden gehalten. Dominic und Cameron, Devin und Samuel, Connor und Daniel sowie Eltern, Kinder und Enkel. Sie waren eine einzigartige Familie, trotzdem fühlte sich Niko seit Alex' Tod wie ein Außenseiter unter ihnen. Er konnte es nicht mal erklären, er hatte einfach ständig das Gefühl am Rand zu stehen und nicht mehr dazuzugehören, obwohl er gleichzeitig wusste, dass das Blödsinn war.
»Was läuft zwischen dir und Johnson?«
Niko zuckte zusammen und fuhr zu Mikael herum, der unbemerkt zu ihm aufs Dach getreten war. Das war kein guter Zeitpunkt für diese Frage, aber darum würde sich sein Bruder nicht kümmern. Das hatte Mikael nie getan, seit er damals für Alex und ihn in gewisser Weise eine Vaterrolle übernommen hatte. Und seit letztem November war Colin nicht mehr länger der Einzige, der in Nikos Augen zu viel gluckte. Aber er sagte nichts dazu, weil er Mikael verstehen konnte.
»Keine Ahnung. Wenn ich es wüsste, dann würde ich es abstellen«, beantwortete er Mikaels Frage, da er wusste, dass sein Bruder nicht lockerlassen würde.
»Hm«, machte Mikael ratlos und gesellte sich zu ihm. »Ihr kommt mir vor wie zwei hormongesteuerte Kater, die sich entweder anfauchen oder übereinander herfallen wollen.«
Niko seufzte. Der Vergleich war gar nicht so verkehrt, immerhin hatten sie, abgesehen von ihren Streitereien und dem Sex, keinerlei Bezugspunkte. Niko fühlte sich von Tyler immer irgendwie provoziert. Es gab Momente, da brauchte er Johnson nur anzusehen und schon war Niko stinksauer. Warum das so war, konnte er aber nicht erklären. Anfangs hatte er es auf die anhaltende, nervliche Belastung wegen Noah geschoben, doch der lag bereits seit einem Monat im Koma. Niko konnte dieses Hin und Her mit Johnson schon längst nicht mehr als nervlich bedingten Ausrutscher abtun, das wusste er. Es half ihm nur nicht dabei, eine Erklärung für das Ganze zu finden.
»Du bist scharf auf ihn.«
»Mik!«
Mikael sah ihn von der Seite her an. »Damit stehst du übrigens nicht allein da.«
»Was?«, fragte Niko verblüfft, was Mikael grinsen ließ.
»Du müsstest Johnsons Blicke sehen, sobald er sich unbeobachtet fühlt. Er ist genauso scharf auf dich, wie du auf ihn, und er ärgert sich wahnsinnig darüber.«
Niko schnaubte. »Kann ich etwas dafür? Ich habe ihn nicht gebeten, mich im Treppenhaus flachzulegen und ...« Er brach ab, hatte aber bereits zu viel gesagt. »Es ist nicht, wie du jetzt denkst«, beschwichtigte er Mikael auf dessen entsetzten Blick hin. »Wir hatten uns wieder gestritten, ein Wort gab das andere und am Ende ... Na ja ...«
»Ich schätze, weitere Details will ich nicht wissen?«
»Nein.«
Mikael runzelte die Stirn. »Das gefällt mir nicht.«
Niko zuckte mit den Schultern. »Das ist mir klar, aber damit musst du leben. Ich bin alt genug, Sex in einem Treppenhaus zu haben, auch wenn mir ein Bett allgemein lieber ist, das gebe ich zu.«
»Hat er dir wehgetan?«
Diese Frage hatte kommen müssen. Niko verkniff sich ein Stöhnen und entschied, dass es an der Zeit war, ein paar Fakten auf den Tisch zu legen. »Nicht mehr als ich ihm vorgestern auf der Toilette und er mir heute morgen in meinem Hotelzimmer. Mik, wir haben Sex, und der zählt nun nicht gerade zur Blümchenkategorie, verstehst du? Warum haben wir Sex, willst du wissen? Ich habe keine Ahnung. Ich mag Johnson nicht mal. Er mag mich auch nicht. Ende der Geschichte.«
»Er war bei dir im Hotel?« Mikael schluckte. »Mehr will ich vermutlich wirklich nicht wissen.«
Niko lachte und lehnte sich auf die brusthohe Mauer, die das gesamte Krankenhausdach umgab und auf der er schon oft gesessen und in die Tiefe geblickt hatte. Ein perfekter Ort zum Nachdenken, obwohl Niko bei seinen Hauptproblemen bisher leider keinen Schritt weitergekommen war. Vielleicht sollte er für eine Weile nach Philadelphia zurückfahren und sich selber um die Restaurants kümmern, um irgendwas zu tun zu haben. Andererseits wäre er dort allein, da Mikael hierbleiben würde, so wie der Rest von ihnen, und das war keine gute Idee. Anrufe konnte Niko ignorieren, persönliche Besuche nicht, und darauf würde es hinauslaufen.
Nein, entschied er. Da war New York City die bessere Wahl, trotz Mister Raubein in Person, Tyler Johnson, den er am liebsten von diesem Dach geschubst hätte. »Mik, ich will ihn nicht scharf finden.«
»Wieso nicht?«
Meinte Mikael die Frage etwa ernst? Niko schnaubte. »Wieso wohl? Weil er nervt.«
Sein Bruder fing an zu lachen. »Na und? Das tut Colin gelegentlich auch. Ich habe ihn trotzdem geheiratet.«
»Er ist nicht mein Typ.«
»Du hast keinen Typ.«
»Was?«, fragte er überrumpelt und Mikael zuckte mit den Schultern, als Niko ihn verständnislos ansah. »Wie meinst du das denn?«
»Du hast keinen festen Typ. Den hattest du nie, um ehrlich zu sein. Allerdings hat dich bislang kein Mann so schnell und häufig auf die Palme gebracht wie Tyler Johnson.«
Da hatte Mikael recht, musste sich Niko nach kurzer Überlegung eingestehen. Seine bisherigen Liebschaften und Freunde hatten ihn nie derart geärgert. Eher im Gegenteil. Am Ende hatte Niko sich meist gelangweilt und schlussendlich das Weite gesucht. Johnson trieb ihn allerdings regelmäßig auf die Palme, von Langeweile keine Spur. Andererseits war dieser Bulle weder sein fester Freund noch seine Liebschaft. Er war eine lästige Nervensäge, die wie eine verfluchte Klette an seinem Bein hing. Allerdings eine, die in ihrem Job wirklich gut war und alles tat, um die Zwillinge zu beschützen, bis die von Liam identifizierten Gangmitglieder im Knast saßen.
»Ich würde ihn am liebsten auf den Mond schießen«, gab er nach einer Weile zu und Mikael grinste erneut.
»Das merkt man. Vielleicht solltest du mal aufhören, immer mit einem roten Wutnebel vor den Augen herumzulaufen, sobald der Detective in deinem Sichtfeld auftaucht.«
»Willst du uns verkuppeln?«, fragte er angesäuert.
»Er ist auf jeden Fall eine angenehmere Gesellschaft als diese Jungs, mit denen du dich zuletzt herumgetrieben hast«, konterte Mikael lässig und Niko sah ihn sprachlos an, worauf sein Bruder erneut mit den Schultern zuckte. »Sei nicht böse, aber du bist zu intelligent, als dass Männer wie dieser Sportler, mit dem du damals ausgegangen bist, oder der Geschichtsstudent im letzten Jahr, auf Dauer mit dir mithalten könnten.«
Niko schluckte. Mikael wusste eine ganze Menge über sein Liebesleben. »Woher weißt du von den beiden?«
Mikael verdrehte die Augen. »Ich bin doch nicht blind. Außerdem hast du dich oft aus ihren Betten geschlichen und bist zur Arbeit gekommen, ohne zu duschen.«
Niko lief rot an. »Mik ...«
»Wie schon gesagt, ich bin weder blind noch dumm«, winkte Mikael schmunzelnd ab.
»Lassen wir das Thema lieber«, murmelte er und war froh, als sein Bruder lachte. »Mik? Denkst du das wirklich? Dass Tyler Johnson mit mir mithalten kann?«
»Er ist älter, erfahrener und im Gegensatz zu all deinen anderen Betthüpfern, hat er kein Problem damit, dir Widerworte zu geben. Du brauchst definitiv einen Partner, der dir gewachsen ist, und nicht diese halben Kinder, mit denen du seit Jahren ins Bett steigst.«
Zwei Stunden später war Niko immer noch beleidigt.
Er hatte sich schon öfters mit Mikael gezankt, aber noch nie wegen Männern. Beziehungsweise darüber, welche Sorte Niko mit in sein Bett nahm. Halbe Kinder, von wegen. Keines dieser sogenannten Kinder hatte sich beschwert, unter ihm zu liegen. Außerdem waren sie erwachsen gewesen. Na gut, ein paar erst seit einigen Tagen, aber erwachsen blieb erwachsen. Zumindest war Niko bislang der Ansicht gewesen. Mikael schien das allerdings anders zu sehen und das ärgerte ihn. Es ging seinen Bruder nicht das Geringste an, ob er mit jungen Hüpfern oder Kerlen wie Johnson ins Bett stieg.
»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte Kilian, als Niko in Noahs Zimmer trat, wo von seinem Bruder nichts zu sehen war, wie er nach einem schnellen Rundblick erleichtert feststellte.
Niko winkte ab. »Kleine Meinungsverschiedenheit.«
»Mit wem?« Tristan musterte ihn interessiert.
Zu einer Antwort kam er jedoch nicht, weil die Tür aufging und Johnson ins Zimmer trat. Das tat er jeden Tag, um sich zu erkundigen, ob es bei Noah Neuigkeiten gab oder jemand von ihnen etwas brauchte. So mürrisch und raubeinig Johnson auf den ersten Blick meist wirkte, er kümmerte sich um die Leute, mit denen er zu tun hatte, und das mehr, als er gemusst hätte. Aber es gab nichts Neues zu berichten und das sagte Tristan dem Mann, woraufhin Johnson nickte und seine blauen Augen durchs Zimmer streifen lief. Sie blieben auf ihm hängen und Niko zog warnend die Brauen hoch. Wehe, wenn Johnson vor seiner Familie einen dummen Kommentar von sich gab.
»Schlecht geschlafen?«
Verflixt und zugenäht. Niko war umgehend noch wütender als zuvor. »Geht Sie das was an, Johnson?«, zischte er und wurde prompt von allen Seiten verdutzt angesehen. Niko ignorierte die Blicke stoisch und nahm einen der Besucherstühle in Beschlag, wofür er sofort die Quittung bekam, denn sein Hinterteil nahm ihm das Hinsetzen ziemlich übel.
»Niko?« Colin war sein schmerzhaftes Einatmen natürlich nicht entgangen.
»Heilsalbe soll helfen, habe ich gehört«, sagte Johnson trocken und machte kehrt.
Als Niko sich von dem Schock erholt hatte, war die Tür bereits hinter Johnson zugefallen, was dessen Glück war, sonst wäre er dem Bullen an die Gurgel gesprungen. Was bildete der Kerl sich ein? Bis zu dieser Sekunde hatten sie ihr Techtelmechtel hinter verschlossenen Türen und im Verborgenen geführt, und das aus gutem Grund. Wie sah es wohl für Noahs Familie aus, wenn er mit jenem Cop ins Bett stieg, der für den Schutz der Zwillinge abgestellt war? Es war schlimm genug, dass sein Bruder zwei und zwei zusammengezählt hatte. Dem Rest der Familie hatte Niko eigentlich nicht auf die Nase binden wollen, dass Johnson und er ein Techtelmechtel hatten.
»Korrigiere mich, falls ich mich irre, aber kann es sein, dass du mit dem Bullen ins Bett steigst, der unsere Söhne beschützen soll?«, fragte Nick ihn da auch schon mit einer Stimme, die Glas hätte schneiden können.
Niko wusste nicht, was er darauf antworten sollte und beschränkte sich daher auf ein Nicken.
»Das ist doch wohl ein Scherz, oder?«
Genau das hatte er vermeiden wollen. Einen Streit mit Noahs Vater und überhaupt die Diskussion darüber, dass er mit Johnson ins Bett stieg. Das ging niemanden etwas an. Er konnte Sex haben, mit wem er wollte, basta. Da gab es in seinen Augen nichts zu bereden, deshalb stand er schweigend auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Die Tür war noch nicht hinter ihm zugefallen, da wurde es drinnen bereits laut, aber darum kümmerte er sich nicht mehr, denn Johnson lehnte an der gegenüberliegenden Wand im Flur, was seine Laune ins Bodenlose abstürzen ließ.
»Halt das nächste Mal deine Fresse!«, fuhr er den Cop wutentbrannt an und verschwand im Treppenhaus, weil er keine Lust hatte, auf den Fahrstuhl zu warten. Niko kam nicht mal bis ins nächste Stockwerk, bevor Johnson ihn am Arm festhielt und mit dem Rücken gegen die Wand presste. »Lass mich sofort los!«, zischte Niko, was Johnson nicht im Mindesten beeindruckte.
»Habe ich dir wehgetan?«
Was sollte das denn jetzt werden? »Nein«, log Niko.
»Blödsinn!« Johnson sah verärgert auf ihn hinunter.
Es war das erste Mal, dass Niko sich dabei unwohl fühlte. Tyler Johnson war mit über 1,90m Körpergröße ein ziemliches Stück größer als er und außerdem bestand sein ganzer Körper aus trainierten Muskeln. Dieser sture Bulle war ihm körperlich weit überlegen und was ihn bis eben nicht die Bohne gestört hatte, beunruhigte Niko auf einmal.
»Lass mich los«, bat er nervös, was Johnson nicht entging, denn der trat sofort einen Schritt zurück und ließ ihn los.
»Ich pflege Männer, mit denen ich Sex habe, nicht zu schlagen oder auf irgendeine andere Art und Weise zu missbrauchen. Ist das bei dir angekommen?«
Das hatte er ja wieder ganz wunderbar hinbekommen. »Ja«, antwortete Niko peinlich berührt, hielt Johnsons abschätzenden Blick aber stand. »Sonst noch was?«
Johnson trat wieder auf ihn zu. »Ich frage noch mal ... Habe ich dir heute Morgen wehgetan?«
Wieso konnte dieser sture Kerl nicht einfach Ruhe geben? Niko verdrehte genervt die Augen. »Nicht mehr als ich dir auf der Toilette«, antwortete er genervt und Johnson nickte verstehend. »Was willst du eigentlich?«
»Ich habe bereits, was ich wollte, eine Antwort.«
»Schön. Dann zieh Leine.«
Johnson seufzte, stützte die Arme links und rechts von ihm an der Wand ab und beugte sich zu ihm hinunter. »Wenn das so einfach wäre, hätte ich dich heute Morgen nicht gefickt. Ach übrigens, mein Name ist Tyler.«
»Das weiß ich.«
»Dann benutz ihn!«
»Arschloch!«
Tyler nickte. »Das geht natürlich auch.«
Niko musste unwillkürlich grinsen und ärgerte sich sofort darüber. »Wenn ich dich so nerve, Bulle, setz jemand anderen auf diesen Fall an«, schlug er vor, was mit einem Kopfschütteln kommentiert wurde. »Warum nicht?«, fragte er giftig. »Was ist mit Grace Maguire?«
Tyler sah ihn für etwa zwei Sekunden überrascht an, dann wurde sein Blick tadelnd. »Du hast gelauscht.«
»Was keine Kunst ist. Deine Leute quatschen und das ständig. Ich müsste schon taub sein, um nichts zu hören. Also? Was ist mit Maguire?«
»Grace ist meine Partnerin und mehr musst du nicht über sie wissen«, antwortete Tyler entschieden, was Niko klarmachte, dass er nicht vorhatte, ein weiteres Wort über diese Frau zu verlieren.
»Wie schön für dich«, zischte er wütend, schlug Tylers Arm weg und machte, dass er die Treppenstufen hinunter und aus dem Krankenhaus kam.
2. Kapitel
Bei seiner Rückkehr lief Niko überraschend Tristan in die Arme, als der in die Cafeteria trat, wo Niko sich gerade einen Kaffee geholt hatte. Er trat einen Schritt zurück und betrachtete Noahs Vater prüfend. Tristan schien allerdings nicht sauer auf ihn zu sein, sondern einfach nur erschöpft und müde. Nach einem letzten sehnsüchtigen Blick auf seinen Kaffee, hielt er ihn Tristan hin.
»Hier. Du scheinst ihn mehr zu brauchen als ich.«
Statt zu antworten, gähnte Tristan und nahm dabei den Becher an, um zu seufzen, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. »Was würde ich nicht alles für Kaffee geben, der nicht nach Spülwasser schmeckt. Dieses Zeug hier taugt nichts.«
Das hatte Krankenhauskaffee so an sich. Mit einem Lächeln deutete Niko auf die leeren Tische hinter sich. »Willst du dich ein bisschen hinsetzen?«
Tristan nahm noch einen Schluck und verzog das Gesicht, bevor er den Kopf schüttelte. »Ich würde viel lieber in ein Bett fallen, drei Wochen am Stück schlafen und wenn ich aufwache, stelle ich fest, dass alles nur ein Albtraum war und Noah gesund und munter ist.«
Tristan ging es gar nicht gut. Niko wusste nicht, was er sagen sollte, deshalb nahm er ihm den Kaffee aus der Hand, warf ihn in den Mülleimer und griff Tristan am Arm. »Komm mit.«
»Wohin?«
»Raus hier. An die Luft.«
»Aber Noah ...«
»Schläft«, unterbrach er Tristan streng und mehr brauchte es nicht, damit Noahs Vater ihm folgte, bis sie sich vor dem Krankenhaus wiederfanden. Niko zeigte auf die gegenüberliegende Straßenseite. »Wie wäre es mit einem Spaziergang durch den Park?«
»Da kenne ich jeden Baum. Lass uns einfach für eine Weile die Straße runter gehen und vielleicht irgendwas kaufen«, bat Tristan und Niko nickte zustimmend.
Ob Frustshopping oder ein langer Spaziergang war ihm total egal, Hauptsache Tristan hörte auf, sich ständig die Augen zu reiben und so fix und fertig auszusehen. Noahs Vater fehlte mehr als drei Wochen Schlaf, soviel stand fest. Niko beobachtete Tristan aus den Augenwinkeln, während sie an Klamottenläden, Cafés und vielen anderen Geschäften vorbeiliefen. Sie redeten dabei nicht, aber Niko fiel auch nichts ein, was er zu Tristan hätte sagen können. Smalltalk war nicht gerade ein Fachgebiet von ihm und Niko sah keinen Sinn darin, daran etwas zu ändern.
»Wir sind nicht sauer auf dich«, meinte Tristan auf einmal übergangslos und Niko sah ihn fragend an.
»Was meinst du?«
»Wegen deiner Affäre mit Johnson«, wurde Noahs Vater genauer und Niko zuckte zusammen, was Tristan nicht entging. »Ja gut, ich gebe zu, Nick ist nicht begeistert, das war ich zuerst auch nicht, aber es ist dein Leben, Niko.«
»Tyler muss Noah und Liam beschützen.«
Tristan nickte. »Das stimmt, aber es bedeutet nicht, dass er deswegen kein Recht auf ein Privatleben hätte, was für dich im Übrigen genauso gilt.«
Niko verkniff sich ein resigniertes Seufzen. Zuerst Mikael und jetzt Tristan. Wer kam als Nächstes? »Können wir bitte das Thema wechseln?«
Tristan zuckte stumm mit den Schultern, während sie weitergingen, und Niko war froh darüber. Er wollte über sein Verhältnis mit Tyler nicht diskutieren. Niko wusste nicht einmal, ob es überhaupt etwas zu diskutieren gab. Tyler und er, das würde sowieso niemals mehr werden und darüber war er froh, denn er wollte derzeit weder eine Beziehung noch sonst etwas. Schon gar nicht mit diesem Raubein von Detective.
Niko stutzte, als er auf einmal bemerkte, dass Tristans Blick von irgendetwas an seiner linken Seite wie magisch angezogen wurde. Noahs Vater bekam nicht mal mit, dass Niko ihm zusah, wie er über seine Schulter sah, um den Blick so lange wie nur möglich halten zu können. Das war mehr als seltsam, fand er, darum warf er ebenfalls einen Blick über die Schulter. Seine Augen weiteten sich schockiert, als er erkannte, an welcher Art Laden sie eben vorbeigegangen waren. Niko blieb abrupt stehen und hielt Tristan fest, der ihn darauf überrascht ansah.
»Wie schlimm ist es?«, fragte er und kramte nebenbei nach seinem Handy. Egal, wie Nick gerade zu ihm stand, wenn Tristan darüber nachdachte, sich Alkohol zu besorgen, musste er ihm Bescheid geben.
Tristan runzelte ratlos die Stirn, um wenig später zu begreifen und wieder zu dem Laden zu sehen, in dessen Auslage die unterschiedlichsten Marken von Alkohol und alles Mögliche an Zubehör standen.
»Ich habe nichts getrunken, falls du das wissen willst.« Tristan seufzte kaum hörbar. »Aber ich denke seit ein paar Tagen darüber nach, es zu tun.«
Scheiße. Tristan war ein trockener Alkoholiker. Niko musste sofort etwas tun, um zu helfen, denn Tristan hätte ihm niemals ehrlich geantwortet, wenn er keine Hilfe gewollt hätte. Er zog eilig sein Handy aus der Hosentasche, um es Tristan zu zeigen, der stumm darauf starrte, bevor er ein zweites Mal seufzte und nickte, was für Niko Zustimmung genug war. Er suchte Adrians Nummer aus dem Telefonbuch, da er Nicks nicht hatte.
»Ja?«
»Ist Nick bei dir? Ich hab seine Nummer nicht.«
»Moment ...«
»Ja? Niko?«, fragte Nick und Niko zog Tristan von dem Geschäft weg, um sich mit ihm in das kleine Café eine Straße weiter zu setzen. Das kannte Nick, da konnte er ihn hin bestellen.
»Ich bin mit Tristan auf dem Weg zu dem Café, wo wir letzte Woche frühstücken waren. Erinnerst du dich? Mir fällt gerade der Name nicht ein.«
»Ja, ich weiß, welches du meinst. Niko, was ist los?«
»Du solltest hinkommen. Es ist wichtig.«
»Niko ...?«, fing Nick an und sein nervöser Tonfall machte ihm klar, dass Noahs Vater bereits irgendetwas ahnte. Aber es war nicht seine Aufgabe, Nick zu sagen, was los war, sondern die von Tristan.
»Ich kann es dir nicht sagen. Komm bitte in das Café«, bat er und setzte ein eindringliches »Jetzt!« hinterher.
»Ich mache mich sofort auf den Weg.«
Niko ließ Noahs Väter allein, als Nick im Café eintraf, um wieder zum Krankenhaus zu fahren, wo er überrascht stutzte, denn aus Noahs Zimmer drang lautes Gelächter in den Flur. Wenn Noah aufgewacht wäre, hätte Nick das im Café erwähnt, das konnte es also nicht sein. Neugierig geworden, drückte er die Tür auf und hörte, wie Dale von einem früheren Einsatz aus seiner DEA-Zeit erzählte und damit für das Gelächter sorgte. Mit einem harmlosen Blick in Adrians Richtung, der der ihn fragend ansah, trat Niko ins Zimmer.
»Und? Alles klar bei dir?«, fragte Kilian lächelnd und deutete neben sich.
Besser hätte Kilian nicht ausdrücken können, dass die Sache zwischen Johnson und ihm keine Probleme machen würde. Zumindest nicht bei den Anwesenden. Niko nickte und gesellte sich zu Kilian, was Adrian mit einem Grinsen beantwortete, das Niko klarmachte, dass er noch lange nicht vom Haken war. Er würde später flüchten müssen, um Adrians bohrende Fragen in Bezug auf Tristan zu entgehen.
Niko sah weiter zu Liam, der Dale beobachtete, mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen. Es war das erste echte Lächeln seit einigen Tagen. Niko hätte Liam am liebsten umarmt, so erleichtert war er über den Anblick. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Nick am Telefon nicht zu sagen, was mit Tristan los war, dachte er und konzentrierte sich auf Dale, um endlich zu erfahren, was der gerade erzählte.
»Die Sache hat jedenfalls für gewaltigen Ärger gesorgt und einige Leute haben dadurch den Job verloren.« Dale schüttelte tadelnd den Kopf, um hinterher in seine Richtung zu grinsen. »Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich den lieben Detective von früher kenne, Niko?«
»Du kennst Johnson?«, fragte Kilian überrascht, bevor Niko es konnte. Dass Dale den Cop kannte, davon hörte er zum ersten Mal.
»Hm«, machte Dale nickend und streckte die Beine aus, um es sich gemütlicher zu machen. »Tyler Johnson ist das Raubein vom Dienst und zugleich der Top-Mann, wenn es um Gangsachen geht. Deswegen leitet er die meisten Ermittlungen in dieser Ecke von New York. Hat er damals schon, als wir uns zufällig über den Weg gelaufen sind.« Dale überlegte kurz. »Das muss jetzt vier oder fünf Jahre her sein. Es war ein ziemlich großer Fall. Wir hatten einen Informanten von der Straße festgesetzt und wussten nicht, dass der Bengel Johnsons Informant in einem Fall war. Da die DEA sich bedeckt hält, hatte er natürlich keine Ahnung, dass wir ermitteln, und dachte, wir wollen dem Jungen an den Kragen. Der Kleine war sechzehn und hatte per Handy einen Notruf an Johnson geschickt, bevor wir ihn festsetzen konnten, und der tauchte rund eine Stunde später bei unserer Razzia auf. Bewaffnet wie John Rambo und genauso schlagfertig, hat er dann auch losgelegt.«
»Im Ernst?«, fragte Liam amüsiert und Niko konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, da es perfekt zu dem Bild passte, das er von Tyler hatte.
Dale nickte erneut. »Er hat drei unserer Männer, mich inklusive, aussehen lassen wie dumme Schuljungen, bis wir ihm endlich klarmachen konnten, wer wir sind.« Dale lachte. »Mir hat tagelang alles wehgetan, so hart hat er uns vermöbelt. Und damals war ich eigentlich der Meinung, in Selbstverteidigung sehr gut zu sein. Von einem zwölf Jahre älteren Cop so mühelos eingesackt zu werden, hat mein Ego ziemlich angekratzt.«
Alles lachte.
Sogar Niko, obwohl er sein Erstaunen nur mit Mühe verbergen konnte. Es war zwar unübersehbar, dass Tyler älter war als er, aber acht Jahre? Das war viel. Vor allem, da Niko bislang gänzlich in die entgegengesetzte Richtung tendiert hatte, was Männer betraf. In seinem Bett landeten junge Hüpfer, keine älteren, unhöflichen und mürrischen Cops. Obwohl 'alt' als Beschreibung auf Tyler wohl kaum zutraf. Und in seinem Hotelbett war er auch schon derartig oft gelandet, dass der Einwand ein wenig spät kam.
War er wirklich scharf auf Johnson, wie Mikael zu ihm gesagt hatte? Niko runzelte die Stirn, kam aber nicht dazu, diese Überlegung weiterzuführen, da sein Bruder genau in dem Moment ins Zimmer trat. Colin hinter sich und Hand in Hand, blieb Mikaels Blick umgehend auf ihm hängen. Niko reagierte darauf, indem er sich bei dem folgenden Stühle verrücken, da es für seinen Geschmack in Noahs Zimmer langsam etwas zu voll wurde, aus dem Staub machte. Den Fahrstuhl ignorierte er, das hätte zu lange gedauert.
»Erwischt.«
Niko stöhnte laut auf und ließ die Tür wieder zufallen. Das konnte einfach nicht wahr sein. Wie machte dieser Mann das immer? Er hatte sich extra beeilt, um durchs Treppenhaus zu entkommen und trotzdem war Adrian schneller gewesen, der die Tür eben von der anderen Seite aufschob und sich vor ihm aufbaute, ein sehr amüsiertes Grinsen auf den Lippen.
»Du hast nicht ernsthaft geglaubt, dass du mir so leicht entkommen kannst, oder?«
Niko verdrehte die Augen. »Eigentlich schon.«
»Bist du nicht zu alt, um an Wunder zu glauben?« Adrian verschränkte die Arme vor der Brust. »Was läuft zwischen dir und Mik, dass du vor ihm davonläufst?«
Oh nein, darüber würde er sicher nicht mit Adrian Quinlan diskutieren. »Nichts«, wehrte er ab und war nicht mal erstaunt, als Adrian das mit einem mitfühlenden Lächeln kommentierte. »Wenn du es genau wissen willst, es geht dich nichts an.«
»Hört dieses nichts rein zufällig auf den Namen Johnson?«, hakte Adrian dennoch nach und nickte, als Niko unflätig fluchte. »Das dachte ich mir.«
Bloß nicht kontern, rief sich Niko innerlich zurecht, weil er wusste, dass Adrian nur darauf wartete, um damit die Wahrheit aus ihm herauszukitzeln. Darin war dieser sture Anwalt Spitzenklasse und Niko hatte nicht vor, ihm in die Hände zu spielen. Jedenfalls nicht hier und jetzt, solange er es verhindern konnte. Anstatt zu antworten, sah Niko Adrian nur an, bis der lachte und erneut nickte.
»Na schön, lassen wir das. Was ist mit Tristan?«
Niko schüttelte abwehrend den Kopf. »Das ist Nicks und Tristans Sache.«
»Ich finde es eh heraus«, konterte Adrian lässig.
»Dann muss es dir ja nicht erzählen«, sagte Niko mit einem triumphierenden Grinsen, das aber schon im nächsten Moment wieder in sich zusammenfiel, als ihm Adrians belustigter Blick auffiel. »Was ist?«
»Ist dir zufällig mal zu Ohren gekommen, dass ich sehr lästig sein kann, wenn ich etwas wissen will?«
»Nein, das habe ich noch nie gehört«, antwortete er trocken, was Adrian lachen und ihn erneut grinsen ließ, bevor Niko entschied, dem Anwalt zumindest ein kleines bisschen entgegenzukommen. Möglicherweise kam er so um eine Erklärung herum, was das zwischen Mikael und ihm anging. »Also gut. Du gibst mir was zu essen aus, dann erzähle ich es dir.«
»Erpressung?« Adrian griff sich theatralisch ans Herz. »Ich bin schockiert.«
»Und ich am Verhungern. Haben wir einen Deal?«
Adrian nickte. »Haben wir. Aber kein McDonalds.«
»Was hast du gegen McDonalds?«, fragte Niko verwundert, woraufhin Adrian angeekelt das Gesicht verzog.
»Wir leben seit Wochen von dem Zeug, ich kann es einfach nicht mehr sehen.«
Okay, das konnte Niko gut verstehen. »Wie wär's mit Chinesisch?«, fragte er, doch Adrian schüttelte den Kopf.
»Italienisch. Ich habe große Lust auf Nudeln. Wir besorgen uns unterwegs was und essen bei dir.«
»Bei mir?« Niko sah Adrian verwundert an. »Im Hotel?«
»Ja. Es sei denn, du hast dir eine Wohnung gemietet und es uns nicht erzählt.«
Niko seufzte, da Adrians folgender Blick eindeutig war. Der Anwalt hatte nicht vor, weitere Widerworte von ihm zu akzeptieren. »Na schön, bei mir.«
3. Kapitel
»Also?«, fragte Adrian eine Stunde später zwischen zwei Bissen und sah ihn auffordernd an.
Niko zuckte mit den Schultern. »Es ist nichts passiert. Jedenfalls noch nicht. Tristan hat ein Problem.«
»Problem?«
»Hm«, machte er zustimmend und kaute runter. »Wir waren spazieren und dabei hat er zugegeben, dass er beim Anblick von Alkoholflaschen seit ein paar Tagen den Wunsch hat zu trinken.« Adrian hielt im Kauen inne und sah ihn entsetzt an. Niko winkte ab. »Er hat bisher nur den Wunsch, nichts weiter. Deswegen habe ich bei dir angerufen und Nick ins Café bestellt. Ich schätze, da sitzen die beiden momentan noch und reden. Hoffentlich hilft es.«
Adrian dachte nach, während er weiter aß, was Niko recht war. Er ahnte, was im Kopf des Anwalts vor sich ging und die Überlegung, Noahs Väter für ein paar Tage aus der Stadt zu schaffen, damit sie abschalten und sich etwas erholen konnten, war ihm auch schon gekommen. Es stellte sich nur die Frage, wie das gehen sollte? Nick und Tristan würden New York City genauso wenig freiwillig verlassen wie Liam.
Apropos Liam, fiel Niko abrupt ein, woraufhin er sich räusperte und wartete, bis Adrian ihn ansah. »Weißt du etwas darüber, dass die Cops Liam wegschaffen wollen?«
Adrian runzelte die Stirn. »Ich hoffe, du hast das nicht Nick oder Tristan erzählt.«
Adrian war also im Bilde. Etwas anderes hätte Niko schwer gewundert. Er schüttelte den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Ich habe die Bullen belauscht und es später Tyler an den Kopf geworfen. Ohne Erfolg.«
»Ist dir dabei der Name Maguire untergekommen?«
Niko hielt, mit der Gabel in der Hand, auf dem Weg zum Mund inne. »Ja, warum?«
»Behalt es bitte für dich«, bat Adrian ihn eindringlich. »Vor allem gegenüber Noahs Vätern und Liam. Ich weiß noch nichts Genaues, aber daran arbeite ich gerade. Scheinbar ist sie Johnsons Partnerin, aber irgendetwas an ihr ist merkwürdig, deshalb habe ich alte Kontakte angerufen, die mir noch Gefallen schulden. Und was Tristan betrifft, ich lasse mir etwas einfallen. Wir müssten alle für ein paar Tage aus diesem verdammten Irrenhaus raus, das sich Krankenhaus nennt.«
Niko verkniff sich einen Kommentar zu Adrians in seinen Ohren recht ungewohnter Ausdrucksweise. »Und wie willst du das anstellen?«
Adrian zuckte mit den Schultern. »Drohen. Bitten. Erpressung. Ganz egal. Was am Ende funktioniert.«
Niko zog ein finsteres Gesicht. »Ich gehe aber nicht.«
»Abwarten«, konterte Adrian lässig und widmete sich grinsend wieder seinen Nudeln, was Niko mit einem »Pfft.« kommentierte, bevor er weiter aß.
Ein lautes Klopfen an der Tür störte die eingetretene Stille und Niko sah verblüfft auf. »Erwartest du jemanden?«
»Ist das mein Hotelzimmer oder deines?«
»Stimmt auch wieder.« Er stellte den Essenskarton auf den Tisch und stand auf, um zur Tür zu gehen. »Ja?«
»Hey, ich bin´s.«
Mikael. Na wunderbar. Niko verkniff sich ein Seufzen und öffnete die Tür, um seinen Bruder mit einem Winken reinzulassen. Adrian, der ebenfalls aufgestanden war, sah zwischen ihnen umher, zog natürlich prompt die richtigen Schlüsse und griff nach seiner Jacke.
»Ich lasse euch allein.«
»Ich wollte dich nicht vertreiben. Bleib ruhig da«, warf Mikael ein, aber Adrian schüttelte den Kopf.
»Ihr solltet klären, was es offenbar zu klären gibt. Ich fahre zurück ins Krankenhaus, schnappe mir Trey und suche mir mit ihm ein lauschiges Plätzchen, um ...«
»Das wollen wir nicht wissen!«
Niko sah überrascht zu Mikael, der dieselben Worte im selben Moment ausgesprochen hatte wie er, was Adrian zum Lachen brachte, bevor er sie allein ließ. Niko sah ihm nach und fragte sich, wie hoch seine Chance stand, dass Mikael sich dem Anwalt anschloss. Gleich null, beantwortete er sich diese Frage selbst, während die Tür hinter Adrian ins Schloss fiel. Daraufhin schaute er zu Mikael, der seinen Blick eine Weile schweigend erwiderte, bis er schließlich die Augen verdrehte und zur Couch hinüberging, um sich zu setzen.
»Ach komm schon, Niko. Willst du mir jetzt ernsthaft weismachen, dass du sauer auf mich bist, weil ich meine Meinung zu deinen Ex-Lovern kundgetan habe?«
»Pfft«, machte er, weil ihm nichts Besseres einfiel.
Niko wusste nicht einmal, was ihn so daran störte, dass Mikael seine Wahl an Affären und Liebschaften negativ beurteilte, aber es ging ihm eindeutig gegen den Strich, wie sein Bruder das gesagt hatte. Es mochte stimmen, dass er bei der Auswahl seiner Ex-Freunde noch nie eine allzu große Sorgfalt hatte walten lassen, darin gab er seinem Bruder sogar recht, aber er hatte niemals mit Kindern geschlafen.
»Um eines klarzustellen, ich habe nie mit Kindern gefickt«, erklärte Niko beleidigt und setzte sich ebenfalls.
Mikael sah ihn erst ratlos an, aber dann begriff er und lehnte sich stöhnend nach hinten, um sich durch die Haare zu streichen. »Das hat dich so sehr gegen mich aufgebracht? Niko, ich meinte damit nur, dass deine Freunde meist ziemlich jung waren. Ich hatte nie die Absicht, dir irgendetwas zu unterstellen.«
»Hast du aber.«
»Das habe ich nicht«, entrüstete sich Mikael mit erstauntem Blick, was ebenfalls stimmte, aber zurücknehmen wollte Niko den Vorwurf trotzdem nicht. »Es tut mir wirklich leid, dass das so bei dir ankam.«
Niko winkte ab, da er sich auf einmal dämlich vorkam. »Ist doch egal.«
»Nein, das ist es nicht«, hielt sein Bruder dagegen und setzte sich wieder aufrecht hin. »Nicht, wenn ein einziger Satz von mir dir so wehtut. Das wollte ich nicht und ich sage noch mal, es tut mir leid.«
»Ach, vergiss es einfach.«
Niko stand auf und begann eine unruhige Wanderung zwischen Couch und Bett. Was war bloß mit ihm los? Er verstand sich selbst nicht mehr. So bescheuert verhielt er sich doch sonst nicht. Wie kam er dazu, Mikael etwas vorzuwerfen, was sein Bruder nicht getan hatte?
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ISBN: 978-3-7393-1036-7