The Chosen: Bei mir findest du Ruhe - Jerry B. Jenkins - E-Book

The Chosen: Bei mir findest du Ruhe E-Book

Jerry B. Jenkins

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"The Chosen" hat sich in kürzester Zeit zu der Jesus-Serie schlechthin entwickelt. Das größte Crowdfunding-Projekt aller Zeiten bewegt Herzen und hat weltweit bereits über 500 Millionen Zuschauer begeistert. Auch in Band 3 der Roman-Reihe zur Serie beschreibt Bestsellerautor Jerry B. Jenkins das Leben und Wirken von Jesus in enger Anlehnung an die biblischen Berichte, gleichzeitig aber auch auf eine so lebendige Art und Weise, dass man das Gefühl hat, selbst Teil der Geschichte zu sein. Der neue Roman nimmt mitten hinein in die Geschehnisse rund um Jesus und die Menschen, die ihm nachfolgen. Hautnah erlebt man die Bergpredigt, die Speisung der Fünftausend, die Auferweckung der Tochter des Jairus und die Aussendung der Jünger. Zudem kommen etliche Gleichnisse Jesu zur Sprache.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über den Autor

Jerry B. Jenkins hat als Autor und Co-Autor mittlerweile mehr als 150 Bücher geschrieben. Zu seinen Veröffentlichungen zählen neben Romanen auch mehrere Biografien sowie Sachbücher für Ehe und Familie. Er verbrachte 13 Monate mit Billy Graham, um diesen beim Schreiben seiner Lebenserinnerungen zu unterstützen. Gemeinsam mit seiner Frau Dianna lebt er in Colorado. Sie haben drei erwachsene Söhne und acht Enkel.

Jerry B. Jenkins

The Chosen

Bei mir findest du Ruhe

Aus dem englischen von Karoline Kuhn

Gerth Medien

Für Greg Thornton

Urteilt nicht über andere, damit Gott euch nicht verurteilt.Denn so wie ihr jetzt andere richtet, werdet auch ihr gerichtet werden. Und mit dem Maßstab, den ihr an andere anlegt,werdet ihr selbst gemessen werden.

Matthäus 7,1–2

TEIL 1 Heimkehr

Kapitel 1 „NENN MICH NICHT ABBA“

Kapernaum, 24 n. Chr.

Matthäus fürchtet sich vor dem Tag, der vor ihm liegt.

Als aufsteigender Stern innerhalb der römischen Behörde unter Prätor Quintus hat er seinen Wirkungsbereich erweitert. Obwohl er der jüngste Steuereintreiber in seiner Heimatstadt war, ist er jetzt für die Vollstreckung von Strafen für alle jüdischen Bürger zuständig, die ihren Tribut an Rom nicht entrichten. Er ist bekannt für seinen Geschäftssinn und seine Fähigkeit, den Menschen in seinem Bezirk noch den letzten Schekel abzuknöpfen. Matthäus hat schnell alle Tricks seines Handwerks gelernt.

Um sein ohnehin großzügiges Gehalt noch weiter aufzubessern, steckt er alles ein, was er den Menschen über ihre eigentliche Steuerschuld hinaus abpressen kann. Wenn jemand es bemerkt und sich beschwert, deutet er an, dass er ihm gewisse Vergünstigungen ermöglichen kann, wenn er das Verlangte zahlt – nicht in der Form, das weniger zu zahlen wäre, aber in Form von mehr Zeit, bis die Steuer fällig wird. Er geht sorgfältig vor, um Rom zufriedenzustellen und gleichzeitig sein Einkommen auf lange Sicht beträchtlich zu steigern.

Diese Praktiken haben Matthäus seine Villa im exklusivsten Viertel der Stadt eingebracht, ganz zu schweigen von den feinsten importierten Kleidern, Schuhen, Parfüms und Schmuckstücken. Die Ironie des Ganzen ist, dass er den Neid seiner Mitbürger auf sich zieht, während er sich eigentlich nach Unsichtbarkeit sehnt. Er weiß, dass ihm die Feinheiten von Sarkasmus und bissigem Humor entgehen, aber er versteht die Verachtung, die ihm überall entgegenschlägt, wo er erkannt wird – sie äußert sich in Flüchen und Spucken. Matthäus kann sich nicht erinnern, wann ihm das letzte Mal ein Lächeln geschenkt wurde. Er lebt für die flüchtige Bewunderung, die ihm von den Römern entgegengebracht wird, die den Kopf schütteln über die Summen, die er seinen eigenen Leuten entlocken kann.

Meine eigenen Leute, denkt er. Er hat keine jüdischen Freunde, abgesehen von dem einen oder anderen aus dem Kreis der Steuereintreiber. Alle anderen betrachten ihn eindeutig als den ultimativen Verräter, Blutsauger, Überläufer. Nicht genug, dass sie unter der eisernen Faust Roms leiden. Nein, diese Faust wird von dem merkwürdigen, milchgesichtigen Sohn von Alphäus und Elisheba geführt – Juden, die so gläubig sind, dass sie Matthäus jahrelang Levi nannten, weil sie überzeugt waren, dass er eines Tages dem einen wahren Gott als Priester seines Volkes dienen würde.

Doch von dieser irrigen Annahme befreite der Junge sie sehr bald. Matthäus war klug, aber auch sehr eigenartig. Er wurde in der Schule von den gleichaltrigen Jungen beschimpft und gehänselt. Er war schmächtiger als die meisten und hatte einen stockenden, unbeholfenen Gang. Er sah nur zu, wie sich die anderen prügelten, denn er achtete sehr darauf, seine Tunika nicht schmutzig zu machen. Und er hielt sich von allen fern, die sich über seine Eigenheiten lustig machten.

Er verstand seine Besessenheit von Präzision und Ordnung selbst nicht. Seine Schriftrollen, Papiere, Schreibgeräte und dergleichen mussten auf eine ganz bestimmte Art vor ihm auf dem Tisch angeordnet sein. Seine Begabung für Zahlen und Berechnungen machte Matthäus noch mehr zu einem Sonderling. Und während seine Mitschüler mühsam die Thora auswendig lernten, wurde er mit älteren Schülern in den Mathematikunterricht geschickt.

Er nahm an, dass die anderen ihn beneideten, auch wenn sie es nicht zugaben und auch wenn sie ihn nicht akzeptierten. Nun, er würde es ihnen zeigen und sie alle in den Schatten stellen. Und als seine Begabung dafür, die Verachtung seiner Landsleute auf sich zu ziehen, ihn auch in seiner steilen Karriere als Steuereintreiber nicht verließ, sagte er sich, dass er Reichtum und Status jederzeit ihrer Akzeptanz vorziehen würde. Selbst seine am Boden zerstörten Eltern mussten doch seine einzigartigen Leistungen anerkennen, nicht wahr?

Heute, während er seine komplizierte Morgenroutine absolviert, geht ihm mehr durch den Kopf als nur die Frage, wie er die Blicke und Flüche seiner jüdischen Mitbürger vermeiden kann. Bei der Auswahl seiner Kleidung, seines Schmucks und seines Parfums muss er jedes Stück anfassen, bevor er sich dann doch wieder für das entscheidet, was er jeden Tag anzieht. Und die ganze Zeit spielt er im Kopf durch, wie er seine bisher heikelste Aufgabe bewältigen wird.

Heute ist der Tag, an dem er sein Steuerhäuschen geschlossen lässt und diejenigen zu Hause aufsucht, die mit ihren Zahlungen im Rückstand sind. Mit dabei hat er den Zenturio Lucius, einen der bedrohlichsten Schergen seiner eigenen Garde. Lucius’ bloße Anwesenheit schüchtert die meisten schon so ein, dass sie sofort zahlen. Selbst die, die Matthäus normalerweise dafür anprangern würden, dass er den Römern als Kettenhund dient, halten in der Regel den Mund, wenn sie Lucius sehen.

Der Tag der Abrechnung ist zwar immer unangenehm und anstrengend, aber auch lukrativ. Doch am heutigen Tag ist für Matthäus nichts Verlockendes in Aussicht, denn er hat seinen schwierigsten Fall zuerst angesetzt. Er hat Lucius die Aufgabe zugewiesen, den Steuerschuldner herauszurufen und die Forderung zu stellen. Matthäus wird in Hörweite, aber außer Sichtweite bleiben.

„Ich regle das“, sagt Lucius zu Matthäus. „Ich liebe Arbeit dieser Art.“

„Sieh einfach zu, dass er bezahlt – heute noch.“

„Oh, er wird bezahlen, so oder so.“

Matthäus zeigt dem Soldaten den Namen auf seiner Schreibtafel und deutet auf das Haus. Lucius schreitet in seinem roten Umhang zur Tür; mit seinem klirrenden Metall-Brustpanzer und dem knarrenden Leder zieht er die Blicke der anderen auf der Straße auf sich. Er stellt sich breitbeinig hin und klopft viermal laut.

„Ich komme!“

Als die Tür aufschwingt, löst sich der neugierige Blick des Bewohners in Erschrecken auf. Bevor der Mann etwas sagen kann, brüllt Lucius: „Alphäus bar Joram?“

„Ja …“, antwortet der Mann in zögerlichem Ton.

„Du hast die Frist für die Zahlung des Quartalsbeitrags um zwanzig Tage überschritten. Dein Eintreiber hat deinen Fall an die römische Behörde weitergeleitet. Bist du in der Lage, die Strafe jetzt zu bezahlen?“

Alphäus ist aschfahl geworden. „Ich habe eine Fristverlängerung beantragt …“

„Das verstehe ich als ein Nein. Auf Anordnung von Quintus, dem ehrenwerten Prätor von Kapernaum, muss ich dich in Gewahrsam nehmen.“

Matthäus wird blass. Er hatte nicht erwartet, dass Lucius so schnell zu solchen Mitteln übergehen würde. Sicherlich wird Alphäus schnell einen Weg finden zu bezahlen.

„Es tut mir sehr leid“, sagt Alphäus. „Ich habe nicht gewusst …“

Lucius nimmt einen Lederriemen von seinem Gürtel ab. „Dreh dich um!“

Das reicht, beschließt Matthäus.

„Herr“, jammert Alphäus, „ich wusste das nicht. Darf ich um eine Verlängerung von nur fünf Tagen bitten?“

Jetzt hofft Matthäus inständig, dass Lucius der Bitte nachkommt. Fünf Tage sind nichts. Es ist ja nicht so, dass der Mann ein Verbrecher ist.

Aber Lucius packt Alphäus am Arm. Und von drinnen kommt der klagende Ruf einer Frau. „Alphäus, wer ist da?“

Oh, nein!, denkt Matthäus. Die Sache gerät außer Kontrolle.

„Es ist alles gut, Elisheba!“, ruft Alphäus, der deutlich zuversichtlicher klingt, als er aussieht. An Lucius gewandt, flüstert er: „Bitte, ich flehe dich an …“

Lucius reißt Alphäus zurück und stößt ihn gegen den Türrahmen.

„Adonai im Himmel!“, schreit Alphäus.

„Der ist nicht hier“, bellt Lucius und beginnt, Alphäus die Hände auf dem Rücken zu fesseln.

Das ist mehr, als Matthäus ertragen kann. Rasch kommt er näher. „Ich werde das klären, Lucius. Es liegt ein Irrtum vor.“

Lucius schaut schockiert. „Was meinst du? Du hast mir gesagt …“

„Ich bin mir dessen bewusst, aber es ist deutlich geworden, dass die Abgabetermine falsch berechnet wurden. Ich werde das aufklären. Danke dir.“

„Du hast dich verrechnet? Das ist noch nie passiert!“

„Mir lagen falsche Informationen vor, aber das wird jetzt korrigiert. Ich werde mich darum kümmern. Am besten gehst du schon zum nächsten Haus, und wir treffen uns in einer Stunde am Steuerhäuschen.“

Lucius blickt Alphäus an, schüttelt den Kopf und stapft davon. Alphäus starrt Matthäus mit zusammengekniffenen Augen an. „Bist du jetzt mein …“

„Es ist nicht ratsam, das jetzt zu besprechen, Abba. Wir haben nicht viel Zeit.“

„Erst die Schande deiner Berufswahl und jetzt bist du tatsächlich mein Steuereintreiber?“

„Matthäus?“, ruft Elisheba von der Tür aus. „Was machst du denn hier?“

„Dein Sohn ist unser Steuereintreiber!“, sagt Alphäus verächtlich.

„Matthäus, nein“, sagt sie und schlägt entsetzt die Hand vor den Mund.

„Er hat einen Soldaten in unser Haus geschickt!“, fügt Alphäus hinzu.

„Es tut mir leid“, sagt Matthäus schnell. „Ich wollte nicht, dass du es weißt. Ich habe mir diesen Bezirk nicht ausgesucht.“

„Du hast dir diese Arbeit ausgesucht!“, schreit Alphäus. „Die Römer haben dich nicht dazu gezwungen. Du hast dich dazu entschieden. Du hast dich entschieden, dein Volk zu verraten …“

„Im Gegensatz zu dir, Abba, habe ich mich für eine sichere Zukunft entschieden.“ Matthäus bereut die Worte, sobald sie aus seinem Mund gekommen sind.

Seine Mutter sagt: „Du sollst von ganzem Herzen auf Adonai vertrauen und dich nicht auf deinen eigenen Verstand verlassen.“

„Ich habe vertraut!“, sagt Matthäus. „Aber kannst du mir eine Sache nennen, die Adonai in den letzten hundert Jahren für unser Volk getan hat? In fünfhundert?“

„Ein Verräter und ein Gotteslästerer!“ Alphäus spuckt die Worte geradezu aus.

Ist ihnen denn nicht klar, dass ich ihr Schicksal in der Hand habe?, denkt Matthäus. „Nun“, sagt er, „ihr schuldet eurer Regierung den Tribut für zwei Monate.“

Alphäus presst die Lippen aufeinander. „Ich werde am Ende der Woche die Zahlung leisten.“

„Du hast zwei Zahlungen versäumt. Ich hatte gehofft, Lucius würde dich überzeugen, aber ich kann dich nicht länger schützen.“

„Ich will deinen Schutz nicht!“

Wie kann er das sagen? Nun, wenn er es so will … „Dann hast du vierundzwanzig Stunden Zeit, Abba.“

„Nenn mich nicht Abba.“

Jetzt fleht Elisheba: „Alphäus, bitte …“

Matthäus weiß, er hätte wissen müssen, dass es hierzu kommen würde, aber es trifft ihn trotzdem.

„Eli“, sagt Alphäus, „verhänge die Fenster und leg deinen Schleier an. Wir werden sieben Tage lang Schiwa sitzen.“

Schiwa sitzen? Die Totenklage?

„Ich habe keinen Sohn“, fügt Alphäus hinzu, schiebt seine klagende Frau zurück ins Haus und schlägt die Tür zu.

Kapitel 2 TRÄNEN

Die Hochebene von Korazim Sieben Jahre später

Soweit Matthäus weiß, haben seine Eltern ihm noch immer nicht verziehen, geschweige denn ihn akzeptiert. In den Augen seines Vaters ist er nicht existent. Deshalb kommen die Worte von Jesus, dem Mann, dem Matthäus sein ganzes Leben und seine Zukunft anvertraut hat, ihm so vor, als würden sie ihn überströmen und jede Faser seiner Seele baden.

Sein Rabbi spricht zu einer großen Menschenmenge, die den ganzen Hügel füllt, und Matthäus hatte das Privileg, bei der Ausarbeitung der Predigt von Jesus einbezogen worden zu sein. Lautlos spricht er die Worte mit, die sein Rabbi verkündet. „Wie ihr wisst, wurde unseren Vorfahren gesagt: ‚Du sollst nicht töten. Wer einen Mord begeht, der muss vor Gericht.‘ Aber ich sage euch: Wer auch nur zornig auf einen anderen ist, gehört ebenso vor Gericht.“

Was hat dieser Mann an sich, dass er gleichzeitig mit so viel Autorität und so tiefem Mitgefühl spricht? Matthäus kann gar nicht anders, als seine Worte förmlich zu trinken.

Jesus fährt fort: „Wenn du also deine Opfergabe zum Altar bringst und dir fällt dort ein, dass jemand dir etwas vorzuwerfen hat, dann lass dein Opfer am Altar zurück, geh zu deinem Mitmenschen …“

Ein Kloß steigt in Matthäus’ Hals auf. Jesus spricht Worte, die seine Vergangenheit heilen und ihm Hoffnung für die Zukunft zu geben vermögen.

„… und versöhne dich mit ihm. Erst danach bring Gott dein Opfer dar.“

Matthäus fragt sich, wie die anderen Anhänger des Messias wohl gerade darauf reagieren. Doch er kann seine Augen nicht von Jesus abwenden.

Judas steht etwas weiter entfernt. So etwas hat er noch nie gehört. Er ist so angetan von der Botschaft von Jesus, seinem radikalen Ansatz, ja sogar von der Art und Weise, wie er seine Rede vorträgt, dass sein bisheriger Beruf im Vergleich dazu verblasst. Noch nie hat er daran gedacht, das lukrative – wenn auch moralisch nicht ganz einwandfreie – Geschäft zu verlassen, das er mit seinem Partner betreibt, aber plötzlich fühlt er eine Sehnsucht in sich, sich diesem Mann anzuschließen! Habe ich den Verstand verloren? Die zerlumpte Schar der Jesusschüler scheint gar nichts zu besitzen. Bekommen sie überhaupt regelmäßig zu essen? Neue Kleider könnten alle gebrauchen.

„Darum sage ich euch: Macht euch keine Sorgen um euren Lebensunterhalt, um Nahrung und Kleidung …“

Spricht dieser Mann direkt zu Judas, kann er irgendwie seine Gedanken lesen?

„Bedeutet das Leben nicht mehr als Essen und Trinken, und ist der Mensch nicht wichtiger als seine Kleidung? Seht euch die Vögel an! Sie säen nichts, sie ernten nichts und sammeln auch keine Vorräte. Euer Vater im Himmel versorgt sie. Meint ihr nicht, dass ihr ihm viel wichtiger seid?“

Bin ich das? Wie sehr sehnt sich Judas danach, auf diese Weise gesehen zu werden!

Tamar, die Ägypterin, hat keinen Zweifel an der Identität dieses Lehrers. Sie weiß ohne jede Frage, dass er der Messias ist, denn sie hat gesehen, wie er Wunder vollbracht hat. Sie hat gesehen, wie er sich einem Aussätzigen nicht nur genähert und ihn berührt, sondern ihn sogar umarmt hat. Und ihn auf der Stelle geheilt hat! Deshalb hatte sie die anderen überredet, ihren gelähmten Freund nach Kapernaum zu bringen und ihn, um zu Jesus zu gelangen, durch das Dach eines Hauses hinabzulassen, in dem Jesus redete, weil der Eingang durch zu viele Menschen versperrt war. Der Rabbi hatte auch ihn geheilt, sogar im Beisein der Pharisäer, die ihn einen Gotteslästerer und falschen Propheten nannten.

„… und wenn ihr euch noch so viel sorgt, könnt ihr doch euer Leben um keinen Augenblick verlängern.“

Diese Aussage trifft auch Andreas, der nicht leugnen kann, dass er sich wegen fast allem Sorgen macht.

Besonders seitdem sein erster Rabbi, Johannes der Täufer, im Gefängnis gelandet ist. Andreas fürchtet um das Leben von Johannes, um das Leben seines Bruders Simon, um Jesus und auch um sich selbst.

„Weshalb macht ihr euch so viele Sorgen um eure Kleidung? Seht euch an, wie die Lilien auf den Wiesen blühen! Sie mühen sich nicht ab und können weder spinnen noch weben. Ich sage euch, selbst König Salomo war in seiner ganzen Herrlichkeit nicht so prächtig gekleidet wie eine dieser Blumen. Wenn Gott sogar die Blumen so schön wachsen lässt, die heute auf der Wiese stehen, morgen aber schon verbrannt werden, wird er sich nicht erst recht um euch kümmern? Vertraut ihr Gott so wenig?“

Sieht Jesus mich an? Vertraue ich ihm so wenig?

Obwohl Jesus Maria aus Magdala von ihren Dämonen befreit und ihr vergeben hat, kann sie nicht umhin, wegen ihres eigenen geringen Vertrauens an sich selbst zu zweifeln – an Jesus zweifelt sie nicht. Aber sie traut sich selbst nicht. Warum ist sie wieder vom Weg abgekommen, nach allem, was Jesus für sie getan hatte?

„Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: ‚Werden wir genug zu essen haben? Und was werden wir trinken? Was sollen wir anziehen?‘ Nur Menschen, die Gott nicht kennen, lassen sich von solchen Dingen bestimmen. Euer Vater im Himmel weiß doch genau, dass ihr das alles braucht. Setzt euch zuerst für Gottes Reich ein und dafür, dass sein Wille geschieht. Dann wird er euch mit allem anderen versorgen.“

Das ist alles, was ich will – das Reich, von dem Jesus spricht.

Der junge Pharisäer Yussif schwitzt in der Sonne und hört diesem Mann zu, der seinem Mentor Shmuel nichts als Ärger eingebracht hat. Doch Yussif hat selbst Dinge erlebt, die ihn alles infrage stellen lassen, was man ihn gelehrt hat. Er hat gesehen, wie dieser Prediger Wunder getan hat, oder zumindest Tricks, die wie Wunder wirkten. Und nun spricht er mit einer solchen Sicherheit, als ob er tatsächlich der Auserwählte sein könnte, der – nein, das kann nicht möglich sein. Oder doch?

Yussif hat Jesus aus Nazareth wegen einiger Dinge angegriffen, die er gesagt und getan hat, und doch empfindet er eine gewisse Sympathie für den Mann und seine Anhänger. Was geschieht hier mit ihm? Es ist eine Sache, einen Mann zu kritisieren, weil er behauptet, jemand zu sein, der er nicht ist; weil er am Schabbat arbeitet; weil er zu sagen wagt, er könne Sünden vergeben. Aber es ist eine andere Sache, zu leugnen, was deine eigenen Augen gesehen haben – eine verwandelte Frau und einen geheilten Mann.

„Urteilt nicht über andere, damit Gott euch nicht verurteilt. Denn so wie ihr jetzt andere richtet, werdet auch ihr gerichtet werden. Und mit dem Maßstab, den ihr an andere anlegt, werdet ihr selbst gemessen werden. Warum siehst du jeden kleinen Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu ihm sagen: ‚Komm her! Ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen!‘, und dabei hast du selbst einen Balken im Auge! Du Heuchler! Entferne zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du klar sehen, um auch den Splitter aus dem Auge deines Mitmenschen zu ziehen.“

Der kleine Jakobus, Nathanael und Thaddäus wurden damit beauftragt, für Ordnung in der Menge zu sorgen, obwohl sie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen sind. Doch diese Leute brauchen keine ordnende Hand, denn sie alle scheinen von den Worten von Jesus wie gebannt zu sein.

„Behandelt die Menschen stets so, wie ihr von ihnen behandelt werden möchtet. Denn das ist die Botschaft des Gesetzes und der Propheten.“

Matthäus bemerkt, dass Maria aus Magdala Tränen in den Augen hat, ebenso wie einige der anderen Schüler. Mutter Maria tritt zu ihm und flüstert: „Wie läuft es?“

Matthäus kann kaum sprechen. „Was, die Predigt?“

Maria nickt.

Er blickt auf seine Schreibtafel. „Die Worte sind dieselben, die geschrieben stehen, aber …“

„Aber jetzt sagt er sie.“

Matthäus laufen die Tränen über die Wangen, als er den Zuspruch hört, den Jesus jetzt seinen Zuhörern zuteilwerden lässt – ganz offensichtlich ist niemand davon ausgenommen.

„Glücklich sind, die erkennen, wie arm sie vor Gott sind, denn ihnen gehört sein himmlisches Reich.

Glücklich sind, die über diese Welt trauern, denn sie werden Trost finden.

Glücklich sind, die auf Frieden bedacht sind, denn sie werden die ganze Erde besitzen.

Glücklich sind, die Hunger und Durst nach Gerechtigkeit haben, denn sie sollen satt werden.

Glücklich sind, die Barmherzigkeit üben, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren.

Glücklich sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen.

Glücklich sind, die Frieden stiften, denn Gott wird sie seine Kinder nennen.

Glücklich sind, die verfolgt werden, weil sie nach Gottes Willen leben; denn ihnen gehört sein himmlisches Reich.

Glücklich könnt ihr euch schätzen, wenn ihr verachtet, verfolgt und verleumdet werdet, weil ihr mir nachfolgt. Ja, freut euch und jubelt, denn im Himmel werdet ihr dafür reich belohnt werden! Genauso hat man die Propheten früher auch schon verfolgt.“

Matthäus notiert auf seiner Tafel, dass dieses Plateau von nun an „Berg der Segnungen“ genannt werden sollte. Aber das klingt ihm zu alltäglich. Was Jesus gerade sagt, ist zu tiefgründig und zu berührend, zu feierlich, um als bloße Segnungen durchzugehen. Es stimmt ihn froh, glücklich. Vielleicht eher doch „Berg der Glückszusagen“? Oder nein, er fühlt sich geradezu beseligt. „Berg der Seligpreisungen“ – das ist es. Eines Tages, wenn er seinen umfassenden Bericht über alles schreibt, was er mit Jesus erlebt hat, wird er diesen Ort auf jeden Fall als den Schauplatz einer ganz besonderen Predigt, als den „Berg der Seligpreisungen“, verewigen.

Kapitel 3 ABSCHIEDE

Auf dem Berg

Die beiden Simons – der eine ein ehemaliger Fischer, der andere ein ehemaliger Zelot, den die anderen jetzt Z. nennen – stehen beieinander und sehen zu, hören zu. Der, dem Jesus gesagt hat, dass er nun ein Menschenfischer werden würde, fragt sich, was Z. wohl von diesen Aussagen halten mag. Der Zelot hat eine einzigartige Mischung von Fähigkeiten in die Gruppe eingebracht – die meisten davon nützlich für den Kampf, für die Zeit, wenn die Juden endlich die Kraft finden würden, gegen die Römer aufzustehen und sie zu stürzen. Zurzeit sind diese Fähigkeiten allerdings noch kaum gefragt, aber Simon findet trotzdem, dass Z. eine interessante Ergänzung zum Kreis der Jesusschüler ist.

Inzwischen fährt Jesus fort: „Ihr wisst, dass den Vorfahren auch gesagt wurde: ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn!‘ Doch ich sage euch: Leistet keine Gegenwehr, wenn man euch Böses antut! Wenn jemand dir eine Ohrfeige gibt, dann halte die andere Wange auch noch hin! Wenn einer dich vor Gericht bringen will, um dein Hemd zu bekommen, so lass ihm auch noch den Mantel! Und wenn einer von dir verlangt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei Meilen mit ihm! Gib jedem, der dich um etwas bittet, und weise keinen ab, der etwas von dir leihen will.“

Nicht weit entfernt steht Atticus, ein ranghohes Mitglied der Cohortes urbanae, einer von Cäsar Augustus geschaffenen Einheit der römischen Armee, die polizeiliche Aufgaben erfüllt. Er hat den Nazarener aus der Ferne beobachtet, seine Schüler überwacht und genau zugehört – heute mehr denn je. Endlich macht dieser Mann, diese potenzielle Bedrohung für Rom, sein Programm öffentlich. Oh, das hat er schon früher getan, im Kreis seiner Schüler und vor kleinen – und manchmal auch nicht so kleinen – Gruppen. Aber diese heutige Menschenmenge zeigt das Ausmaß der Popularität, die dieser Vagabund bereits erreicht hat.

Atticus fragt sich, ob er der Einzige unter den Tausenden hier ist, der daran gedacht hat, etwas zu essen mitzubringen. Das ist nichts Neues für ihn – er hat bei seinen Spähmissionen immer zumindest etwas Obst dabei. Aber wenn das hier noch länger dauert, wird er etwas Gehaltvolleres brauchen. Und so wie die Menge aussieht, wird es ihnen allen so gehen.

Im Moment scheinen jedoch alle von den Paradoxien fasziniert zu sein, die der Prediger ausspricht, und von den radikalen Aufforderungen, die wohl noch niemand vorgebracht hat. Zum Beispiel diese: „Es heißt bei euch: ‚Liebe deinen Mitmenschen und hasse deinen Feind‘ Doch ich sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen! So erweist ihr euch als Kinder eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne für Böse wie für Gute aufgehen, und er lässt es regnen für Fromme und Gottlose.“

Was im Namen von Jupiter, Juno und Minerva könnte dieser Jesus aus Nazareth damit meinen? Meine Feinde lieben? Für sie beten? Nie im Leben.

Tatsächlich unterdrückt Atticus ein Lächeln bei dem bloßen Gedanken an das Aufsehen, das solche Worte erregen könnten. Und er muss auch darüber schmunzeln, wie falsch Prätor Quintus im Hinblick auf diesen Jesus liegt. Die Menge scheint total von ihm fasziniert zu sein. Ein solcher Mann könnte gefährlich werden. Und was für ein guter Schauspieler er ist! Wenn Atticus es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass die Art, wie er in der Menge herumgeht, während er spricht, ein echter Ausdruck von Zuneigung und Interesse für die Menschen zu sein scheint. Sicherlich bereitet er sie auf etwas vor, aber auf was? Einen Aufstand? Jetzt legt der Nazarener tatsächlich hier und da jemandem die Hand an die Wange, anderen scheint er tief in die Augen zu blicken.

„Euer Vater weiß genau, was ihr braucht, schon bevor ihr ihn um etwas bittet. Ihr sollt deshalb so beten: Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen …“

Barnabas stützt sich neben Shula, seiner blinden Freundin, auf seine Krücke. Begleitet werden sie von Zebedäus und Salome, den Eltern von Johannes und dem großen Jakobus, denen Jesus den Spitznamen „Donnersöhne“ gegeben hat. Barnabas kann sich vorstellen, wie stolz die Eltern sein müssen, dass ihre Söhne mit diesem Wundermann in Verbindung stehen.

„Häuft in dieser Welt keine Reichtümer an!“, fährt Jesus fort. „Sie werden nur von Motten und Rost zerfressen oder von Einbrechern gestohlen! Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, die unvergänglich sind und die kein Dieb mitnehmen kann. Wo nämlich euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.“

Judas ist nicht mehr nur neugierig. Er ist völlig fasziniert von diesem charismatischen Mann, der nun stehen bleibt, während sein Blick über die riesige Versammlung zu tanzen scheint. Judas hat sein ganzes junges Erwachsenenleben damit verbracht, „Reichtümer anzuhäufen“, wie es der Lehrer so treffend formuliert hat. Es ist wahr, sein Herz hängt daran. Was gibt es sonst, dem man sein Leben widmen kann? Doch Jesus hat all diese Menschen hier, jeden Einzelnen davon, eindeutig völlig in seiner Hand.

„Wer auf das hört, was ich gesagt habe, und danach handelt, der ist klug. Man kann ihn mit einem Mann vergleichen, der sein Haus auf felsigen Grund baut. Wenn ein Wolkenbruch niedergeht, das Hochwasser steigt und der Sturm am Haus rüttelt, wird es trotzdem nicht einstürzen, weil es auf Felsengrund gebaut ist. Wer sich meine Worte nur anhört, aber nicht danach lebt, der ist so unvernünftig wie einer, der sein Haus auf Sand baut. Denn wenn ein Wolkenbruch kommt, die Flüsse über ihre Ufer treten und der Sturm um das Haus tobt, wird es einstürzen; kein Stein wird auf dem anderen bleiben.“

Wer sich meine Worte nur anhört, aber nicht danach lebt, wiederholt Judas in Gedanken. Was, fragt er sich, will dieser Mann von ihm? Was soll er tun? Ist sein Streben nach Reichtum wie ein Haus, das auf Sand gebaut ist? Wäre er vielleicht bereit, das aufzugeben und diesem Rabbi zu folgen? Sobald er den Gedanken zulässt, scheint er sich in ihm auszubreiten, und er weiß, dass es genau das ist, was er tun möchte! Jesus aus Nazareth hat etwas so Dynamisches, so Fesselndes, so Fremdartiges an sich, dass Judas sich nichts Schöneres vorstellen kann, als ihm zu folgen und zum inneren Kreis seiner Schüler zu gehören.

In der goldenen Stunde des Tages fühlt sich Yussif, obwohl er unter Tausenden ist, allein. Und dafür ist er dankbar. Was wird er Shmuel wohl berichten? Wird er seine wahren Gedanken verbergen können, seine Fragen, seine … er muss es zugeben, wenn auch nur sich selbst gegenüber: seine Faszination für die Gedanken, die Jesus ihm eingepflanzt hat? Es verblüfft ihn selbst, aber er versteht genau, was Jesus da sagt.

Das Gemurmel um Yussif herum beweist, dass auch andere ähnlich aufgewühlt sind. „Hast du schon mal so etwas gehört?“, fragt gerade jemand seinen Nachbarn.

„Nicht mit dieser Vollmacht. Er sprach mit echter Autorität – seiner eigenen, nicht der von jemand anderem.“

„Ja, er scheint fast über dem Gesetz zu stehen. Ist er ein Revolutionär?“

Der andere, der Yussifs Pharisäer-Kleidung bemerkt, bringt seinen Freund zum Schweigen, und beide verneigen sich respektvoll, als sie an Yussif vorbeigehen.

Ein hinkender Mann und eine blinde Frau gehen ebenfalls vorbei und zitieren Aussagen von Jesus. „‚Seht euch an, wie die Lilien auf den Wiesen blühen!‘, hat er gesagt!“ Barnabas strahlt. „‚Sie mühen ich nicht ab und können weder spinnen noch weben.‘“

„‚Aber selbst König Salomo war in seiner ganzen Herrlichkeit nicht so prächtig gekleidet‘“, fügt Shula hinzu.

Yussif muss allein sein, um über all das nachzudenken. Er will nichts mehr hören, nichts mehr sagen. Er muss zurück in seine Kammer im Beth Midrasch in der Synagoge, wo er ungestört und in der Nähe der heiligen Schriftrollen ist.

Judas hat einen Entschluss gefasst. Nun muss er es seinem Geschäftspartner sagen – dem Mann, mit dem er einen Landbesitzer betrogen und später den Schülern dieses Jesus geholfen hat, den geeigneten Ort für seine große Rede zu bekommen. Schließlich entdeckt Judas ihn und grinst von einem Ohr zum anderen. „Hadad!“, ruft er.

„Ich hatte dich aus den Augen verloren!“, sagt Hadad. „Hast du sie gefunden?“

„Ich stand bei seinen Anhängern“, sagt Judas und nickt.

„Hast du die Gesichter der Menschen gesehen? Ich habe noch nie so eine große Menge Menschen gesehen, die derart gefesselt sind. Das mit dem ‚die andere Wange hinhalten‘ und ‚Schätze im Himmel sammeln‘ war ein bisschen naiv, aber dieser Mann hat Talent!“

Die Zeile mit den Schätzen war genau die, die Judas beeindruckt hat. „Ja, so etwas habe ich noch nie gesehen.“

„Stell dir nur vor, wenn er für uns arbeiten würde!“

Wie bitte? Hält er diesen Mann für einen Schwindler? „Hadad?“

„Warum haben sie kein Geld gesammelt? Sie könnten leben wie die Könige!“

Natürlich, das könnten sie, denkt Judas. Schon ein Schekel von jeder Familie hier hätte ein Vermögen ergeben. Aber eben darum ging es ja nicht. „Ich werde mich ihnen anschließen“, sagt er.

„Was?“

„Ich gehe. Ich kündige. Ich gehe mit Jesus und seinen Schülern.“

„Wohin?“

„Ich weiß es nicht. Bis ans Ende der Welt.“

Hadad starrt ihn an, offensichtlich bestürzt und als könne er nicht glauben, dass sein Freund es ernst meint.

„Überall hin, wo diese Botschaft gehört werden muss“, fügt Judas hinzu.

Hadads Lächeln gefriert. „Ich werde dich verklagen. Du kannst nicht …“

„Ich verzichte auf meine Anteile!“

„Dann werde ich ihn verklagen!“

Judas schüttelt den Kopf, er will dieses Gespräch beenden, will mit Hadad fertig sein. „Du kannst ihm nichts nehmen, was für dich von Wert wäre.“

Judas wendet sich zum Gehen, hält dann aber kurz inne, als Hadad ruft: „Was hat er dir denn dann zu geben?“

Der jüngere Mann schaut ihn nur an. „Viel Glück, Hadad.“

Kapitel 4 SCHWIERIGE DINGE

Auf dem Berg

Der ranghohe Zenturio Primus Ordo Gaius sitzt auf seinem Pferd und sieht regungslos zu, wie sich die aufgeregt plappernden Menschen langsam zerstreuen. Gaius hat viele Männer für dieses Ereignis abgestellt, fest entschlossen, diesmal die Probleme zu vermeiden, die sie hatten, als sich eine viel kleinere Menge vor dem Haus eines Fischers im östlichen Viertel versammelt hatte. Dort hatte derselbe Mann gesprochen, anscheinend einen von Geburt an gelähmten Mann geheilt und etwas verursacht, was Gaius’ Vorgesetzter, Prätor Quintus, als einen „Auflauf“ bezeichnete, der den Gesandten des Herodes aufgehalten hatte und den Prätor schlecht aussehen ließ.

Nun, es war keine Massenpanik ausgebrochen, aber ja, die Menschenmenge war immer mehr gewachsen und hatte die Straße blockiert. Und das Letzte, was Gaius gebrauchen kann, ist auch nur der Anschein einer Wiederholung jener Szene. Wer weiß, was bei einer Menschenmenge wie dieser hier, die hundertmal größer ist, alles passieren kann?

Gaius sagt sich, dass er hergekommen ist, um seine Männer zu beaufsichtigen, aber in Wahrheit ist er dort, um Jesus aus Nazareth in größerem Rahmen in Aktion zu erleben und – zugegebenermaßen – um vielleicht zu sehen, was Matthäus so treibt. Gaius ist mehrere Jahre lang der persönliche Geleitschutz des seltsamen kleinen Mannes gewesen, der von der römischen Obrigkeit als Steuereintreiber eingesetzt worden war. Und Gaius kann nicht leugnen, dass er trotz der Eigenwilligkeiten von Matthäus eine gewisse Zuneigung zu ihm entwickelt hat.

Einmal hatte Quintus Gaius beauftragt, Jesus zu verhaften und ihn zum Verhör vor den Prätor zu schleppen. Atticus hatte ihn begleitet, ein Mann von den Cohortes urbanae, den er für aufgeblasen und herablassend hielt – genau der Typ, den Caesar gern für seine private Schlägertruppe auszuwählen schien. Es war Gaius unbegreiflich, warum Rom eine solche Einheit brauchte, wo doch die Zenturionen durchaus fähig waren, römisches Recht durchzusetzen.

Wenn man vom Teufel spricht. Eben erscheint Atticus in seiner ganzen Selbstgefälligkeit. Gaius tut so, als würde er ihn nicht bemerken, und starrt weiter geradeaus. In Wahrheit will er sich nicht mit dem Mann befassen. Er will über das nachdenken, was er gerade gesehen und gehört hat. Es wäre unprofessionell, zuzugeben, dass ihn der Nazarener seltsam berührt hat. So einzigartig und beunruhigend viele Dinge auch waren, die Jesus gesagt hat, sie haben einen tiefen Eindruck bei Gaius hinterlassen, und er braucht Zeit, um sie zu verarbeiten.

Atticus tritt neben Gaius’ Pferd. „Und?“, fragt er.

Gaius starrt weiter geradeaus. „Hm“, knurrt er. Er muss den Mann nicht ansehen, um sein wissendes Grinsen zu erahnen.

„Genau das hab ich mir auch gedacht“, sagt Atticus. „Wir sehen uns dann morgen früh zu unserem Bericht an Quintus.“

„Mm-hm.“

„Interessantes Gespräch“, sagt Atticus und stolziert, nicht ohne ein schadenfrohes Grinsen, davon.

Judas kann sich kaum noch bremsen. Er macht sich auf den Weg zu den Vorhängen, durch die Jesus auf eine behelfsmäßige Steinbühne hinausgetreten war. Und offenbar ist er nicht der Einzige, der darauf hofft, einen Moment mit Jesus allein zu erhaschen. Überall fragen die Menschen die Schüler von Jesus, ob der Prediger zurückkehren wird, ob er noch in der Nähe ist, ob sie mit ihm reden können. Judas versucht mithilfe seines hervorragenden Gedächtnisses, sich an die Namen der Menschen zu erinnern, die er nur kurz getroffen hat. Da sind die beiden Simons, die den Leuten erklären: „Bitte, der Rabbi ist sehr müde.“ – „Er ist für heute fertig.“– „Danke, dass ihr gekommen seid.“

Drei weitere Männer – der kleine Jakobus, Nathanael und Thaddäus (er kann sich nicht mehr erinnern, wer von den letzteren beiden wer ist) – beginnen, die Vorhänge abzuhängen. Der größere Jakobus und sein Bruder – der Name ist Judas im Moment entfallen – teilen den anderen mit, dass Jesus sie gleich alle kurz sprechen möchte. Judas schaut an den Brüdern vorbei zu Jesus, der mit seiner Mutter und einer jüngeren Frau – der Ehefrau eines seiner Schüler – redet. Da er weiß, dass er bei diesem Treffen gleich fehl am Platze wäre, beschließt Judas: jetzt oder nie. Er sammelt sich und nähert sich dann etwas zögernd Jesus und den Frauen, in der Hoffnung, dass der Rabbi ihn wenigstens bemerkt und dass er die Gelegenheit bekommt, zu sagen, welche Wirkung die Predigt auf ihn gehabt hat.

Jesus sieht erschöpft aus, und seine Mutter reicht ihm gerade einen Teller mit Essen. Die Frau des einen Jüngers steht in der Nähe mit der blauen Schärpe, die Jesus während seiner Rede getragen hat. Judas zögert, ihn zu stören, besonders jetzt, aber er will seine Chance auch nicht verpassen. Doch als er den ersten Schritt machen will, stürmt der ehemalige Steuereintreiber heran. Judas kennt diesen Mann, Matthäus. Er kennt viele Zöllner, dachte sogar einmal daran, sich ebenfalls um eine solche Stelle zu bewerben. Aber ihm lag zu viel daran, was andere von ihm denken. Es gab andere Möglichkeiten, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

„Ich konnte viele der neuen Dinge, die du gesagt hast, aufschreiben“, sagt Matthäus, als die Mutter von Jesus und die andere Frau zur Seite treten, „aber nicht alles.“

Zwischen zwei Bissen antwortet Jesus: „Das macht nichts. Ich werde sie noch öfter sagen. Wir werden darüber sprechen.“

„Ich habe einiges aus meinem Studium der Lehren von Rabbi Hillel wiedererkannt.“

„Sehr gut, Matthäus“, sagt Jesus und klingt freundlich, aber müde.

„Als du sagtest, dass man sich mit seinem Mitmenschen versöhnen soll, was genau hast du –“

„Matthäus, vielleicht können wir ein andermal darüber reden? Ich bin sehr hungrig, und ich habe einige Dinge mit unserem neuen Freund hier zu besprechen.“ Jesus wirft Judas einen Blick zu.

Er hat mich also bemerkt. „Oh!“, sagt Judas rasch. „Tut … tut mir leid. Ich kann später wiederkommen.“

„Nein, wir kommen gleich alle zusammen, und ich würde gern mit dir sprechen. Matthäus, kannst du bitte Jakobus und Johannes helfen, die anderen zu holen?“

Johannes, ja, das war der Name des Bruders!

„Jetzt gleich?“, fragt Matthäus, sichtlich enttäuscht.

„Mm-hm.“

Matthäus zögert, geht dann aber doch.

Jesus ruft ihm nach: „Danke für deine Hilfe!“

Matthäus lächelt. „Ja, Rabbi.“

Jesus steckt sich ein Stück Brot in den Mund und sieht zu Judas auf, während einige Jünger schon auf sie zukommen. „Also …“

„Ich heiße Judas und bin aus Kerioth“, sagt er und schüttelt Jesus die Hand.

„Schalom, Judas. Ich habe dich gesehen, bevor ich hinausgegangen bin, um zu den Leuten zu sprechen. Und dann habe ich bemerkt, dass du meiner Predigt sehr aufmerksam zugehört hast.“

„Es war großartig“, sagt Judas und wünscht, er könnte sich besser ausdrücken.

„Danke. Nathanael hat mir berichtet, wie du uns geholfen hast und dass du überlegst, dich uns anzuschließen. Er ist nicht leicht zu beeindrucken.“

Judas weiß nun, welcher von ihnen Nathanael ist. „Ich habe den Beth Midrasch besucht“, platzt es aus ihm heraus, „aber mein Vater ist gestorben, bevor ich mir einen Rabbi suchen konnte, also bin ich zu Hause geblieben, um zu arbeiten. Ich möchte dir gerne folgen.“

„Aha?“

„Sehr gern sogar! Ich habe den Beth Midrasch besucht.“

Jesus gluckst leise in sich hinein. „Ich habe dich schon beim ersten Mal gehört. Ich erwarte das nicht von meinen Schülern. Du wärst sogar einer von wenigen, die eine solche Voraussetzung mitbringen. Ich erwarte nur das, was auch andere Rabbis wollen – dass ihr danach strebt, wie ich zu sein.“

„Natürlich.“

„Aber bei mir wird das viel schwieriger als bei anderen Lehrern, so viel kann ich dir schon sagen. Bist du bereit, auch schwierige Dinge anzupacken?“

Schwierige Dinge? Ich würde alles tun! „Ich glaube, dass du die Welt verändern wirst. Und ich möchte dabei sein, daran teilhaben. Ich bin vielleicht kein Kämpfer und Soldat, aber ich kenne mich mit geschäftlichen Dingen aus. Das könnte nützlich sein, um diese Botschaft an möglichst vielen Orten zu verbreiten. Also, ja, ich bin bereit für schwierige Aufgaben.“

„Wir werden sehen. Ich nehme an, du weißt, was der Name Judas bedeutet, ja?“

„Gott sei gelobt.“

„Ja. Mit deinen Händen. Wirst du Gott loben?“

„Jeden Tag.“

Nach und nach treffen die anderen Jünger ein. Jesus stellt seinen Teller beiseite und steht auf. „Nun, wenn das so ist, Judas, dann … folge mir.“

„Danke.“

„Alle sind hier, Rabbi“, sagt der große Jakobus zu Jesus.

Jesus nickt und bedeutet Judas, sich neben ihn zu stellen. Doch bevor er sprechen kann, beginnen die anderen zu klatschen und zu jubeln.

„Schon gut, schon gut“, sagt Jesus leichthin. „Das reicht jetzt. Zunächst einmal vielen Dank für diesen wunderbaren Tag. Barnabas! Shula! Kommt doch näher! Hat euch die Predigt gefallen?“

„Hm, ein bisschen lang“, frotzelt Barnabas. „Aber mit großer Wirkung.“

Shula boxt Barnabas mit dem Ellbogen. „Es war wunderbar.“

Jesus wendet sich an alle. „Ihr habt euren Teil dazu beigetragen, indem ihr bekannt gemacht habt, was heute passieren sollte. Das ist ein wichtiger Teil des Ganzen. Und lasst uns besonders Nathanael, Thaddäus und dem kleinen Jakobus dafür danken, dass sie dieses Gelände hier gefunden und alles so schnell auf die Beine gestellt haben. Ihr helft sicher alle noch dabei, hier aufzuräumen, bevor ihr geht.“

Die anderen applaudieren den dreien.

Jesus fügt hinzu: „Ich habe noch eine kurze Ankündigung. Einige von euch kennen ihn schon, aber für die anderen: Das ist Judas aus Kerioth. Er hat mich gerade gebeten, sein Rabbi zu sein, und er wird seine Talente in unsere Arbeit einbringen. Eine Bitte, der ich gerne nachgekommen bin. Heißen wir Judas in der Gruppe willkommen.“

Es gibt weiteren Beifall und gute Wünsche.

„Nun“, sagt Jesus schließlich, „was war das für eine Reise in den letzten Wochen! Wir haben gute Arbeit geleistet, und es gibt noch viel mehr für uns zu tun. Aber jetzt erholen wir uns alle erst einmal, was meint ihr? Vor allem du, Simon, du musst nach Hause.“ Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Nachdem die Freude darüber, dass du weg bist, verblasst ist, hat Eden doch tatsächlich angefangen, dich zu vermissen. Also nehmt euch eine Auszeit, ihr zwei.“

Jesus winkt alle näher zusammen, und sie legen einander die Arme um die Schultern. „Ihr könnt miteinander klären, wie ihr in Kontakt bleiben könnt, damit wir uns bald wieder treffen können. Aber nun lasst mich für euch beten.“ Alle senken die Köpfe, und er sagt: „Der Herr segne euch und behüte euch. Der Herr blicke euch freundlich an und sei euch gnädig. Der Herr wende sich euch in Liebe zu und schenke euch Frieden.“ Er schaut auf. „Wir werden uns bald wiedersehen. Ich danke euch.“

Judas ist verwirrt. Da hat er sich ihnen gerade angeschlossen, und jetzt gehen sie auseinander, um sich zu erholen? Wohin werden diese Nomaden gehen, um das zu tun? Und was soll er in der Zwischenzeit machen?

Kapitel 5 DIE BESUCHERIN

Auf dem Berg

Während alle anderen ihre Sachen zusammenpacken und sich darauf vorbereiten, diesen Ort zu verlassen, wünscht sich Maria aus Magdala, für immer hierbleiben zu können. Ihr Herz ist ganz erfüllt, und doch will sie mehr. Mehr von Jesus. Mehr von seiner Liebe, seinem Mitgefühl, seiner Weisheit, seinem Verständnis. Sie könnte ihm von morgens bis abends nur zuhören.

Sie will die anderen Frauen gerade fragen, ob es ihnen ähnlich geht. Aber Tamar, die strahlende Ägypterin mit der Haut wie Ebenholz, und Ramah, die Liebste von Thomas, scheinen abgelenkt zu sein. Eine fremde Frau nähert sich – sie scheint ein paar Jahre älter zu sein als Jesus. Sie trägt ein prächtiges Gewand und ein edles Halstuch, was in der Hitze sehr warm gewesen sein muss.

„Entschuldigt“, sagt sie. „Ihr seid Anhänger des Lehrers, ja?“

„Ja“, sagt Maria. „Schalom.“

„Kann ich mit ihm sprechen?“

Tamar meldet sich zu Wort. „Er ist gerade im Aufbruch, so wie wir alle. Es war ein sehr langer Tag.“

Die Frau nimmt ihr Halstuch ab und dreht es um, sodass die orangefarbene Unterseite zu sehen ist. „Ich möchte euch das hier geben.“

Maria ist verblüfft. „Ich … äh … danke? Wofür denn?“ Sicherlich sieht keine der drei so aus, als hätten sie Verwendung für etwas so Edles. Selbst Tamars einst farbenprächtiges Kleid ist abgenutzt und verblasst.

„Es ist ein Geschenk, eine Spende“, sagt die Frau. „Es wurde keine Sammlung durchgeführt?“

„Er hat nicht darum gebeten“, sagt Ramah. „So kommst du nicht an ihn heran.“

Tamar tritt näher und reißt die Augen auf. „Ist das Shahtoosh?“ Sie greift nach dem Tuch und hebt es prüfend an die Augen.

Maria hat schon von dieser hochwertigen Wolle gehört, die aus den Haaren der Tibet-Antilope hergestellt wird, aber sie hat sie noch nie gesehen.

„Aus Nepal“, nickt die Frau.

„Du spendest das für unsere Arbeit?“, fragt Tamar beinahe ehrfürchtig.

„Ja, und das ist erst der Anfang.“

„Wer bist du?“, fragt Ramah.

„Ich bin Johanna. Und ich bringe Grüße für Jesus von jemandem … wenn ich nur ein paar Augenblicke mit ihm hätte …“

„Von wem?“, fragt Ramah.

Johanna wirkt zögerlich, flüstert dann aber: „Ich komme aus Machärus. Ich habe mit Johannes dem Täufer gesprochen.“

Johannes! Maria wirft der Frau einen kurzen Blick zu, dann ruft sie: „Andreas!“

Andreas verabschiedet gerade Z. und Nathanael, dann kommt er herüber und mustert die Fremde eingehend.

„Sie sagt, sie hat mit Johannes gesprochen – in Machärus.“

Andreas zieht die Brauen hoch. „Wann? Wie? Du hast ihn gesehen?“

„Mein Mann arbeitet am Hof des Herodes“, sagt Johanna, „deshalb hatte ich Gelegenheit, mit Johannes zu sprechen, seit er dort hingebracht wurde. Ich war von seinen Worten fasziniert und …“

Maria macht sich auf den Weg, um Jesus zu holen. Er wird das hören wollen.

Es war ein voller, anstrengender Tag, und Andreas dachte, dass es nicht besser werden könnte … und jetzt das. „Du hast mit ihm gesprochen? Geht es ihm gut? Was hat er gesagt?“

„Du bist Andreas?“

„Ja!“

„Er hat dich erwähnt. Du warst einer seiner Schüler.“

„Ja. Ist er verletzt?“

„Nein. Na ja … es ist natürlich kein guter Ort für ihn, und er hat einige wichtige Leute verärgert. Aber er wollte vor allem dich, Andreas, wissen lassen, dass er guter Dinge ist.“

„Kann ich ihn sehen?“

Maria kehrt mit Jesus zurück und stellt die beiden einander vor.

„Jesus. Natürlich“, sagt Johanna. „Ich habe die Predigt gehört.“

„Willkommen, Johanna. Du hast also mit meinem Cousin gesprochen?“

„Ja, und er hat mir gesagt, dass ich dich unbedingt hören muss. Als man in Machärus hörte, dass es diese Zusammenkunft geben sollte, hielt man das für unwichtig, aber Johannes dachte, das wäre eine gute Gelegenheit für mich.“

„Rabbi“, sagt Andreas, „ich möchte Johannes besuchen.“

„Nur einen Moment, Andreas.“ Jesus dreht sich wieder zu Johanna um. „Und, was wirst du ihm berichten?“

„Dass ich dich unterstützen möchte.“ Sie zögert, Tränen steigen ihr in die Augen. „Das war ein heilsamer Tag für mich, wie Johannes gesagt hat. Ich danke dir.“

„Ich bin froh, das zu hören.“

„Johannes wollte, dass ich dir sage, dass er sehnsüchtig darauf wartet, dass du zu Herodes kommst. Er glaubt, dass man sich am Hof uneinig ist über ihn. Und er sagt auch, dass man dich noch nicht ernst nimmt. Er glaubt, dass ein baldiger starker Auftritt von dir beide Probleme lösen könne. Er vertraut aber auch darauf, dass du den richtigen Zeitpunkt für ‚bald‘ wählst.“

Jesus lächelt. „Ja, natürlich. Danke, dass du mir das mitgeteilt hast. Und damit mein Schüler hier nicht weiter so mit den Zähnen knirscht – ist Johannes im Moment überhaupt in der Lage, Besucher zu empfangen?“

„Kommst du nach Machärus?“

„Nein, ich brauche etwas Zeit für mich allein. Aber wenn du es irgendwie schaffen könntest, dass Andreas hier sicher zu Johannes kommt …“

Andreas kann nicht verbergen, wie wichtig ihm das ist.

Johanna sagt: „Ich denke, ich könnte da wohl etwas arrangieren. Meine Männer bringen mich in Kürze in meinem Wagen zurück nach Machärus. Du kannst mich begleiten.“

„Danke!“, sagt Andreas. „Und ich danke dir, Rabbi.“

„Du musst Ruhe bewahren und vertrauen, Andreas. Aber vielleicht kannst du beides eher, wenn du Johannes gesehen hast.“

Andreas umarmt Jesus, und sie tauschen Segenswünsche aus. Als sich die kleine Gruppe auflöst, kommt Simon hinzu. „Was ist denn los?“, fragt er. „Ist alles in Ordnung?“

„Wir werden gleich aufbrechen, Andreas“, sagt Johanna und entfernt sich.

„Wer ist sie?“, fragt Simon.

„Ich reise zu Johannes. Sie traf ihn in Machärus.“

„Was meinst du? Das ist nicht …“

„Der Rabbi hat schon zugestimmt. Sie arbeitet am Hof von Herodes. Mach dir keine Sorgen um mich. Du musst mit Eden nach Hause gehen.“

„Ich kann dich nicht allein gehen lassen!“

„Ich komme schon zurecht.“

„Andreas …“

„Ich sagte, ich komme schon zurecht! Aber danke.“

„Wofür?“

Andreas ist plötzlich überwältigt. Trotz all ihrer Streitereien liebt er seinen Bruder, und es gibt niemanden, mit dem er lieber das größte Abenteuer seines Lebens teilen würde. „Weil du auf mich aufpasst. Auf alle. Das hast du immer getan. Du bist ein guter Anführer, und ich sage es nicht oft genug. Also nochmals: Danke.“

Jetzt wirkt Simon verlegen. Er lächelt und seufzt und legt eine Hand um Andreas’ Hinterkopf. „Sag Johannes Schalom von mir.“

„Wirklich?“

„Ich meine es ernst“, sagt Simon. „Mit Johannes hat alles angefangen. Er hat dich auf Jesus hingewiesen.“ Er drückt seine Stirn an die von Andreas. „Und du hast mich dann zu ihm mitgenommen. Ich danke Johannes, und ich danke dir.“ Er küsst Andreas auf die Wange. „Ich liebe dich, Bruder. Schalom.“

„Ich dich auch. Sehr. Schalom.“

Andreas macht Philippus ausfindig und winkt dem Neuankömmling Judas, sich zu den beiden zu gesellen. Er berichtet den beiden, was er vorhat, und lädt sie ein, so lange in seinem Haus zu wohnen. „Es ist klein, aber es wird schon gehen. Judas, Philippus kann dich in der Zwischenzeit auf den aktuellen Stand bringen.“

„Beschreib mir, wo dein Haus ist“, sagt Judas, „und ich werde es dann schon finden. Ich muss mich erst noch zu Hause um ein paar Dinge kümmern.“

Thomas steht allein am Rand des Geländes, wo die Predigt stattgefunden hat. Dieses Mal gab es keine Wunder, aber er wird nie vergessen, wie Jesus bei der Hochzeit in Kana Wasser in Wein verwandelte. Irgendwie hat er schon damals gespürt, dass er nie wieder derselbe sein würde, und das hat sich auch bewahrheitet. Und jetzt muss er seine Absichten in Bezug auf Ramah offensiver gestalten. Als Ramah, Maria und Tamar auf ihn zukommen, tritt er vor. „Ramah!“

Ramah verlässt die anderen, die zurückbleiben, und kommt zu ihm. „Und, hast du mit Johannes gesprochen?“

„Ja, es ist für alles gesorgt. Und mit dir, Tamar und Maria ist auch alles geklärt?“

„Ja.“

„Gut“, sagt Thomas. „Ich werde morgen vorbeikommen und nach dir sehen.“

Ramah lächelt ihn an. „Das dachte ich mir schon.“

Thomas tastet sich vor und fragt: „Ist nach der zweiten Mahlzeit ein guter Zeitpunkt?“

„Ich weiß noch gar nicht, was ich vorhabe.“

Ich muss es langsamer angehen!, denkt Thomas. „Oh!“, sagt er. „Ich kann auch später kommen.“

Sie lächelt breit. „Das war ein Scherz, Thomas.“

Uff! „Ah, so – natürlich.“ Er zögert, unsicher, was er jetzt tun oder sagen soll. Schließlich sagt er: „Na dann, Schalom.“

„Schalom.“

Er wendet sich zum Gehen.

„Thomas?“

Er wirbelt herum. „Ja?“

„Vielleicht möchtest du gleich nach der ersten Mahlzeit vorbeikommen?“

„Natürlich! Ich wollte dich nur nicht bedrängen. Wir haben ja in den letzten Wochen sehr viel Zeit miteinander verbracht.“

Sie lächelt. „Ich weiß.“

Oh … Ihm wird etwas klar.

Und sie fügt hinzu: „Ich hoffe nur, dass die Zeit der Trennung … nicht zu lang wird.“

Genau das, was er hören wollte. „Das wird sie nicht.“

„Gut“, sagt sie. „Das ist gut. Schalom.“

Thomas schaut Ramah nach, die zu Maria und Tamar zurückkehrt, dann bemerkt er Barnabas und Shula, die ihn von der Seite her angrinsen. Barnabas nickt und hebt anfeuernd die Faust. Thomas lächelt und geht davon, als ob er auf Wolken schweben würde.

Kapitel 6 JAIRUS

Synagoge von Kapernaum, Beth Midrasch

Yussif weiß kaum, was er mit sich anfangen soll. Er war immer in der Lage, seine persönlichen Gefühle von seiner Tätigkeit zu trennen, und Shmuel hat ihm absolute Disziplin beim nüchternen Nachdenken über die Heiligen Schriften antrainiert. Vor allem, dass er jeden Kommentar zur Thora mit Vorsicht und Ernsthaftigkeit bewerten soll.

Aber er muss sich eingestehen, dass etwas in ihm vorgeht. Er hat Dinge gesehen, gehört, erlebt, gespürt – alles wegen dieses merkwürdigen Predigers aus Nazareth.

Shmuel hatte ihn unter vier Augen ermahnt, einige Dinge, die Nikodemus – der große Lehrer aus Jerusalem – über Jesus gesagt hatte, nicht zu beachten. Es ist offensichtlich, dass Jesus seine eigenen Jünger nicht davon abgehalten hat, zu verkünden, dass er der Messias ist. Das ist ganz klar Blasphemie, die vom Sanhedrin in vollem Umfang geahndet wird.

Doch auch wenn er es sich kaum selbst einzugestehen wagt – Yussif beginnt möglicherweise, Nikodemus’ Ansicht über all das zu teilen. Wie Nikodemus will er zumindest Überlegungen darüber zulassen und offenbleiben für die Möglichkeit, dass dieser Vagabund tatsächlich „von Gott“ ist.

Nachdem er von dem Hügel, auf dem Jesus gepredigt hat, eilig zurückgekehrt ist, setzt sich Yussif, noch immer in seinem Tempelgewand, an seinen Schreibtisch, um seine noch frischen Gefühle und Eindrücke niederzuschreiben. Fieberhaft stürzt er sich mit seiner Feder auf eine neue Schriftrolle. Immer wieder muss er sie ins Tintenfass tauchen. Bald stellt er mit Erstaunen fest, dass die Flüssigkeit aufgebraucht ist – und das mitten im Gedanken. Aber kein Problem. Niv, der Verwalter der Synagoge, füllt ihm stets gern Tinte nach.

Sein Stuhl schrammt laut über den Steinboden, als Yussif aufsteht und zu Nivs Büro eilt. Dort trifft er auf einen Mann Mitte 30, der akribisch Schriftrollen in den Regalen an der gegenüberliegenden Wand zu ordnen scheint.

„Hallo?“, fragt Yussif.

Der Mann dreht sich um. „Hallo.“

„Bist du … wer bist du?“

„Ich bin Jairus.“

„Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Yussif. Äh, ist Niv hier?“

„Niv wurde versetzt. Ich bin der neue Synagogenverwalter.“

„Ich hatte keine Ahnung …“

„Dass er gehen wollte?“

„Nein, dass ich offenbar so unwichtig bin, dass niemand daran gedacht hat, es mir mitzuteilen.“

Jairus gluckst verhalten. „Ich würde mir keine Gedanken machen, Rabbi Yussif. Lass dir das von jemandem sagen, der schon oft versetzt wurde – der Abschied ist immer das Schwerste. Niv scheint die Nachricht für sich behalten zu haben, um eben das zu vermeiden.“

„Dann bist du also herumgekommen?“

„Kadesch, Joppe, Hebron und jetzt …“

„Galiläa. Willkommen, Jairus. Hast du Familie?“

Jairus nickt. „Frau und Tochter. Und so Adonai will, ist ein weiteres Kind unterwegs.“

„Ich gratuliere!“

„Danke, Rabbi. Und was ist mit deiner Familie? Ich hoffe, ich lerne sie bald kennen.“

„Meine Familie ist in Jerusalem“, sagt Yussif.

„Oh, das tut mir leid. Das muss schwer sein.“

Yussif zuckt mit den Schultern. „Ich wusste nicht, wie lange ich in Kapernaum bleiben würde. So oft umzuziehen, das muss auch schwierig sein. Deine Tochter, wie alt ist sie?

„Zwölf. Und ja, es ist schwierig für sie, Freunde zu finden. Für meine Frau auch. Aber neu und viel unter uns zu sein, lässt uns auch enger zusammenwachsen. Und ich versichere dir, dass mich das nicht davon abhalten wird, meine Pflicht zu erfüllen.“

Yussif nimmt das Büro in Augenschein, das bereits viel aufgeräumter ist, als es bei Niv je war „Anscheinend nicht. Ach, Jairus, ich brauche Tinte.“

„Ha! Du und alle anderen.“

„Haben wir keine mehr?“

„Eingetrocknet, fürchte ich. Ich habe bereits neue bestellt. Bis sie eintrifft, solltest du vielleicht bei einigen deiner weniger, ähm, produktiven Brüder nachfragen.“

Yussif schnaubt. „Dann müsste ich erklären, was ich schreibe.“ Er merkt, dass er Jairus’ Interesse geweckt hat, aber er hat den Mann gerade erst kennengelernt, also hält er sich besser zurück. „Ich werde auf meinen persönlichen Vorrat zurückgreifen.“ Damit wendet er sich zum Gehen.

Jairus ruft ihm nach: „Ich weiß eine Herausforderung zu schätzen, Rabbi Yussif.“

„Das wird hier von Vorteil sein.“ Yussif wendet sich wieder ab, aber Jairus ist noch nicht fertig. „Das ist einer der Gründe, warum ich so oft umgezogen bin. Ich bin dafür bekannt, dass ich Ordnung ins Chaos bringe. Nun, vielleicht übertreibe ich es dabei ein wenig. Gibt es irgendwo einen Aufruhr? Ungewöhnliche Ereignisse?“

Yussif starrt vor sich hin und weiß nicht, was er sagen soll. Zum Glück fährt Jairus fort. „Es hat sich herumgesprochen, dass in Kapernaum ungewöhnliche Dinge geschehen sind.“

Dann weiß er davon? „Das ist eine treffende Beschreibung“, gibt Yussif zu.

„Schreibst du vielleicht über solche ungewöhnlichen Dinge?“

Soll ich es ihm sagen? „Meistens.“ Yussif ist versucht, sich aus dem Staub zu machen, bevor er zu viel sagt, aber dann schlägt er doch alle Vorsicht in den Wind. „Gestern war ich Zeuge einer außergewöhnlichen Rede. Seitdem habe ich nicht mehr geschlafen. Der Prediger … er war brillant!“

„Faszinierend. Also wird es eine historische Aufzeichnung? Ein Brief? Willst du Anklage gegen ihn erheben?“

„Nein! Ich weiß noch nicht, was ich schreibe. Oder an wen ich es schicken werde. Ich bin mir nur sicher, dass ich festhalten muss, was ich gesehen und gehört habe.“

„Rabbi Yussif, ich habe da einen sicheren Ort. Ich nenne ihn den Keller. Dort kommen gewisse Dokumente hin – zum Abkühlen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft unsere Brüder etwas schreiben, von dem sie am nächsten Morgen wünschen, dass sie es nicht abgeschickt hätten. Manche Dokumente bleiben monatelang in diesem Keller. Er ist verschlossen und sein Inhalt absolut vertraulich. Klingt das nach einem Ort, an dem du dein Dokument aufbewahren möchtest?“

Yussif mag den neuen Mann schon jetzt. „Ich wette, der Abschied fiel den Menschen, mit denen du bisher gearbeitet hast, tatsächlich sehr schwer, Jairus.“