Tod im Höllental - Astrid Fritz - E-Book

Tod im Höllental E-Book

Astrid Fritz

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Beschreibung

November 1416: Die ehemalige Begine Serafina heiratet endlich ihre große Liebe, den Stadtarzt Achaz. Sie bleibt der Schwesternsammlung aber nach wie vor verbunden. Die plagen seit kurzem große Sorgen: Ein Basler Wanderprediger hetzt gegen die freien Schwestern auf, an ihren Häusern prangen schon Wandschmierereien. Und dann der Schock: Eine Lämmlein-Schwester wird in einer Gasse erschlagen aufgefunden. Die Situation spitzt sich zu, als Catharina, die Meisterin der Beginen, schwer verletzt von ihrer Reise nach Villingen zurückgebracht wird, wo sie den Bischof als Fürsprecher gewinnen wollte. Sie musste den Weg durch die enge Schlucht bei der Ruine Falkenstein nehmen, genannt Höllental, und wurde an einer Engstelle blutüberströmt vorgefunden. Nun beschließt Serafina, selbst nach Konstanz aufzubrechen. Dafür muss auch sie das Höllental passieren … Der vierte Fall der ehemaligen Begine Serafina

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Astrid Fritz

Tod im Höllental

Historischer Roman

Über dieses Buch

Von Liebe, Tod und Teufel

November 1416: Die ehemalige Begine Serafina heiratet endlich ihre große Liebe, den Stadtarzt Achaz. Sie bleibt der Schwesternsammlung aber nach wie vor verbunden. Die plagen seit kurzem große Sorgen: Ein Basler Wanderprediger hetzt gegen die freien Schwestern auf, an ihren Häusern prangen schon Wandschmierereien. Und dann der Schock: Eine Lämmlein-Schwester wird in einer Gasse erschlagen aufgefunden.

Die Situation spitzt sich zu, als Catharina, die Meisterin der Beginen, schwer verletzt von ihrer Reise nach Villingen zurückgebracht wird, wo sie den Bischof als Fürsprecher gewinnen wollte. Sie musste den Weg durch die enge Schlucht bei der Ruine Falkenstein nehmen, genannt Höllental, und wurde an einer Engstelle blutüberströmt vorgefunden. Nun beschließt Serafina, selbst nach Konstanz aufzubrechen. Dafür muss auch sie das Höllental passieren …

 

Der vierte Fall der ehemaligen Begine Serafina

Vita

Astrid Fritz studierte Germanistik und Romanistik in München, Avignon und Freiburg. Als Fachredakteurin arbeitete sie anschließend in Darmstadt und Freiburg und verbrachte mit ihrer Familie drei Jahre in Santiago de Chile. Heute lebt Astrid Fritz in der Nähe von Stuttgart.

Dramatis Personae

Die Hauptpersonen

Serafina Stadlerin: Mit ihren etwas über dreißig Jahren ist sie zwar schon reiferen Alters, doch das tut ihrer unerschrockenen Neugier keinen Abbruch: Wo immer es in ihrer neuen Heimatstadt Freiburg nicht mit rechten Dingen zugeht, steckt sie vorwitzig ihre Nase hinein. Nicht einmal die bevorstehende Hochzeit mit ihrer großen Liebe Adalbert Achaz kann sie davon abhalten, auf Spurensuche zu gehen. Zumal, wenn es um ihre Beginenschwestern geht, mit denen sie eine wunderbare Zeit verbracht hat

Adalbert Achaz: Studierter Medicus, Freiburger Stadtarzt und mittlerweile auch Ratsherr. Er stellt ein stattliches Mannsbild dar, hat aber allzu lange als einsamer Wolf mit seiner alten Magd Irmla zusammengelebt. So hat es denn auch geraume Zeit gebraucht, bis er sich mit seiner Liebe zur Begine Serafina nicht mehr selbst im Wege stand. Die letzten Tage vor der ersehnten Hochzeit hätte er sich allerdings anders gewünscht

Vitus: Der mehr oder weniger heimliche Sohn von Serafina. Für diesmal darf der Siebzehnjährige, der mit der Straßburger Compania als Gaukler durch die Lande zieht, unter den Hauptfiguren aufgeführt werden, da er einen großen Auftritt hat und mannigfache Talente beweist

Die Schwesternsammlung zu Sankt Christoffel

Mutter Catharina: Hält als strenge, aber mütterlich-gerechte Meisterin Aufsicht über die Ordnung des kleinen Konvents und macht sich zu dessen Wohl sogar auf eine höchst gefährliche Wanderschaft. Wie Serafina hat auch sie ihr kleines Geheimnis im früheren Leben, allerdings ist ihr weniger Glück in Sachen Liebe beschieden. Auch wenn sie ihrem Glück in diesem Fall ganz, ganz nahe kommt

Grethe: Die Jüngste im Bunde. Fröhlich, großherzig und allem zugetan, was mit Kochen, Backen und vor allem Essen zu tun hat, wie ihrem rundlichen Leibesumfang deutlich anzusehen ist. Für Serafina ist sie schnell zur guten Freundin geworden und fast immer zur Stelle, wenn es brenzlig wird

Hedwig von Üsenberg: Reichlich undurchsichtiger Neuzugang aus einem Basler Damenstift. Die ebenso vornehme wie frömmlerische Frau um die vierzig, Spross eines im Mannesstamm erloschenen Adelsgeschlechtes, hat ihre besten Zeiten hinter sich und lässt sich auf eine höchst verhängnisvolle Affäre ein

Heiltrud: Sie gibt sich zumeist sauertöpfisch und hartgesotten, doch Serafina weiß längst, wie man sie zu nehmen hat

Die alte Mette: Ein kränkliches Persönchen, das sich als Magd krumm und bucklig geschuftet hat. Darf jetzt ihren Lebensabend mit leichteren Arbeiten wie Kerzenziehen gestalten

Brida von Stühlingen: Die verwöhnte junge Halbwaise aus einem verarmten Rittergeschlecht war gegen ihren Willen bei den Beginen gelandet, hat sich aber wider Erwarten bestens eingelebt

Mischlingshündchen Michel: Einziges männliches Mitglied im Beginenhaus. Sobald es gefährlich wird, ist er mit dabei – wenn auch nicht immer an Serafinas Seite

Und zumindest bis zum Anfang unseres Abenteuers gehört natürlich auch Serafina dazu – siehe oben

Der Freundeskreis

Bruder Matthäus: Prior der Wilhelmiten-Mönche. Der offenherzige Mann ist ein alter und vor allem guter Bekannter von Meisterin Catharina. Ihr zuliebe nimmt er jede Gefahr auf sich

Irmla: Adalbert Achaz’ bärbeißige alte Magd, die auch mal äußerst laut werden kann. Aus rauem Holz geschnitzt, ihrem Dienstherrn dafür umso treuer ergeben. Erstaunlicherweise hat Serafina es dennoch geschafft, ihr Herz zu gewinnen

Ratsherr Laurenz Wetzstein: Zunftmeister der Bäcker und gemeinsam mit seiner Frau Unterstützer der Christoffelsschwestern. Der besonnene, schmerbauchige kleine Mann ist für Serafina und Achaz ein Fels in der Brandung, wenn den übrigen Freiburger Ratsherren wieder einmal nicht zu trauen ist

Kräuterfrau Gisla: Noch fit im hohen Alter dank ihrer Kräutertränke. Spielt diesmal nur im Hintergrund mit: Sie soll Serafina bei ihrem Herzenswunsch unterstützen

Gallus Sackpfeiffer: Dass der oberste Stadtbüttel, bislang eher ein grober Klotz und nicht gerade höflich im Umgang mit Serafina, hier nun unter dem Freundeskreis aufgeführt wird, ist zwar verwunderlich, aber dennoch kein Druckfehler

Freiburger Ratsherren

Andreas Schneehas: Der Silberkrämer, den Beginen alles andere als wohlgesonnen, hat große Pläne für die Stadt Freiburg. Allzu blauäugig glaubt er dabei, leichtes Spiel zu haben

Ratsherr Pfefferkorn: Der aus Band 1 wohlbekannte Kaufherr gibt sich wiederum alle Mühe, ein gutes Wort für die Beginen einzulegen – und tut es wiederum vorerst vergeblich

Metzgermeister Eberhart Grieswirth: Der dicke Mensch, mit seinen Zipperlein einer der Dauerpatienten des Stadtarztes, knickt allzu schnell ein im Beginenstreit

Seilermeister Pongratz: Vom Altgesellen zum Seilermeister aufgestiegen und sogar in den Magistrat gewählt. Als Nachbar der Christoffelsschwestern ein stets verlässlicher Freund, der im Gegensatz zum dicken Grieswirth standhaft bleibt

Apotheker Johans: Der Stadtapotheker hat allen Grund, Serafinas Heirat mit Achaz mit Misstrauen zu beobachten

Goldschmiedemeister Quintlin: Hatte für die Freiburger Beginen noch nie viel übrig und schlägt sich daher gern auf Silberkrämer Schneehas’ Seite

Laurenz Wetzstein: siehe oben

Mitspieler, bei denen Vorsicht geboten ist

Elisabeth Marschelkin: Geschäftstüchtige Meisterin der Lämmlein-Schwestern, welche sich hauptsächlich durch ihren Gewerbefleiß im Spinnen und Weben hervortun. Zeigt sich nicht eben hilfsbereit, als man ihre Unterstützung braucht, obwohl es auch ihrer Sammlung an den Kragen geht

Wandermönch Bruder Thomas: Der dickliche Hassprediger aus Basel bringt die Sache überhaupt erst ins Rollen, hat den Ausgang aber mit Sicherheit falsch eingeschätzt

Dessen Scholar: Der junge Gelehrte ist seinem Herrn wie ein Hündchen ergeben, verplappert sich aber gern einmal

Köhlervater Rupert: Der eher einfältige Riese lässt sich auf die falschen Freunde ein, bis er aus dem Schlamassel, den er angerichtet hat, nicht mehr herausfindet

Alte Köhlerfrau: Das verlotterte alte Weib von Rupert will endlich aus ihrer verlotterten alten Köhlerhütte heraus. Für eine gute Milchkuh und schöne Kleider ist sie zu allem bereit

Köhlersohn Klewi: Ist ganz nach seiner Mutter geraten und macht den Fehler, Serafinas Hund zu nahe zu kommen

Gastwirt Henni: Der kahlköpfige Wirt aus dem Höllental tut sich als zweifelhafter Braumeister hervor

Endres: Ehemaliger Gefängniswärter im Christoffelsturm. War ihm einst seine Spielsucht fast zum Verhängnis geworden, hat er nun seinen Hang zu großem Theater entdeckt

In kleineren, dennoch wichtigen Rollen

Prinzipal Don Giacomo: Leiter der Straßburger Compania, Brotherr von Vitus und Vater einer bildschönen Tochter

Münsterpfarrer Heinrich Swartz: Er soll dem Brautpaar seinen Segen spenden – sofern es denn überhaupt zur Hochzeit kommt

Wundarzt Meister Henslin: Dieser eher farblose Mensch ist, als es darauf ankommt, mit seinem Latein leider am Ende

Gottschalk, der Stadtbote: Der weitschweifige Umstandskrämer springt am Ende noch über seinen eigenen Schatten

Kammmacher Bertschis Weib: Bei ihr hat die Beginenhetze schon Früchte getragen – sie will nichts gesehen noch gehört haben

Historische Mitspieler am Rande

Die Falkensteiner Sippschaft: Von Ritter Kuno erfahren die Leser eine gar rührende Geschichte, dessen Raubritter-Nachfahren hingegen haben sich weniger mit Ruhm bekleckert. Immerhin stellen sie ihre Burg (Ende 1388 von den erbosten Freiburgern zur Ruine geschleift) als Schauplatz für dieses Abenteuer zur Verfügung

Schultheiß Paulus von Riehen: Entstammt einem der vornehmen Freiburger Geschlechter und war 1415 bis 1419 Schultheiß der Stadt, also das vom Landesherrn eingesetzte Gerichts- und Stadtoberhaupt

Abrecht von Kippenheim: Ebenfalls ein Spross der Vornehmen, war einer der jährlich vom Rat gewählten Bürgermeister der Stadt

Johans von Gloter: Ob der Freiburger Stadt- und Kanzleischreiber von Gloter, der zeitweise auch das Amt des Bürgermeisters innehatte, tatsächlich der Völlerei gefrönt hat, ist nicht belegt. Wie alle Männer, die dieses Amt ausübten, war er aber mit Sicherheit höchst gebildet

Die Snewlin-Sippe: Diese weitverzweigte, steinreiche und einflussreiche Familie gehörte sozusagen zum Freiburger Hochadel und besetzte immer wieder die höchsten Ämter der Stadt

Fürstbischof von Basel: Der aus burgundischem Adel stammende Humbert von Neuenburg war von 1395 bis 1417 Bischof und Territorialherr zu Basel. Historisch tat er sich unrühmlich hervor, indem er zwischen 1405 und 1410 die Basler Beginen enteignete und aus seinem Fürstbistum vertrieb

Fürstbischof von Konstanz: Der bau- und ausgabefreudige Otto von Hachberg war von 1410 bis 1434 Fürstbischof von Konstanz. Zudem Gastgeber des Konstanzer Konzils, einer Versammlung der Kirchenoberen mit dem Ziel, dem höchst misslichen Zustand von drei Päpsten gleichzeitig ein Ende zu setzen

Prolog

«Und so frage ich euch», finster schweifte der Blick des Predigers über die Handvoll Zuhörer, «warum sich dieses Beginengesindel nicht unserer heiligen römischen Kirche und der städtischen Obrigkeit unterordnen will.»

Der dickliche Mann Gottes, der da auf der Treppe zur Spitalkirche die Faust in die Höhe reckte, trug die schwarz-weiße Ordenstracht der Dominikanermönche. Zwei Stufen unter ihm hielt sein junger Begleiter ein silbernes Kruzifix vor die Brust, als wolle er drohenden Schadenszauber abwehren.

«Ich will es euch sagen», donnerte der Wandermönch erneut los. «Weil sie ketzerischen Lehren frönen! Heimlich, bei sich zu Hause, aber auch offen in euren Häusern. Hier in Freiburg, mitten unter euch! Sie nennen sich Regelschwestern, Willige Arme Schwestern, aber es sind Abtrünnige, ketzerische Weibspersonen, die ohne jegliche Kontrolle männlicher und geistlicher Autorität in ihren Sammlungen gotteslästerliche Riten pflegen.»

«So lasst doch die lieben Schwestern in Ruh!», rief ein älterer Bürgersmann. «Sie tun mehr Gutes als jede Klosterfrau.» – «Recht hat er, der Heinzmann. Wer sonst kümmert sich um die Armen, Kranken und Sterbenden?»

«Oh, wie lasst ihr euch da blenden.» Die Stimme des Predigers wurde schärfer. «Nicht um zu helfen, kommen sie in eure Häuser, sondern euch zu verführen. Gewiss, sie tragen eine Tracht wie Ordensfrauen und führen das Wort Gottes im Munde, aber sie sind weltlich wie ihr, bloß dass sie nicht von ihrer Hände Arbeit leben, sondern gleich elenden Schmarotzern von euren Almosen!»

Der Markt auf der Großen Gass war inzwischen zu Ende gegangen, und dem Häuflein an Zuhörern hatten sich ein paar mehr Neugierige angeschlossen. Eine Greisin reckte bei den letzten Worten erbost den Hals:

«Das ist Verleumdung! Die Christoffelsschwestern haben meine arme alte Schwester im Tode gepflegt! Wer seid Ihr überhaupt, dass Ihr hier so große Reden schwingt?»

Der Prediger beachtete sie nicht. Ungerührt fuhr er fort:

«Warum also weigern sich diese falschen Schwestern, das Gelübde abzulegen, auf ihr Eigentum zu verzichten und einer Ordensregel zu folgen? Ich will es euch sagen: Weil sie den Pfad der Demut, der Buße und des Gehorsams verlassen haben. Mehr noch: Ihr Geist ist verwirrt! Sie verbreiten Lügen über die Heiligste Dreifaltigkeit, über die göttliche Wesenheit und über die Sakramente der Kirche. Hängen der ketzerischen Lehre von Sündlosigkeit und Gottgleichheit des Menschen an, maßen sich an, predigen zu dürfen und sich gegenseitig die Beichte abzunehmen. Schlimmer noch: Unter dem Deckmantel der Fürsorge verrichten sie in euren Häusern Priesterdienste, wie uns zu Ohren gekommen ist, sehen sich selbst als Heilige an! Dabei sind diese Frauen des Teufels und gehören ausgemerzt wie seinerzeit in meiner Heimatstadt Basel.»

Kapitel 1

«Es darf wirklich kosten, was es wolle?», fragte Grethe zum wiederholten Male. Sie saßen im Haus Zum Christoffel in der warmen Küche, vor sich auf dem Tisch eine Schiefertafel mit Griffel und Schwämmchen, auf der Serafina die Speisenfolge vermerkte, um beim Einkauf nur ja nichts zu vergessen. Draußen herrschte dichter Novembernebel, und vom Gang über den Markt hatte Grethe noch ganz rote Wangen.

Serafina lachte. «Aber ja doch.»

«Dann wisch nur alles wieder aus, was du geschrieben hast. Weißkohl und Rüben mit Bratwurst und Schweinsbraten – das mag für ein Sonntagsessen in unserer Sammlung gehen, nicht aber für ein Festbankett!»

«Nun ja», Serafina tat, wie ihr geheißen, «war ja nur ein Vorschlag. Dann schieß los.»

Ihre Freundin Grethe war nicht nur Küchenmeisterin der Christoffelsschwestern, sondern auch eine ausgemachte Feinschmeckerin, wie man ihrer rundlichen Gestalt ansehen konnte. Am besten würde Serafina ihr die Speiseplanung uneingeschränkt überlassen und sich selbst auf die Gestaltung des Tischschmucks beschränken. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits mit weißem Linnen eingedeckte Tafeln, auf denen Sträußchen aus Herbstlaub und Hagebutten verteilt waren.

Grethes rosiges Gesicht mit dem Herzchenmund strahlte.

«Gut. Ich denke an sieben Gänge, dazu ausreichend feines Herrenbrot. Einverstanden?»

«Mehr als sieben Gänge wär auch nur dem Ritterstand erlaubt. Aber einverstanden. Die Sieben ist eine gute Zahl – die sieben Sakramente, die sieben Tage der Schöpfung …»

«Und die sieben Todsünden, allen voran die Völlerei», feixte Grethe. «Alsdann würde ich sagen: Vorweg eine Eiersuppe mit Honig und Rosinen, dann Grünkraut mit Bratwürsten für den ersten großen Hunger – nein, das lassen wir weg, das ist zu bäurisch. Besser Sulz von jungen Spanferkeln auf Linsen in süßsaurer Tunke.»

«Nicht so schnell, ich komm kaum hinterher.»

Ein wenig langsamer, doch ohne groß nachzudenken, fuhr Grethe fort:

«Zum Dritten: Pastete vom Wild in Ingwertunke. Zum Vierten: gebackenes weißes Ochsenfleisch auf gesüßten Pastinaken. Zum Fünften: gesottene Forellen mit eingelegten Flusskrebsen. Zum Sechsten: glasierter Kapaun mit Dörrpflaumen gefüllt. Und zum Abschluss etwas Süßes. Was hältst du von Anispfannkuchen und Mandeltörtchen?»

«Wunderbar!» Serafina schrieb die letzten Stichworte nieder. «Alles bestens, Grethe.»

«Und das wird wirklich nicht zu kostspielig?»

«Solange du nicht mit Blattgold überzogene Wachteln vorschlägst, wird Achaz mit allem einverstanden sein.»

«Was hast du nur für ein Glück mit diesem Mann, Serafina!»

Serafina lächelte. «Ja, das habe ich.»

Sie lehnte sich zurück und schloss für einen Augenblick die Augen. Ein freudiger Schauer fuhr ihr über den Rücken. In gut einer Woche, am Tag vor Martini, würde sie ihre Kutte ablegen und fortan die Frau des Stadtarztes sein. Vor den Zeugen der Hochzeitsgesellschaft würden sie sich das Jawort geben, zur Nacht dann würde Adalbert Achaz sie in sein Haus führen und am nächsten Morgen zum Münster Unserer Lieben Frau, damit Pfarrer Swartz ihre Ehe segnete.

Alles war in die Wege geleitet: Die Eheschließung vom Magistrat bewilligt, das öffentliche Aufgebot erfolgt, ihr Festtagsgewand bei Schneidermeister Rothenkopf in Auftrag gegeben. Auch mit dem Münsterpfarrer und dem Wirt des «Elephanten» hatten sie bereits alles besprochen. Den Zeitpunkt ihrer Hochzeit hatten sie mit Bedacht gewählt, denn mit Martini begann das sechswöchige Fasten der Adventszeit, das die Bürgersleute zwar allenfalls an den Freitagen einhielten, Serafinas Mitschwestern hingegen selbstredend sehr ernst nahmen.

Wie würde es wohl sein, an Achaz’ Seite zu leben? Würde sie sich wohl fühlen als Ehefrau in einem solch feinen Bürgerhaus, in dem es an nichts mangelte und eine Magd für Behaglichkeit sorgte? Sie war in einem bescheidenen Häuschen auf dem Dorf aufgewachsen, inmitten einer großen Familie und schon als Kind mit vielerlei Aufgaben betraut, hatte dann als Dienstmagd in Radolfzell in einer Dachmansarde gehaust und in Konstanz schließlich, während einer nicht gerade ehrenhaften Zeit, zwei winzige Kammern im Haus Zum Blauen Mond bewohnt. Ihr schauderte, als sie an diese Zeit zurückdachte.

Auch hier, im Haus Zum Christoffel, war alles recht einfach, und seit Hedwigs Einzug teilte sie sich die Schlafkammer mit Grethe. Aber sie hatte sich längst daran gewöhnt, in enger Gemeinschaft mit anderen zu leben, und womöglich würde sie sich an Tagen, wo Achaz unterwegs war, recht einsam fühlen.

Die Meisterin, die jetzt den Kopf durch die offene Küchentür streckte, riss sie aus ihren Gedanken.

«Serafina, könntest du für Mette nachher den Dienst in der Elendenherberge übernehmen? Ihr ist wieder einmal die Hex ins Kreuz gefahren.»

«Die Arme. Aber wäre heut nicht das Regelhaus der Thurnerin an der Reihe?»

Die Elendenherberge war eine Einrichtung in der Neuburgvorstadt. Im Wechsel mit den Thurnerin-Schwestern, die dem Prior der Dominikaner unterstanden, kümmerten sich die Beginen dort um Pilger, bedürftige Wanderer und die ärmsten der Freiburger Hausarmen, sie beteten und sangen mit ihnen, wechselten Verbände oder trugen Salben auf, wenn es denn nötig war.

Mutter Catharina schüttelte den Kopf.

«Nein, wir haben doch getauscht, hast du das vergessen?» Sie lachte leise, und auf ihren Wangen zeichneten sich zwei tiefe Grübchen ab. «Kein Wunder. In Gedanken bist du wohl schon ganz bei deiner Hochzeit. Nun denn, in etwa einer Stunde brechen wir auf.»

Als sie in Richtung ihrer kleinen Schreibstube verschwunden war, sagte Grethe: «Ich glaube, sie nimmt es sehr schwer, dass du uns verlässt, auch wenn sie’s nicht zeigt. Erst recht, wo sie dich so gern als ihre Nachfolgerin gesehen hätte bei der letzten Meisterinnenwahl.»

«Ich weiß. Aber ich wäre als Meisterin sowieso nicht geeignet gewesen. – Jetzt schau mich nicht so betrübt an.»

«Mich hat’s halt auch traurig gemacht, als du es uns gesagt hattest. Und ich bin’s immer noch.»

«Ach, Grethe!» Serafina umarmte ihre Freundin. «Von hier bis zum Haus Zum Pilger ist’s ein Katzensprung. Wir werden uns sehen, so oft es passt, und außerdem werde ich mit euch weiterhin die Frühmesse bei den Barfüßern besuchen, wo das doch sozusagen vor der Haustür ist.»

Dabei würde auch ihr der Abschied schwerfallen. Über eineinhalb Jahre lang hatte sie mit diesen Frauen in tiefer Verbundenheit gelebt – mit Frauen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Da war die mütterliche, herzenswarme Catharina, die nun erneut zur Meisterin gewählt worden war, auch wenn dies nach der Hausregel nur in Ausnahmefällen erlaubt war; dann die alte Mette, die trotz ihrer Gebrechen niemals klagte und mit ihrer Kerzenwerkstatt ganz erheblich zum Unterhalt des Hauses beitrug; die hinkende Heiltrud, die zwar ein mürrisches Wesen, aber einen weichen Kern hatte; die verwöhnte junge Brida, die nach langem Anlauf nun doch in ihre Gemeinschaft gefunden hatte; und schließlich die lebenslustige Grethe, die Köchin, mit der man Pferde stehlen konnte. Trotz des Altersunterschieds waren sie und Serafina beide sehr schnell zu engen Freundinnen geworden.

In jüngster Zeit war noch Hedwig von Üsenberg hinzugekommen, eine vornehme Frau um die vierzig. Sie entstammte einem im Mannesstamm erloschenen Adelsgeschlecht und mochte früher eine Schönheit gewesen sein mit ihren großen, dunklen Augen und den vollen Lippen. Jetzt indessen wirkte ihr faltiges, graues Gesicht verlebt, ihre Stimme war rau wie die eines Mannsbildes. In ihrem frömmlerischen Gebaren erinnerte sie an die junge Adelheid und deren Hang zu geheimnisvollen Gotteserfahrungen, was ihrer Gemeinschaft einmal fast zum Verhängnis geworden wäre. Hedwig war zwar längst nicht so belesen wie Adelheid, die inzwischen bei den Dominikanerinnen im Kloster Adelhausen lebte, dafür hielt sie sich streng an das Psalmwort «Siebenmal am Tag singe ich dein Lob, und nachts stehe ich auf, um dich zu preisen»: Bei jeder Gelegenheit fiel sie auf die Knie, um zwanzig Paternoster mit den Ave-Maria zu sprechen. Obendrein hatte sie, genau wie Adelheid, Mühsal und Arbeit nicht gerade erfunden. Aber wer weiß, vielleicht mochte auch sie bald eine echte Christoffelsschwester abgeben – bei Brida hätte es schließlich auch keiner gedacht.

Grethe wischte sich über die Augen. «Hast recht, bist ja nicht aus der Welt. Sag mal, was bekommst du eigentlich als Brautgabe von Achaz?»

«Ach, eigentlich wollte ich gar nichts haben. Aber dann ist mir doch ein Wunsch eingefallen: dass ich nämlich im Haus Zum Pilger meine kleine Apotheke weiterführen möchte. Du verstehst schon – für euch und alle Bedürftigen in der Stadt. Die Meisterin würde mir das Kräuterbeet im Garten überlassen, und unsere gute alte Gisla würde mich mit ihren Wildkräutern unterstützen. Und mir mit ihrer Erfahrung weiterhin zur Seite stehen.»

«Und was hat der Stadtarzt dazu gesagt?»

«Er hat die Arme zum Himmel gereckt und gerufen: ‹Bei den heiligen Brüdern Cosmas und Damian – nur das nicht!›», grinste Serafina.

«Im Ernst?»

«Das war ein Scherz, du kennst ihn doch. Er will sich jedenfalls beim Magistrat dafür einsetzen. Hoffen wir das Beste.»

Ihr Blick fiel auf die Schiefertafel, und sie musste plötzlich kichern wie ein junges Mädchen. Über die süßsauren Linsen würde Achaz nicht gerade begeistert sein – zu kalt für diese Jahreszeit. Im Geiste hörte sie ihn in seinem bedächtigen Gelehrtenton aus irgendeiner seiner Schriften dozieren:

«So möge man im Winter, der als feucht und kalt gilt, möglichst viel essen und möglichst wenig trinken, um den Körper warm und trocken zu halten. Nach dem Prinzip Contraria contrariis curantur sollten daher bei kühlem Wetter Speisen mit den Beschaffenheiten heiß und trocken gegessen werden, wie etwa der Knoblauch, der Anis oder die Petersilie.»

«Warum lachst du?», fragte Grethe.

«Ich musste nur eben an Achaz denken. Vielleicht solltest du noch an eines der Gerichte Knoblauch oder Petersilie tun.»

«Meinetwegen. Wobei ich Knoblauch nicht besonders mag. Was ist eigentlich mit Musik und Tanz? Hast du dich schon um Spielleute gekümmert?»

«Nein, warum auch? Schließlich kommt Vitus mit seiner Gauklertruppe zum Martinimarkt nach Freiburg.»

«Stimmt!» Grethe schlug sich gegen die Stirn und grinste breit. «Deshalb habt ihr ja auch ein halbes Jahr gewartet mit eurer Hochzeit. Ich wette, Achaz hätte dich am liebsten gleich vom Fleck weg geheiratet. Ich hab ja von Anfang an gemerkt, dass der Stadtarzt bis über beide Ohren verliebt in dich war.»

Sie schlug Serafina auf die Schulter.

«Ich an deiner Stelle hätt nicht so lang gewartet – kannst froh sein, dass dich in deinem Alter überhaupt noch einer nimmt», sagte sie neckend.

«Werd nicht frech, du Küken. Mit knapp über dreißig bin ich schließlich noch keine Greisin.»

Wobei Grethe natürlich recht hatte. Sie hätten längst geheiratet, wenn es ihr nicht so überaus wichtig gewesen wäre, dass Vitus mit dabei war, ihr inzwischen erwachsener Sohn, der mit seiner Straßburger Compania durch die Lande zog und den sie vor den anderen als ihr Paten- und Schwesterkind ausgab. Außer Grethe, der Meisterin und Achaz wusste nämlich niemand um ihre unrühmliche Vergangenheit.

Als sie Vitus kurz vor Ostern das letzte Mal gesehen hatte, auf dem Freiburger Frühjahrsmarkt, da hatten weder er noch sie geahnt, dass sie bald schon ihre Beginenkutte ablegen würde. Erst recht nicht, dass Stadtarzt Adalbert Achaz um ihre Hand anhalten würde. Jetzt hoffte sie inständig, dass die Gauklertruppe bald schon eintreffen und die vollen acht Tage des Jahrmarkts in der Stadt bleiben würde.

Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Bitte, lieber Gott, lass nichts dazwischenkommen und bring mir meinen Jungen zum Martinimarkt hierher.

Kapitel 2

Serafina und Grethe schraken auf, als es heftig gegen das Hoftor polterte und Michel, der Hund, zu bellen begann. Sie streckten den Kopf zum Fenster hinaus, doch in dem Nebel war niemand zu erkennen. Als sie den mannshoch ummauerten Hof betraten, stand Heiltrud schon am Tor.

«Wer macht da solch einen Lärm?», schimpfte sie und scheuchte ein Huhn zur Seite.

«Ich bin’s, der Ponkratz!» Die Stimme klang aufgeregt. «Ich muss euch was zeigen.»

Heiltrud schob den schweren Riegel zurück, und sie traten hinaus auf das menschenleere Brunnengässlein. Hinter den allseits geschlossenen Läden rundum hörte man gedämpft das Klappern, Hämmern und Klopfen der Handwerker, die in diesem schmalen Gässchen ihre Werkstätten hatten.

Ihr freundlicher Nachbar von schräg gegenüber, der sonst die Ruhe selbst war, wirkte ganz und gar außer sich. Michel wedelte ihn mit seiner drollig nach oben geringelten Rute freudig an, doch für diesmal beachtete Pongratz ihn nicht. Er winkte die Frauen auf die Gasse hinaus.

«Seht euch das an, ihr lieben Schwestern.» Seine Hand zitterte, als er auf die Außenmauer deutete.

Serafina traute ihren Augen nicht. In blutroter Farbe hatte dort jemand das halb vollendete Wort «Ketzeri…» auf das Mauerwerk geschmiert.

«Was steht da?», fragte Heiltrud, die wie Grethe und die alte Mette kaum lesen und schreiben konnte.

«Da will uns wohl jemand als Ketzerinnen verleumden», murmelte die Meisterin und berührte den noch feucht glänzenden Schriftzug. Bis auf Brida, die heute Dienst im Heilig-Geist-Spital hatte, hatten sich inzwischen alle Beginen auf der Gasse versammelt und starrten nun ungläubig auf die Mauer.

«Was für eine Schweinerei!», stieß Grethe hervor, und Hedwig, die Neue, bekreuzigte sich, um sogleich mit zusammengelegten Händen ein Gebet zu murmeln.

Heiltrud stemmte wütend die Arme in die Seite. «Du sagst es. Das ist frisches Schweineblut. Hol Schwamm und Schrubber und einen Eimer mit Wasser! Wir müssen das sofort wegmachen.»

Grethe verschwand, für diesmal ohne gegen Heiltruds Befehlston aufzumucken.

«Geh du nur wieder hinein, Mette», beschied die Meisterin. «Die feuchte Kälte tut deinem Rücken nicht gut.»

Dann wandte sie sich an Pongratz. «Habt Ihr irgendjemanden gesehen?»

«Das schon, aber nicht erkannt. Ich hatte gerade meine Handkarre aus dem Tor gezogen, als sich jemand im Nebel an eurer Mauer zu schaffen machte. Ich hab dann laut gerufen ‹He, was soll das?›, und dann ist die Person davongerannt in Richtung Sattelgasse.»

«Also habt Ihr sie nicht erkannt.»

«Nein. Wie auch bei diesem Nebel? Es war jemand in langem Mantel und Kapuze, wie die meisten bei diesem Wetter.»

«Dann ist Euch nichts Besonderes aufgefallen?»

Pongratz zuckte die Schultern.

«Dem flinken Gang nach war es ein junger Mann. Vielleicht auch ein Weib, ganz sicher bin ich mir nicht.»

«Was für ein Frevel!», ließ sich Hedwig lautstark vernehmen, nachdem sie ihr Gebet vollendet hatte, und rollte empört mit den Augen. «Uns vor aller Welt der Ketzerei zu verdächtigen. Das müssen wir umgehend dem Rat melden.»

«Überlass das am besten unserer Meisterin», gab Serafina ihr schnippisch zu verstehen. Ihrer Meinung nach sollte Hedwig den Mund nicht so voll nehmen, sondern sich lieber selbst vorsehen mit ihrem Hang zu übertriebenen Glaubensbekundungen und Geschichten über Gotteserfahrungen. Erst gestern wieder, auf dem Heimweg von der Frühmesse, hatte sie ihren Mitschwestern vorgeschwärmt von der seligen Schwester Wiltrud, die in solch glühender Minne zum Heiland entbrannt war, dass man ihr während der Andacht eine Nadel durch die Ferse stechen konnte, ohne dass sie es merkte, und der zu jedem Freitag so viel Blut aus dem offenen Mund floss, dass es ein ganzes Becken füllte. Als Mutter Catharina, die noch bei den Barfüßermönchen zurückgeblieben war, sie dann im Brunnengässlein eingeholt hatte, war Hedwig allerdings sofort verstummt. Sie ahnte wohl, dass die Meisterin solcherlei Geschichten nicht liebte.

Catharinas Miene war mehr als besorgt. «Schrubben wir das hier erstmal ab, dann treffen wir uns im Gemeinschaftsraum und sehen weiter.»

 

Keine halbe Stunde später war die böswillige Schmähung von der Außenmauer verschwunden, nur noch ein länglicher, hellgrauer Fleck erinnerte daran. Leider waren ausgerechnet während des Putzens einige Freiburger durch die stille Gasse gezogen und neugierig stehen geblieben. Der Vorfall würde alsbald die Runde machen.

Als sie sich jetzt in dem schlichten, hellen Raum versammelten, der den Schwestern zugleich als Refektorium, als Versammlungsraum und mit seinem kleinen Marienaltar zur Andacht diente, dachte Serafina, dass Hedwigs Vorschlag, die Sache dem Magistrat zu melden, gar nicht so dumm war. Es schien ihr jedenfalls sinnvoller zu sein als sich wegzuducken. Doch aus einigen leidigen Erfahrungen der Vergangenheit wusste Serafina, dass man als Begine nicht so mir nichts, dir nichts zu einer Ratssitzung vorgelassen wurde. Das Beste wäre, sie würden Achaz für sich sprechen lassen, der zur jährlichen Wahl an Johanni für den aus der Stadt verwiesenen Ratsherrn Nidank in den Magistrat nachgerückt war.

«Das geht bestimmt aufs Kerbholz von diesem Wanderprediger», platzte Grethe heraus. «Jedes Mal, wenn ich auf dem Markt einkaufe, steht der vor dem Spital und hält seine Hetzpredigten. Schmarotzer nennt er uns, wo wir die Almosen doch nur für die Armen verwenden. Und immer mehr Schafsköpfe hören ihm auch noch zu.»

Die alte Mette nickte so heftig, dass ihr wieder der Schmerz in den Rücken fuhr.

«Er mag dahinterstecken», erwiderte Mutter Catharina, die als Meisterin an der Stirnseite des langen Tisches saß, und rieb sich nachdenklich die Nase. «Aber ebenso gut könnte es jemand gewesen sein, der sich hat aufstacheln lassen. Das werden wir wohl nie herausfinden. Still auf uns sitzenlassen sollten wir diese Schmähung dennoch nicht. Erst recht, wo unsere frühere Mitschwester Adelheid schon einmal der Ketzerei verdächtigt worden ist. Was schlagt ihr also vor?»

«Wir sollten dem Münsterpfarrer Bescheid geben», knurrte Heiltrud. «Der wenigstens weiß die Arbeit von uns Beginen zu schätzen. Und er könnte beim nächsten Gottesdienst seine Schäfchen mal ein wenig wachrütteln – von wegen Ketzerinnen! Wer, wenn nicht wir Laienschwestern, kümmert sich sonst um die Armen und Einsamen, betet mit den Siechen und Sterbenden, hält die Totenwache …»

«Gut, Heiltrud», unterbrach die Meisterin deren aufgebrachten Redeschwall. «Du übernimmst das. Jetzt zur Mittagsstunde wird Pfarrer Swartz im Pfarrhaus sein. Hedwig, du begleitest mich zu den Barfüßern.»

Von den Franziskanern, die nicht weit von hier ihr Kloster hatten, wurden sie in geistlichen wie auch rechtlichen Angelegenheiten betreut. Dass sie ansonsten aber ihren Alltag nach ihrer eigenen Hausregel ausrichteten, war Streitpunkt seit Jahren: Nicht nur der Kirche, auch der städtischen Obrigkeit war dies ein Dorn im Auge. Immer wieder drängte man sie, sich als sogenannte Terziarinnen den großen Orden anzuschließen. Doch keine von ihnen wollte wie Nonnen hinter Klostermauern leben.

Die Neue zupfte ihren Schleier zurecht.

«Aber was ist mit dem Rat der Stadt?», fragte sie in ihrer etwas herablassenden Art. «Der sollte doch als Allererstes Bescheid wissen über diese Schmiererei.»

Serafina, die ahnte, dass die Meisterin noch nicht zum Ende gekommen war, musste unwillkürlich lächeln. Tatsächlich gab denn auch Catharina der Neuen zur Antwort: «Nicht nur das. Bei der Gelegenheit sollte auch dafür gesorgt werden, dass diesem Mönch das Predigen untersagt wird, denn dazu hat nur der Magistrat die Macht. Aber wir machen das auf anderem Wege. Unser Stadtphysikus und Ratsherr Adalbert Achaz genießt bei den Bürgern großes Ansehen, er mag unser Fürsprecher sein. Serafina, du gehst mit Grethe beim Medicus vorbei, bevor du Mettes Dienst in der Elendenherberge übernimmst.»

Kapitel 3

Das Wetter schlug ganz offensichtlich um. Ein milder Wind löste den Nebel auf, endlich drang Tageslicht in die Gassen der Stadt, bevor bald schon wieder die Dämmerung einbrechen würde. Es war etwa eine Stunde nach dem Mittagsläuten, und wenn sie Glück hatten, saß Achaz noch bei Tisch, bevor er zum nächsten Krankenbesuch aufbrechen würde oder von Amts wegen in der Stadt unterwegs war. Wie die meisten vornehmeren Bürger pflegte er frühmorgens nur eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen und stattdessen mittags warm zu essen. Für sein leibliches Wohl sorgte, bis jetzt jedenfalls, seine treue alte Magd Irmla.

«Dass du heut noch deinen Schatz besuchen darfst, hättest auch nicht gedacht, was?», sagte Grethe, nachdem sie vor der Ratskanzlei einer Eselskarre ausgewichen war.

«Wenn nur der Anlass nicht so widerwärtig wäre», entgegnete Serafina.

Aber selbstredend freute sie sich auf die Begegnung mit Achaz. Wie oft hatte sie in den letzten Wochen und Monaten mit klopfendem Herzen sein Haus betreten, mitunter verbotenerweise ohne Begleitung ihrer Mitschwestern, und hatte doch nie länger, als es schicklich war, bleiben dürfen, hatte dabei stets Abstand halten müssen, obwohl sie nichts lieber getan hätte als ihn zu umarmen.

Sie musste an ihre letzte Begegnung vor zwei Tagen denken, als sie sich im Gasthaus Zum Elephanten trafen, um den großen Saal anzumieten: Da hatte er gescherzt, dass er sich am allermeisten darauf freue, sie zur Hochzeit in dem wunderschönen neuen Kleid zu sehen anstatt in ihrer schrecklichen mausgrauen Beginenkutte. Woraufhin er sie, vor den Augen des Wirts und des Schankmädchens, geküsst hatte!

Sie war ganz verdutzt gewesen über die Offenherzigkeit dieses ansonsten so zurückhaltenden, ja fast schüchternen Mannes. Und hatte sich einmal mehr gefragt, ob sie nicht besser gleich zu Ostern, nachdem er ihr in aller Förmlichkeit einen Heiratsantrag gemacht hatte, die Hochzeit hätten festsetzen sollen. Doch Serafina hatte sich nicht allein wegen Vitus dagegen entschieden: Um Achaz’ guten Rufes willen hatte sie eine angemessene Verlobungszeit einhalten wollen, zumal es ob der Tatsache, dass der hiesige Stadtphysikus eine Begine ehelichen wollte, schon genug Gerede gab. Und aus ebendiesem Grund wollte sie auch nicht allein mit ihm gesehen werden. Dass sich ein halbes Jahr wie eine Ewigkeit hinziehen konnte, hatte sie indessen nicht bedacht. Viel zu lange schon liebte sie diesen ebenso warmherzigen wie unbeholfenen Menschen, auch wenn sie diese Liebe nie hatte wahrhaben wollen. Noch heute tat es ihr leid, dass sie ihm bei ihrer ersten Begegnung in Konstanz, nachdem er ihr aus einer höchst misslichen Lage herausgeholfen hatte, eine Maulschelle verpasst hatte für seinen ungeschickten Versuch, sie zu küssen. Dass sie sich hier in Freiburg vor anderthalb Jahren so unverhofft wiederbegegnet waren, sah sie als ein Geschenk Gottes.

Sie hatten das Haus Zum Pilger erreicht, und Serafina betätigte den Türklopfer. Neugierig blickten zwei Mägde, die beim nahen Brunnen Wasser geholt hatten, zu ihnen herüber und begannen zu tuscheln.

Kurz darauf waren von drinnen die leicht schlurfenden Schritte der Magd zu hören. Als sie die Tür öffnete, zeigte sich auf ihrem faltigen Gesicht der Anflug eines Lächelns.

«Ach, Ihr seid es. Der Doctor Adalbert ist gerade fertig mit essen. Kommt herein.»

Die Bärbeißigkeit der Alten ihr gegenüber war inzwischen verschwunden, woraus Serafina schloss, dass sie einverstanden war mit der Brautwahl ihres Dienstherrn. Und allmählich verstand Serafina auch, warum Achaz so an seiner Magd hing, die ihm bereits zur Seite gestanden hatte, als er noch Leibarzt des Basler Fürstbischofs war.

«Wir wollen auch nicht lange stören, Irmla», sagte Serafina und trat ein. Die Tür zum Krankenzimmer stand weit offen, und wie immer war dort alles akkurat aufgeräumt. Sie folgten der Magd hinauf in die Küche, wo Adalbert Achaz in seinem blauen Hausmantel zu Tisch saß, vor sich eine Karaffe mit Wein. Serafina musste daran denken, wie er sie einmal gefragt hatte, ob es ihr etwas ausmachen würde, weiterhin gemeinsam mit Irmla in der Küche zu essen, anstatt sich von ihr in der Stube auftischen zu lassen. Ganz im Gegenteil, dachte sie auch jetzt wieder.

«Schwester Grethe! Serafina!», rief er und sprang so unvermittelt auf, dass sein Schemel umkippte.

Mit einem Lächeln stellte er ihn wieder auf. «Das ist aber schön, dass ihr vorbeischaut.»

Aus seinen hellbraunen Augen strahlte er Serafina an, während er auf die freie Küchenbank wies. Dann stutzte er.

«Ihr seht so ernst aus – gibt es schlechte Nachrichten?»

«Wie man’s nimmt», entgegnete Serafina und ließ sich mit Grethe auf der Bank nieder, während Irmla das Essgeschirr abräumte und ihnen Becher sowie zwei Stückchen Butterkuchen hinstellte.

Achaz schenkte ihnen Wein ein.

«Erzählt.»

Serafina räusperte sich. «Ein Unbekannter hat heute unsere Mauer besudelt. Hat mit Schweineblut ‹Ketzerinnen› draufgeschmiert.»

«Herr im Himmel!», entfuhr es Achaz.

«Das muss mit diesem hergelaufenen Lotterpfaffen zu tun haben», murmelte Grethe mit vollem Mund, während Serafina ihr Stück Kuchen nicht anrührte. Wie gern wäre sie jetzt allein gewesen mit Achaz.

Der Stadtarzt nickte. «Das vermute ich auch. Ich frag mich bloß, was der Kerl hier in Freiburg zu schaffen hat. Er kommt aus einem Basler Dominikanerkloster, wie ich inzwischen weiß.»

«Und in Basel hat man vor Jahren alle Beginen und Begarden zum Teufel gejagt», fügte Serafina hinzu.

Wieder nickte Achaz. Auf seiner hohen Stirn zeigte sich eine steile Falte.

«Habt ihr es weggewischt?»

«Natürlich. Aber wir fragen uns, was wohl als Nächstes kommt.» Sie blickte ihn eindringlich an. «Könntest du dich nicht bei der nächsten Ratssitzung dafür starkmachen, dass dieser Mensch aus der Stadt gewiesen wird?»

«Hm, die nächste Ratsversammlung ist erst am Freitag … Aber ich könnte nachher Laurenz Wetzstein aufsuchen und ihm die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit klarmachen. Vielleicht gelingt es uns, eine außerordentliche Sitzung einzuberufen.»

Irgendwie hatte sich Serafina mehr erhofft. Immerhin, auf den besonnenen Zunftmeister der Bäcker war Verlass, wie sich in der Vergangenheit nicht nur einmal gezeigt hatte. Obendrein unterstützte seine Ehegenossin seit Jahren die Schwesternsammlung mit Geld- und Sachspenden.