Tödliche Blicke - Lele Frank - E-Book

Tödliche Blicke E-Book

Lele Frank

0,0

Beschreibung

Ein Despot, ein Egoist, ein skrupelloser Kerl der nicht davor zurückschreckt das Leben seiner Frau zu ruinieren indem er sie als Geschäftsführerin für seine dubiosen Geschäfte einsetzt, und mit einem unüberwindbaren Schuldenberg in die Pleite geht. Er ist fein raus, denn der Geschäftsführer haftet, auch wenn eine verdeckte Geschäftsführung vorliegt. Vor dem Gesetzt spielt das keine Rolle. Doch dabei bleibt es nicht. Das Inge nie wieder finanziell auf die Füße kommen wird ist längst nicht alles, nein. Er will im Alter von über fünfzig Jahren auch noch unbedingt ein Kind haben, das ihm Inge nie schenken konnte. Er verschwindet nach Thailand um sich dort dafür eine junge Frau zu suchen, baut mit seinen Geld aus fragwürdigen Geschäften dort ein großes Haus, und verbringt dort einen großen Teil des Jahres. Wenn er in Deutschland ist, schreckt er nicht davor zurück, diese Frau und das Kind mitzubringen, so als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Inge erträgt das alles weil sie in dieser tiefen Abhängigkeit steckt. Ohne ihren Mann ist sie vermögenslos. Mit über fünfzig eine Arbeit zu finden ist aussichtslos. Eines Tages lernt sie eine Frau kennen der sie sich anvertraut. Sie wird ihr auf unspektakuläre Weise helfen aus dieser Situation herauszukommen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2015

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lele Frank

Tödliche Blicke

Buch 6

Das Buch

Ein Despot, ein Egoist, ein skrupelloser Kerl der nicht davor zurückschreckt das Leben seiner Frau zu ruinieren indem er sie als Geschäftsführerin für seine dubiosen Geschäfte einsetzt, und mit einem unüberwindbaren Schuldenberg in die Pleite geht. Er ist fein raus, denn der Geschäftsführer haftet, auch wenn eine verdeckte Geschäftsführung vorliegt. Vor dem Gesetzt spielt das keine Rolle. Doch dabei bleibt es nicht. Das Inge nie wieder finanziell auf die Füße kommen wird ist längst nicht alles, nein. Er will im Alter von über fünfzig Jahren auch noch unbedingt ein Kind haben, das ihm Inge nie schenken konnte. Er verschwindet nach Thailand um sich dort dafür eine junge Frau zu suchen, baut mit seinen Geld aus fragwürdigen Geschäften dort ein großes Haus, und verbringt dort einen großen Teil des Jahres. Wenn er in Deutschland ist, schreckt er nicht davor zurück, diese Frau und das Kind mitzubringen, so als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Inge erträgt das alles weil sie in dieser tiefen Abhängigkeit steckt. Ohne ihren Mann ist sie vermögenslos. Mit über fünfzig eine Arbeit zu finden ist aussichtslos. Eines Tages lernt sie eine Frau kennen der sie sich anvertraut. Sie wird ihr auf unspektakuläre Weise helfen aus dieser Situation herauszukommen.

Tödliche Blicke

Mit Kraft der Gedanken.

Lele Frank

Impressum

© 2015 Lele Frank

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-3225-9

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Wie oben, so unten, wie innen, so außen

Smaragdtafel, ca. 3000 v. Chr.

„Mensch Mädel, was machst du denn für Sachen? Du hast mir ja einen schönen Schrecken eingejagt.“ Karin bückt sich zu Inge hinab um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Mit geschultem Blick sieht sie aber sofort, dass ihre Freundin keinen Schaden erlitten hat. „Jetzt habe ich natürlich nichts mitgebracht, weil ich sofort ins Krankenhaus geeilt bin. Deine Nachbarin hat mir alles erzählt als ich vor verschlossener Haustür stand. Ich wollte dir nur deine Bücher … -„Nun setzt dich erst einmal hin, und beruhige dich. Dann erzähle ich dir alles der Reihe nach.“ Karin zog sich einen Stuhl ans Bett der mutmaßlichen Patientin, die in einem gepflegten Einzelzimmer residierte. Ein kleiner Vorteil wenn man beim Mann – und sei er noch so ein Idiot – privat mitversichert ist. Auf dem Nachttisch standen eine angebrochene Wasserflasche und ein benutztes Glas. „Kann ich mir ein Glas …?“ Inge nickte zustimmend. „Jetzt beruhige dich bitte, ich bin wirklich in Ordnung. Also hör zu: gestern Abend kam Torsten nach Hause, und war völlig fertig. Er hatte seine Jacke noch nicht ausgezogen, da fing er schon an mit mitleiderregender Grabesstimme zu erzählen und zu jammern. Er hatte am Nachmittag… Die Krankenschwester betritt ohne zu klopfen das Zimmer, und steuert zielsicher auf Inges Bett zu. Inge ändert sofort ihre Position, und lässt sich erschöpft in die Kissen sinken. Mit geschultem, sicherem Griff legt die Schwester eine Blutdruckmanschette um Inges Oberarm. „Wie fühlen sie sich“, will sie desinteressiert wissen. „Es geht so lala“, antwortet Inge sehr leise. Man könnte den Eindruck gewinnen, sie sei kurz davor den Löffel abzugeben, so leidend gibt sie sich. Karin steht am Fenster und blickt hinaus auf die fürchterlichen Baracken die Teil der Lübecker Uniklinik sind. Als Provisorium einst erbaut, stehen sie immer noch unverändert an Ort und Stelle. Das liebe Geld fehlt um Abhilfe zu schaffen. Um zu verhindern dass die Schwester ihr in die Augen sieht, war Karin auf-gestanden, denn ein geschultes Auge hätte in ihrem Blick eine leichte Belustigung erkennen können. Ihre Vorsicht war umsonst, denn die Krankenschwester hatte für derartige Registrierungen ohnehin keine Zeit zu erübrigen, sie war in Eile. Endlich fiel die Zimmertür mit einem unhöflich, lauten „plopp“ ins Schloss. „So, jetzt aber. Schieß los.“ Karin nahm zum zweiten Mal auf dem bereitgestellten Stuhl Platz. „Wo war ich stehengeblieben…? Ach so, ja. Also: er kam von seinem Arzttermin nach Hause, und erzählte, dass er sofort ins Krankenhaus müsste. Ich schwieg, und kümmerte mich um die Zubereitung des Abendessens. Das passte ihm überhaupt nicht, dass ich ihm keine besorgten Fragen stellte. Es machte ihn sogar ziemlich wütend. Wie erwartet wurde er sofort wieder laut, aber ich blieb ganz cool. Er könne wohl verrecken, und es würde mich nicht interessieren, bellte er los. „Na, du wirst mir schon gleich erzählen was los ist“, sagte ich in ruhigem Ton zu ihm. Man konnte zusehen wie er die Fassung verlor. Mit Schnappatmung biss er nach Luft, was ihn aber nicht daran hinderte sich eine Zigarette anzuzünden. Ich dachte schon er läuft mir einen Graben ins Parkett, so wild lief er von einem Ende des Zimmers zum anderen. Schweißperlen waren auf seiner Stirn zu sehen, blass war er. So grünblass, weißt du? Und dann ließ er die Bombe platzen. „Ich habe Krebs…,

ich habe Krebs…, ich habe Krebs“, brüllte er hilflos. Aus dem Bleichgesicht wurde eine rote Zornesfratze. Ich bekam es ein bisschen mit der Angst. Man konnte es ihm ansehen, dass er mich am liebsten zusammengeschlagen hätte. Hass war in seinem Blick.“ –„Du warst ganz schön leichtsinnig meine Liebe“, sagte Karin dazwischen. –„Pssst, hör zu. Es geht weiter. Ich habe dann versucht ihn zu beruhigen, und ihm zu erklären, dass man heute sensationelle Erfolge bei der Bekämpfung des Krebses erzielen würde, man müsste ihn nur rechtzeitig erkennen, was ja bei ihm der Fall wäre. „Wieso er dann sofort morgen ins Krankenhaus müsste“, wollte er wissen. Dann müsse doch wohl allerhöchste Eisenbahn sein. Er sei in Lebensgefahr, ob ich dusselige Kuh das nicht sehen würde, so unsensibel wie ich wäre. Er biss wieder nach Luft, wie ein Hund, der eine Fliege im freien Flug erwischen will, und hatte echte Panik. So recht und schlecht haben wir dann den Abend hinter uns gebracht. Ich hätte ihn gerne gefragt was denn im Todesfall mit dem millionenteuren Haus in Thailand passieren würde, habe mich natürlich nicht gewagt. Er litt, und steigerte sich immer mehr hinein. Also schwieg ich lieber. Um drei Uhr in der Nacht bin ich aufgestanden, und habe vierzehn Valium geschluckt. Mehr hatte ich leider nicht.“ –„Oh, mein Gott. Bist du wahnsinnig? Das hätte aber auch ins Auge gehen können, denn …“ –„Nein. Warte doch ab. Ich wusste ja, dass er mich um halb sieben wecken würde, weil ich ihn in die Klinik fahren sollte. Es bestand keine Gefahr, ich habe nur selig geschlummert. Er kam also wie erwartet an mein Bett, versuchte mich wohl zu wecken – ich habe ja nix mitbekommen – und sah natürlich auch die Tabletten auf meinem Nachttisch. Jetzt blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als den Krankenwagen zu holen, und zuzusehen wie er ins Krankenhaus kommt. Den Termin musste er ja wahrnehmen. Schließlich ging es bei ihm – aus seiner Sicht – um Leben und Tod. Mich zu begleiten, auf diese Idee wäre er sowieso nicht gekommen. Und nun bin ich hier, wie du ja siehst.“ –„Wozu bitte soll die ganze Nummer denn gut sein“, wollte Karin wissen. „Na überlege doch mal. Jeder der einen Selbstmordversuch macht, kommt anschließend in eine Psychosomatische Nachbehandlung. Mindestens für drei Wochen, wenn nicht sogar mehr. Ich bin jetzt also erst einmal weg vom Fenster, und muss nicht jeden Tag zu diesem Ungeheuer ins Krankenhaus fahren. Für ihn in seinem beschränkten Kopf muss es nun so aussehen, als hätte ich mich vor lauter Kummer um die Ecke bringen wollen. Verstehst du?“ Karin musste grinsen. „Alle Achtung. So viel Mut hätte ich dir gar nicht zugetraut. Aber was hat man denn mit dir angestellt?“ –„Igitt. Man hat mir den Magen ausgepumpt. Das ist kein Spaß. Mein Hals tut schrecklich weh, und ein bisschen heiser bin ich, wie du hören kannst. Aber das war es mir wert. Nun soll er einmal sehen, wie es ist, wenn man so mutterselenallein mit seinen Sorgen zurückgelassen und gedemütigt wird. Ich wünsche ihm ja nicht einmal den Tod, nein. Ich wünsche ihm aber, dass er aufwacht, und endlich einmal erkennt, dass er mein Leben zerstört hat. Du kannst jetzt aufhören mit deinen Ritualen und Gebeten. Ich denke das genügt als Strafe.“

„Hallo, du kleine Sumpfdotterblume. Auf welcher schönen Frühlingswiese wohnst du denn?“ Torsten hatte keine Probleme damit sein Ziel bei Frauen zu erreichen. Er konnte – zumindest in jungen Jahren – durchaus charmant sein. Sein viriler Charme kam gut an beim anderen Geschlecht. Nur wenn man das außerordentliche Vergnügen hatte, ihn näher kennenzulernen, traf man bald auf einen Proletenbuben mit einer grenzenlosen Selbstüberschätzung. Die zarte kleine, hübsche Inge sich so unverhofft als „Sumpfdotterblume“ bezeichnet zu sehen, war erst einmal kurz aus der Fassung geraten. Sie hatte ihn in der Clique von jungen Männern überhaupt nicht registriert, obwohl er seine Freunde um einen halben Kopf überragte. Inge – sie hatte den Spitznamen Engelchen – stand mit ihren Freundinnen am Rande des Sportplatzes, und sah den Jungs beim Training zu. Groß, blond, wasserblaue Augen, und alles andere als schmächtig rollte er auf sie zu. Ließ sie genauso abrupt wieder stehen, und rief uncharmant zu seinen Freunden: „die muss erst noch ein bisschen auf die Weide, die Kleine. Kriegt ja den Mund nicht auf, und glotzt wie ein angeschossenes Reh. Ha, ha, ha.“ Inge war damals ziemlich sauer auf diese dummen Bemerkungen mit denen Torsten vor seinen Freunden den ganz großen Macker heraushängen musste.

Sie vergaß diesen ungehobelten Klotz wieder, und verbannte ihn aus ihren Gedanken.

Ganze zwei Jahre später forderte er Inge bei einem Fest in der großen Turnhalle zum Tanz auf. Am Stadtrand von Hamburg – in einer weniger vornehmen Gegend – feierte man den Tanz in den Mai. Jedes Jahr ein großes, willkommenes Ereignis in der eher tristen Gegend mit seinen Arbeitersiedlungen. Alle Besucher putzten sich fein heraus, und freuten sich darauf das Tanzbein zu schwingen. Inge war in Begleitung ihrer drei Freundinnen rechtzeitig eingetroffen, weil sie einen Sitzplatz nahe der Bühne ergattern wollten. Zwei Tage zuvor war Inge volljährig geworden, hatte aber auf eine Geburtstagsfeier verzichtet, weil zu Hause so wenig Platz zur Verfügung stand. Dafür war sie heute die Gastgeberin, und würde alles bezahlen was man an Getränken verzehren würde. Von ihrem eigenen Geld dass sie gespart hatte. Dreihundertzwanzig Mark Lehrlingslohn war eine ganze Menge. Die Hälfte davon musste sie zu Hause den Eltern abgeben, dreißig Mark brauchte sie für die Busfahrkarte, und den Rest durfte sie behalten. Ende nächsten Monats würde sie ihre Prüfung als Bürofachangestellte bestehen, daran hatte sie keinen Zweifel, und dann würde sie das Doppelte verdienen. Ein großer Schritt in Rich-tung Freiheit. Aber noch ein weiter Weg bis zur Unabhängigkeit. Für eine eigene Wohnung würde es nicht reichen. Im Gegensatz zu ihren beiden großen Schwestern Ulla und Brigitte, wollte Inge einen anderen Weg wählen. Sie würde nicht heiraten um dem langweiligen Elternhaus zu entkommen. Der Vater arbeitete bei der Bahn im Bautrupp, die Mutter war eine traditionelle Hausfrau ohne eigenes Geld. Seit Kurzem wollte sie sich eine Arbeit suchen – wenigstens halbe Tage – weil das Haus schon so leer war, und Inge ihr keine Arbeit mehr machte. Sie würde sicherlich in einer Fabrik am Fließband, oder im Einkaufsmarkt an irgendeiner Kasse enden. Ohne Ausbildung und über fünfundvierzig, das war ein absehbares Schicksal.

Torsten stand umringt von seinen Freunden an die Wand der Halle gelehnt. Einen Fuß gegen die Wand gestemmt, eine Zigarette lässig im Mundwinkel, sah er sich gelangweilt um. Seine Selbstsicherheit wurde seit vorgestern wie von selbst genährt, denn er hatte sich einen eigenen Wagen angeschafft. Einen vergammelten, heruntergekommenen, blauen Opel-Commodore vom Schrottplatz. Sein Vater hatte ihm dabei geholfen den Wagen so recht und schlecht noch einmal über den TÜV zu bringen. Die wochenlange Schufterei in der Werkstatt seines Onkels hatte sich aber gelohnt. Jetzt war er der Größte, nicht nur der Länge nach. Er brauchte die Bewunderung wie andere Menschen ihr tägliches Brot. Alles würde er dafür tun. Alles. „Was sieht denn hier mein trübes Auge“, sagte er laut, und machte einen übertrieben langen Hals um besser sehen zu können. Unsanft stieß er mit dem Ellbogen seinen Kumpel Bernd in die Seite und fragte: „ist das nicht die kleine Sumpfdotterblume von damals?“ –„Hä…?“ Bernds Kopf schnellte in Blickrichtung seines großen Freundes, wusste aber nicht wen genau er jetzt meinte. Außerdem konnte er nicht so weit sehen wie sein angebeteter Freund, dazu fehlten ihm gute zwanzig Zentimeter. Torsten stieß sich – ohne seinen Freund weiter zu beachten – von der Wand ab, und ging in Richtung Bühne. Jetzt konnte er Inge auch von vorne sehen. „Donnerlüttchen“, entfuhr es ihm. „Das ist ja eine echte Schönheit geworden.“ Nachdem er sich vergewissert hatte, ging er wieder zurück auf seinen Platz an der Hallenwand. „Wenn sich jemand die Kleine krallen will, schlage ich ihn zu Brei“, dachte er höchst freundlich. Auf seiner jungen Stirn erschien eine steile, tiefe Falte zwischen seinen Augenbraun. Ziemlich schlecht gelaunt sah er damit aus. Es verschaffte ihm die Vorsicht und den Respekt der anderen.

Keine drei Jahre später zogen Torsten und Inge in eine eigene kleine Wohnung am anderen Ende der Stadt weit weg der Arbeitersiedlungen des heimatlichen Stadtteils. Den Mietvertrag unterzeichneten sie als Mann und Frau. Nicht schwanger, zwei Einkommen, keine Eintragungen im Bundeszentralregister. Der Vermieter war zufrieden.

Karin hatte auf dem Nachhauseweg von der Klinik beinahe eine Fußgängerin platt gefahren. Tief in Gedanken versunken fuhr sie unkonzentriert durch die Stadt nach Hause. Der Schrecken saß ihr tief im Magen, das Herz klopfte hinter den Ohren und verursachte ein unangenehmes rauschen im Kopf. Das Geräusch der Vollbremsung hallte nach wie ein Glockenschlag. Mit fahrigen Bewegungen holte Karin ihren Hausschlüssel aus der Handtasche. Ein letzter zerstreuter Blick zu ihrem Auto zeigte ihr, dass sie mit einem Reifen auf dem Gehsteig stand. Eigentlich war sie eine gute Autofahrerin, aber heute … Karin war noch einmal schnell in der Weberkoppel vorbeigefahren, um Inges Nachbarin zu bitten die Bücher entgegenzunehmen. Sie hatte sie nun lange genug im Auto spazieren gefahren. Natürlich wurde sie sofort mit neugierigen Fragen gelöchert, schob aber einen Behandlungstermin vor, um sich schnell wieder aus dem Staub zu machen. „Unangenehme Person“, maulte sie in den Kragen ihres Rollkragenpullovers. Nicht alles das der Sabber läuft, wenn sie nur ein klitzekleines Skandälchen erhaschen kann. Karin hasste solche Menschen, die sich am Versagen anderer profilierten. Noch besser am Unglück anderer, denn dann fühlte man sich selbst nicht so frustriert. Der gute Rat gefälligst vor der eigenen Haustüre zu kehren, ging an dieser impertinenten Frau kilometerweit vorbei. Da war in der Frühe ein Krankenwagen bei den Nachbarn, und sie hatte beinahe fast alles verpasst. So eine Schande. Man gönnte ihr aber auch nichts. Ekelhaft. Karins kleines, gemütliches Häuschen stand nicht weit weg, in der Weinbergstraße. Rechts und links war es mit einer hohen Buchshecke vor neugierigen Blicken der Nachbarn geschützt. Schon ewig wollte sie endlich eine Garage an das Haus anbauen, aber immer kam irgendetwas dazwischen. Morgen würde sie den Architekten anrufen, dass er endlich das Baugesuch einreichte. Eine Garage würde ihr ermöglichen zu Hause zu sein, ohne dass es jeder gleich sehen konnte, weil ihr Auto immer vor der Tür Stand. Sie warf noch schnell einen Blick in ihre kleine Minipraxis – ein einziger Raum der rechts von der kleinen Diele abging – um sich zu vergewissern dass der Computer ausgeschaltet war, und ging dann durch das kleine Wohnzimmer - im Sylter Stil - nach hinten in den Wintergarten. Ein Streifen Aspirin Tabletten lag auf den alten Holztisch. Sie griff danach. Wie ferngesteuert ging sie in die offene Küche um ein Glas Wasser zu holen. Dann erst konnte sie in ihrem schönen, alten Sessel Platz nehmen. „Das muss ich jetzt erst alles einmal sacken lassen“, führte Karin Selbstgespräche. Ihr Blick fiel auf ein umgestülptes Wasserglas, das auf dem Blumenboard draußen im Garten stand. Damit hatte alles angefangen. Mit diesem Glas, und dessen skurrilem Inhalt der sich darunter verbarg.

Vor drei Jahren klingelte am frühen Abend ihr Telefon. Noch bevor sie den Hörer abgehoben hatte um sich zu melden, fühlte Karin einen Kloß im Magen, so eine seltsame Hitze stieg in ihr auf, eine Vorahnung vielleicht. Sie hatte sich gemeldet wie immer mit: „Praxis Dr. Karin Lehnhoff.“ Aber außer einem schweren Atem hörte sie erst einmal nichts weiter. Sie wartete ab, denn es kam schon öfter einmal vor, dass Patienten ihre Hemmschwelle erst überwinden mussten, bevor sie sich frei heraus melden konnten. Der Anruf bei einem Psychologen ist ja auch keine alltägliche Angelegenheit. Also wartete sie geduldig. „Ja …, ja, hier spricht Inge Schneider. Entschuldigen sie bitte die späte Störung, ich …, ich möchte mich erkundigen, weil ich schon öfter an ihrem Haus vorbei …, also ich meine, ich bin schön öfter an ihrem Haus vorbeigefahren, und habe dieses Schild gelesen. Pause. „Wie kann ich ihnen helfen“, fragte Karin professionell und einfühlsam. Sie erinnerte sich an diesen Anruf, als wäre es gestern gewesen. Eine erneute Pause war entstanden bevor sie eine sanfte, zarte Stimme weiterreden hörte. „Nun ich …, ich wollte fragen, was denn bei ihnen so eine Reiki Stunde kostet, die sie über ihre normale Tätigkeit hinaus, anbieten.

Karin hatte ihre große Praxis in der Stadt vor vier Jahren geschlossen, und sich komplett reduziert. Die große Etagenwohnung auf der Stadtinsel verkauft, und sich dieses kleine Knusperhäuschen angeschafft. Einen Wintergarten angebaut, und fertig. Die Jagd nach Ruhm, Ehre und Umsatz komplett an den Nagel gehängt, und arbeitete jetzt nur noch mit ausgesuchten, wenigen Patienten, die nicht mit der Krankenkasse abrechnen mussten. Sie suchte sich ihre Klientel selber aus, und wessen Nase ihr nicht behagte, der wurde nicht angenommen. Es war damals allerhöchste Zeit die Bremse zu treten, sonst wäre sie selbst übergeschnappt. Mit welchen Mängeln und Phobien die Menschen sich die Klinke der Praxistür in die Hand gegeben hatten, dass ging auf keine Kuhhaut mehr. Häusliche Gewalt war das tägliche Brot, und die damit einhergehende Hilflosigkeit. Betroffene standen – wenn man es genau nahm – alleine auf weiter Flur. Hilfe von außen nur Farce. Solange es auf Seiten der meist männlichen Beteiligten keine Einsicht gab, solange sie sich sträubten sich helfen zu lassen, solange sie sich nicht wegen ihrer Übergriffe schämten, sich sogar im Recht fühlten, war die ganze Arbeit ein Dauerlauf gegen Windmühlen. Karin war ausgebrannt und desillusioniert was den Erfolg ihrer Arbeit betraf. Ohne den menschlichen Willen zur Veränderung war sie aufgeschmissen. Also zog sie ihre Konsequenzen aus ihren Erfahrungen, und reduzierte sich auf diejenigen, diewirklicheine positive Veränderung anstrebten. Natürlich hatte sie sich monatelang mit dieser Entscheidung befasst, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass ihr sukzessive die eigene Kraft ausgegangen war. Die Frage nach dem Sinn des Lebens lässt sich in all diesen Überlegungen natürlich nicht ignorieren, aber viel wichtiger war die Frage: „was brauche ich um glücklich zu sein?“ Geld? Ruhm und Ehre? Eine repräsentative Wohnung in guter Lage, ein großes Auto? Ein dickes Bankkonto? Wohl kaum. Alles was ich brauche ist Frieden, Frieden, und nochmals Frieden. Eine Beschäftigung die ich liebe, die mich ausfüllt, also auf Sparflamme die Arbeit fortsetzen, einen gefüllten Kühlschrank, ein vernünftiges Dach über dem Kopf, und ein kleines Auto dass mich von A nach B bringt. Währenddessen bleibt mir Zeit mich um mich selbst zu kümmern. Mein Wohlbefinden, meine Gesundheit – nicht nur die der Patienten – meine freie Zeit. Freie Zeit, ja das war Mangelware all die letzten Jahre. Berufstätige bettelten oft um Termine nach Feierabend, und immer hatte sie nachgegeben. Immer. Und jetzt? Endlich einmal selbst entscheiden über Zeit und Raum. Endlich einmal laut „Nein“ sagen dürfen, ohne gleich bei den Patienten in Verruf zu geraten. Keine Fortbildungen und langweiligen Symposien mehr, keine Rechenschaft bei den Kassen, keine festen Sprechstunden in der Klinik, und keine Vorträge mehr an der Uni. Nichts mehr. Einfach nur sein was man längst hätte sein müssen. In der Mitte. In der Mitte von sich selbst feste verankert und ohne Furcht vor den nächsten Sturmböen. Ein großer Schritt.

Nicht den Bruchteil einer Sekunde hatte Karin diesen Entschluss bereut. Die mondäne, große Wohnung war nach einer kleinen Runde Tränen vergessen. Der kleine Garten machte viel mehr Freude, war viel besser dazu geschaffen sie zu erden. Damals – bevor Karin die große Praxis aufgab - ging sie zu einer Reiki Meisterin um sich selbst immer wieder aufzutanken. Ohne diese Energiearbeit die ihr so sehr wohl tat, wäre sie schon viel früher aus den Latschen gekippt. Das war auch der Grund, warum sie sich kurz nach ihrem Umzug in die Weinbergstraße selbst zur Reiki Meisterin ausbilden ließ. Die Kraft der Energie – völliges Neuland. Während dieser langwierigen und kostspieligen Ausbildung, hatte sie Rena schätzen gelernt. Sie war eigentlich Heilpraktikerin, und Heilpraktiker-Ausbilderin. Nicht jetzt unbedingt Karins Steckenpferd - sie war eine überzeugte Anhängerin der Schulmedizin - aber nicht kategorisch ablehnend Alternativen gegenüber. Sie verstanden sich von Anfang an blind, und es war klar, dass es der Anfang einer wundervollen Freundschaft werden würde. Sowohl Rena wie auch Karin lebten ohne Partner ihr Leben alleine. Die gesammelten Erfahrungen waren ausreichend, und bedurften keiner weiteren Ergänzungen. Man muss keinen ganzen Berg kaufen, nur um einmal Ski zu fahren, scherzte Rena, und gönnte sich ab und an eine Abfahrt. Die Frage nach dem: „was wäre wenn…“, stellte sich nicht mehr. Heute hieß es nur noch: „es ist.“ Und zwar so, wie es eben ist. Nichts davor, und nichts dahinter. Nichts mehr mit Kalkül planen, was dann doch anders kommt als gedacht, nichts mehr erwarten, was ohnehin nicht in Erfüllung geht, und nichts mehr Versprechen, was man sowieso nur ungern erfüllt hätte. Vertrauen in sich, und sich gelassen treiben und führen lassen. Das war die große Lehre die Karin aus den letzten Jahren herausgefiltert hatte. Und es stimmte. Stimmte für jeden Tag in ihrem Leben, denn seit dieser Erkenntnis ging es ihr gut. Seelisch und körperlich. Niemals hätte sie das ihren Patienten beibringen können, denn ein Großteil von ihnen „will“leiden, weil sie sich sonst nicht spüren können.

Was Karin damals geritten hatte, ihr eine kostenlose Probesitzung anzubieten, weiß sie heute nicht mehr. Es war eine Entscheidung so aus dem Bauch heraus. Eine Sympathie zu jemandem, den sie noch nicht einmal physikalisch gesehen hatte. Einfach nur so. Nichts ist einfach nur so, dass wusste sie heute. Alles war für etwas gut. Auch wenn es manchmal Jahre dauerte bis man dahinter kam wofür. Am nächsten Nachmittag – eine Patientin hatte kurzfristig abgesagt – stand sie dann vor ihr. Eine Stufe nur tiefer - vor der Haustür - im Begriff eine andere Welt zu betreten. Verunsichert, klein, zart und eingeschüchtert. Eine wunderschöne Frau, beinahe engelsgleich. Augen so tief und so traurig wie die See. Zur Begrüßung reichte Inge ihr eine eiskalte Hand, es war August. Immer noch dreißig Grad warm, aber bewölkt. In Kürze würde hier die Hölle losbrechen, man konnte das Gewitter schon riechen. Karin bat ihre Besucherin nicht in das dafür vorgesehene Praxiszimmer, sondern lotste sie in den Wintergarten. Ganz gegen ihre eiserne Gewohnheit – keine Patienten in den Privaträumen. Sie bat Inge Platz zu nehmen, und eilte in die Küche um den Tee aufzugießen. Dieser kleine Augenblick den sie Inge alleine ließ, war wichtig für die Akklimatisierung, war also nur inszeniert. Leise Musik erfüllte den weit geöffneten Wintergarten, die ganze Atmosphäre war bestens dazu geeignet sich zu entspannen. Inge – die nicht größer war als Einmetersechzig – saß auf der Ottomane, und knetete verunsichert ihre Finger, und sah sich scheu um. Hier gefiel es ihr viel besser als in dem großen, mondänen Kasten in der Webekoppel. Dort wo ihr nicht einmal ein einziger Stein gehörte. Kein einziger Krumen Erde im Garten. Nichts außer lebenslangem Wohnrecht. Und dieses Wohnrecht hatte sie auch nur deshalb bekommen, weil sie ihr Einverständnis zu einer unzumutbaren, absurden Idee gegeben hatte. „So, dann wollen wir uns erst einmal ein wenig kennenlernen“, sagte Karin zu Inge. „Ich werde ihnen ein bisschen etwas über Reiki erklären, dann die versprochene Probesitzung durchführen, und sie können anschließend in aller Ruhe entscheiden, ob dies das Richtige für ihre Bedürfnisse ist. Wollen wir es so machen?“ Inge nickte. Sie nahm all ihren Mut zusammen, und fragte Karin, ob es nicht möglich wäre sich zu duzen. Es würde ihr die Hemmungen ein wenig nehmen. In diesem Fall hatte Karin auch kein Problem damit. Man musste unterscheiden und einschätzen. Hier gab sie sich selbst ein inneres „ja