Tränen im Regen - Mathilda Grace - E-Book

Tränen im Regen E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Kilian McDermott liebt sein ruhiges Leben als Künstler und die für ihn dazu gehörenden Affären mit Frauen und Männern. Einer davon ist Alex Corvin, der Halbbruder seines Adoptivvaters Mikael, der sie eines Tages beim Sex überrascht. Alex beendet daraufhin ihre Affäre und fliegt nach Europa. Kilian bleibt enttäuscht zurück und lernt ein paar Wochen später Dale Howard kennen. Er verliebt sich Hals über Kopf in den Polizisten, der seine Gefühle mit der gleichen Intensität erwidert. Doch plötzlich kehrt Alex aus Europa zurück.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Mathilda Grace

TRÄNEN IM REGEN

Tränen im Regen

2. Auflage, Dezember 2018

Impressum

© 2018 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2012

Foto: Comfreak; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Web: www.mathilda-grace.de

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Drama & Romance

Liebe Leserin, Lieber Leser,

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

Dankeschön.

Liebe Grüße

Mathilda Grace

Kilian McDermott liebt sein ruhiges Leben als Künstler und die für ihn dazu gehörenden Affären mit Frauen und Männern. Einer davon ist Alex Corvin, der Halbbruder seines Adoptivvaters Mikael, der sie eines Tages beim Sex überrascht. Alex beendet daraufhin ihre Affäre und fliegt nach Europa. Kilian bleibt enttäuscht zurück und lernt ein paar Wochen später Dale Howard kennen. Er verliebt sich Hals über Kopf in den Polizisten, der seine Gefühle mit der gleichen Intensität erwidert. Doch plötzlich kehrt Alex aus Europa zurück.

Für meinen kleinen Bruder (+2), mit dem man vor allem Freitagabends die tollsten Telefonate führen kann.

Prolog

Gab es etwas Peinlicheres im Leben, als vom eigenen Vater beim Sex erwischt zu werden?

Wohl kaum. Es sei denn, der eigene Liebhaber war zufällig auch der Halbbruder seines Vaters. Genau das war Kilian gerade passiert. Wobei gerade nicht mehr das passende Wort dafür war, denn mittlerweile war es früh am Morgen und er saß seit Stunden nackt auf der Küchentheke und starrte vor sich hin.

Wie hatte das nur passieren können? Wie hatte er sich dazu hinreißen lassen können, trotz seiner Verabredung mit Mikael, mit Alex in seiner Küche Sex zu haben? Es wäre vermutlich gutgegangen, wenn Mikael nicht eine Stunde eher als geplant bei ihm in der Küche gestanden und sie in flagranti erwischt hätte. Und als wäre das an sich nicht schon schlimm genug gewesen, hatte Alex, nachdem Mikael wortlos kehrtgemacht hatte und gegangen war, seine Sachen genommen und ihm in wenigen Sätzen erklärt, er wolle noch heute auf unbestimmte Zeit nach Europa fliegen. Was gleichbedeutend mit einem Das war es mit uns gewesen war.

Kilian zuckte heftig zusammen, als das Telefon zu klingeln begann, blieb aber auf der Theke sitzen. Sein Anrufbeantworter war eingeschaltet und er wollte momentan mit niemandem reden. Nicht, bevor er nicht ein paar Tage Zeit gehabt hatte, das Ganze sacken zu lassen. Er konnte Mikael nie mehr unter die Augen treten. Wie der Alex und ihn angesehen hatte. Diesen vollkommen überraschten und zugleich entsetzten Blick würde Kilian niemals vergessen.

»Kilian? Geh ans Telefon.«

Colin. Auch das noch. Kilian verzog das Gesicht.

»Mik hat es mir erzählt. Bitte geh ans Telefon.«

Kam nicht infrage. Nicht in eintausend Jahren. Colin seufzte leise, worauf Kilian niedergeschlagen den Kopf hängen ließ. Seine Väter hatten nicht davon erfahren sollen. Niemand hatte erfahren sollen, was ihn und Alex verband. Jedenfalls nicht so. Und vor allem nicht, bevor sie sich überhaupt einig waren, was das zwischen ihnen war. Tja, die Frage hatte Alex letzte Nacht unverkennbar beantwortet, als er gegangen war.

»Wann immer du das abhörst, komm bitte nach Hause. Wir lieben dich.«

Bis vor ein paar Stunden war er sich dessen sicher gewesen, jetzt war er es nicht mehr. Nicht nach letzter Nacht. Kilian fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und lehnte sich zurück, bis er mit dem Rücken an den Küchenschrank stieß. Warum hatten sie damit angefangen? Warum hatten sie nicht die Finger voneinander lassen können? Was zwischen Alex und ihm die vergangenen sieben Monate gewesen war, war weder verwerflich noch verboten, immerhin waren sie nicht verwandt, dennoch fühlte sich Kilian auf einmal, als hätte er ein Verbrechen begannen. Als hätte er das Schlimmste getan, was man tun konnte, ohne dafür einen Namen zu haben.

Er starrte wie betäubt vor sich hin, bis er irgendwann hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Es dauerte etwas, bis er verstand, was das bedeutete, und da trat Niko gerade zu ihm in die Küche. Niko. Sein großer Bruder im Geiste und zudem der einzige, der Bescheid gewusst hatte. Und Niko wusste bereits, was letzte Nacht passiert war, so wie er ihn ansah. Kein Wunder, die Brüder lebten seit drei Jahren in einer Wohngemeinschaft zusammen. Alex musste es ihm erzählt haben.

»Er ist vor einer Stunde geflogen. Ich konnte ihn nicht aufhalten und er wollte mir nicht sagen, wieso er geht.« Niko trat auf ihn zu. »Was ist letzte Nacht hier abgelaufen? Hast du Alex endlich gesagt, dass du ihn liebst?«

Kilian glotzte Niko ungläubig an und brach in Tränen aus, als ihm schließlich bewusst wurde, wie recht sein Bruder hatte.

1. Kapitel

»Ich fasse es nicht, dass ich dabei mitgemacht habe«, murmelte Noah und stützte seine Ellbogen auf die Knie, um stöhnend das Gesicht in den Händen zu vergraben.

»Dad bringt uns um«, murrte Liam und rieb sich übers Gesicht. »Und dann verbuddelt er uns hinten im Garten.«

»Dito«, flüsterte Kilian und schämte sich zugleich in Grund und Boden. Was hatte er sich bloß dabei gedacht, die Zwillinge in die Sache mit reinzuziehen? War er nicht ganz bei Trost?

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war er bereits seit einem Monat nicht mehr ganz bei Trost. Seit der Sache mit Alex und Mikael. Und dass er sich seither zu Hause verbarrikadierte und von seinen Vätern fernhielt, half ihm auch nicht sonderlich dabei, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Kilian hatte gehofft, sich mit genügend Arbeit abzulenken, würde das Ganze irgendwie leichter machen, leider das Gegenteil war der Fall. Mikael ging er komplett aus dem Weg, vor Colin war er in den letzten Wochen mehrfach wie ein Verbrecher aus seiner eigenen Hintertür geflüchtet, als sein Vater zu ihm gekommen war, und jetzt auch noch das.

Erwischt beim Diebstahl von drei Flaschen Wodka. Einfach so, aus einer Laune heraus, weil die Zwillinge übers Wochenende zu Besuch waren, und ihn unbedingt auf eine Party von ein paar ihrer Freunde hatten mitschleppen wollen. Tja, auf der waren sie nie angekommen. Stattdessen saßen Liam, Noah und er im Knast und warteten auf Adrian. Ihr Onkel war der einzige, den sie sich getraut hatten anzurufen, und wenn sie Glück hatten, würde Adrian schon bald auf der Matte stehen, sie finster ansehen, aber hoffentlich aus dieser Zelle holen, die sie sich mit fünf Besoffenen, zwei Dealern und drei Nutten teilten, die wie sie auf ihre Auslöse warteten.

»McDermott? Kendall?«

Kilian sah gemeinsam mit den Zwillingen auf. Vor der Zellentür stand der Cop, der sie erwischt hatte. Er grinste. Neben ihm stand Adrian Quinlan, wie immer perfekt angezogen und ganz der Anwalt, der er war. Er grinste allerdings nicht. Kilian hätte sich am liebsten unter der unbequemen Bank versteckt, auf der er saß, als Adrian in seine Richtung sah. Er wich dessen Blick aus und sah lieber zu dem Polizisten, der in dem Moment eine auffordernde Handbewegung machte.

»Los, aufstehen. Ihr seid draußen.«

Im Augenblick wäre er gerne in der Zelle geblieben, aber da das nun mal keine Option war, stand Kilian auf und schaute zu den Zwillingen, die genauso begeistert wirkten wie er. Kilian trat sich vor die zwei. Wenn Adrian ihn anbrüllen wollte, sollte er es tun. Aber Liam und Noah hatten sich von ihm überreden lassen. Er war Schuld an dieser Sache, also würde er dafür geradestehen. Allein.

Allerdings brüllte ihr Onkel sie nicht an. Das Gegenteil war der Fall, denn Adrian sagte kein einziges Wort, während sie einige Papiere unterschrieben und anschließend das Revier verließen, um Richtung Parkplatz zu laufen. Kilians schlechtes Gewissen wuchs mit jedem Schritt. Dass Adrian so still blieb war schlimmer, als wenn er sie wirklich angebrüllt hätte. Das konnte nichts Gutes heißen. So sah er das zumindest. Kilians Blick schweifte zu Liam und Noah, die, sofern er ihre nervösen Gesichtsausdrücke richtig deutete, ähnliche Gedanken wälzten.

»Ich will auf der Stelle tot umfallen«, sagte Liam auf einmal entsetzt.

Kilian folgte Liams Blick und erstarrte innerlich förmlich zu einer Salzsäule, denn Adrian war nicht allein hergekommen. Er hatte seine Väter, Liams und Noahs Väter und David mitgebracht. Ach, du Scheiße. Kilian sah sich unwillkürlich nach einem Fluchtweg um, aber Adrian hatte genau das scheinbar geahnt, denn plötzlich nahm er ihn am Arm und hielt ihn fest. Kilian war zu Tode verlegen, sagte aber nichts und wehrte sich auch nicht gegen Adrians eisernen Griff, der ihm eines deutlich klarmachte. Heute Nacht würde er keine Chance bekommen, um sich wegzuschleichen. Heute Nacht gab es Ärger.

»Warum?«, fragte Nick, nachdem sie alle beieinander standen und weder die Zwillinge noch er ein Wort hervorbrachten. »Kilian? Liam? Noah? Ich will eine Antwort.«

»Es war allein meine Idee«, sagte er sofort, um die Zwillinge zu schützen.

»Das weiß ich, aber unsere Söhne haben mitgemacht, obwohl sie es besser wissen sollten. Also?«, hakte Nick nach und Kilian presste die Lippen fest zusammen, weil er Nick nicht die Wahrheit sagen wollte. Er wollte nicht, dass der von dem ganzen Drama mit Alex und Mikael erfuhr, das Ganze war ihm auch so schon peinlich genug. Er sah zu Boden, weil er Nicks Blick nicht mehr standhalten konnte.

»Sie wissen es, Kilian«, sagte Colin leise und Kilians Kopf fuhr hoch. Fassungslos und völlig entsetzt. Das konnte sein Vater unmöglich ernst meinen, oder etwa doch? »Wir haben es ihnen auf dem Weg hierher erzählt.«

»Was?«, fragte er und verfluchte sich, da seine Stimme viel zu hoch und schrill klang. Seine Väter hatten allen erzählt, was passiert war? Wie konnten sie nur? »Habt ihr sie noch alle? Das ging niemanden etwas an.«

»Kilian!«, zischte Mikael und Kilian zuckte ertappt zusammen. »Das reicht jetzt. Wir fahren nach Hause und dann reden wir. Und wenn ich dich dafür in Handschellen abführen muss, tue ich das. Hast du verstanden?«

Kilian sah rot. »Versuch´s doch.«

»Hört sofort auf!« Adrian schob sich zwischen Mikael und ihn und sah ihn ruhig an. »Dass du Zeit gebraucht hast, verstehe ich, aber jetzt ist Schluss. Ihr wolltet heute einen Schnapsladen ausrauben, Kilian. Was kommt als Nächstes? Drogen? Körperverletzung? Saufen? Oder klaust du lieber alten Damen die Handtasche?«

Ein Eimer Eiswasser über seinem Kopf ausgeschüttet hätte nicht wirkungsvoller sein können. Kilian wurde übel, als ihm bewusst wurde, dass Adrian recht hatte. Er hatte vollkommen die Kontrolle über sich verloren und jetzt sogar noch die Zwillinge mit in seine privaten Angelegenheiten hineingezogen, die nicht einmal wussten, worum es eigentlich ging, das bewiesen ihm Liams und Noahs fragende Blicke gerade.

Bevor jemand etwas sagen konnte, hielt ein Taxi ganz in ihrer Nähe und Niko stieg aus. Scheinbar kam er von einer Party, denn für einen normalen Freitagabend war er zu sehr rausgeputzt. Kilian verzog ein weiteres Mal das Gesicht. Niko machte ihm wegen seines Verhaltens bereits seit einiger Zeit Feuer unter dem Hintern, und er würde auch jetzt nicht davor zurückschrecken seine Meinung deutlich zum Ausdruck zu bringen.

»Dann stimmt es also wirklich«, sagte Niko, nachdem er zu ihnen aufgeschlossen hatte, und schüttelte den Kopf, ehe er ihn wütend ansah. »Drehst du jetzt völlig durch, Kilian? Ich dachte zuerst, Mik verkohlt mich, als die SMS kam.«

»Was ist hier eigentlich los?«, fragte Liam und Kilian sah zu Boden. Eher würde er sich freiwillig von einem Hochhausdach stürzen, als diese Frage zu beantworten.

»Ich denke, wir sollten fahren«, warf David ein und deutete auf das Revier, als Kilian kurz zu ihm sah. »Wenn wir hier weiter rumstehen, haben wir bald Zuschauer.«

Damit war erst mal alles gesagt und wenig später fand sich Kilian auf dem Rücksitz von Mikaels BMW wieder. Er schwieg, während sie nach Hause fuhren. Was hätte er auch sagen sollen? Dass er nach Alex' Weggang vollkommen den Boden unter seinen Füßen verloren hatte? Dass er einfach nicht wusste, wie er seinem Vater je wieder in die Augen blicken sollte? Dass er Liebeskummer hatte wie ein Teenager? Dass er kein einziges Bild mehr gemalt hatte, seit Alex weg war?

Kilian war komplett neben der Spur und er wusste absolut nicht, wie er endlich wieder zur Normalität zurückkehren sollte. Er hatte schon als kleines Kind empfindlich auf unerwartete Veränderungen in seiner Umwelt reagiert, und nach dem Tod seiner Mutter und seiner Angst um Colin, als der fast Mikael verloren hatte, war es noch schlimmer geworden. Er brauchte eine gewisse Normalität im Leben, die das Zeichnen genauso mit einschloss wie die Luft zum Atmen. Doch seit sein Vater ihn mit Alex beim Sex erwischt und der ihn anschließend verlassen hatte, gab es überhaupt keine Normalität mehr.

Irgendwann fand sich Kilian im Wohnzimmer auf dem Sofa wieder. Colin und Mikael saßen ihm gegenüber, Adrian hatte neben ihm auf der Lehne Platz genommen. Scheinbar als Vermittler, denn der Rest ihrer Truppe war nicht zu sehen. Wahrscheinlich waren sie im Haus und im Garten verteilt, um in aller Ruhe miteinander reden und diese Sache klären zu können. Das hätte er auch gerne getan, Kilian wusste nur nicht, wie er überhaupt anfangen sollte.

»Kilian?«, riss ihn Adrians Stimme aus den Gedanken. Wie sein Onkel immer noch so ruhig sein konnte, war ihm ein Rätsel. »Eine Erklärung wäre für den Anfang nicht schlecht.«

Kilian wagte es nicht, einen der drei auch nur anzusehen, denn er fand es durchaus im Bereich des Möglichen, dass sie ihn für seine nächsten Worte auslachten. »Es war ein Jux.«

»Ein Jux? Wie meinst du das?«, fragte Colin und irgendetwas an seinem Vater störte Kilian, er kam nur nicht darauf, was es genau war.

»Es gab keinen Grund«, antwortete er und hätte am liebsten die Hände in die Hosentaschen geschoben, da er nicht wusste, wo er mit ihnen hin sollte. »Es war ein Scherz. Einfach nur so. Es gab keinen Grund für den Diebstahl.«

»Einfach nur so?« Mikael atmete hörbar durch. »Du klaust mehrere Flaschen hochprozentigen Alkohol aus einem Laden, einfach so? Mit den Zwillingen?«

Es klang so dämlich, wie Mikael das sagte, trotzdem nickte Kilian ehrlich. »Ja.«

»Spinnst du?«, schrie Mikael ihn daraufhin erbost an und Kilian zuckte zusammen. Das schien gerade zu einer Hauptbeschäftigung von ihm zu werden. Neben dem Schämen und Blicken ausweichen.

»Mik, bitte ... Das bringt uns nicht weiter«, versuchte Colin zu schlichten, hatte aber keinen Erfolg.

»Nein, Colin. Ich sehe mir das jetzt schon seit einem Monat an, das ist mehr als genug. Oder hast du vergessen, dass er vor dir durch die Hintertür seines eigenen Hauses geflüchtet ist? Seit vier Wochen geht uns unser Sohn aus dem Weg, wo er nur kann, und jetzt ruft uns mitten in der Nacht Adrian an, weil Kilian im Gefängnis sitzt. Im Gefängnis! Wegen Diebstahl. Und jetzt sag mir noch mal, dass ich mich beruhigen soll.«

Colin sagte nichts und Kilian sah vorsichtig auf. Er bekam gerade noch mit, dass sein Vater die Lippen zusammenpresste, ehe er ihn enttäuscht ansah. Kilian blickte beschämt wieder zu Boden und das ärgerte Mikael scheinbar mächtig.

»Verflucht, Kilian!« Sein Vater stand vom Sessel auf und begann im Wohnzimmer auf und abzulaufen. »Es geht doch gar nicht um diesen lächerlichen Diebstahl. Natürlich war ich schockiert, als ich dich mit Alex sah, weil ich einfach nie im Leben damit gerechnet hätte. Aber das heißt doch nicht, dass es mich stört oder ...« Mikael brach ab und seufzte. »Himmel, glaubst du wirklich, ich würde dich deswegen ablehnen? Du bist mein Sohn. Ich liebe dich.«

»Ich wusste einfach nicht, was ich denken soll«, platzte aus Kilian heraus und er wäre am liebsten in einem Loch im Boden verschwunden, als er aufsah und seine Väter und Adrian ihn ansahen. »Du hast deinen Blick nicht gesehen, als du uns entdeckt hast, aber ich schon, und ich ... Ich kann ... Ich weiß einfach nicht ... Ach, Scheiße.«

»Colin, wolltest du nicht eine rauchen gehen?«, fragte Adrian in die unangenehme Stille hinein, die seinen Worten folgte.

Colin schien zuerst verärgert ablehnen zu wollen, sah dann jedoch zwischen ihm und Mikael hin und her, ehe er seufzend nickte und sich Adrian anschloss, der schon aufgestanden war. Mikael wartete, bis beide den Raum verlassen hatten, bevor er sich ihm gegenüber auf den Couchtisch setzte. Kilian blieb, wo er war, obwohl er immer noch am liebsten weggelaufen wäre. Das Ganze war ihm mittlerweile so peinlich, dafür gab es gar keine Worte mehr.

»Ich will ehrlich sein, ja, ich war total von den Socken«, sagte Mikael leise und hielt sein Kinn fest, als Kilian dem Blick seines Vaters wieder ausweichen wollte. »Ich bin nicht blind und ich habe die Männer gesehen, mit denen du in den letzten Jahren ausgegangen bist. Genauso wie die Frauen. Alex passte da schon vom Äußerlichen her überhaupt nicht rein und deswegen war ich so überrascht.«

»Und er ist dein Bruder«, sagte Kilian leise, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Mikael diese Tatsache egal war.

»Ja«, gab Mikael zu und grinste schief. »Aber Alex und du seid nicht miteinander verwandt, also warum denn nicht? Und ja, wenn ihr es wärt, hätte ich ein Problem damit gehabt, das gebe ich zu.«

Kilian seufzte. »Ich wusste einfach nicht, was ich sagen soll. Zuerst dein Blick und dann war Alex auf einmal weg und ich ... ich ...« Kilian seufzte erneut. »Er ist abgehauen. Ich dachte, er wäre ... wir wären ...« Kilian brach ab und biss ich auf die Lippe, hatte aber schon zu viel gesagt, das verriet Mikaels nächste Frage deutlich.

»Liebst du Alex?«

»Schätze schon«, gestand er, worauf Mikael traurig lächelte und ihn losließ, um sich stattdessen durch die Haare zu fahren.

»Ich wünschte, ich könnte dir sagen, wo Alex ist, damit ihr das vernünftig klären könnt, aber ich weiß es nicht. Er ist nicht zu finden und Europa ist groß.«

»Adrian?«, war Kilians erster Gedanke.

Mikael verdrehte genervt die Augen. »Ich habe ihn bereits vor zwei Wochen um Hilfe gebeten, aber er hat abgelehnt.«

Kilian blieb vor Erstaunen erst der Mund offen stehen, aber dann fiel der Groschen. »Er weiß irgendetwas und will es uns nicht sagen, oder?«

»Das denke ich auch.«

Na super. Kilian zog eine Grimasse, denn aus Adrian Informationen herausquetschen zu wollen, wenn der keine preisgeben wollte, war in seinen Augen reine Zeitverschwendung. Genauso gut hätte er den Kopf gegen eine Mauer schlagen können. Das Ergebnis wäre in etwa das Gleiche gewesen, nämlich tierische Kopfschmerzen. Adrian hatte irgendwelche dubiosen Verbindungen zum FBI, so viel wusste er, und er wusste auch, dass sein Onkel immer zur Stelle war, falls man Hilfe brauchte. Aber Kilian wusste leider ebenfalls, dass Adrian, wenn er nicht wollte, stur wie ein alter Ziegenbock sein konnte. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass Adrian in puncto Alex jede seiner Fragen unbeantwortet lassen würde.

Kilian schob das Thema Adrian erst mal beiseite. »Wieso ist er gegangen? Ich verstehe es einfach nicht. Alex ist gar der Typ für solche spontanen Aktionen.«

Mikael zuckte hilflos die Schultern. »Ich verstehe es auch nicht. Niko hat mir erzählt, Alex hätte sich schon seit Wochen merkwürdig benommen, aber immer, wenn er gefragt hat, was los ist, hätte Alex abgewunken und gemeint, es wäre nichts.«

Das war ihm ebenfalls aufgefallen. Er hatte nur nicht nachgefragt, musste sich Kilian zu seiner Schande eingestehen. Jedes Mal, wenn er mit Alex zusammen gewesen war, hatten sie andere Sachen getan, als sich über ihre Leben zu unterhalten. Meistens jedenfalls.

»Es tut mir alles so leid, Dad«, murmelte er, woraufhin Mikael sich neben ihn setzte und ihn in seine Arme zog. »Das mit Alex, der Diebstahl, mein Verhalten. Einfach alles.«

»Ich weiß, und es ist okay, hörst du? Wir kriegen das schon wieder hin. Ich liebe dich, Frechdachs. Das habe und werde ich immer.«

Kilian erwiderte Mikaels Umarmung und presste sich eng an ihn. Wie sehr er diese Nähe zu seinen Vätern in den letzten vier Wochen vermisst hatte, fiel ihm erst jetzt auf. »Dad? Muss ich ins Gefängnis?«

»Nein.« Mikael gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Haare. »Du hast dir bisher nichts zu schulden kommen lassen, sagt Adrian, sodass du wahrscheinlich mit einer Geldstrafe davonkommst. Bei Noah ist er sich nicht sicher.«

Scheiße, dachte Kilian, und war gleichzeitig erleichtert, dass er vielleicht mit einem blauen Auge davonkam. Das war Noah gegenüber zwar nicht sehr fair, aber er wollte nicht ins Gefängnis. Allein der Gedanke bescherte ihm Übelkeit. Kilian verkniff sich ein Stöhnen, als ihm etwas anderes einfiel.

»Ich zeichne nicht mehr.«

Mikael schwieg kurz, dann fragte er: »Seit Alex weg ist?«

»Ja«, gestand er und ließ zu, dass Mikael sich von ihm löste, um ihn ansehen zu können. »Kein Bild, keine Idee, absolut gar nichts. Ich werde noch völlig verrückt. Ich muss zeichnen können, Dad. Ich kann nicht ohne.«

»Ich weiß.« Mikael strich ihm über die Wange. »Wir wäre es mit einem Tapetenwechsel? Komm zu uns nach Hause. Für ein paar Tage oder auch Wochen. Einfach mal raus aus deinem eigenen Haus, vielleicht hilft es.«

Der Vorschlag war verlockend, aber er sollte lieber erst mal daheim und vor allem in seinem Leben klar Schiff machen. Es wurde wirklich Zeit, dass er wieder auf die Beine kam. »Ich bin langsam zu groß, um mich von euch verwöhnen zu lassen.«

»Dafür wirst du nie zu groß sein«, konterte Mikael trocken, was ihn grinsen ließ, bevor er sagte: »Ich denke drüber nach.«

»Gut.« Sein Vater nickte und wurde ernst, während er Richtung Flur deutete. »Tu mir bitte den Gefallen und rede mit deinem Vater, bevor du nach Hause fährst.«

Kilian verstand, was Mikael nicht offen aussprechen wollte. Sein Flüchten vor Colin musste dem sehr wehgetan haben und plötzlich wusste Kilian auch, was ihn an seinem Vater vorhin so sehr gestört hatte. Dessen Ruhe. Das passte nicht zu Colin und daher stand er auf, als Mikael ihn losließ, und machte sich auf die Suche nach seinem Vater. Er hörte Nick und Tristan in ihrer Küche mit den Zwillingen reden und Niko saß vor dem Haus in der seit Jahren quietschenden Schaukel auf der großen Veranda, mit David in ein leises Gespräch vertieft. Kilian wollte die beiden nicht stören und ging um ihr Haus herum in den Garten, wo er fündig wurde.

Adrian und Colin saßen auf der Terrasse und Adrian sah zu ihm, als er sich räusperte. Da er nicht genau wusste, wie er am besten anfangen sollte, schob Kilian die Hände in die Hosentaschen und schaute mal wieder verlegen zu Boden, was seinen Onkel leise seufzen ließ. Schweigen kehrte ein und als Kilian sich nach einiger Zeit traute den Kopf zu heben, war er mit Colin allein, der ihn nachdenklich musterte.

»Redest du jetzt gar nicht mehr mit mir?«

Es waren nicht Colins Worte, sondern die herauszuhörende Traurigkeit, die Kilians Beherrschung in sich zusammenfallen ließ. Wochenlang schleppte er das alles jetzt schon mit sich herum, es ging einfach nicht mehr. »Ich wusste nicht, wie ich euch je wieder ansehen soll. Das war mir alles so peinlich. Ich dachte, dass es euch stört und ...« Er brach ab und überlegte kurz. »Ich weiß nicht mehr so genau, was ich dachte, ich wusste nur nicht, was ich tun soll. Wie ich euch alles erklären soll. Das mit Alex, meine ich. Ich ... Es tut mir so leid. Auch der Quatsch mit dem Wodka heute ... Mir ist eine Sicherung durchgebrannt. Ich weiß nicht, wie ich es dir sonst erklären kann. So bin ich nicht, das weißt du. Ich habe mich noch nie zuvor in meinem Leben so sehr geschämt wie heute, Dad.«

»Ach Kilian ...«

Im ersten Augenblick zuckte er zusammen, als Colin ihn in seine Arme zog, aber dann erwiderte er dessen Umarmung, als wäre sie ein Rettungsanker. Sein Vater strich ihm zärtlich über den Kopf und hielt ihn fest, wie er es immer schon getan hatte, wenn Kilian mit Sorgen oder Problemen zu ihm gegangen war. Und als dann auch noch Mikael hinzukam und sich der Umarmung anschloss, fühlte sich Kilian zum ersten Mal seit Wochen wieder sicher und geborgen.

»Ich dachte, wir kriegen Hausarrest, so wie nach dieser Sache mit dem Auto von unseren Nachbarn«, sagte Liam und Kilian hörte Noah im Hintergrund lachen, was ihn grinsen ließ.

»Was war denn mit dem Auto?«, fragte er und drehte sich auf den Rücken, um besser telefonieren zu können. Die Sonne lachte ihn von einem strahlend blauen Himmel an und der Geruch, der vom Grill in seine Richtung strömte, ließ seinen Magen vernehmlich knurren. »Dad, ich verhungere langsam«, rief er Mikael zu, der am Grill am anderen Ende des Gartens stand und daraufhin lachte.

»Jammerlappen«, rief sein Vater feixend zurück, was Kilian mit einem »Pfft.« kommentierte, das nun wiederum die Zwillinge lachen ließ.

»Ruhe auf den billigen Plätzen«, grollte er gespielt ins Telefon, was weder bei Liam noch bei Noah Eindruck hinterließ.

Drei Wochen war der Diebstahl mittlerweile her und heute hatten sie die Verhandlung deswegen hinter sich gebracht, die, Nick und Adrian sei Dank, mit einer Geldstrafe für jeden erledigt gewesen war. Kilian störten die 6.500 Dollar nicht. Es war zwar viel Geld, aber er hätte ohne zu murren das Doppelte bezahlt. Ihm war wichtiger, dass die Sache endgültig hinter ihm lag und er nicht ins Gefängnis musste. Diese Vorstellung hatte in den letzten Wochen für einige schlaflose Nächte bei ihm gesorgt. Aber das war ab heute hoffentlich vorbei.

»Was war denn jetzt mit dem Wagen?«, kam er wieder auf seine Frage zurück.

»Och, nicht so wichtig«, wich Liam aus und Kilian lachte.

Er wollte es gar nicht so genau wissen. Die Zwillinge hatten ihre Väter in den ersten Jahren, nachdem sie zu Nick und Tristan gekommen waren, mehrfach an den Rand des Wahnsinns getrieben, und Kilian konnte sich recht gut vorstellen, wie oft sich die beiden ernsthaft gefragt hatten, ob ihre Zwillinge eine Strafe Gottes oder so etwas waren. Zumindest erinnerte er sich noch gut an mehrere Gespräche hier im Haus, wenn die Bande zu Besuch gewesen war, die sich um Versicherungen und Schadenersatz gedreht hatten.

»Ist bei euch jetzt wieder alles okay?«, wollte er wissen.

»Ja«, antwortete Liam und seufzte. »Sag mal, haben Onkel Mik und Onkel Colin bei dir damals eigentlich auch einen Aufstand gemacht, als du ausgezogen bist?«

Nanu? Standen bei den Kendalls Auszugspläne ins Haus? »Colin war anfangs natürlich nicht gerade begeistert, er gluckt ja gerne mal«, erzählte er. »Wollt ihr ausziehen?«

»Ich glucke nicht«, erklärte sein Vater im nächsten Moment, bevor Liam antworten konnte, und stellte einen Teller mit geschnittenem Gemüse auf den Tisch neben ihm, was die Zwillinge schallend lachen ließ. »Ich kann euch hören.«

»Ups«, erklärte Liam amüsiert und jetzt war es Kilian, der kicherte und den liebevollen Klaps auf den Kopf mit einer herausgestreckten Zunge in Colins Richtung kommentierte, was seinen Vater kopfschüttelnd grinsen ließ, bevor er zu Mikael ging und ihn küsste.

»Oha, Knutschalarm.«

»Ihhhh«, machten die Zwillinge synchron und Kilian prustete los. »Immer dieses Zungen verknoten, genauso wie bei unseren Dads.«

»Furchtbar, oder?«, neckte er Liam und Noah, was die natürlich prompt wieder lachen ließ. »Also? Was ist bei euch los? Wollt ihr ausziehen?«

»Ja.«

»Und wieso gibt es deswegen Stress?«, hakte er nach, denn das konnte unmöglich der einzige Grund für Liams Frage sein. Irgendetwas war in Baltimore im Busch, das spürte er.

»Na ja, es geht nicht grundsätzlich darum, dass wir ausziehen, sondern eher darum, wo wir hinziehen werden«, erklärte Liam ausweichend und aus Erfahrung wusste Kilian, jetzt kam es gleich ganz dick.

»Und?«, fragte er, als ihm die künstlerische Pause am anderen Ende der Leitung etwas zu lang dauerte.

»New York City.«

Kilian setzte sich abrupt auf. »New York?«, fragte er verdattert und laut, woraufhin Mikael und Colin überrascht zu ihm sahen. Er ignorierte ihre fragenden Blicke. »Was wollt ihr denn in New York City?«

»Leben? Vielleicht arbeiten? Spaß haben?«

Kilian blinzelte irritiert. »Könnt ihr das nicht in Baltimore?«

Liam seufzte. »Jetzt klingst du wie Dad.«

»Ich mein ja nur. Warum denn ausgerechnet New York?«

»Kilian, wir sind alt genug, um woanders hinzuziehen.«

Kilian seufzte. Natürlich waren die Brüder mit Mitte zwanzig alt genug, ihr eigenes Leben zu leben. Um ehrlich zu sein, wunderte ihn sowieso, dass Liam und Noah noch immer zusammen ein Zimmer bei Nick und Tristan bewohnten und sich trotzdem nicht ständig an die Gurgel gingen, so wie er selbst es von seiner Zeit bei David und Adrian erlebt hatte, in der Isabell und er sich jeden Morgen um das Badezimmer gezankt hatten. Er konnte aber auch Nick und Tristan verstehen, da er das Thema schon vor Jahren mit seinen eigenen Vätern durch hatte.

»Habt ihr schon einen Job in Aussicht?«

Liam lachte leise. »Warum glaubt eigentlich jeder, wir wollten sofort arbeiten gehen. Nein, darum geht es nicht. Eigentlich wollen wir uns erst mal eine Weile treiben lassen. Eine Auszeit nach unserem Studium. Wir hatten an ein Jahr gedacht, so lange wird das Geld in etwa reichen, das wir gespart haben.«

»Ach so.« Kilian schürzte die Lippen, als ihm ein Gedanke kam, der ihm in der Hinsicht gar nicht behagte. »Aber ihr zieht doch nicht nach Queens oder in die Bronx, oder?« Liam prustete los. »Das ist nicht lustig. New York City ist gefährlich. Na ja, manche Gegenden jedenfalls. Wann soll es denn losgehen?«

»Ähm ...«

Kilian roch den Braten sofort. »Wann, Liam?«

»Nächste Woche.«

»Nächste Woche?«, echote er empört und sprang auf. »Und das erzählt ihr mir erst heute?«

»Es hat sich irgendwie nicht ergeben«, murmelte Liam, was Kilian wütend schnauben ließ. Liam seufzte. »Ja, ich weiß, aber zwischen dem Schnapsladen, dem Anschreien und der tollen Aussicht auf Knast, fanden wir, es wäre ein ziemlich schlechter Zeitpunkt, um so eine Neuigkeit mitzuteilen.«

Kilian stöhnte laut und ließ sich wieder auf die Liege sinken. »Meine Fresse.«

»Was ist denn los?« Colin kam auf ihn zu und sah besorgt aus, als Kilian ihm nur das Telefon hinhielt. »Kilian?«

»Das sollen die beiden dir selbst erzählen. Ich brauche auf die Neuigkeit erst mal ein Bier.«

Colin sah ihn überrascht an und nahm das Telefon ans Ohr. »Liam? Was ist los?«

Kilian kam bis zur Terrassentür, dann schallte Colins entrüstetes »New York?« durch ihren Garten, was ihn grinsen ließ, während er in die Küche ging und sich ein Bier aus dem Kühlschrank nahm. Eine große Familie zu haben, in der jeder auf jeden aufpasste, konnte durchaus Nachteile haben. Und wenn es darum ging, dass die eigenen Kinder flügge wurden, gab es eigentlich nur Nachteile. Kilian lehnte sich gegen die Küchentheke und kicherte, als ihm einfiel, wie seine Väter ihn angegafft hatten, als er ihnen den Kaufvertrag für sein Haus gezeigt hatte, mit der Ankündigung nächsten Monat auszuziehen. Da war er fünfundzwanzig Jahre alt gewesen und gerade erst von David und Adrian zurück in sein Kinderzimmer gezogen, nachdem er sein Kunststudium abgeschlossen hatte.

Noch am gleichen Tag waren zwischen seinen und Isabells Vätern die Fetzen geflogen, da Adrian ihm beim Hauskauf geholfen und David das Geld vorgestreckt hatte. Heute hatte Kilian keine Schulden mehr bei David, denn seine Bilder brachten ihm genug Geld ein, um gut davon leben zu können. Und er schätzte, dass das auch einer der Hauptgründe war, warum Nick und Tristan von der New York Idee wenig begeistert waren, denn Liam und Noah wussten absolut nicht, was sie aus ihren Leben machen sollten. Mit Mitte zwanzig hatte er mit der Unterstützung von David bereits einen Fuß in der Tür mehrerer Galerien gehabt, die Zwillinge hingegen schienen sich einfach nicht entscheiden zu können. Trotz Studienabschlüssen in Kunst bei Noah und Sozialarbeit bei Liam. Das war zwar kein Drama, aber an Nick und Tristans Stelle hätte es ihn wohl auch ein wenig beunruhigt.

Mikael kam mit amüsiertem Blick in die Küche und nahm sich ebenfalls ein Bier, bevor er sich neben ihn stellte. »Colin ist in seinem Element.«

»Gluckt er?«, fragte Kilian belustigt.

»Und wie«, antwortete sein Vater. Sie lachten und stießen mit dem Bier an. »Ich schätze, Liam wird es Sam nachmachen.«

Kilian verschluckte sich an seinem Bier und fing an zu husten, um Mikael nebenbei verwundert anzusehen. »Wie kommst du darauf? Er hat Sozialarbeit studiert und nie etwas in Richtung Armee oder Marines erwähnt?«, fragte er, als er wieder genug Luft zum Reden hatte.

»Hast du vergessen, wie sehr er Sam ausgefragt hat?«

Kilian winkte ab. »Ginge es danach, müsste Noah längst einen Stapel Bilder gemalt haben.«

Mikael grinste. »Hat er doch.«

»Seine Graffiti?« Kilian verdrehte die Augen, als Mikael erneut nickte. »Ich sage nicht, dass das keine Kunst ist, immerhin hat er sein Studium mit Auszeichnung gemacht, aber gegenüber Nick sollten wir das besser nicht mehr erwähnen. Ihr letzter Streit nach den besprühten Bussen hat mir gereicht. Immerhin hatte ich sie danach zwei Wochen auf meiner Couch, weil Noah beleidigt war.«

Mikael zuckte die Schultern. »Nick sieht das zu eng. Allein schon aus dem Grund, weil die Stadt daraufhin noch mehr ihrer Busse mit Noahs Graffiti haben wollte. Ganz im Gegensatz zu dem sinnlosen Sprayen von Gangs, sehen Noahs Bilder gut aus. Ich glaube, Nick macht sich einfach zu viele Sorgen um seine Jungs. Ein Jahr New York City bringt sie nicht um.«

Da hatte sein Vater auch wieder recht. Noah hatte mit Farben und Pinseln nie etwas anfangen können. Erst als er Spraydosen in die Finger bekommen hatte, war er künstlerisch aufgeblüht. Liam hingegen fand alles interessant, was mit der Armee im Allgemeinen und dem Marines Corps im Speziellen zu tun hatte. Als Teenager war er daher alle Nase lang bei Sam zu finden gewesen, der ihn dann sogar mal auf seinen alten Stützpunkt mitgenommen hatte. Erst nach der Schule hatte sich das gelegt und schließlich war Liam an der gleichen Uni wie Noah aufgenommen worden und hatte sich komplett in den sozialen Bereich verliebt. Trotzdem machten die Brüder weiterhin alles zusammen, da wunderte Kilian auch nicht, dass sie gemeinsam nach New York City wollten.

Mikael stupste ihn in die Seite und stellte das Bier hinter sich auf die Theke. »Na los, lass uns deinem Vater das Telefon aus der Hand reißen und etwas essen, bevor alles kalt wird.«

Kilian grinste. »Er gluckt eben gerne.«

»Ich weiß.« Mikael zwinkerte ihm zu. »Und ich weiß auch, dass du heilfroh bist, dass er jetzt Liam und Noah im Visier hat und nicht dich.«

»Schamlose Unterstellung«, grollte er und schaffte es gerade so, nicht ertappt zusammenzuzucken.

Mikael lachte und verließ die Küche, was ihn zum Seufzen brachte. Sein Vater kannte ihn entschieden zu gut, aber das war ja nichts Neues. Andererseits, was konnte es Schöneres geben, als das Wissen, dass man so bedingungslos geliebt wurde? Kilian wusste es nicht und es interessierte ihn auch nicht. Er war derzeit glücklich und zufrieden. Vor allem, weil er vor drei Tagen endlich wieder seine Pinsel in die Hand genommen hatte. Wenn er jetzt noch ein saftiges Steak in die Finger bekam, würde diese Woche perfekt sein.

2. Kapitel

»Du bist so stur.« Kilian murmelte einen Fluch, als Adrian lachte. »Ich weiß nicht, was daran so lustig sein soll. Ich mache mir Sorgen um Alex und du findest das komisch?«

»Kilian ...«

»Komm mir nicht auf die Tour«, unterbrach er Adrian verärgert. »Ich bin doch nicht blöd. Du weißt was. Was ist es?«

»Hat dein Vater dich auf mich gehetzt?«, stellte Adrian eine Gegenfrage, anstatt seine zu beantworten, und Kilian hätte vor Wut fast das Telefon gegen die Wand geworfen.

»Das musste er gar nicht«, sagte er. »Die Aussage, dass du ihm nicht hilfst, Alex zu finden, war ausreichend.«

Adrian seufzte leise. »Kilian, ich habe Mikael nicht gesagt, dass ich ihm nicht helfe, sondern dass ich ihm nicht dabei helfe, Alex nachzuspionieren.«

»Das ist doch dasselbe«, schimpfte er und lief in seiner Küche wütend auf und ab.

»Ist es nicht«, hielt sein Onkel trocken dagegen.

Kilian stöhnte frustriert auf. Das Gespräch lief leider so, wie er es erwartet hatte, und das ärgerte ihn mehr, als er zugeben wollte. Er wollte doch nur wissen, ob Alex gesund und munter war, war das zu viel verlangt? Wieso schaltete Adrian in dieser Sache dermaßen auf stur? Irgendetwas war hier definitiv faul, er wusste nur nicht, wie er es aus Adrian rauskriegen sollte.

»Lebt er wenigstens noch?«, fragte er genervt und war heilfroh, als er dieses Mal eine Antwort bekam. »Immerhin etwas.« Kilian seufzte. »Wieso redest du nicht mit mir? Wir reden sonst auch über alles. Hat Alex irgendetwas angestellt?«

»Ich rede doch gerade mit dir«, wich Adrian zum x-ten Mal aus und Kilian verbot sich einen lästerlichen Fluch.

Adrian ließ ihn auflaufen, wie einen dummen Bengel. Das hatte er schon seit Jahren nicht mehr gemacht und Kilian war klar, wenn er nicht bald aufhörte mit den Fragen, würden zwischen ihnen die Fetzen fliegen. Er sah in den Kühlschrank, weil er jetzt dringend etwas Süßes brauchte. Nur hatte er vergessen einzukaufen und daher herrschte in seinem Kühlschrank wieder einmal gähnende Leere. Kilian gab es auf. Seine Laune war sowieso schon im Keller, da half auch kein Einkauf mehr. Er musste hier raus und sich austoben. Gott sei Dank war Freitagabend. Es würde nicht schwer werden, in einem Club jemanden aufzutreiben, mit dem er seinen Frust loswerden konnte. Allerdings würde er Adrian vorher noch eins reinwürgen, so viel Zeit musste sein.

»Ich muss einkaufen«, sagte er und warf die Kühlschranktür zu. »Und wenn ich schon dabei bin, besorge ich gleich eine Briefbombe und schicke sie dir.«

Jetzt war es Adrian, der stöhnte. »Kilian, Alex ist alt genug. Er hat Gründe und die wird er dir sagen, wenn er soweit ist.«

Das war nicht die Antwort, die er hatte hören wollen. »Ich könnte dich erwürgen«, grollte er halbherzig, was Adrian mit einem Lachen kommentierte. »Na schön«, schimpfte er daraufhin beleidigt. »Dann behalt deine Geheimnisse für dich und ich gehe jetzt aus, um mir einen netten Fick zu suchen.«

»Wo hast du bloß diese Ausdrucksweise her?«, fragte Adrian leise und gleichzeitig beunruhigt.

»Von der Straße«, feixte er, weil er wusste, dass Adrian sich darüber ärgern würde. Diese Zeiten waren zwar lange vorbei, aber die ersten Monate während seines Studiums in Baltimore, hatte er ein paar Mal mächtig über die Strenge geschlagen, was das bunte Nachtleben der Stadt anging. Das war allerdings nur so lange gut gegangen, bis er schließlich an den Falschen geraten und nach einer heftigen Schlägerei für eine Nacht im Krankenhaus gelandet war.

Danach hatten David und Adrian andere Seiten aufgezogen, um dafür zu sorgen, dass er sich benahm, und Kilian hatte mitgespielt. Nicht, weil er es unbedingt gewollt hatte, sondern weil Adrian ihn eiskalt damit erpresst hatte, seinen Vätern alles zu erzählen, wenn er nicht sofort mit seiner Rebellion aufhörte, und weil David ihm gedroht hatte, dafür zu sorgen, dass er als Künstler nie einen Fuß in die Tür bekam. Und das hatte gesessen. Er hatte aufgehört, sich wie ein verzogenes Kind zu benehmen, und sich um sein Studium gekümmert. Nur deshalb galt er heute, mit Anfang dreißig, als ein aufstrebendes Talent am Kunsthimmel. Ohne Adrian und David wäre es vielleicht nicht dazu gekommen.

Kilian verzog das Gesicht, weil er sich auf einmal schämte. »Entschuldige.«

»Du hättest in der Nacht sterben können, Kilian«, murmelte Adrian ernst. »Nutz das nie wieder aus, nur weil du mir eins reinzuwürgen willst, hast du verstanden?«

»Ja«, antwortete er und sah verlegen auf seine Füße, um mit den Zehen zu wackeln und zu grinsen, als ihm auffiel, dass er ein Loch in der linken Socke hatte. Es war dieselbe Socke, die er vor Wochen hatte wegwerfen wollen. »Ich habe ein Loch in meiner Socke, habe ich dir das schon erzählt?«

Adrian gluckste amüsiert. »Du bist wirklich ein Chaot. Sei nicht leichtsinnig heute Nacht, okay?«

»Bin ich nicht. Versprochen.«

»Ich hab dich lieb, Kleiner.«

»Ich dich auch, Onkel Adrian.«

Als Matt ihn in seine Wohnung ließ, wusste Kilian plötzlich, was ihn schon den gesamten Abend lang, im Hintergrund lauernd, irgendwie gestört hatte. So nett seine heutige Eroberung war und so gut er auch aussah, die erotischen Drucke an den Wänden, die schwarzen Möbel in seiner Wohnung und der jetzt fester werdende Griff um sein Handgelenk verrieten Kilian, dass ihr Abend und vor allem ihre Bekanntschaft hier und für immer zu Ende war. Matt war ein Spieler. Ein harter Spieler. Und das hieß für ihn: Finger weg. Kilian war beileibe kein Kostverächter und hatte bereits einige Dinge ausprobiert, von denen er Colin besser niemals erzählte, aber Matt wollte in seinen Augen eindeutig zu viel.

»Die Antwort ist Nein«, sagte Kilian und blieb stehen.

»Ich habe doch noch gar nicht gefragt.«

»Das musst du auch nicht.« Er erstarrte, als Matt ihm über den Rücken strich. »Kein Interesse.«

»Ach, komm schon. Ist doch nur Spaß. Wir kommen beide auf unsere Kosten.«

»Das glaube ich dir sogar.« Kilian warf einen Blick über die Schulter. »Aber ich sagte Nein, Matt, und das meinte ich auch so. Und jetzt lass mich auf der Stelle los.«

Matt studierte einen Moment sein Gesicht, danach nickte er und gab ihn frei, um anschließend von der immer noch offen stehenden Wohnungstür zurückzutreten. »Schade. Es hätte dir gefallen, Kilian.«

Kilian schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Spieler und vor allem bin ich kein Spielzeug. Für niemanden. Leb wohl, Matt.«

Er wollte keinerlei Zweifel aufkommen lassen, dass ihre Bekanntschaft damit beendet war, und Matt verstand ihn, denn er sagte kein Wort, schloss nur schweigend hinter ihm die Tür, als Kilian in den Flur getreten war. Er ging zurück zum Fahrstuhl und lehnte sich in selbigem gegen die Wand, um erst mal tief Luft zu holen. Das hätte schiefgehen können, den rein körperlich war Matt ihm haushoch überlegen gewesen. Aber Adrians und Davids Tipps in Sachen Spielen und deren Ablehnung waren wie immer Gold wert.

Ihm zitterten trotzdem die Hände, als er sich vor dem Haus ein Taxi nahm, fest entschlossen sich für die nächsten Wochen lieber von Clubs fernzuhalten. Mikael hatte recht. Er brauchte unbedingt einen Tapetenwechsel oder zumindest ein paar Tage Abstand von allem, was in letzter Zeit passiert war. Das Erlebnis eben sprach Bände, denn normalerweise erkannte er einen Spieler auf eine Meile Entfernung. Obwohl er wieder zeichnete und es ihm allgemein gut ging, der Gedanke an Alex ließ Kilian einfach nicht los. Und sein Telefonat mit Adrian heute hatte mit Sicherheit dazu beigetragen, dass er vorhin bei Matt nicht auf die Zeichen geachtet hatte.

Kilian bat den Taxifahrer auf ihn zu warten, als der vor seinem Haus hielt, und rannte nach drinnen, um das Nötigste für einige Tage einzupacken und zu seinen Vätern zu fahren. Vielleicht hatten Mikael und Colin einen Rat für ihn, wie er die Geschichte mit Alex endlich aus seinem Kopf bekam. Den Vorfall mit Matt würde er aber in Colins Anwesenheit besser nicht erwähnen. Sein Vater reagierte auf solche Vorfälle nicht sehr gut, seit er mit Anfang zwanzig nur mit Mühe und Not einer Vergewaltigung entgangen war. Kilian wollte die Erinnerungen daran nicht wecken, und außerdem war ihm ja nichts passiert.

»Kilian? Bist du das?«

So viel dazu, dass er sich unbemerkt ins Haus schleichen konnte. Wie machte Colin das nur immer? Manchmal hatte er das Gefühl, sein Vater hörte Flöhe husten. Zumindest hatte Mikael es früher immer so kommentiert, wenn er nachts nach Partys, die ein bisschen länger geworden waren als erlaubt, durch den Flur in sein Zimmer gewollt und Colin ihn regelmäßig dabei erwischt hatte.

»Ja, ich bin´s. Schlaft weiter.«

»Bleibst du länger?«

Kilian grinste. Die Frage war geradezu perfekt, um Colin zu ärgern. »Das kommt darauf an.«

»Worauf?«

»Colin, wie alt musst du eigentlich werden, um nicht mehr darauf reinzufallen?«

»Dad!«, empörte er sich, woraufhin Mikael lachte und kurz darauf ging im Flur das Licht an, und er stand seinen Vätern gegenüber, die ihn angrinsten. »Ihr seid unmöglich«, grollte er und kämpfte gleichzeitig gegen den Drang, die beiden zu umarmen. Aber da er ziemlich nach Rauch stank, musste das nun wirklich nicht sein. »Kann ich schnell duschen? Ich wollte euch nicht wecken.«

»Natürlich, das weißt du doch.« Colin betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen und schien zufrieden. »Schlaf gut.«

»Ihr auch.«

Kilian verzog sich in sein altes Zimmer, räumte die Reisetasche aus, die er mitgebracht hatte, und ging duschen, um sich danach mit seinem Handy ins Bett zu verziehen, weil er nicht schlafen konnte. Aber wen durfte er mitten in der Nacht mit einem Anruf nerven? Na ja, eigentlich alle, wenn etwas los war, das wusste er, aber diese Sache mit Matt war kein Notfall. Er brauchte einfach nur jemanden zum Reden, weil er über solche Erlebnisse immer redete.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Mathilda Grace Am Chursbusch 12 44879 Bochum [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Foto: Comfreak; Pixabay Coverdesign: Mathilda Grace

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7393-1034-3