Verzaubertes Herz - Nora Roberts - E-Book

Verzaubertes Herz E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Illusionskünstler Patrick Atkins lebt zurückgezogen in einem verwunschenen Küstenanwesen in der Nähe von L.A. und konzentriert sich allein auf seine Karriere. Als die junge Rona mit dem schwierigen Klienten Verträge über Fernsehproduktionen verhandeln muss, lässt er sich Zeit und lädt Rona ein, einige Tage zu bleiben. Er will seine neue Geschäftspartnerin kennenlernen, die bisher wenig Berufserfahrung hat, aber sehr intelligent ist. Beide haben gute Argumente gegen die Anziehung, die sie füreinander spüren, aber hält sich die Liebe an gute Gründe?

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Seitenzahl: 274

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Nora Roberts

Verzaubertes Herz

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anne Pohlmann

WilhelM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe This Magic Momentist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenCopyright © 1983 by Nora RobertsPublished by Arrangement with Eleanor WilderCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007 by MIRA Taschenbuchin der Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/ConradoSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-12098-6V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

1. KAPITEL

Patrick Atkins hatte das Haus nur aufgrund der Atmosphäre gewählt. Davon war Rona von dem Moment an überzeugt, in dem sie das steingraue einsame Gebäude auf der Klippe sah. Die Hinterfront war dem Pazifik zugewandt. Das Haus war nicht symmetrisch gebaut, sondern bestand aus unterschiedlich hohen und weit auseinandergezogenen Teilen, die ihm eine wilde Anmut verliehen. Am Ende einer kurvenreichen Straße durch die Klippen und vor dem Hintergrund eines düster drohenden Himmels wirkte das Haus gleichzeitig großartig und unheimlich.

Wie aus einem alten Film, dachte Rona und schaltete in den ersten Gang, um die Steigung zu nehmen. Sie hatte gehört, dass Patrick Atkins exzentrisch war. Das Haus schien es zu beweisen.

Jetzt fehlen nur noch ein paar kleine Nebeneffekte, dachte sie, wie Donnerschlag, Nebel und Wolfsgeheul. Der Gedanke amüsierte Rona. Sie hielt den Wagen an und betrachtete noch einmal das Haus. Nur hundertfünfzig Meilen nördlich von Los Angeles bekam man nicht viele Gebäude dieser Art zu sehen. Sie verbesserte sich: Nirgendwo bekam man so etwas leicht zu sehen.

Kaum stieg sie aus dem Wagen, als der Wind sie ansprang, ihr die Haare ins Gesicht wehte und an ihrer lindgrünen flauschigen Strickjacke zerrte. Sie war versucht, zu der Stützmauer zu gehen und einen Blick auf den Ozean zu werfen, eilte aber stattdessen die Stufen hinauf. Sie war schließlich nicht hier, um die Aussicht zu bewundern.

Der Türklopfer war alt und schwer und erzeugte einen beeindruckenden Schlag. Rona redete sich ein, nicht im Geringsten nervös zu sein, wechselte nur ihre Aktenmappe von einer Hand in die andere, während sie wartete. Ihr Vater wäre wütend gewesen, wäre sie ohne Patrick Atkins’ Unterschrift unter dem Vertrag in ihrer Tasche zurückgekommen. Nein, nicht wütend, verbesserte sie sich. Schweigsam. Niemand konnte Schweigsamkeit so effektvoll einsetzen wie Bennett Swan.

Ich werde nicht mit leeren Händen hier weggehen, versicherte sie sich selbst. Ich weiß, wie man schwierige Entertainer behandelt. Ich habe jahrelang beobachtet, wie man es macht, und …

Ihre Gedanken wurden von der sich öffnenden Tür abgeschnitten. Rona starrte den größten Mann an, den sie jemals gesehen hatte. Er war wenigstens zwei Meter hoch, und seine breiten Schultern füllten den Türrahmen fast vollständig aus. Und dann sein Gesicht! Er war zweifellos der hässlichste Mensch, der ihr je begegnet war. Sein breitflächiges Gesicht war blass. Seine Nase war offenbar einmal gebrochen und in einem schiefen Winkel zusammengewachsen. Seine kleinen Augen wiesen das gleiche verwaschene Braun auf wie seine dichten Haare.

Atmosphäre, dachte Rona erneut. Atkins muss diesen Mann wegen der Atmosphäre ausgewählt haben.

»Guten Tag«, brachte sie hervor. »Rona Swan. Mr Atkins erwartet mich.«

»Miss Swan.« Die tiefe, schleppende Stimme passte perfekt zu ihm. Als er zurückwich, zögerte Rona einzutreten.

Sturmwolken, ein riesenhafter Butler und ein düsteres Haus auf einer Klippe. Oh ja, dachte sie, Atkins versteht etwas von Bühneneffekt.

Sie trat ein und sah sich rasch um, während sich die Tür hinter ihr schloss.

»Warten Sie hier«, wies der Butler sie lakonisch an und bewegte sich für seine Größe überraschend geschmeidig durch die Halle.

»Ja, danke«, murmelte sie hinter ihm her.

Die weißen Wände waren mit Wandteppichen geschmückt. Der am nächsten hängende Teppich zeigte in einer verblassten mittelalterlichen Szenerie den jungen König Arthur, der soeben das magische Schwert aus dem Felsen zog. Merlin, der Zauberer, schwebte im Hintergrund. Rona nickte. Diese hervorragende Arbeit passte zu einem Mann wie Atkins.

Sie drehte sich neugierig um und erblickte daraufhin sich selbst in einem verzierten großen Drehspiegel.

Das zerzauste Haar ärgerte sie. Sie repräsentierte »Swan Productions«. Rona zupfte an ihren aus der Frisur gelösten Locken. Ihre grünen Augen hatten sich in einer Mischung aus Sorge und Erregung verdunkelt, ihre Wangen aus den gleichen Gründen gerötet. Sie holte tief Luft, zwang sich zur Ruhe und strich ihre Jacke und ihr hellgrünes langes Wollkleid glatt.

Als sie Schritte hörte, wandte sie sich hastig ab. Sie wollte nicht dabei ertappt werden, dass sie sich im Spiegel betrachtete und ihr Aussehen in letzter Minute in Ordnung brachte. Wieder war es nur der Butler. Rona unterdrückte aufkeimenden Ärger.

»Er möchte mit Ihnen im Keller sprechen.«

»Oh!« Rona wollte noch etwas sagen, aber der Butler ging schon voraus, und sie musste sich beeilen, um Schritt zu halten.

Von der Halle führte ein Korridor nach rechts ab. Ronas Absätze klickten hastig, als sie sich dem Tempo des Butlers anpasste. Er blieb so abrupt stehen, dass sie fast gegen seinen Rücken prallte.

»Da hinunter.« Er öffnete eine Tür und verschwand schnell in der Tiefe.

»Aber …« Rona warf ihm einen finsteren Blick nach und begann den Abstieg über die schwach erleuchteten Stufen. Das ist wirklich lächerlich, fand sie. Eine Geschäftsbesprechung sollte in einem Büro stattfinden oder wenigstens in einem angemessenen Restaurant. Das ist Showbusiness, dachte sie zornig.

Das Echo ihrer eigenen Schritte hallte ihr von unten entgegen. Ansonsten war es totenstill. Oh ja, befand sie erneut, Atkins versteht etwas von Bühneneffekt. Ihr Herz hämmerte heftig, als sie die letzte Windung der Wendeltreppe nahm.

Der Kellerraum war riesig und mit Körben und Kisten und allen möglichen Gegenständen vollgestellt. Die Wände waren holzgetäfelt, der Boden gefliest. Mehr Einrichtung hatte niemand für nötig gehalten. Rona sah sich stirnrunzelnd um, während sie die letzten Stufen hinunterstieg.

Patrick Atkins beobachtete die Besucherin. Er besaß das Talent, sich völlig still zu verhalten und sich absolut zu konzentrieren. Das war in seinem Beruf lebenswichtig. Er besaß auch die Fähigkeit, einen Menschen rasch einzustufen. Auch das gehörte zu seinem Beruf. Rona Swan war jünger, als er erwartet hatte, eine zierlich wirkende Frau, schmal und zart, mit duftigen Wellen blonder Haare und einem fein geschnittenen Gesicht mit energischem Kinn.

Sie ist verärgert, stellte er fest, und nicht im Geringsten ängstlich. Ein Lächeln spielte um seinen Mund. Er verhielt sich auch noch still, als sie im Raum herumging. Sie wirkte sehr geschäftsmäßig in ihrem schlicht-eleganten Kleid. Zierliche Schuhe, eine teure Aktenmappe und sehr weibliche Hände. Interessant.

»Miss Swan.«

Rona fuhr zusammen und verwünschte sich selbst. Denn als sie sich in die Richtung drehte, aus der die Stimme gekommen war, sah sie nur Schatten. Patrick Atkins war nicht auszumachen.

»Sie sind sehr pünktlich«, erklang wieder seine Stimme.

Endlich bewegte er sich, und Rona erkannte, dass er auf einer kleinen Bühne stand. Er trug Schwarz und verschmolz mit den Schatten. Mit einiger Anstrengung unterdrückte sie den Ärger in ihrer Stimme.

»Mr Atkins.« Rona ging mit einem einstudierten Lächeln auf ihn zu. »Ihr Haus ist sagenhaft!«

»Danke.«

Er kam nicht zu ihr herunter, sondern blieb auf der Bühne stehen. Rona musste zu ihm aufblicken. Es überraschte sie, dass er in natura viel beeindruckender wirkte als in Film- und auf Bandaufzeichnungen. Normalerweise war es umgekehrt. Sie hatte Patrick Atkins’ Vorstellungen gesehen. Seit ihr Vater aus Gesundheitsgründen widerstrebend Atkins ihr überlassen hatte, war Rona an zwei Abenden sämtliche verfügbaren Aufzeichnungen von Patrick Atkins durchgegangen.

Ein beeindruckender Mann, stellte sie bei sich fest, als sie sein ausgeprägtes Gesicht mit dem dichten schwarzen Haar betrachtete. An seinem Kinn gab es eine kleine Narbe, und sein Mund war breit und voll. Seine Brauen waren gewölbt, die Enden leicht nach oben gerichtet. Seine Augen hielten sie gefangen. Noch nie hatte sie so dunkle, so tiefe Augen gesehen. Waren sie grau? Waren sie schwarz? Dabei war es gar nicht die Farbe der Augen, die Rona verunsicherte, es war die absolute Konzentration, die sie in ihnen sah. Ihre Kehle fühlte sich auf einmal so trocken an, dass Rona schlucken musste. Es kam ihr fast so vor, als würde er ihre Gedanken lesen.

Patrick Atkins war als größter Magier des Jahrzehnts bezeichnet worden. Manche nannten ihn sogar den größten des letzten halben Jahrhunderts. Seine Illusionsnummern und Entfesselungen waren waghalsig, sensationell und unerklärlich. Nicht selten wurde er sogar als Hexenmeister bezeichnet. Während Rona in seine Augen sah, begann sie zu verstehen, wie es zu seinem Ruf gekommen war.

Sie schüttelte die Trance ab, in der sie sich plötzlich befand, und nahm einen zweiten Anlauf. Sie glaubte nicht an Magie. »Mr Atkins, mein Vater lässt sich dafür entschuldigen, dass er nicht selbst kommen kann. Ich hoffe, dass es ihm …«

»Es geht ihm besser!«

Sie stockte verwirrt. »Ja, ach so, tatsächlich.« Wieder konnte sie nicht anders, als ihn anzustarren.

Patrick stieg lächelnd zu ihr herunter. »Er hat mich vor einer Stunde angerufen, Miss Swan. Ferngespräch, keine Telepathie.«

Rona schoss ihm einen wütenden Blick zu, ehe sie sich selbst zurückhalten konnte, aber sein Lächeln verstärkte sich nur noch.

»Hatten Sie eine angenehme Fahrt?«, erkundigte er sich.

»Ja, danke.«

»Aber eine lange Fahrt. Setzen Sie sich.« Patrick deutete auf einen Tisch und setzte sich dahinter.

Rona nahm ihm gegenüber Platz. »Mr Atkins«, begann sie und fühlte sich wohler, da sie endlich zum Geschäftlichen kamen. »Ich weiß, dass mein Vater schon das Angebot von ›Swan Productions‹ mit Ihnen und Ihrem Agenten ausführlich besprochen hat, aber vielleicht möchten Sie die Details noch einmal durchgehen.« Sie stellte ihre Aktenmappe auf den Tisch. »Ich kann alle Ihre Fragen beantworten.«

»Arbeiten Sie schon lange für ›Swan Productions‹, Miss Swan?«

Die Frage unterbrach ihre flüssige Präsentation, aber Rona stellte sich sofort darauf ein. Entertainer mussten oft bei Laune gehalten werden. »Fünf Jahre, Mr Atkins. Ich versichere Ihnen, dass ich qualifiziert bin, Ihre Fragen zu beantworten und nötigenfalls über Bedingungen zu verhandeln.«

Ihre Stimme klang fest, aber sie war nervös. Patrick erkannte es an ihren Händen, die sie sorgfältig auf dem Tisch gefaltet hielt. »Ich bin sicher, dass Sie qualifiziert sind, Miss Swan«, stimmte er zu. »Ihr Vater ist kein Mann, den man leicht zufriedenstellen kann.«

Überraschung und eine Spur von Sorge flackerten in ihren Augen auf. »Nein«, erwiderte sie ruhig. »Und darum können Sie sicher sein, die bestmögliche Betreuung zu erhalten – die besten Produktionsleute, den besten Vertrag. Drei einstündige Fernseh-Specials, verteilt über drei Jahre, garantiert beste Sendezeit, dazu ein Budget, das Qualität sichert.« Sie unterbrach sich nur kurz. »Ein vorteilhaftes Arrangement für Sie und für ›Swan Productions‹.«

»Vielleicht.«

Er betrachtete sie zu genau. Rona zwang sich dazu, still sitzen zu bleiben. Grau! Seine Augen waren grau, aber so dunkel, dass es hart an Schwarz heranreichte.

»Natürlich«, fuhr sie fort. »Ihre Karriere zielte schon immer hauptsächlich auf Publikum in Klubs und Theatern. Las Vegas, Lake Tahoe, das ›London Palladium‹ und so weiter.«

»Eine Illusion auf Film ist bedeutungslos, Miss Swan. Ein Film kann verändert werden.«

»Ja, das ist mir klar. Um überhaupt zu wirken, muss ein Trick live vorgeführt werden …« Weiter kam sie nicht.

»Eine Illusion«, verbesserte Patrick. »Ich mache keine Tricks.«

Rona stockte. Seine Augen waren fest auf sie gerichtet. »Eine Illusion«, korrigierte sie sich mit einem Kopfnicken. »Die Specials sollen live ausgestrahlt werden und vor Studiopublikum ablaufen. Die Werbung …«

»Sie glauben nicht an Magie, nicht wahr, Miss Swan?« Um seinen Mund spielte nur der Hauch eines Lächelns, und in seiner Stimme schwang eine Spur von Belustigung mit.

»Mr Atkins, Sie sind ein sehr talentierter Mann«, antwortete sie behutsam. »Ich bewundere Ihre Arbeit sehr.«

»Sie sind diplomatisch«, folgerte er und lehnte sich zurück. »Und zynisch. Ich mag das.«

Rona fühlte sich nicht geschmeichelt. Er machte sich über sie lustig und versuchte nicht einmal, es zu verbergen. Das ist dein Job, erinnerte sie sich und biss die Zähne zusammen. Erledige deinen Job! »Mr Atkins, wenn wir jetzt die Vertragsbedingungen besprechen könnten …«

»Ich mache mit niemandem Geschäfte, ohne zu wissen, mit wem ich es zu tun habe.«

Rona stieß kurz den Atem aus. »Mein Vater …«

»Ich spreche nicht von Ihrem Vater«, unterbrach Patrick sie.

»Ich habe leider vergessen, meinen Lebenslauf mitzubringen«, fauchte sie ihn an und biss sich auf die Lippen. Verdammt! Sie konnte es sich nicht leisten, die Beherrschung zu verlieren.

Aber Patrick lächelte amüsiert. »Das ist wohl auch nicht nötig.« Er hielt ihre Hand, bevor sie überhaupt begriff, was er tat.

»Niemals!«

Die Stimme in ihrem Rücken ließ Rona von ihrem Stuhl hochfahren.

»Das ist nur Merlin«, sagte Patrick sanft, als sie den Kopf wandte.

Ein großer schwarzer Beo saß rechts von ihr auf einer Stange. Rona holte tief Luft und versuchte, ihre Nerven unter Kontrolle zu bringen. Der Vogel starrte sie an.

»Sehr klug«, brachte sie hervor und betrachtete den Vogel mit einiger Zurückhaltung. »Haben Sie ihm das Sprechen beigebracht?«

»Mhm.«

»Willst du einen Drink, Süße?«

Rona lachte unterdrückt und wandte sich zu Patrick. Er warf dem Vogel einen gleichgültigen Blick zu. »Ich habe ihm keine Manieren beigebracht.«

Sie kämpfte gegen den Lachreiz. »Mr Atkins, wenn wir dann …«

»Ihr Vater wollte einen Sohn.« Patrick brachte Rona dazu, ihn ungläubig anzustarren. »Das hat es für Sie schwierig gemacht.« Er sah ihr wieder in die Augen und hielt locker ihre Hand. »Sie sind nicht verheiratet und leben allein. Sie sind realistisch und halten sich selbst für sehr praktisch veranlagt. Es fällt Ihnen schwer, Ihr Temperament zu zügeln, aber Sie arbeiten daran. Sie sind eine sehr vorsichtige Frau, Miss Swan, fassen nur langsam Vertrauen und suchen sich Ihre Bekanntschaften genau aus. Sie sind ungeduldig, weil Sie sich und Ihrem Vater etwas beweisen wollen.« Seine Augen verloren ihre Direktheit, als er sie anlächelte. »Ein Gesellschaftsspiel, Miss Swan, oder Telepathie?«

Als Patrick ihre Hand losließ, zog Rona sie vom Tisch und verbarg sie in ihrem Schoß. Seine Treffsicherheit störte sie.

»Es war nur ein wenig Amateurpsychologie«, erklärte er zufrieden und genoss ihre Betroffenheit. »Etwas grundsätzliches Wissen über Bennett Swan und Kenntnis der Körpersprache.« Er zuckte die Schultern. »Kein Trick, Miss Swan, nur Vermutungen. Wie dicht war ich dran?«

Rona verschränkte die Hände in ihrem Schoß. Ihre rechte Handfläche war von seinem Griff noch immer warm. »Ich bin nicht zum Spielen hergekommen, Mr Atkins.«

»Nein.« Patrick Atkins lächelte charmant. »Sie sind hergekommen, um eine Vereinbarung abzuschließen, aber ich mache so etwas auf meine Art und wenn ich es für richtig halte. Mein Beruf fördert Exzentrizität, Miss Swan. Seien Sie nachsichtig mit mir.«

»Ich versuche es«, erwiderte Rona, holte tief Luft und lehnte sich zurück. »Ich kann wohl sagen, dass wir beide unseren Beruf sehr ernst nehmen.«

»Richtig.«

»Dann verstehen Sie auch, Mr Atkins, dass es mein Job ist, Ihre Unterschrift für ›Swan‹ zu bekommen.« Vielleicht sollte sie es mit etwas Schmeichelei versuchen. »Wir wollen Sie, weil Sie auf Ihrem Gebiet der Beste sind.«

»Das ist mir klar«, antwortete er, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Es ist Ihnen klar, dass wir Sie wollen oder dass Sie der Beste sind?«, forschte sie.

Er lächelte sie strahlend an. »Beides.«

Rona atmete langsam ein und dachte daran, dass Entertainer oft unmöglich waren. »Mr Atkins …«, setzte sie an.

Merlin flatterte durch die Luft und landete auf ihrer Schulter. Rona rang nach Luft und erstarrte.

»Oh Gott«, murmelte sie. Das ist einfach zu viel, dachte sie benommen, absolut zu viel.

Patrick betrachtete den Vogel, während dieser seine Flügel zusammenfaltete. »Seltsam, das hat er noch nie bei jemandem gemacht.«

»Bin ich nicht ein Glückspilz?«, murmelte Rona und rührte sich nicht. Können Vögel beißen? überlegte sie. Sie beschloss, nicht abzuwarten, um es herauszufinden. »Meinen Sie, Sie könnten – nun ja, ihn überreden, sich anderswo niederzulassen?«

Mit einer kleinen Handbewegung brachte Patrick Merlin dazu, auf seine Schulter überzuwechseln.

»Mr Atkins, bitte, ich verstehe ja, dass ein Mann mit Ihrem Beruf einen gewissen Sinn für Atmosphäre besitzt.« Rona kämpfte vergeblich um Fassung. »Es ist sehr schwer, über Geschäfte zu sprechen in einem … einem Verlies.« Sie machte eine alles einschließende Geste. »Mit einem verrückten Raben, der sich auf meine Schulter setzt, und …«

Patricks lautes Lachen schnitt ihr das Wort ab. Der Vogel auf seiner Schulter flatterte mit den Flügeln und starrte Rona aus unbeweglichen Augen an. »Rona Swan, ich fange an, Sie zu mögen. Ich arbeite in diesem Verlies«, erklärte er, nicht im Geringsten beleidigt. »Hier ist es abgeschieden und ruhig. Für Illusionen braucht man mehr als Geschicklichkeit. Sie verlangen eine Menge Planung und Vorbereitung.«

»Ich verstehe das, Mr Atkins, aber …«

»Wir sprechen ganz konventionell beim Dinner über das Geschäft«, unterbrach er sie.

Rona stand gleichzeitig mit ihm auf. Sie hatte nicht länger als ein bis zwei Stunden bleiben wollen. Hier von der Klippe bis zu ihrem Hotel war es eine Fahrt von einer guten halben Stunde.

»Sie bleiben über Nacht«, fügte Patrick hinzu, als hätte er tatsächlich ihre Gedanken gelesen.

»Ich schätze Ihre Gastfreundschaft, Mr Atkins.« Sie folgte ihm, als er mit dem Vogel auf seiner Schulter zu der Treppe ging. »Aber ich habe in einem Hotel in der Stadt reserviert. Morgen …«

»Haben Sie Ihr Gepäck bei sich?« Patrick blieb stehen und nahm ihren Arm, bevor sie die Stufen hinaufstiegen.

»Ja, im Wagen, aber …«

»Link wird Ihre Reservierung rückgängig machen, Miss Swan. Ein Gewitter zieht auf.« Er wandte den Kopf und sah sie an. »Ich möchte nicht gern, dass Sie heute Abend auf diesen Straßen unterwegs sind.«

Wie um seine Worte zu unterstreichen, empfing sie am Kopf der Treppe ein Donnerschlag. Rona murmelte etwas. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie in seinem Haus übernachten wollte.

»Ich habe kein Ass im Ärmel«, verkündete Merlin.

Rona warf ihm einen zweifelnden Blick zu.

Das Dinner trug viel zu Ronas Beruhigung bei. Das Speisezimmer war riesengroß mit einem prasselnden Kaminfeuer an dem einen und einer Sammlung antiker Zinnbecher an dem anderen Ende. Der lange, schmale Tisch war mit Sèvres-Porzellan und altem Silber gedeckt.

»Link ist ein ausgezeichneter Koch«, erklärte Patrick, als der riesenhafte Mann den Teller mit Huhn und Reis vor sie auf den Tisch stellte. Rona warf einen Blick auf seine gewaltigen Hände, bevor Link den Raum verließ. Vorsichtig griff sie zu ihrer Gabel.

»Vor allem ist er schweigsam«, bemerkte sie.

Patrick lächelte und goss einen blassgoldenen Wein in ihr Glas. »Link spricht nur, wenn er etwas zu sagen hat. Leben Sie gern in Los Angeles, Miss Swan?«

Rona sah ihn an. Seine Augen waren jetzt freundlich und nicht forschend und bohrend wie vorhin. Sie entspannte sich. »Ja, sicher. Es ist für meine Arbeit sehr praktisch.«

»Sind es nicht zu viele Menschen?« Patrick schnitt sein Hühnchen an.

»Schon, aber ich bin daran gewöhnt.«

»Haben Sie immer in Los Angeles gelebt?«

»Ja, abgesehen von meiner Schulzeit.«

Patrick bemerkte auch die kleinste Veränderung im Tonfall, die Andeutung von Groll, die anderen nicht aufgefallen wäre. »Wo sind Sie zur Schule gegangen?«

»In der Schweiz.«

»Ein schönes Land.« Er griff nach seinem Weinglas. Und es hat ihr gar nicht gefallen, dorthin geschickt zu werden, dachte er. »Danach haben Sie für ›Swan Productions‹ zu arbeiten begonnen?«

Stirnrunzelnd blickte Rona in das Kaminfeuer. »Als mein Vater erkannte, dass ich fest entschlossen war, stimmte er zu.«

»Und Sie sind eine sehr entschlossene Frau«, bemerkte Patrick.

»Ja«, gab sie zu. »Im ersten Jahr habe ich Briefmarken geleckt und Kaffee geholt und wurde von den Künstlern ferngehalten.« Das Stirnrunzeln verschwand. Dafür trat ein vergnügtes Funkeln in ihre Augen. »Eines Tages landeten durch einen Fehler einige Unterlagen auf meinem Schreibtisch. Mein Vater wollte die große Schauspielerin Mildred Chase für eine Miniserie. Sie wollte nicht so recht. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt und sie dann besucht.« Sie blickte Patrick lachend an. »Das war vielleicht ein Erlebnis. Sie residiert auf einem herrlichen Besitz in den Hügeln, mit Wächtern und einem Dutzend Hunden. Sie macht noch ganz auf Alt-Hollywood. Wahrscheinlich hat sie mich aus Neugierde eingelassen.«

»Welchen Eindruck hatten Sie von ihr?«, fragte er, damit sie weitersprach, und lächelte.

»Sie war wunderbar, eine richtige Grande Dame. Hätten meine Knie nicht gezittert, hätte ich bestimmt einen Hofknicks gemacht.« Ein triumphierendes Leuchten erschien auf ihrem Gesicht. »Zwei Stunden später hatte ich ihre Unterschrift auf dem Vertrag.«

»Wie hat Ihr Vater reagiert?«

»Er war wütend.« Rona griff nach ihrem Weinglas. Der Schein der Flammen spielte auf ihrer Haut. »Er hat fast eine Stunde lang getobt.« Sie trank und stellte das Glas ab. »Am nächsten Tag bekam ich eine Beförderung und ein neues Büro. Bennett Swan schätzt Leute, die etwas erreichen.«

»Und erreichen Sie etwas, Miss Swan?«, murmelte Patrick.

»Für gewöhnlich«, antwortete sie ruhig. »Ich kann gut mit Problemen umgehen.«

»Auch mit Leuten?«

Rona zögerte. Seine Augen waren wieder forschend und bohrend. »Mit den meisten Leuten.«

Er lächelte, aber sein Blick blieb forschend. »Wie ist Ihr Essen?«

»Mein …« Rona schüttelte den Kopf, um seinen Blick abzustreifen, und sah auf ihren Teller. Überrascht stellte sie fest, dass sie einen guten Teil ihres Hühnchens gegessen hatte. »Es ist sehr gut. Ihr …« Sie sah Patrick wieder an und wusste nicht, wie sie Link nennen sollte. Diener? Sklave?

»Freund«, warf Patrick sanft ein und nippte an seinem Wein.

Rona kämpfte gegen das unangenehme Gefühl an, er könnte in ihren Kopf hineinsehen. »Ihr Freund ist ein großartiger Koch.«

»Das Aussehen täuscht oft«, stellte Patrick amüsiert fest. »Sie und ich haben Berufe, in denen dem Publikum etwas nicht wirklich Existierendes gezeigt wird. ›Swan Productions‹ handelt mit Illusionen, genau wie ich.« Er streckte den Arm nach ihr aus, und Rona lehnte sich hastig zurück. In seiner Hand erschien eine langstielige rote Rose.

»Oh!« Angenehm überrascht nahm Rona sie an. Die Blüte hatte einen starken und süßen Duft. »Damit muss man wohl rechnen, wenn man mit einem Magier isst.« Sie lächelte ihm über die Rose hinweg zu.

»Schöne Frauen und Blumen gehören zusammen.« Er wurde von dem wachsamen Ausdruck bezaubert, der in ihre Augen trat. Eine sehr vorsichtige Frau, dachte er wieder. Er schätzte Vorsicht. Er beobachtete auch gern die Reaktionen anderer Menschen. »Sie sind eine schöne Frau, Rona Swan.«

»Danke.«

Ihre Antwort klang spröde und ließ ihn lächeln. »Noch Wein?«

»Nein, nein, danke.« Ihr Herz schlug schneller, als sie die Blume neben ihren Teller legte und weiteraß. »Ich war noch nie so weit nördlich an der Pazifikküste«, bemerkte sie nebenbei. »Leben Sie schon lange hier, Mr Atkins?«

»Ein paar Jahre.« Er ließ den Wein in seinem Glas kreisen. »Ich mag keine Menschenmassen.«

»Außer bei Vorstellungen«, sagte sie lächelnd.

»Natürlich.«

Als Patrick aufstand und vorschlug, ins Wohnzimmer zu gehen, wurde Rona bewusst, dass sie nicht über den Vertrag gesprochen hatten. Sie musste ihn darauf zurückbringen.

»Mr Atkins …«, begann sie, als sie das Zimmer betraten, doch sie unterbrach sich sogleich. »Oh! Was für ein schöner Raum!«

Es war ein Schritt zurück in das achtzehnte Jahrhundert, allerdings ohne Spinnweben und Verfallserscheinungen. Die Möbel schimmerten, die Blumen waren frisch. Ein kleines Piano stand in einer Ecke, ein Notenblatt in dem Halter. Auf dem Kaminsims standen winzige Figürchen aus geblasenem Glas. Eine ganze Menagerie, wie Rona bei genauerem Hinsehen feststellte, Einhörner, geflügelte Pferde, Zentauren, ein dreiköpfiger Hund. In Patrick Atkins’ Sammlung gab es keine normalen Tiere.

Im Kamin brannte ein angenehmes Feuer. Auf einem hohen, runden Tisch mit einer kleinen Platte stand eine Tiffanylampe. Einen solchen Raum hätte Rona in einem gemütlichen englischen Landhaus erwartet.

»Freut mich, dass es Ihnen gefällt.« Patrick ließ seinen Blick über ihr schwarzes, großzügig geschnittenes Kleid und die halblange mitternachtsblaue Satinjacke mit den filigranen schwarzen persischen Ornamenten gleiten. »Sie waren überrascht?«

»Ja! Von außen sieht das Haus wie die Kulisse zu einem Horrorfilm aus den Vierzigerjahren aus, aber …« Erschrocken brach Rona ab. »Oh, tut mir leid, ich wollte nicht …«

Aber er lächelte und freute sich sichtlich über ihre Bemerkung. »Das Haus wurde schon mehr als einmal genau zu diesem Zweck verwendet. Deshalb habe ich es gekauft.«

Rona entspannte sich erneut, als sie in dem Zimmer umherging. »Ich dachte mir schon, dass Sie es der Atmosphäre wegen gekauft haben.«

Patrick zog eine Augenbraue hoch. »Ich mag Dinge, die andere Leute nach dem äußeren Schein beurteilen.« Er trat an einen Tisch, auf dem schon Tassen standen. »Ich kann Ihnen leider keinen Kaffee anbieten. Ich schätze kein Koffein. Dafür habe ich sehr guten Kräutertee.« Er schenkte ein, als Rona zu dem Piano ging.

»Tee ist in Ordnung«, sagte sie geistesabwesend. Es waren keine gedruckten Notenblätter. Automatisch schlug sie die handgeschriebenen Noten auf dem Piano an. Es war eine ergreifend romantische Melodie. »Das ist schön.« Rona wandte sich zu ihm um. »Wunderschön! Ich wusste nicht, dass Sie komponieren.«

»Tue ich auch nicht.« Patrick setzte die Teekanne ab. »Das hat Link geschrieben.« Er beobachtete, wie sich Ronas Augen erstaunt weiteten. »Der äußere Schein, nicht wahr, Miss Swan?«

Sie senkte den Blick auf ihre Hände. »Sie beschämen mich.«

»Das ist nicht meine Absicht.« Patrick kam zu ihr und ergriff wieder ihre Hand. »Die meisten von uns werden von Schönheit angezogen.«

»Sie nicht?«

»Mir gefällt äußere Schönheit, Miss Swan.« Er betrachtete rasch und gründlich ihr Gesicht. »Aber dann suche ich nach mehr.«

Sein Blick verursachte in ihr ein seltsames Gefühl. Ihre Stimme war nicht so fest, wie sie sein sollte. »Und wenn Sie nichts finden?«

»Dann lasse ich es sausen«, antwortete er einfach. »Kommen Sie, Ihr Tee wird kalt.«

»Mr Atkins.« Rona ließ sich von ihm zu einem Stuhl führen. »Ich möchte Sie nicht beleidigen. Ich kann es mir nicht leisten, Sie zu beleidigen, aber …« Sie stieß verwirrt den Atem aus, als sie sich setzte. »Ich halte Sie für einen sehr sonderbaren Mann.«

Er lächelte. Es war beeindruckend, wie seine Augen einen Sekundenbruchteil vor seinen Lippen lächelten. »Sie würden mich beleidigen, Miss Swan, falls Sie mich nicht für sonderbar hielten. Ich möchte nicht gewöhnlich sein.«

Patrick Atkins begann sie zu faszinieren. Rona hatte immer sorgfältig auf Professionalität und Sachlichkeit geachtet, wenn sie mit Künstlern zu tun hatte. Es war wichtig, sich nicht beeindrucken zu lassen. War man nämlich beeindruckt, fügte man Klauseln in Verträge ein und machte forsche Versprechungen.

»Mr Atkins, zu Ihrem Vertrag …«

»Ich habe ausführlich darüber nachgedacht.« Als er seine Teetasse anhob, ließ ein Donnerschlag die Fenster erzittern. Rona blickte erschrocken zum Fenster und ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. »Haben Sie Angst vor Gewittern, Miss Swan?«

»Nein, eigentlich nicht.« Sie entspannte vorsichtig ihre Finger. »Aber ich bin für Ihre Gastfreundschaft dankbar. Ich fahre nicht gern bei Gewitter.« Sie griff nach ihrer Tasse und versuchte, die Blitze zu ignorieren. »Sollten Sie Fragen zu den Bedingungen haben, werde ich sie Ihnen gern beantworten.«

»Ich denke, es ist alles klar.« Er nippte an seinem Tee. »Mein Agent möchte unbedingt, dass ich den Vertrag unterschreibe.«

»Ja?« Rona musste den Triumph in ihrer Stimme unterdrücken. Es wäre ein Fehler gewesen, zu früh zu drängen.

»Ich binde mich stets erst, wenn ich sicher bin, dass es gut für mich ist. Ich sage Ihnen morgen, wie ich mich entschieden habe.«

Sie nickte zustimmend. Patrick Atkins spielte ihr nichts vor, und sie fühlte, dass ihn kein Agent oder sonst jemand über ein bestimmtes Maß hinaus beeinflussen könnte. Er war in erster Linie sein eigener Herr.

»Spielen Sie Schach, Miss Swan?«

»Wie bitte?« Zerstreut blickte Rona wieder auf. »Verzeihung!«

»Spielen Sie Schach?«, wiederholte Patrick.

»Ja, allerdings.«

»Das dachte ich mir. Sie wissen nämlich, wann Sie vorrücken und wann Sie warten müssen. Möchten Sie spielen?«

»Gern«, stimmte sie zu, ohne zu zögern.

Er stand auf, bot ihr die Hand und führte sie zu einem Tisch an den Fenstern. Der Regen trommelte von außen an die Scheiben, aber als Rona das Schachbrett sah, vergaß sie das Unwetter.

»Das sind ja exquisite Figuren!« Sie nahm den weißen König in die Hand, eine übergroße, aus Marmor gehauene Figur.

»Nehmen Sie Weiß«, bot Patrick an und setzte sich. »Spielen Sie, um zu gewinnen, Miss Swan?«

Sie setzte sich ihm gegenüber. »Tut das denn nicht jeder?«

Patrick Atkins warf ihr einen langen, unergründlichen Blick zu. »Nein, manche spielen um des Spieles willen.«

Nach zehn Minuten hörte Rona nicht mehr den Regen an den Fenstern. Patrick war ein raffinierter Spieler und ein schweigsamer dazu. Sie beobachtete seine Hände, während er die Figuren über das Brett schob, sie waren lang und schmal mit geschmeidigen Fingern. Am kleinen Finger trug er einen goldenen Ring mit einem verschnörkelten Symbol, das sie nicht erkannte.

Rona hatte gehört, dass Patrick Atkins mit seinen Fingern jedes Schloss öffnen, jeden Knoten entwirren konnte. Rona fand, dass sie sich eher zum Violinstimmen eigneten. Als sie aufblickte, merkte sie, dass Patrick sie mit seinem wissenden Lächeln betrachtete. Sie richtete ihre Konzentration auf ihre Strategie.

Rona griff an, er ging in die Defensive. Er rückte vor, sie konterte. Patrick war erfreut, eine gute Partnerin gefunden zu haben. Sie war eine vorsichtige Spielerin, abgesehen von einigen impulsiven Ausbrüchen. Er fühlte, dass ihre Spielweise ihre Persönlichkeit reflektierte. Sie war nicht leicht hereinzulegen oder zu schlagen. Er bewunderte an ihr gleichermaßen den raschen Verstand und die Stärke. Dadurch wurde ihre äußere Schönheit noch anziehender.

Ihre Hände waren zart. Als er ihren Läufer schlug, fragte er sich, ob auch ihre Lippen so zart waren und wann er es herausfinden würde. Er hatte sich jedenfalls schon dazu entschlossen. Jetzt kam es nur noch auf das Timing an. Patrick kannte die unschätzbare Bedeutung von Timing.

»Schachmatt«, sagte er ruhig und hörte Ronas überraschten Ausruf.

Rona betrachtete einen Moment das Spielbrett und lächelte Patrick zu. »Verflixt, das habe ich nicht kommen sehen. Sie haben bestimmt keine zusätzlichen Figuren in Ihrem Ärmel?«

»Ich habe nichts in meinem Ärmel!«, rief Merlin von der anderen Seite des Zimmers herüber. Rona warf ihm einen überraschten Blick zu und fragte sich, wann er zu ihnen gestoßen war.

»Ich wende keine Magie an, wenn Verstand ausreicht.« Patrick beachtete sein Haustier nicht. »Sie spielen gut, Miss Swan.«

»Sie spielen besser, Mr Atkins.«

»Dieses eine Mal, ja«, stimmte er zu. »Sie interessieren mich.«

»Ach ja?« Sie erwiderte gelassen seinen Blick. »Inwiefern?«

»In mehrfacher Hinsicht.« Er lehnte sich zurück und fuhr mit dem Finger über die schwarze Königin. »Sie spielen, um zu gewinnen, aber Sie können gut verlieren. Ist das immer so?«

»Nein.« Rona lachte und erhob sich. Patrick Atkins machte sie wieder nervös. »Können Sie gut verlieren?«, fragte sie ablenkend.

»Ich verliere nicht oft.«

Als sie sich wieder umdrehte, stand er an einem anderen Tisch und beschäftigte sich mit einem Päckchen Karten. Rona hatte nicht gehört, dass er sich bewegte. Es verursachte ihr Unbehagen.

»Kennen Sie Tarotkarten?«

»Nein.« Sie verbesserte sich. »Das heißt, ich weiß, dass man sie zur Deutung der Zukunft verwendet, oder so ähnlich.«

»Oder so ähnlich.« Er lachte knapp und schob die Karten leicht hin und her. »Hokuspokus, Miss Swan. Ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen und auf einen bestimmten Punkt zu richten und um rasches Denken und gute Beobachtungsgabe mysteriös erscheinen zu lassen. Die meisten Menschen lassen sich lieber in die Irre führen. Erklärungen enttäuschen sie nur, sogar die meisten Realisten!«

»Sie glauben nicht an diese Karten.« Rona ging zu ihm hinüber. »Sie wissen also, dass Sie die Zukunft nicht mit Karten und hübschen Farben voraussagen können.«

»Es ist für mich ein Werkzeug, ein Mittel.« Patrick hob die Schultern. »Ein Spiel, wenn Sie so wollen. Spiele entspannen mich.« Patrick fächerte die übergroßen Karten mit einer raschen, effektvollen Geste auf und breitete sie auf dem Tisch aus.

»Sie machen das sehr gut«, murmelte Rona. Ihre Nerven waren wieder angespannt, ohne dass sie die Ursache erkannte.

»Das ist eine Grundfertigkeit«, meinte er leichthin. »Das könnte ich Ihnen auch rasch beibringen. Sie haben geeignete Hände.« Er ergriff ihre Hand, betrachtete jedoch ihr Gesicht, nicht ihre Handfläche. »Soll ich eine Karte nehmen?«

Rona zog die Hand zurück. Ihr Puls begann zu rasen. »Es ist Ihr Spiel.«

Mit einer Fingerspitze zog Patrick eine Karte heraus und drehte sie mit dem Bild nach oben. Es war der Magier. »Selbstbewusstsein, Kreativität«, murmelte Patrick.

»Sie?«, fragte Rona leichthin, um die wachsende Spannung zu verbergen.

»Sieht so aus.« Patrick legte einen Finger auf eine andere Karte und zog sie heraus. Die Hohepriesterin. »Heiterkeit«, sagte er ruhig. »Stärke. Besitzen Sie beides, Rona?«

Rona zuckte die Schultern. »Es muss ein Kinderspiel für Sie sein, jede beliebige Karte zu ziehen, nachdem Sie gemischt haben.«

Patrick lächelte, ohne beleidigt zu sein. »Die Zynikerin sollte die nächste Karte ziehen, um zu sehen, wie es mit diesen beiden weitergeht. Ziehen Sie eine Karte, Miss Swan«, forderte er sie auf. »Irgendeine Karte.«

Verärgert suchte Rona eine heraus und warf sie mit dem Bild nach oben auf den Tisch. Sie stieß einen erstickten Laut aus und starrte danach schweigend auf die Karte. Die Liebenden … Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

»Faszinierend«, murmelte Patrick. Er lächelte nicht mehr, sondern betrachtete die Karte, als hätte er sie noch nie gesehen.