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Gregory Philippa

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Beschreibung

Herrscherinnen, Rivalinnen, Liebende Ein kurzer Blick in die Augen von Katharina von Aragón genügt, und Margaret Tudor weiß: Auf ewig wird ihr Schicksal miteinander verbunden sein – ob in Aufstieg oder Fall. Wenig später ist Katharina Königin von England. Margaret heiratet den schottischen König und sichert so den Frieden zwischen beiden Ländern. Doch das Bündnis hält nicht lang. Margarets Mann fällt in der Schlacht, Katharina verschleppt seine Leiche als Trophäe nach England – und beide Frauen werden zu Feindinnen. Ein leidenschaftlicher Reigen voller Ränkespiele entspinnt sich, und nur eines ist sicher: Nie lässt sich das Band, das die beiden Herrscherinnen verbindet, lösen.

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Philippa Gregory

Wolfsschwestern

Das Erbe der Tudors

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Herrscherinnen, Rivalinnen, Liebende

 

Ein kurzer Blick in die Augen von Katharina von Aragón genügt, und Margaret Tudor weiß: Auf ewig wird ihr Schicksal miteinander verbunden sein – ob in Aufstieg oder Fall. Wenig später ist Katharina Königin von England. Margaret heiratet den schottischen König und sichert so den Frieden zwischen beiden Ländern. Doch das Bündnis hält nicht lang. Margarets Mann fällt in der Schlacht, Katharina verschleppt seine Leiche als Trophäe nach England – und beide Frauen werden zu Feindinnen. Ein leidenschaftlicher Reigen voller Ränkespiele entspinnt sich, und nur eines ist sicher: Nie lässt sich das Band, das die beiden Herrscherinnen verbindet, lösen.

Über Philippa Gregory

Philippa Gregory, geboren 1954 in Kenia, studierte Geschichte in Brighton und promovierte an der University of Edinburgh über die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Ihre historischen Romane sind weltweit Bestseller und wurden mit Starbesetzung verfilmt, zuletzt «Das Erbe der weißen Rose» in einer aufwendigen Produktion des US-Senders Starz. Außerdem schreibt Philippa Gregory Kinder- und Jugendbücher, Kurzgeschichten, Reiseberichte und Drehbücher und arbeitet als Journalistin für Zeitung, Radio und Fernsehen. Sie lebt mit ihrer Familie in Nordengland.

Für Anthony

Baynard’s Castle, London, England

November 1501

Ich werde Weiß und Grün tragen, als Tudorprinzessin. In meinen Augen bin ich die eine, einzige Tudorprinzessin, denn meine Schwester Mary ist erst fünf, viel zu klein, um an feierlichen Anlässen teilzunehmen – ich habe ihren Kinderfrauen eingeschärft, dass sie sie nur zu Beginn des Banketts kurz hereinbringen sollen, um sie unserer neuen Schwägerin zu zeigen. Es würde nichts bringen, sie mit an der Tafel sitzen zu lassen – von feinen Speisen wird ihr nur übel, und irgendwann würde sie vor Müdigkeit anfangen zu plärren. Ich dagegen bin schon fast zwölf, ich habe bei der Hochzeit meine Rolle zu spielen; ohne mich wäre die Feier unvollständig. Das hat meine werte Großmutter, die Königinmutter, selbst gesagt.

Dann sagte sie etwas, das ich nicht richtig hören konnte, aber ich weiß, die schottischen Lords werden mich beobachten. Sie wollen sehen, ob ich kräftig und erwachsen genug bin, um schon jetzt zu heiraten. Das bin ich ganz bestimmt. Alle sagen, ich bin ein hübsches Mädchen, robust wie ein walisisches Pony, gesund wie eine Milchmagd, blond wie mein jüngerer Bruder Harry, mit großen, blauen Augen.

«Du bist als Nächste an der Reihe», verheißt sie mir lächelnd. «Man sagt, eine Hochzeit zieht eine weitere nach sich.»

«Ich werde nicht so weit reisen müssen wie Prinzessin Katharina», sage ich. «Ich werde zu Besuch heimkommen können.»

«Das wirst du.» Das Versprechen meiner werten Großmutter macht es zur Gewissheit. «Du heiratest unseren Nachbarn, und durch dich wird er unser Freund und Verbündeter werden.»

Prinzessin Katharina ist viele, viele Meilen weit aus Spanien hergekommen. Da wir mit Frankreich entzweit sind, musste sie auf dem Seeweg reisen, es gab schreckliche Stürme, und ihr Schiff wäre fast untergegangen. Wenn ich nach Schottland gehe, um den König zu heiraten, wird es eine großartige Prozession von Westminster ins fast vierhundert Meilen entfernte Edinburgh geben. Ich werde nicht mit dem Schiff reisen und seekrank und durchnässt ankommen, und ich werde London besuchen können, wann immer ich will. Prinzessin Katharina hingegen wird ihre Heimat niemals wiedersehen. Angeblich hat sie geweint, als sie meinen Bruder zum ersten Mal traf. Ich finde das albern. Kindisch wie Mary.

«Werde ich auf der Hochzeit tanzen?», frage ich.

«Zusammen mit Harry», entscheidet meine werte Großmutter. «Nachdem die spanische Prinzessin und ihre Damen uns einen spanischen Tanz vorgeführt haben. Dann kannst du ihr zeigen, was eine englische Prinzessin vermag.» Sie lächelt bedeutsam. «Wir werden sehen, wer besser ist.»

«Ich», bete ich insgeheim. Laut sage ich: «Eine Basse danse?» Das ist ein langsamer, majestätischer, sehr erwachsener Tanz, den ich besonders gut beherrsche.

«Eine Gaillarde.»

Ich widerspreche nicht, niemand widerspricht meiner werten Großmutter. Sie führt bei Hofe das Regiment; meine werte Mutter, die Königin, stimmt immer nur zu.

«Wir müssen üben», sage ich. Ich kann Harry dafür begeistern, indem ich ihm verspreche, dass alle zuschauen werden. Er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen, und muss stets der Beste sein, ob bei Wettrennen, beim Bogenschießen oder beim Reiten auf seinem Pony. Obwohl er erst zehn ist, sind wir gleich groß, sodass wir ein hübsches Paar abgeben, wenn er nicht gerade herumalbert. Ich will der spanischen Prinzessin zeigen, dass ich der Tochter von Kastilien und Aragón in nichts nachstehe. Meine Mutter ist eine Plantagenet, mein Vater ein Tudor. Das sind große Namen. Katharina braucht sich nicht einzubilden, wir wären dankbar, dass sie herkommt. Von mir aus bräuchten wir jedenfalls keine weitere Prinzessin am Hof.

 

Auf Wunsch meiner werten Mutter besucht Katharina uns vor der Hochzeit auf Baynard’s Castle mit ihrem eigenen Gefolge, das sie aus Spanien begleitet hat – auf unsere Kosten, wie mein Vater betont. Sie halten Einzug wie ein Heer von Eroberern mit ihren fremdartigen Kleidern, ihrer fremden Sprache, und in der Mitte schreitet in einem prächtigen Gewand das Mädchen, das sie die «Infantin» nennen. Ich glaube, das heißt «kleines Mädchen» – wie albern, schließlich ist sie fünfzehn und eine Prinzessin. Ich werfe einen Blick zu Harry, um zu sehen, ob er kichert, aber er schaut sie so gebannt an, als sähe er ein neues Pferd oder eine italienische Rüstung, etwas, das er sich sehnlich wünscht. Mir scheint, er will sich in sie verlieben wie ein Ritter in eine Dame. Henry liebt Geschichten und Balladen über unerreichbare Damen, die in Türmen eingeschlossen sind oder sich in Wäldern verirrt haben, und Katharina hat ihn offenbar beeindruckt, als er sie vor ihrem Einzug nach London traf. Vielleicht war es ihre prächtige Sänfte, vielleicht ihre Gelehrsamkeit, denn sie spricht drei Sprachen. Ich bin so wütend, dass ich ihn am liebsten kneifen würde.

Sie ist keine Schönheit. Sie ist drei Jahre älter als ich, aber gleich groß. Ihr hellbraunes Haar, das einen rötlichen Schimmer hat, verschwindet fast gänzlich unter der hohen Haube und einem dichten Schleier. Sie hat blaue Augen wie ich, aber ganz helle Wimpern und Brauen. Ihre Haut ist sehr blass, das muss man ihr lassen. Sie ist sehr zierlich, ihre schmale Taille ist so fest geschnürt, dass sie sicher kaum atmen kann, und an ihren winzigen Füßen trägt sie die albernsten Schuhe, die ich je gesehen habe, mit Goldstickerei an den Spitzen und goldenen Bändern. Meine werte Großmutter würde mir gewiss nicht erlauben, goldene Schuhbänder zu tragen, das wäre eitler Prunk. Die Spanier sind bestimmt furchtbar eitel und weltlich.

Ich achte sehr darauf, mir nicht anmerken zu lassen, was ich denke: Ich denke, sie kann sich glücklich schätzen, dass mein Vater sie als Braut für meinen älteren Bruder Arthur auserwählt hat, dass sie eine Schwägerin wie mich bekommt, eine Schwiegermutter wie meine Mutter und – vor allem – eine Schwieger-Großmutter wie Lady Margaret Beaufort, die schon dafür sorgen wird, dass Katharina sich nicht über ihre gottgewollte Stellung erhebt.

Sie knickst und küsst meine werte Mutter, dann meine werte Großmutter. So entspricht es der Rangfolge; aber sie wird schon bald lernen, sich vor allem um die Gunst meiner werten Großmutter zu bemühen. Dann nickt meine werte Mutter mir zu, ich trete vor, und die spanische Prinzessin und ich knicksen gleichzeitig voreinander, genau gleich tief. Sie tritt auf mich zu, und wir küssen uns auf beide Wangen. Ihre sind warm, und ich sehe, dass sie errötet und ihr Tränen in die Augen steigen, als vermisste sie ihre richtigen Schwestern. Ich mache ein strenges Gesicht wie mein Vater, wenn jemand ihn um Geld bittet. Ich werde über ihren Anblick jedenfalls nicht in Entzücken ausbrechen. Sie braucht sich nicht einzubilden, sie könnte an unseren englischen Hof kommen und uns dick und plump aussehen lassen.

Sie ist keineswegs brüskiert, sondern erwidert meinen Blick geradeheraus. Da sie mit drei eifersüchtigen Schwestern aufgewachsen ist, sind Rivalitäten ihr nicht fremd. Schlimmer noch, mein strenges Gesicht scheint sie fast ein wenig zu belustigen. Mir wird bewusst, dass diese junge Frau nicht wie meine Zofen ist, die mich stets umschmeicheln müssen, oder wie Mary, die tun muss, was ich sage. Diese junge Frau ist mir ebenbürtig, sie wird mich womöglich gar kritisch betrachten. Ich sage auf Französisch: «Willkommen in England», und sie erwidert in affektiertem Englisch: «Es ist mir eine Freude, meine Schwester zu begrüßen.»

Meine werte Mutter bemüht sich sehr, ihre erste Schwiegertochter freundlich zu empfangen. Sie sprechen Latein miteinander, und da ich der Unterhaltung nicht folgen kann, sitze ich neben meiner Mutter und betrachte Katharinas Schuhe mit den goldenen Bändern. Als meine Mutter Musik wünscht, stimmen Harry und ich einen ländlichen englischen Rundgesang an. Wir klingen sehr melodisch, und der Hof nimmt den Refrain auf, und so geht es hin und her, bis die Leute anfangen, albern zu werden und ihren Einsatz zu verpassen. Aber Katharina lacht nicht. Sie sieht aus, als wäre sie niemals albern und fröhlich wie Harry und ich. Natürlich, als Spanierin ist sie sehr steif und förmlich. Aber mir fällt auf, wie sie sitzt – reglos, die Hände im Schoß gefaltet, als säße sie Modell für ein Gemälde –, und ich denke: Das sieht wirklich königlich aus. Ich will lernen, auch so zu sitzen.

Meine Schwester Mary wird hereingebracht, um ihren Knicks zu machen, und Katharina macht sich lächerlich, indem sie niederkniet, damit ihre Gesichter auf gleicher Höhe sind, und flüsternd auf Mary einplappert. Natürlich versteht meine Schwester kein Wort Latein oder Spanisch, aber sie legt Katharina die Arme um den Hals, küsst sie und nennt sie «Swesta».

«Ich bin deine Schwester», korrigiere ich sie und ergreife energisch ihre kleine Hand. «Dies ist deine Schwägerin. Kannst du ‹Schwägerin› sagen?»

Natürlich kann sie es nicht aussprechen. Alle lachen über ihren unbeholfenen Versuch und finden sie drollig. Ich sage: «Werte Mutter, sollte Mary nicht bereits im Bett sein?» Da erst bemerken alle, wie spät es ist, und die ganze Gesellschaft geleitet Katharina mit Fackeln hinaus, als wäre sie eine gekrönte Königin und nicht bloß die jüngste Tochter des spanischen Königspaares, die sich glücklich schätzen kann, in die Tudor-Familie einzuheiraten.

Sie umarmt alle zum Abschied. Als ich an der Reihe bin, legt sie ihre warme Wange an meine und sagt: «Gute Nacht, meine Schwester», mit ihrem albernen Akzent, in ihrer herablassenden Art. Als sie sich von mir löst und mein mürrisches Gesicht sieht, stößt sie ein kleines Lachen aus. «Oho!», macht sie und tätschelt meine Wange, als kümmerte mein Ärger sie nicht. Dies ist eine wahre Prinzessin, so durch und durch königlich wie meine Mutter; dies ist das Mädchen, das einmal Königin von England sein wird; deshalb fasse ich die Geste nicht übel auf, eher als Zeichen der Zuneigung. Mir wird bewusst, dass ich sie mag und gleichzeitig auch wieder nicht mag.

 

«Ich hoffe, du wirst nett zu Katharina sein», sagt meine Mutter zu mir, als wir am nächsten Morgen nach der Prim aus ihrer Privatkapelle kommen.

«Nicht, wenn sie sich einbildet, sie könnte herkommen und sich über uns alle erheben», sprudelt es aus mir heraus. «Nicht, wenn sie glaubt, wir alle müssten ihr dankbar sein. Hast du ihre Schuhbänder gesehen?»

Meine Mutter lacht belustigt. «Nein, Margaret, ich habe ihre Schuhbänder nicht gesehen. Und ich habe auch nicht nach deiner Meinung über sie gefragt. Ich habe lediglich meiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass du nett zu ihr sein wirst.»

«Natürlich.» Ich senke den Blick auf den edelsteinbesetzten Einband meines Gebetbuchs. «Ich hoffe, ich bin zu allen gütig.»

«Sie ist weit fort von zu Hause und daran gewöhnt, eine große Familie um sich zu haben», fährt meine Mutter fort. «Gewiss wird sie eine Freundin brauchen, und du wirst vielleicht die Gesellschaft eines älteren Mädchens genießen. Ich bin zu Hause mit vielen Schwestern aufgewachsen und schätze sie von Jahr zu Jahr mehr. Auch du wirst möglicherweise einmal feststellen, dass deine Schwestern die Menschen sind, die dir am nächsten stehen.»

«Werden sie und Arthur denn hier bei uns leben?», erkundige ich mich.

Meine Mutter legt mir eine Hand auf die Schulter. «Ich wünschte es, aber dein Vater will, dass sie in Arthurs Fürstentum leben und in Ludlow wohnen.»

«Und wie denkt meine werte Großmutter darüber?»

Meine Mutter zuckt leicht die Schultern. Das bedeutet, es ist beschlossene Sache. «Sie sagt, der Prince of Wales muss Wales regieren.»

«Du hast ja noch mich.» Ich lege meine Hand auf ihre.

«Ich zähle auf dich», bekräftigt sie.

 

Bis zur Hochzeit habe ich nur noch einmal kurz Gelegenheit, mit meinem Bruder Arthur allein zu sein. Wir gehen gemeinsam über die lange Galerie. Von unten hören wir, wie die Musiker zum nächsten Tanz aufspielen, wie Leute lachen und plaudern. «Du brauchst dich nicht so tief vor ihr zu verbeugen», entfährt es mir unvermittelt. «Ihre Eltern sind erst kürzlich auf den Thron gelangt, ebenso wie unser Vater. Sie hat keinen Grund, so stolz zu sein, auch sie stammt nicht aus einem alten Königsgeschlecht.»

Er errötet. «Du hältst sie für stolz?»

«Ungerechtfertigt stolz.» Ich habe gehört, wie meine Großmutter genau das zu meiner Mutter gesagt hat, also muss es stimmen.

Aber Arthur widerspricht: «Ihre Eltern haben Spanien von den Mauren zurückerobert. Sie sind die größten Kreuzfahrer der Welt. Ihre Mutter ist eine Kriegerkönigin. Sie sind unermesslich reich, ihnen gehört die Hälfte der unkartierten Welt. Ist das nicht ein guter Grund, stolz zu sein?»

«Das wohl», räume ich widerstrebend ein. «Aber wir sind Tudors.»

«Das sind wir.» Er lacht leise. «Nur findet nicht jeder das so bedeutsam.»

«Aber natürlich», widerspreche ich. «Erst recht jetzt …»

Wir beide schweigen; uns beiden ist bewusst, dass es viele andere Anwärter auf den englischen Thron gibt, Dutzende Söhne der Plantagenets, der Familie unserer Mutter. Manche leben noch immer am Hof, andere sind ins Exil geflohen. Vater hat die Cousins meiner Mutter in Schlachten getötet und mehr als einen Prätendenten vernichtet; unseren Cousin Edward ließ er vor zwei Jahren hinrichten.

«Du hältst sie also für stolz?», fragt Arthur noch einmal. «War sie denn unfreundlich zu dir?»

Ich breite ergeben die Hände aus. «Ach, sie gibt sich doch gar nicht mit mir ab. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, sich bei allen einzuschmeicheln, besonders bei Vater. Außerdem spricht sie ohnehin kaum Englisch.»

«Vielleicht ist sie nur schüchtern? Ich bin es jedenfalls.»

«Warum sollte sie schüchtern sein? Sie wird bald deine Frau, und später einmal wird sie Königin von England. Hat sie da nicht allen Grund, überglücklich zu sein?»

Arthur lacht und umarmt mich. «Meinst du, es gäbe nichts Besseres, als Königin von England zu sein?»

«Nichts», erwidere ich mit Überzeugung. «Das sollte sie erkennen und dankbar sein.»

«Aber du wirst Königin von Schottland sein», erinnert er mich. «Das ist auch großartig. Du solltest dich darauf freuen.»

«Natürlich, und ich werde auch ganz gewiss nie ängstlich oder heimwehkrank oder einsam sein.»

«König James wird froh sein, eine so zufriedene Braut zu bekommen.»

Mehr kann ich nicht tun, um ihn zu warnen, dass Katharina von Aragón hochnäsig auf uns herabsieht. Aber ich gebe ihr insgeheim den Spitznamen Katharina von Arrogant. Mary, die ihre Ohren überall hat, schnappt es auf und plappert es nach, und ich muss jedes Mal lachen, wenn meine Mutter daraufhin die Stirn runzelt und sie leise korrigiert.

 

Die Hochzeit wird mit großem Prunk gefeiert. Natürlich hat meine werte Großmutter alles arrangiert, um der Welt zu zeigen, wie reich und herrschaftlich wir jetzt sind. Vater hat ein Vermögen für eine Woche voller Turniere, Bankette und sonstiger Feierlichkeiten ausgegeben, aus den Brunnen strömt Wein, auf dem Smithfield Market werden Ochsen am Spieß gebraten, und das Volk zerreißt den Hochzeitsteppich, damit jeder ein kleines Stück vom Glanz der Tudors mit nach Hause nehmen kann. Es ist die erste königliche Hochzeit, die ich miterlebe, und ich mustere die Braut eingehend, von ihrem prächtigen Schleiertuch aus weißer Spitze, das sie Mantilla nennen, bis zu ihren bestickten Schuhen.

Sie sieht hübsch aus, das kann ich nicht leugnen, aber dennoch bräuchten nicht alle so zu tun, als wäre sie ein Wunder an Schönheit. Ihr langes Haar in der Farbe von Gold und Bronze reicht fast bis zur Taille. Angesichts ihrer zierlichen Gestalt komme ich mir plump vor, als wären meine Hände und Füße zu groß. Es wäre kleinlich und eine Sünde, deshalb schlecht über sie zu denken, aber insgeheim finde ich, es wäre für alle das Beste, wenn sie einen Sohn und Erben für die Tudors empfängt, für Monate in den rituellen Rückzug verschwindet und bei ihrer Rückkehr dick ist.

Sobald das Festessen beendet ist, öffnen sich die Doppeltüren am Ende der Halle, und herein kommt, von Tänzern in Tudorgrün gezogen, ein großer Festwagen in Gestalt einer riesigen, prächtigen Burg mit acht Damen darin. Die Solotänzerin ist als spanische Prinzessin verkleidet, und von jedem der Türmchen singt ein Knabe ihr Loblied. Dahinter folgt ein zweiter Festwagen, der als Schiff mit Segeln aus pfirsichfarbener Seide gestaltet ist, bemannt mit acht Rittern. Das Schiff legt vor der Burg an, aber die Damen weigern sich zu tanzen, deshalb versuchen die Ritter, die Burg zu stürmen, bis die Damen ihnen Papierblumen zuwerfen und herunterkommen. Die Burg und das Schiff werden wieder hinausgefahren, und alle tanzen miteinander. Katharina von Arrogant klatscht in die Hände und verbeugt sich vor meinem Vater, dem König, zum Dank für dieses kunstvolle Kompliment. Vor lauter Wut darüber, dass ich keine Rolle in diesem Schauspiel bekommen habe, kann ich mir kein Lächeln abringen. Ich fange ihren Blick auf und bin mir sicher, sie triumphiert über mich, weil mein Vater ihr solche Ehre zuteilwerden lässt. Es ist ekelhaft, wie sie im Mittelpunkt steht.

Dann hat Arthur seinen Auftritt. Er tanzt mit einer der Damen meiner Mutter, und anschließend treten Harry und ich auf die Tanzfläche, um unsere Gaillarde vorzuführen. Es ist ein fröhlicher, schneller Tanz zu mitreißender Musik, und Harry und ich sind ein hervorragend eingespieltes Paar. Keiner von uns macht auch nur einen falschen Schritt. Aber als ich gerade mit ausgebreiteten Armen Pirouetten drehe, dass mein Rock nur so fliegt, und alle Blicke auf mich gerichtet sind, macht Harry genau in diesem Moment einen Schritt zur Seite, wirft seine dickgefütterte Jacke ab und springt in seinem bauschigen Leinenhemd wieder an meine Seite. Vater und Mutter applaudieren, und er sieht mit seinen geröteten Wangen so jugendlich gut aus, dass alle ihm Beifall spenden. Ich lächle weiter, aber insgeheim schäume ich vor Wut, und als wir uns wieder an den Händen fassen, kneife ich ihn, so fest ich kann.

Natürlich bin ich nicht im mindesten überrascht; halb hatte ich damit gerechnet, dass er etwas tun würde, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Es fällt ihm schon den ganzen Tag schwer, als zweiter Sohn hinter Arthur zurückzustehen. Zwar durfte er Katharina zum Altar führen, aber dann musste er sich zurückziehen, und niemand hat ihn mehr beachtet. Jetzt, nach Arthurs gemessenem Tanz, sieht er seine Gelegenheit, zu glänzen. Am liebsten würde ich ihm auf die Zehen treten, aber dann fange ich Arthurs Blick auf, und er zwinkert mir lächelnd zu. Wir denken beide das Gleiche: Harry muss immer seinen Kopf durchsetzen, und alle außer Mutter und Vater sehen ihn so wie wir: als unerträglich verzogenen Jungen.

Als der Tanz endet, verbeugen Harry und ich uns, Hand in Hand, ein hübsches Paar. Ich werfe einen Blick zu den schottischen Lords hinüber, die mich aufmerksam beobachten. Wenigstens sie interessieren sich nicht für Harry. Einer von ihnen, James Hamilton, ist ein Cousin des schottischen Königs. Sicher sieht er mit Freude, dass ich eine fröhliche Königin sein werde; König James liebt Tänze und Bankette, und so werden wir gut zusammenpassen. Ich beobachte, wie die Lords ein paar rasche Worte wechseln, und bin mir sicher, sie werden übereinkommen, dass die nächste Hochzeit – meine Hochzeit – schon bald stattfinden soll. Und dann wird Harry nicht tanzen und mir die Aufmerksamkeit stehlen, das werde ich nicht zulassen, und Katharina wird ihr Haar unter ihrer Haube verstecken müssen, und ich werde diejenige sein, die das Schiff mit den Segeln aus pfirsichfarbener Seide und all die Tänzer empfängt.

Weder Harry noch ich dürfen bis zum Ende der Feier bleiben, wenn die Prinzessin in ihr Schlafgemach geleitet wird. Ich finde es falsch und ungehörig, uns wie Kinder zu behandeln. Als meine Großmutter uns in unsere Zimmer schickt, werfe ich einen Blick zu meiner Mutter – sie sollte bestimmen, dass Harry gehen muss, ich jedoch noch länger aufbleiben darf, doch sie wendet sich nur mit ausdrucksloser Miene ab. Immer ist das Wort meiner Großmutter Gesetz: Sie ist der Blutrichter, meine Mutter gewährt nur gelegentlich eine königliche Begnadigung. Also verabschieden wir uns artig vom König, meiner Mutter, meiner werten Großmutter sowie Arthur und Katharina von Arrogant, und dann ziehen wir uns widerstrebend aus den hell von Wachskerzen erleuchteten Räumen zurück, wo die Musiker spielen, als wollten sie die ganze Nacht weitermachen.

«Meine Hochzeit wird genauso sein», sagt Harry, während wir die Treppe hinaufsteigen.

«Darauf musst du noch Jahre warten», versetze ich, um ihn zu ärgern. «Aber ich werde schon sehr bald heiraten.»

In meinem Zimmer knie ich mich an mein Betpult, doch obwohl ich eigentlich um ein langes Leben und Glück für Arthur bitten und Gott daran erinnern wollte, was er den Tudors schuldig ist, kann ich stattdessen nur darum beten, dass die schottischen Gesandten dem König raten, umgehend nach mir zu schicken, denn ich will auch so eine prächtige Hochzeitsfeier und schöne Kleider wie die von Katharina von Arrogant und solche Schuhe – ich schwöre mir, dass ich Hunderte Paare Schuhe haben werde, alle mit bestickten Spitzen und goldenen Bändern.

Richmond Palace, England

Januar 1502

Meine Gebete werden erhört, denn Gott erhört stets die Gebete der Tudors: Der König von Schottland beauftragt seine Gesandten, mit den Beratern meines Vaters zu verhandeln. Sie einigen sich auf die Höhe meiner Mitgift, den Unterhalt für meine Dienerschaft, meine Einkünfte, den Grundbesitz, der mir in Schottland gehören wird, und über Weihnachten herrscht ein reger Briefwechsel zwischen Scotland Yard und dem Richmond Palace, bis endlich meine werte Großmutter zu mir kommt und verkündet: «Prinzessin Margaret, ich freue mich, dir mitzuteilen, dass du nach Gottes Willen heiraten wirst.»

Ich erhebe mich aus meinem pflichtschuldigen Knicks und setze eine so jungfräuliche und überraschte Miene auf, wie ich es nur vermag. Dabei erstaunt mich die Nachricht nicht wirklich, denn mir wurde schon am Morgen mitgeteilt, meine werte Großmutter und Mutter wollten mich vor dem Essen sprechen und ich solle zu dem bedeutenden Anlass mein bestes Kleid anziehen. Wirklich, sie machen sich lächerlich.

«Tatsächlich?», frage ich artig.

«Ja», bestätigt meine Mutter, die vor meiner Großmutter eingetreten ist und dennoch erst als Zweite das Wort ergreift. «Du wirst König James von Schottland heiraten.»

«Wünscht mein Vater es so?», frage ich, wie meine Erzieherin es mir beigebracht hat.

«Er wünscht es», ergreift meine werte Großmutter wieder das Wort. «Mein Sohn, der König, hat eine dauerhafte Friedensvereinbarung mit Schottland ausgehandelt, die durch deine Heirat besiegelt wird. Aber ich habe darum gebeten, dass du hier bei uns in England bleibst, bis du eine erwachsene Frau bist.»

«Was?» Ich bin völlig entsetzt. Wieder einmal verdirbt meine Großmutter alles. «Aber wann werde ich denn nach Schottland gehen? Ich muss jetzt gehen!»

«Wenn du vierzehn Jahre alt bist», verfügt meine werte Großmutter, und als meine Mutter etwas sagen will, bringt sie diese mit einer Geste zum Schweigen, ehe sie fortfährt: «Ich weiß – wer wüsste das besser als ich –, dass eine frühe Heirat für eine junge Frau sehr gefährlich ist. Und der schottische König ist nicht … Man kann nicht darauf vertrauen, dass er nicht … Wir dachten, der schottische König würde womöglich …»

Anscheinend fehlen ihr die Worte. Das hat es in der Geschichte Englands noch nie gegeben, seit der Zeit König Artus’ nicht.

«Aber wann werde ich heiraten? Und wo?», frage ich und denke an die Saint Paul’s Cathedral mit dem roten Teppich und an Tausende Menschen, die herbeiströmen, um mich zu sehen, mit einer Krone auf dem Kopf und einer Schleppe aus goldenem Tuch und mit goldenen Schuhen und kostbarem Schmuck, und ich stelle mir vor, wie zu meinen Ehren Turniere veranstaltet werden und ein Maskenspiel mit einem Segelschiff mit pfirsichfarbenen Segeln und wie alle mich bewundern.

«Noch in diesem Monat!», verkündet meine Mutter triumphierend. «Der König schickt einen Stellvertreter.»

«Es wird eine Stellvertreterhochzeit? Nicht mit dem König selbst? Nicht in Saint Paul’s?», frage ich. Das klingt, als wäre es kaum der Mühe wert. Warum bekomme ich nicht so eine prächtige Hochzeit wie Katharina von Arrogant? Nicht mit einem König, sondern nur mit irgendeinem Lord?

«Hier in der Kapelle», erklärt meine Mutter, als ginge es bei einer Hochzeit nicht um Menschenmengen und Brunnen, aus denen Wein strömt, und darum, im Mittelpunkt zu stehen.

«Aber wenn du nach Edinburgh kommst, wird dort noch eine prächtige Hochzeitsmesse gefeiert», versichert meine werte Großmutter. «Wenn du vierzehn bist.» An meine Mutter gewandt, fügt sie hinzu: «Auf deren Kosten.»

«Aber ich will nicht warten!»

Sie schüttelt lächelnd den Kopf. «Wir haben entschieden», sagt sie. Das bedeutet, sie hat entschieden, und Einwände sind zwecklos.

«Aber den Titel der Königin von Schottland wirst du noch in diesem Jahr tragen, sobald du getraut bist.» Meine Mutter weiß, wie sie mich über die Enttäuschung hinwegtrösten kann. «Dann wirst du über allen anderen Damen am Hof stehen, mich ausgenommen.»

Ich werfe einen Blick in das versteinerte Gesicht meiner Großmutter. Ich werde ihr in der Rangfolge übergeordnet sein, das wird ihr nicht gefallen. Sicher überlegt sie jetzt schon insgeheim, wie sie mich demütig halten kann, damit ich nicht der Sünde des Stolzes erliege, keine eitle Prinzessin – nein, Königin! – werde, sondern ihre ergebene Enkelin bleibe. Aber ich bin fest entschlossen, eine eitle Königin zu werden, und ich werde die prächtigsten Kleider tragen und Schuhe wie die von Katharina von Arrogant.

«Ach, darum geht es mir nicht, mir geht es nur darum, von Gott in den Stand der Ehe berufen zu sein und den Interessen meiner Familie zu dienen», sage ich geschickt, und meine werte Großmutter lächelt erfreut.

 

Ich weiß noch jemanden, dem es etwas ausmachen wird, dass ich vor allen anderen gehe, meiner Mutter gleichgestellt. Jemanden, dem es unerträglich sein wird: meinem eitlen kleinen Bruder Harry. Ich mache mich gleich auf die Suche und finde ihn bei den Stallungen, wo er eben von einer Übungsstunde an der Quintan zurückkehrt. Er darf mit einer gepolsterten Lanze auf die ebenfalls gepolsterte Attrappe zu reiten. Alle wollen, dass Harry Furchtlosigkeit und Geschicklichkeit lernt, aber niemand wagt es, ihn ernsthaft zu unterrichten, sosehr er auch darum bettelt, gegen einen wirklichen Gegner reiten zu dürfen. Schließlich ist er ein Tudorprinz, einer von nur zweien. Wir Tudors sind nicht mit Jungen gesegnet, dafür gibt es auf der Seite meiner Mutter zu viele. Mein Vater, selbst ein Einzelkind, hatte nur drei Söhne, von denen einer gestorben ist. Weder er noch meine Großmutter ertragen die Vorstellung, dass Harry sich irgendwie in Gefahr begibt. Schlimmer noch, meine werte Mutter kann ihm nichts abschlagen, und so ist er ein ganz und gar verwöhnter jüngerer Sohn. Wenn er der Thronfolger wäre, würden sie ihn niemals so behandeln; sie würden einen Tyrannen heranziehen. Aber da er für die Kirche bestimmt ist, spielt es keine Rolle. Wahrscheinlich wird er einmal Papst werden, ein wahrhaft lächerlicher Papst.

«Was willst du?», fragt er mürrisch, während er sein Pferd auf den Hof führt. Ich sehe ihm an, dass der Unterricht nicht gut verlaufen ist. Für gewöhnlich ist er danach gut gelaunt, schließlich ist er ein außerordentlich guter Reiter. Überhaupt ist er in allen Sportarten gut und auch im Schulzimmer ungemein schlau. Er ist ein Prinz durch und durch – gerade deshalb werden ihn meine Neuigkeiten so ärgern.

«Bist du vom Pferd gefallen?»

«Natürlich nicht. Das dumme Pferd hat ein Hufeisen verloren und muss erst neu beschlagen werden, ich bin kaum geritten. Was machst du hier?»

«Ach, ich wollte dir nur erzählen, dass ich heirate.»

«Sie haben sich also endlich geeinigt?» Er wirft einem Stallburschen die Zügel zu und reibt seine kalten Hände. «Das hat ja ewig gedauert. Ich muss schon sagen, sie scheinen sich nicht gerade um dich zu reißen. Wann brichst du auf?»

«Ich gehe noch nicht nach Schottland», antworte ich. Sicher hat er sich darauf gefreut, der einzige junge Tudor am Hof zu sein und bei großen Anlässen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, nachdem Arthur nach Ludlow gegangen und Mary noch in der Kinderstube ist.

«Erst in ein paar Jahren», erkläre ich. «Falls du dich darauf gefreut hast, muss ich dich enttäuschen.»

«Dann wird sicher gar nichts aus der Heirat», prophezeit er. «Das Ganze wird im Sande verlaufen. Er wird dich doch nicht heiraten, nur damit du in England bleibst. Er braucht eine Frau in seinen eiskalten Burgen, eine, die ihm einen Erben schenkt, was sonst? Glaubst du, er begehrt dich deiner Schönheit wegen? Weil du so groß und anmutig bist?» Er lacht unverschämt, während ich erröte.

«Ich heirate schon jetzt», erkläre ich gereizt. «Du wirst es ja sehen. Und wenn ich vierzehn bin, gehe ich nach Schottland, und bis dahin trage ich den Titel ‹Königin von Schottland› und lebe hier am Hof. Ich bekomme größere Gemächer, meine eigenen Zofen, und ich stehe in der Rangfolge über allen anderen außer meiner werten Mutter und dem König, meinem Vater.» Ich lege eine Pause ein, um mir sicher zu sein, dass Henry wirklich begreift.

«Ich werde vor dir gehen», betone ich. «Ganz gleich, was du über mein Aussehen denkst, du wirst dich vor mir als Königin verbeugen müssen.»

Seine Wangen glühen, als hätte ich ihn geohrfeigt, und er starrt mich mit seinen blauen Augen an.

«Ich werde mich niemals vor dir verbeugen.»

«Doch, das wirst du.»

«Du kannst dich nicht über mich erheben. Ich bin der Prinz. Ich bin der Duke of York!»

«Ein Herzog», sage ich, als hörte ich seinen Titel zum ersten Mal. «Ja, sehr schön, sehr herrschaftlich. Aber ich werde Königin sein. Es gibt eine Stellvertreterhochzeit, und dann bekomme ich all den Schmuck und den Titel.»

Er bebt vor Zorn. Tränen steigen ihm in die Augen. «Das wirst du nicht! Niemals!»

«Königin von Schottland!», sage ich herausfordernd. «Und du bist nicht einmal Prince of Wales.»

Mit einem Aufschrei stürzt er davon, durch eine kleine Seitentür in den Palast. Ich höre noch seine Wutschreie, während er die Treppe hinaufrennt. Sicher läuft er jetzt zu unserer Mutter, wirft sich weinend in ihre Arme und fleht sie an, mich nicht über ihn zu erheben, mich nicht Königin werden zu lassen, während er nur Herzog ist.

Ich laufe ihm nicht nach. Meine Mutter könnte ohnehin nichts ändern, nicht einmal, wenn sie wollte – meine werte Großmutter hat entschieden. Ich werde heiraten und zwei Jahre lang in allem Prunk am Hof leben, in goldenes Tuch gekleidet und mit Schmuck behängt. Ich lächle in stiller Befriedigung, wie meine Großmutter zu lächeln pflegt, wenn sie ihren Willen durchgesetzt hat.

Greenwich Palace, England

Frühjahr 1502

Ich schreibe an meinen Bruder, den Prince of Wales, um ihm von der Stellvertreterhochzeit zu erzählen und ihn zu fragen, wann er nach Hause kommt. Ich berichte ihm von dem großen Staatsereignis, der Unterzeichnung des Vertrags, von der Hochzeitsmesse und wie dann im Empfangssaal meiner Mutter vor Hunderten bewundernder Gäste die Ehegelübde abgelegt wurden. Ich war in Weiß gekleidet, erzähle ich, mit Ärmeln aus Goldbrokat und weißen Lederschuhen mit goldenen Bändern. Der Cousin meines Gemahls, James Hamilton, war gütig zu mir, er war den ganzen Tag an meiner Seite. Dann speiste ich am selben Tisch wie meine Mutter, und wir aßen vom selben Teller, weil wir jetzt beide Königinnen sind.

Etwas wehmütig erinnere ich ihn daran, dass ich in dem Sommer vor meinem vierzehnten Geburtstag nach Schottland gehen werde, und ich würde ihn vor meiner Abreise gern noch einmal wiedersehen. Er will mich doch sicher auch sehen, in meinen neuen Gewändern? Insgeheim denke ich, dass ich als Königin jetzt im Rang über seiner Gemahlin stehe, die nur Prinzessin ist, und wie ihr das wohl gefallen wird. Wenn sie an den Hof kommt, muss sie vor mir knicksen und hinter mir zur Tafel gehen. Wie ich mich danach sehne, die stolze Katharina vor mir erniedrigt zu sehen.

Ich erzähle ihm auch, wie erschüttert Harry ist, dass ich jetzt eine ebenso große Königin bin wie unsere werte Mutter und ebenso mit gebeugtem Knie bedient werde. Ich schreibe Arthur, dass wir alle am Hof ihn vermissen, auch wenn Weihnachten fröhlich war. Ich berichte, dass mein Vater ein kleines Vermögen für die Kleider ausgegeben hat, die ich nach Schottland mitnehmen werde, wobei er über jeden Penny Buch geführt hat. Alles muss neu sein, die Bettvorhänge aus rotem Sarsenett werden mit Goldfaden bestickt. Dennoch wird bis nächsten Sommer alles bereit sein, und ich werde aufbrechen, sobald der König von Schottland die Heirat besiegelt, indem er mir meine Wittumsländer überschreibt. Aber Arthur muss nach Hause kommen, um mich zu verabschieden. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen? «Ich vermisse dich», schreibe ich.

Ich schicke meinen Brief zusammen mit denen meiner Mutter und meiner werten Großmutter nach Ludlow. Der Bote wird tagelang unterwegs sein, denn die Straßen nach Westen sind in schlechtem Zustand; mein Vater sagt, für die Instandsetzung fehlt es an Geld. Der Bote muss ein Ersatzpferd mitführen, weil ungewiss ist, ob es unterwegs welche zu mieten gibt. Er wird in Klöstern am Weg übernachten, oder wenn er von Schneefall oder vom Einbruch der Nacht überrascht wird, muss er in einem Landhaus oder Bauernhaus um Gastfreundschaft bitten.

Ich rechne also nicht mit einer raschen Antwort und denke mir nichts dabei, als ich eines frühen Morgens im April auf dem Rückweg von der Prim zu meinen Gemächern sehe, wie ein Bote des Königs aus einer Barkasse steigt und eilig über den Kai zu der Seitentür in den Königsflügel geht. Er lehnt sich sichtlich erschöpft an die geschnitzte Säule und sagt etwas zu einem Leibgardisten, der daraufhin seine Pike fallen lässt und hineinstürzt.

Wahrscheinlich läuft er in die Privatgemächer meines Vaters, des Königs, also verlasse ich meinen Posten am Fenster und gehe über die Galerie, um herauszufinden, was es so Dringendes gibt. Aber noch ehe ich die Tür erreiche, sehe ich den Leibgardisten und zwei oder drei Berater meines Vaters rasch die Seitentreppe in den Hof hinuntergehen. Neugierig beobachte ich, wie sie die Köpfe zusammenstecken, und dann rennt einer los zur Kapelle, um den Beichtvater meines Vaters zu holen. Der Priester kommt eilends heraus. Jetzt trete ich vor. «Was gibt es?», frage ich.

Bruder Peters Gesicht ist bleich wie Pergament, alles Blut scheint aus seinen Wangen gewichen. «Verzeiht mir, Euer Gnaden», erwidert er mit einer kleinen Verbeugung. «Ich bin in Angelegenheiten Eures Vaters unterwegs und kann mich nicht aufhalten.»

Und damit läuft er einfach an mir vorbei. Als wäre ich nicht die Königin von Schottland, die nächsten Sommer den Thron besteigen wird! Einen Moment lang stehe ich da und frage mich, ob es zu unwürdig wäre, ihm nachzulaufen und darauf zu bestehen, dass er sich nicht ohne meine Erlaubnis entfernt; aber dann höre ich ihn zurückkommen, so langsam, dass ich mich frage, warum er es eben noch so eilig hatte. Jetzt sieht er aus, als würde er die Gemächer meines Vaters am liebsten niemals erreichen. Die Berater, die ihm folgen, wirken elend, als wären sie vergiftet. Der Geistliche sieht mich wartend dastehen, aber es ist, als nähme er mich gar nicht wahr, und er verbeugt sich nicht. Er geht einfach an mir vorbei, als sähe er ein Gespenst.

In diesem Moment bin ich mir sicher. Ich glaube, eigentlich wusste ich es schon, als ich den Boten so erschöpft an der Säule lehnen sah, als wäre er lieber gestorben, als die Nachricht zu überbringen. Ich verstelle dem Priester den Weg und sage: «Es ist wegen Arthur, nicht wahr?»

Der Name meines geliebten Bruders bewirkt immerhin, dass der Priester mich wahrnimmt, aber er sagt nur: «Geht zu Eurer werten Mutter», und dann wendet er sich ab und betritt die Räume meines Vaters, ohne anzuklopfen, ohne sich anmelden zu lassen, eine Hand am Türknauf, während die andere das Kruzifix an seinem Gürtel umklammert.

Ich gehe, nicht weil ich die Anweisungen des Geistlichen zu befolgen hätte – schließlich bin ich jetzt Königin und brauche niemandem zu gehorchen als meinen Eltern und meinem Gemahl –, sondern weil ich fürchte, jemand wird kommen und meiner Mutter eine schreckliche Nachricht überbringen. Am liebsten würde ich ihre Tür verriegeln, damit niemand hereinkommen kann. Wenn wir es nicht erfahren, ist es vielleicht nie geschehen. Wenn niemand uns berichtet, dass Arthur etwas Schreckliches zugestoßen ist, dann ist er vielleicht noch wohlbehalten in Ludlow, reitet zur Jagd, genießt das Frühlingswetter, reist durch Wales, damit das Volk seinen Fürsten sieht. Vielleicht ist er glücklich mit Katharina von Arrogant; in diesem Moment wäre ich sogar froh, wenn sie der Grund seines Glücks wäre. Vielleicht erwartet sie ein Kind, der Bote hat die freudige Nachricht überbracht. Ich versuche, mir vorzustellen, welche anderen wunderbaren Nachrichten er in solcher Eile gebracht haben könnte. Ich denke fest daran, wie sehr Arthur von allen geliebt wird – ihm kann unmöglich etwas zugestoßen sein.

Meine Mutter ist noch im Bett, die Diener haben eben erst das Feuer angefacht, und ihre Zofe bringt ihr eine Auswahl Kleider für den Tag. Auf dem Tisch liegen die schweren Hauben. Als ich zögernd das Schlafgemach betrete, blickt sie auf. Ich sollte wohl etwas sagen, aber mir fällt nichts ein.

«Du bist früh auf, Margaret», bemerkt sie.

«Ich bin mit meiner werten Großmutter zur Prim gegangen.»

«Wird sie mit uns frühstücken?»

«Ja.» Und ich denke: Meine werte Großmutter wird wissen, was zu tun ist, wenn der Beichtvater mit seinem bleichen, kummervollen Gesicht hereinkommt.

«Ist alles in Ordnung, kleine Königin?», fragt meine Mutter mich liebevoll.

Ich bringe es nicht über mich zu antworten. Stattdessen setze ich mich ans Fenster, schaue in den Garten hinaus und lausche auf die Schritte, die bald über den Korridor nahen werden. Endlich, nach einer schier endlosen Weile, höre ich, wie die äußeren Türen des Empfangszimmers geöffnet werden, dann Schritte, die inneren Türen zum Privatgemach, und schließlich, unausweichlich, wird die Tür zum Schlafgemach geöffnet, und der Beichtvater meines Vaters tritt ein, gebeugt wie unter einer schweren Last. Ich springe auf und mache eine abwehrende Geste, als könnte ich ihn hindern zu sprechen. «Nein! Nein!», stoße ich hervor, aber er sagt ruhig: «Euer Gnaden, der König bittet Euch dringend zu sich.»

Meine Mutter wendet sich zu mir. «Was ist los? Du weißt es, nicht wahr?»

Tonlos erwidere ich: «Es geht um Arthur. Er ist tot.»

 

Angeblich ist er an der Schweißkrankheit gestorben – das macht es für uns Tudors nur noch schlimmer. Diese Krankheit wurde durch die Sträflingsarmee meines Vaters aus den französischen Gefängnissen eingeschleppt. Wohin er auch marschierte, von Wales über Bosworth bis nach London, starben die Menschen wie die Fliegen. Nie zuvor hatte England eine solche Seuche erlebt. Mein Vater gewann mit seiner kranken Streitmacht die Schlacht gegen Richard III., aber das Grauen, das sie mitgebracht hatten, zwang ihn, seine Krönung aufzuschieben. Man nannte es den Fluch der Tudors, und es hieß, die Herrschaft habe mit Schweiß begonnen und werde mit Tränen enden. Und hier stehen wir nun, weit entfernt vom Ende unserer Herrschaft und doch von Schweiß und Tränen heimgesucht, und der Fluch der erobernden Armee hat meinen unschuldigen Bruder getroffen.

Meine Eltern trifft der Verlust ihres ältesten Sohnes furchtbar hart. Sie verlieren nicht nur ihren Jungen – der noch nicht einmal sechzehn war –, sie verlieren ihren Erben, den Tudor, den sie zum künftigen König erzogen haben und der einmal unter dem Jubel des Volkes den Thron besteigen sollte. Mein Vater musste sich die Krone erkämpfen und sie dann erbittert verteidigen. Selbst jetzt noch muss er sie gegen das ältere Königsgeschlecht der Plantagenets verteidigen. Arthur sollte der erste Tudor sein, den ganz England auf dem Thron sehen wollte, der Sohn aus der Verbindung des alten und neuen Königsgeschlechts. Sie nannten ihn die Tudorrose, die Vereinigung der roten Rose der Lancasters mit der weißen der Yorks.

Dies ist das Ende meiner Kindheit. Arthur war mein Bruder, mein Liebling, mein Freund. Ich bewunderte ihn und glaubte, ich würde einmal miterleben, wie er den Thron bestiege. Ich stellte mir vor, wie wir als benachbarte Monarchen herrschen würden, er als König von England, ich als Königin von Schottland, und zwischen uns ein Vertrag des Ewigen Friedens bestünde und ein regelmäßiger Austausch von Briefen und Besuchen. Jetzt, da er tot ist, wird mir bewusst, wie sehr ich über die Zeit grolle, in der wir nicht zusammen waren, weil er mit Katharina in den walisischen Marschen lebte. Ich denke an unsere Kinderzeit, als wir getrennt unterrichtet wurden, weil ich Handarbeiten lernen sollte und er Griechisch, und wie wenige gemeinsame Tage ich mit ihm, meinem Bruder, hatte. Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn leben soll.

Ich gehe von den Gemächern meiner Mutter über die Galerie, als Harry mir mit verquollenem Gesicht und vom Weinen geröteten Augen entgegenkommt. Als er mich sieht, verzieht er seinen kleinen Mund, als wollte er gleich wieder in Tränen ausbrechen, und sogleich richten sich all meine Wut und meine Trauer gegen ihn, diesen nichtswürdigen, verzogenen Jungen, der tut, als wäre er der Einzige, der einen Bruder verloren hat.

«Sei still», fahre ich ihn an. «Was hast du zu weinen?»

«Mein Bruder!», schluchzt er. «Unser Bruder, Margaret.»

«Du warst es nicht wert, seine Stiefel zu putzen», bringe ich mit vor Groll erstickter Stimme heraus. «Es wird nie einen zweiten Prinzen wie ihn geben.»

Erstaunlicherweise versiegen daraufhin Harrys Tränen, sein Gesicht wird weiß und nimmt einen entschlossenen Ausdruck an. Mit einem Ruck hebt er den Kopf, strafft die Schultern, stemmt die Fäuste auf die Hüften, eine beinahe großspurige Haltung. «Es wird einen zweiten Prinzen wie ihn geben», schwört er. «Einen noch besseren. Mich. Ich bin der neue Prince of Wales, und ich werde statt seiner König von England, und du kannst dich schon einmal daran gewöhnen.»

Windsor Castle, England

Sommer 1502

Wir gewöhnen uns. Das ist der Unterschied zwischen einer Königsfamilie und dem gemeinen Volk: Wir können innerlich trauern und an gebrochenem Herzen leiden, aber äußerlich müssen wir trotz allem den Hof zu einem Zentrum der Schönheit, der Kunst und der Mode machen, mein Vater muss weiter Gesetze erlassen und sich mit dem Kronrat besprechen und Vorkehrungen gegen Rebellen und die ständige Bedrohung durch die Franzosen treffen, und es muss einen Prince of Wales geben, auch wenn der wahre Prinz, der geliebte Prinz Arthur, nie mehr auf seinem Platz neben dem Thron sitzen wird. Harry ist jetzt Prince of Wales, und wie er prophezeit hatte, gewöhne ich mich daran.

Doch sie schicken ihn nicht nach Ludlow. Das macht mich zorniger als alles andere, aber ich darf nichts sagen. Der geliebte Arthur musste nach Ludlow in sein Fürstentum gehen, um die Regierungsgeschäfte zu erlernen und sich auf sein späteres Amt vorzubereiten; aber jetzt, nachdem sie ihn verloren haben, wollen sie Harry nicht aus den Augen lassen. Meine Mutter will ihren letzten überlebenden Sohn zu Hause behalten. Mein Vater fürchtet, seinen nunmehr einzigen Erben auch noch zu verlieren. Und meine Großmutter redet meinem Vater zu, sie beide könnten Harry alles lehren, was er als künftiger König brauche. Der kostbare Harry braucht nicht in die Fremde zu gehen, er darf unter den Fittichen seiner Großmutter bleiben, als wollten sie ihn ewig als verwöhntes Kind halten.

Katharina von Arrogant – jetzt gar nicht mehr arrogant, sondern bleich und dünn – kehrt in einer geschlossenen Sänfte aus Ludlow zurück. Meine werte Mutter behandelt sie lächerlich nachsichtig, obwohl sie doch nichts für unsere Familie getan hat, als uns die letzten Monate mit Arthur zu stehlen. Mutter weint mit ihr und hält ihre Hände, sie unternehmen Spaziergänge und beten gemeinsam. Sie lädt Katharina zu sich ein, und so ist sie ständig auf den Galerien anzutreffen, in schwarzem Samt und Seide, mit ihrer unglaublich prächtigen schwarzen Mantilla und ihrem albernen spanischen Akzent, und meine werte Mutter befiehlt, niemand dürfe etwas sagen, das sie aufregen könnte.

Also wirklich, was könnte sie denn schon aufregen? Wenn ich sie auf Englisch oder Französisch anrede, gibt sie vor, mich nicht zu verstehen, und ich werde gewiss keine Unterhaltung auf Latein versuchen. Selbst wenn ich meine Trauer und Eifersucht herauslassen wollte, könnte ich mich ihr gar nicht verständlich machen. Wenn ich bei Tisch neben ihr sitze, wende ich mich von ihr ab, um zu zeigen, dass ich ihr nichts zu sagen habe. Sie ist mit dem schönsten, gütigsten, liebevollsten Prinzen, den die Welt je gekannt hat, nach Ludlow gegangen, und jetzt ist er tot und sie in England gestrandet – und da soll ich sie nicht aufregen? Sollte meine werte Mutter nicht einmal daran denken, dass sie vielleicht mich aufregt?

Sie lebt unter immensem Kostenaufwand in Durham House. Ich nehme an, man wird sie nach Spanien heimschicken, aber mein Vater will ihr Witwenerbe nicht zahlen, solange er nicht ihre volle Mitgift erhalten hat. Die vergebliche Hochzeit allein hat Tausende gekostet: die Burg mit den Tänzerinnen, die Segel aus pfirsichfarbener Seide an dem Schiff! Die englische Staatskasse ist ständig leer. Wir leben hochherrschaftlich, wie es einer Königsfamilie geziemt, aber mein Vater gibt außerdem ein Vermögen für Spione und Höflinge aus, welche die Herrscherhöfe Europas beobachten, aus Angst, unsere Plantagenet-Cousins im Exil könnten versuchen, den Thron zurückzuerobern. Der Schutz des Königreichs verschlingt Unsummen; mein Vater und meine werte Großmutter erfinden deshalb immer neue Steuern und Abgaben. Ich glaube nicht, dass mein Vater das Geld aufbringen kann, um Katharina ins Land der Arroganz heimzuschicken; deshalb hält er sie hier unter dem Vorwand, die Familie ihres verstorbenen Gemahls werde ihr ein Trost sein, während er versucht, mit ihrem geizigen Vater zu einer Einigung zu gelangen.

Sie sollte eigentlich zurückgezogen und in Trauer leben, aber stattdessen ist sie ständig hier bei uns. Als ich eines Nachmittags in die Kinderstube komme, finde ich den Raum in hellem Aufruhr, und im Mittelpunkt steht Katharina, die gerade mit meiner Schwester Mary Turnier spielt. Sie haben eine Mittelschranke aus Kissen gebaut, laufen, jede auf ihrer Seite, aufeinander zu und schlagen einander im Vorbeilaufen mit Kissen. Mary, die wenig überzeugende leise Schluchzer von sich gibt, wann immer in unseren Gedenkgebeten Arthurs Name fällt, tollt jetzt lachend umher. Sie hat ihre Haube verloren, ihre goldenen Locken hängen wirr herab, und sie hat ihren Rock geschürzt, damit sie rennen kann wie eine Milchmagd hinter den Kühen. Katharina, jetzt gar nicht mehr die stille Witwe, hat ihr schwarzes Kleid mit einer Hand gerafft, scharrt mit ihrem teuren schwarzen Lederschuh auf dem Boden und trabt auf ihrer Seite an der Mittelschranke entlang. Und die Kinderfrauen rufen nicht etwa zur Ordnung, sondern schließen Wetten ab und feuern die beiden lachend an.

Ich schreite ein und fauche im Ton meiner werten Großmutter: «Was geht hier vor?»

Mehr sage ich nicht, aber ich könnte schwören, Katharina versteht mich. Ihr Lachen erstirbt, und sie wendet sich mir mit einem kleinen Schulterzucken zu, als wollte sie sagen, es sei nichts Ernstes, nur ein Spiel mit meiner kleinen Schwester in der Kinderstube. «Nichts. Es ist nichts», erwidert sie auf Englisch mit starkem spanischem Akzent.

Ich hatte immer schon geahnt, dass sie durchaus Englisch versteht.

«Jetzt ist nicht die Zeit für alberne Spiele», sage ich langsam und laut.

Wieder ein Schulterzucken. Es gibt mir einen Stich, als mir der Gedanke kommt, dass Arthur diese kleine Geste vielleicht reizend fand. «Wir sind in Trauer», erkläre ich streng und blicke nacheinander in die betretenen Gesichter. «Wir führen uns nicht auf wie die Dorftölpel.»

Ich bezweifle, dass sie das Wort «Dorftölpel» versteht, aber mein verächtlicher Ton ist unmissverständlich. Ihr steigt die Röte ins Gesicht, und sie reckt sich zu ihrer vollen Größe. Sie ist nicht groß, aber jetzt scheint sie mich zu überragen. Ihre dunkelblauen Augen blicken in meine, und ich erwidere ihren Blick energisch und herausfordernd.

«Ich habe mit deiner Schwester gespielt», sagt sie mit ihrer leisen Stimme. «Sie braucht Freude. Arthur wollte nicht …»

Ich kann es nicht ertragen, sie seinen Namen sagen zu hören. Wie kann sie es wagen, ihn mir gegenüber so beiläufig auszusprechen?

«Seine Gnaden würde wollen, dass seine Schwester sich wie eine englische Prinzessin benimmt», stoße ich hervor, meiner Großmutter jetzt ähnlicher denn je. Mary läuft wimmernd zu einer der Damen, um sich bei ihr auszuweinen. Ich beachte sie nicht. «Der Hof ist in tiefer Trauer, hier gibt es weder laute Spiele noch Tänze oder heidnische Bräuche.» Ich mustere Katharina verächtlich von oben bis unten. «Du überraschst mich, Prinzessinwitwe. Ich bedaure, meiner werten Großmutter berichten zu müssen, wie sehr du dich vergessen hast.»

In der Gewissheit, sie vor allen beschämt zu haben, wende ich mich zum Gehen, als sie leise sagt: «Nein, du irrst dich, Schwester. Prinz Arthur hat mich gebeten, mit Prinzessin Mary zu spielen und mit dir zu sprechen. Er wusste, dass er sterben würde, und hat mich gebeten, euch alle zu trösten.»

Ich fahre herum, bin mit wenigen Schritten wieder bei ihr und ziehe sie am Arm beiseite, damit die anderen uns nicht hören. «Er wusste es? Hat er dich gebeten, mir etwas auszurichten?»

In diesem Moment bin ich mir sicher, dass er eine Abschiedsbotschaft eigens für mich hinterlassen hat. Arthur liebte mich, ich liebte ihn, wir haben einander alles bedeutet. «Was sollst du mir von ihm sagen?»

Sie weicht meinem Blick aus, und ich denke: Sie verheimlicht mir etwas. Ich traue ihr nicht. Ich ziehe sie an mich, als wollte ich sie umarmen.

«Es tut mir leid, Margaret. Es tut mir so leid», murmelt sie und löst sich aus meinem unsanften Griff. «Er hat nur gesagt, er hoffe, niemand möge um ihn trauern, und ich solle seine Schwestern trösten.»

«Und du?», bohre ich nach. «Hat er dir auch gesagt, dass du nicht um ihn trauern sollst?»

Sie senkt den Blick; jetzt weiß ich, dass sie etwas verschweigt. «Wir haben noch einmal allein miteinander gesprochen, ehe er starb», erwidert sie nur.

«Worüber?», frage ich grob.

Plötzlich blickt sie auf, und ihre Augen sprühen vor Leidenschaft. «Ich habe ihm mein Wort gegeben», fährt sie auf. «Er wollte ein Versprechen von mir, und ich habe es ihm gegeben.»

«Was hast du ihm versprochen?»

Wieder senkt sie den Blick.

«Non possum dicere»,sagt sie.

«Was?» Ich schüttele sie ein wenig, als wäre sie Mary und ich könnte sie ohrfeigen. «Sprich Englisch, Dummkopf!»

Wieder dieser eindringliche Blick. «Ich darf es nicht sagen», erklärt sie. «Aber ich versichere dir, ich handele nach seinem letzten Wunsch. Ich werde immer nach seinen Wünschen handeln. Ich habe es geschworen.»

Ich fühle mich ganz und gar machtlos angesichts ihrer Entschlossenheit. «Wie auch immer, jedenfalls solltest du hier nicht solchen Lärm veranstalten», sage ich boshaft. «Das wird meiner werten Großmutter nicht gefallen, und meine werte Mutter ruht. Wahrscheinlich hast du sie bereits geweckt.»

«Erwartet sie ein Kind?», fragt die junge Frau mich leise. Also wirklich, das geht sie nichts an. Außerdem hätte meine Mutter kein weiteres Kind zu empfangen brauchen, wenn Arthur nicht gestorben wäre. Es ist praktisch Katharinas Schuld, dass meine Mutter erschöpft ist und einem weiteren Rückzug entgegenblickt.

«Ja», verkünde ich gewichtig. «Und das solltest du auch. Wir haben dir für die Rückkehr aus Ludlow eine Sänfte geschickt, um dir den Ritt zu ersparen, weil wir davon ausgingen, dass du ein Kind erwartest. Aber anscheinend war unsere Rücksichtnahme unnötig.»

«Leider war es uns nicht vergönnt», sagt sie traurig, und ich bin so wütend, dass ich türenknallend den Raum verlasse, ehe ich überhaupt dazu komme, mich zu fragen, wie sie das gemeint hat. «Leider war es uns nicht vergönnt»?

Was war ihnen nicht vergönnt?

Westminster Abbey, London, England

Februar 1503

Ich glaube, dies ist der elendste Tag meines Lebens. Ich hatte geglaubt, nichts könnte schlimmer sein als der Verlust von Arthur, aber jetzt, nur ein Jahr später, ist meine Mutter im Kindbett gestorben – bei dem Versuch, meinem Vater und England einen weiteren Sohn zu schenken. Es war Irrsinn, dass sie es überhaupt versucht hat, aber sie wollte meinen Vater trösten und ihre Pflicht als gute Königin erfüllen, indem sie ihm einen zweiten Erben schenkte, und dann hatte sie eine schwere Schwangerschaft, und das Ergebnis war doch nur ein Mädchen; also war es all die Strapazen nicht wert. Ich bin außer mir vor Trauer, wütend auf sie, meinen Vater, auf Gott selbst, weil nun aus einem entsetzlichen Verlust drei geworden sind: erst Arthur, dann meine Mutter, und der Säugling ist auch gestorben. Nur Katharina von Arrogant ist immer noch hier. Warum haben wir die drei verloren, und sie ist uns erhalten geblieben?

Meine Großmutter richtet ein großes Staatsbegräbnis aus. Sie sagt immer, die Königsfamilie muss vor dem Volk strahlend dastehen wie Heilige auf einem Altargemälde, und der Tod meiner Mutter bietet eine Gelegenheit, dem Land ins Bewusstsein zu rufen, dass sie eine Plantagenet-Prinzessin war, die einen Tudorkönig geheiratet hat. Sie hat getan, was das ganze Land tun sollte: sich den Tudors unterwerfen und lernen, sie zu lieben. Der Sarg meiner Mutter ist mit einem schwarzen Tuch bedeckt, auf dem ein Kreuz aus Goldbrokat prangt. Darauf liegt ein kunstvoll gefertigtes Abbild von ihr. Meine kleine Schwester Mary glaubt, es sei wirklich ihre Mutter und sie schlafe nur und werde bald wieder aufwachen. Mich kann das nicht zu Tränen rühren, Prinzessin Katharina jedoch beugt sich zu Mary hinunter und nimmt ihre kleine Hand. Für mich ist es nur ein weiterer Beweis für die unsägliche Dummheit meiner Familie – mit Ausnahme meiner werten Großmutter können wir einfach nicht anders, als uns lächerlich zu machen. Mein Vater hat sich gänzlich zurückgezogen, er vernachlässigt seine Regierungsgeschäfte, verweigert das Essen, lässt niemanden zu sich, nicht einmal mich. Das alles ist so furchtbar, dass ich vor Kummer und Groll kaum sprechen kann.

Eigentlich sollte ich als Königin von Schottland jetzt die Gemächer meiner Mutter beziehen und den Hof beherrschen. Aber alles läuft falsch: Ihre Dienerschaft wird entlassen, und ich, die bedeutendste Dame am Hof, behalte meine alten Gemächer. Ständig rechne ich damit, sie zu sehen, ständig lausche ich auf ihre Stimme. Eines Tages ertappe ich mich dabei, sie besuchen zu wollen, doch dann fällt mir wieder ein, dass ihre Räume leer und verschlossen sind. Seltsam, dass jemand, der so ruhig und zurückhaltend war, eine solch schmerzliche Stille hinterlassen kann. Aber es ist so.

Meine werte Großmutter erklärt mir, durch den Tod meiner Mutter wolle Gott mir zeigen, dass in jeder Freude ein Leid steckt und dass Titel und weltlicher Prunk vergängliche Freuden sind. Ich bezweifle nicht, dass Gott direkt zu meiner werten Großmutter spricht, denn sie ist sich immer in allen Dingen so sicher, und ihr Beichtvater, Bischof Fisher, ist der frömmste Mann, den ich kenne. Aber es gelingt Gott nicht, mich zur Abkehr von weltlichem Prunk zu bewegen; im Gegenteil, durch die erlittenen Verluste sehne ich mich mehr denn je nach der Sicherheit, die Reichtum und meine eigene Krone mir verschaffen können. Mir ist, als könnte ich mich auf nichts und niemanden in dieser Welt mehr verlassen. Geblieben sind mir nur mein neuer Titel, meine Schmuckschatulle, meine Hochzeitsgarderobe und das riesige Vermögen, das mir nach der Hochzeit gehören wird.

Ich werde England wie geplant im Sommer verlassen und bin froh darüber, denn hier hält mich nichts mehr. König James von Schottland steht zu dem Heiratsvertrag, und allein meine Pachterträge werden ein Vermögen ausmachen – sechstausend Pfund im Jahr von dem Grundbesitz, den er mir überschreibt, und dazu eintausend schottische Pfund für meinen Unterhalt. Er wird für meine vierundzwanzig englischen Diener und den Unterhalt meines Hofes aufkommen. Sollte er unglücklicherweise sterben – immerhin ist er schon sehr alt –, dann werde ich eine reiche Witwe sein: Mir werden Newark Castle und Ettrick Forest gehören und noch viel, viel mehr. Das ist etwas, worauf ich mich verlassen kann: dieses Vermögen und meine Krone. Alles andere, selbst die Liebe meiner Mutter, kann über Nacht verloren sein. Das weiß ich nun.

Aber zu meinem eigenen Erstaunen will ich nicht von zu Hause fort, ohne mich mit meinem Bruder Harry versöhnt zu haben, und so mache ich mich auf die Suche nach ihm. Er sitzt bei meiner werten Großmutter und liest ihr aus einem lateinischen Psalter vor. Ich höre schon durch die Tür seine klare Knabenstimme und seine schöne Betonung, und er hält auch nicht inne, als die Wache schwungvoll die Tür öffnet, sondern blickt nur kurz auf. Die beiden sitzen, eingerahmt von dem geschnitzten Steinbogen des Fensters, wie ein Bildnis von Jugend und Alter. Beide sind prächtig in schwarzen Samt gekleidet; das Sonnenlicht malt einen Heiligenschein um Harrys goldhaarigen Kopf. Eigentlich müssten beide innehalten, um mich angemessen zu begrüßen, doch meine werte Großmutter gibt Harry mit einer Geste zu verstehen, er solle fortfahren. Ich betrachte die zwei widerwillig. Sie wirken ganz und gar königlich, geradezu vergeistigt, ich hingegen komme mir plump und übertrieben herausgeputzt vor.

Ich knickse schweigend vor meiner Großmutter und lasse mich auf einem Kissen auf der Fensterbank nieder, sodass ich etwas höher sitze als sie, während Harry seine Lesung beendet. Es dauert ewig, bis sie endlich sagt: «Das war wunderschön, Euer Gnaden, mein lieber Junge, ich danke dir.» Und er verbeugt sich, gibt ihr das Buch zurück und erwidert: «Ich habe dir zu danken, dass du solch weise Worte mit solch herrlichen Illustrationen in meine Hände legst.»

Beide blicken einander in wechselseitiger Bewunderung an, und dann geht sie mit ihren Damen in ihre kleine Kapelle, um zu beten, und Harry und ich bleiben allein zurück.

«Harry, es tut mir leid, was ich nach Arthurs Tod gesagt habe», platze ich heraus.

Er hebt anmutig den Kopf. Harry liebt es, wenn sich jemand bei ihm entschuldigt.

«Ich war so unglücklich», füge ich hinzu. «Ich wusste nicht, was ich sagte.»

«Und dann kam es noch schlimmer.» Sein Augenblick des Stolzes ist vorüber. Jetzt ist er nur noch ein Junge, der sich elend fühlt, weil er seine Mutter verloren hat, den einzigen Menschen, der ihn wirklich liebte.

Verlegen stehe ich auf und schließe ihn in die Arme. Er ist inzwischen so groß und kräftig, dass es sich beinahe anfühlt, als umarmte ich Arthur. «Mein Bruder», sage ich und höre den Klang der Worte; nie zuvor habe ich so innig für Harry empfunden. «Mein Bruder», wiederhole ich.

«Meine Schwester», sagt er.

Einen Moment lang liegen wir uns schweigend in den Armen, und ich denke: Wie tröstlich das ist. Dies ist mein Bruder – kräftig wie ein Hengstfüllen und ebenso einsam wie ich. Vielleicht kann ich ihm vertrauen. Er kann mir vertrauen.

«Du weißt, ich werde eines Tages König von England sein», sagt er, das Gesicht an meiner Schulter vergraben.

«Bis dahin vergehen noch Jahre», erwidere ich beruhigend. «Vater wird an den Hof zurückkehren, und es wird sein wie früher.»

«Und ich werde Katharina heiraten», fährt er schüchtern fort und löst sich von mir. «Sie war nie richtig mit Arthur verheiratet – sie wird meine Braut.»

Ich bin so verblüfft, dass ich ihn nur schweigend anstarre. Als Harry mein Gesicht sieht, lacht er verlegen. «Natürlich nicht gleich. Wir werden warten, bis ich vierzehn bin. Aber verloben werden wir uns schon jetzt.»

«Aber sie ist Arthurs Witwe», bringe ich heraus.

«In Wirklichkeit nicht», erwidert er verlegen.

«Wie meinst du das?» Dann wird mir schlagartig alles klar. Ich erinnere mich wieder an Katharinas Worte: «Leider war es uns nicht vergönnt», und daran, wie ich mich gefragt habe, wie sie das meinte.

«Leider», sage ich und beobachte Harry scharf, «war es den beiden nicht vergönnt.»

«Nein», bestätigt er erleichtert. Ich könnte wetten, er erkennt den Wortlaut wieder. «Nein, leider nicht.»

«Stammt der Plan von ihr?», frage ich erbost. «Auf diese Weise will sie also für immer hierbleiben? So will sie Princess of Wales und später einmal Königin von England werden, obwohl ihr Gemahl tot ist? Weil sie es sich in den Kopf gesetzt hat? Sie hat Arthur nie geliebt, es ging ihr immer nur um den Thron.»

«Der Plan stammt von Vater», erklärt Harry unschuldig. «Es wurde schon beschlossen, bevor unsere werte Mutter … starb.»

«Nein, bestimmt ist es ihr Plan.» Ich bin mir ganz sicher. «Sie hat Arthur vor seinem Tod etwas versprochen. Ich glaube, es war das.»

Harry lächelt wie ein strahlender Engel. «Dann habe ich also den Segen meines Bruders», stellt er fest. Er nimmt Haltung an und rezitiert aus dem Gedächtnis: «Wenn Brüder beieinanderwohnen und einer stirbt ohne Söhne, so soll seine Witwe nicht die Frau eines Mannes aus einer andern Sippe werden, sondern ihr Schwager soll zu ihr gehen und sie zur Frau nehmen und mit ihr die Schwagerehe schließen.»