Die letzte Gemahlin des Königs - Philippa Gregory - E-Book
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Die letzte Gemahlin des Königs E-Book

Gregory Philippa

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Beschreibung

Meisterin des Wortes Heimlich unterhält die Witwe Kateryn Parr eine Affäre mit ihrer großen Liebe, dem Baron Thomas Seymour. Doch als König Henry VIII. um ihre Hand anhält, hat sie keine Wahl: Sie muss das Angebot annehmen und darf Thomas nie wiedersehen. Kateryn weiß genau, in welche Gefahr sie sich begibt – schließlich wird sie die sechste Gemahlin des launischen Königs. Von zwei ihrer Vorgängerinnen trennte er sich, zwei ließ er hinrichten. Mit der Zeit wähnt sie sich aber in Sicherheit: Im Herzen des Hofes gründet sie einen Studierzirkel und bestimmt als Regentin die Geschicke des Landes in Henrys Abwesenheit. Doch als Befürworterin religiöser Reformen zieht sie schließlich doch Henrys Zorn auf sich … «Philippa Gregory, Königin des historischen Romans, setzt dieser Heldin ein unvergessliches Denkmal.» (People Magazine) «Niemand schreibt besser über die Tudors als Philippa Gregory.» (Publishers Weekly) «‹Die letzte Gemahlin des Königs› ist nicht nur ein faszinierender Roman über eine überraschend wenig bekannte Zeit der Tudor-Dynastie, sondern vermittelt auch das bedrückende Gefühl des puren Terrors, den das Leben unter einem launischen Tyrannen mit sich bringt – besonders, wenn man mit ihm verheiratet ist.» (Reader's Digest) «Drastisch schildert Gregory die Beziehung von Kateryn Parr und ihrem Gemahl Henry VIII. Genauso gut beschreibt sie auch die religiösen und politischen Spannungen im England der Tudors. Fesselnd.» (The Times) «Gregorys komplexes Porträt des alternden Königs und seiner sinnlichen, gelehrten Braut wird Tudor-Fans begeistern.» (Publishers Weekly)

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Philippa Gregory

Die letzte Gemahlin des Königs

Die Rosenkriege

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Meisterin des Wortes

 

Heimlich unterhält die Witwe Kateryn Parr eine Affäre mit ihrer großen Liebe, dem Baron Thomas Seymour. Doch als König Henry VIII. um ihre Hand anhält, hat sie keine Wahl: Sie muss das Angebot annehmen und darf Thomas nie wiedersehen.

Kateryn weiß genau, in welche Gefahr sie sich begibt – schließlich wird sie die sechste Gemahlin des launischen Königs. Von zwei ihrer Vorgängerinnen trennte er sich, zwei ließ er hinrichten. Mit der Zeit wähnt sie sich aber in Sicherheit: Im Herzen des Hofes gründet sie einen Studierzirkel und bestimmt als Regentin die Geschicke des Landes in Henrys Abwesenheit. Doch als Befürworterin religiöser Reformen zieht sie schließlich doch Henrys Zorn auf sich …

 

«Philippa Gregory, Königin des historischen Romans, setzt dieser Heldin ein unvergessliches Denkmal.» (People Magazine)

 

«Niemand schreibt besser über die Tudors als Philippa Gregory.» (Publishers Weekly)

 

«‹Die letzte Gemahlin des Königs› ist nicht nur ein faszinierender Roman über eine überraschend wenig bekannte Zeit der Tudor-Dynastie, sondern vermittelt auch das bedrückende Gefühl des puren Terrors, den das Leben unter einem launischen Tyrannen mit sich bringt – besonders, wenn man mit ihm verheiratet ist.» (Reader’s Digest)

 

«Drastisch schildert Gregory die Beziehung von Kateryn Parr und ihrem Gemahl Henry VIII. Genauso gut beschreibt sie auch die religiösen und politischen Spannungen im England der Tudors. Fesselnd.» (The Times)

 

«Gregorys komplexes Porträt des alternden Königs und seiner sinnlichen, gelehrten Braut wird Tudor-Fans begeistern.» (Publishers Weekly)

Über Philippa Gregory

Philippa Gregory, geboren 1954 in Kenia, studierte Geschichte und promovierte an der University of Edinburgh über die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Ihre historischen Romane sind weltweit Bestseller und wurden mit Starbesetzung verfilmt, zuletzt «Die Königin der weißen Rose» in einer aufwendigen BBC-Produktion. Außerdem schreibt Gregory Kinder- und Jugendbücher, Kurzgeschichten, Reiseberichte sowie Drehbücher und arbeitet als Journalistin für Zeitung, Radio und Fernsehen. Sie lebt mit ihrer Familie in Nordengland.

Für

Maurice Hutt,

1928–2013

 

Geoffrey Carnall,

1927–2015

Unterschrift von Catherine Parr als Königin

Hampton Court PalaceFrühjahr 1543

Er steht vor mir, massig wie eine alte Eiche, sein Gesicht wie ein Vollmond, der von hoch oben durch die Zweige lugt. Seine Speckfalten hat er zu einer wohlwollenden Miene verzogen. Als er sich vorbeugt, befürchte ich schon, er würde auf mich niederstürzen. Es gelingt mir, nicht zurückzuweichen, während Gedanken auf mich einströmen: Er wird doch nicht etwa niederknien, wie ein anderer Mann erst gestern vor mir gekniet hat, um meine Hände mit Küssen zu bedecken? Aber wenn dieser Koloss von einem Mann auf die Knie ginge, müsste man ihn mit einer Seilwinde wieder hochziehen wie einen Ochsen, der in einen Graben gestürzt ist; und überhaupt würde er vor niemandem das Knie beugen.

Ich denke, er kann mich nicht auf den Mund küssen, nicht hier vor aller Augen, denn in dem langgestreckten Raum gehen ständig Menschen ein und aus, während an einem Ende Musiker spielen. Gewiss kann das an diesem gesitteten Hof nicht geschehen, gewiss wird dieses große Mondgesicht sich nicht auf meines senken. Ich starre zu dem Mann empor, den meine Mutter und all ihre Freundinnen einst als den attraktivsten Mann in ganz England verehrten, den König, von dem jedes Mädchen träumte, und ich bete im Stillen, es möge nicht wahr sein, dass er gerade eben diese Worte gesagt hat. Wider alle Vernunft bete ich darum, mich verhört zu haben.

In selbstgewissem Schweigen wartet er auf meine Einwilligung.

Ich begreife: So wird es von nun an sein, bis dass der Tod uns scheidet; er wird meine Einwilligung abwarten oder auch nicht, so oder so wird er tun, was ihm beliebt. Ich werde diesen Mann heiraten müssen, der alle anderen überragt. Er ist den Sterblichen übergeordnet, eine himmlische Erscheinung, fast so erhaben wie ein Engel: der König von England.

«Welch überraschende Ehre», stammele ich.

Sein kleiner Schmollmund verzieht sich zu einem breiten Lächeln. Ich sehe seine gelben Zähne, und sein Atem riecht wie der eines alten Hundes.

«Ich verdiene es nicht.»

«Ich werde dir zeigen, wie du es dir verdienen kannst», versichert er mir.

Ein anzügliches Lächeln auf seinen feuchten Lippen macht mir in erschreckender Weise bewusst, dass in dem siechenden Körper ein Lüstling steckt und dass ich in jedem Sinn des Wortes seine Frau sein werde; er wird das Bett mit mir teilen, während ich mich nach einem anderen Mann verzehre.

«Dürfte ich mir angesichts dieses überwältigenden Antrags etwas Bedenkzeit ausbitten?», frage ich, verzweifelt nach höflichen Formulierungen suchend. «Ich bin wahrhaftig sprachlos. Und nachdem ich doch erst jüngst verwitwet bin …»

Seine buschigen, sandfarbenen Augenbrauen ziehen sich zusammen; meine Antwort gefällt ihm nicht. «Du willst Bedenkzeit? Hast du denn nicht darauf gehofft?»

«Jede Frau hofft darauf», beteuere ich rasch. «Es gibt nicht eine einzige Dame am Hof, die sich nicht insgeheim Hoffnungen macht, im ganzen Land keine, die nicht davon träumt. Ich bin eine dieser vielen. Aber ich bin unwürdig!»

Das scheint ihn zu besänftigen.

«Ich kann nicht glauben, dass meine Träume wahr werden sollen. Ich brauche Zeit, um mein Glück zu begreifen. Es ist wie ein Märchen!»

Er nickt. Er liebt Märchen, Verstellung und Schauspiel und überhaupt jedweden schönen, trügerischen Schein. «Ich habe dich errettet», verkündet er. «Ich werde dich aus dem Nichts in den höchsten Rang der Welt erheben.» Er spricht voller Selbstgewissheit, mit tönender, salbungsvoller Stimme, schließlich wurde seine Kehle sein Leben lang mit den edelsten Weinen und den besten Speisen verwöhnt; doch dabei mustert er mich scharf und forschend.

Ich zwinge mich, dem stechenden Blick seiner kleinen, von den fetten Lidern halb verdeckten Augen standzuhalten. Er erhebt mich keineswegs aus dem Nichts, ich bin kein Niemand: Ich bin eine geborene Parr von Kendal, Witwe eines Neville. Das sind angesehene Familien im hohen Norden Englands, aber dort ist er natürlich nie gewesen. «Ich brauche ein wenig Zeit», verhandele ich weiter. «Um mich in dieses ungewohnte Glück einzufinden.»

Er macht eine kleine Geste mit seiner fleischigen Hand, wie um mir zu bedeuten, ich dürfe mir so viel Zeit lassen, wie es mir beliebe. Ich knickse und entferne mich rückwärts von dem Kartentisch, an dem er so plötzlich den größten Einsatz gefordert hat, den eine Frau wagen kann: ein Spiel um ihr Leben. Es ist per Gesetz verboten, ihm den Rücken zuzukehren; manche witzeln insgeheim, es sei ohnehin sicherer, ihn im Auge zu behalten. Sechs Schritte rückwärts über die lange Galerie, wo die Frühlingssonne durch die hohen Fenster auf meinen demütig gesenkten Kopf scheint, dann knickse ich noch einmal mit niedergeschlagenen Augen. Als ich mich aufrichte, strahlt er mich noch immer an, und alle Blicke sind auf uns gerichtet. Ich ringe mir ein Lächeln ab und nähere mich rückwärts der geschlossenen Tür, die zu seinem Audienzzimmer führt. Hinter mir stoßen die Wachen die Türflügel auf, um mich durchzulassen, ich höre das Gemurmel der Leute draußen, die von der Ehre seiner königlichen Gegenwart ausgeschlossen sind und nun beobachten, wie ich auf der Schwelle erneut knickse und der große König meinen Abgang verfolgt. Rückwärts gehe ich weiter, während die Wachen die Türflügel wieder schließen, sodass ich vor seinem Blick verborgen bin, und ich höre den dumpfen Laut, mit dem sie ihre Hellebarden aufsetzen.

Einen Moment lang bleibe ich stehen und starre auf die Schnitzereien an der Türfüllung, unfähig, mich umzuwenden und den neugierigen Blicken der versammelten Menge zu begegnen. Jetzt, da die dicken Türflügel uns trennen, wird mir bewusst, dass ich zittere – nicht nur meine Hände, nicht nur die Knie, sondern jede Faser meines Körpers bebt, ich bin wie ein junger Hase, der in einem Weizenfeld kauert und die Schnitter mit zischenden Sensen immer näher und näher kommen hört.

Es ist weit nach Mitternacht, als endlich alle schlafen und ich einen blauen Morgenmantel über mein Nachthemd aus schwarzem Seidenatlas werfe. Dunkel wie ein Schatten schleiche ich aus den Frauengemächern und die große Treppe hinunter. Keiner sieht mich, die Kapuze verbirgt mein Gesicht, und ohnehin ist an diesem Hof die Liebe schon seit langem käuflich. Niemand interessiert sich für eine Frau, die sich nach Mitternacht in ein fremdes Gemach stiehlt.

An der Tür meines Liebsten stehen keine Wachen; sie ist unverschlossen, wie er versprochen hat. Ich drehe den Knauf und schlüpfe hinein, und da sitzt er wartend am Kamin in dem leeren Zimmer, das nur von wenigen Kerzen erhellt wird. Er ist hochgewachsen und schlank, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Als er mich hört, wendet er sich um, und sein ernstes Gesicht leuchtet vor Begierde auf. Er drückt mich an sich, ich lehne den Kopf an seine starke Brust und fühle, wie seine Arme mich fest umschließen. Wortlos reibe ich die Stirn an ihm, als wollte ich in ihn hineinkriechen, unter seine Haut. So bleiben wir einen Moment lang stehen und saugen den Geruch, die Berührung des anderen in uns ein. Dann umfassen seine Hände mein Gesäß, er hebt mich hoch, und ich schlinge die Beine um ihn. Ich bin wie von Sinnen vor Verlangen. Er stößt mit dem Stiefel die Tür zu seinem Schlafzimmer auf, trägt mich hinein und schließt die Tür mit einem Fußtritt hinter sich, ehe er sich umdreht und mich auf sein Bett legt. Während er sich seiner Hosen entledigt und sein Hemd auf den Boden wirft, öffne ich meinen Morgenmantel und das Nachthemd, und dann liegt er auf mir und dringt in mich ein, wortlos, nur mit einem tiefen Seufzer, als hätte er den ganzen Tag mit angehaltenem Atem auf diesen Moment gewartet.

Jetzt erst keuche ich, den Mund dicht an seiner nackten Schulter: «Thomas, liebe mich die ganze Nacht; ich will nicht denken.»

Er stemmt sich hoch, damit er mein bleiches Gesicht betrachten kann und mein kastanienbraunes Haar, das offen über das Kissen gebreitet liegt. «Lieber Himmel, ich bin verrückt nach dir!», stößt er hervor.

Dann nimmt sein Gesicht einen entschlossenen Ausdruck an, und seine dunklen Augen weiten sich vor Begierde, als er anfängt, sich in mir zu bewegen. Ich spreize die Beine weiter, höre, wie mein Atem stoßweise geht, und ich weiß, dies ist der einzige Mann, der mir jemals Lust verschafft hat, dies ist der einzige Ort auf der Welt, an dem ich sein will, der einzige Ort, an dem ich mich sicher fühle – in Thomas Seymours warmem Bett.

Lange vor Tagesanbruch schenkt er aus einer Karaffe auf dem Buffet ein Glas Wein für mich ein und bietet mir gedörrte Pflaumen und Gebäck an. Ich nehme das Weinglas entgegen und knabbere an einem Kuchenstückchen, wobei ich die Krümel in der hohlen Hand auffange.

«Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht», sage ich abrupt.

Kurz legt er eine Hand über die Augen, als könnte er es nicht ertragen, mich anzusehen, wie ich da in seinem Bett sitze, das gelöste Haar wirr um die Schultern, seine Laken um meinen Körper gewickelt, mein Hals gerötet von seinen leidenschaftlichen Küssen, die Lippen ein wenig geschwollen.

«Gott steh uns bei. Oh, lieber Gott, gib, dass uns das erspart bleibt.»

«Ich konnte es erst gar nicht glauben.»

«Hat er mit deinem Bruder gesprochen? Mit deinem Onkel?»

«Nein, er hat mir selbst einen Antrag gemacht, gestern.»

«Hast du schon irgendjemandem davon erzählt?»

Ich schüttele den Kopf. «Noch nicht. Ich wollte es zuerst dir sagen.»

«Und was wirst du jetzt tun?»

«Ich werde mich fügen, was bleibt mir anderes übrig?», frage ich düster zurück.

«Das darfst du nicht», braust er plötzlich auf.

Er greift so heftig nach meinen Händen, dass das Gebäck zerbröselt, kniet sich auf das Bett und küsst meine Fingerspitzen. Wie damals, als er mir zum ersten Mal seine Liebe gestand und sagte, er wolle mein Geliebter sein, mein Gemahl, und niemand dürfe uns jemals trennen, ich sei die einzige Frau, die er jemals begehrt habe – die einzige! – in seinem langen Leben, in dem es Liebschaften gab, Huren und Dienstmädchen, so viele Frauen, dass er sie nicht mehr zählen könne.

«Kateryn, ich schwöre, das ist unmöglich. Das könnte ich nicht ertragen. Ich werde es nicht zulassen.»

«Ich sehe keine Möglichkeit, seinen Antrag abzulehnen.»

«Was hast du ihm geantwortet?»

«Dass ich Zeit brauche. Um zu beten und nachzudenken.»

Er legt meine Hand auf seinen flachen Bauch. Ich fühle die warme, vom Schweiß feuchte Haut mit dem weichen, krausen Haar und darunter die angespannten Muskeln. «War es das, was du heute Nacht getan hast? Beten?»

«Ich bete dich an», flüstere ich.

Er beugt sich zu mir vor und küsst mich auf den Scheitel. «Ketzerin. Was, wenn du ihm sagst, dass du schon versprochen bist? Dass du bereits heimlich wieder verheiratet bist?»

«Mit dir?», frage ich prompt zurück.

Draufgänger, der er ist, nimmt er die Herausforderung an. Thomas stürzt sich in jede Gefahr wie ein Ritter im Turnier, als fühlte er sich nur wirklich lebendig, wenn sein Leben auf Messers Schneide steht.

«Ja, mit mir», sagt er kühn. «Selbstverständlich mit mir. Wir müssen heiraten. Wir können behaupten, wir seien bereits verheiratet!»

Ich habe mir gewünscht, dass er so etwas sagen würde, aber mir fehlt der Mut, diese Idee umzusetzen. «Ich kann ihn nicht zurückweisen.» Bei der Vorstellung, Thomas zu verlieren, versagt mir die Stimme. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen. Ich wische sie mit dem Saum des Lakens ab. «Ach, Gott steh mir bei, wir werden uns nicht einmal mehr treffen können.»

Er sieht ganz verstört aus. Als er sich auf die Fersen zurücksetzt, knarrt die Bespannung des Bettrahmens unter seinem Gewicht. «Das darf einfach nicht wahr sein. Du bist gerade erst frei geworden – wir waren kaum ein halbes Dutzend Mal zusammen. Ich wollte ihn um Erlaubnis bitten, dich zu heiraten! Nur aus Anstand habe ich noch die Trauerzeit abgewartet!»

«Ich hätte die Zeichen erkennen müssen. Er hat mir diese wunderschönen Ärmel geschickt, er hat darauf bestanden, dass ich meine Trauer vorzeitig beende, um an den Hof zu kommen. Ständig sucht er mich in Lady Marys Gemächern auf, und er kann den Blick nicht von mir lassen.»

«Ich dachte, er tändelt nur. Schließlich bist du nicht die Einzige, da gibt es noch Catherine Brandon und Mary Howard … Ich hätte nie geglaubt, dass es ihm ernst ist.»

«Er hat meinem Bruder weit größere Gunst erwiesen, als er verdient hätte. William wurde weiß Gott nicht wegen seiner herausragenden Fähigkeiten zum Warden of the Marches ernannt.»

«Henry ist alt genug, dein Vater zu sein!»

Ich lächle bitter. «Seit wann stört sich ein Mann daran, wenn seine Braut jünger ist als er? Ich glaube, er hatte schon vor dem Tod meines Gemahls, Friede seiner Seele, ein Auge auf mich geworfen.»

«Ich wusste es!» Thomas schlägt mit der flachen Hand gegen den geschnitzten Bettpfosten. «Ich wusste es! Ich habe doch gesehen, wie er dich mit Blicken verfolgte. Ich habe gesehen, wie er dir bei Tisch ein Häppchen hiervon und ein Schälchen davon bringen ließ und wie er mit seiner großen, dicken Zunge seinen Löffel ableckte, während du davon probiertest. Ich darf gar nicht daran denken, wie du in seinem Bett liegen wirst und er dich mit seinen Altmännerhänden packt.»

Ich schlucke krampfhaft, meine Angst droht, mir die Kehle zuzuschnüren. «Die Ehe wird noch weit schlimmer sein als das Werben, dabei ist dieses Werben schon wie ein Schauspiel, in dem die Rollen falsch besetzt sind und ich meinen Text nicht kenne. Ich habe solche Angst! Lieber Himmel, Thomas, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich fürchte. Die letzte Königin …» Meine Stimme versagt; ich bringe ihren Namen nicht über die Lippen. Katherine Howard ist tot, sie wurde wegen Ehebruchs enthauptet, erst vor einem Jahr.

«Deswegen brauchst du keine Angst zu haben», beruhigt Thomas mich. «Du hast sie nicht erlebt, damals warst du ja noch nicht am Hof. Kitty Howard hatte sich ihr Unglück selbst zuzuschreiben. Wäre sie nicht eine solche Hure gewesen, hätte er ihr kein Haar gekrümmt.»

«Und was glaubst du, was ich in seinen Augen wäre, wenn er mich jetzt sehen könnte?»

Wir schweigen beide beklommen. Thomas blickt auf meine Hände, mit denen ich meine Knie umklammere. Ich zittere. Er fasst mich an den Schultern und fühlt, wie ich bebe. Voller Entsetzen schauen wir einander an, als wäre soeben unser Todesurteil verkündet worden.

«Er darf nie etwas davon ahnen», sagt er mit einer Handbewegung, die den ganzen von Kerzenschein erhellten Raum einschließt – das warme Kaminfeuer, die zerwühlten Laken, den verräterischen Geruch unseres Liebesakts, der schwer in der Luft hängt. «Wenn er dich jemals danach fragt, musst du alles abstreiten. Ich werde es ebenfalls leugnen. Ihm darf nie auch nur das leiseste Gerücht darüber zu Ohren kommen. Wir beide dürfen niemals darüber reden, mit niemandem. Wir werden ihm keinerlei Anlass bieten, uns zu verdächtigen, das müssen wir einander schwören.»

«Ich schwöre, dass ich dich nicht einmal unter der Folter verraten werde.»

Thomas lächelt mich voller Wärme an. «Edelleute werden nicht gefoltert», sagt er und schließt mich mit inniger Zärtlichkeit in die Arme. Dann legt er mich auf das Bett zurück, deckt mich mit dem Fell zu, streckt sich neben mir aus und beugt sich über mich, den Kopf auf eine Hand gestützt, sodass er mich anschauen kann. Mit der anderen Hand streicht er über meine tränennasse Wange, meinen Hals, die Wölbung meiner Brüste und weiter abwärts über Bauch und Hüften, wie um sich die Form meines Körpers einzuprägen, als könnte er mit den Fingern auf meiner Haut lesen und alles, jede Kleinigkeit danach für immer im Gedächtnis behalten. Schließlich vergräbt er sein Gesicht an meinem Hals und atmet den Duft meiner Haare ein.

«Dann ist das hier also unser Abschied?», fragt er, die Lippen dicht an meiner warmen Haut. «Du hast die Entscheidung bereits getroffen, du tapfere Frau aus dem Norden. Du hast ganz allein die Entscheidung getroffen und bist hergekommen, um mir Lebewohl zu sagen.»

Natürlich ist das hier unser Abschied.

«Ich glaube, wenn du mich verlässt, muss ich sterben», droht er.

«Wenn ich es nicht tue, müssen wir beide sterben», entgegne ich trocken.

«So kenne ich meine Kat, immer geradeheraus.»

«Ich will mich vor dir heute Nacht nicht verstellen. Schließlich werde ich mich noch für den Rest meines Lebens verstellen müssen.»

Er betrachtet forschend mein Gesicht. «Du bist schön, wenn du weinst», stellt er fest. «Noch schöner als sonst.»

Ich lege beide Hände auf seine Brust, fühle mit meinen Handflächen die Konturen seiner Muskeln und das dunkle Haar. An einer Schulter hat er eine alte Narbe von einer Schwertwunde. Ich berühre sie sanft und nehme mir vor, jeden Augenblick dieses letzten Beisammenseins in Erinnerung zu behalten.

«Lass nicht zu, dass er dich jemals weinen sieht», sagt Thomas. «Es würde ihm gefallen.»

Ich streiche mit den Fingern über sein Schlüsselbein, zeichne eine Sehne an seinem Hals nach. Die warme Haut unter meinen Händen und der Geruch unseres Liebesakts lenken mich von meinem Kummer ab.

«Ich muss vor Tagesanbruch gehen», sage ich mit einem Blick zu dem mit Läden verschlossenen Fenster. «Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.»

Er weiß genau, was ich denke. «Willst du so Abschied nehmen?» Sanft schiebt er einen Schenkel zwischen meine Beine, bis der feste Muskel gegen meine Scham drückt und die Lust langsam durch meinen Körper strömt. «Möchtest du das?»

«So macht man es bei uns auf dem Land», flüstere ich, um ihn zum Lachen zu bringen.

Er dreht sich auf den Rücken und zieht mich über sich, auf seinen warmen, schlanken Körper, damit ich in diesem letzten Liebesakt die Führung übernehme. Ich liege ausgestreckt auf ihm und fühle, wie er vor Begierde erschaudert, dann knie ich mich rittlings über ihn, die Hände auf seine Brust gestützt, und blicke in seine dunklen Augen, während ich mich langsam auf ihn sinken lasse. Kurz bevor er in mich eindringt, halte ich inne, bis er flehend sagt: «Kateryn …» Erst dann gehe ich weiter. Er schließt stöhnend die Augen und breitet die Arme aus wie ein Gekreuzigter der Lust. Zu Anfang bewege ich mich langsam, um sein Verlangen zu steigern, diesen Akt lange auszukosten, aber dann spüre ich, wie die Hitze mich übermannt, die vertraute köstliche Ungeduld sich steigert, bis ich mich nicht mehr zurückhalten kann, an nichts mehr denke, bis ich in Ekstase seinen Namen rufe und mir am Ende die Tränen kommen, und ich weine vor Lust, vor Liebe und über den entsetzlichen Verlust, den der Morgen bringen wird.

Bei der Prim in der Kapelle knie ich neben meiner Schwester Nan, umgeben von Lady Marys Damen. Die Königstochter selbst betet still an ihrem eigenen, reich verzierten Betpult außer Hörweite von uns.

«Nan, ich muss dir etwas sagen», raune ich meiner Schwester zu.

«Hat der König mit dir gesprochen?», fragt sie nur.

«Ja.»

Sie schnappt nach Luft, dann legt sie ihre Hand auf meine und drückt sie, während sie die Augen zum Gebet schließt. So knien wir Seite an Seite, wie früher als Kinder zu Hause auf Kendal in Westmorland, als unsere Mutter die Gebete auf Latein las und wir unbeholfen respondierten.

Als der lange Gottesdienst zu Ende ist, erhebt sich Lady Mary, und wir verlassen in ihrem Gefolge die Kapelle. Es ist ein herrlicher Frühlingstag. Zu Hause hätten wir an einem solchen Tag mit dem Pflügen begonnen, und der Gesang der Brachvögel hätte sich laut in das Pfeifen des Burschen am Pflug gemischt.

«Lasst uns vor dem Frühstück ein wenig im Garten spazieren gehen», schlägt Lady Mary vor, und wir folgen ihr die Treppe zum Kammergarten hinunter, vorbei an den königlichen Leibgardisten, die ihre Waffen präsentieren und dann beiseite treten. Meine Schwester Nan, die am Hof aufgewachsen ist, erkennt die günstige Gelegenheit und hält mich am Arm zurück. Hinter dem Rücken der übrigen Damen biegen wir unbemerkt auf einen anderen Pfad ab.

Sobald uns niemand mehr hören kann, bleibt Nan stehen und wendet sich mir zu. Ihr Gesicht, bleich und angespannt, ähnelt dem meinen: Das kastanienbraune Haar ist unter einer Haube aufgesteckt, sie hat graue Augen wie ich, und gerade sind ihre Wangen vor Aufregung gerötet.

«Gott segne dich, meine Schwester. Gott segne uns alle. Dies ist ein großer Tag für die Parrs. Was hast du ihm geantwortet?»

«Ich habe mir ein wenig Zeit ausgebeten, um mein Glück zu begreifen», erwidere ich nüchtern.

«Was glaubst du, wie viel Zeit wird er dir lassen?»

«Vielleicht ein paar Wochen?»

«Er ist kein geduldiger Mann», warnt sie mich.

«Ich weiß.»

«Nimm den Antrag lieber gleich an.»

Ich zucke mit den Schultern. «Das werde ich. Mir ist klar, dass ich ihn heiraten muss. Mir bleibt ja keine Wahl.»

«Als seine Gemahlin wirst du Königin von England sein; du wirst über ein Vermögen verfügen!», schwärmt sie. «Wir alle werden reich sein.»

«Ja – die beste Färse der Familie ist wieder auf dem Markt und wird zum dritten Mal verkauft.»

«Aber Kat! Das hier ist nicht irgendeine arrangierte Ehe. Es ist die Chance deines Lebens! Die beste Partie in ganz England, wahrscheinlich sogar auf der ganzen Welt!»

«Solange die Ehe hält.»

Sie schaut sich um, dann hakt sie mich unter, sodass wir im Gehen die Köpfe zusammenstecken und uns flüsternd unterhalten können. «Ich verstehe ja, dass du Angst hast. Aber vielleicht ist es gar nicht für lange – er ist sehr krank. Und alt. Und dann hast du den Titel und das Erbe und bist den Mann los.»

Der Ehemann, den ich erst kürzlich begraben habe, war neunundvierzig, der König ist einundfünfzig – ein alter Mann, aber er kann auch sechzig werden. Immerhin verfügt er über die besten Ärzte und Apotheker und schirmt sich selbst gegen jegliche Krankheit ab, als wäre er ein empfindlicher Säugling, der um jeden Preis geschützt werden muss. Er lässt seine Armeen alleine in den Krieg ziehen und nimmt schon seit Jahren nicht mehr selbst an Turnieren teil. Vier Ehefrauen hat er bereits begraben – warum nicht noch eine weitere?

«Mag sein, dass ich ihn überlebe», räume ich ein, den Mund dicht an Nans Ohr. «Andererseits, wie lange hat Katherine Howard gelebt?»

Meine Schwester wehrt den Vergleich kopfschüttelnd ab. «Die Schlampe! Sie hat ihn betrogen und war so töricht, sich dabei erwischen zu lassen. Das würdest du nicht tun.»

«Wie auch immer, es spielt ja doch keine Rolle», sage ich, all der Überlegungen plötzlich müde. «Es ist eben das Rad des Schicksals.»

«Sag das nicht! Es ist Gottes Wille», widerspricht Nan mit plötzlichem Eifer. «Denk nur, was du als Königin von England alles bewirken kannst. Denk nur, was du für uns tun könntest!»

Meine Schwester ist eine leidenschaftliche Verfechterin der Kirchenreform in England, die aus dem gegenwärtigen Zustand, einem Papsttum ohne Papst, eine wahre, auf der Bibel gegründete Glaubensgemeinschaft machen will. Wie so viele im Land – wer weiß, wie viele? – will sie, dass die Reformen, die der König eingeleitet hat, weitergeführt werden, bis wir endlich von allem Aberglauben befreit sind.

«Ach, Nan, du weißt doch, ich bin nicht gläubig … Und überhaupt, warum sollte er auf mich hören?»

«Weil er zu Anfang immer auf seine Frauen hört. Wir brauchen einen Fürsprecher. Der Hof lebt in tödlicher Angst vor Bischof Gardiner, er ist sogar schon gegen Angehörige von Lady Marys Haushalt vorgegangen. Ich musste meine eigenen Bücher verstecken. Wir brauchen eine Königin, die die Reformer in Schutz nimmt.»

«Dafür bin ich nicht die Richtige», entgegne ich tonlos. «Ich interessiere mich nicht für diese Dinge und werde auch nicht so tun, als ob. Ich wurde von meinem Glauben kuriert, als die Papisten drohten, meine Burg niederzubrennen.»

«Ja, so sind sie. Sie haben glühende Kohlen auf Richard Champions Sarg geworfen, um zu zeigen, dass er den Scheiterhaufen verdient hätte. Sie halten das Volk in Angst und Unwissenheit. Darum sollte die Bibel auf Englisch zugänglich sein, damit jeder sie selbst verstehen kann und nicht auf die Irrlehren der Priester hereinfällt.»

«Da ist doch einer nicht besser als der andere», sage ich unwirsch. «Ich habe keine Ahnung von der neuen Gelehrsamkeit – in Richmondshire hatte ich kaum Zugang zu Büchern und keine Zeit, herumzusitzen und zu lesen. Lord Latimer hätte solche Lektüre auch nicht im Haus haben wollen. Ich weiß gar nicht, worüber sich alle so ereifern, und ganz bestimmt habe ich keinen Einfluss auf den König.»

«Aber Kat, in Windsor sitzen jetzt gerade vier Männer im Kerker und sind der Häresie angeklagt, nur weil sie die Bibel auf Englisch lesen wollten. Du musst sie retten!»

«Wenn sie Ketzer sind, werde ich das nicht tun. Dann müssen sie auf dem Scheiterhaufen brennen, so will es das Gesetz. Wer wäre ich, das anzuzweifeln?»

«Du wirst lernen», beharrt Nan. «Natürlich, als du mit dem alten Latimer verheiratet warst und dort oben im Norden lebtest wie lebendig begraben, da warst du von all den neuen Entwicklungen abgeschnitten. Aber wenn du erst die Prediger in London hörst und die Gelehrten, die die Bibel auf Englisch auslegen, dann wirst du mich verstehen. Es gibt nichts Wichtigeres auf der Welt, als dem Volk Gottes Wort zu bringen und die Macht der alten Kirche zurückzudrängen.»

«Ich finde ja auch, dass jeder das Recht haben sollte, die Bibel auf Englisch zu lesen», räume ich ein.

«Wenn du das glaubst, genügt es für den Anfang schon. Alles Weitere kommt mit der Zeit, du wirst sehen. Und ich bin ja bei dir», redet sie mir zu. «Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Gott segne mich, ich werde die Schwester der Königin von England sein!»

Ich vergesse den Ernst der Lage und lache. «Du wirst dich sicher spreizen wie ein Pfau. Denk nur, wie glücklich Mutter darüber gewesen wäre!»

Nan lacht laut auf, dann schlägt sie die Hand vor den Mund. «Lieber Himmel, kannst du dir das vorstellen? Nachdem sie dich unter die Haube gebracht und mir solch schwere Arbeit aufgebürdet hat, alles für unseren Bruder William? Immer hat sie uns eingebläut, er käme an erster Stelle und wir müssten stets an die Interessen der Familie denken und niemals an uns selbst. Unser Leben lang hat sie uns gelehrt, William sei der einzige Mensch auf der Welt, der etwas zähle, und England das einzige Land und der Hof der einzige Ort und Henry der einzige König!»

«Und das Erbstück!», falle ich ein. «Das kostbare Erbstück, das sie mir hinterlassen hat. Das Porträt des Königs war ihr größter Schatz.»

«Oh, sie hat ihn vergöttert. Für sie war er immer der schönste Prinz der Christenheit.»

«In ihren Augen wäre es noch immer eine Ehre für mich, ihn zu heiraten, auch wenn von dem strahlenden Prinzen nichts mehr übrig ist.»

«Nun, es ist eine Ehre», stellt Nan richtig. «Er wird dich zur reichsten Frau Englands machen, weit mächtiger als jede andere. Du wirst tun und lassen können, was du willst, das wird dir gefallen. Alle müssen vor dir knicksen, sogar Edward Seymours Gemahlin. Es wird mir ein Vergnügen sein, das mit anzusehen, die Frau ist einfach unerträglich.»

Bei der Erwähnung von Thomas’ Bruder vergeht mir das Lachen. «Eigentlich hatte ich gedacht, Thomas Seymour könnte mein nächster Ehemann werden.»

«Aber du hast doch noch nicht mit ihm darüber gesprochen? Und du hast ihn nicht etwa gegenüber anderen erwähnt?»

Klar und deutlich wie ein Gemälde sehe ich Thomas vor mir, nackt im Kerzenschein, mit wissendem Lächeln, ich sehe meine Hand auf seinem warmen Bauch liegen und der Spur der dunklen Härchen abwärts folgen. Ich glaube, seinen Geruch wahrzunehmen, vor ihm kniend, die Stirn an seinem Bauch, während meine Lippen sich öffnen.

«Ich habe nichts gesagt. Es war nichts zwischen uns.»

«Er weiß also nichts davon, dass du ihn in Erwägung gezogen hast?», vergewissert sich Nan. «Du hast nur im Interesse der Familie überlegt, ihn zu heiraten, nicht etwa, weil du ihn begehrst?»

Mir steht das Bild vor Augen, wie er auf dem Bett liegt und den Rücken durchbiegt, um in mich hineinzustoßen, mit ausgebreiteten Armen, die Augen mit den dunklen Wimpern in Hingabe geschlossen.

«Er ahnt nichts. Ich dachte nur, mit seinem Vermögen und seinen verwandtschaftlichen Beziehungen wäre er eine Bereicherung für unsere Familie.»

Nan nickt. «Ja, er wäre eine ausgezeichnete Partie gewesen. Seine Familie ist im Aufstieg begriffen. Aber wir dürfen nie wieder über ihn sprechen. Niemand darf jemals behaupten, du hättest ein Auge auf ihn geworfen.»

«Das hatte ich auch nicht. Ich hätte eben eine neue Ehe eingehen müssen, die unserer Familie nutzt, ob nun mit ihm oder mit einem anderen.»

«Von jetzt an muss er für dich gestorben sein», beharrt sie.

«Ich habe ihn mir ganz und gar aus dem Kopf geschlagen. Ohnehin hatte ich ja noch nicht mit ihm gesprochen, und ich habe auch nicht unseren Bruder gebeten, mit ihm zu reden. Ich habe ihn nie im Gespräch mit irgendwem erwähnt, nicht einmal gegenüber unserem Onkel. Vergiss ihn; ich habe ihn auch bereits vergessen.»

«Das ist wichtig, Kat.»

«Ich bin nicht dumm.»

Sie nickt. «Wir werden nie wieder von ihm reden.»

«Niemals.»

In dieser Nacht träume ich, ich wäre die heilige Tryphine, gegen meinen Willen mit dem Feind meines Vaters vermählt. Ich steige in seiner Burg eine düstere Treppe hinauf. Aus dem Raum am oberen Ende der Treppe dringt ein Gestank, der mir die Kehle zuschnürt und mich zum Husten reizt, während ich weiter hinaufsteige, eine Hand an der feuchten, gewölbten Mauer, in der anderen Hand meine Kerze. Die Flamme flackert und rußt in dem Pesthauch, der aus der Kammer herabstreicht. Es ist der Gestank des Todes, der Geruch von etwas Verwesendem hinter der verschlossenen Tür, und ich muss hineingehen und mich meiner größten Angst stellen, denn ich bin Tryphine, gegen meinen Willen mit dem Feind meines Vaters vermählt, und steige in seiner Burg eine düstere Treppe hinauf … Und so setzt sich der Traum endlos fort, während ich immer weiter die Treppe hinaufsteige, die in eine andere Treppe übergeht und wiederum in eine andere Treppe, höher und höher, und an der dunklen Mauer flackert der Widerschein der Kerzenflamme, und der Gestank aus dem verschlossenen Raum wird immer stärker, bis er mir vollends den Atem raubt und ich so heftig würge, dass das ganze Bett bebt und Mary-Clare, eine andere Hofdame, die mit mir die Schlafstatt teilt, mich wach rüttelt und sagt: «Lieber Himmel, Kateryn, du hast im Traum nach Luft gerungen und geschrien. Was ist denn, was hast du?»

«Es ist nichts, nur ein schlechter Traum», erwidere ich. «Aber, gütiger Gott, ich hatte solche Angst!»

Der König kommt täglich in Lady Marys Gemächer, schwer auf den Arm eines Freundes gestützt, um zu überspielen, dass sein schlimmes Bein unter ihm wegfault. Sein Schwager Edward Seymour stützt ihn und treibt Konversation, charmant wie alle Seymours. Oft hält Thomas Howard, der alte Duke of Norfolk, den anderen Arm des Königs, ein starres, zurückhaltendes Höflingslächeln auf dem Gesicht, und der Bischof von Winchester, der breitschultrige Stephen Gardiner mit seinem runden Gesicht, folgt ihnen dicht auf den Fersen, um sich jederzeit einmischen zu können. Sie alle lachen laut über die Scherze des Königs und rühmen seine weisen Äußerungen; niemand ist jemals anderer Meinung als er. Wahrscheinlich hat ihm seit Anne Boleyn kein Mensch mehr widersprochen.

«Schon wieder dieser Gardiner», bemerkt Nan, und Catherine Brandon beugt sich zu ihr hinüber und flüstert ihr eindringlich zu. Ich sehe, wie Nan blass wird, während Catherine mit ihrem hübschen Kopf nickt.

«Was ist los?», erkundige ich mich. «Warum sollte Stephen Gardiner nicht den König begleiten?»

«Die Papisten versuchen gerade, Thomas Cranmer in eine Falle zu locken, den besten, christlichsten Erzbischof, den es je am Hof gegeben hat», murmelt Nan hastig. «Catherines Gemahl hat ihr erzählt, sie wollten noch heute Nachmittag gegen Cranmer Anklage wegen Häresie erheben. Sie glauben, genug gegen ihn in der Hand zu haben, um ihn auf den Scheiterhaufen zu bringen.»

Ich bin so erschüttert, dass es mir kaum gelingt, etwas zu erwidern. «Aber man kann doch einen Bischof nicht hinrichten!», stoße ich hervor.

«Doch», widerspricht Catherine in scharfem Ton. «Dieser König hat bereits einen hingerichtet: Bischof Fisher.»

«Aber das liegt Jahre zurück! Was hat Thomas Cranmer denn verbrochen?»

«Er hat gegen die sechs Artikel des Glaubens verstoßen», erklärt Catherine Brandon rasch. «Der König hat sechs Grundsätze formuliert, an die jeder Christ glauben muss, sonst wird er der Häresie angeklagt.»

«Aber wie soll Cranmer dagegen verstoßen haben? Er kann doch nicht gegen die Lehren der Kirche sein, schließlich ist er der Erzbischof – er ist die Kirche!»

Der König nähert sich uns.

«Bitte um Gnade für den Erzbischof!», flüstert Nan mir eindringlich zu. «Rette ihn, Kat.»

«Wie könnte ich das?», frage ich, dann verstumme ich und blicke lächelnd dem König entgegen, der hinkend auf mich zukommt und seine Tochter nur mit einem Kopfnicken begrüßt.

Ich fange Lady Marys irritierten Blick auf; aber falls sie der Meinung sein sollte, dass sich mein Benehmen einer dreißigjährigen Witwe nicht geziemt, so kann sie doch nichts dagegen sagen. Lady Mary ist nur gut drei Jahre jünger als ich, aber sie hat in ihrer grausam schmerzlichen Kindheit Zurückhaltung gelernt. Sie musste mit ansehen, wie ihre Freunde, ihr Lehrer, selbst ihre Erzieherin aus ihren Diensten in den Tower of London verschwanden und schließlich auf dem Schafott endeten. Ihr selbst wurde angedroht, ihr Vater werde auch sie enthaupten lassen, weil sie sich weigerte, ihrem Glauben abzuschwören. Manchmal, wenn sie still betet, steigen ihr Tränen in die Augen, und ich glaube, sie ist krank vor Trauer um jene, die sie verloren hat und nicht retten konnte. Ich stelle mir vor, dass sie jeden Morgen mit Schuldgefühlen erwacht, in dem Bewusstsein, dass sie selbst ihren Glauben verleugnet hat, um ihr eigenes Leben zu retten, und dass ihre Freunde es nicht taten.

Jetzt steht sie da, während der König sich in seinen Stuhl sinken lässt, der neben meinem aufgestellt wurde, und sie selbst nimmt erst Platz, als er sie mit einer Geste dazu auffordert. Sie spricht nicht, solange er sie nicht anredet, sondern schweigt mit demütig gesenktem Kopf. Niemals wird sie sich darüber beklagen, dass er mit ihren Damen tändelt. Sie wird ihren Kummer hinunterschlucken, bis sie sich daran vergiftet.

Der König gestattet uns allen mit einer Handbewegung, uns zu setzen, dann beugt er sich zu mir herüber und erkundigt sich in vertraulichem Flüsterton, was ich gerade lese. Ich zeige ihm bereitwillig die Titelseite. Es ist ein Buch mit französischen Erzählungen, ganz gewiss nichts Verbotenes.

«Du kannst Französisch lesen?»

«Und auch sprechen – natürlich nicht so fließend wie Euer Majestät.»

«Liest du noch andere Sprachen?»

«Ein wenig Latein, und jetzt, da ich Zeit habe, würde ich gern mehr lernen», sage ich. «Da ich ja nun an einem gebildeten Hof lebe.»

Er lächelt. «Ich bin schon zeit meines Lebens ein Gelehrter; ich fürchte, das wirst du niemals aufholen. Aber du solltest genug lernen, um mir vorlesen zu können.»

«Die englische Dichtung Eurer Majestät ist jeder lateinischen Dichtung ebenbürtig», wirft einer der Höflinge begeistert ein.

«Alle Dichtung sollte auf Latein verfasst werden», widerspricht Stephen Gardiner. «Englisch ist die Sprache des Marktplatzes. Latein ist die Sprache der Bibel.»

Henry lächelt und wischt die Bemerkung mit einer Bewegung seiner feisten Hand beiseite, wobei die breiten Ringe an seinen Fingern funkeln. «Ich werde für dich ein Gedicht auf Latein verfassen, und du sollst es übersetzen», verspricht er mir. «Dann kannst du entscheiden, welche Sprache besser für Liebesworte geeignet ist. Der Verstand einer Frau kann ihre größte Zierde sein. Du sollst mich ebenso mit der Schönheit deines Verstandes erfreuen wie mit der Schönheit deines Gesichts.»

Der Blick seiner kleinen Augen wandert von meinem Gesicht zum Ausschnitt meines Kleides und bleibt an den Brüsten hängen, die sich unter dem engen Mieder abzeichnen. Er leckt sich die geschürzten Lippen. «Ist sie nicht die schönste Dame am Hof?», fragt er, an den Duke of Norfolk gerichtet.

Der alte Mann ringt sich ein verkniffenes Lächeln ab, während seine dunklen Augen mich abschätzend mustern wie ein Stück Bratenfleisch. «Sie ist allerdings die schönste unter vielen Blüten», erwidert er und schaut sich nach seiner Tochter Mary um.

Ich fange einen beschwörenden Blick von Nan auf und bemerke: «Euer Majestät scheinen ein wenig strapaziert – bedrückt Euch irgendetwas?»

Er schüttelt den Kopf, während der Duke of Norfolk sich vorbeugt, damit ihm kein Wort entgeht. «Nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest.» Er nimmt meine Hand und zieht mich ein wenig zu sich heran. «Du bist doch eine gute Christin, nicht wahr, meine Liebe?»

«Selbstverständlich», sage ich.

«Du liest die Bibel, betest zu den Heiligen und so weiter?»

«Ja, Euer Majestät, jeden Tag.»

«Dann weißt du auch, dass ich meinem Volk die Bibel in englischer Sprache gegeben habe und dass ich das Oberhaupt der Kirche in England bin?»

«Selbstverständlich, Euer Majestät. Ich habe selbst den Eid geleistet. Ich habe damals meinen gesamten Haushalt auf Snape Castle versammelt, und alle mussten schwören, dass Ihr das Oberhaupt der Kirche seid und der Papst nichts weiter ist als der Bischof von Rom, der in England keine Macht hat.»

«Manche würden die englische Kirche am liebsten von Grund auf verändern und lutherische Lehren einführen. Andere würden im Gegenteil gern zur alten Ordnung zurückkehren, sodass der Papst wieder die Macht hätte. Wie denkst du darüber?»

Ich bin mir sehr sicher, dass es unklug wäre, für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen. «Ich denke, ich halte mich am besten an die Führung Eurer Majestät.»

Er lacht laut auf, und natürlich müssen alle einstimmen. Dann stupst er mich unter dem Kinn an. «Da denkst du ganz richtig», sagt er. «Als meine Untertanin und meine Liebste. Ich will dir etwas sagen: Ich werde meine Beschlüsse in einem Buch mit dem Titel The King’s Book veröffentlichen, damit die Leute nachlesen können, was sie zu denken haben. Ich werde es ihnen erklären. Ich finde einen Mittelweg zwischen unserem Stephen Gardiner hier, der gern die alten Sitten und die frühere Macht der Kirche wiederherstellen würde, und meinem Freund Thomas Cranmer, der jetzt nicht hier ist und der die Lehre auf die Grundaussagen der Bibel zurückstutzen möchte. Cranmer will keine Klöster, keine Abteien, keine Votivkapellen, nicht einmal Priester, nur Prediger und das Wort Gottes.»

«Aber warum ist Euer Freund Thomas Cranmer jetzt nicht hier?», frage ich ängstlich. Die Bereitschaft, einen Mann zu retten, ist eine Sache, aber die Umsetzung ist eine andere. Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll, den König gnädig zu stimmen.

Henrys kleine Augen funkeln. «Ich nehme an, er wartet gerade voller Sorge darauf zu erfahren, ob er der Häresie und des Verrats angeklagt wird.» Er kichert. «Wahrscheinlich lauscht er auf die Schritte der Soldaten, die kommen, um ihn in den Tower zu bringen.»

«Aber er ist doch Euer Freund?»

«Dann wird die Hoffnung auf Gnade seine Angst lindern.»

«Aber Euer Majestät sind so gütig – Ihr werdet ihm doch vergeben?», rede ich ihm zu.

Gardiner tritt vor und hebt mit milder Geste eine Hand, wie um mich zum Schweigen zu bringen.

«Vergebung liegt in Gottes Hand», erklärt der König. «Mein Amt ist es, Gerechtigkeit walten zu lassen.»

Henry lässt mir nicht einmal eine Woche Zeit. Bereits zwei Tage später spricht er mich erneut an, am Sonntagabend nach der Andacht. Es überrascht mich, dass er Frömmigkeit mit Geschäftlichem verbindet, aber da sein Wille zugleich der Wille Gottes ist, kann der Tag des Herrn heilig und befriedigend zugleich sein. Der Hof begibt sich gerade von der Kapelle zum Abendessen in die große Halle, die Sonne strahlt durch die hohen Fenster herein, als der König die ganze Prozession zum Stehen bringt und mir mit einem Kopfnicken bedeutet, aus der Schar der Damen, in deren Mitte ich gehe, vorzutreten. Seine Samtmütze sitzt tief über dem schütteren Haar, und die Perlen an der Krempe glänzen mir entgegen. Er lächelt scheinbar fröhlich, doch seine Augen sind ausdruckslos.

Er ergreift meine Hand zum Gruß und klemmt sie unter seinen fleischigen Arm. «Hast du nun eine Antwort für mich, Lady Latimer?»

«Ja, Majestät», erwidere ich.

Jetzt, da es für mich kein Entrinnen mehr gibt, ist zu meinem eigenen Erstaunen meine Stimme fest, und meine Hand, eingezwängt zwischen seinem gewaltigen Bauch und dem dicken Futter seines Ärmels, zittert nicht. Ich bin kein kleines Mädchen mehr, das sich vor dem Unbekannten fürchtet; ich bin eine erwachsene Frau, die ihrer Angst gefasst begegnen kann.

«Ich habe um Einsicht gebetet, und ich habe die Antwort.» Ich blicke mich um. «Soll ich sie hier und jetzt aussprechen?»

Er nickt; er hat keinen Sinn für Privatsphäre. Dieser Mann ist zu keiner Stunde des Tages allein. Selbst wenn er sich von Verstopfung gequält auf dem Toilettenstuhl abmüht, sind Männer an seiner Seite, die Leinen zum Abwischen für ihn bereithalten, Wasser zum Waschen, eine Hand, an die er sich klammern kann, wenn der Schmerz ihn überwältigt. Wenn er schläft, liegt ein Page am Fußende seines Bettes; beim Urinieren steht er neben seinen Günstlingen, und wenn er sich überfressen hat und erbricht, hält ihm jemand die Schüssel. Natürlich zögert er nicht, über seine Heirat zu sprechen, während alle gespannt lauschen – für ihn besteht keine Gefahr, beschämt zu werden, denn er weiß, dass ich ihn nicht zurückweisen kann.

«Mir ist bewusst, dass ich vor allen anderen Frauen gesegnet bin.» Ich knickse sehr tief. «Es wird mir eine große Ehre sein, Eure Gemahlin zu werden.»

Er führt meine Hand an seine Lippen. Zwar hatte er keinerlei Zweifel, aber es gefällt ihm, dass ich mich als gesegnet bezeichne. «Du sollst an der Tafel neben mir sitzen», verspricht er. «Und der Herold soll es verkünden.»

Dann geht er mit mir weiter, meine Hand noch immer unter seinem Arm, und so treten wir an der Spitze der Prozession durch die Doppeltür in die große Halle. An seiner anderen Seite läuft Lady Mary. Seine massige Brust verbirgt sie vor meinen Blicken, und sie unternimmt keinen Versuch, an ihm vorbei zu mir herüberzuschauen. Ich stelle mir vor, dass ihre Miene versteinert und ausdruckslos ist, und die meine ist es gewiss ebenfalls. Wir müssen aussehen wie zwei bleiche Schwestern, die von ihrem hünenhaften Vater zu Tisch geführt werden.

Ich sehe die hohe Tafel mit dem Thron und zu beiden Seiten davon jeweils einen Stuhl – der Tafelmeister muss den Dienern Anweisung erteilt haben. Selbst er konnte vorhersehen, dass der König noch vor dem Mahl eine Antwort von mir fordern würde und dass ich würde zustimmen müssen.

Wir drei betreten die Estrade und setzen uns. Der große Staatsbaldachin überspannt den Thron des Königs, reicht jedoch nicht bis über meinen Platz. Erst wenn ich Königin bin, werde ich unter goldenem Tuch speisen. Ich überblicke die Halle, von wo Hunderte Menschen zu mir emporstarren. Sie stoßen sich gegenseitig an und machen einander mit Gesten darauf aufmerksam, dass ich offenbar ihre neue Königin werden soll. Dann ertönen Trompetenstöße, und der Herold tritt vor.

Ich sehe, wie Edward Seymour sich um eine gelassene Miene bemüht angesichts dieser neuen Braut, die ihre eigenen Berater mitbringen wird, eine neue königliche Familie, neue königliche Freunde, neue königliche Diener. Sicher schätzt er ab, inwiefern ich eine Bedrohung für seinen Rang als Schwager des Königs darstelle, als Bruder der Königin, die tragischerweise im Kindbett gestorben ist. Seinen Bruder Thomas sehe ich nicht, und ich halte auch nicht nach ihm Ausschau. Stattdessen starre ich blicklos durch die langgestreckte Halle und hoffe, er möge heute Abend anderswo speisen.

Ich schaue mich nicht nach ihm um. Ich darf mich nie wieder nach ihm umschauen, solange ich lebe.

Ich bete um göttliche Führung, darum, dass Sein Wille geschehe, nicht der meine, und dass ich meine eigenen Begierden zum Schweigen bringen kann, um mich Ihm zu fügen. Ich weiß nicht, wo Gott zu finden ist – in der alten Kirche mit ihren Riten und Heiligenbildern, Wundern und Wallfahrten oder in den neuen Praktiken mit Gebeten und Bibellesungen auf Englisch –, doch ich muss Ihn finden. Ich muss Gott finden, um meine Leidenschaft zu ersticken. Wenn ich vor Seinen Altar treten und das Gelübde zu einer weiteren lieblosen Ehe ablegen soll, dann muss Er mir Halt geben. Ich weiß, ohne Gottes Hilfe werde ich nicht fähig sein, den König zu heiraten. Ich kann mir Thomas nicht aus dem Kopf schlagen, wenn ich nicht daran glaube, dass es im Dienste einer größeren Sache geschieht. Ich kann meine erste und einzige Liebe, meine sehnsuchtsvolle, leidenschaftliche Liebe zu diesem unvergleichlichen, unwiderstehlichen Mann nicht aufgeben, wenn ich nicht stattdessen die überwältigende Liebe Gottes empfinde.

Ich bete inbrünstig wie eine Novizin. Ich bete auf den Knien an der Seite von Erzbischof Cranmer, der an den Hof zurückgekehrt ist, ohne dass jemand ein Wort darüber verloren hätte, fast als wäre ein Häresievorwurf nichts weiter als eine Tanzfigur, vor, zurück und eine Drehung. Es ist mir unbegreiflich, aber anscheinend hat der König seinen eigenen Rat dazu angestiftet, Vorwürfe gegen den Erzbischof zu erheben, und sich dann selbst gegen diesen Rat gewandt und den Erzbischof beauftragt, Untersuchungen gegen die Männer einzuleiten, von denen die Vorwürfe ausgingen. Jetzt leben Stephen Gardiners Anhänger in Angst, und Cranmer verkehrt wieder unbehelligt am Hof, der Gunst des Königs gewiss.

Er kniet neben mir, das runzelige alte Gesicht erhoben, während ich still bete. Aber selbst in diesen Momenten des innigen Gebets, wenn ich an die Kreuzigung denke, sehe ich wider alle Vernunft Thomas’ Gesicht vor mir, die Lider geschlossen, entrückt in seiner Lust. Ich kneife die Augen fest zu und bete weiter.

Ich bete kniend neben Lady Mary, die sich kaum zu meinem plötzlichen Aufstieg geäußert hat, abgesehen von einer leisen Bemerkung zu mir und einem förmlichen Glückwunsch an ihren Vater. Seit dem Martyrium ihrer Mutter hatte sie zu viele Stiefmütter, als dass sie mir grollen würde, weil ich Katharina von Aragóns Rang einnehmen werde, zu viele, als dass sie irgendwelche Hoffnungen in mich setzen würde. Die letzte Stiefmutter ist ihr keine zwei Jahre erhalten geblieben, die davor nur sechs Monate. Ich könnte schwören, wenn Lady Mary neben mir kniet, denkt sie insgeheim, dass ich Gottes Hilfe brauchen werde, um in den Rang ihrer Mutter aufzusteigen und mich dort zu halten. Und wenn ich sehe, wie sie sich am Ende ihrer Gebete mit gesenktem Kopf bekreuzigt und mir einen raschen, mitleidigen Blick zuwirft, ist mir klar: Sie glaubt nicht einmal daran, dass Gottes Hilfe genügen wird. Dann zuckt sie leicht die Schultern und wendet sich ab.

Ich bete wie eine Nonne, unablässig, pünktlich zu jeder Stunde, verzweifelt auf den Knien in meinem Schlafzimmer, still in der Kapelle, ja, in jedem freien Augenblick, wann immer ich einen Moment für mich habe. In den dunklen Stunden vor der frühen Morgendämmerung dieser Sommertage, wenn ich schlaflos und wie im Fieber daliege, bilde ich mir ein, ich hätte mein Verlangen nach Thomas überwunden, aber sobald ich morgens die Augen aufschlage, sehne ich mich wieder nach seiner Berührung. Ich bete nie darum, dass er sich um mich bemühen möge – ich weiß, das kann er nicht, das darf er nicht tun. Dennoch stockt mir jedes Mal das Herz, wenn hinter mir die Tür zur Kapelle geöffnet wird, und ich denke für einen Moment, er sei es. Ich glaube, ihn vor mir zu sehen, wie er da im hellen Eingang steht, ich bilde mir ein, seine Worte zu hören: «Komm, Kateryn, lass uns gemeinsam fortgehen!» Dann drehe ich die Perlen meines Rosenkranzes zwischen den Fingern und bete, Gott möge ein Unglück geschehen lassen, irgendeinen furchtbaren Zwischenfall, damit die Hochzeit nicht wie geplant stattfinden kann.

«Aber was könnte das anderes sein als der Tod des Königs?», fragt Nan, als ich ihr davon berichte.

Ich schaue sie verständnislos an.

«Der bloße Gedanke daran ist Verrat», erinnert sie mich so leise, dass ihre Stimme im Klang der Liturgie aus dem Chorgestühl untergeht. «Und davon zu sprechen, ist erst recht Verrat. Du darfst nicht um seinen Tod beten, Kateryn. Er hat dir einen Heiratsantrag gemacht, und du hast eingewilligt. Es wäre treulos von dir, als Untertanin und als Frau.»

Ich nehme ihren Vorwurf mit gesenktem Kopf entgegen – sie hat recht. Gewiss ist es Sünde, um den Tod eines anderen Menschen zu beten, selbst wenn es der ärgste Feind ist. Wenn ein Heer in die Schlacht zieht, sollten die Männer darum beten, dass es so wenig Tote wie möglich gibt, noch während sie sich bereit machen, ihre Pflicht zu tun. Auch ich muss mich bereit machen, meine Pflicht zu tun, mein Leben einzusetzen. Außerdem ist Henry nicht mein ärgster Feind. Er behandelt mich stets gütig und nachsichtig, er beteuert mir, dass er mich liebt und dass ich sein Ein und Alles sein werde. Er ist mein König, der größte König, den England jemals hatte. Als junges Mädchen habe ich von ihm geträumt, und meine Mutter erzählte mir von dem attraktiven jungen Mann mit seinen Pferden, seinen Gewändern aus goldenem Tuch, seinem Wagemut. Ich sollte für seine Gesundheit beten, ihm Glück und ein langes Leben wünschen. Ich sollte darum beten, dass unsere Ehe viele Jahre dauern und dass es mir gelingen möge, ihn glücklich zu machen.

«Du siehst furchtbar aus», stellt Nan unverblümt fest. «Kannst du nicht schlafen?»

«Nein.» In der Nacht bin ich immer wieder aufgestanden, um zu beten, Gott möge mich verschonen.

«Du musst schlafen», ermahnt sie mich. «Und essen. Du bist die schönste Frau am Hof, keine kann dir das Wasser reichen. Mary Howard und Catherine Brandon verblassen neben dir. Gott hat dir Schönheit verliehen – wirf sie nicht weg. Und bilde dir nicht etwa ein, Henry würde sich von dir abwenden, wenn du deine Schönheit einbüßt. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann ihn nichts davon abbringen, nicht einmal, wenn sich halb England gegen ihn stellt …» Sie unterbricht sich mit einem kleinen Lachen und korrigiert sich: «Es sei denn natürlich, er überlegt es sich plötzlich anders, und mit einem Mal steht alles kopf, weil er sich auf das genaue Gegenteil versteift und niemand ihn davon abbringen kann.»

«Aber wann ändert er seine Meinung?», frage ich. «Aus welchen Gründen?»

«Von jetzt auf gleich», antwortet sie. «Im Handumdrehen, einfach so. Das kann man nie vorhersehen.»

Ich schüttele den Kopf. «Wie kommen denn die Leute damit zurecht? Mit einem wankelmütigen König, bei dem man nicht weiß, woran man ist?»

«Nicht alle kommen damit zurecht», erwidert sie knapp.

«Wenn ich nicht darum beten darf, dass mir dieses Schicksal erspart bleibt, worum soll ich dann beten?», will ich wissen. «Um Resignation?»

Sie schüttelt den Kopf. «Ich habe mit meinem Gemahl gesprochen. Herbert findet, dich hat der Himmel geschickt.»

Ich muss kichern. Nans Ehemann hat mich bisher kaum zur Kenntnis genommen. Jetzt hält er mich auf einmal für eine Gesandte des Himmels – das zeigt wohl, wie sehr ich in den Augen der Welt an Bedeutung gewonnen habe.

Nan jedoch lacht nicht. «Wirklich, das denkt er. Du bist gerade zur rechten Zeit an den Hof gekommen, jetzt, da wir eine fromme Königin brauchen. Du wirst den König davor bewahren, wieder der Macht Roms zu verfallen. Die alten Kirchenmänner haben großen Einfluss auf Henry. Sie versuchen, ihm einzureden, die Menschen im Land wollten nicht bloß Reformen, sondern würden lutherischen Lehren anhängen und in Ketzerei abgleiten. Sie machen ihm Angst, damit er sich erneut Rom zuwendet und sich gegen sein eigenes Volk stellt. Sie entfernen die volkssprachigen Bibeln wieder aus den englischen Kirchen, damit die Menschen das Wort Gottes nicht mehr selbst lesen können. Gerade wurden in Windsor ein halbes Dutzend Männer verhaftet, darunter der Chorleiter, und sie sollen im Moor unter dem Schloss verbrannt werden. Nur weil sie die Bibel auf Englisch lesen wollten!»

«Nan, ich kann ihnen nicht helfen! Ich bin nicht von Gott gesandt, um sie zu retten.»

«Du musst die reformierte Kirche retten, du musst den König retten, uns alle. Es ist ein gottgefälliges Werk, und wir glauben daran, dass du es vermagst. Die Reformer wollen, dass du auf den König einwirkst, wenn er zugänglich und menschlich gestimmt ist. Nur du hast die Möglichkeit dazu. Du musst dich dieser Aufgabe stellen, Kat. Gott wird dich leiten.»

«Ihr habt leicht reden. Begreift dein Mann denn nicht, dass ich gar nicht weiß, wovon die Leute sprechen? Dass ich keine Ahnung habe, wer auf welcher Seite steht? Ich bin nicht die Richtige für diese Aufgabe. Ich verstehe nichts von diesen Dingen und interessiere mich wenig dafür.»

«Gott hat dich auserwählt. Im Übrigen ist es gar nicht so schwer zu verstehen. Der Hof ist in zwei Parteien gespalten, von denen jede überzeugt ist, im Recht und von Gott geleitet zu sein. Die eine Seite will, dass der König sich mit Rom aussöhnt, die Klöster und Abteien wiederherstellt und die Sitten der papistischen Kirche erneut einführt. Dafür stehen Bischof Stephen Gardiner und seine Anhänger: Bischof Bonner, Sir Richard Rich, Sir Thomas Wriothesley und ihresgleichen. Die Howards sind ebenfalls Papisten und würden die Kirchenreform am liebsten rückgängig machen, aber letztendlich tun sie doch immer das, was der König will. Auf der anderen Seite stehen wir, die wir die Reformen weiterführen wollen. Wir wollen die abergläubischen römischen Praktiken hinter uns lassen, die Bibel auf Englisch lesen, auf Englisch beten und Gottesdienst halten. Wir wollen nicht, dass arme Menschen auch nur einen Penny für das Versprechen zahlen, ihre Sünden würden ihnen erlassen. Niemand soll mehr durch Heiligenbilder getäuscht werden, die auf ein Stichwort bluten, niemand soll mehr kostspielige Wallfahrten unternehmen müssen. Wir stehen für die Wahrheit im Wort Gottes – sonst nichts.»

«Natürlich bist du überzeugt, deine Seite sei im Recht», bemerke ich. «So warst du schon immer. Und wer spricht für euch?»

«Niemand. Das ist ja das Problem. Immer mehr Menschen im Land und auch am Hof denken so wie wir. Fast ganz London teilt unsere Ansichten, aber außer Thomas Cranmer haben wir keine bedeutende Persönlichkeit auf unserer Seite. Keiner von uns hat Einfluss auf den König. Deshalb musst du das übernehmen.»

«Den König zu weiteren Reformen anhalten?»

«Ja, genau. Er soll nur die Reformen fortsetzen, die er selbst begonnen hat. Unser Bruder William ist ebenfalls davon überzeugt. Es ist das Größte, was ein Mensch leisten kann, nicht nur in England, sondern auf der ganzen Welt. Dies ist eine Chance für dich, Kat. Du hast die Gelegenheit, eine bedeutende Frau zu werden, eine Anführerin.»

«Aber ich will das nicht. Ich will ein bequemes Leben in Wohlstand und Sicherheit führen, wie jede vernünftige Frau es sich wünscht. Ich bin dem nicht gewachsen.»

«Du wirst all dem gewachsen sein, wenn Gott dir beisteht», sagt sie. «Dann kannst du Großes erreichen. Ich werde darum beten. Wir alle beten darum.»

Der König kommt in Lady Marys Gemächer und begrüßt sie zuerst. So wird er es bis zu unserer Hochzeit beibehalten, dann werde ich die ranghöchste Frau im Königreich sein und meine eigenen Gemächer haben. Von da an wird er mich zuerst begrüßen, und Lady Mary und jede andere Frau werden unter mir stehen. Wenn ich all die Damen anschaue, die bisher hochnäsig auf die niedere Kateryn Parr heruntergeschaut haben, aber bald vor der Königin Kateryn in einen tiefen Knicks sinken werden, habe ich Mühe, meine hämische Freude zu verbergen.

Der König nimmt zwischen uns beiden Platz – von zwei Knappen gestützt, sinkt er auf den Stuhl, der unter seinem Gewicht knarrt. Sie bringen ihm einen Fußschemel, und ein Page hebt behutsam sein schweres Bein darauf. Der König verzieht das Gesicht vor Schmerz, doch gleich darauf wendet er sich mir lächelnd zu.

«Sir Thomas Seymour hat uns verlassen. Er wollte keinen Tag länger bleiben, nicht einmal, um bei unserer Hochzeit zugegen zu sein. Warum wohl, was denkst du?»

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und tue milde überrascht. «Ich weiß es nicht, Euer Majestät. Wohin ist er denn gegangen?»

«Hast du nicht davon gehört?»

«Nein, Euer Majestät.»

«Nun, er ist losgezogen, um meinen Auftrag auszuführen», erklärt Henry. «Er ist mein Schwager und mein Diener. Er tut, was ich ihm befehle, was auch immer es sein mag. Er ist mein Hund und mein Sklave.» Er bricht in keuchendes Gelächter aus, und Edward Seymour, der andere Schwager des Königs, lacht ebenfalls laut, als hätte er selbst nichts dagegen, als Hund und Sklave bezeichnet zu werden.

«Seine Majestät hat meinen Bruder mit einer bedeutenden Mission betraut», erklärt Edward an mich gerichtet. Er scheint sich darüber zu freuen, aber alle Höflinge sind Heuchler. «Mein Bruder Thomas ist als Botschafter zu Königin Maria gegangen, der Statthalterin der Niederlande.»

«Wir werden ein Bündnis schmieden», fährt der König fort. «Gegen Frankreich. Und diesmal wird es unerschütterlich sein, wir werden Frankreich vernichten und unsere englischen Ländereien zurückgewinnen und noch weitere dazu, ist es nicht so, Seymour?»

«Mein Bruder wird ein Bündnis schmieden, das ewig Bestand hat», pflichtet Edward ihm hastig bei. «Darum ist er in solcher Eile aufgebrochen, um sich sogleich ans Werk zu machen.»

Ich schaue zwischen den beiden Männern hin und her wie von einem Uhrwerk getrieben. Tick-tack: Ein Mann spricht, dann der andere. Tack-tick: Wieder ergreift der Erste das Wort. Ich schrecke auf, als der König sich ganz unvermittelt an mich wendet und in scharfem Ton fragt: «Wirst du Sir Thomas vermissen? Wird er dir fehlen, Lady Latimer? Er ist bei euch Damen sehr beliebt, nicht wahr?»

Hastig will ich es abstreiten, doch dann erkenne ich die Falle. «Gewiss, er wird uns allen fehlen», sage ich gleichgültig. «Er ist den jüngeren Damen ein unterhaltsamer Gesellschafter. Es freut mich, dass er seinen Geist in den Dienst Eurer Majestät stellen kann, auch wenn ich persönlich ihm nie viel abgewinnen konnte.»

«Hast du denn keinen Geschmack für einen höfischen Verehrer?» Er beobachtet mich scharf.

«Ich bin eine einfache und aufrechte Frau aus dem Norden», sage ich. «Für Schöntuerei habe ich nichts übrig.»

«Bezaubernd!», ruft Edward Seymour laut aus, als der König über meine ländliche Ausdrucksweise lacht.

Dann schnippt Henry mit den Fingern, damit der Page sein Bein wieder von dem Schemel herunterhebt, und die beiden helfen ihm hoch. «Wir wollen zu Tisch gehen», verkündet er. «Ich bin so hungrig, dass ich einen ganzen Ochsen verspeisen könnte. Und du musst dich stärken, Lady Latimer. Auch du hast einen großen Auftrag zu erfüllen. Ich will eine hübsche Braut!»

Ich knickse, während er hinkend auf schwachen Beinen vorangeht, die seine gewaltige Körpermasse kaum tragen können. Um eine Wade trägt er einen dicken Verband. Als er an mir vorbei ist, richte ich mich wieder auf und reihe mich neben Lady Mary ein, die mich nur mit kühlem Lächeln ansieht und nichts sagt.

Ich soll mir ein Motto überlegen. Nan und ich haben uns in mein Schlafzimmer zurückgezogen und die Tür verriegelt, um ganz unter uns zu sein. Die Kerzen sind bereits weit heruntergebrannt, und wir haben es uns auf dem Bett bequem gemacht.

«Erinnerst du dich noch an alle früheren?», frage ich sie neugierig.