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Das Erbe der weißen Rose E-Book

Gregory Philippa

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Beschreibung

Weiße Rose, rote Rose – ein Kampf zwischen Liebe und Vernunft Henry Tudor hat sich nach der siegreichen Schlacht von Bosworth 1485 zum König krönen lassen. Doch der neugewonnene Frieden ist fragil: Um die verfeindeten Häuser York und Lancaster miteinander zu vereinen, heiratet er Elizabeth von York. Die Loyalität der Königin wird auf eine harte Probe gestellt, als ein junger Mann auftaucht und Anspruch auf den Thron erhebt. Elizabeth muss sich entscheiden, wem ihre Treue gilt: ihrem Gemahl, den sie langsam zu lieben lernt, oder dem Mann, der behauptet, ihr Bruder zu sein. «Philippa Gregory schreibt wirklich verdammt gut.» (Brigitte)

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Seitenzahl: 818

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Philippa Gregory

Das Erbe der weißen Rose

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Elvira Willems

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Weiße Rose, rote Rose – ein Kampf zwischen Liebe und Vernunft

 

Henry Tudor hat sich nach der siegreichen Schlacht von Bosworth 1485 zum König krönen lassen. Doch der neugewonnene Frieden ist fragil: Um die verfeindeten Häuser York und Lancaster miteinander zu vereinen, heiratet er Elizabeth von York. Die Loyalität der Königin wird auf eine harte Probe gestellt, als ein junger Mann auftaucht und Anspruch auf den Thron erhebt. Elizabeth muss sich entscheiden, wem ihre Treue gilt: ihrem Gemahl, den sie langsam zu lieben lernt, oder dem Mann, der behauptet, ihr Bruder zu sein.

 

Über Philippa Gregory

Philippa Gregory, geboren 1954 in Kenia, studierte Geschichte in Brighton und promovierte an der University of Edinburgh über die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. In den USA und in Großbritannien feiert Gregory seit langem riesige Erfolge als Autorin historischer Romane. Daneben schreibt sie Kinderbücher, Kurzgeschichten, Reiseberichte sowie Drehbücher.

 

«Jeder Roman von Philippa Gregory hat eine eingebaute Bestsellergarantie.» (Buchreport)

 

«Philippa Gregory ist wahrlich die Meisterin des historischen Romans! Geschichte kann kaum unterhaltsamer, lebendiger oder bezaubernder erzählt werden.» (Sunday Express)

 

Weitere Veröffentlichungen:

Die Königin der Weißen Rose

Inhaltsübersicht

WidmungKarteStammbaumSheriff Hutton Castle, Yorkshire Herbst 1485Auf der Great North Road Herbst 1485Westminster Palace, London Herbst 1485Westminster Palace, London 30. Oktober 1485Westminster Palace, London November 1485Westminster Palace, London Dezember 1485Westminster Palace, London Weihnachten 1485Coldharbour Palace, London Weihnachtsfest 1485Westminster Palace, London 18. Januar 1486Westminster Palace, London Februar 1486Westminster Palace, London März 1486Westminster Palace, London April 1486Westminster Palace, London Mai 1486Sheen Palace, Richmond Sommer 1486Priorei St. Swithin, Winchester September 1486Große Halle der Priorei, Winchester 19. September 1486Große Halle der Priorei, Winchester 24. September 1486Westminster Palace, London Weihnachten 1486Tower of London Frühjahr 1487Sheen Palace, Richmond Frühjahr 1487St. Mary’s in the Fields, Norwich Sommer 1487St. Mary’s in the Fields, Norwich Sommer 1487Coventry Castle Sommer 1487Kenilworth Castle, Warwickshire Juni 1487Kenilworth Castle, Warwickshire 17. Juni 1487Lincoln Castle, Lincoln Juli 1487Westminster Palace, London August 1487Greenwich Palace, London November 1487Sheen Palace, Richmond Frühjahr 1488Windsor Castle Sommer 1488Greenwich Palace, London Weihnachten 1488Westminster Palace, London Frühjahr 1489Greenwich Palace, London Herbst 1489Westminster Palace, London November 1489Westminster Palace, London 28. November 1489Greenwich Palace, London Juni 1491Sheen Palace, Richmond September 1491Westminster Palace, London Herbst 1491Westminster Palace, London Dezember 1491Sheen Palace, Richmond Februar 1492Bermondsey Abbey, London Sommer 1492Greenwich Palace, London Juni 1492Greenwich Palace, London Sommer 1492Greenwich Palace, London Sommer und Herbst 1492Greenwich Palace, London Winter 1492Westminster Palace, London Frühjahr 1493Kenilworth Castle, Warwickshire Sommer 1493Northampton Herbst 1493Westminster Palace, London Winter 1493Greenwich Palace, London Sommer 1494Westminster Palace, London Herbst 1494Tower of London Januar 1495Westminster Palace, London Februar 1495Worcester Castle Sommer 1495Westminster Palace, London Herbst 1495Westminster Palace, London November 1495Westminster Palace, London Weihnachten 1495Sheen Palace, Richmond Winter 1496Sheen Palace, Richmond März 1496Westminster Palace, London Herbst 1496Tower of London Sommer 1497Woodstock Palace, Oxfordshire Sommer 1497Woodstock Palace, Oxfordshire Herbst 1497East Anglia Herbst 1497Sheen Palace, Richmond Herbst 1497Sheen Palace, Richmond Weihnachten 1497Auf königlicher Rundreise Sommer 1498Tower of London Sommer 1498Westminster Palace, London Sommer 1498Tower of London Sommer 1498Westminster Palace, London Herbst 1498Greenwich Palace, London Winter und Frühjahr 1499Isle of Wight Sommer 1499Westminster Palace, London Sommer 1499Westminster Palace, London Herbst 1499Westminster Palace, London Samstag, 23. November 1499Westminster Palace, London 28. November 1499Westminster Palace, London Winter 1499Anmerkung der AutorinLiteratur

Für Anthony

Sheriff Hutton Castle, Yorkshire Herbst 1485

Ich wünschte, ich könnte aufhören zu träumen. Bei Gott, wie wünschte ich mir, ich könnte aufhören zu träumen.

Ich bin so müde, dass ich den ganzen Tag schlafen möchte, von der Morgendämmerung bis zur Abenddämmerung, die jeden Tag ein wenig früher einsetzt und ein wenig düsterer. Während des Tages denke ich an nichts anderes als ans Schlafen. Doch in der Nacht tue ich mein Möglichstes, um wach zu bleiben.

Ich gehe zu seinen stillen Gemächern mit den geschlossenen Läden und betrachte die Kerze, die während der endlosen Stunden in den goldenen Leuchter tropft, auch wenn er das Licht nie mehr sehen wird. Die Diener zünden stets zur Mittagsstunde mit einer dünnen Wachskerze eine frische Kerze an. Die Stunden wollen nicht vergehen, auch wenn ihm Zeit nichts mehr bedeutet. Sie ist ihm verloren gegangen in der ewigen, allem entrückten Dunkelheit. Doch auf mir lastet sie schwer, und ich warte darauf, dass endlich der graue Abend heranrückt und das traurige Läuten der Glocke zum Komplet erklingt, damit ich in die Kapelle gehen und für seine Seele beten kann, auch wenn er nie mehr mein Flüstern hören wird und auch nicht den leisen Gesang der Priester.

Dann kann ich zu Bett gehen. Doch ich wage nicht zu schlafen, denn meine Träume sind mir unerträglich. Ich träume von ihm. Immer wieder träume ich von ihm.

Am Tag setze ich ein Lächeln auf, wie eine Maske. Ich entblöße die Zähne, meine Augen strahlen, meine Haut ist straff wie gespanntes, dünnes Pergament. Die Worte, die ich mit klarer und sanfter Stimme spreche, haben keine Bedeutung, und wenn es gewünscht wird, singe ich manchmal sogar. In der Nacht falle ich in mein Bett, als würde ich in tiefem Wasser ertrinken und bis auf den Grund sinken, als würde das Wasser mich besitzen und mich aufnehmen wie eine Seejungfrau. Und einen Augenblick lang empfinde ich eine tiefe Erleichterung, als würde das Wasser meine Trauer wegschwemmen – als wäre es der Fluss Lethe und die Strömungen könnten Vergessen bringen und mich in die Höhle des Schlafes spülen. Doch dann kommen die Träume.

Ich träume nicht von seinem Tod – es wäre der schlimmste Albtraum, ihn kämpfend zu Boden gehen zu sehen. Doch von der Schlacht träume ich nie; ich sehe nicht seinen letzten Vorstoß ins Herz von Henry Tudors Armee. Ich sehe nicht, wie er sich den Weg frei schlägt und Thomas Stanleys Armee herabstürmt und ihn unter ihren Hufen begräbt. Ich sehe nicht, wie er vom Pferd geworfen wird und sein Schwertarm versagt und er unter einem unbarmherzigen Kavallerieangriff zu Boden stürzt und brüllt: «Verrat! Verrat! Verrat!» Ich sehe nicht, wie William Stanley seine Krone aufhebt, um sie einem anderen aufs Haupt zu setzen.

Nichts von alldem träume ich, und allein für diese Gnade danke ich Gott. Doch am Tag kreisen meine Gedanken unablässig darum. Ich kann ihnen nicht entfliehen. Blutige Tagträume erfüllen meinen Geist, wenn ich spazieren gehe und leichthin über die für die Jahreszeit ungewöhnliche Hitze spreche, wie trocken der Boden ist und dass die Ernte dieses Jahr schlecht ausfallen wird. Doch meine nächtlichen Träume sind viel schmerzvoller, denn dann träume ich, dass seine Arme mich umfangen und er mich mit einem Kuss weckt. Wir flanieren durch einen Garten und planen unsere Zukunft. Ich trage sein Kind unter dem Herzen, und seine warme Hand ruht auf meinem runden Bauch, und er lächelt entzückt. Im Traum verspreche ich ihm, dass wir einen Sohn haben werden. Er braucht einen Sohn für York, für England, wir brauchen einen Sohn. «Wir nennen ihn Arthur», sagt er, «wie Arthur von Camelot, Arthur für England.»

Der Schmerz, der mich überkommt, wenn ich erwache und feststelle, dass ich wieder geträumt habe, wird mit jedem Tag schlimmer. Bei Gott, wie wünschte ich, ich könnte aufhören zu träumen.

Meine teure Tochter Elizabeth,

in meinem Herzen und in meinen Gebeten bin ich bei Dir, mein liebes Kind; doch gerade jetzt musst Du die Rolle der Königin spielen, die Dir von Geburt an bestimmt war.

Der neue König, Henry Tudor, befiehlt Dir, zu ihm in den Palast von Westminster nach London zu kommen und Deine Schwestern und Deine Cousine und Deinen Cousin mitzubringen. Beachte: Er hat seine Verlobung mit Dir nicht geleugnet. So gehe ich davon aus, dass ihr heiraten werdet.

Ich weiß, dass Du darauf nicht hoffst, meine Liebe; aber Richard ist tot, und dieser Abschnitt deines Lebens ist zu Ende. Henry ist der Sieger, und es ist jetzt unsere Aufgabe, Dich zu seiner Frau zu machen und zur Königin von England.

Du wirst mir auch in einer anderen Sache gehorchen: Du wirst lächeln und ein freudiges Gesicht aufsetzen, wie es einer Braut geziemt, die mit ihrem Verlobten zusammentrifft. Eine Prinzessin lässt nicht alle Welt an ihrem Kummer teilhaben. Du wurdest als Prinzessin geboren und führst die lange Ahnenreihe mutiger Frauen fort. Reck das Kinn und lächele, meine Liebe. Ich erwarte Dich und werde ebenfalls lächeln.

 

Deine Dich liebende Mutter

Elizabeth R.

Königinwitwe von England

Aufmerksam lese ich den Brief, denn meine Mutter war noch nie besonders geradlinig, und ihre Worte haben immer mehrere Bedeutungsebenen. Sicherlich ist sie aufgeregt, weil der Thron von England abermals zum Greifen nahe ist. Sie ist nicht unterzukriegen; ich habe erlebt, dass sie ganz am Boden war, doch niemals – nicht einmal als sie Witwe wurde, ja, selbst als sie schier verrückt wurde vor Trauer – habe ich sie gedemütigt erlebt.

Es leuchtet mir ein, dass sie mir befiehlt, glücklich zu erscheinen und den Mann, den ich geliebt habe und der jetzt tot ist und in einem unmarkierten Grab liegt, zu vergessen. Ich soll die Zukunft meiner Familie schmieden und mich in die Ehe mit dem Feind stürzen. Henry Tudor hat sein ganzes Leben lang gewartet, und jetzt ist er nach England gekommen und hat die Schlacht gewonnen. Den rechtmäßigen König, meinen Geliebten, Richard, hat er geschlagen, und ich bin, wie England, ein Teil der Kriegsbeute. Wenn Richard in Bosworth gesiegt hätte – und wer hätte je gezweifelt, dass ihm das gelingen würde? –, wäre ich seine Königin und seine liebende Gemahlin geworden. Doch er ging unter den Schwertern der Verräter zu Boden, der Männer, die geschworen hatten, für ihn zu kämpfen. So muss ich Henry heiraten, und die wunderbaren sechzehn Monate, da ich Richards Geliebte war und praktisch Königin an seinem Hof, sollen vergessen sein. Ich hoffe, sie sind vergessen. Und auch ich muss sie vergessen.

Ich stehe unter dem Bogen des Torhauses der prächtigen Burg in Sheriff Hutton und lese den Brief meiner Mutter. Dann gehe ich in die Halle, wo im großen Kamin ein Feuer brennt, wo es warm ist und die Luft dunstig vom Rauch. Dort knülle ich das Blatt zusammen, werfe es in die Flammen und sehe zu, wie es verbrennt. So wie dieses Blatt müssen sämtliche Erinnerungen an meine Liebe zu Richard vernichtet werden. Und ich muss auch andere Geheimnisse verbergen, besonders eines. Ich wurde zu einer mitteilsamen Prinzessin erzogen, an einem Hof, reich an gelehrten Debatten, an dem alles gedacht, gesagt und geschrieben werden konnte. Doch seit dem Tod meines Vaters habe ich mir die geheimnistuerischen Fähigkeiten einer Spionin angeeignet.

Der Rauch treibt mir Tränen in die Augen, aber es hat keinen Sinn zu weinen. Ich reibe mir das Gesicht und gehe in das große Gemach oben im Westturm, das als Schulzimmer und Spielzimmer dient, um nach den Kindern zu sehen. Meine sechzehn Jahre alte Schwester Cecily singt heute Morgen mit ihnen, und je weiter ich die Stufen hinaufsteige, desto deutlicher höre ich ihre Stimmen und das rhythmische Klopfen der Einhandtrommel. Als ich die Tür aufstoße, halten sie inne und verlangen, dass ich mir einen Rundgesang anhöre, den sie einstudiert haben. Meine zehn Jahre alte Schwester Anne wurde von klein an von den besten Lehrern unterrichtet, unsere zwölf Jahre alte Cousine Margaret kann den Ton sicher halten, und ihr zehn Jahre alter Bruder Edward hat einen klaren Sopran, hell wie eine Flöte. Ich klatsche begeistert in die Hände. «Und jetzt habe ich Neuigkeiten für euch.»

Edward Warwick, Margarets kleiner Bruder, hebt den Kopf von der Schiefertafel. «Für mich nicht?», fragt er verzweifelt. «Keine Neuigkeiten für Teddy?»

«Doch, für dich auch und für deine Schwester Maggie und für Cecily und Anne. Neuigkeiten für euch alle. Wie ihr wisst, hat Henry Tudor die Schlacht gewonnen und wird der neue König von England.»

Die Kinder stammen alle aus königlichem Hause. Ihre Mienen sind bedrückt, doch sie sind zu gut erzogen, um ein Wort des Bedauerns über ihren gefallenen Onkel Richard zu äußern, sondern warten gespannt.

«Henry wird seinem treuen Volk ein guter König sein.» Ich verachte mich dafür, dass ich die Worte von Sir Robert Willoughby nachplappere, der mir den Brief meiner Mutter überbrachte. «Und er befiehlt alle Kinder des Hauses York nach London.»

«Aber er ist der neue König», sagt Cecily ausdruckslos.

«Natürlich! Wer denn sonst?» Ich stolpere über die Frage, die ich versehentlich gestellt habe. «Natürlich er. Er hat die Krone errungen. Und er wird uns unseren guten Namen wiedergeben und uns als Prinzessinnen von York anerkennen.»

Cecily zieht ein verdrossenes Gesicht. Wenige Wochen bevor König Richard in die Schlacht ritt, hat er ihre Vermählung mit Ralph Scrope befohlen, der kaum mehr ist als ein Niemand, damit Henry Tudor sie nicht nach mir als zweite Wahl zur Braut nehmen konnte. Cecily ist wie ich eine Prinzessin von York, und eine Heirat mit einer von uns sichert einem Mann einen Anspruch auf den Thron. Mein Glanz war dahin, als das Gerücht umging, ich sei Richards Geliebte, doch dann demütigte Richard auch noch Cecily, indem er sie zu einer niederen Heirat verdammte. Sie behauptet, die Ehe sei nie vollzogen worden und sie betrachte sich nicht als verheiratet. Mutter werde sich für die Annullierung der Heirat einsetzen. Doch angenommen, sie ist Lady Scrope, Gemahlin des besiegten Yorkisten, und wir erhalten unsere königlichen Titel zurück und sind wieder Prinzessinnen, dann muss sie seinen Namen behalten und die Demütigung ertragen, auch wenn bald niemand mehr weiß, wer Ralph Scrope war.

«Eigentlich müsste ich ja König werden», sagt der zehn Jahre alte Edward und zupft an meinem Ärmel. «Ich bin der Nächste, nicht wahr?»

Ich wende mich ihm zu und erwidere freundlich: «Nein, Teddy, du kannst nicht König werden. Es stimmt wohl, dass du ein Junge des Hauses York bist und Richard dich einst zu seinem Erben ernannt hat. Doch er ist tot, und neuer König wird Henry Tudor.» Bei den Worten «Er ist tot» zittert meine Stimme, und ich atme tief durch und setze noch einmal an. «Richard ist tot, Edward, das weißt du doch, oder? Du begreifst, dass König Richard tot ist? Und du wirst niemals sein Erbe sein.»

Er sieht mich ausdruckslos an, und ich bin überzeugt, dass er überhaupt nichts verstanden hat. Seine großen haselnussbraunen Augen füllen sich mit Tränen, und er dreht sich um und macht sich wieder daran, auf seiner Schiefertafel das griechische Alphabet abzuschreiben. Mein Blick ruht einen Moment auf seinem braunen Schopf. Er gibt sich genau wie ich seiner stillen, tiefen Trauer hin. Außer dass mir befohlen wurde, die ganze Zeit zu reden und den ganzen Tag zu lächeln.

«Er kann es nicht verstehen», sagt Cecily mit leiser Stimme zu mir, damit seine Schwester Maggie sie nicht hört. «Wir haben es ihm gesagt, immer und immer wieder. Er glaubt es nicht, weil er dumm ist.»

Maggie setzt sich still neben ihren Bruder, um ihm zu helfen, seine Buchstaben zu schreiben. Dann bin ich gewiss genauso dumm wie Edward, denn auch ich kann es nicht glauben. In einem Augenblick marschierte Richard an der Spitze einer unbezwingbaren Armee der großen Familien von England; im nächsten brachten sie uns die Nachricht, er sei geschlagen worden. Drei seiner engsten Freunde haben auf ihren Pferden gesessen und zugesehen, wie er bei dem verzweifelten Angriff in den Tod ritt, als wäre es ein sonniger Tag und sie wären Zuschauer bei einem Turnier und er ein wagemutiger Reiter und das Ganze ein Spiel, das so oder so ausgehen konnte und bei dem er geringe Aussichten auf den Sieg hatte.

Ich schüttele den Kopf. Wenn ich daran denke, dass er allein gegen seine Feinde anritt, meinen Handschuh unter dem Brustharnisch an sein Herz gedrückt, fange ich an zu weinen, und meine Mutter hat mir doch befohlen zu lächeln. «Wir gehen also nach London!», sage ich, als wäre ich entzückt über die Aussicht. «An den Hof! Und wir leben mit unserer werten Mutter im Westminster Palace und sind wieder mit unseren kleinen Schwestern Catherine und Bridget zusammen.»

Bei diesen Worten blicken die beiden Waisen des Duke of Clarence auf. «Aber wo werden Teddy und ich leben?», fragt Maggie.

«Vielleicht auch bei uns», antworte ich fröhlich. «Ja, ganz bestimmt bei uns.»

«Hurra!», jubelt Anne, und Maggie erklärt Edward leise, dass wir nach London gehen und dass er den ganzen Weg von Yorkshire auf seinem Pony reiten kann wie ein kleiner Ritter. Auf einmal fasst Cecily mich am Ellbogen und zieht mich zur Seite. Ihre Finger graben sich in meinen Arm. «Und was ist mit dir? Wird der König dich heiraten? Wird er über das hinwegsehen, was du mit Richard gemacht hast? Soll das alles vergessen sein?»

«Ich weiß es nicht», erwidere ich und mache mich frei. «Und was uns angeht, hat niemand etwas mit König Richard gemacht. Gerade du, meine Schwester, hast nichts gesehen und sprichst über nichts. Und was Henry betrifft: Wir wollen wohl alle gern wissen, ob er mich heiraten wird. Doch die Antwort kennt nur er. Vielleicht auch noch … die alte Krähe, seine Mutter, die glaubt, sie könnte alles bestimmen.»

Auf der Great North Road Herbst 1485

Es herrscht mildes Septemberwetter, und wir genießen die Reise nach Süden. Unserer Eskorte teile ich mit, dass kein Grund zur Eile besteht. Es ist sonnig und warm, und wir legen kurze Etappen zurück, weil die jüngeren Kinder auf ihren Ponys nach drei Stunden eine Pause brauchen. Ich sitze rittlings auf dem kastanienbraunen Jagdpferd, das Richard mir einst geschenkt hat, damit ich neben ihm reiten konnte, und bin froh, dass ich unterwegs bin und die Burg in Sheriff Hutton hinter mir gelassen habe. Dort wollten wir einen Palast einrichten, der Greenwich hätte Konkurrenz machen sollen. Endlich habe ich die Gärten verlassen, durch die wir zusammen gewandelt sind, die Halle, wo wir zum Spiel der besten Musikanten getanzt haben, und die Kapelle, in der er meine Hand nahm und mir versprach, dass wir heiraten würden, sobald er aus der Schlacht zurückkehre. Jeden Tag entferne ich mich ein wenig mehr von diesem Ort, und hoffentlich verblassen auch bald meine Erinnerungen. Obwohl ich versuche, schneller zu reiten als meine Träume, kann ich sie beinahe hören, wie sie wie treue Geister im Galopp hinter uns herjagen.

Begeistert über die Reise, genießt Edward die Freiheit auf der Great North Road in vollen Zügen und freut sich über die Menschen entlang des Weges, die sehen wollen, was von der königlichen Familie von York übrig geblieben ist. Sobald unsere kleine Prozession haltmacht, kommen Leute, um uns zu segnen, und lüpfen die Mützen vor Edward, dem einzigen noch lebenden York-Erben, obwohl unser Haus geschlagen ist und ein neuer König den Thron einnehmen wird. Ein Waliser, den niemand kennt, ein Fremder, der uneingeladen aus der Bretagne, aus Frankreich oder von sonst wo von jenseits des Kanals kommt. Teddy tut gern so, als wäre er der rechtmäßige König, der nach London zieht, um gekrönt zu werden. Er verneigt sich und winkt, zieht die Kappe und lächelt, wenn die Menschen aus ihren Häusern treten. Zwar erkläre ich ihm jeden Tag aufs Neue, dass wir auf dem Weg zur Krönung des neuen Königs Henry sind, doch sobald jemand «À Warwick! À Warwick!» ruft, vergisst er es.

Am Abend, bevor wir London erreichen, kommt seine Schwester Maggie zu mir. «Prinzessin Elizabeth, kann ich mit dir reden?»

Ich lächele sie an. Die Mutter der armen kleinen Maggie ist im Kindbett gestorben, und Maggie war ihrem Bruder Mutter und Vater und hat ihm schon als junges Mädchen den Haushalt geführt. Maggies Vater George, Duke of Clarence, wurde auf Befehl meines Vaters und auf Drängen meiner Mutter im Tower hingerichtet. Maggie lässt nie einen Anflug von Groll erkennen, obwohl sie um den Hals ein Medaillon mit einer Locke ihrer Mutter trägt und als Erinnerung an ihren Vater am Handgelenk ein kleines Bettelarmband mit einem Silberfass. Es ist gefährlich, dem Thron nah zu sein, das weiß sie selbst mit ihren zwölf Jahren. Das Haus York frisst seine Nachkommen, wie eine verschreckte Katze.

«Was gibt es, Maggie?»

Sie legt ihre junge Stirn in Falten. «Ich bin in Sorge um Teddy.»

Ich warte. Sie ist dem Jungen eine hingebungsvolle Schwester.

«Ich habe Angst um seine Sicherheit.»

«Was fürchtest du?»

«Er ist jetzt der einzige York-Junge und Erbe», vertraut sie mir an. «Natürlich gibt es noch andere Yorks, die Kinder unserer Tante Elizabeth, Duchess of Suffolk. Doch Teddy ist der einzige noch lebende Nachkomme von den Söhnen von York: von deinem Vater, König Edward, meinem Vater, Duke of Clarence, und unserem Onkel, König Richard. Sie sind alle tot.»

Ich bemerke den vertrauten Klang des Schmerzes, der bei der Erwähnung seines Namens in mir mitschwingt, als wäre ich eine Laute, deren Saiten allzu fest gespannt sind. «Ja», sage ich, «sie sind alle tot. Unser Edward ist der Einzige, der noch übrig ist.»

Unsicher sieht sie mich an. Niemand weiß, was aus meinen Brüdern Edward und Richard geworden ist, die das letzte Mal gesehen wurden, als sie auf der Wiese vor dem Tower of London spielten und vom Fenster des Garden Tower winkten. Niemand weiß es mit Gewissheit, doch alle glauben, dass sie tot sind. Das wenige, was mir bekannt ist, hüte ich wie ein Geheimnis.

«Es tut mir leid», sagt sie verlegen. «Ich wollte dich nicht betrüben …»

«Macht nichts», entgegne ich, als schmerzte mich das Verschwinden meiner Brüder nicht noch zusätzlich. «Fürchtest du, Henry Tudor steckt deinen Bruder in den Tower, wie König Richard meine Brüder? Und er kommt auch nicht mehr heraus?»

Sie nestelt an ihrem Kleid. «Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt mit ihm nach London gehen soll. Vielleicht sollte ich versuchen, ihn auf einem Schiff zu unserer Tante Margaret nach Flandern zu bringen. Aber ich weiß nicht, wie, und ich habe kein Geld für eine Schiffspassage. Und wen soll ich fragen? Glaubst du, wir sollten Teddy fortbringen? Tante Margaret würde ihn bei sich behalten aus Liebe zum Hause York. Sollen wir das machen? Weißt du, wie man so etwas macht?»

«König Henry wird ihm kein Haar krümmen», sage ich. «Jedenfalls nicht jetzt. Vielleicht später, wenn er sich als König durchgesetzt hat und sicher auf dem Thron sitzt und die Menschen ihn nicht mehr beobachten und sich fragen, was er vorhat. Doch in den ersten Monaten wird er gewiss bemüht sein, neue Freunde zu gewinnen. Die Schlacht hat er gewonnen, jetzt muss er das Königreich erringen. Es genügt nicht, den vorangegangenen König zu töten, er muss sich auch die Zustimmung des Volkes sichern und gekrönt werden. Er wird es nicht wagen, das Haus York und alle, die uns lieben, gegen sich aufzubringen. Also womöglich muss der arme Mann sogar heiraten, um es allen recht zu machen!»

Sie lächelt. «Du wärst eine wunderbare Königin! Dann wüsste ich, dass Edward sicher ist, denn du könntest ihn zu deinem Mündel machen. Du würdest auf ihn achtgeben, nicht wahr? Du weißt, dass er für niemanden eine Bedrohung darstellt. Wir wären der Tudor-Linie treu. Wir wären dir treu.»

«Wenn ich je Königin werde, will ich für seine Sicherheit sorgen», verspreche ich ihr und überlege, wie viele Leben davon abhängen, dass Henry seine Verlobung mit mir nicht löst. «Ihr könnt mit uns nach London kommen, bei meiner Mutter haben wir nichts zu fürchten. Sie weiß, was zu tun ist, und hat gewiss schon einen Plan.»

Maggie zögert. Zwischen ihrer Mutter Isabel und meiner Mutter gab es böses Blut, und dann wurde sie von Richards Gemahlin Anne aufgezogen, die meine Mutter auf den Tod hasste. «Wird sie sich um uns kümmern?», fragt sie sehr leise. «Wird deine Mutter freundlich zu Teddy sein? Sie haben immer gesagt, sie sei die Feindin meiner Familie.»

«Sie ist eure Tante und liegt nicht im Zwist mit dir oder Edward», versichere ich ihr. «Ihr seid ihre Nichte und ihr Neffe. Wir gehören alle dem Hause York an. Sie wird euch genauso beschützen wie uns.»

Sie ist beruhigt, denn sie vertraut mir, und ich erinnere sie nicht daran, dass meine Mutter zwei Söhne hatte, Edward und Richard, die sie mehr liebte als ihr Leben und die sie doch nicht beschützen konnte. Und niemand weiß, wo meine kleinen Brüder im Augenblick sind.

Westminster Palace, London Herbst 1485

Bei unserer Ankunft in London findet kein Begrüßungsfest statt, und als ein paar Lehrlinge und Marktfrauen uns in den Straßen erblicken und den Kindern von York zujubeln, schließt unsere Eskorte dichter auf und treibt uns so schnell wie möglich in den Hof des königlichen Palastes von Westminster, wo sich die schweren Holztore hinter uns schließen. Der neue König Henry wünscht keine Rivalen in der Stadt, die er sein eigen nennt. Meine Mutter wartet auf den Eingangsstufen vor den prächtigen Türen auf uns. Links und rechts neben ihr stehen meine kleinen Schwestern, die sechs Jahre alte Catherine und die vier Jahre alte Bridget. Ich springe vom Pferd und stürze mich in ihre Arme, rieche ihr vertrautes Parfüm aus Rosenwasser und den Duft ihres Haars. Als sie mich umarmt und mir über den Rücken streicht, breche ich plötzlich in Tränen aus, weine um den Verlust des Mannes, den ich so leidenschaftlich geliebt habe, und darum, dass eine gemeinsame Zukunft mit ihm mir für immer versagt bleibt.

«Beruhige dich», sagt meine Mutter energisch und schickt mich nach drinnen. Dann begrüßt sie meine Schwestern, meine Cousine und meinen Cousin. Mit Bridget auf dem Arm und Catherine an der Hand folgt sie mir, während Anne und Cecily um sie herumtanzen. Sie lacht fröhlich und sieht viel jünger aus als achtundvierzig. Sie trägt ein dunkelblaues Kleid mit einem blauen Ledergürtel um ihre schlanke Taille und hat die Haare unter eine blaue Samthaube gesteckt. Die Kinder kreischen vor Aufregung, als sie uns in ihre privaten Gemächer führt, sich hinsetzt und Bridget auf den Schoß nimmt. «Und jetzt erzählt mir alles!», sagt sie. «Bist du wirklich den ganzen Weg geritten, Anne? Das hast du sehr gut gemacht. Edward, mein lieber Junge, bist du müde? War dein Pony brav?»

Alle reden durcheinander, und Bridget und Catherine springen auf und versuchen zu unterbrechen. Cecily und ich warten darauf, dass der Lärm sich legt, und meine Mutter lächelt uns beide an, während sie den Kindern gezuckerte Pflaumen und Dünnbier gibt. Sie setzen sich vor den Kamin, um die Köstlichkeiten zu genießen.

«Und wie geht es meinen beiden großen Mädchen?», fragt sie. «Cecily, du bist wieder gewachsen. Bestimmt wirst du so groß wie ich. Elizabeth, Liebes, du bist blass und viel zu dünn. Schläfst du gut? Du fastest doch nicht, oder?»

«Elizabeth weiß nicht, ob Henry sie heiratet oder nicht», platzt Cecily heraus. «Was wird dann aus uns, wenn er es nicht tut? Was wird aus mir?»

«Natürlich wird er sie heiraten», sagt meine Mutter ruhig. «Ganz gewiss. Seine Mutter hat schon mit mir gesprochen. Sie hat begriffen, dass wir zu viele Freunde im Parlament und im Land haben, als dass sie es wagen kann, das Haus York zu brüskieren. Er muss Elizabeth heiraten. Er hat es vor fast einem Jahr versprochen und hat jetzt keine Wahl. Das hat er von Anfang an geplant und sich mit seinen Unterstützern darauf geeinigt, schon als er nach England einmarschiert ist.»

«Aber ist er nicht wütend auf König Richard und Elizabeth?», beharrt Cecily. «Und auf das, was sie gemacht hat?»

Mit heiterer Miene wendet meine Mutter sich meiner gehässigen Schwester zu. «Ich weiß nichts über den verstorbenen Usurpator Richard», erwidert sie. Mir war klar, dass sie das sagen würde. «Und du auch nicht. Und König Henry noch weniger.»

Cecily öffnet den Mund, wie um zu widersprechen, doch ein eisiger Blick meiner Mutter bringt sie zum Schweigen. «König Henry weiß noch sehr wenig über sein neues Königreich», fährt meine Mutter ruhig fort. «Er hat fast sein ganzes Leben im Ausland verbracht. Doch wir werden ihm helfen und ihm alles sagen, was er wissen muss.»

«Aber Elizabeth und Richard …»

«Das gehört zu den Dingen, die er nicht wissen muss.»

«Oh, sehr wohl», versetzt Cecily eingeschnappt. «Aber hier geht es um uns alle, nicht nur um Elizabeth. Elizabeth ist nicht die Einzige hier, obwohl sie so tut, als zählten alle anderen nicht. Und die Warwick-Kinder fragen unablässig, ob sie auch sicher sind, und Maggie hat Angst um Edward. Und was ist mit mir? Bin ich verheiratet oder nicht? Was wird aus mir?»

Ob dieser Flut an Fragen runzelt meine Mutter die Stirn. Cecily wurde kurz vor der Schlacht schnell verheiratet, und ihr Bräutigam ritt von dannen, bevor sie das Ehebett teilten. Jetzt wird er vermisst, und der König, der die Heirat befohlen hat, ist tot. Vielleicht ist Cecily wieder unverheiratet, vielleicht auch Witwe oder sogar eine verlassene Ehefrau. Niemand weiß es.

«Lady Margaret wird die Warwick-Kinder zu ihren Mündeln machen. Sie hat auch Pläne für dich. Sie hat sehr freundlich von dir und deinen Schwestern gesprochen.»

«Wird Lady Margaret dem Hof vorstehen?», frage ich leise.

«Was für Pläne?», will Cecily wissen.

«Das erzähle ich dir, sobald ich mehr in Erfahrung gebracht habe», sagt meine Mutter zu Cecily und fügt, an mich gewandt, hinzu: «Sie lässt sich mit gebeugten Knien aufwarten und mit ‹Euer Gnaden› anreden und besteht auf einer königlichen Verneigung.»

Verächtlich verziehe ich das Gesicht. «Wir sind nicht als beste Freundinnen geschieden, sie und ich.»

«Wenn du verheiratet bist, bist du Königin, und sie wird vor dir knicksen, da kann sie sich ansprechen lassen, wie sie will», sagt meine Mutter. «Es spielt keine Rolle, ob sie dich mag oder nicht, du wirst ihren Sohn trotzdem heiraten.» Sie wendet sich an die jüngeren Kinder. «Und jetzt zeige ich euch eure Gemächer.»

«Sind wir nicht in unseren gewohnten Räumen?», frage ich gedankenlos.

Das Lächeln meiner Mutter ist ein wenig angestrengt. «Natürlich sind wir nicht mehr in den königlichen Gemächern. Die Gemächer der Königin hat Lady Margaret Stanley sich selbst vorbehalten. Und die Familie ihres Gemahls, die Stanleys, hat die besten Wohnungen bekommen. Wir sind in den zweitbesten Gemächern untergebracht. Du bist in Lady Margarets altem Zimmer. Es scheint, als hätte sie mit mir den Platz getauscht.»

«Lady Margaret Stanley ist in den Gemächern der Königin? Gebührten die nicht eigentlich mir?»

«Nein, jedenfalls noch nicht», antwortet meine Mutter. «Erst wenn du verheiratet und gekrönt bist. Bis dahin ist sie die erste Dame an Henrys Hof, und sie ist sehr darauf bedacht, dass das jeder begreift. Wie es scheint, hat sie allen befohlen, sie Mylady Königinmutter zu nennen.»

«Mylady Königinmutter?», wiederhole ich. Ein seltsamer Titel.

«Ja», sagt meine Mutter mit einem schiefen Lächeln. «Nicht schlecht für eine Frau, die einst meine Hofdame war und das letzte Jahr von ihrem Gemahl getrennt wegen Verrat unter Hausarrest stand, oder?»

Also beziehen wir die zweitbesten Gemächer im Westminster Palace und warten darauf, dass König Henry uns zu sich befiehlt. Doch nichts geschieht. Henry hält Hof im Palast des Bischofs von London in der Nähe der St. Paul’s Cathedral, und alle, die so tun können, als gehörten sie dem Hause Lancaster an oder seien langjährige heimliche Unterstützer der Tudor-Sache, strömen herbei, um ihn zu sehen und eine Belohnung für ihre Treue einzufordern. Vergeblich warten wir auf eine Einladung, um bei Hofe präsentiert zu werden.

Meine Mutter bestellt neue Kleider für mich, einen Kopfschmuck, in dem ich noch größer aussehe, und neue Schuhe, die unter dem Saum der neuen Kleider hervorschauen. Sie lobt mein gutes Aussehen. Ich bin blond wie sie einst und habe graue Augen. Sie war die für ihre Schönheit berühmte Tochter des bestaussehenden Paars im ganzen Königreich, und mit stiller Zufriedenheit stellt sie fest, dass ich das gute Aussehen der Familie geerbt habe.

Sie wirkt heiter. Doch die Leute fangen an zu reden. Cecily sagt, wir seien zwar wieder im königlichen Palast, doch es sei so einsam und so still wie im Kirchenasyl. Ich widerspreche ihr nicht, aber sie täuscht sich. Sie weiß gar nicht, wie sehr sie sich täuscht. Sie kann sich nicht so gut daran erinnern wie ich. Es gibt nichts Schlimmeres als die Dunkelheit und die Stille und zu wissen, dass man nicht hinausdarf, während man sich gleichzeitig davor fürchtet, dass jeder eindringen kann. Letztes Mal waren wir ganze neun Monate im Kirchenasyl, die mir vorkamen wie neun Jahre. Ich meinte, ich müsste ohne Sonnenlicht verblassen und sterben. Cecily findet, dass man ihr als verheirateter Frau die Möglichkeit geben sollte, zu ihrem Mann zu gehen.

«Nur dass du nicht weißt, wo er ist», sage ich. «Wahrscheinlich ist er nach Frankreich geflüchtet.»

«Ich war wenigstens verheiratet», versetzt sie spitz. «Ich habe das Bett nicht mit dem Gemahl einer anderen geteilt. Ich war keine sündige Ehebrecherin. Und er ist wenigstens nicht tot.»

«Ja, mit Ralph Scrope of Upsall», erwidere ich spöttisch. «Einem Niemand. Wenn du ihn findest – falls er noch am Leben ist –, kannst du meinetwegen gern mit ihm zusammenleben. Falls er dich nimmt, ohne dass es ihm jemand befiehlt. Falls er dein Gemahl sein will ohne königliche Order.»

Sie zieht die Schultern hoch und wendet sich ab. «Mylady Königinmutter wird für mich sorgen. Ich bin ihr Patenkind. Sie hat jetzt das Sagen und wird mich nicht im Stich lassen.»

Das Wetter passt nicht zur Jahreszeit: Tagsüber ist es zu sonnig, zu hell, zu heiß und nachts zu feucht, und niemand kann schlafen. Niemand außer mir. Obwohl mich meine Träume plagen, kann ich nicht verhindern, dass ich einschlafe. Nacht für Nacht sinke ich in die Finsternis und träume, dass Richard lachend auf mich zukommt und mir erklärt, dass er die Schlacht für sich entschieden hat und wir heiraten. Er hält meine Hände, als ich widerspreche, sie hätten doch Henrys Sieg verkündet. Aber er küsst mich und nennt mich seine kleine, liebe Närrin. Ich wache auf in dem Glauben, es wäre wahr, und wenn mein Blick über die Wände des zweitbesten Schlafgemachs schweift und über Cecily, die das Bett mit mir teilt, und ich mich erinnere, dass mein Liebster tot und kalt in einem unmarkierten Grab liegt, während sein Land unter der Hitze stöhnt, wird mir übel.

Meine Dienerin Jennie, die aus einer Londoner Familie von Kaufleuten stammt, berichtet mir, dass in den beengten Häusern der Stadt eine schreckliche Krankheit umgehe. Zwei Lehrlinge ihres Vaters seien erkrankt und gestorben.

«Die Pest?», frage ich und weiche unvermittelt einen Schritt von ihr zurück. Für diese Krankheit gibt es kein Heilmittel, und womöglich trägt sie die Krankheit in sich und die Pest wird mich und meine Familie dahinraffen.

«Schlimmer als die Pest», antwortet sie. «So etwas hat noch niemand je gesehen. Will, der erste Lehrling, hat beim Frühstück gesagt, ihm sei kalt und er habe Schmerzen, als hätte er die ganze Nacht mit einem Knittel gekämpft. Mein Vater erlaubte ihm, zurück ins Bett zu gehen. Er fing an zu schwitzen, sein Hemd war schweißdurchtränkt. Als meine Mutter ihm einen Krug Ale brachte, sagte er, er verbrenne und könne keine Abkühlung finden. Er wolle schlafen. Und dann ist er nicht mehr aufgewacht. Ein junger Mann von achtzehn Jahren! Innerhalb weniger Stunden tot!»

«Seine Haut?», frage ich. «Hatte er Beulen?»

«Keine Beulen, kein Ausschlag», beharrt sie. «Wie ich schon sagte, es ist nicht die Pest. Es ist diese neue Krankheit. Sie nennen sie die Schweißkrankheit, eine neue Seuche, die König Henry über uns gebracht hat. Alle sagen, seine Herrschaft habe mit Tod begonnen und werde nicht lange andauern. Er hat den Tod mitgebracht. Wir werden alle wegen seines Machthungers sterben. Es heißt, er kam mit Schweiß und wird Mühe haben, den Thron zu halten. Es ist eine Krankheit der Tudors, die er eingeschleppt hat. Er ist verflucht. Es ist Herbst, aber es ist so heiß wie im Hochsommer, wir schwitzen uns noch alle zu Tode.»

«Du kannst nach Hause gehen», sage ich nervös. «Und, Jennie, bleib so lange zu Hause, bis du sicher bist, dass du und alle in eurem Haus gesund seid. Wenn ihr Kranke im Haus habt, will meine Mutter deine Dienste nicht. Und verabschiede dich nicht von meinen Schwestern und den Warwick-Kindern.»

«Aber mir geht es gut!», protestiert sie. «Man stirbt schnell. Wenn ich sie hätte, wäre ich schon tot, bevor ich Euch davon erzählen könnte. Solange ich zu Fuß von zu Hause zum Palast laufen kann, ist nichts zu befürchten.»

«Geh nach Hause», wiederhole ich. «Ich schicke nach dir, wenn du wiederkommen kannst.» Nachdem sie gegangen ist, mache ich mich auf die Suche nach meiner Mutter.

Sie ist weder im Palast noch in den düsteren, leeren Gemächer der Königin, wo die Läden geschlossen sind, noch macht sie einen Spaziergang auf einem der kühlen Wege im Garten. Schließlich finde ich sie. Sie sitzt auf einem Stuhl ganz am Ende des Bootsstegs, der sich in den Fluss reckt, und verschafft sich Abkühlung durch die Brise, die übers Wasser streicht, und lauscht dem Plätschern der Wellen.

«Tochter», grüßt sie mich, als ich näher komme. Ich knie auf den Planken nieder, um ihren Segen zu empfangen, setze mich neben sie und lasse die Füße ins Wasser baumeln. Mein Spiegelbild erinnert mich an eine Wassergöttin, die im Fluss lebt und darauf wartet, von einem Zauber erlöst zu werden, und nicht an eine unverheiratete Prinzessin, die niemand will.

«Hast du von der neuen Krankheit in der Stadt gehört?», frage ich sie.

«Ja. König Henry hat entschieden, sich nicht krönen zu lassen. Die Gefahr, so viele Menschen zusammenzubringen, die krank werden könnten, ist zu groß», sagt sie. «Er muss noch ein paar Wochen Eroberer sein und kein gekrönter König, bis die Krankheit vorüber ist. Seine Mutter, Lady Margaret, lässt besondere Gebete darbringen. Sie ist außer sich und glaubt, Gott habe ihren Sohn geleitet, ihm jetzt aber eine Pest geschickt, um seine innere Stärke auf die Probe zu stellen.»

Ich schaue zu ihr auf und muss gegen den hellen westlichen Himmel die Augen zukneifen, wo die Sonne in einem Feuermeer untergeht und für morgen einen weiteren heißen Tag verspricht. «Mutter, ist das dein Werk?»

Sie lacht. «Beschuldigst du mich etwa der Hexerei? Meinst du, ich hätte ein ganzes Land mit einem Pestwind verflucht? Nein, so etwas kann ich nicht. Und selbst wenn ich solche Kräfte besäße, würde ich mich ihrer nicht bedienen. Diese Krankheit hat Henry zu verantworten, weil er die schlimmsten Männer in der ganzen Christenheit angeheuert hat, um dieses arme Land zu überfallen. Das ist keine Zauberei; sie haben die Krankheit aus den finstersten, schmutzigsten Gefängnissen Frankreichs mitgebracht. Deswegen hat die Krankheit in Wales ihren Anfang genommen und sich dann bis nach London ausgebreitet – sie ist Henrys Weg gefolgt. Auf ihrem Marsch haben die Männer ihren Schmutz zurückgelassen und Frauen geschändet, die armen Seelen. Henrys Armee besteht aus Häftlingen, sie haben die Krankheit hierhergebracht, auch wenn alle sie jetzt als Zeichen dafür sehen, dass Gott sich gegen Henry gewandt hat.»

«Aber kann es auch beides sein?», frage ich. «Sowohl eine Krankheit als auch ein Zeichen?»

«Zweifellos. Es heißt, ein König, dessen Herrschaft mit Schweiß beginnt, wird Mühe haben, den Thron zu halten. Henrys Krankheit rafft seine Freunde und Unterstützer dahin, als würde diese Krankheit sich wie eine Waffe gegen ihn und sie richten. Er verliert jetzt im Triumph mehr Verbündete als auf dem Schlachtfeld. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man sich recht darüber amüsieren.»

«Was bedeutet es für uns?», frage ich.

Sie blickt flussaufwärts, als könnte das Flusswasser mir die Antwort vor die baumelnden Füße treiben. «Ich weiß es noch nicht», antwortet sie nachdenklich. «Doch wenn er selbst krank würde und stürbe, würden die Menschen gewiss sagen, es sei das Urteil Gottes über einen Usurpator, und nach einem York-Erben für den Thron suchen.»

«Und haben wir einen?» Meine Stimme ist über das Plätschern des Wassers hinweg kaum zu vernehmen. «Einen York-Erben?»

«Natürlich, Edward of Warwick.»

Ich zögere. «Haben wir nicht noch einen näheren Verwandten?»

Den Blick weiterhin in die Ferne gerichtet, nickt sie kaum wahrnehmbar.

«Meinen kleinen Bruder Richard?»

Wieder nickt sie, als möchte sie nicht einmal dem Wind ihre Worte anvertrauen.

Ich keuche auf. «Du weißt ihn in Sicherheit, Mutter? Ganz gewiss? Er lebt? In England?»

Sie schüttelt den Kopf. «Ich habe lange nichts gehört. Ich kann nichts mit Gewissheit sagen, und bestimmt nicht zu dir. Wir müssen für die beiden Söhne von York, Prinz Edward und Prinz Richard, beten; sie sind immer noch verschwunden, bis jemand uns sagen kann, was aus ihnen geworden ist.» Sie lächelt mich an. «Ich spreche besser nicht von meiner Hoffnung», fährt sie leise fort. «Aber wer weiß, was die Zukunft bringt, wenn Henry Tudor stirbt?»

«Kannst du ihm nicht den Tod wünschen?», flüstere ich. «Ihn an der Krankheit sterben lassen, die er über das Land gebracht hat?»

Sie wendet den Kopf ab, wie um dem Fluss zu lauschen. «Wenn er meinen Sohn auf dem Gewissen hat, liegt mein Fluch bereits auf ihm», erwidert sie tonlos. «Du hast mit mir zusammen den Mörder unserer Jungen verflucht, erinnerst du dich? Wir haben die Wassergöttin Melusine, die Urahnin der Familie meiner Mutter, gebeten, für uns Rache zu üben. Erinnerst du dich, was wir gesagt haben?»

«Nicht an die genauen Worte. Doch an die Nacht erinnere ich mich wohl.»

In jener Nacht waren meine Mutter und ich außer uns vor Schmerz und Angst, gefangen im Kirchenasyl. Mein Onkel Richard kam und erklärte ihr, ihre beiden Söhne, Edward und Richard, meine geliebten kleinen Brüder, seien aus ihren Gemächern im Tower verschwunden. Meine Mutter und ich schrieben einen Fluch auf einen Zettel, falteten ihn zu einem Papierschiffchen, zündeten es an und sahen zu, wie es flackernd den Fluss hinuntertrieb. «Ich erinnere mich nicht genau, was wir gesagt haben.»

Sie hingegen erinnert sich an jedes Wort, den schlimmsten Fluch, mit dem sie jemals jemanden belegt hat. «Wir haben gesagt: ‹Wisse, weil uns keine Gerechtigkeit gewährt wird für das an uns begangene Unrecht, kommen wir zu dir, Frau Mutter, und legen diesen Fluch in deine dunklen Tiefen: dass du demjenigen, der unseren erstgeborenen Sohn von uns nahm, seinen erstgeborenen Sohn nimmst.›»

Sie wendet den Blick vom Fluss ab, ihre dunklen Pupillen haben sich geweitet. «Erinnerst du dich jetzt? Da wir hier am Fluss sitzen? An demselben Fluss?»

Ich nicke.

«Wir haben gesagt: ‹Unser Junge wurde uns genommen, bevor er zum Mann und König wurde – obwohl er doch zu beidem geboren wurde. Nimm also den Sohn seines Mörders, solange er ein Junge ist, bevor er zum Mann reifen kann, bevor er sein Erbe antreten kann. Und nimm ihm seinen Enkel. Wenn er stirbt, wissen wir, dass dies das Wirken unseres Fluches und dass der Verlust unseres Sohnes nun vergolten ist.›»

Mich schaudert ob der Trance, die meine Mutter um uns webt. Ihre Worte rieseln wie Regen auf den Fluss. «Wir haben seinen Sohn verflucht und seinen Enkel.»

«Er hat es verdient. Und wenn sein Sohn und sein Enkel sterben und er nur noch Mädchen hat, wissen wir, dass er der Mörder unseres Jungen ist, Melusines Jungen, und wir haben unsere Rache bekommen.»

«Das war schrecklich», sage ich unsicher. «Wir haben die unschuldigen Erben mit einem schrecklichen Fluch belegt. Sich den Tod zweier unschuldiger Jungen zu wünschen …»

«Ja», pflichtet meine Mutter mir ruhig bei. «Das stimmt. Aber wir haben es getan, weil jemand es uns angetan hat. Und dieser Jemand wird meinen Schmerz kennen, wenn sein Sohn und sein Enkelsohn sterben und er außer einem Mädchen keinen Erben mehr hat.»

Die Leute haben immer geflüstert, meine Mutter betriebe Hexerei, und ihre Mutter wurde in der Tat angeklagt und der dunklen Künste für schuldig befunden. Sie allein weiß, wie stark ihr Glaube ist, sie allein weiß, was sie kann. Als Mädchen habe ich mit angesehen, wie sie einen Gewittersturm herbeirief, wie der Fluss anschwoll und die Armee des Duke of Buckingham davonschwemmte und seinen Aufstand mit ihm. Damals dachte ich, sie hätte einfach gepfiffen. Doch sie erzählte mir von einem Nebel, den sie in einer kalten Nacht ausatmete und der die Armee meines Vater einhüllte und vor den Augen des Gegners verbarg, sodass er von einem Hügel herabdonnerte wie aus einer Wolke und seinen Feind überraschte und ihn mit dem Schwert und dem Wetter bezwang.

Die Leute glauben, sie besäße überirdische Kräfte, weil ihre Mutter dem königlichen Hause von Burgund entstammte, das seine Ahnenreihe bis zu der Wassergöttin Melusine zurückverfolgen kann. Gewiss können wir Melusine singen hören, wenn eines ihrer Kinder stirbt. Ich habe es mit eigenen Ohren vernommen und werde es nie vergessen: ein kühler, leiser Ruf, Nacht für Nacht. Und mit einem Mal spielte mein Bruder nicht mehr auf dem Tower Green, sein blasses Gesicht war vom Fenster verschwunden, und wir betrauerten ihn als toten Jungen.

Welche Kräfte meine Mutter besitzt und wo ihr das Glück in die Hände spielt und sie es dann als ihr Wirken beansprucht, ist mir nicht bekannt, ja, vielleicht nicht einmal ihr selbst. Sie packt das Glück mit beiden Händen und nennt es Zauberei. Als ich ein Mädchen war, hielt ich sie für ein verzaubertes Wesen, das die Macht besitzt, die Flüsse Englands herbeizurufen. Doch angesichts der Niederlage unserer Familie, des Verlustes ihres Sohnes und des Fiaskos, in dem wir stecken, finde ich, dass sie ihre Kunst nicht besonders gut beherrscht.

Also bin ich nicht überrascht, dass Henry nicht stirbt, obwohl die Krankheit, die er nach England gebracht hat, zuerst einen Bürgermeister von London dahinrafft und dann seinen hastig gewählten Nachfolger und sechs Ratsherren. Es heißt, jedes Haus in der Stadt habe einen Toten zu beklagen, und Nacht für Nacht rattern die Totenkarren durch die Straßen, gerade so, als wäre es ein Pestjahr, das diesmal besonders viele Opfer fordert.

Als die Krankheit mit dem kalten Wetter verschwindet und ich nach Jennie, meiner Dienerin, schicke, kommt sie nicht zurück zur Arbeit, denn auch sie ist tot. Ihr ganzer Haushalt hat die Schweißkrankheit bekommen und ist zwischen Prim und Komplet gestorben. Niemand hat je so einen schnellen Tod gekannt, und die Leute tuscheln über den neuen König, dessen Herrschaft mit einer Prozession der Karren der Totengräber begann. Erst Ende Oktober befindet Henry, es sei jetzt sicher, die Lords und die Gentry des Reiches zu seiner Krönung in Westminster Abbey zu versammeln.

Zwei Herolde, welche die Beaufort-Standarte mit dem Fallgatter tragen, und ein Dutzend Wachen in den Farben der Stanleys hämmern an die schwere Tür des Palastes, um mich davon in Kenntnis zu setzen, dass Lady Margaret Stanley aus dem Hause Beaufort, Mylady Königinmutter, mir am nächsten Tag die Ehre eines Besuches erweisen wird. Meine Mutter neigt den Kopf und sagt leise – als wären wir von zu vornehmer Geburt, um je die Stimme zu erheben –, wir seien entzückt, Ihre Gnaden zu empfangen.

Sobald sie fort sind und die Tür hinter ihnen ins Schloss fällt, geraten wir in wilde Aufregung, was ich zu diesem Anlass tragen soll. «Etwas Dunkelgrünes», sagt meine Mutter.

Mit Dunkelgrün kann man nichts falsch machen. Dunkelblau ist die königliche Trauerfarbe, doch ich darf nicht so aussehen, als trauerte ich um meinen königlichen Geliebten und wahren König von England. Dunkelrot ist die Farbe des Märtyrertums, doch zuweilen wird sie auch – im Widerspruch dazu – von Huren getragen, damit ihre Haut makellos weiß erscheint. Weder die eine noch die andere Verbindung möchten wir bei der strengen Lady Margaret wecken. Sie darf nicht denken, die Heirat mit ihrem Sohn sei ein Martyrium für mich, und darf nicht daran erinnert werden, dass alle gesagt haben, ich sei Richards Geliebte gewesen. Ein dunkles Gelb ginge auch, aber welche Frau kleidet Gelb? Lila mag ich eh nicht, es ist eine zu fürstliche Farbe für ein bescheidenes Mädchen, dessen einzige Hoffnung die Heirat mit dem König ist. Dunkelgrün muss es sein, und als Farbe der Tudors richtet es keinen Schaden an.

«Aber ich habe kein dunkelgrünes Kleid!», fahre ich auf. «Und wir haben keine Zeit, eines zu besorgen.»

«Wir haben eines für Cecily machen lassen», erwidert meine Mutter. «Das ziehst du an.»

«Und was soll ich tragen?», protestiert Cecily. «Etwa ein altes Kleid? Oder soll ich euch gar nicht begleiten? Wird nur Elizabeth sie treffen, während wir anderen uns verstecken? Soll ich den ganzen Tag im Bett verbringen?»

«Es besteht gewiss keine Notwendigkeit, dass du zugegen bist», versetzt meine Mutter energisch. «Aber Lady Margaret ist deine Patin, also wirst du Blau tragen, und Elizabeth kann dein grünes Kleid anziehen, und du wirst dir Mühe geben – außerordentliche Mühe –, während des Besuches nett zu deiner Schwester zu sein. Niemand mag ein schlechtgelauntes Mädchen, vor allem ich nicht.»

Wutentbrannt, doch schweigend geht Cecily zum Kleiderschrank, holt ihr neues grünes Kleid heraus, schüttelt es aus und reicht es mir.

«Zieh es an und komm in meine Gemächer», sagt meine Mutter. «Wir müssen den Saum auslassen.»

In dem Kleid, das neu gesäumt und mit einem schmalen Band aus Goldstoff besetzt wurde, warte ich im Audienzzimmer meiner Mutter auf die Ankunft von Lady Margaret. Sie kommt in der königlichen Barkasse, die ihr immer zur Verfügung steht. Der Trommler schlägt den Rhythmus, und an Bug und Heck flattert munter ihre Standarte. Ich höre die knirschenden Schritte ihrer Begleiter auf dem Kies des Gartenweges und dann unter dem Fenster das Klappern der eisenbeschlagenen Stiefelabsätze auf dem Hof. Die Doppeltüren werden aufgerissen, und sie tritt durch die Vorhalle ein.

Meine Mutter, meine Schwestern und ich erheben uns von unseren Plätzen und knicksen als Gleiche vor ihr. Das exakte Maß dieses Knickses war schwer zu bestimmen. Wir lassen uns zu einem nicht sehr tiefen Knicks herab, während Lady Margaret nur eine Bewegung andeutet. Obwohl meine Mutter jetzt Lady Grey genannt wird, war sie doch einst die gekrönte Königin von England, und diese Frau war ihre Hofdame. Lady Margaret fährt zwar in der königlichen Barkasse, doch ihr Sohn ist noch nicht zum König gekrönt worden. Sie nennt sich Mylady Königinmutter, doch noch hat man ihrem Sohn nicht die Krone von England aufs Haupt gesetzt. Er hat nur das goldene Band an sich genommen, das Richard auf dem Helm trug.

Als ich bei dem Gedanken an die goldene Krone auf dem Helm kurz die Augen schließe, sehen mich Richards lächelnde braune Augen durch das Visier an.

«Ich möchte mit Mistress Elizabeth allein sprechen», sagt Lady Margaret ohne ein Worte des Grußes zu meiner Mutter.

«Ihre Gnaden, Prinzessin Elizabeth of York, kann Euch in mein Privatkabinett führen», erwidert meine Mutter ruhig.

Ich gehe voraus und spüre ihren Blick im Rücken und bin augenblicklich befangen. Womöglich schwinge ich die Hüften oder werfe den Kopf zurück. In den Privatgemächern meiner Mutter wende ich mich zu Lady Margaret um, die sich ohne Aufforderung auf den großen Stuhl setzt.

«Du kannst dich setzen», sagt sie, und ich nehme ihr gegenüber Platz. Mein Hals ist trocken, und ich schlucke und hoffe, dass sie es nicht bemerkt.

Sie betrachtet mich von oben bis unten, als bewürbe ich mich um eine Stellung in ihrem Haushalt. Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. «Du hast Glück mit deinem Aussehen. Deine Mutter war eine Schönheit, und du bist ihr sehr ähnlich: hell, schlank, eine Haut wie das Blütenblatt einer Rose und dieses wunderbare goldbronzene Haar. Zweifellos wirst du schöne Kinder haben. Vermutlich bist du immer noch stolz auf dein Aussehen? Und eitel?»

Als ich nichts erwidere, räuspert sie sich und erinnert sich an den Grund ihres Besuches.

«Ich bin gekommen, um unter vier Augen mit dir zu sprechen, als Freundin. Wir sind im Streit geschieden.»

Wir sind auseinandergegangen wie zwei zankende Fischweiber. Aber ich war mir sicher, dass mein Geliebter ihren Sohn töten und mich zur Königin von England machen würde. Wie sich herausgestellt hat, hat ihr Sohn meinen Geliebten getötet, und mein Schicksal liegt allein in ihren weißen Händen mit den schweren Ringen.

«Ich bedaure es», sage ich mit schnörkelloser Unaufrichtigkeit.

«Ich auch», erwidert sie, was mich überrascht. «Ich werde deine Schwiegermutter sein, Elizabeth. Mein Sohn wird dich heiraten, trotz allem.»

Sinnloser Zorn überkommt mich. Wir sind geschlagen, meine Hoffnung auf Glück und darauf, die geliebte Königin von England zu sein, wurde unter den Hufen der Stanley-Reiter unter dem Befehl ihres Gemahls zermalmt.

Ich neige den Kopf. «Danke.»

«Ich werde dir eine gute Mutter sein», sagt sie ernst. «Wenn du mich kennenlernst, wirst du feststellen, dass ich sehr viel Liebe zu geben habe, dass ich Loyalität besitze. Ich bin fest entschlossen, dem Willen Gottes zu dienen. Gott hat dich als meine Schwiegertochter auserwählt, als die Gemahlin meines Sohnes und als …» Bei dem Gedanken an meine Bestimmung, an die göttliche Verheißung einer Tudor-Linie, senkt sie die Stimme zu einem ehrfürchtigen Flüstern. «… die Mutter meines Enkelsohnes.»

Ich neige noch einmal den Kopf, und als ich aufblicke, strahlt sie wie beseelt über das ganze Gesicht.

«Als ich ein kleines Mädchen war, kaum mehr als ein Kind, wurde ich dazu berufen, Henry zur Welt zu bringen», flüstert sie wie im Gebet. «Ich dachte, die Schmerzen würden mich umbringen, ja, ich war überzeugt davon. Ich wusste, wenn ich das überlebte, würden das Kind und ich eine große Zukunft haben, die größte, die es geben kann. Er würde König von England werden, und ich würde ihn auf den Thron bringen.»

Ihre verzückte Miene hat etwas sehr Anrührendes, sie wirkt wie eine Nonne, die von ihrer Berufung spricht.

«Ich wusste es. Ich wusste, dass er einst König sein würde. Und als ich dir begegnet bin, wusste ich, dass du dazu bestimmt bist, ihm einen Sohn zu schenken.» Sie richtet ihren durchdringenden Blick auf mich. «Deswegen war ich so hart zu dir, deswegen war ich so zornig auf dich, als du vom Weg abgekommen bist. Ich fand es unerträglich, dich fallen zu sehen, dass du deinen hohen Rang eingebüßt und deine Berufung missachtet hast.»

«Ihr glaubt, ich habe eine Berufung?» Sie scheint so durch und durch überzeugt, dass ich flüstere.

«Du bist die Mutter des nächsten Königs von England», erklärt sie. «Die rote und die weiße Rose, eine Rose ohne Dornen. Du wirst einen Sohn haben, und wir werden ihn Arthur von England nennen.» Sie nimmt meine Hand. «Das ist deine Bestimmung, meine Tochter. Und ich helfe dir, sie zu erfüllen.»

«Arthur.» Staunend wiederhole ich den Namen, den Richard für unseren Sohn gewählt hatte.

«Es ist mein Traum», sagt sie.

Es war auch unser Traum. Ich erlaube ihr, meine Hand zu halten, und ziehe sie nicht fort.

«Gott hat uns zusammengebracht», erklärt sie ernst. «Gott hat dich zu mir geführt, und du wirst mir einen Enkelsohn schenken. Du wirst England Frieden bringen. Elizabeth, du wirst die Friedensstifterin sein, und Gott wird dich segnen.»

Erstaunt über ihre Vision lasse ich meine Hände in den ihren ruhen und widerspreche ihr nicht.

Ich erzähle meiner Mutter nicht, was zwischen Mylady Königinmutter und mir gesprochen wurde. Sie zieht ob meiner Verschwiegenheit eine Augenbraue hoch, fragt aber nicht weiter. «Auf jeden Fall hat sie nichts gesagt, was dich auf den Gedanken gebracht hätte, sie habe sich das mit der Verlobung anders überlegt», stellt sie fest.

«Sie hat mir versichert, dass wir heiraten werden. Die Vermählung wird stattfinden. Sie hat versprochen, meine Freundin zu sein.»

Meine Mutter unterdrückt ein Lächeln. «Wie hochherzig. Wie überaus zuvorkommend.»

Mit einiger Zuversicht harren wir auf unsere Einladung zur Krönung und die Aufforderung, in die königliche Kleiderkammer zu gehen, damit man uns unsere Kleider anpasst. Besonders Cecily will unbedingt neue Kleider. Bei der Krönung sollen wir endlich die Gelegenheit bekommen, uns noch einmal vor der ganzen Welt als die fünf York-Prinzessinnen zu präsentieren. Erst wenn Henry das Gesetz aufgehoben hat, das uns zu Bastarden gemacht und die Heirat unserer Eltern einen bigamistischen Betrug genannt hat, können wir wieder unsere Hermeline und unsere Kronen tragen. Henrys Krönung wird seit Richards Tod die erste Gelegenheit sein, vor der Welt wieder in unseren wahren Farben als Prinzessinnen von York zu erscheinen.

Ich bin zuversichtlich, dass wir an der Krönung teilnehmen werden; doch die Nachricht bleibt aus. Gewiss wünscht Henry sich, dass seine zukünftige Gemahlin zugegen ist, wenn er die Krone aufs Haupt gesetzt bekommt und das Szepter in die Hand nimmt. Selbst wenn er kein Interesse an mir hat, wie kann er es sich entgehen lassen, uns, der ehemaligen königlichen Familie, seinen größten Triumph vor Augen zu führen?

Ich komme mir eher vor wie eine schlafende Märchenprinzessin als wie die Frau, die dem neuen König von England versprochen ist. Ich lebe im königlichen Palast und schlafe in einem der besten Gemächer. Man bedient mich mit Höflichkeit, doch niemand beugt die Knie, wie es der königlichen Familie gebührt. Ich führe ein stilles Leben, ohne Hof, ohne die übliche Schar aus Schmeichlern, Freunden und Bittstellern, ohne den König zu sehen – eine Prinzessin ohne Krone, eine Verlobte ohne Bräutigam, eine Braut ohne Hochzeitsdatum.

Einst wusste jeder, dass ich Henrys Verlobte war. Als Thronprätendent im Exil schwor er in der Kathedrale von Rennes, er sei König von England und ich seine Braut. Damals hob er eine Armee für seinen Einmarsch aus, verzweifelt um Unterstützung durch das Haus York und unsere Anhänger bemüht. Jetzt hat er die Schlacht gewonnen und seine Armee fortgeschickt. Vielleicht wäre er auch gern von seinem Versprechen frei. Es diente ihm als Waffe, die ihm jetzt nicht mehr von Nutzen ist.

Meine Mutter hat sich um neue Kleider gekümmert, und so sind die fünf Prinzessinnen von York exquisit gekleidet. Doch wir verlassen den Palast nicht, niemand sieht uns, und wir werden nicht als Prinzessinnen «Euer Gnaden» genannt, sondern mit «Myladys» angesprochen, als wären wir die illegitimen Töchter einer bigamistischen Ehe und meine Mutter nicht Königinwitwe, sondern nur die Hinterbliebene eines niederen Landadeligen. Wir sind nicht besser dran als Cecily, deren Ehe annulliert wurde, ohne dass ein neuer Gemahl in Sicht ist. Sie ist nicht mehr Lady Scrope, sie trägt überhaupt keinen Titel mehr. Wir sind Mädchen ohne Namen, ohne Familie, ohne Gewissheit. Und solche Mädchen haben keine Zukunft.

Ich hatte angenommen, ich würde wieder Prinzessin sein und mein Vermögen zurückbekommen, um vermählt und in einer prächtigen Zeremonie an Henrys Seite gekrönt zu werden, doch sein Schweigen verrät mir, dass er es mit dem Heiraten nicht eilig hat.

Weder kommt eine Nachricht aus der königlichen Kleiderkammer, noch fragt der Zeremonienmeister, ob er zum Palast kommen und uns die Tänze für das Krönungsmahl beibringen soll. Sämtliche Näherinnen und Kammerzofen in London arbeiten Tag und Nacht an Kleidern und Kopfschmuck, doch nicht an unseren. Niemand wird vom Großkämmerer mit Anweisungen für die Prozession zu uns geschickt. Wir werden nicht eingeladen, in der Nacht vor der Krönung im Tower of London zu übernachten, wie es Brauch ist. Man schickt uns keine Pferde, damit wir vom Tower nach Westminster Abbey reiten können, und es ergeht keine Entscheidung bezüglich der Rangordnung an diesem Tag. Henry lässt mir keine Geschenke zukommen, wie es einem Bräutigam seiner Braut gegenüber gebührt. Auch von seiner Mutter kommt kein einziges Wort. Statt geschäftigem Treiben, wobei sich der neue König und der neue Hof, darauf bedacht, einen guten Eindruck zu machen, mit einer Unzahl widerstreitender Anweisungen gegenseitig überbieten, herrscht nur Schweigen, das mit jedem Tag lauter dröhnt.

«Wir werden nicht zur Krönung eingeladen», sage ich mit tonloser Stimme zu meiner Mutter, als ich allein mit ihr bin. Sie hat mich in dem Schlafgemach, das ich mit Cecily teile, aufgesucht, um mir gute Nacht zu sagen. «Es ist offensichtlich, nicht wahr?»

Sie schüttelt den Kopf. «Ich glaube auch nicht, dass wir eingeladen werden.»

«Warum will er mich nicht dabeihaben?»

Langsam geht sie zum Fenster und betrachtet den silbernen Mond am dunklen Nachthimmel. «Ich glaube, sie wollen keine Yorks in der Nähe des Throns.»

«Wieso nicht?»

Sie schließt die Fensterläden, als wollte sie das silbrige Licht aussperren, das auf sie scheint und ihr ein überirdisches Strahlen verleiht. «Ich weiß es nicht mit Gewissheit. Doch wenn ich Henrys Mutter wäre, würde ich wohl auch nicht wollen, dass mein Kind, ein Prätendent, ein Usurpator, ein König allein