Amen und Aus – Der Weg nach Roosvelt Skys – Eine Dystopie - Roland Heller - E-Book

Amen und Aus – Der Weg nach Roosvelt Skys – Eine Dystopie E-Book

Roland Heller

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Beschreibung

Die Welt nach dem Ende.
Eine pilzartige Seuche breitete sich rasend schnell aus einem Militärlabor über die ganze Welt aus, die bereits am Ende zu sein scheint. Naturkatastrophen … wo man auch hinschaut. Aufstände, Endzeitstimmung – die Welt versinkt im Chaos.
Das Chaos ist der Alltag. Schlimmer konnte es doch wohl kaum kommen, oder?
Die überlebende »Bestie Mensch« hat begonnen, den zerfallenden Rest von Zivilisation sich untertan zu machen. Und die wenigen versprengten Flecken von »Zivilisation« scheinen nun ebenfalls dem Untergang geweiht.

AMEN UND AUS


»Der Weg nach Roosvelt Skys« ist Hoffnungsschimmer und gleichzeitig Schwanengesang. Der Lack dessen, was man gemeinhin Zivilisation nennt, ist abgeblättert und lässt das finstere Mittelalter fast in einem noch harmlosen Licht erscheinen.

Band 1 der Trilogie.

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Roland Heller / Marten Munsonius

 

 

Amen und Aus

 

Der Weg nach Roosvelt Skys

 

 

Eine Dystopie

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer mit Bärenklau Exklusiv, 2023

Lektorat/Korrektorat: Antje Ippensen

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

 

Alle Namen, Personen und Taten, Firmen und Unternehmen, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären also rein zufällig.

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Amen und Aus 

Der Weg nach Roosvelt Skys 

Personenregister 

Buch 1: Der Himmel aus einer einzigen Wolke 

1 – Ich versuche zu rennen, aber ich kann nicht weglaufen 

2 – Aus Buzz Carpenters Tagebuch 

Mit dem unnachgiebigen Mörder Zeit – bist du allein (1) 

3 – Nur mit Wind und Zeit bedeckt 

4 – Aus dem Tagebuch von Buzz Carpenter 

Mit dem unnachgiebigen Mörder Zeit – bist du allein und für immer (2) 

5 – Der Samen sucht sich seinen Landeplatz nicht aus – er fällt, wohin der Wind ihn treibt 

6 – Aus dem Tagebuch von Buzz Carpenter 

Mit dem unnachgiebigen Mörder Zeit – bist du allein (3) 

7 – Für Speis und Trank – und Mord und Gaunerei gibt’s dazu 

BUCH 2: … und ewig stirbt es sich in den Wäldern 

1 – Was der Barde erzählt 

2035 – Wer Sturm sät … 

2 – Gegen den unverrückbaren Himmel stehen 

3 – Des Waldes tiefes Dunkel zieht mich an, doch muss zu meinem Wort ich jetzt stehen und viele, viele Meilen noch gehen 

4 – So geht die Morgendämmerung in den Tag über – nichts kann bleiben auf ewig 

5 – Aus dem Tagebuch von Buzz Carpenter 

Zünde eine Kerze an und mach weiter 

BUCH 3: Und dieselbe schwarze Galle, die dem Ende der Welt gleicht 

1 – Was der Barde erzählt 

Lasst uns erinnern an Auswege – die wir nicht gefunden haben 

2 – Glaube oder Falle 

3 – Ein letzter Lebender bin ich nur, der wandelt (1) 

4 – Aus Buzz Carpenters Tagebuch 

Zünde eine Kerze an und mach weiter (2) 

5 – Ein letzter Lebender bin ich nur, der wandelt (2) 

6 – Aus Buzz Carpenters Tagebuch 

Zünde eine Kerze an und mach weiter (3) 

7 – Ein letzter Lebender bin ich nur, der wandelt (3) 

BUCH 4: Something's got to get 

1 – Die Nachtigall vergaß zu singen 

2 – Wer Sturm sät … 

3 – Was der Barde zu erzählen wusste 

Als die Welt geboren wurde, fing sie bereits ein bisschen an zu enden (1) 

4 – Kein Schimmer von Mondschein erhellt die tote Straße 

5 – Aus Buzz Carpenters Tagebuch 

Zünde eine Kerze an und mach' weiter 

6 – Die verlassenen, armen Gassen … 

7 – Was der Barde erzählte 

Als die Welt geboren wurde, fing sie schon ein bisschen an zu enden (2) 

8 – Die verlassenen armen Gassen (2) 

BUCH 5: Unter der Treppe, wo immer noch die Gasuhr tickt 

1 – Dereinst und irgendwo nach Jahr und Jahr 

2 – Was der Barde erzählte 

Wer verzagend das Steuer loslässt, der ist im Sturm verloren. 

3 – Ich bin ein Märchen, ein Traum, Sehnsuchtsort, Hunger und Durst zugleich 

 

Das Buch

 

 

 

Die Welt nach dem Ende.

Eine pilzartige Seuche breitete sich rasend schnell aus einem Militärlabor über die ganze Welt aus, die bereits am Ende zu sein scheint. Naturkatastrophen … wo man auch hinschaut. Aufstände, Endzeitstimmung – die Welt versinkt im Chaos.

Das Chaos ist der Alltag. Schlimmer konnte es doch wohl kaum kommen, oder?

Die überlebende »Bestie Mensch« hat begonnen, den zerfallenden Rest von Zivilisation sich untertan zu machen. Und die wenigen versprengten Flecken von »Zivilisation« scheinen nun ebenfalls dem Untergang geweiht.

 

AMEN UND AUS

 

»Der Weg nach Roosvelt Skys« ist Hoffnungsschimmer und gleichzeitig Schwanengesang. Der Lack dessen, was man gemeinhin Zivilisation nennt, ist abgeblättert und lässt das finstere Mittelalter fast in einem noch harmlosen Licht erscheinen.

Band 1 der Trilogie.

 

 

***

Amen und Aus

 

Der Weg nach Roosvelt Skys

 

 

Personenregister

 

Ortschaft Strathen – südwestlich des Yellowstone Parks liegend

Ranch Saratoga – südwestlich des Yellowstone Parks gelegen

Shirley – eine Suphur-Geschädigte 

Buzz Carpenter – er bricht zu einer abenteuerlichen Reise auf

Sarah Carpenter – seine Schwester

Flora Carpenter – die Mutter von Buzz und Sarah

Stiff Carpenter – der Vater von Buzz und Sarah

Mortimer – Arzt in einer untergegangenen Welt

Mojack – der Fremde

Raymon Saratoga – der Farmer

Ruther Saratoga – der alte Farmer, Vater von Raymon

Marilyn Sutherland – Technikerin, 25 Jahre alt

Noa Lee Buffalo – Army-Veteran, 50 Jahre alt

Anna Engel – die Freundin von Buzz, 25 Jahre alt

Sonny Rhimes – Farmer und Suphur-Geschädigter 

Herbert Jackson – ein Techniker

Mathilde – sie führt den Saratogas den Haushalt

Bill Gibbon – Siedlervertreter in Saratoga

Lilly – Nachbarskind von Buzz in Strathen

 

Jeremy Suphur – Wissenschaftlicher Leiter eines geheimen Labors

Major Cummings – Militärischer Leiter des Labors

Samantha Higgins – Leiterin der Sicherheitskontrolle

Dafydd Palmer – Barde, umherstreifender Sänger in einer postapokalyptischen Welt

Dolores – Nachbarin von Buzz in Strathen

Lotte Frost – Anführerin der Marodeure in Wyoming

Zack Luger – Stellvertreter von Lotte Frost

Melissa Albert – ehemalige Social Media Queen

Lee Pollock – er ist so etwas wie Bürgermeister in Dem Dorf 

Jack Kronos – Werkstattleiter in Dem Dorf 

Jemma Jones – der Aufenthalt im Frauenpferch hat ihren Geist verwirrt.

Lyle Sherman – Wissenschaftler in Helena

Mira – sie führt durch die Klinik in der Zuflucht von Helena

 

 

INHALT

BUCH 1 – DER HIMMEL AUS EINER EINZIGEN WOLKE

BUCH 2 – … UND EWIG STIRBT ES SICH IN DEN WÄLDERN

BUCH 3 – UND DIESELBE SCHWARZE GALLE, DIE DEM ENDE DER WELT GLEICHT

BUCH 4 – SOMETHING'S GOT TO GET

BUCH 5 – UNTER DER TREPPE, WO IMMER NOCH DIE GASUHR TICKT

 

 

***

Buch 1: Der Himmel aus einer einzigen Wolke

 

 

1 – Ich versuche zu rennen, aber ich kann nicht weglaufen

 

 

Shirley entdeckte den Fremden zuerst.

Sie arbeitete auf ihrem Feld und zupfte das Unkraut zwischen den frisch sprießenden Stängeln, die sich zu mächtigen Getreideähren entwickeln sollten. Sie hatte dieses kleine Feld für sich persönlich angelegt. Hier konnte sie in Ruhe und in ihrer Geschwindigkeit all die Arbeiten erledigen, die zwischen Saat und Ernte anstanden. Und dazwischen, sofern die ständigen Schmerzen sie nicht ablenkten und ihr Zeit ließen, konnte sie all jene Probleme und Gedanken durchgehen, die sie beschäftigten.

Shirley war jetzt knapp dreißig Jahre alt.

Dreißig Jahre eines verkorksten Lebens, wie sie bei sich dachte.

Fast die Hälfte dieser Zeit hatte sie noch wie jedes junge Mädchen verbringen können. Sie war gerade im Teenageralter, als ihre Misere begann. Sie erinnerte sich noch, wie es war, verliebt zu sein. Ja, sie war oft verliebt, damals. Jeder Tag ein neuer Schwarm. Fast täglich fiel ihr ein anderer der Jungs auf.

Ein erster Bartflaum – breiter werdende Schultern. Ein frecher Blick, der sie zu durchbohren schien und süße Versprechungen machte. Bei dem einen gefiel ihr das, bei einem anderen war es gerade wieder das Gegenteil. Sie war hin- und hergerissen.

Und ihren Freundinnen erging es ähnlich wie ihr. Stundenlang konnten sie schwätzen und sich über die Jungs auslassen.

Bis sie einen Jungen einmal näher kennenlernte. Er schien ihre Gefühle sogar zu erwidern.

Doch plötzlich war alles zu spät. Vergangenheit und Gegenwart vermischten sich in ihren Gedanken.

Der Fremde, der am Waldesrand aufgetaucht war, war auf den ersten Blick ein gutaussehender Mann. Das konnte sie selbst durch die dicke Kleidung erkennen. Und vielleicht, weil sie wusste, dass sie nie zusammenkommen konnten? Plötzlich loderte der vertraute Funken einer aufkeimenden Leidenschaft in ihr auf.

Sie schüttelte unwillig den Kopf über ihre Gedanken. Aber träumen durfte man ja.

Weshalb brachte der Anblick eines Fremden ihr jedes Mal die Erinnerung an ihren ersten Freund zurück? War es vielleicht deshalb, weil sie sich zu lange geziert hatte? Ihr Freund wollte – sie wollte, aber … irgendwie hatten sie jede Chance verpasst. War das die Strafe dafür, weil sie im Geheimen damals gedacht hatte, sie hätte einen Besseren verdient?

Eigentlich war es nicht ihre Art, sich von der Arbeit ablenken und ihre Blicke in die Ferne schweifen zu lassen, doch etwas musste diesmal zusätzlich ihre Aufmerksamkeit erregt haben. Wahrscheinlich war es die hastige Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Und die Richtung, in der sie die Bewegung wahrgenommen hatte, spielte natürlich auch eine Rolle, denn dort lag Strathen. Und die Kleinstadt lag außerhalb der Kontrolle von Saratoga.

Mehrere Freunde hatten ihr erst vor einem halben Jahr geholfen, diese Fläche zu roden. Sie lag am Rande jenes Gebietes, das die Bewohner allgemein Saratoga nannten. Eine Oase des Friedens und der Sicherheit. Das war selten geworden in dieser Welt, die von einer Katastrophe in die nächste schlitterte – bis alles zu spät war.

Ihre Finger waren zu Krallen verformt und besaßen nicht einmal mehr die Hälfte der Beweglichkeit der Gesunden. Kraft war jedoch noch in ihnen vorhanden.

Shirley haderte nicht mit ihrem Schicksal. Sie konnte immerhin noch fast alles tun, langsamer zwar, aber immerhin blieb sie eingeschränkt beweglich. Da gab es andere Krankheitsverläufe, abgesehen davon, dass die meisten ohnehin starben, die vom Pilz infiziert worden waren.

Sie hatte ihr Schicksal akzeptiert. Aber in Gedanken, in ihren Träumen lebte sie ein anderes, ein früheres Leben.

Skye hieß er.

Das passte irgendwie zu ihm, dachte sie manchmal, denn in seinem Gesicht tummelten sich haufenweise Sommersprossen.

»Das sind die Sterne meines Himmels«, pflegte er zu sagen. Skye war ein Träumer. Er malte sich lieber in Gedanken Dinge in den schönsten Farben aus als mit seiner Hände Arbeit Dinge Wirklichkeit werden lassen. Sie waren nicht immer gleicher Meinung gewesen, hatten fleißig diskutiert und manchmal mit unlauteren Argumenten sich gegenseitig zu überzeugen versucht, aber sie hatten sich nie ernsthaft gestritten. Scherzhaft bezeichneten ihre Freundinnen sie bereits als altes Ehepaar.

Dann erwischte sie ihn eines Tages, wie er seine Augen kaum von einer anderen lassen konnte. Die andere war eine richtige Tussi. Aufgetakelt, geschminkt, Brust und Po bestens in Szene gesetzt. Die andere spielte mit der erotischen Ausstrahlung ihres Körpers. Wusste sich bestens in Szene zu setzen. Shirley fühlte sich zunehmend hilflos. Da merkte sie das erste Mal, dass sie kämpfen musste, wenn sie ihren Skye halten wollte.

Sie probierte es, doch es lag ihr nicht, sich auf reine Körperlichkeit reduzieren zu lassen. Er gestand ihr später, dass er seine sexuelle Erfüllung bei der anderen gefunden hatte.

Ihre Zweisamkeit ging in die Brüche.

Der anfängliche Schmerz verging, aber sie stellte fest, dass Skye in ihren Träumen immer wieder auftauchte. In ihren Tagträumen und auch nachts, wenn sie fest schlief und ihre Muskeln zuckten. Er war ständig präsent.

Und dann fing er sich die Seuche ein, den Pilz, später bekannt als Suphur.

Es gab Shirley nicht einmal eine Genugtuung, als die Neue ihn von einem Tag auf den anderen verließ. Sie handelte eben wie eine echte Tussi.

Bei Skye ging es schnell.

Der Pilz fraß sich in seinen Körper, veränderte seine Muskelstruktur. Nach einem Monat konnte er seine Krankheit nicht mehr kaschieren. Kein Gewand war weit genug, um die Mitmenschen zu täuschen.

Mitleid hatte außer seiner Familie vor allem Shirley. Sie besuchte ihn im Krankenhaus.

Natürlich hatte sie alle Sicherheitsmaßnahmen beachtet.

Sie erfuhr nie, wo sie sich den Pilz eingefangen hatte. War es während ihres Besuchs bei Skye oder hatte er sich bei einer anderen Gelegenheit in ihrem Körper eingenistet?

Shirley mochte nun vielleicht dreißig Jahre alt sein, aber sie sah eher aus wie sechzig. Ihre schwarzen Haare standen wirr von ihrem Kopf ab und verliehen ihr ein irres Aussehen. Allzu viele Haare waren ihr zwar nicht mehr verblieben, aber genug, um die ärgsten verschorften Wunden auf ihrer Kopfhaut lediglich erahnen zu lassen; sehen konnte man sie in aller Deutlichkeit nicht mehr.

Shirley war erschreckend dünn und man traute ihr, wenn man sie unvoreingenommen abschätzte, absolut keine Power mehr zu, doch das täuschte. In ihr steckte noch viel Kraft – und noch mehr Energie, und vor allem ein unbändiger Wille zum Überleben.

Der Fremde stand auf einmal auf der Lichtung. Vor wie vielen Minuten genau er aus dem Wald getreten war, konnte sie nicht sagen. Sie sah ihn auch nicht genau, denn zwischen ihn Sehen und Schreien war sicherlich nicht mehr Zeit verstrichen als einige Sekunden!

Mit dem ersten Ton, der ihre Lippen verließ, verschwand auch der Fremde. Shirley glaubte, dass er sich in Deckung begeben hatte, war sich aber nicht sicher. Die Vermutung lag jedoch nahe, denn Gefahr lauerte überall.

Er musste sich geduckt haben oder war hinter einem natürlichen Hindernis abgetaucht, denn weglaufen hatte sie ihn nicht gesehen.

So hoffte sie zumindest, denn das bedeutete, dass er sie nicht gleich angreifen wollte. Wenn er vorhatte, sie zu überfallen – und sie ging davon aus, dass er sie ebenfalls gesehen hatte – war sie so gut wie hilflos, denn mit ihren verkrüppelten Beinen konnte sie ihm nicht einfach davonlaufen.

Obwohl, versuchen würde sie es, wenn es so weit kam, dass Flucht der einzige Ausweg blieb. Die schwärenden Wunden an ihren Beinen waren augenblicklich in einer Phase, die auf Besserung schließen ließ, aber so oft hatte sie bereits die Hoffnung getrogen – und die Wunden waren stärker hervorgetreten, der Schmerz immer ein wenig glühender zurückgekehrt.

Verdammter Pilz! Verdammtes Suphur!

Auch Shirley hatte sich inzwischen tief auf den Boden geduckt, aber das Getreide stand noch nicht hoch genug, als dass es ihr als Deckung auch nur in irgendeiner Weise hätte wirklich helfen können, unentdeckt zu bleiben.

Ihr kurzer, spitzer Schrei war aber gehört worden.

Mit weitausholenden Schritten kam Buzz Carpenter auf sie zugelaufen. Er wusste immerhin, wo sie ihr Feld angelegt hatte – er war dabei gewesen, als sie die ersten Rodungsversuche unternommen hatte.

Buzz, der Junge aus dem Dorf Strathen, hatte sich zu einem prächtigen Burschen entwickelt. Er war groß gewachsen und schlank. Seine braunen Haare trug er für ihren Geschmack etwas zu lang. In ungekämmten Zotteln hingen sie bis fast auf seine Schultern herab. Wenn er im Sommer mit bloßem Oberkörper auf dem Feld arbeitete, konnte man seinen herrlichen muskelbepackten Körper bewundern. Shirley gab es unverhohlen zu, dass sie ihre Blicke gerne auf seinem Oberkörper ruhen ließ. Etwas anderes als Schauen konnte sie ja nicht mehr tun. Seit der Pilz in ihr gewütet hatte, war ihr Körper für keinen Mann mehr interessant.

Buzz kam von einem Patrouillengang zurück. Der Wald, der sich rings um ihre Enklave erstreckte, wurde in regelmäßigen Abständen kontrolliert. Die Bewohner von Saratoga hatten eine Reihe von Fallen installiert, die sie rechtzeitig warnen sollten, wenn umherstreifende Marodeure sich in der Gegend herumtrieben, doch diese Vorsichtsmaßnahme bot keinen absoluten Schutz. Also mussten zusätzliche Kontrollgänge absolviert werden. Und von einem dieser Gänge kehrte Buzz gerade zurück.

Als er auf die Lichtung trat, galt sein erster Blick Shirley. Nachdem er sie offensichtlich unverletzt, wenn auch in gespannter kauernder Haltung vorfand, galt erst sein zweiter Blick der Umgebung.

Ein steter, jedoch nicht zu heftiger Wind strich seit Tagen über das Land. Er genügte, die Spitzen der Gewächse in Bewegung zu halten, und das Gras auf dem Boden, über das der Wind in wellenförmigen Wogen strich. Buzz eilte zu Shirley. Da er während seines Patrouillenganges nichts Auffälliges entdeckt hatte, erwartete er auch hier keine Gefahr.

Sicher sein konnte man sich jedoch nie.

Ihr ausgestreckter Arm wies ihm die Richtung.

Sie sagte etwas, aber der Wind kam aus der falschen Richtung und er verstand nur einige Silben.

»Da – ist – ein – Fremder«, meinte er zu hören, war sich aber nicht sicher.

Shirley zählte zu den Überlebenden der Suphur-Krankheit. Deshalb tat sie sich schwer beim Artikulieren gewisser Wörter, besonders wenn sie vor Aufregung schnell etwas sagen wollte. Und der Wind tat sein Übriges.

Bis zum Waldrand waren es etwa siebzig Yards. Buzz Carpenter heftete seine Augen auf den Boden, als er sich in Bewegung setzte. Vor jedem Schritt musterte er aufmerksam das Gelände vor ihm. Dann entdeckte er den ersten roten Farbtupfer. Der Farbtupfer wich von den unterschiedlichen Grün- und erdfarbenen Tönen der Vegetation ab.

Das Gewand des Fremden.

Buzz achtete auf jede Bewegung des Fremden, doch der rührte sich nicht, blieb still.

Das Gewehr in Buzz‘ rechter Hand zitterte leicht. Es war in Sekundenschnelle schussbereit.

Er tat den nächsten Schritt auf den Farbtupfer zu, der ihm ins Auge gefallen war. Dann tat er einen weiteren Schritt. Das Bild wurde klarer. Nach ein paar vorsichtigen weiteren Schritten konnte er die Konturen eines Körpers ausmachen, der bewegungslos dalag.

Buzz atmete erleichtert auf. Der Fremde war entweder tot oder bewusstlos.

Die letzten Schritte legte er im Eiltempo zurück, die Waffe fest umklammert, dann beugte er sich vorsichtig zu dem Fremden hinab.

Der Fremde war bei Bewusstsein. Seine Augen waren offen und blickten ihm erwartungsvoll entgegen.

»Friede«, hauchte eine Stimme. Sie besaß kaum noch die Kraft, dieses Wort verständlich herauszustoßen.

Mit einem schnellen Blick überzeugte sich Buzz, dass von dem Mann keine Gefahr drohte. Neben seiner rechten Hand lag zwar eine Waffe, aber kein Finger berührte diese Waffe. Um die Waffe zu ergreifen, hätte sich der Fremde herumdrehen müssen. Dazu besaß er offensichtlich keine Kraft mehr. Auf seiner Schulter hatte ein Blutfleck sein Obergewand tiefrot gefärbt. Diesen roten Fleck hatte Buzz zuerst wahrgenommen.

Buzz kniete sich neben den Fremden auf den Boden. Bei dieser Bewegung wischte er wie unabsichtlich die Waffe des anderen beiseite. Sein rechtes Knie kam dort auf, wo vorher die Waffe gelegen hatte.

»Bleib ruhig, wir tun dir nichts«, beruhigte Buzz den Fremden, der den Mund zum Sprechen öffnen wollte, dem es aber sichtlich schwerfiel, etwas zu sagen.

Mit einem schnellen Blick entschied Buzz, wie gefährlich die Verwundung für den Fremden war, dann atmete er erstmals tief durch. Wenn er bis jetzt überlebt hatte, dann würde er auch ein paar weitere Minuten lebendig schaffen können.

»Halte durch. Ich hole sofort Hilfe!«, sagte Buzz Carpenter.

»Hältst du so lange durch?« Fragend blickte er auf den Fremden, bis dieser ein Nicken zustande brachte.

Gleich darauf lief Buzz auf Shirley zu. Normalerweise beteiligten die Immunen die Suphur-Geschädigten bei Geschäften jeglicher Art nicht, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Jetzt brauchte er ihre Hilfe.

»Lauf ins Dorf und hole Hilfe«, befahl er und blickte Shirley eindringlich an. Hatte sie ihn verstanden?

Buzz drängte es danach, zu dem Fremden zurückzukehren. Instinktiv ahnte er, dass er schnell Hilfe benötigte. Shirley konnte ihm diese Erste Hilfe nicht leisten. Er musste sie in das Dorf schicken.

»Hilfe! Arzt!«, wiederholte Buzz. Diese beiden Worte konnte Shirley sicherlich auch bei höchster Aufregung verständlich aussprechen.

»Alles wird gut«, erklärte er betont sachlich.

»Der Fremde ist angeschossen worden, er wird durchkommen, und er scheint friedlich zu sein.« Das sagte er hauptsächlich, um die Frau zu beruhigen. Wenn sie zu hektisch wurde, stolperte sie auf dem Weg womöglich und dann dauerte es noch länger, bis Hilfe kam.

»Geh! – Hol – Hilfe!«, wiederholte er drängend, und diesmal nickte die Frau, erhob sich zu ihrer vollen Größe und lief auf ihren verkrüppelten Beinen Richtung Dorf.

Buzz blickte ihr nur drei Schritte nach, dann war er zuversichtlich, dass sie ihr Möglichstes tat. Sie würde laufen, bis sie völlig erschöpft im Dorf ankam.

Anschließend kehrte er zu dem Fremden zurück. Der lag noch genauso da, wie er ihn verlassen hatte. Sein Atem ging ruhig, aber er blutete nach wie vor.

Vorsichtig zog ihm Buzz sein Obergewand aus und dort, wo er nicht weiterkam, weil der Körper auf dem Gewand lag und er sich nicht getraute, den Verletzten allzu heftig zu bewegen, half er einfach mit seinem Messer nach und schnitt den Stoff seiner Kleidung durch und legte auf diese Weise die Wunde großflächig frei. Das Loch in seiner Schulter war auf der Vorderseite etwa so groß wie eine der alten Münzen, welche die Alten als Dollar bezeichneten. Aus dieser Wunde trat kaum Blut aus. Er tupfte die Verletzung ab, bis er erkennen konnte, dass hier die Blutung zum Stillstand gekommen war.

Vorsichtig rollte Buzz den Fremden auf die Seite, bis er den Austritt an seiner Rückseite im Blickfeld hatte. Einmal stöhnte der Fremde laut auf, doch als er stabil auf der Seite lag, entspannte sich der Körper schnell. Buzz erkannte dies an dem ruhigen Atem, der wieder gleichmäßig und regelmäßig kam.

Er legte die Wunde am Rücken ebenfalls frei. Das Loch auf der Rückseite, dort, wo die Kugel den Körper wieder verlassen hatte, sah fürchterlich aus. Es war groß wie drei nebeneinander gelegte Münzen. Die Wundränder waren zerrissen und sahen unregelmäßig gezackt aus. Aus den Stofffetzen des Obergewandes schnitt er einen provisorischen Verband und versuchte die Blutung, so gut er es vermochte, zu stillen. Da die Wunde eine Ein- und Austrittsöffnung aufwies, nahm Buzz es als sicher an, dass in dem Körper keine Kugel mehr steckte. Ob die Kugel einen Knochen getroffen hatte, konnte er mit seinem beschränkten Wissen nicht feststellen, aber da der Schusskanal relativ gerade verlief, hoffte er, dass es sich um einen reinen Durchschuss handelte.

Er faltete seinen Überwurf zu einem Knäuel, presste ihn auf die Austrittswunde und drehte den Fremden vorsichtig zurück in die Rückenlage, wo das Gewicht die Blutung hoffentlich stillen würde.

Der Fremde stöhnte kurz auf und die Augenlider flackerten.

»Halte durch«, mehr konnte er nicht tun.

Der Fremde atmete nun relativ ruhig. Er blieb neben ihm an seinem Oberkörper, wo er weiter etwas Stoff auf die Wunde presste. Er beugte sich etwas nach vorn, um ihm direkt ins Gesicht sehen zu können.

»Du hast Saratoga erreicht«, sagte er zu ihm. »Ich weiß nicht, ob du uns gesucht hast oder ob du ein anderes Ziel hattest … oder ob du uns zufällig gefunden hast …«

Der Fremde bewegte die Lippen, versuchte etwas zu sagen, aber außer einem Krächzen brachte er nichts zustande.

»Du kannst uns deine Geschichte erzählen, wenn es dir besser geht«, flüsterte Buzz beruhigend. »Vorerst bist du einmal bei uns in Sicherheit. In Saratoga haben wir zumindest ein paar der Errungenschaften der Alten bewahren können. Wir sind …«, er zögerte, »ein Haufen Leute, darunter auch eine Kolonie Suphur-Geschädigter. Aber viele sind gesund und offenbar immun gegen den Pilz. Wir brauchen sie also nicht zu verjagen. Du bist hoffentlich ebenfalls immun. Wäre schade, wenn wir dich an den Pilz verlieren. Du weißt ja, dass von zehn Befallenen neun daran sterben …«

So redete Buzz, bis er merkte, dass der Fremde ihm nicht mehr zuhörte, die Augen flatterten noch einen Moment, dann war er bewusstlos geworden oder vor Erschöpfung eingeschlafen.

Er war auch noch weggetreten, als die Helfer aus dem Dorf kamen. Sie brachten eine Tragbahre mit. Und Mortimer war ebenfalls mitgekommen.

Mortimer verstand eine Menge von der Heilkunst.

Von den Leuten im Dorf wurde er als Arzt bezeichnet. Ein Ausdruck, den er selbst nie benutzte, denn er hatte weder Medizin studiert noch war er bei einem richtigen Arzt in die Lehre gegangen oder hatte zuvor die letzten intakten Universitäten besucht, aber er hatte viel aus alten Büchern gelernt – und zwangsweise am lebenden Objekt sein Können und Wissen beweisen müssen. Welch ein Glück, dass es unter ihnen jemanden gab, der dafür ein so starkes Interesse aufgebracht hatte.

Als sie den Fremden auf die Bahre gelegt hatten, untersuchte ihn Mortimer. Im Anschluss daran, als der Fremde einen neuen Verband umgelegt bekommen hatte, nickte Mortimer Buzz anerkennend zu.

»Gratuliere, Buzz. Du hast alles richtig gemacht. Wenn du zu mir in die Lehre gehen willst, bist du jederzeit willkommen.« Mortimer sagte das nicht ohne Hintergedanken, denn er näherte sich seinem siebzigsten Lebensjahr – wenn er sich nicht verzählt hatte, wie er immer betonte. Für die anderen machte er zwar noch einen rüstigen Eindruck, er selbst aber spürte das Alter in den Knochen und bemerkte mit Schrecken, wie schwer ihm gewisse Dinge bereits jetzt fielen. Manch alte Angewohnheiten, die ihm lieb und teuer waren, brachte er nur noch mit Mühe zustande – und auch das nur, wenn er sich beobachtet fühlte. Wenn er allein war, saß er am liebsten in einem bequemen Sessel und erlebte seine Abenteuer im Kopf.

Mortimer seufzte. Ja, er kannte Buzz und wusste, dass dem Jungen etwas anderes vorschwebte. Schade, dachte der alte Mann, aber auf ihn ist Verlass. Wenn Not am Mann war, handelte er. So gut kannte er Buzz. Welch ein Glück, dass er damals mit seinem Vater in Saratoga geblieben war.

Zu viert hoben sie die Bahre in die Höhe und trugen sie vorsichtig zurück.

 

*

 

Buzz Carpenter war anwesend, als der Fremde, der sich später nur als Mojack bezeichnete, wieder ins Bewusstsein zurückkehrte.

Während des Transportes war der Fremde nicht wieder zu sich gekommen. Mortimer kam das gelegen, denn gleich nach der Ankunft und nachdem sie ihn in das erste freie Bett gelegt hatten, untersuchte er ihn genau. Er säuberte und desinfizierte die Wunde gründlich und sorgte dafür, dass die Wundränder geglättet wurden und nicht mehr zerrissen aussahen, ehe er ihn nähte und dann einen festen Verband anlegte. Die anschließende Untersuchung des restlichen Körpers brachte eine Unzahl kleinerer Verwundungen zutage, die größtenteils schon längere Zeit zurücklagen und sich in den verschiedensten Stadien des Heilungsprozesses befanden.

Der alte Raymon Saratoga hatte Mortimer assistiert. Als Mortimer sich schließlich von dem Bett erhob und in einer Waschschüssel gründlich seine Hände schrubbte, hörte er den Farmer sagen: »Woher mag er nur kommen?«

»Er wird es uns bald erzählen können«, stellte Mortimer nüchtern fest.

»Kannst du mir bereits etwas über ihn sagen?«, fragte Raymon Saratoga den alten Heilkundigen. »Er schaut nicht aus wie jemand, der aus dem Elend kommt.«

»Woraus schließt du das?«

»Sieh dir seine Hände an«, riet Raymon. »Er mag eine lange und gefahrreiche Reise hinter sich gebracht haben, aber er hat garantiert sein ganzes Leben nicht in der Wildnis verbracht.«

Mortimer nickte bestätigend.

»Du hast es also auch bemerkt«, sagte er. »Er macht einen gepflegten Eindruck. Man muss sich nur seine Nägel ansehen. Sowohl Füße wie auch Finger. Die Spuren der letzten Tage sind zwar nicht zu übersehen, aber der Gesamteindruck bleibt der eines auf Körperhygiene achtenden Menschen. Niemand, der im täglichen Überlebenskampf steht, nimmt sich für die tägliche Pflege so viel Zeit.«

Raymon entdeckte Buzz Carpenter, der seinen Kopf zur Tür hereinstreckte.

»Ist er bereits wach?«, wollte der junge Mann wissen.

»Nein, aber du kommst mir wie gerufen. Schließlich hast du ihn gefunden und gesprochen.«

»Eigentlich war es Shirley …«

»Shirley ist eine Suphur-Geschädigte. Sie hat ihn gesehen, aber weder gesprochen noch berührt. Ich will ihr den Verdienst nicht absprechen, aber sie bringt uns nicht weiter. Welchen Eindruck hattest du von ihm?«

»Sein erstes Wort war Friede«, erklärte Buzz nun bereits zum wiederholten Male. »Und aus seinen Augen sprachen Ehrlichkeit und die Hoffnung, dass ich diesen Frieden akzeptieren möchte und erwiderte. Ich bemerkte sofort, dass ihm das Sprechen schwerfiel, also habe ich mich nicht lange um eine Unterhaltung bemüht.«

»Was ich wissen will: Du glaubst, dass er es ernst meint?«

»Das mit dem Frieden? Ja, davon bin ich überzeugt. Er war ja bewaffnet, aber ich hatte irgendwie gleich den Eindruck, dass er die Waffe nur zur Verteidigung braucht. Es lag ihm fern, mich damit zu bedrohen.«

»Das bestätigt unseren ersten Eindruck«, meinte Raymon zuversichtlich.

»Bleib hier, wenn du willst«, sagte Mortimer. »Er muss gleich aufwachen. Vielleicht ist es günstig, wenn er ein Gesicht erblickt, das er bereits kennt.«

Als wären seine Worte ein Signal gewesen, kam Leben in den Fremden.

Zuerst flackerten nur seine Lider und aus seinem Mund drang etwas, das sich wie das Summen einer Melodie anhörte, etwas, woran sich der Körper und der Geist des Fremden klammern wollte, um wieder in das Leben zurückzukehren. Diesen Eindruck bekam zumindest Buzz Carpenter, als er gespannt das allmähliche Erwachen mitverfolgte.

Mortimer wischte ihm mit einem gekühlten Tuch über die Stirn.

»Du bist bei Freunden«, sagte er und bemühte sich, einen beruhigend klingenden Ton in seine Stimme zu legen. Anscheinend half dies, denn die Augen des Fremden öffneten sich und blickten klar in die seines Gegenübers.

»Bei Freunden? Gott sei es gedankt«, murmelte der Fremde. Seine Augenlider flackerten noch einmal ganz kurz. Sein Gesicht verzog sich. Eine Welle des Schmerzes ging wohl durch den geschundenen Körper.

»Du bist angeschossen worden«, stellte Mortimer fest.

»Warst du in einen Kampf verwickelt? Hast du jemandem einen Grund dazu geliefert?«, fragte Raymon Saratoga.

»Sucht dich jemand? Müssen wir uns auf eine Verteidigung einstellen?« Tiefe Sorge sprach aus dem Oberhaupt der Gemeinschaft. Er musste wissen, ob seiner Enklave Gefahr drohte. Aus seinen Fragen sprach die Ungeduld, die Ungewissheit möglichst bald zu überwinden. Er musste wissen, wie es um die Sicherheit ihrer kleinen Gemeinschaft stand.

»Ich suche Menschen«, flüsterte der Fremde. »Ich habe keinen Kampf gesucht.«

»Es gibt noch zahlreiche Überlebende …«, begann Raymon, doch diesmal unterbrach ihn der Fremde.

»Es sind Wilde! Barbaren!« Die beiden letzten Worte stieß er wild und wütend hervor. Zudem schien ihn das Aussprechen dieser Wörter enorm viel Kraft gekostet zu haben, denn ein hörbarer Seufzer begleitete den letzten Ton und dann sank sein Kopf, den er bei dem letzten Satz etwas erhoben hatte, wieder auf das Kopfpolster zurück. Er schloss für Sekunden seine Augen und für einen Moment sah es so aus, als wollten sich seine Gesichtszüge entspannen, doch sein Mund kam nicht zur Ruhe. Die Lippen öffneten sich leicht. Fast so, als wollten sie jederzeit bereit sein, die nächsten Worte sprechen zu können.

»Wo haben sie dich erwischt? Wie weit entfernt war es, als du auf die Barbaren getroffen bist?«, fragte Raymon, der sich dicht neben Mortimer drängte und besorgt auf den Fremden herabblickte.

»Sie haben mich … gestern erwischt. Wie lange war ich bewusstlos?« Der Nachsatz kam erst dann über seine Lippen, als ihm wohl bewusst wurde, dass seine Zeitangabe nur dann einen Sinn ergab, wenn diese Sache geklärt war.

»Es können nicht mehr als drei, vier Stunden gewesen sein«, antwortete Mortimer.

»Gestern also«, wiederholte Raymon nachdenklich, dann blickte er Buzz an.

»Wie viele Leute sind gerade draußen?«, fragte er ihn.

»Mehr als fünf sicherlich nicht«, antwortete Buzz und erkannte natürlich augenblicklich, worauf Raymon hinauswollte.

Saratoga bestand, abgesehen von dem Haupthaus der Familie Saratoga, die als Namensgeber der Gemeinschaft galt, aus einer Ansammlung von kleinen Häusern, die rings um das Ranchgebäude mit seinen Stallungen entstanden waren. Das Haupthaus war im Stil eines klassischen Ranchhauses, wie sie seit Ewigkeiten gebaut wurden, errichtet worden und seither von fast jedem Besitzer um- und ausgebaut worden, wie es eben seinem Geschmack entsprach. Es wirkte nicht wie ein Gebäude, sondern wie ein Konglomerat, das allen Stil- Geschmacksrichtungen entgegenkommen sollte. Der alte Raymon Saratoga lebte nun allein in dem riesigen Gebäude. Es kam nicht selten vor, dass er sich wie verloren in den mit Erinnerungen vollgestopften Räumen vorkam, so dass er manche Nächte in einem der Nebenhäuser verbrachte.

Die moderne Pest, der Suphur-Pilz, hatte weit mehr als die Hälfte der Menschheit dahingerafft. Zu seinem Leidwesen war Raymon der einzige Überlebende seiner einst stolzen kleinen Familie.

Zuerst starb seine Frau, und dann, der Reihe nach, seine zwei Söhne. Zurück blieb ein verbitterter einsamer Mann, der erst neuen Lebenswillen fasste, als Überlebende auf seine Ranch stießen. Es handelte sich um drei Suphur-Geschädigte. Seltsamerweise ließ der Pilz die anderen Überlebenden in Ruhe. Und auch Raymon erkannte, dass er immun sein musste, denn so wie er die Pflege seiner Angehörigen überlebt hatte, ohne selbst von dem Pilz befallen zu werden, so zeigte er auch diesmal keine Anzeichen einer Ansteckung.

Es gab keinen Grund, die Gruppe von seiner Ranch zu verjagen.

Denn Saratoga besaß nach wie vor so etwas wie eine intakte Infrastruktur. Die Solaranlage lieferte genügend Energie und auch sonst war die Ranch nicht schlecht ausgerüstet. Es ließ sich auf ihr leben, fast wie in alten Zeiten.

Er bestand lediglich darauf, dass die Hütten der Suphur-Erkrankten in einem gewissen Abstand von dem Haupthaus errichtet werden mussten. Später, als es immer mehr wurden und neue Hütten gebaut werden mussten, verringerte sich der Abstand zu den Häusern der Immunen und bald sah es nicht mehr so aus, als wollte sie Raymon in ein abgelegenes Ghetto verbannen.

Rings um diesen bewohnten kleinen Bezirk breiteten sich die Felder und Viehweiden aus, die alles in allem eine immer noch überschaubare Fläche einnahmen. Wesentlich war, dass vom Zentrum dieser Besitzung jeder Fleck innerhalb von zehn Minuten für einen schnellen Läufer erreichbar war. Das Gebiet, das außerhalb dieser Fläche lag, wurde von den Menschen natürlich ebenfalls genutzt, zählte im strengen Sinn aber nicht mehr zu Saratoga. Raymons Frage zielte darauf, wie viele Leute aus Saratoga sich außerhalb der geschützten Zone aufhielten.

»Sieh zu, dass du sie erreichst und präge ihnen ein, dass sie darauf achten sollen, ob sich Fremde in der Gegend herumtreiben.«

»Bekämpfen?«, meinte Buzz.

»Nein, sie sollen sich rein auf das Beobachten beschränken. Und nach Möglichkeit sollen sie sich nicht sehen lassen.«

»Das brauchst du nicht zu erwähnen. Es liegt uns allen fern, die Kerle nach Saratoga zu locken.«

»Das weiß ich. Aber ich überlege, ob wir nicht demnächst Strathen einen Besuch abstatten sollen. Wir haben die Stadt zu lange unbeobachtet gelassen. Wer weiß, was sich dort in der Zwischenzeit alles getan hat.«

»Du fürchtest einen Angriff?«, erkundigte sich Buzz.

»Der Herbst steht vor der Tür«, bestätigte Raymon. »Die Lebensmittel werden knapp. Ich kenne die Leute dort. Sie halten wenig von Vorsorge.«

»Weil Diebstahl weniger Aufwand erfordert«, bestätigte Buzz. »Ich weiß das noch von früher, bevor ich zu euch gekommen bin. Jedes Mal, wenn der Herbst gekommen ist, sind wir losgezogen und haben die verlassenen Dörfer geplündert – bis es nichts mehr zum Plündern gab, weil alles schon fortgeschafft war. Wenn wir nicht verhungern wollten, mussten wir uns auf Diebstahl verlegen – bei den Nachbarn. Natürlich nicht bei unseren unmittelbaren Nachbarn. Mein Dad war die Hälfte der Zeit als Jäger unterwegs – und nur selten hat er ein ganzes Stück Wild zurückgebracht. Das ging bis zu seinem Tod so.«

»Ich kenne deinen Werdegang, Buzz«, sagte Raymon abschließend, »dir ist die Problematik bewusst, wie ich sehe. Vorerst müssen wir für unsere Sicherheit sorgen, dann können wir überprüfen, welche der umliegenden Städte und Dörfer überhaupt noch bewohnt sind.«

»Dann mache ich mich auf den Weg«, meinte Buzz Carpenter und sah zu Mortimer und dem Fremden hin. Mortimer machte einen zufriedenen Eindruck. Dem Fremden ging es demnach gut.

Er schien wieder eingeschlafen zu sein.

 

*

 

Strathen war in den letzten Jahren sichtlich verfallen.

Von den ehemals mehreren tausend Einwohnern, die in Strathen für ein lebhaftes Miteinander sorgten, waren noch knapp einhundert übergeblieben, und das waren, wenn Buzz ehrlich war, nicht unbedingt die tatkräftigsten Menschen, welche die Kleinstadt einst am Leben erhalten hatten.

In den Seitenstraßen war der Verfall am deutlichsten sichtbar, wenngleich auch die Hauptstraße inzwischen sichtbare Spuren des Niedergangs aufwies.

Früher hatte die Fahrt von der Ranch bis zur Stadt anderthalb Stunden gedauert, heute rechnete Buzz mindestens mit einem Tag für die Anreise zu Fuß.

Er war allein unterwegs. So war es ihm am liebsten, denn so kam er am schnellsten voran. Er brauchte auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Wenn er etwas entdeckte, konnte er augenblicklich entscheiden, ob sich eine genauere Untersuchung lohnte oder nicht. Wenn er mit den anderen Immunen unterwegs war, artete das manchmal in lange Diskussionen aus. Logischerweise besaß jeder von ihnen seine eigenen Vorstellungen, wie die Zukunft zu gestalten war – und demnach setzte auch jeder andere Prioritäten, was genauer untersucht werden musste und was nicht.

Einig waren sie sich jedoch immer, wenn sie auf Fremde stießen. Da führte kein Weg dran vorbei, dass man sie genauer unter die Lupe nehmen musste. Und schlimmstenfalls blieb ein Toter im Wald zurück.

Die Sonne stand nur mehr knapp eine Handbreit über dem Horizont, als er Strathen erreichte. Rings um die kleine Stadt Strathen hoben sich die Hügel und Berge in die Höhe, manche von ihnen steil emporstrebend. Der Blick in die Weite war in diesem Teil von Wyoming eher begrenzt. Das bedingte natürlich auch, dass die Sonne früher unterging. Als Ausgleich gab es eine länger andauernde Dämmerungszeit. Im Hochsommer war der früh einfallende Schatten den Bewohnern sogar lieb, denn er vertrieb die Hitze der Tage, die seit über einem Jahrzehnt ins schier Unerträgliche angestiegen war.

Hier, inmitten der Berge, floss noch genügend Wasser, sodass auch in dieser Hinsicht kein Mangel herrschte. Weiter im Osten und im Süden, in den riesigen Ebenen der Prärie, war der Wassermangel allerdings bereits zu einem akuten Problem geworden. Der Wassermangel sorgte unter anderem dafür, dass immer mehr Überlebende in die gebirgigen und damit wasserreichen Gegenden auswichen.

Der Kampf um das Land war erneut entbrannt – wie in den Zeiten der Pioniere im 18. und 19. Jahrhundert.

Selbstredend war Buzz nicht waffenlos unterwegs.

Unter den verbliebenen Bewohnern von Strathen hatte sich Buzz Respekt verschafft. Sie kannten ihn. Er war ein geduldeter, vielleicht auch bei dem einen oder anderen Anwohner gern gesehener Gast in Strathen.

Jedes Mal, wenn er die Stadt aufsuchte, führte ihn sein erster Weg zu dem Haus, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Das Haus sah von außen unversehrt aus, zumindest wenn man nicht genau hinschaute. Alibimäßig legte er bei jedem Besuch für ein, zwei Stunden Hand an die Renovierung. Man wusste ja nie, ob er nicht doch eines Tages zurückkehren wollte. Für seine Arbeit an dem Haus gab es allerdings auch noch einen anderen Grund. Solange er an dem Haus arbeitete, wussten zumindest seine Nachbarn, dass er noch Anspruch auf seinen Besitz erhob.

Es gab genügend freistehende Ruinen für die wechselnden Bewohner, die auf ihren Streifzügen durch das Land in Strathen Halt machten. Solange diese Leute nicht mit Waffen in der Hand versuchten, die Bewohner zu unterdrücken, oder zu vertreiben, ließ man sie gewähren. Strathen lag abseitig – schon vor den kleinen und größeren Katastrophen. Es gab hier keinen großen Gewinn zu holen. Strathen war arm. Und seine verbliebenen Bewohner hatten sich mit dieser Armut arrangiert.

Aus Erfahrung wusste Buzz, dass sich spätestens eine Stunde nach seiner Ankunft sein Hiersein herumgesprochen hatte. Das hieß, dass bald die ersten Besucher kommen würden.

Die Eingangstür war mit einer Eisenstange verstärkt, die mittels eines massiven Vorhangschlosses gesichert war. Den Schlüssel dazu trug Buzz ständig an einer Kette, die um seinen Hals hing und weitere Schlüssel beherbergte, die er auf keinen Fall verlieren durfte.

Die erste Besucherin war – wie üblich – Dolores. Sie war schon alt gewesen, seit er sich an sie erinnern konnte. Schon als zehnjähriger Junge hatte er sie immer als Kandidatin für das nächste Begräbnis im Sinn gehabt und seltsamerweise war diese Einschätzung niemals gewichen. Wenn sie jetzt irgendwie so hilflos durch den Garten geschlendert kam, als ob es in ihrem ganzen Umfeld nichts gab, das ihr gefährlich werden könnte, glaubte er jedes Mal, dass sie kam, um ihn um Verzeihung zu bitten, dass sie noch nicht gestorben war.

Dolores nahm das Leben so, wie es kam, und haderte nicht. Nicht vor den Katastrophen und auch nicht, als das Leben danach immer beschwerlicher wurde. Aber diesmal hinterließ sie bei ihm dem Eindruck, als fiele ihr das Gehen tatsächlich schwer.

»Hallo Dolores«, winkte er ihr zu, als er sie kommen sah. »Schön, dass du den alten Brauch aufrechterhältst und mich besuchen kommst.«

»Und dass ich immer noch lebe, meinst du wohl … Unkraut vergeht eben nicht!«

Ihre Augen blitzten spitzbübisch. Das struppige Haar war zu einem Pony gebunden, nachlässig, aber immerhin sah sie so nicht ganz so wild aus wie einige ihrer Nachbarn. Sie stemmte den rechten Arm in die Hüfte und verzog das Gesicht.

»Es wird langsam beschwerlich. Ich freue mich immer, dich noch unter den Lebenden zu sehen. Dann weiß ich, dass du klüger bist als die vielen Marodeure, die neuerdings durch die Gegend streifen.«

»Das musst du mir genauer erzählen. Komm rein und setz dich.«

»Ich glaube kaum, dass du mir etwas anbieten kannst«, meinte sie über das ganze Gesicht grinsend. »Wie üblich bist du nur auf einen Kurzbesuch hier, weil du wissen willst, ob sich Lotte Frost und ihre Leute wieder auf die Suche nach Diebesgut machen.«

»Du hast wie immer Recht, Dolores. Beides interessiert mich. Und es sollte auch dich und die anderen interessieren.«

»Keine Angst, Junge. Es interessiert uns. So weltfremd sind wir nicht. Wir sind zwar keine Helden … Ach, es ist das Alter, das einen drückt. Weißt du, wenn es mich erwischt, kann ich zumindest sagen, dass ich ein erfülltes und langes Leben gehabt habe und dass ich viel zu erzählen hatte.«

»Was bringt dich auf diese seltsamen Gedanken?«

»Wir haben Besuch«, gestand sie Buzz. Sie hatte den Kopf leicht gesenkt und schaute ihn von unten nach oben an. Dabei sah die Stirn über ihren dichten grauen Brauen wie bewölkt aus.

Augenblicklich zog Buzz Carpenter scharf die Luft ein.

»Besuch?«

Hinter diesem harmlosen Wort konnte sich allerhand verbergen. Er dachte an den Fremden, der jetzt verwundet in Saratoga lag. Und natürlich dachte er gleich an einen Kundschafter, der einer plündernden Horde vorauseilte und Ortschaften auskundschaftete, auf die ein Überfall sich lohnte.

»Ist er noch hier?«, erkundigte sich Buzz vorsichtig.

»Nein, es wundert mich, dass du nicht auf ihn gestoßen bist. Heute erst in der Früh hat er sich auf den Weg gemacht. Er hat nach dem Weg gefragt. ›Wo finde ich Saratoga‹, hat er wortwörtlich gefragt.«

»Und ihr habt es ihm erzählt, vermute ich«, stieß Buzz hervor.

Die alte Dolores nickte.

»Es erschien uns ungefährlich. Der Mann war garantiert kein Plünderer. Er war ein … früher würde man gesagt haben, er war ein feiner Herr. Gebildet. Er hat alles und viel gewusst. Einen ganzen Abend hat er uns Geschichten erzählt. Von früher und von der Gegenwart. Er hat uns Nachrichten mitgebracht. Gute und schlechte.«

»Wie konntet ihr ihm den Weg nach Saratoga weisen?«

»Er ist ein Geschichtenerzähler. Ein Reisender, wie er sich selbst bezeichnet.«

»Und jetzt weiß er, wo Saratoga liegt!«

»Er ist ein Freund, Buzz. Vertrau auf die Menschenkenntnis einer alten Frau.«

Buzz schüttelte den Kopf. Ihn hatte die Unruhe ergriffen. Er wusste, er würde diese Unruhe nicht mehr loswerden, bis die Sache endgültig geklärt war.

»Sind ihm Fremde gefolgt?«, wollte er noch wissen.

Dolores schüttelte den Kopf. »Darf ich dich zu mir einladen?«

Nun war es an Buzz, den Kopf zu schütteln. »Du hast es vielleicht gut gemeint, Dolores, aber mich drängt es zurück.«

 

*

 

»Ich heiße Mojack und bin von Roosvelt Skys als Kundschafter aufgebrochen«, erzählte der Fremde, nachdem er das nächste Mal bei klarem Bewusstsein war. Seine Zuhörer waren wieder Mortimer und Raymon Saratoga.

»Wo liegt Roosvelt Skys?«, kam die Frage von Raymon, »und was solltest du auskundschaften?«

»Nicht auskundschaften«, berichtigte Mojack. »Ich … wir haben keine kriegerischen Absichten. Wir interessieren uns dafür, wie es mit der Zivilisation auf der Welt steht, ob sie überall zusammengebrochen ist oder ob es doch noch irgendwo Reste von Vernunft und organisiertem Zusammenleben gibt.«

»Das kann ein löbliches Vorhaben sein, muss es aber nicht«, blieb Raymon skeptisch.

»Weshalb bist du so misstrauisch?«, fragte Mojack.

»Aus uns spricht die Erfahrung«, mischte sich Mortimer ein. »Wir hier sind so etwas wie eine Insel der Seligen. Und das ruft den Neid der Nachbarn hervor. Die sehen nur, dass es uns gut geht, aber nicht das, was dahintersteckt, damit es uns gut geht.«

»Ein Roosvelt Skys im Kleinen«, sagte Mojack nickend. »Auch wir haben versucht, die Zivilisation über die Katastrophe zu retten.«

»Und ist es gelungen?«, fragte Raymon interessiert.

Mojack nickte mit einem Lächeln im Gesicht. Man sah ihm jedoch an, dass dieses Lächeln gezwungen wirkte. Vielleicht waren es auch die Schmerzen, die ihn immer noch erfüllten, die dieses Lächeln nicht so echt wirken ließen, wie es gedacht war.

»Viel haben wir retten können, aber beileibe nicht alles«, sagte Mojack dann. »Wenn wir wieder eine Zivilisation aufbauen wollen, müssen wir den Kontakt mit dem Rest der Welt erneut herstellen, sonst bleiben wir wie eine abgeschlossene Enklave in diesem Teil der Welt.«

»Deshalb bist du als Kundschafter unterwegs«, vermutete Mortimer.

»Wie viele Inseln des Friedens hast du entdeckt?«, wollte Raymon wissen.

»Keine«, musste Mojack leise zugeben. »Ich bete inbrünstig und hoffe, dass ich hier bei euch vielleicht fündig werde.«

Schweigen senkte sich über die drei. In diesen Sekunden hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.

Was ist mit der Welt geschehen?, überlegte Raymon. Milliarden von Individuen! Was war nur mit diesem großartigen Land passiert? Alle hatten die Segnungen der Technik kennengelernt und in einem sozialem Wohlfahrtsstaat friedliches Zusammenleben geübt. Konnte diese Tünche der Zivilisation so einfach weggespült werden? Weshalb hatte das Zusammenleben wieder eine rückwärtsgewandte Entwicklung genommen, war körperliche Gewalt wieder zu einem bestimmenden Faktor geworden?

Setzte sich der rücksichtslose und gewaltbereite Mensch wieder an die Spitze der Gesellschaft? Zählte das Leben nichts mehr?

Raymon verfluchte den Weg, den die Menschheit zuletzt eingeschlagen hatte. Zu lange hatte sie auf der Natur herumgetrampelt und sich bedenkenlos genommen, was sie kriegen konnte. Bis die Natur zurückgeschlagen hatte.

Er brauchte sich ja nur in Wyoming umzusehen, um zu erkennen, was wirklich mit der Welt los war. Selbst hier, unweit des ehemaligen Naturschutzgebietes des Yellowstone Parks, war jegliche Ordnung zusammengebrochen. Gerade hier, in diesem staatlich geschützten Territorium, hätte man meinen können, dass die Vernunft siegreich blieb …, aber vergebens. Ausbeutung, Gewinnmaximierung und … wie viele Schlagworte der ständig auf Gewinn und Wachstum ausgerichteten Wirtschaft könnte er noch anführen. Dabei war dies nur ein geringer Teil der Misere, die über die Welt hereingebrochen war.

»Wo liegt Roosvelt Skys?«, unterbrach die Frage Mortimers seine finsteren Gedanken.

»Du kennst dich mit den alten geographischen Bezeichnungen noch aus?«, wollte Mojack wissen.

»Ich habe die alten Zeiten noch erlebt«, bestätigte Mortimer.

»Im Süden von Alaska.«

»Verdammt – Shit!«, entfuhr es Raymon Saratoga.

Mortimer blickte überrascht zu dem Chef von Saratoga. Er war es nicht gewohnt, dass das Oberhaupt ihrer Gemeinschaft so heftig reagierte.

»Das ist ein endlos langer Weg!«, erklärte er seine Reaktion.

»Ein Weg ohne Zivilisation!«, ergänzte Mortimer.

Mojack nickte müde.

»Die Gegend wird von Warlords beherrscht, die mit Gewalt ihr Territorium behaupten. Offen durch dieses Land zu reisen, ist nahezu unmöglich.«

»Sind diese Länder noch dicht besiedelt? Wie viele Leute leben dort noch? Gab es vielleicht größere Katastrophen?«

»Soweit ich die Lage beurteilen kann, erging es diesen Ländern weder schlimmer und noch besser als den anderen ehemaligen Vereinigten Staaten von Amerika, durch die ich gewandert bin.«

»Alles zu Fuß?«, wunderte sich Mortimer.

»Den größten Teil, aber nicht alles. Es gibt keine Verkehrsverbindungen mehr. Es ist sicherer, abseits der Straßen zu reisen. Diese Erfahrung habe ich zumindest gemacht.«

»Aber es ist möglich, dorthin zu gelangen?«, erkundigte sich Raymon, sichtlich neugierig geworden.

»Ich komme von dort, also gibt es auch einen Weg dorthin«, sagte Mojack fest.

»Und dort haben sie die Zivilisation bewahrt?«

»Wir bemühen uns darum. Jeder ist in Roosvelt Skys willkommen, der unsere Sache unterstützt«, sagte Mojack.

Mortimer warf seinem Chef einen wissenden Blick zu. »Ich wette, ich weiß, was du nun denkst«, stieß er hervor. »Ich hoffe, dass es nicht so ist.«

Ratlos blickte Mojack zwischen den beiden hin und her, bemerkte die Bestürzung, die sich auf Mortimers Zügen ausbreitete und das breite Lächeln, das Raymons Züge umspielte.

---ENDE DER LESEPROBE---