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Dies ist der 3. und abschließender Band der Trilogie von AMEN UND AUS.
Die Erde erholt sich langsam. Das Klima spielt zwar immer noch verrückt, aber die Oberfläche des Planeten kommt langsam zur Ruhe. Erste politische Einheiten entstehen. Das Wissen der Alten wird in Klöstern von Mönchen verwaltet und zaghaft wird auch wieder Forschung betrieben.
Der Suphur-Pilz hat sich zu etwas Neuem entwickelt. Aus der Symbiose von Mensch und Pilz ist ein Wesen entstanden, das sowohl an Intelligenz als auch an Wissen den Menschen weit überlegen ist. Doch ER versteht sich immer noch als Pilz.
In dieses Umfeld tritt Maître Grimm in die Geschichte ein. Sein Plan ist kein Geringerer als die Eroberung Amerikas. Nach anfänglichen Erfolgen von Maître Grimm sehen selbst alte Feinde, dass sie sich einem Gegner gegenüberstehen, der all ihre gemeinsamen Kräfte fordert. Saratoga und die Nachkommen von Lotte Frost sind zur Zusammenarbeit gezwungen.
Und als gäbe es auf der Erde nicht schon genügend Verdruss, lauert die eigentliche Gefahr im Weltraum, denn die Vulkane haben eine Macht auf die Erdoberfläche gespült, mit der die Wesen aus dem All mehr anfangen können als die Menschen …
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Roland Heller / Marten Munsonius
Amen und Aus
Band 3
Maître Grimm und die Eroberung Amerikas
Eine Dystopie
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer mit einem eigenen Motiv von edeebee mit Bärenklau Exklusiv, 2024
Lektorat/Korrektorat: Antje Ippensen
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
www.baerenklauexklusiv.de / [email protected]
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Amen und Aus
Maître Grimm und die Eroberung Amerikas
Personenregister
1. Buch
1 – Ich blicke in meinen Garten und bin stolz auf die Entwicklung meiner Pflanzen
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4 – Ich bin da – ich bleibe, sagte der Pilz
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7 – »Der Wind trägt das Leben«, sprach die Spore.
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15 – BATISTA AGNESE – Auch das Böse braucht einen Körper
16 – Die Kinder der Sünde
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20
2. Buch
1 – Der Hügel des Feldherrn
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4
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6 – Gehet hin und macht euch die Erde Untertan
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8
9
10
11 – Und siehe da – du findest Freunde, wo du sie nicht erwartest
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13
14 – Das Dunkel der Zukunft
15
16 – Die Geschichte von GUT UND BÖSE
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19
20 – Nichts Neues unter der Sonne
21
22
3. Buch
1 – Das Lied des Abschieds
2
3 – Im Angesicht des Feindes
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6
7 – Die Personifizierung des Bösen
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9
10
11
12 – Pocatello kann sehr kalt sein
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14
15
16
17 – Im All gibt es keinen Sonnenuntergang
18
19
20
4. Buch
1 – Ein Rätsel für die Spieler?
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3 – Ein Rätsel tut sich auf
4
5
6 – Wer zählt die Augen der Würfel?
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9
10 – Die Prozession
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15 – Bis zum letzten Atemzug
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20
21
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23
24 – Die Welt geht unter
5. Buch
1 – Was der Barde später noch zu erzählen wusste.
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3
4
5
6
7
Epilog
Dies ist der 3. und abschließender Band der Trilogie von AMEN UND AUS.
Die Erde erholt sich langsam. Das Klima spielt zwar immer noch verrückt, aber die Oberfläche des Planeten kommt langsam zur Ruhe. Erste politische Einheiten entstehen. Das Wissen der Alten wird in Klöstern von Mönchen verwaltet und zaghaft wird auch wieder Forschung betrieben.
Der Suphur-Pilz hat sich zu etwas Neuem entwickelt. Aus der Symbiose von Mensch und Pilz ist ein Wesen entstanden, das sowohl an Intelligenz als auch an Wissen den Menschen weit überlegen ist. Doch ER versteht sich immer noch als Pilz.
In dieses Umfeld tritt Maître Grimm in die Geschichte ein. Sein Plan ist kein Geringerer als die Eroberung Amerikas. Nach anfänglichen Erfolgen von Maître Grimm sehen selbst alte Feinde, dass sie sich einem Gegner gegenüberstehen, der all ihre gemeinsamen Kräfte fordert. Saratoga und die Nachkommen von Lotte Frost sind zur Zusammenarbeit gezwungen.
Und als gäbe es auf der Erde nicht schon genügend Verdruss, lauert die eigentliche Gefahr im Weltraum, denn die Vulkane haben eine Macht auf die Erdoberfläche gespült, mit der die Wesen aus dem All mehr anfangen können als die Menschen …
***
Band 3
Judas Burmeister – Mönch in Zisko.
Dilara – Eine Schiffbrüchige.
Mortimer – Gärtner.
Abt Zifer – Abt des Klosters von Zisko.
Howard – Das Orakel von Zisko.
Shirley – Das Orakel von Saratoga.
Roberta Dark – Sprachrohr des Orakels in Saratoga.
Lewis Carpenter – Sohn von Buzz und Anna Carpenter.
Heather Crooks – Stadträtin in Saratoga.
Father Washington – Sohn von Lotte Frost.
Sister Abendroth – Tochter von Lotte Frost.
Lynn – Sie begleitet Sister Abendroth.
Mabel – Sie begleitet Sister Abendroth.
Mojack – Ein alter Mann.
Der Barde – Ein alter Bekannter.
Konrad Gutkas – Offizier aus Roosvelt Skys.
Maître Grimm – Er will Amerika erobern.
Lee Grant – Seine Mutter.
General Wilcox – Heerführer in der Armee von Maître Grimm.
Carl Wood – Suphur-Geschädigter im Dienst von Maître Grimm.
Battista Agnese – Der dunkle Verfolger.
Aycta – Die Erste Ingonisch.
***
Judas Burmeister blickte nachdenklich vor sich hin. Dabei fixierten seine Augen keinen speziellen Punkt. Das hätte ihn womöglich nur abgelenkt.
Die Worte des Orakels gingen ihm nicht aus dem Sinn. Was hatten sie zu bedeuten?
Er befand sich im zweiten Kreuzgang des ehemaligen Klosters der Benediktiner-Mönche in Zisko und lehnte mit dem Rücken an der Innenwand, sodass er durch die Arkaden auf den Hof hinausblicken konnte, auf dem Bruder Mortimer sich mit all der Leidenschaft, zu der er fähig war, seinen Pflanzen widmete. Er war besessen von dem Gedanken, Kalifornien wieder in jenen blühenden Garten zurückzuverwandeln, der er einst gewesen war, bevor das Große Beben den halben Landstrich in eine Steinwüste umgewandelt hatte.
Die Ziegelsteine des Kreuzgangs waren kühl und brachten ihm so etwas wie Erfrischung, denn außerhalb des Kreuzganges in der direkten Sonnenstrahlung herrschte die brutale Hitze des Sommers. Die Strahlen der Sonne verbrannten jeden ungeschützten Flecken Erde, der es nicht geschafft hatte, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Genau das war es, was Bruder Mortimer anstrebte. Er wollte die Stauden und Gewächse, deren Früchte sich nicht in der Kühle unter der Erde entfalteten, an die neuen Bedingungen anpassen. Abt Zifer hatte Mortimer für diese Versuche den kompletten Garten dieses Klosterteils zur Verfügung gestellt.
Bruder Mortimer hatte es geschafft, Burmeister von seinen trüben Gedanken abzulenken.
Ein paar Sekunden lang sah Judas Burmeister seinem Bruder bei seiner Tätigkeit zu. Er fragte sich wiederholt, wie Mortimer es erreichen wollte, dass die Pflanzen seinen Bemühungen folgten. Mortimer hatte jeweils zwei Beete mit den gleichen Pflanzen nebeneinanderstehen. Das eine Beet durfte wild wachsen. Verdorrte Blätter durften weiterhin an den Pflanzen haften und für die darunter wachsenden Teile etwas Schatten spenden. Im Vergleichsbeet wurde jedes Blatt, das Anzeichen von Schwäche zeigte, erbarmungslos ausgemustert. Irgendwann hoffte Mortimer, die optimale Mischung von Licht und Schatten zu finden, um die ertragreichsten Früchte ernten zu können.
Nach ein paar Minuten verließ Judas Burmeister seinen Platz.
Abt Zifer hatte ihn gerufen. Er hatte eine Aufgabe für ihn.
Judas Burmeister war der jüngste Mönch dieser Gemeinschaft. Mit seinen 22 Jahren fühlte er sich aber noch nicht als ausgelernt, also viel zu jung, um in die Welt hinauszuschreiten und nach neuem, bislang verborgen gebliebenem Wissen zu forschen. Allerdings gab es außer ihm keinen »jungen« Mönch mehr in ihrer Gemeinschaft. Abt Zifer besaß also nicht sehr viel Auswahl, wenn er eine wichtige Aufgabe zu vergeben hatte. Burmeister besaß eine schlaksige Figur, an der jedes Kleidungsstück aussah, als wäre es einige Nummern zu groß. An seinen Füßen trug er wie meist leichte Halbstiefel, mit denen er mühelos über den steinigen Boden schreiten konnte, wenn er die Klostermauern verließ. Seine enganliegenden Haare trug er halblang, sie glänzten im Licht der Sonne fast blond, hatten in Wirklichkeit aber eine hellbraune Farbe.
Über Judas Burmeisters Gesicht huschte ein Lächeln, als er daran dachte, dass sie den Chef immer noch Abt nannten und das Gebäude Kloster, und sich selbst als Mönche bezeichneten, obwohl sämtliche Begriffe in ihrer Gemeinschaft in die Irre führen konnten. Ursprünglich hatte sich eine Reihe geschichtsinteressierter Menschen zusammengefunden, die, in der Art eines Museums, einen Ort etablieren wollten, an dem die Errungenschaften der Vergangenheit gesammelt wurden. Aber beim Sammeln blieb es natürlich nicht. Es ging in vielen Fällen darum, das Wissen zu bewahren und es auch wieder anwendbar zu machen.
Keimzelle des Museums wurde das alte, seit Jahren leerstehende Kloster.
Und es blieb nicht nur bei den an Geschichte interessierten Menschen.
Die Bewohner von Kalifornien wussten um die Gefahr, die vom San-Andreas-Graben ausging. Seit Jahren erwarteten sie das große Beben schon. Und als es dann tatsächlich kam, wurden sie dennoch von dem großen Erdbeben überrascht. Die Erdstöße, die immer wieder nahezu ein halbes Jahr regelmäßig erfolgten, hatten den Großteil von Kalifornien in Schutt und Asche gelegt. Wo einst Obstplantagen die Landschaft beherrschten, blieb eine Steinwüste zurück. Der Boden Kaliforniens hatte sich regelrecht umgedreht. Glühende Lava heizte die Atmosphäre zusätzlich weiter auf und verstärkte die Hitze, für welche die Sonne Verantwortung trug, noch mehr. Das Leben zog sich auf die wenigen begünstigten Stellen zurück. Das Kloster bildete eine dieser Enklaven.
Als die Erde allmählich wieder zur Ruhe kam, musste das Leben neu organisiert werden. Regeln mussten erstellt werden, die ein Überleben garantierten.
So fanden die Begriffe Kloster und Abt und Mönch Eingang in ihr Leben. Der Klosterbau bot genügend Platz für all die Artefakte, welche die Historiker anschleppten. Und die Geschichte des Ordens inspirierte zu einer Reihe von Regeln, die das Zusammenleben in geordnete Bahnen lenkte. Worauf von Anfang an verzichtet wurde, waren die Stunden des gemeinsamen Gebets – das sollte jeder nach seinem Glauben mit sich selbst ausmachen – und die strikte Trennung in eine Männer- und Frauengemeinschaft.
Der Klosterbau war ein Sammelsurium von Stammhaus mit An- und Zubauten aus den verschiedenen Jahrhunderten. Die Zubauten zeigten den Belegstand, den das Kloster einst besessen haben musste. Die ältesten Teile reichten zurück in das 16. Jahrhundert, als die Spanier die Herren von Kalifornien waren. Gemeinsam war allen Bauten, dass sie einen Platz für einen Kreuzgang vorsahen, der eine freie Innenfläche in den verschiedenen Größen freiließ. So verfügte das Kloster momentan über sechs umschlossene Gärten, von denen jeder eine bestimmte Aufgabe zugeordnet bekam.
Der größte Teil des Klosters beherbergte natürlich das Museum. Lediglich ein Gebäude war als Wohneinheit für die Mönche – oder Wissenschaftler, wie sie sich immer öfter nannten – vorbehalten. Und auch hier gab es noch genügend freie Wohneinheiten. Insgesamt werkten zurzeit sieben Mönche, zwei davon im Familienverband, im Kloster. Beide Familien sorgten zumindest für etwas Leben in dem riesigen Bau, denn wegen der sechs Kinder im unterschiedlichsten Alter wurde es selten ganz still.
Um diese Zeit sollte der Abt in seinem Büro im Museum zu finden sein.
Um zu seinem Büro zu gelangen, musste er die Halle der Kuriositäten durchqueren. In diesen Räumlichkeiten hatten die Historiker sämtliche Gegenstände ausgestellt, deren Sinn und auch deren Funktion niemals endgültig geklärt werden konnte. Die sonderbarsten Dinge waren darunter, über die sie in keinem Geschichtswerk – und auch anderen Büchern – irgendetwas erfahren konnten. Hier waren unter anderem auch all jene Versuche versammelt, die zu einem Perpetuum Mobile führen sollten. Maschinen ohne jeden Sinn. Kraftwerke, die nur jene Kraft erzeugten, die für den Eigengebrauch notwendig war. Und-und-und … Wenn man diese Räume durchforschte, kam man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Aber viele dieser Dinge boten Anregungen für neue Erfindungen. Burmeister liebte diesen Raum, denn hier konnte man seine Fantasie so richtig spielen lassen. Allein die Vorstellungen, zu welchem Zweck diese auf den ersten Blick sinnlos erscheinenden Dinge einst konstruiert worden waren, eröffneten zahlreiche neue Perspektiven. Darauf konnte man aufbauen.
In den beiden Etagen darüber befand sich die Bibliothek. Jedes Buch, das sie auf ihren Exkursionen auftreiben konnten, fand sich hier. Weggeschmissen wurde hier nichts. Für Doppelausgaben gab es einen eignen Trakt. In dieser Bibliothek waren zwei Mönche damit beschäftigt, die Ausgaben Buch für Buch zu lesen und jegliches Wissen und auch Fertigkeiten in eigenen Büchern festzuhalten.
Judas Burmeister war noch jung. Seine Arbeit geschah draußen, auf dem Land. Wenn er zu alt dafür wurde, durch die Lande zu streifen, musste auch er sich einen Job innerhalb der Mauern erwählen. Noch schwankte er zwischen Gärtner und Bibliothekar, aber es konnte auch etwas ganz anderes werden. Bruder Mojack hatte seine Vorliebe für die Geologie hier im Kloster entdeckt. Wer wusste schon, was die Zukunft für Burmeister bringen würde. Noch hatte er noch keine weiteren Vorlieben entwickelt.
Die Kuriositätensammlung war ihm bekannt, also konnte er diese Halle geschwind durcheilen. Gleich dahinter schlossen sich in den nächsten beiden Räumen das Stofflager und die Kleiderfabrik an. Die Mönche produzierten ihre Kleider selbst. Für die Sommermonate mit ihrer oft unerträglichen Hitze verarbeiteten die beiden Zuständigen nur Leinenstoffe. So trug auch Judas Burmeister ein Leinengewand, das in kräftigen Farben strahlte: ein gelbes Hemd mit langen Ärmeln, das vorne bis zum Halsansatz zugeknöpft war, damit der Sonne möglichst wenig direkter Zugang zur ungeschützten Haut geboten wurde, und eine graue Hose, die weit geschnitten war und um seine Beine schlotterte.
Millie, der die Weberei unterstand, hob grüßend ihre Hand und winkte ihm zu. Sie war semmelblond und wäre durchaus eine Sünde wert gewesen, wenn sie nicht bereits vergeben gewesen wäre. Sie trug wie üblich ihr knöchellanges Kleid in allen möglichen Regenbogenfarben. Wenn man sie fragte, warum sie für sich dieses Farbmuster gewählt hatte, bekam man zur Antwort, dass sie möglichen Kunden gleich vor Augen führen wollte, über welche Kapazitäten ihre Färberei verfügte.
Nur leider kamen viel zu wenig Kunden in das Kloster. Dennoch war gerade der Textilzweig einer der Geschäftszweige des Klosters, der die meisten Kunden und Besucher anlockte. Es war bei Gott nicht so, dass das Kloster weltabgeschieden agierte. Jeder konnte hier zu Besuch erscheinen und wurde herzlich willkommen geheißen. Der Klostershop war ein wichtiger Bestandteil ihrer Gemeinschaft und die Bewohner, die es rund um das ehemalige San Francisco noch gab, schätzten diese Einrichtung ebenfalls, was die regelmäßigen Besuche und auch die Käufe im Shop bewiesen.
Dann stand er vor dem Büro von Abt Zifer, klopfte kurz und trat gleich ein, ohne auf ein Herein zu warten. Es war so üblich. Die Tür des Abts stand jederzeit und für jedermann stets offen.
Zifer näherte sich seinem sechzigsten Lebensjahr. Er sah alt aus. Alt und verbraucht. Die Entbehrungen vieler Jahre kennzeichneten seinen Körper. Man sah ihm auch manche Krankheit an, die ihn geschwächt hatte. Ein leichter Anflug von Suphur-Pilz zeigte sich auf seiner linken Gesichtshälfte, aber die körperliche Missbildung beschränkte sich auf Hautpartien; sie erstreckte sich nicht auf Augen, Nase oder Mund, das hieß gleichzeitig, dass ihn die Krankheit, gegen die es immer noch kein Heilmittel gab, nicht beeinträchtigte.
Seine Stimme klang brüchig, als er Judas begrüßte.
»Ah, mein Kundschafter, endlich«, sagte er und winkte Judas zu sich heran. »Setz dich, ich habe gleich Zeit für dich.«
Zifer war über eine Reihe von Schreiben gebeugt, die er fein säuberlich, Ecke an Ecke, auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte und kritisch musterte.
»Es sind hoffentlich keine Hiobsbotschaften?«, vermutete Judas, der im Gesicht des alten Mannes die Sorge lesen konnte.
»Anlass zur Freude geben sie nicht«, gab Zifer zu und blickte Judas direkt an.
»Sind diese Nachrichten der Grund, weshalb du mich hast rufen lassen?«
»Sie hängen damit zusammen. Dies und die rätselhaften Sprüche des Orakels.«
Judas Burmeister verfiel wieder in Nachdenklichkeit, während der Abt seine Lektüre offensichtlich beendete, denn danach stapelte er die Blätter und legte sie quer auf einem anderen Stoß Papier ab.
»Was weißt du über die Geschichte unseres Landes?«, fragte der Abt dann unvermittelt.
Die Frage überraschte Judas. Geschichtliches Interesse galt eigentlich als d a s Kriterium, das jeder mitbringen musste, der in das Kloster der Historiker eintrat.
»Ich habe sie sorgfältig studiert«, antwortete Judas ausweichend und wartete darauf, dass Zifer ihm eine Detailfrage zu einem historischen Fakt stellte, doch der Abt begnügte sich anscheinend mit der Zusicherung des Mönchs, hier sattelfest zu sein.
»Die weiße Rasse ist aus Europa gekommen und hat Amerika erobert«, gab Zifer eine allgemeine Weisheit zum Besten. Das wussten sogar die meisten Menschen, auch wenn sie von Geschichte keine Ahnung hatten und obwohl es sie im Grunde auch nicht interessierte, was in der Vergangenheit geschehen war.
»Worauf willst du hinaus?«
»Geschichte ist ein ewiger Akt von Wiederholungen. Es scheint ein Naturgesetz zu sein, wie der Aufstieg und Fall von Nationen und Rassen, die in einem ewigen Kreislauf immer neuen Kräften Platz machen müssen. Einst ist Amerika von Europa aus erobert worden. Jetzt ist ein weiterer Eroberer aus dem Alten Kontinent zur Tat geschritten.«
»Will er uns etwa erobern? Das Land ist verwüstet und nahezu menschenleer und …«
»Du hast das richtig erkannt«, meinte der Abt. »Es stellt sich die Frage, was ein Eroberer hier sucht und welche Ziele er eigentlich erreichen will?«
»Macht?«
»Macht worüber? Über eine unbewegliche Steinwüste. Irgendetwas treibt ihn. Ich will wissen, was es ist.«
»Ich soll also die Antwort bringen«, vermutete Judas.
Der Abt nickte langsam. »Du bist momentan unser jüngstes Ordensmitglied und du bist fähig, in die Welt hinauszugehen. Wir dürfen nicht nur Fakten aus der Vergangenheit sammeln, sondern müssen auch die der Gegenwart dokumentieren, damit die Historiker künftiger Generationen über ein gesichertes Basiswissen verfügen. Komm, ich zeige dir auf der Landkarte den Weg, wohin ich dich schicken will.«
»Habe ich einen besonderen Auftrag?«
»Du sollst Augen und Ohren offenhalten. Und ein paar Kleinigkeiten erledigen.«
»Kleinigkeiten, aha«, flüsterte Burmeister.
Die Landkarte hatten sie im größten Raum des gesamten Klosters aufgebaut. Um ihn zu erreichen, mussten sie ein Stück weit gehen.
Der Abt wusste, welchem Zweck dieser Raum einst gewidmet war. Es war der Kirchenraum, in dem in früheren Zeiten die öffentlichen Messen stattgefunden hatten. Zu diesen Ereignissen mussten mehrere hundert Menschen in die Kirche gekommen sein. Dort, wo früher die Bänke gestanden hatten, hatten die Mönche zwei identische begehbare Landkarten von Kalifornien errichtet. Der Mittelgang trennte die beiden Ansichten. Die linke Seite beherrschte die Farbe Grün. Es war die Ansicht Kaliforniens, die sie nach alten Ansichten aus den Jahren um die Jahrtausendwende gestaltet hatten. Als wichtigste Zeugen stand eine Unmenge von Satellitenfotos zur Verfügung. Die rechte Seite – mit der identischen Grundfläche – zeigte dagegen ein tristes Bild. Von Grün keine Spur mehr, dafür herrschte Grau vor. Die Farbe von blankem Gestein, in allen Schattierungen bis zum Schwarz der frischerstarrten Lava. Nur ganz wenige Gebiete, die wie Inseln in einem Meer aus Fels anmuteten, unterbrachen diese Monotonie. Das Kloster bildete eine dieser Inseln. Ein schmales Rinnsal tangierte dieses Gebiet. Hier floss das Wasser an der Oberfläche. Vom Kloster aus bis zum Meer konnte es sich oberirdisch halten und links und rechts einen fruchtbaren Streifen Land sehen lassen. Diese Gebiete bearbeiten die Mönche und ein paar wenige Bauernfamilien. Doch das fruchtbare Land war zu gering, um sehr viel mehr Menschen zu ernähren. Die meisten Überlebenden der Katastrophenjahre waren aus diesem Grund gezwungen gewesen, sich eine neue Heimat zu suchen.
Dort, wo auf der Karte der Gegenwart das Kloster dominierte, befand sich auf dem Pendant auf der linken Seite San Francisco. Von dieser Stadt war außer Trümmern nicht viel übergeblieben. Ein wenig besser sah es im ehemaligen Los Angeles aus. Los Angeles war als Stadt auch auf der Karte auf der rechten Seite auszumachen, wenn auch nur ein Bruchteil der ehemaligen Größe erhalten war.
»Ich möchte, dass du dorthin reist«, sagte der Abt und blieb genau dort stehen, wo unter seinen Füßen Los Angeles eingezeichnet war. »Setz dich dort mit den Historikern in Verbindung. Sie können für dich bei der Regierung ein gutes Wort einlegen, damit du zu Informationen aus erster Hand gelangst.«
»Los Angeles ist ein eigenständiger Staat«, gab Judas zu bedenken. »Ich kann froh sein, wenn sie mich über die Grenze lassen.«
»Los Angeles ist eine Stadt. Und du bist ein Mann«, stellte der Abt überzeugt fest.
»Du glaubst, das ist Einlasserlaubnis genug?«
»Du reist allein, bist jung und unbewaffnet. Du stellst keine Gefahr für die Leute dort unten dar. Außerdem ist die Grenze lang und nicht jeder benutzt einen offiziellen Grenzübergang.«
»Das ist gegen das Gesetz«, entfuhr es Judas.
»Es ist gegen eine Regel!«, berichtigte der Abt. »Du bist jung und dein jugendlicher Idealismus verklärt noch manche Dinge. Es wird Zeit, dass du mit beiden Beinen fest im Leben stehst.«
»Dazu gehört wohl auch, dass man manche Regeln umgehen sollte?«
»Ich sehe schon, wir verstehen uns langsam. Ich will dich nicht zum Gesetzesbruch überreden, aber manchmal muss man einfach das Richtige tun, auch wenn es nirgends aufgeschrieben steht. Das hat man im Gespür. Und außerdem, wenn das Orakel die korrekte Zukunft gesehen hat, ist diese Frage des Grenzübergangs bald zweitrangig. Was sollte schon groß passieren in Los Angeles, dass du dort für einen Schwerverbrecher gehalten wirst. Ein junger Mann wie du – der ist doch auf Brautschau unterwegs.«
Abt Zifer blickte ihn erwartend an. Reagierte der Mönch auf diese Anspielung?
»Was hat das Letzte mit meinem Auftrag zu tun?«
»Alles und Nichts«, sagte Zifer. Eine Weile schwieg er, ehe er weitersprach. »Wir sind nicht mehr viele. Wenn du auf deinen Reisen einen Novizen findest, überlege nicht lange. Nimm ihn in deine Dienste. Und natürlich brauchst du über kurz oder lang eine Frau. Ein junger Mann wie du – du willst doch sicherlich eine Familie gründen?«
»Eigentlich wollte ich mir noch ein paar Jahre Zeit lassen …«
»Papperlapapp! Jetzt ist die Zeit. Du gehst auf eine Reise! Du verlässt uns ja nicht. Wenn du zurückkehrst, kannst du dir hier ein Nest richten. Bevor das Kloster ausgestorben ist. – So, komm jetzt!«
Abt Zifer schritt mit weit ausholenden Schritten voraus und Judas Burmeister folgte ihm heftig atmend. Was hatte der Abt mit ihm vor? Zuerst wollte er ihn zu einem Gesetzesbruch überreden und nun verlangte er sogar, dass er sich eine Frau suchen sollte.
Nun, zumindest hatte der Abt es geschafft, dass seine Gedanken auf eine gänzliche neue Spur gelenkt wurden.
Sie durchquerten eine weitere ehemalige Kapelle. Auch hier befand sich eine begehbare Landkarte auf dem Boden, allerdings in einem gänzlich anderen Maßstab, der kaum Raum für Einzelheiten bot. In früheren Zeiten hätte man den Ausdruck Übersichtskarte dafür benutzt. Die Karte zeigte das Gebiet des Nordamerikanischen Kontinents und darin eingezeichnet sämtliche Staaten, von denen es gesicherte Kenntnisse gab. Da gab es die erzkonservativen, fast hermetisch abgeschlossenen »Religionsstaaten«, die eine strenggläubige Lebensweise verlangten – insgesamt waren hier nahezu siebzig Religionsstaaten der verschiedenen Glaubensrichtungen entstanden, die fundamental bis diktatorisch regiert wurden, daneben jene Staaten, die jegliche Rückkehr zu einer technischen Entwicklung strikt ablehnten – daneben gab es aber auch jene, die jede Form der Technik verherrlichten. Auf dem Gebiet der ehemaligen U.S.A. gab es allein 113 gesicherte selbständige Staaten. Jedes dieser Gebilde achtete sorgfältig auf seine Unabhängigkeit.
Ein Eroberer hatte es nicht leicht.
Diese Gedanken schossen Judas Burmeister durch den Kopf, als er erkannte, wohin der Abt strebte.
Der Abt hielt auf den Kreuzgang drei zu. Genauer gesagt auf den Garten, den dieser Kreuzgang einschloss.
Dort stand das Orakel.
Kreuzgang drei gehörte zu den eher kleineren Gärten. Seine Grundfläche maß nicht mehr als zwanzig Quadratyards. Den Boden bedeckte kurz geschnittener Rasen. Exakt in der Mitte des Gartens stand das Orakel.
Kein Dach bot dem Orakel Schutz, kein Schatten kühlte es tagsüber. Es geschah allerdings auf den Wunsch des Orakels. Damals, als sich herausstellte, dass es zu der Orakelbildung kam, wollten die ersten Mönche einen Tempel errichten, nachdem sich das Orakel für einen ewigen Platz entschieden hatte. Die Fähigkeit des Sprechens und die Tatsache, dass sie nicht verstanden, was er ausdrücken wollte, obwohl die einzelnen Worte durchaus verständlich waren und einen Sinn ergaben, hatte zu dem Namen Orakel geführt.
Die Mönche von Zisko hatten diesen Namen geprägt, denn ihr Orakel war das Erste. Sein Name war Howard. Howard hatte der Name des Menschen gelautet, der als einer der ersten vom Suphur-Pilz befallen worden war.
Zwischenzeitlich war es eines von sieben, die sich auf der gesamten Welt befanden.
Das Orakel war der ausgewachsene Suphur-Pilz.
Entfernt konnte man noch die menschliche Grundgestalt erkennen, wenn man ihm gegenüberstand. Es glich jedoch mehr einem Baum denn einem Menschen. Die Haut war rau, hellbraun gehalten. Das Orakel war noch fähig, sich zu bewegen, aber von Jahr zu Jahr wurden die Bewegungen weniger, zumindest was die Beine betraf. Ganz im Gegenteil dazu stand der Kopf. Augen und Mund hatten fast die alte Beweglichkeit zurückerhalten, die der Mensch einst besessen hatte.
Wie viel von dem ursprünglichen Menschen tatsächlich noch geblieben war, konnte keiner der Außenstehenden sagen. Das Orakel behauptete noch immer, über das Bewusstsein seines Wirtes zu verfügen – sie waren eine Symbiose eingegangen. Mit beiden Beinen stand das Orakel fest auf der Erde. Von den Füßen gingen zahlreiche Wurzelstränge aus, die sich in den Boden gebohrt hatten. Das Orakel hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass es über seine Wurzeln mit all den Suphur-Pilzen weltweit verbunden war. Jeder menschliche Körper, der von dem Suphur-Pilz befallen worden war und der nach seinem Tod ein Begräbnis erhalten hatte – also nicht verbrannt worden war – war Teil der Gemeinschaft. Das Endziel der Entwicklung erreichten nur wenige. Sie, und auch die Menschen, nannten sie Orakel, da sie über sämtliche Informationen verfügten. Über ihre unterirdisch verlaufenden Wurzel-Netzwerke blieb kein Teil einer Information dem Suphur-Pilz verborgen.
Ein Jahr nach der vollendeten Umwandlung hatte das Orakel seine Beweglichkeit verloren.
Abt Zifer wusste nicht, ob das Orakel überhaupt noch fähig wäre, zu gehen, wenn es seine Wurzeln aus dem Boden löste. Die Verbindung des Orakels mit dem Pilz wäre auf jeden Fallverloren gegangen – zumindest für die Zeit der Trennung. Abt Zifer nahm an, dass die Verbindung wieder hergestellt werden konnte, wenn das Wurzelwerk des Orakels erneut in den Boden vordrang. Sicher wusste er es aber nicht. Auf entsprechende Fragen gab das Orakel keine Antwort.
»Ich habe euch erwartet«, sagte die Stimme. Sie war tief, und die Worte kamen abgehackt, aber man verstand sie gut. Andere Sinne als Augen und Ohren mussten die Ankunft von Zifer und Burmeister verraten haben, denn das Gesicht war ihnen abgewandt.
Judas Burmeister kannte das Orakel natürlich, wenn er ihm auch selten so nah kam wie jetzt. Er trat auf den kurz geschnittenen Rasen und ging so weit, bis er der Gestalt in Gesicht sehen konnte.
Das Gesicht war das eines alten Mannes, zerfurcht von ungezählten Runzeln – und irgendwie holzig. Judas wusste, dass diese Gestalt ursprünglich ein männliches Wesen gewesen war, aber der Körper gab keinerlei Hinweis darauf. Die Umwandlung des Pilzes hatte jede individuelle Note ausgemerzt.
»Ich weiß, dass dir nichts verborgen bleibt«, sagte Abt Zifer und trat neben Burmeister. Die Augen des unheimlich wirkenden Wesens blickten verklärt auf die beiden. Irgendwie schien der Suphur-Pilz den Körper befähigt zu haben, mit beiden Besuchern gleichzeitig einen Augenkontakt herzustellen.
»Das ist Judas Burmeister«, stellte der Abt den jungen Mönch vor. »Er wird deine Botschaft tragen.«
»Ja, er sieht kräftig aus«, bestätigte das Orakel. »Hast du ihn über alles aufgeklärt?«
»Nur in groben Zügen«, gab der Abt zu.
»Dann höre zu: Meine Brüder und Schwestern in diesem Land haben mir von einer Gefahr erzählt, die auf uns zukommt. Die erste Nachricht habe ich übrigens von Mony erfahren. Mony wurzelt in New York. Sie war überhaupt die erste, die neben mir zu einem Orakel mutierte. Das heißt, die Menschen in New York haben auch sie Orakel genannt, nachdem sie erfahren hatten, dass auch ich diese Bezeichnung trug. Natürlich ist sie ebenso wenig ein Orakel wie ich im ursprünglichen Wortsinn, aber sie – und wir alle sind klüger als ein Mensch allein und wir sind fähig, verschiedene Zukunftslinien zu erkennen und auszurechnen, welche Möglichkeit die wahrscheinlichste ist. Das muss den Menschen wie ein Orakelspruch vorgekommen sein. Wie dem auch sei, seither nennen uns die Menschen Orakel.«
»Wir sind mit der Geschichte vertraut«, sagte der Abt. »Wenn du alles erzählst, stehen wir morgen noch hier. Sag Burmeister das, was er für die Erfüllung seines Auftrages braucht.«
»In den Oststaaten ist eine Kraft entstanden, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den alten Zustand wieder herzustellen. Ein Einwanderer aus Europa, der den Namen Maître Grimm trägt, will die Zeit zurückdrehen und einen einheitlichen Staat auf amerikanischem Boden gründen.
Jahrelang hat er unerkannt in den Ruinen von New York gelebt. Zusammen mit seiner Mutter Lee Grant hat er es zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Und irgendwann, er befand sich im Alter knapp vor dem Erwachsenwerden, hat ihm seine Mutter die Geschichte seines Vaters erzählt, dessen Namen er trägt.
Maître Grimm hatte einst in England versucht, Europa zu einen und zu einer starken Weltmacht zu formen. Dort ist er allerdings gescheitert.
Seine Frau, Lee Grant, ging mit ihm bereits schwanger, als sie aus Europa verbannt wurde. Diese Idee ließ den jungen Maître nicht mehr los.
New York zählte bereits vor der Katastrophe zu jenen Städten in diesem Land, die dem liberalen Leben und Wirtschaftsgeist frönten. Es war offen für neue Ideen. Selbst nach der Katastrophe – das Zentrum des einstigen New York liegt heute ja unter Wasser – änderte sich an der Lebenseinstellung der New Yorker nicht viel. So konnte Maître seine Ideen dort in Ruhe entwickeln, bis er genügend Anhänger um sich geschart hatte. Die Idee eines mächtigen Staates und eines riesigen Wirtschaftsraumes beflügelte die Fantasie der Städter und die Aussicht, das alte Leben der Vorväter zurückzugewinnen, ließ sie scharenweise ihm folgen.
Maître Grimm war 25 Jahre alt, als er mit seiner Schar von Anhängern nach Norden zog und Connecticut im Handstreich eroberte. Dies gelang ihm leicht, da die Bewohner bereits von ihm vernommen hatten und im Prinzip den gleichen Ideen huldigten.
Mit 30 Jahren hatte er nahezu die gesamte Ostküste unter seiner Kontrolle. Das ermunterte ihn natürlich zum Weitermachen, doch die schwierigen Staaten warteten noch auf ihn. Ab nun sollte es nämlich nicht mehr allein um Macht gehen, sondern auch um Religion.«
Das Orakel schwieg für mehrere Sekunden und Burmeister war nicht klar, ob die Gestalt erst wieder zu Kräften kommen musste, damit sie weitersprechen konnte, denn je länger sie sprach, umso langsamer kamen die Worte aus dem Mund, der zwar noch deutlich artikulierte, aber sich kaum mehr öffnete.
»Lass dir Zeit, Howard«, mahnte der Abt.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, entgegnete das Orakel. »Maître Grimm steht direkt vor dem Bibelgürtel. Wenn er erst gesehen hat, wie er den einen Staat überwältigen kann, hat er das Muster erkannt, das zum Erfolg führt über die religiösen Fanatiker. Sollte es ihm gelingen, die Kämpfer für sich einzunehmen, dann schütten sie ihren religiösen Eifer über alle anderen Staaten auf diesem Kontinent aus – und dann steht die Welt auf Jahrhunderte still.«
»Burmeister ist verlässlich«, beruhigte der Abt.
»Was soll ich konkret unternehmen?«, fragte da Judas direkt das Orakel.
»Ich muss meine Ableger überall in den Staaten verteilen«, sagte Howard fest.
»Du bist das Ergebnis einer Suphur-Infizierung?«, wollte Judas bestätigt wissen.
»Ja. Ich bin das erwachsene Produkt. So könnte man es sagen. Wenn der Pilz ausgewachsen ist, verliert er seine Spannkraft und Beweglichkeit, gleichzeitig gewinnt er allerdings Wissen und … Intelligenz.«
»Und dein Wirt?«, kam Judas nicht umhin, die Frage zu stellen. »Was geschieht mit ihm? Stirbt er, nachdem er dir deinen Körper überlassen hat?«
»Nein, ich benutze ja immer noch seinen Namen. Howard ist in mir, er ist ein Teil von mir und ich bin ein Teil von ihm. Ich kann uns beide nicht mehr trennen. Wir beide sind eins geworden.
Der menschliche Körper ist jedoch anscheinend nicht der geborene Wirt für uns. Das beweist die Sterblichkeitsrate. Die Sterblichkeitsrate bei den Menschen ist hoch. Kaum jemand erreicht jenes Alter, in dem unser Umwandlungsprozess abgeschlossen ist. Sieben sind wir momentan auf der gesamten Welt.«
»Und du rechnest mit mehr deiner Art?«
»Ja, Judas Burmeister, aber wir wollen den Menschen keinen weiteren Schmerz mehr zufügen. Ich habe gespürt, welche Qualen Howard gelitten hat. Aber ich war hilflos. Erst jetzt, da meine Umwandlung abgeschlossen ist, übersehe ich das ganze Ausmaß.«
»Ist deine Umwandlung abgeschlossen? Kannst du das sicher sagen?«, fragte der Abt.
»Ich denke, sie ist abgeschlossen. Sicher sein kann ich mir dessen allerdings nicht.«
»Dann ist also eine weitere Entwicklungsstufe möglich?«
»Ich halte es für ausgeschlossen, aber denkbar ist es immerhin.« Wieder senkte sich für Sekunden Schweigen über die drei.
»Ich kann meinen Körper kontrollieren«, brummte Howard. »Ich behalte meine Sporen so lange bei mir, wie ich es für notwendig erachte, bis ich einen Platz gefunden habe, an dem ich sie sinnvoll wurzeln lassen kann. Ich will kein menschliches Wesen mehr infizieren und es den Schmerzen aussetzen, welche die Menschen erdulden müssen. Ich habe einen anderen Weg gefunden, wie ich mich reproduzieren kann. Sieh auf meine linke Hand.«
Burmeister kam dem Befehl nach und blickte auf die Hand. Im ersten Moment wusste er nicht, worauf das Orakel ansprach, doch dann entdeckte Burmeister zahlreiche Auswüchse. Jeder sah wie eine kleine Nuss aus, etwa in der Größe einer mittleren Walnuss. Richtiggehend unscheinbar.
»Das sind meine Sporen. Um sie zum Leben zu erwecken, brauche ich lediglich einen Friedhof, auf dem die Suphur-Opfer beerdigt worden sind. Ich kann mich dann mit ihnen verbinden.«
»Das heißt, ich soll deine Sporen zu einem Friedhof bringen«, vermutete Judas.
»Zwei«, schränkte Howard ein. »Mehr sind noch nicht gereift. Einen Ableger nach Los Angeles und einen Ableger nach Kansas.«
»Wieso gerade diese zwei Länder?«
»Zwischen Zisko und Los Angeles wird der Teil der Armee von Maître Grimm an Land gehen, der über das Meer kommt, in Kansas wird das Landheer auf die freien Staaten treffen. Von dort ist es nicht mehr weit bis nach Saratoga. Dort befindet sich Shirley.«
»Kann nicht sie den Kampf aufnehmen?«
»Sie wird es später einmal können. Noch ist sie allerdings nicht so weit.«
»Heißt das«, rief Judas plötzlich aus, »dass du den Abwehrkampf gegen Maître Grimm zu leiten gedenkst?«
»Außer mir ist niemand dazu fähig«, sagte das Orakel. Die Worte klangen sachlich, weder überheblich noch besserwisserisch, sie stellten lediglich eine Tatsache dar. »Für Shirley habe ich etwas anderes mitzugeben«, sagte Howard. »Bruder Mojack hat mich darauf gebracht. Abt Zifer wird dir das Gut anvertrauen.«
Nach einem kräftigenden Frühstück war er bereit. Den Rucksack hatte er bereits am Vorabend gepackt. Er enthielt alles, was ihm das Überleben in den nächsten Tagen erleichtern sollte.
Das Frühstück nahm er wie üblich im Beisein der Mönche ein. Zum Frühstück kamen sie alle zusammen, hier konnten sie sich für gemeinsame Gespräche Zeit nehmen und manchmal schnappte man durch die Gespräche anderer auch etwas auf, das einen selbst betraf. An diesem Morgen kam noch dazu, dass sie ihm alle Glück wünschen wollten für seine Reise.
Abt Zifer begleitete ihn zum Orakel. Judas musste sich die Sporen abholen. Bevor Zifer den jungen Mönch begleitete, übergab er ihm einen unscheinbaren Lederbeutel.
»Sieh hinein, damit du weißt, was er enthält«, riet Zifer. »Wir brauchen kein Geheimnis daraus zu machen. Sowie du außer Sichtweite des Klosters gewesen wärest, hättest du Halt gemacht und den Inhalt des Beutels studiert.«
Burmeisters Gedanken hatten sich tatsächlich bereits mit dieser Frage beschäftigt. Welch geheimnisvolles Gut hatte Mojack entdeckt, dass Howard es für so wertvoll hielt, es zu einem weiteren Orakel zu tragen?
Seine Hände zitterten ein wenig, als er den einfachen Beutel öffnete und den Inhalt auf seine Hand schüttete.
Es war ein Stein. Ein rosa schimmernder Kristall.
»Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein gewöhnlicher Quarzkristall«, erklärte Abt Zifer. »Mortimer hat jedoch entdeckt, dass der Kristall Strahlen aussendet. Er nennt ihn Schwingquarz.«
»Was vermag er?«
»Mortimer ist sich nicht sicher, über welche Kräfte er verfügt und wer ihn benutzen kann, aber das Orakel war ganz hin- und hergerissen, als es den Stein in der Hand hielt. Seine Antwort glich diesmal tatsächlich einem Orakelspruch: vielsagend, aber wenig aufschlussreich.