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Die staatliche Führung ist weltweit zusammengebrochen. Plündererhorden herrschen über weite Teile der Welt und das Recht des Stärkeren dominiert. Nur vereinzelt haben es „Inseln der Zivilisation“ geschafft, zu überleben. Diese Gebiete tun sich nun zusammen, um einen entscheidenden Schlag gegen die Horden von Lotte Frost zu führen. In Amerika sind dies Roosvelt Skys und Saratoga, im alten Europa wird den Machtbestrebungen von Maître Grimm ein Riegel vorgeschoben.
Die Vereinten Armeen in den ehemaligen amerikanischen Staaten wissen genau, dass es ihre letzte Chance ist, die Zivilisation zu retten. Von Roosvelt Skys in Alaska geht die Fahrt bis nach Wyoming. Dort rüsten sich die Horden von Lotte Frost zur Eroberung weiterer Staaten der ehemaligen USA.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Roland Heller / Marten Munsonius
Amen und Aus
Band 2
Das Grand-Teton-Gefecht
Eine Dystopie
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer mit Bärenklau Exklusiv, 2023
Lektorat/Korrektorat: Antje Ippensen
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Amen und Aus
Das Grand-Teton-Gefecht
Personenregister
1. Buch
1 – Wo Wildnis einst war, blüht es jetzt
2 – Ich wohne in einem einsamen Haus, das vor vielen Sommern verschwunden ist
3 – Aus dem Reisebericht von Buzz Carpenter
Als sie im Morgengrauen sich durch die zerstörten Straßen schleppten
4 – Die Welt ist nicht immer identisch mit der, die man sieht
2. Buch
1 – Was der Barde zu erzählen wusste
Ich suchte nach einem einsamen Haus, das erst mein Zuhause werden musste
2 – Aus dem Reisebericht von Buzz Carpenter
Auf der Straße nach …?
3 – Was der Barde zu erzählen wusste
Das kann ich gut, sagte der einfältige Mann
4 – In Helena hat sich nicht viel geändert
3. Buch
1 – Jeder lädt sich seine Steine in das Gepäck
2 – Was der Barde noch zu erzählen wusste
Ich suchte nach einem einsamen Haus, das meines werden konnte
3 – Der Wind hat kein Ziel, darum stört ihn auch kein Hindernis. Er bleibt jedoch beharrlich.
4 – Was der Barde zu erzählen wusste
Und sie, da sie nicht die Toten waren, wandten sich ihren Angelegenheiten zu
4. Buch
1 – Im Süden nichts Neues
2 – Die Eroberung des Paradieses
3 – Was der Barde zu erzählen wusste
Im Norden ist die Freiheit grenzenlos
4 – Wasche die Dämmerung mit deinem Wissen
5 – Was der Barde zu erzählen wusste
Der Untergang des Imperiums
4. Buch
1 – Jeder werfe den ersten Stein, der Anstoß geben will
2 – Im Auge von Licht und Dunkel
3 – Auch der letzte Schritt muss gut überlegt sein
5. Buch
1 – Was der Barde zu erzählen wusste
Fracht für einen fernen Kontinent
2 – Feuer im Paradies
Epilog
Die staatliche Führung ist weltweit zusammengebrochen. Plündererhorden herrschen über weite Teile der Welt und das Recht des Stärkeren dominiert. Nur vereinzelt haben es „Inseln der Zivilisation“ geschafft, zu überleben. Diese Gebiete tun sich nun zusammen, um einen entscheidenden Schlag gegen die Horden von Lotte Frost zu führen. In Amerika sind dies Roosvelt Skys und Saratoga, im alten Europa wird den Machtbestrebungen von Maître Grimm ein Riegel vorgeschoben.
Die Vereinten Armeen in den ehemaligen amerikanischen Staaten wissen genau, dass es ihre letzte Chance ist, die Zivilisation zu retten. Von Roosvelt Skys in Alaska geht die Fahrt bis nach Wyoming. Dort rüsten sich die Horden von Lotte Frost zur Eroberung weiterer Staaten der ehemaligen USA.
***
Band 2
Shirley – Suphur-Geschädigte.
Roberta Dark – Mädchen, 17 Jahre alt. Sie besitzt eine unheimliche Kraft.
Buzz Carpenter – Er gehört zur Saratoga-Expedition.
Sarah Carpenter – Seine Schwester. Sie lenkt die Geschicke in Roosvelt Skys.
Raymon Saratoga – Seine Familie gab der „Insel der Zivilisation“ den Namen.
Marilyn Sutherland – Teilnehmerin der Saratoga-Expedition.
Noa Lee Buffalo – Army-Veteran, Teilnehmer der Saratoga-Expedition.
Anna Engel – Die Freundin von Buzz, Saratoga-Expedition.
Sonny Rhimes – Farmer, Suphur-Geschädigter, Saratoga-Expedition.
Kixx Williams – Militär von Roosvelt Skys.
Jordan Rufus McIntosh – Militär von Roosvelt Skys.
Lindon Ryer – Arzt aus Helena, Mitglied der Armee.
Dr. Earl Graham – Lyle Shermans Stellvertreter in der Klinik in Helena.
Harry Moon – Er sucht im Auftrag Shermans Lotte Frost.
Gilbert Dark – Er sucht seine Tochter.
Maxx – Er ist ein Kämpfer.
Sybil Hunt – Anführerin der Kriegerinnen bei Edmonton.
Lotte Frost – Sie führt die Plünderer.
Hardy und Willy – Hauptleute in Lottes Armee.
Maître Grimm – Ihm schwebt etwas Großes vor.
Page Jam – Er tut sich mit Maître Grimm zusammen.
Lee Grant – Sie und Maître verbindet eine unabänderliche Hassliebe.
Colin Hue – Direkter Konkurrent von Page Jam.
***
William Blake
The Tyger
Tyger Tyger, burning bright,
In the forests of the night;
What immortal hand or eye,
Could frame thy fearful symmetry?
In what distant deeps or skies
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand, dare sieze the fire?
And what shoulder & what art,
Could twist the sinews of thy heart?
And when thy heart began to beat,
What dread hand? & what dread the feet?
What the hammer? What the chain,
In what furnace was thy brain?
What the anvil? What dread grasp,
Dare its deadly terrors clasp!
When the stars threw down their spears
And water'd heaven with their tears:
Did he smile his work to see?
Did he who made the Lamb make thee?
Tyger, Tyger burning bright,
In the forests of the night;
What immortal hand or eye,
Dare frame thy fearful symmetry?
Tiger! Tiger! In den Wäldern
lodert Feuer in tiefer Nacht,
Welch unsterblich Hand und Aug‘
Hat Dich so gebaut?
Da es ihr Spaß machte, hatte sich Lotte Frost selbst eine Trommel umgehängt.
Sie schwang ihre Schlegel im gleichen Rhythmus wie die anderen Treiber. Bumm-Bumm-Bumm – dröhnte es. Seit Stunden bereits. Das monotone Geräusch, die gleichmäßige Abfolge, es machte die Wölfe verrückt.
Lotte wusste nicht, welcher Sinn der Tiere ausgeprägter war, der Geruchssinn oder das Gehör. Sie wusste, dass die Tiere über feine Nasen verfügten, war sich aber nicht sicher, ob es sich mit dem Hörsinn ebenso verhielt. Auf jeden Fall versuchten die Wölfe seit Stunden den Abstand zwischen sich und dem Lärm zumindest konstant zu halten.
Sie flohen. Ob sie die menschlichen Treiber bewusst wahrnahmen und als Urheber der Störung erkannt hatten, überstieg ihr Wissen über die Tiere. Sollte dies aber der Fall sein, rechnete sie mit einem Gegenangriff der Tiere, sobald diese in eine ausweglose Situation gerieten.
Irgendwo in diesen Wäldern mussten sich noch menschliche Siedlungen verstecken!
Ihre Späher hatten ihr berichtet, dass sie einmal auf eine Truppe von Suphur-Leuten gestoßen waren. Da sie sich vor Ansteckung fürchteten, hatten sie die Sache damals nicht näher untersucht. Aber wo eine Kolonie der Pilzbefallenen überlebt hatte, konnten auch normale Menschen überlebt haben und nicht weit sein!
Diese wollte Lotte finden!
Seit einem halben Jahr war sie auf der Suche. Der Name des Anwesens war sogar bis zu ihr durchgedrungen: Saratoga. Irgendwo musste dieser Ort liegen, ursprünglich eine Farm, die sich zu einem wehrhaften Dorf weiterentwickelt hatte.
So trieben ihre Männer die Wölfe in regelmäßigen Zeitintervallen von etwa vierzehn Tagen in die Wälder, in der Hoffnung, dass sie die Versteckten aufstöberten. Irgendwo in diesem Gebiet zwischen dem ehemaligen Yellowstone Park und der Hochebene von Grand Teton. Irgendwo hier mussten sie sich verstecken.
Die Kleinstadt Strathen, die in der Nähe lag, hatte sie zweimal bereits erobert. Jedes Mal, wenn sie gedacht hatte, dass sie dieses Nest endgültig besiegt hatte, erstand die Stadt wieder neu, waren die Geflohenen zurückgekommen. Anscheinend wussten sie nicht, wohin. Ihre Hoffnung, sie könnten sie nach Saratoga führen, hatte Lotte Frost aufgegeben, denn jetzt lebten nur noch alte Leute dort. Die waren selbst für sie uninteressant. Dennoch trieb Lotte Frost in regelmäßigen Abständen die Wölfe durch Strathen. Die Leute dort sollten nicht glauben, sie habe sie vergessen.
Lotte Frost, die ungekrönte Königin von halb Wyoming und halb Montana, wollte die andere Hälfte der ehemaligen Bundesstaaten ebenfalls ihrem Machtbereich unterordnen. Dies war nur ihr erstes Ziel. Danach warteten noch weitere Gebiete darauf, dass sie unter ihre Herrschaft kamen.
Obwohl sie sich die meiste Zeit im Schatten der Bäume aufhielt, stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Die Sonne hatte nichts von ihrer Kraft verloren, die sich in den letzten Jahren scheinbar verstärkt hatte. Obwohl seit Jahren mit dem Rückgang der Zivilisation keine von den Menschen erzeugten Schadstoffe mehr in die Umwelt gelangten, hatte sich das Temperaturniveau nicht gesenkt. Im Gegenteil. Nach wie vor stiegen die Temperaturen. Zudem hatten sich jene Gebiete verschoben, in denen der Niederschlag in Form von Regen fiel. Das hatte zur Folge, dass manche Gebiete regelrecht ertranken, während sich andernorts die Dürre und Trockenheit ausbreitete.
Die Hochebene von Grand Teton zählte zu jenen Gebieten, die sich glücklich schätzen durften, denn hier schien der Wasserhaushalt noch in Ordnung zu sein. Und diese »Normalität« strahlte auch auf die umliegenden Gebiete aus. Der Osten von Wyoming verdurstete weder noch ertrank er.
Für Lotte Frost glich das einer Einladung, die nach Eroberung schrie!
Das Rudel Wölfe, das sie für diese Treibjagd aufgeschreckt hatte, zählte keine zwanzig Tiere. Wenn Lotte Frost nicht über die Kampfkraft der Wölfe Bescheid gewusst hätte, wäre sie über die geringe Anzahl sicherlich enttäuscht gewesen. Der Aufwand, den sie ständig mit dem Zusammentreiben der Wölfe betrieben, stand in keinem Verhältnis zum Erfolg, der bislang bei null lag.
Die einzelgängerisch lebenden Menschen in den Wäldern flohen üblicherweise, wenn die ersten Geräusche der Treibjagd an ihre Ohren drangen. Diesen Einzelgängern schenkte Lotte kaum Beachtung. Für sie bedeuteten sie keine Gefahr. Lotte war hauptsächlich an größeren Gemeinschaften interessiert, die tatkräftig und lebensfähig wirkten. Die erkannte sie daran, dass sie sich zur Wehr setzten.
Neben Lotte trieben weitere zehn Kämpfer, alle mit Trommeln bewaffnet, die Wölfe in die gewünschte Richtung. Begleitet wurden sie von der gleichen Anzahl von Kämpfern, deren Einsatz dann begann, wenn sie auf Menschen stoßen sollten.
Plötzlich änderte sich das Geheul der Wölfe.
Der Ton verschob sich, er klang nicht mehr nur wütend, sondern auch aggressiver.
*
Wenn man sie das erste Mal sah, wirkte sie unscheinbar. Nichts deutete darauf hin, dass von ihr eine Gefahr ausgehen könnte. Sie machte den Eindruck eines unschuldigen kleinen Mädchens, das nicht so recht wusste, was sie jetzt unternehmen sollte.
Roberta Dark zählte siebzehn Jahre. Sie war eher klein vom Wuchs her und auch sonst hatten sich die weiblichen Attribute noch nicht zur vollen Blüte entwickelt. Da sie meistens weite Gewänder trug, fiel dies aber kaum jemandem auf. Selbst ihre braunen Haare, denen sie die Freiheit gegeben hatte zu wachsen, wie sie wollten, versteckte sie stets unter einer Kapuze.
Den Namen Dark hatte sie von ihrem Vater bekommen, nachdem er mit ihr ein unheimliches Erlebnis gehabt hatte. Den Namen Roberta hatte ihr ihre Mutter verliehen. Ihre Mutter jedenfalls war nicht gut auf Robertas Vater zu sprechen, deshalb wusste Roberta auch nur wenig über ihre Familiengeschichte – vielleicht wusste sie es auch deshalb nicht, weil niemand sagen konnte, ob ihre Zeugung durch eine Vergewaltigung oder im Zuge eines rituellen Rausches vor sich gegangen war, sicher war nur, dass ihr Vater tatsächlich für ihre Zeugung verantwortlich war –, so blieb als Name lediglich Roberta. Im Alter von zehn Jahren bekam sie dann den zweiten Namen verliehen, der ihr irgendwie gefiel, also behielt sie ihn.
Dass ihr Vater diesen Namen ebenfalls annahm und auch ihren Brüdern verlieh, um ihre Zusammengehörigkeit als Familie für alle anderen kenntlich zu machen, war für sie nur ein geringer Trost.
Roberta wuchs in einer kleinen Siedlung auf, deren Bewohner weit im Norden lebten und den seltenen Reisenden für Geld alles zur Verfügung stellten, was sie benötigen konnten: Unterkunft, Kleidung, Nahrung, selbst Führungen durch die imposantesten Stellen des Landes – und natürlich Jagdwaffen aller Art.
Nachdem die Ordnung des öffentlichen Lebens zusammengebrochen war und die Bewohner schlagartig ihrer Einkommensquelle beraubt waren, sank die Bevölkerung rasch um nahezu 90 Prozent. Zurück blieben lediglich jene, die zusätzlich eine kleine Landwirtschaft betrieben hatten.
Die Anzahl der Kinder, die in der Siedlung und der näheren Umgebung wohnten, konnte man an zwei Händen abzählen. Der Anreiz für die Älteren, sich hier eine Existenz für die Zukunft zu sichern, blieb eher gering. So geschah, was unvermeidlich als Folge vorauszusehen war: Die Siedlung verwahrloste.
Daran konnte auch Roberta nichts ändern.
Das Mädchen war knapp zehn Jahre alt, als ihren Nachbarn ein merkwürdiger Umstand auffiel: Roberta Dark behielt selbst in der brennendsten Sonne ihre bleiche, fast fahle Hautfarbe. Während die restlichen Menschen von der Sonne regelrecht geröstet wurden – die Temperatur stieg von Jahr zu Jahr und es wurde immer schwieriger, sich vor einem Sonnenbrand zu retten –, schien es, als umgebe das Kind stets ein dunkler Schatten, welcher der Sonne keine Chance zum Durchbruch ermöglichte.
»Sie wandelt im Dunkeln«, bemerkte ihr Vater und rief sie Roberta Dark. »Ihr Name passt zu ihr!«
Dieser Name wurde akzeptiert. Er blieb ihr, obwohl ihre Mutter alles unternahm, die Erinnerung an ihren Vater zu tilgen. Mit der Zeit fielen ihren Mitmenschen noch weitere Besonderheiten auf, aber da Roberta ansonsten ein unauffälliges Leben lebte, fühlte sie sich weiterhin wie ein willkommenes Mitglied in ihrer Gemeinschaft. Die wenigen Kinder akzeptierten sie als Spielgefährtin, wenn auch gewisse Spiele wie selbstverständlich aus ihrem Repertoire verschwanden. Jede Art von Versteck-Spielen unterblieb, denn es machte einfach keinen Spaß mehr, mit ihr zu spielen. Sie selbst konnte sich nicht erklären, weshalb sie stets alles wusste, dabei hätte sie liebend gerne wie die anderen Kinder ihre Freude daran gehabt, einen Stein umzudrehen, um zu sehen, was sich darunter verbarg. Sie sah den Stein zwar, aber er konnte ihren Augen nicht verbergen, was sich darunter befand.
Obwohl von der Gemeinschaft akzeptiert, entwickelte sich Roberta Dark zu einer Einzelgängerin, welche die größte Freude dabei empfand, alleine weite Streifzüge in die Umgebung zu machen.
Die Vorstellung, dass in dieser Wildnis irgendwo eine Gefahr auf sie lauern konnte, verlor sich innerhalb eines Jahres, denn aus welchen Gründen auch immer mieden selbst Raubtiere die Begegnung mit ihr.
Anfangs nahm Roberta diesen Umstand nicht wahr. Sie nahm es einfach so hin, wie es war. Ihr begegneten halt keine Raubtiere, eigentlich überhaupt keine Tiere, die auf ihrem Speiseplan standen. Was die fremden Menschen betraf, war es nicht ganz so schlimm. Zwar empfanden sie ihr gegenüber eine gewisse und unerklärliche Scheu, aber sie mieden sie nicht von vorneherein. War ein Gespräch erst einmal in Gang gekommen, verlor sich dieses Gefühl des Unwohlseins in ihrer Gegenwart schnell und ließ ein normales Zusammensein zu.
*
Noch eine dritte Person trat an diesem Vormittag in das Geschehen ein: Shirley.
Shirley stammte aus Saratoga. Sie war Mitglied der Suphur-Kolonie, die auf dem Gelände der Ranch von Raymon Saratoga Schutz gefunden hatte. Eine der Geißeln der Menschheit im 21. Jahrhundert war der Suphur-Pilz. Extrem ansteckend. Extrem gefährlich. Extrem tödlich. Wer sich infizierte, dem standen qualvolle Wochen und Monate bevor, bis der Pilz den Körper entweder besiegt hatte, was den Tod bedeutete, oder der Körper eine Möglichkeit gefunden hatte, mit dem Pilz zusammen zu leben.
Shirley zählte zu der zweiten Kategorie. Der Pilz lebte nach wie vor in ihr, sie war nach wie vor ansteckend und damit eine Gefahr für alle Menschen, die sich nicht als immun erwiesen hatten. Vielleicht die Hälfte, oder nicht einmal ganz die Hälfte zählte zu den Immunen. Auf jeden Fall war der Pilz einer der Gründe, weshalb die Ordnung der Welt zusammengebrochen war. Zusammen mit den Naturkatastrophen, die als direkte Folge der Umweltsünden gesehen wurden, war das Leben nach der Katastrophe nicht mehr vergleichbar mit irgendeiner Art des Zusammenseins früher Zeiten.
Der Begriff Ordnung wandelte sich ebenso wie die Bedeutung des Gesetzes. Das Staatswesen war ebenso niedergegangen wie das Rechtswesen oder das soziale Gefüge innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften.
Wenn Shirley allein durch die Wälder streifte oder – wie in diesem Fall – auf Patrouillengang unterwegs war, war kurioserweise ihr größter Schutz die tödliche Krankheit, die sie in sich trug, denn der Suphur-Pilz besaß die unangenehme Eigenschaft, den Körper auch äußerlich anzugreifen. Geschwüre überzogen die Haut, die Zellwucherungen taten ihr Übriges, die Körper zu deformieren. Shirleys Finger waren zum Beispiel zu zwei Klauen und einem überproportional gewachsenen Daumen zusammengewachsen, die schon beim ersten Anblick ihrem Gegenüber signalisierten, es mit einer infizierten Suphur-Kranken zu tun zu haben.
Um eine Ansteckung zu vermeiden, konnte man sie nur aus der Ferne töten und sehen, dass man ihr nicht zu nahekam.
Aber von einer Toten konnte man keine Informationen bekommen. Deshalb ließen die Plünderer die Suphur-Geschädigten üblicherweise in Ruhe.
Und auch die Bewohner von Saratoga hatten sich diese Erkenntnis zunutze gemacht.
Damals, als Mojack so plötzlich in Saratoga aufgetaucht war, hatte Shirley bewiesen, dass sie der Gemeinschaft auch als Kämpferin nützlich war. Aufgaben, die man ihr und anderen Suphur-Geschädigten früher nie zugetraut hätte, erledigten sie in jüngster Zeit zu aller Zufriedenheit – und manche sogar besser, denn auf die immunen Menschen nahmen die Plünderer üblicherweise keine Rücksicht. Sie fingen sie, wo sie ihrer nur habhaft wurden. Damit begann oftmals erst ihr Martyrium, denn die Plünderer waren stets auf der Suche nach Informationen, hauptsächlich nach der Lage von Saratoga.
Es herrschte so etwas wie ein stilles Einverständnis zwischen den Normalen und Suphur-Leuten, wer welche Aufgaben übernahm.
Das war die Ausgangslage, als Shirley auf die Wölfe traf.
Das Trommeln hatte sie aufmerksam werden lassen. Glücklicherweise, musste man sagen, denn es weckte ihr Interesse. Sie wollte natürlich herausfinden, was es damit auf sich hatte. Die Gegend, in der sie sich bewegte, war zwar mit Bäumen bestanden, aber sie standen nicht so dicht beieinander, dass man hier von einem dichten Wald sprechen konnte. Wenn es Shirley gelang, auf einen Baum zu klettern, konnte sie ihr Blickfeld erweitern.
Aufmerksam blickte sie sich um und musterte die Bäume in der Nähe. Mit ihren verkrüppelten Fingern fiel es ihr nicht leicht, auf einen Baum zu klettern. Vor allem der unterste Ast musste in günstiger Höhe für sie liegen, damit sie ein Erklettern überhaupt in Erwägung ziehen konnte.
Jetzt kam es darauf an, dass sie nicht zu viel Zeit verschwendete. Sie musste in Sicherheit sein, bevor ihr die Wölfe zu nahe kamen, denn weglaufen konnte sie nicht. Da spielten ihre Beine nicht mehr mit, die der Suphur-Pilz deformiert hatte. Es war nicht so, dass ihr jeder Schritt weh tat, aber sie war unfähig, ein gewisses Tempo zu überschreiten. Wenn man von Flucht reden wollte, war es allerdings unumgänglich, dass man sich flott bewegen konnte.
Sie hatte einen geeigneten Baum entdeckte.
Es kostete sie Mühe, sich auf den untersten Ast zu schwingen, aber schließlich schaffte sie es. Das Geheul der Wölfe klang bereits merklich näher. Die Angst, dass die Tiere sie doch noch erwischen konnten, verstärkte ihre Kräfte. Der nächste Ast befand sich ebenfalls in fast zu großer Entfernung. Wenn sie dieses Hindernis überwand, kam sie in dichter bewachsene Regionen des Baumes und damit fiel ihr das Ersteigen leichter.
Mutig machte sie sich an das Klettern. Inch für Inch schob sie sich nach oben, und einmal sah es so aus, als habe sie ihre Kräfte verausgabt und sie hing wie ein unbeweglicher, schwerer Mehlsack am Stamm und war lediglich darum bemüht, nicht abzurutschen. Da klang bereits dicht unter ihr das heisere Heulen des ersten Wolfes auf.
Mit einem Satz sprang das Tier am Stamm hoch.
Es war wütend. Das Trommeln störte seinen Bewegungsablauf und ließ es nicht in Ruhe die Informationen in seinem Gehirn verarbeiten. Und hier war einer dieser Zweibeiner – derselben Zweibeiner, die mit der Trommel hinter ihm her waren. Es fehlte nicht viel und der Wolf hätte den untersten Ast erreicht. Shirley vermeinte schon, den heißen Atem des Tieres nahe an ihren Beinen zu spüren. Die Angst gab ihr einen neuen Schub und mit einem Satz griff sie endlich nach dem nächsten Ast. Die Gelenke ihrer Arme schmerzten. Die heftige Bewegung fiel ihr schwer. Shirley wusste es nicht, aber die Zellwucherungen verengten die Bewegungsfreiheit ihrer Arme immer mehr, sie ließen den Sehnen und den Muskeln nur mehr einen geringen Spielraum.
Der erste Wolf bekam Unterstützung von einem weiteren Tier. Sie heulten um die Wette. Ihre geöffneten Mäuler starrten in die Höhe.
Shirley befand sich gar nicht so weit von ihnen entfernt. Es fehlte nur wenig, dass sie ihre Zähne in ihr Fleisch schlagen konnten und sie mit Schmerzen büßen lassen konnten, was die Menschen ihnen antaten.
Das Trommeln kam näher. Und damit stieg auch die Zahl der Wölfe, die sich unter dem Baum versammelten. Sie mussten sich bald entscheiden, ob sie ihre Flucht fortsetzen oder einen Angriff starten wollten.
Eine neue Unruhe kam mit einer Plötzlichkeit über sie, die sie noch mehr verwirrte. Für einen kurzen Augenblick verstummte ihr Geheul. Ein paar der Tiere ließen ihr Fiepen hören, dann wurde der Drang zur Flucht übermächtig in ihnen. Alles in ihnen schrie danach, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen – doch wohin?
Die Gefahr kam aus einer Richtung – das Trommeln aus einer anderen.
Die Wölfe befanden sich in der Mitte.
Ihr Instinkt bestimmte ihr weiteres Vorgehen.
*
Roberta Dark wusste nichts davon, weshalb die Tiere in dieser Weise auf ihr Erscheinen reagierten. Sie war der festen Überzeugung, dass es mit ihrem natürlichen Fluchtverhalten zu tun hatte.
Wölfe zählten zu den gefürchtetsten Räubern. Die Menschen hassten sie. Vermutlich vollführten sie gerade eine Treibjagd auf sie. Was anderes sollten die Trommeln bewirken? In ihrer Vorstellungswelt war der Wolf das gejagte Wild. Nie hätte sie gedacht, dass ein Mensch den Wolf auf einen anderen Menschen zutreiben würde.
Sie wusste nicht, wer die Trommeln schlug – und sie machte sich auch keine Gedanken darüber. Der Wolf war der Feind. Also trieb sie die Wölfe zurück, auf die Menschen zu, die mit den Trommeln verantwortlich für die Hetze waren.
Geduckt lief Roberta auf die Meute zu. Es blieb nicht aus, dass sie genau unter jenem Baum zum Stehen kam, auf den sich Shirley geflüchtet hatte, denn hier hatten sich die Tiere massiert.
Die Wölfe ließen ein unwilliges Knurren hören. Sie kämpften gegen ihren Instinkt, der sie nach vor zum Angriff auf Roberta trieb, aber stattdessen gingen sie in die Knie, rutschten auf dem Boden herum – mehrere Sekunden lang, dann schnellten sie jedoch hoch, wendeten und liefen mit weiten Sätzen den Weg zurück. Wer genau hinhörte, konnte auch eine Änderung des Tons in ihrem Geheul erkennen. Das Geheul klang nicht mehr allein wütend, auch eine Spur Ärger hatte sich hineingemischt, aber alles änderte nichts daran, dass sie jetzt auf die Männer von Lotte Frost zu hetzten.
Shirley hatte mit Bewunderung und Erstaunen das Geschehen verfolgt, das sich direkt unter ihr abgespielt hatte. In ihrer langsamen Denkweise dauerte es eine Weile, ehe sie die Konsequenz dessen begriff, was sie gesehen hatte, doch dann beugte sie sich etwas aus der Deckung der Äste hervor und blickte auf Roberta hinab, die sie erst jetzt zu erkennen schien.
Shirley stieß ein paar hastige Laute hervor. Eigentlich wollte sie Danke sagen und die Fremde fragen, wer sie war, aber wenn sie so schnell sprechen wollte, produzierte sie hauptsächlich unverständliche Laute und so drang an Robertas Ohren nur ein unverständliches Kauderwelsch, in das man jede Bedeutung hineinlegen konnte.
»Wer bist du?«, fragte Roberta und blickte genauer auf den Baum hinauf. Jetzt entdeckte sie die Entstellungen.
»Suphur«, rief sie und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
Roberta glaubte zwar, immun gegen den Pilz zu sein, sicher war sie sich dessen aber nicht. Sie durfte die Vorsicht auf keinen Fall außer Acht lassen.
Endlich bekam Shirley Gelegenheit, jene Worte hervorzubringen, die sie sich im Geiste bereits vorbereitet und vorartikuliert hatte. »Bist du von Lotte Frost?« Was hier wie ein durchgehender Satz klang, benötigte in Wirklichkeit fast eine Minute.
Geduldig hörte Roberta zu, dann konnte sie die Suphur-Frau beruhigen.
»Nein, ich bin keine Plünderin, und Lotte Frost ist meine erklärte Feindin.« Sie winkte Shirley zu. »Du kannst herabkommen. Die Wölfe laufen zurück.«
Shirley blickte zuerst in die angegebene Richtung, in der die Wölfe verschwunden waren, ehe sie äußerst vorsichtig von dem Baum herabstieg.
Roberta Dark sah ihr zu. Die Suphur-Frau verhielt sich dabei stellenweise so ungeschickt, dass sie fast versucht war, ihr zu Hilfe zu eilen, aber die Vernunft verbot ihr das. Die Ansteckungsgefahr war zu groß.
»Wo?«, fragte Shirley mitten während ihres Herunterkommens, als sie eine Pause einlegte, um wieder zu Kräften zu kommen.
Roberta musste kurz überlegen, worauf sich das »Wo« bezog, meinte dann, dass die Suphur-Frau erfahren wollte, woher sie stammte.
»Ich bin aus dem Norden. Und woher kommst du?«, fragte sie.
Shirley nickte plötzlich und nannte den Namen »Saratoga« und kürzte den Abstieg von dem Baum ab, indem sie sich einfach fallen ließ. Sie kam hart auf dem Boden auf, fiel auf den Rücken, hatte aber den Sturz unbeschadet überstanden, denn sie rappelte sich gleich wieder auf und lächelte Roberta breit an. Sie hielt es zumindest für ein Lächeln. In Wirklichkeit verzerrte sich ihr Gesicht zu einer schaurigen Fratze. Die verschorften Hautpartien rund um ihren Mund verliehen ihr zudem eher das Aussehen eines Zombies, denn eines erleichterten, im Augenblick glücklichen menschlichen Wesens.
Shirley deutete in die Richtung, aus der das Trommeln erklang und in welche die Wölfe liefen. »Lotte Frost«, sagte sie.
Damit war alles gesagt.
»Folgen wir ihnen. Ich will sehen, was geschieht«, sagte Roberta entschlossen und lief gleich ein wenig voraus. Unschlüssig blieb Shirley stehen. Es dauerte wie üblich eine Zeitlang, ehe sie sich zu einem Vorgehen entschließen konnte, und diesmal folgte sie Roberta. Eigentlich sollte sie sich ja nicht blicken lassen. Wenn sie sich jetzt in die Nähe der Plünderer begab und diese sie entdeckten, war es wahrscheinlich, dass die Königin der Plünderer die richtigen Schlüsse zog. Shirley wusste es zwar nicht genau, aber sie dachte doch, dass Lotte Frost sie gleich mit Saratoga in Verbindung brachte.
Ihre neue Freundin flößte ihr Zuversicht ein. Sie hatte das Empfinden, ihr blindlings vertrauen zu können. Immerhin hatte sie sie vor den Wölfen gerettet. Sie würde schon dafür sorgen, dass ihr auch weiterhin kein Unheil widerfuhr. Also konnte sie ihr getrost folgen.
Sie warf alle Bedenken über Bord und folgte ihr. Roberta nickte zufrieden und folgte den Wölfen. Shirley kam zwar langsamer voran als ihre neue Freundin, aber sie ließ sich nie so weit zurückfallen, dass sie sie aus den Augen verlor. Ein wenig tat auch Roberta dazu, denn geduldig wartete sie regelmäßig, wenn der Abstand zu groß wurde, aber sie achtete darauf, dass sie die Wölfe nicht ganz aus ihren Augen verlor.
Je näher sie den Treibern kamen, umso lauter wurden die Trommeln.
Das merkten auch die Wölfe und ihr Vorankommen verlangsamte sich ebenfalls.
Aber auch die Geschwindigkeit, mit der die Treiber voranmarschierten, hatte sich geändert, denn ihnen war natürlich nicht unbemerkt geblieben, dass die Wölfe zurückkamen, anstatt vor ihnen vor fliehen.
Die Wölfe rotteten sich zusammen. Aus der lang auseinandergezogenen Linie war längst ein relativ dichtes Knäuel geworden. Der Leitwolf lief unangefochten an der Spitze. Seine Augen blickten blitzend auf einen Punkt, in dessen Mittelpunkt ein Trommler seine Schlegel schlug. Die Schnauze war leicht geöffnet und die Zunge hing nur mit der Spitze aus dem Maul. Hinter dem mächtigen Tier reihten sich die restlichen Wölfe ein. Jeweils zwei nebeneinander. Fast wirkte es wie ein Ausflug, bei dem immer zwei Kindergartenkinder Händchen haltend nebeneinander ihrer Tante folgten. Die Zweierreihe der Wölfe hatte jedoch nichts mit Disziplin zu tun, sondern war dem Raum geschuldet, den der Leitwolf zwischen dicht stehenden Gewächsen nahm.
Der Pfad, den der Leitwolf nahm, war nicht breiter. Links und rechts spross das Unterholz dicht empor.
Der Plünderer, auf den die Wölfe zuhielten, hatte jetzt offensichtlich die Gefahr erkannt. Zuerst hörte er auf, das Fell seiner Trommel zu malträtieren. Das Fehlen seines Schlagens störte den Gesamtrhythmus und machte die Nachbarn aufmerksam, dass etwas vor sich ging.
Der betroffene Plünderer brauchte ein paar Sekunden des Beobachtens, bis er sicher war, dass die Wölfe direkt auf ihn zuhielten. Da ließ er laut seine Stimme ertönen. Er rief.
Er rief die Jäger!
Der Trommler war zwar bewaffnet, aber seine Waffe war verstaut, denn seine Hände hielten die Trommelstöcke und hatten keine Möglichkeit, eine Waffe zu führen. Diese Aufgabe hatten die Jäger übernommen.
Wo waren sie?
Der Plünderer blickte sich um. Panisch irrte sein Blick rundherum. Da, irgendwo hinter ihm, viel zu weit entfernt, entdeckte er den ersten Jäger.
Er schrie laut und winkte den Jägern.
Das allmähliche Abflauen des Trommelschlages – auch die anderen Trommler hatten die Gefahr erkannt – hatte natürlich auch die Jäger auf das Geschehen vor ihnen aufmerksam gemacht. Sie sahen die Oberkörper der Trommler und bemerkten sehr wohl, dass ihre Vorwärtsbewegung zum Stillstand gekommen war. Sie sahen aber weder die Beine der Trommler noch die Wölfe, deren Körper kaum über das Unterholz neben dem Pfad hinausragten.
Da der Leitwolf sein Geheul eingestellt hatte, taten es ihm die anderen Wölfe gleich.
Wie eine lautlose Wand näherten sich die Tiere.
Lotte Frost befand sich drei Positionen rechts von jenem Trommler, den die Wölfe als ihr Ziel auserkoren hatten. Irgendwie fasziniert sah sie zu, was sich hier anbahnte. Lotte hatte längst ihre Trommelstöcke einfach fortgeworfen und nach einer Waffe gegriffen. Sie hielt eine Pistole in der Hand. Die 9 Schuss im Magazin gaben ihr Sicherheit. Genügend Sicherheit, dass sie sich darüber Gedanken machen konnte, weshalb die Wölfe auf einen Mann zuhielten und nicht auf eine Lücke zwischen den Trommlern.
Was bezweckten sie damit? Rechneten sie sich etwa mit einem direkten Angriff größere Chancen zum Fliehen aus? Da bedeutete jedoch gleichzeitig, dass innerhalb kürzester Zeit ihre Intelligenz gewachsen sein musste.
Die Welt änderte sich!
Lotte Frost atmete tief durch. Das war ihre Welt, die sich rasch neu entwickelte! Sie war felsenfest davon überzeugt. Diese Welt ordnete sich neu, nachdem sie das alte gesellschaftliche Gefüge zum Teufel gejagt hatte. Dies war die Welt, in der sie ihren Platz besaß.
Der Kampf gehörte in diese Welt.
Die Wölfe fochten ihren Kampf ebenso wie die Menschen. Sie durften sich nur nicht in die Quere kommen. Wenn es doch geschah, musste der Mensch seine Überlegenheit demonstrieren.
Der Trommler beging einen tödlichen Fehler, zumindest in den Augen von Lotte Frost. Wem ein solcher Fehler unterlief, der trug selbst die Schuld an seinem Untergang. Der Trommler warf sein Instrument dem Leitwolf entgegen, drehte sich um und floh. In seiner Panik dachte er zwar sehr wohl an seine Waffe, aber er wusste ebenso, dass er sie nicht rechtzeitig aus seinem Rucksack herausholen konnte. Er hatte viel zu lange gewartet, bis er sich zum Kämpfen entschlossen hatte. Ihm blieb nur die Flucht.
Die Jäger kamen ihm entgegen.
Die Wölfe jagten ihn. Die Flucht des Menschen hatte die Wölfe zu größerem Eifer angestachelt, sie verdoppelten ihre Anstrengungen.
Die Jäger bekamen freien Blick auf die Wölfe – doch der Treiber befand sich genau in der Mitte zwischen den Wölfen und den Jägern, so dass sie ihre Waffen nicht einsetzen konnten, ohne ihren eigenen Mann zu gefährden.
Auch jene Treiber, die links und rechts von ihm in der Kette ihre Trommeln geschlagen hatten, strebten dem Fliehenden zu. Einer von ihnen hatte seine Waffe in der Hand. Er sah die Gefahr – der Leitwolf war bereit zum Angriffssprung.
Im Laufen schoss der Treiber. In der Bewegung war ihm das genaue Zielen kaum möglich. Er sah nur, dass es auf Sekunden ankam. Der Knall mischte sich in das laute Schreien der Männer. Die Kugel verfehlte den Leitwolf. Harmlos flog sie über ihn hinweg und klatschte in einiger Entfernung in einen Baum.
Der verfolgte Treiber spürte in seinem Rücken bereits den hechelnden Atem des Wolfes. Er drehte sich um, hob seine Hände zur Abwehr.
Im gleichen Augenblick sprang der Wolf. Sein Rachen war geöffnet. Im Reflex griffen die Hände des Treibers an den Tierkörper, eine Hand erwischte ihn an der Schulter, die andere bekam eines der Vorderbeine zu fassen. Der Schwung ließ den Wolf trotz des abwehrenden Armes auf dem Treiber landen. Der Mann stolperte und fiel auf den Rücken.
Das Gebiss des Leitwolfes schnappte zu. Im letzten Moment konnte der Treiber den Kopf des Wolfes zur Seite drücken, so dass dessen Zähne leer aufeinanderbissen. Wild entschlossen wehrte sich der Mann, er brachte seine Beine unter den Körper des Tieres und mit einem mächtigen Stoß streckte er seine Beine aus. Der Tierkörper wurde beiseite geschleudert.
Doch da verbiss sich bereits das nächste Tier in den Bauch des Treibers. Ein wilder Schmerz durchzuckte den Mann. Er hörte gar nicht, dass ganz in der Nähe ein Revolver ausgelöst wurde, er spürte nur, dass eine fremde Kraft den Tierkörper von ihm wegkatapultierte. Doch in diesem Augenblick war der Leitwolf bereits wieder über ihm.
Die Treiber, die ihren Kameraden fast schon erreicht hatten, konnten ihm nicht mehr beistehen, denn sie selbst waren nun das Opfer weiterer Wölfe. Die bewaffneten Jäger waren immer noch zu weit entfernt – und in das Knäuel von Mensch und Tier konnten sie nicht einfach hineinschießen.
Alle liefen sie auf einen Punkt zu – nur Lotte Frost nicht. Sie war in einiger Entfernung stehen geblieben und blickte fasziniert zu, wie sich Mensch und Tier bekämpften.
*
Roberta Dark und Shirley entdeckten Lotte Frost gerade noch rechtzeitig, bevor sie ihr in die Arme liefen.
Shirley kannte Lotte Frost nur aus den Berichten, aber Roberta kannte Lotte Frost anscheinend von Angesicht.
»Das ist Lotte Frost höchstpersönlich«, stieß Roberta hervor. Ihre Stimme klang überrascht. »Seit wann mischt sie sich unter das Fußvolk?«, wunderte sie sich.
Shirley war sich nicht sicher, ob sie auf diese Frage antworten sollte. Aber das war einerlei, denn weder kannte sie die Antwort noch war sie überhaupt fähig, in kurzer Zeit so viele Worte verständlich zu artikulieren, dass ihre Begleiterin damit etwas anfangen konnte. So stieß sie nur ein unverständliches Brumm-Geräusch aus.
Roberta streckte ihren Arm aus, so dass Shirley nicht an ihr vorbeigehen konnte.
»Bleib hier! Sie muss uns nicht sehen!«, zischte sie, und fügte dann als Erklärung hinzu: »Lotte hasst Frauen. Wenn ihre Männer uns fangen, ergeht es uns schlecht.«
Sie selbst duckte sich in das hohe Unterholz und deutete Shirley, es ihr gleichzutun.
Shirley legte sich flach auf den Boden. Die schnelle Gangart von Roberta hatte sie ermüdet und sie war über jede Pause froh, in der sie wieder zu Kräften kommen konnte. Sie atmete heftig, so heftig, dass Roberta besorgt zu ihr blickte.
Fürchtete sie etwa, dass das Atemgeräusch bis zu Lotte dringen konnte? Shirley machte noch zwei heftige Atemzüge, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle und atmete ganz natürlich.
Die Stimmen der Plünderer steigerten sich zu einem lauten Schreien. Das Geheul der Wölfe begleitete das Schreien. Aus beiden Stimmlagen ließen sich Schmerz und Wut, gepaart mit Verzweiflung, heraushören.
Dann schien es, als wollten die Wölfe fliehen.
Die Plünderer schafften es endlich, die Wölfe wieder in die ursprüngliche Richtung zu treiben, doch da lauerte Roberta Dark. Ohne dass es zur direkten Begegnung kam, scheuten die Tiere plötzlich und bogen ab, wollten instinktiv zurückkehren, direkt auf die Plünderer zu, doch die liefen ihnen mit wild sich bewegenden Armen entgegen, so dass die Wölfe in eine andere Richtung abbiegen mussten.
Die ersten Plünderer besannen sich wieder ihrer Trommeln und schlugen heftig die Schlegel.
Die Wölfe stoben davon, rechts von ihnen weg. Das war nicht die Richtung, in welche sie die Tiere treiben wollten. Nach einigen weiten Sätzen erlahmten ihre Bewegungen und sie blieben ratlos stehen. Zwei setzten das Trommeln noch fort.
Lotte Frost kam heran. Weniger als vier Yards von Roberta und Shirley entfernt blieb sie stehen. Gott sei Dank kehrte sie ihnen den Rücken zu. Da sich Lotte den Plünderern nicht weiter näherte, mussten diese auf sie zukommen. Von den mehr als zehn Männern, die ursprünglich die Treiber gebildet hatten, kamen lediglich vier auf Lotte zu. Die anderen kümmerten sich um ihre verletzten Kameraden.
»Das geht nicht mit normalen Dingen zu«, rief einer der Treiber und schwang wild seine Trommelstöcke, als wollte er sie in einem Luftkampf dem nächsten Wolf auf den Schädel wirbeln.
»In der Tat, sie verhalten sich seltsam«, gab Lotte zu. Sie sprach ganz sachlich. Nichts in ihrer Stimme verriet die Erregung, die auch sie erfasst haben musste.
»Haben sich die Bauern mit den Wölfen verbündet?«, vermutete ein anderer.
»Quatsch! Aber etwas hält die Wölfe ab, weiter in den Wald vorzudringen. Wir müssen nur herausfinden, worum es sich handelt.«
»Dass die sich so lange verbergen können?«, warf einer der Jäger ein.
»Sie umgehen uns!«, rief ein weiterer. »Zu überhören sind wir ja nicht.«
»Es stimmt – und es stimmt nicht«, gab Lotte zu bedenken. »Das Gebiet ist groß und wir sind viel zu wenige für eine alles abdeckende Suche. Bislang haben wir uns damit begnügt, ihr Lager zu suchen und ihre Wachen zu verfolgen. Wir waren viel zu rücksichtsvoll. Das hört ab dem heutigen Tag auf. Von nun an töten wir jeden, der nicht zu uns gehört, ungefragt, ob Mann oder Frau. Offensichtlich fürchten diese Bauern Lotte Frost noch zu wenig. Das muss sich ändern!«
»Was unternehmen wir mit den Wölfen?«
»Killt sie! Sie erfüllen keinen Zweck mehr für uns. Je weniger Ungeziefer in diesem Waldgebiet haust, umso besser ist es. Es wird Zeit, dass ich meine Kämpfer aus dem Norden herbeihole.«
»Und Strathen?«, erinnerte einer.
»Strathen ist so gut wie tot. Dort leben nur ein paar alte Weiber und alte und verbrauchte Männer. Wenn jemand übermütig ist, kann er dorthin gehen und trainieren!«, meinte Lotte abfällig. »Ich brauche auf jeden Fall einen freien Rücken, wenn es gegen Grand Teton geht!«
*
Das Geheul der näherkommenden Wölfe hatte auch Raymon Saratogas Ohren erreicht.